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Landsmann! kan man sich auch darauf verlassen, dass deine Geschichte keine blossen Gedichte, Lucianische Spaas-Streiche, zusammen geraspelte Robinsonaden-Spane und dergleichen sind? Denn es werffen sich immer mehr und mehr Scribenten auf, die einem neu-begierigen Leser an diejenige Nase, so er doch schon selbst am Kopffe hat, noch viele kleine, mittelmassige und grosse Nasen drehen

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. Der liebe Niemand allein, kan es allen Leuten recht machen. Was dir nicht gefallt, charmirt vielleicht 10, ja 100. und wohl noch mehr andere Menschen. Alle diejenigen, so du anitzo getadelt hast, haben wohl eine gantz besondere gute Absicht gehabt, die

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Hand zu nehmen, in moglichste Ordnung zu bringen, und hernach dem Drucke zu uberlassen, es mochte gleich einem oder den andern viel, wenig oder gar nichts daran gelegen seyn,

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mir mit vielen Grunden als wahr und unfabelhafft erwiesen, dennoch niemanden anders, als solchergestalt vorlegen will, dass er darvon glauben kan, wie viel ihm beliebt. Demnach wird hoffentlich jeder mit meiner generositee zu frieden seyn konnen.Von dem ubrigen, was sonsten in Vorreden pflegt angefuhret zu

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im Ehestande gelebt, mochte wegen gedoppelter Besturtzung fast gantz ausser sich selbst gewesen seyn; Jedoch nachdem er bald darauf das Vergnugen hat meine Mutter ziemlich frisch und munter zu sehen, mich aber als seinen erstgebohrnen jungen, gesunden Sohn zu

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Vaters auf schwachen Fuss gesetzt worden. Jedoch, weil ich nicht gesonnen bin, vor eingenommener Mittags-Mahlzeit von unsern importanten Affairen ausfuhrlich mit euch zu sprechen, so werdet ihr euch belieben lassen, selbe bey mir einzunehmen, inzwischen aber, biss die Speisen zubereitet sind,

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Fluss hindurch setzen wolten; allein, hier hatte das gemeine Sprichwort: Eilen thut kein gut, besser beobachtet werden sollen; denn als wir mitten in den Strohm kamen, und ausser zweyen kleinen Rudern nichts hatten, womit wir uns

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Stand zu halten, wesswegen wir, um sie desto gewisser zu fassen, ihnen noch naher auf den Leib gingen, zu gleicher Zeit Feuer gaben, und 2. darvon glucklich erlegten, worauf die ubrigen gross und kleine gantz langsam wieder in See gingen.Fruh Morgens besahen wir mit

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Kostbarkeiten, woruber wir gantz erstaunend, ja fast versteinert stehen blieben. Uber dieses eine grosse Menge von allerhand vor unsere Personen hochst-nothigen Stucken, wenn wir ja allenfalls dem Verhangnisse auf dieser Insul Stand halten, und nicht wieder zu anderer menschlicher Gesellschafft gelangen solten.

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Schiff-Pech etliche Tage nach einander wohl ausgerauchert, ja so zu sagen, gar ausgebrandt, denn dieser gantze Hugel bestehet aus einem vortrefflichen Sand-Steine.So bald wir demnach alles in recht gute Ordnung gebracht hatten, wurde Concordia hinein gefuhret, welche sich ungemein daruber erfreuete, und so gleich ohne die geringste Furcht darinnen Hauss zu halten versprach.

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alleine zurucke bleiben, sondern sich unsers Glucks und Unglucks durchaus theilhafftig machen, derowegen traten wir unsern Weg in GOttes Nahmen an, fanden denselben ziemlich bequem zu gehen, ob gleich hie und da etliche hohe Stuffen befindlich, welchen doch gar mit leichter Muh nachzuhelffen

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lieb gewesene kleine Concordia, dennoch um ein merckliches lieber ware, zumahlen da sie anfieng allein zu lauffen, und verschiedene Worte auf eine angenehme Art her zu lallen, ja dieses kleine Kind war offters vermogend meinen innerlichen Kummer ziemlicher massen zu unterbrechen, wiewol

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da das menschliche Leben uberhaupt ein Zusammenhang vieler Thorheiten, wiewohl bey einem mehr als bey dem andern zu nennen ist, will ich mich nicht abschrecken lassen, dem Befehle meines hertzlich geliebten SchwiegerVaters Gehorsam zu leisten, und die Aufmerksamkeit edler Freunde zu vergnugen, welche

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Ungewitter vorbey ware, und das schonste Wetter zum Vorscheine kommen wolte. Wir ruderten ihm mit moglichsten Krafften entgegen, weil unsern Commandeurs, die, nebst ihren wenigen Getreuen, wenig oder gar nichts von der kunstlichen Seefahrt verstunden,

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die gantz besondere Lust zum Reisen aufs Schiff getrieben, und durch verschiedene Zufalle zum fertigen See-Manne gemacht, Ostund West-Indien hatte derselbe ziemlich durchkrochen, und dabey offters grossen Reichthum erworben, welchen er aber jederzeit gar plotzlich und zwar offters aufs gefahrlichste, nicht selten auch auf lacherliche Art wiederum

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anders auf deren vorgesetzte Flucht Verdacht legen kan.Etliche Tage hernach, da die guten Hollander ihr Schiff, um selbiges desto bequemer auszubessern, auf die Seite gelegt, die kleinern Boote nebst allen andern Sachen aufs Land gezogen, und

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pobelhaffte Auffuhrung besser bekannt und zum rechten Eckel und Abscheu worden. Ich weiss ihm, sprach ich darauff, weder boses noch guts nachzusagen, ausser dem, dass ihn wenig rechtschaffene Ritter ihres Umgangs gewurdiget. Allein er ist nicht darum zu verdencken, dass er dergleichen Schmach jederzeit wenig geachtet,

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er nun wegen des letztern seinen sonderlichen Mangel vorgeschutzt, gleichwohl aber nur desto hefftiger angestrenget wurde etliche Pfund zu verschaffen, versprach er nebst etlichen seiner Leute auszugehen, und uns binnen 6. Tagen mehr zu bringen als wir verlangt hatten.

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ich aber befand mich in einer festen Cammer eingesperret, durch deren wohl verwahrte Fenster eine grosse See, wohlbestelltes Feld, weit darvon aber ein grosser Wald zu betrachten war. Nachts, wenig Stunden vor unsern wieder Abreisen, sagte einer von den jungen Jesuiten zu

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ich von denen hohen Officiers manchen schonen Ducaten wegen meines Singens, bekam auch von denen Herrn Feld-Predigern, allerhand schone, so wohl deutsche als lateinische Bucher, um vermittelst selbiger, meine wenigen Studia bestandig in frischen Gedachtnisse zu erhalten. Endlich

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Insul, wegen der frommen Einwohner, mit bosen Seuchen oder besondern Schaden straffen wurde, es ware inzwischen aber keine Sunde, sondern hochst nothig, in seiner Profession immer mehr und mehr zu untersuchen. Zu

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Profession, schon 3. Knaben angegeben, denen er selbige mit groster Lust zu lehren, Mine machte.Jedoch nachdem ich, um unserer zu letzt angekommenen Europer Auffuhrung einiger massen zu beschreiben, mich mit Fleiss ein wenig verirret, muss

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, zu regieren vermogend war. Kurtz zu sagen: Ich wurde verliebt gemacht, und zwar von dem ausbundig schonen Fraulein Charlotte, wiewohl nicht vorsetzlicher und freventlicher weise, sondern vermittelst folgender Umstande:

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jenen Kupfferstiche zusammen klauben, ziemlich sauber aufs Pappier bringen, und selbige hernach mit hochtrabenden Gebarden, vor seine eigene sonderbare Invention ausgeben. Er glaubte: dass er sonderlich glucklich sey,

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bemerckt, allein auf dem Marckte finden sich desto mehr curieuse Leute solche zu betrachten. Was es vor ein Gelachter gegeben, zumahlen da einige Schuler darzu kommen, und daruber glossiren, ist leicht zu erachten, allein mir bekam diese Naseweisigkeit sehr ubel, denn

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Vulnera nicht hinzu kommen und weder ingectigon noch Wund-Balsam abeliciren konnen, so folget daraus dass diese lesionen ber se & absolud ledal zu nennen zu achten und zu halten seyn, und hoffe ich, dass alle Vaculteten es mag hin geschickt

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nach, hochst-geliebte Eleonora gantzlich, und zwar vermittelst einer offentlichen prostitution zu quittiren. Das letztere wird euren, vermuthlich redlichen, Gemuthe vielleicht unmoglich seyn, derowegen uberleget das erste, und bedenckt euer bestes, denn

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ich in folgender Zeit kein Wort zu sprechen Gelegenheit nehmen durffte. Ich habe niemahls erfahren konnen, was ihm eigentlich und hauptsachlich vor ein Verbrechen schuld gegeben worden, aus denenjenigen Articuln aber, woruber man mich vernahm, konte

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Wesen nicht leicht judiciret hatte, allein er war gewisslich ein gantz besonders artiger Kopff, der seines gleichen wenig hatte, so dass man ihn zuweilen vor einen melancholischen Grillen-Fanger, zuweilen hergegen, vor einen ausserordentlich auffgeweckten Menschen halten muste, jedoch war in

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Grossmutter selbiges dermassen zu Gemuthe: dass sie daruber ihren Geist aufgab, ja es fehlete wenig, meinem lieben Gross-Vater ware ein gleiches wiederfahren, jedoch der Himmel liess ihn vielleicht zu meinem Troste noch eine Zeitlang leben. Wir hoffeten nach der Zeit immer auf Briefe von meinem Vater, allein gantz vergebens, endlich aber da

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um ein kleines verruckt worden, derowegen hatte ich wohl noch weit unmoglichere Dinge angelobet, um nur desto hurtiger meine Neugierigkeit zu befriedigen. Endlich wurde ich in ein kleines Laboratorium gefuhret, allwo ein bereits angemachtes Kohl-Feuer, uberall aber lauter chymisches Geschirr zu sehen war. In der Wand stunden etwa 7. oder 8. kleine Schmeltz-Tiegel, derowegen sagte Elisus:

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Liebe muss allezeit von sich selbst anfangen. Seine verzweiffelt gespielten Streiche sind ausserordentlich bosshafft und guten theils lacherlich, ich aber bemuhe mich gar selten daran zu gedencken. Hierauff erzehlete ich unserm Gaste so kurtz als moglich, welchergestallt

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zum Spiele blikken, jedoch bey dem ersten, andern und dritten Umgange, die jungen Herrn so wohl als ihren Hoffmeister mehr als zwey oder drittehalb hundert Frantz Gulden gewinnen. Ich bekam davor, dass

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Gerichten vollig ausgemacht worden, weiln mehr als 7. Zeugen vorhanden gewesen, die mit Wahrheit bekrafftigen konnen: dass ich weder muthwillige Handel an ihm gesucht, noch ihm freventlicher hergegen recht abgenohtigter weise und recht wieder meinen Willen, zum Tode befordert hatte.

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zu machen pflegen, war ich auch nicht der letzte meine curieusen Inventionen, deutlicher aber zu sagen Schraubereyen, auf den Laden heraus zu setzen, ich will aber nur diejenigen beschreiben, welche mir den meisten Verdruss verursachten. Es prsentirte sich demnach die Gerechtigkeit

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weil er ausser mir lauter Tochter gezeuget hatte, wovon jedoch nur 4. am Leben blieben. Seines herannahenden hohen Alters ohngeacht, vermeynte mein Vater dennoch, so lange zu leben, meine Gelahrsamkeit sich zum Stubtifuten setzen zu lassen, derowegen muste ich gleich von der

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, welche gemeiniglich den reisenden Handwerckss-Purschen vorzustossen pflegen, nicht verdrusslich fallen, weilen solche wenig besonderes in sich halten, jedoch kan nicht unangemerckt lassen, dass ich etliche Jahr hernach meine Mutter

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mich in dergleichen Laqvayen-Dienste begeben, ja ich schatzte es nun schon vor kein Gluck und Vergnugen mehr, meinen Herrn so unverhofft angetroffen zu haben, sondern hatte lieber gesehen, wenn ich bey einem guten Meister in der Werckstadt arbeiten durffen und konnen. Jedoch mein Verdruss verwandelte sich nach und nach in eine grosse Hertzens-Bangigkeit, als ich aus gewissen Umstanden immer mehr und mehr abnehmen konte,

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wenn ich dasjenige, was mir annoch davon in Gedancken schwebt, voritzo mit erwehnen wolte, allein, solches mag biss auf eine andere Zeit versparet bleiben, weil es allzu viele Ausschweiffung in meiner eigenen Geschichte machen mochte, derowegen will nur sagen: dass mein Herr, wegen seiner ausgefuhrten recht seltsamen unzahligen Handel, den besten Preiss darvon

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zukunfftiger Nacht ja allenfalls mit auf Parthie ausgehen muste, solte ich nur ein weiss Schnupff-Tuch um den rechten Arm binden, damit mir so dann die plotzlich heraus brechende Schaar-Wache nicht etwa Leydes zufugen mochte. Ich nahm alles wohl in acht, und verfugte mich aufs eiligste zu

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nebst den wenigen zahm-gemachten Hirschen, dergleichen Emfuhre verrichten mussen, eine grosse Erleichterung zu spuren.Die wilden Affen waren hingegen durch bissheriges tagliches Verfolgen sehr vermindert, und die ubrigen wenigen dergestalt in die Enge getrieben worden, dass

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dass er bereits feit etlichen Wochen sehr wenig schlaffen und ruhen konnen. Derowegen wurde er bald nach aufgehobener Taffel, und nachdem wir uns ingesamt eine kleine Bewegung gemacht, in meine Cammer auf ein besonders gutes Lager gefuhret,

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dass wir mehr Vieh, als er bereits bestellet, mit nehmen wolten, hierzu gehoreten aber auch mehr Leute, je mehr Leute aber, je mehr Verrather und man brauchte ja ohnedem auf

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nebst meinen eigenen Geldern noch lange nicht hinlanglich war, alle meine Schulden zu bezahlen, so hatte doch die sicherste Hofnung, meine meisten Creditores mit halben Gelde und gantzen guten Worten ad interim zu befriedigen und mich aufs neue in Credit zu setzen.Peterson liess mich auf seinem eigenen Schiffe nach D. bringen und gab

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regnen, allein der Wind sturmete desto scharffer, so, dass man nirgends ruhig stehen oder liegen konte. Unser Frauenzimmer wurde sehr unpasslich, meine Schwester aber recht todtlich kranck, und ob wir gleich derselben die kostbarsten Artzeneyen, nach Anweisung unsers sehr verstandigen Schiffs-Barbiers,

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also auf schon gemeldter unbevolckerten Insul, welches eben nicht die fruchtbarste zu seyn schien, doch fand sich viel taugliches Wildpret darauf, nebst Vogeln von verschiedenen Sorten, die sich wohl essen liessen. So bald aber die See wieder stille, und der Himmel klar zu werden begunte, brachen wir unsere

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nach Vermogen eingerichtet ware, weilen aber wegen der jungen mitkommenden Kinder, die nicht so hurtig gehen konten, auch anderer Ursachen wegen, schon vorhero beschlossen worden, den ersten Jubel-Tag nur einmahl Kirche zu halten, als

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er gestern gleich auf das erste mahl, als er mich gesehen, die Helena gantz vergessen, und nach fernerweit eingezogener Kundschafft wegen meiner Auffuhrung, vollkommen in mich verliebt worden.Er war, wie schon gemeldet, ein schoner, artiger und wohl conduisirter Mensch von aussen anzusehen, darum fuhlete ich

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Unchristen Seite legen, sondern will mich viel lieber enthaupten lassen, so wie er es bereits vielen andern vor mir gemacht hat.Ich hore, sehe und spure wohl, sagte die Franzosin, dass ihr so eigensinnig als schone seyd,

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Welt nicht gesehen hatten und solte sich derselbe ungemein wohl zum Mast-Baume schicken, allein, es ware Jammer-Schade darum, weil dieser Baum eine rechte Raritat und Zierde dieser Insul zu nennen, ausser dem 12. andere, jedoch bey weiten nicht so hohe Baume um denselben herum stunden,

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ChristiansRaum zu bauen angefangenen neuen Mehl-Muhle fertig worden, da man denn auch so gleich die Probe darauf gemacht, und dieses neue Werck vollkommen gut befunden; wesswegen

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, welcher verschiedene zweydeutige Reden, die hernach einer hohern Person unordentlich vorgebracht worden, fliegen last, biss es endlich so weit kommt, dass beyde einander auf ein paar Degen-Spitzen heraus fordern.

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wie ihr schon uberzeugt seyd, ich euch mehr liebe, als mein eigenes Leben, und glaube, dass, wenn man es recht untersucht, sich finden wird, dass ich mit euch wegen der Sympathie, so sich zwischen unsern Hertzen und Seelen findet, zu

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vom Rocke herunter; allein, auf meinem ersten Hieb, blieb ihm die rechte Hand nur an einer eintzigen Flechse hangen, wesswegen er sich dieselbe wenig Tage hernach muste ablosen lassen. Meine Jungfer Braut hatte sich unsichtbar gemacht, also ging ich auch

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dass er endlich seiner Frauen altes Thaler-Loch gefunden, die meisten heraus genommen, und weil er es nicht langer bey ihr ausstehen konnen, hierher gereiset ware, um nach Ost-Indien zu gehen. So bald er horete, dass eben dieses mein Vorsatz ware, war

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Sache zu lange, bey der andern zu kurtz aufgehalten, und manches zu melden, gar vergessen; was aber das letzte anbelanget, so werden diejenigen, so ich nicht beruhret, wohl von schlechter Wichtigkeit und nicht besonders merckwurdig seyn, und wegen der erstern habe es vor dissmahl nach meinem eigenen Belieben gehalten, hatte zwar eins und das andere verbessern konnen, indem keine Sache so gut, dass

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- und eigenthumlich geschenckt seyn solte. Man kan leicht erachten, dass ich, bey so gestalten Sachen, diesem jungen Manne kein unangenehmer Gast gewesen seyn musse, und gewiss, er hat sich meiner Affairen wegen viel Muhe mit Reisen und dergleichen gegeben, auch mir die Bekandtschafft vieler Grund-Gelehrten Leute zuwege gebracht, dem ohngeacht konte ich weder hier,

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noch so gut brauchen konte, allein ich sagte ihnen, wie ich gar keine Schmertzen oder besondere Incommoditee dabey verspurete, sondern dieselbe en bagatell estimirte, indem ich deren weit gefahrlichere aufzuzeigen hatte.Wahrhaftig, (sagte des Gouverneurs

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Canari-Sect langen lassen, damit ich euch desto besser vernehmen kan, denn ich kan nicht laugnen, dass mich ungemein durstet. So bald die Bouteillle angekommen war und wir ein paar Becher daraus getruncken,

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ich auch gleich meinen Kopff auf dem Chavotte mussen fliegen lassen, so mache ich mir dennoch eben so wenig daraus, als ob ich zehen Kopffe hatte. Hierauf sagte die Wirthin

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vornehme Engelanderin ware, die Sache recht wohl untersuchen, indem Allerhochst-Dieselben vor diessmahl gewisser Ursachen und Umstande wegen lieber Gnade als recht ergehen zu lassen, gesonnen waren etc.Dieses war nun schon ein ziemlich starcker Trost

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diesen Tagen vorgegangen ware;Allein die Gestalten verwandelten sich unverhofft gar anders, indem wir nach etlichen Tagen 3. wohl ausgerustete Kriegs-Schiffe gegen unserer Insul GrossFelsenburg liegen und laviren sahen. Sie dreheten und wendeten sich darauf bald hier, bald dort hin, als ob sie vielleicht etwa gesonnen waren,

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uns nun gleich die Leute von der Fregatte so gar viel eben nicht angehen, so mochte sie doch wohl sehen und sprechen.Es beruhet nur auf ihrem Befehle, versetzte Herr Wolffgang, so konnen wir gleich morgenden Tages dahin abseegeln,

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den Zeiten unserer Felsenburgischen ersten Eltern noch thorichtere Streiche gemacht hatten, welche jedoch mit denenjenigen nicht in Vergleichung zu ziehen sind, welche die vernunfftigen Menschen zuweilen wohl zu spielen pflegen. Unterdessen war dieses eins kleine Lust vor

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blutigen Kopffen anzusehen waren, gesagt haben mag, mochte ich wohl wissen, jedoch mit wem hat er sich wohl sonderlich zancken mogen, da seine beyden commandirenden hitzigen Herrn subalternen Officiers todlich verwundet waren,

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gegen uns spielen liesse, auf unsere Insul herunter gekollert kam, welche jedoch nicht den allergeringsten Schaden verursachte, ausgenommen, dass dieselbe ein kleines Fleckgen Grase-Land umwuhlete, woruber wir und unsere Kinder eine gantz besondere Freude hatten. Wie unsers Orts sassen gantz stille, so wohl als wie

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gantz und gar nichts einzuwenden, allein, was solte denn aber das darauf erfolgende hefftige Bombardiren und Canoniren wohl etwa zu bedeuten haben? vielleicht uns Felsenburgern etwa ein besonderes Schrecken einzujagen, oder

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die Fluth eben im allerwildesten Falle und Sturtze da heraus gerauschet kam, als schien es ihm freylich wohl unmoglich zu seyn, sich darauf zu besinnen, dass eben dieses die Haupt-Pforte ware, derowegen gaben wir unsern auf den Hohen stehenden Schildwachtern das gewohnliche Zeichen,

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, bey eben dieser Leute Anwesenheit so reichlich solte ersetzt werden.Jedoch, kurtz zu sagen: so sahen wir unserer Stipendiaten Boot, welches man wohl eine der besten Chalouppen nennen mochte, zu bestimmter Zeit angerudert kommen, wesswegen

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von sich geben, auch demjenigen, der es recht verstehet und zu gebrauchen weiss, verschiedene Veranderungen seinem Geschmacke nach beybringen konnen.Wir sahen also wohl, dass es diesen guten Leuten, um sich recht zu laben,

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ich unter wahrenden Lustwandeln etliche Vogel von den Baumen herunter geschossen, und woruber die Printzessin ein besonderes Vergnugen bezeugt hatte; machte mich also fertig, daferne der Lowe naher kame, Feuer auf denselben zu geben; So bald aber Mirzamanda

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wenn sie ja dann und wann etwas vergessen oder ubergehen solte, schon einzuhelffen, und sie auf dem rechten Wege der Geschichte fort zu bringen wissen.Als demnach die Frau Anna dieserwegen angesprochen worden, liess sie sich gleich bereit und willig darzu finden, sagte aber zum voraus: wenn

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uns aber wenig gedienet war, denn wir hatten weit lieber gesehen, dass man uns unsere Freyheit gegeben, da uns denn nicht verdriesslich fallen sollen, den Ruckweg zu unsern Eltern mit dem Bettel-Stabe zu suchen.Endlich wurden wir, nachdem die Stunde unserer Erlosung herangenahet,

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Candahar, gewisser Ursachen wegen, ware auf die Seite gebracht, und auf ein bestes Schloss in Verwahrung gesetzt worden.Jacob erzehlete mir binnen wenig Stunden noch viele seltsame Begebenheiten dieser Furstin wegen, die

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vor mich hochst gefahrlich ware, langer allhier zu bleiben, vorjetzo aber konne er uns als ein Wein-Handler wohl forthelffen. Man sagt sonsten im gemeinen Sprichworte: Wer gerne tantzt, dem ist leichte gepfiffen,

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Sande, wegen grosser Hitze, weder stehend noch liegend, die geringste Rast noch Ruhe geniessen, bis wir endlich, nachdem wir wohl gezehlet, dass es seit unserer Abreise schon 12. mahl Nacht worden, und die Sonne darauf wieder hervor gekommen war,

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, so wohl vierfussige als geflugelte, dergestalt wohl gedeyhen lasset, dass wir uns daruber verwundern mussen, wie sich denn binnen etlichen Jahren daher alles gar gewaltig vermehret hat: Denn ihr werdet wohl schwerlich einen Haus-Wirth finden, der

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als dem mannlichen Principio des allgemeinen chaotischen Saamens ausfliesende erste mannliche Saamens-Krafft der alles hervor bringenden und fruchtbar machenden Natur. Diese alles hervor bringende Natur ist nun, recht deutlich zu sagen, der allgemeine Archus und

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Monde ausfliessenden weiblichen Saamen darzu kommen, das die Hitze des mannlichen Saamens temperirte. Denn der mannliche Saame, der wegen Ermangelung eines frischen erquikkenden Wassers immer in einem hitzigen, feurigen Triebe ist, suchet seine grosse brennende Hitze in dem weiblichen wasserichten Saamen

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dato der italianischen Sprache machtig war, je mehr Gunstbezeugungen genoss er von der angenehmen Marinalba, welche, von der reizenden Gestalt dieses Kavaliers gleichsam bezaubert und ganz eingenommen zu sein, durch Gebarden dasjenige zu verstehen zu geben wusste,

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wurden, fugte es sich, wie schon oben gemeldet, dass sie ihren geliebten Kavalier unverhofft zu sehen bekam und demselben einen Ort anweisen konnte, allwo sie sich beide vollkommen miteinander zu ergotzen die bequemste Gelegenheit hatten.Der uber eine neue Amour hochst erfreute Elbenstein

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noch so wohl gewachsen ware. Zwar weiss ich mich wohl zu bescheiden, dass auch wohl der resoluteste Kavalier vor einem Gespenste mehr Furcht zu bezeugen pflegt als vor etliche 1000 anruckenden Feinden, allein ich bin, wie gesagt, mit Eurer Auffuhrung vollkommen zufrieden." Bei Endigung dieser Worte setzte sie sich

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sich zwar geschickter zu sein bedunkte als Elbenstein, jedoch gestehen musste, dass die schonen Pistolen eben nicht gar zu gut schossen. "Nun!" sagte Elbenstein, "wollen wir einmal sehen, was meine tun, welche nicht des vierten Teils soviel

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von noch weit bessern Weine herauflangete. Elbensteins subtile Zunge schmeckte bald, dass dieses aus einem weit bessern Fasse ware, sagte es derowegen ganz deutlich heraus, allein der alte

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Fusse, ja der ganze Korper dergestalt vierschrotig beschaffen, dass ein ekeler Buhler sich wenige Muhe darum zu geben Ursach hatte. Jedoch wegen ihrer Treue mochte sie bei der unbekannten Dame in besondern Gnaden stehen, und dieserwegen allein machte ihr Elbenstein

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seiner Conduite vollkommen wohl zufrieden gewesen und alles dahin eingerichtet hatte, dass er noch drei Nachtvisiten bei ihr abstatten sollte, binnen der Zeit sie schon Abrede mit ihm nehmen wurde, wo sie einander weiter sprechen konnten. Unterdessen konne er vergewissert

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ihm sogleich entgegen und berichtete, dass die Dame bereits vor einer guten halben Stunde angekommen ware und seiner in eben dem Zimmer, wo sie gestern beisammen gewesen waren, mit verliebter Ungedult erwartete. Bei so gestalten Sachen hielt Elbenstein nicht vor ratsam, eine

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, wie dergleichen Hauser heutiges Tages wert sind und wie es von unparteiischen geschwornen Personen taxiert wird. Allein der reiche Kaufmann, welches einer der grossten Geizhalse in ganz Welschland ist, will ihm durchaus nicht mehr geben, als

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, er mochte dieserwegen mit dem beruhmten paduanischen Medico Comte della Torre sprechen, als welcher rechte Wunderkuren getan, mithin vielleicht auch ihm zu seiner Vollkommenheit verhelfen konnte, denn dieser Medicus ware bei seiner grossen Kunst dennoch nicht interessiert, sondern

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"denn ich kenne Sie unter Tausenden, ob Sie schon nicht wissen, woher. Vertrauen Sie sich mir nur vollkommen, denn ich kann Ihnen versichern, dass die Dame bereits hier ware, allein sie ist durch eine gewisse Begebenheit zuruckgehalten worden, unterdessen wird sie ohnfehlbar binnen zehn oder zwolf Tagen kommen, Sie

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, werfen neun davon unter 24 silberne und losen hernach von neuen. Die nun die neun guldenen Kugeln bekommen, erwahlen wieder 40 andere, die doch insgesamt von unterschiedenen Familien sein mussen, und die zuvor gedachten neun konnen sich selbst

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die Transmutation bereits erfolgt sei. Sie gossen demnach erstlich etliche kleine Klumpchen auf einen reinen Stein, hernach die wohlumgeruhrte Massa in eine starke eiserne Pfanne und blieben so lange offen, bis alles kalt war, endlich zwei Stunden nach

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diskurieren und tat verschiedene Fragen an die Kerls, allein sie waren aufs neue stumm worden und antworte[te] ihm kein einziger ein Wort. Er trank derowegen beide Bouteillen Wein fast rein aus, und da der eine sagte: "Wenn Ew. Herrlichkeiten mehr Wein belieben, durfen

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weswegen er desto fuglicher die verwunderungswurdige Gesichtsbildung der Dame betrachten konnte, worbei er in seinen eigenen Herzen bekennen musste, dass er noch niemals dergleichen Wunderbild in natura, wohl aber als Kunststucke der Maler gesehen. Er konnte seine Augen fast nicht davon hinwegbringen, denn es wurde nichts gesprochen, weil beide die Mauler voll hatten, endlich aber kam

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nachhero manche schone Nacht miteinander zugebracht und ofters die schonste Gelegenheit gehabt, uns vollkommen zu vergnugen, allein es ist bei den blossen Kussen geblieben und weiter nichts vorgegangen, denn wir liebten einander recht von Herzen,

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keine Mittagsruh gehalten, einmal eine ruhige Nacht gonnen, damit du die folgende desto besser wachen kannst, denn es ist ja unmoglich, dass sie so plotzlich kann auf dich erzurnt worden sein,

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meiner Ehre versichern, dass, wie schon gesagt, nicht allein meine eigene Frau, sondern auch viele andere Offiziersfrauen, welche dieselbe bei gewissen Angelegenheiten gesehen und gesprochen, ihre ganz besondere Schonheit und Artigkeit mir nicht sattsam beschreiben konnen.' Hierbei ware aber nichts zu beklagen, als

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, allen moglichen Fleiss zu baldiger Kur anzuwenden, seiten meiner soll es auch an richtiger Bezahlung nicht ermangeln, wie ich Ihm denn hiermit gleich zum voraus zwolf spec. Dukaten gebe.' Oegneck hatte vor Freuden gleich aus der Haut fahren mogen, da

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und Tugenden dennoch ziemlich eigensinnig, indem er ein ruhig Leben fuhren, durch seine Kunste sich immer hoher schwingen, mithin auch immer mehr und mehr Reichtumer erwerben kann, doch getraue ich mich ihn dahin zu persuadieren,

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Vergnugen nur blosse Eitelkeit und einem leeren Traume vollkommen ahnlich sei. Ich kann Ew. Gnaden versichern, dass mir dieses Buch bereits viele Dienste getan und noch tut, denn ob ich es gleich schon wohl 50mal durchgelesen, so fange doch allezeit wieder von

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habt es ja mit dergleichen Leuten mehrenteils schlimmer als besser gemacht; aber ich furchte immer, Ihr werdet einmal ubel anlaufen." Oegneck schlug hieruber ein hohnisches Gelachter auf und sagte: "

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als diese beiden Verliebten ein ander Spiel zu spielen angefangen hatten, worbei mein Herr meinen manu propria gemachten kleinen Schlussel probieret und denselben zu seinem grossten Vergnugen akkurat befindet, nachhero aber seinen eigenen Kapital-Schlussel gebraucht.So ging es nun

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der Wahrheit befand, sagte endlich der Furst: "Bei so gestalten Sachen kann ich Ihn freilich wohl nicht verdenken, dass Er seine eigenen Angelegenheiten andern vorziehet, inzwischen sehe ich Ihn nicht gern von mir ziehen, indem ich mir vorgenommen, hier

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Entrevue auf seiten der guten Fraulein mit nicht geringen Chagrin bald endigte. Sie konnte nicht begreifen, woher doch diese jahlinge Gemutsveranderung bei Elbensteinen musse entstanden sein, endlich aber fiel sie auf die rechte und wahre Ursache, wie nehmlich etwa eine andere

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taglich die angenehmsten Ideen von ihrem kunftigen Ehestande und Hauswesen machte. Aber die guten Kinder mussten gar bald erfahren, dass nichts leichter verschwindet als der Menschen susse Einbildungen und vermeintliches Vergnugen, ja es traf wohl recht das italianische Sprichwort ein: Gli diletti humani son un sogno. Die menschliche Ergotzlichkeit ist

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ihm nicht allein viele Liebesfreiheiten, sondern forderte ihn endlich durch etliche hitzige Kusse, so ihre zarten Lippen mit der schonsten und einer recht bezauberenden Geschicklichkeit anzubringen wussten, zu noch etwas Ernsthafftern heraus, und Elbenstein, welcher nicht gewohnt war, zu dergleichen verliebten Bravaden lange stille zu sitzen, machte sich schon fertig, als

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Furstin niemals weder bestandige Gnade noch Dienste versprechen konnte, da dieselbe mit ihren Bedienten gar zu ofters zu changieren gewohnt war und diejenigen, denen sie wenig Stunden vorher alle Gnadenzeichen erkennen lassen, wegen Klatscherei einer geringen Waschmagd oder

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was sie sagen, welche doch nicht wert sind, von so hohen Standespersonen angesehen zu werden. Bisweilen ist man gar zu leichtglaubig und bisweilen gar zu argwohnisch. Man liebt die Neuerung und vergisset leichtlich der guten und getreuen Dienste. Der Geistlichkeit lasst man, ich weiss nicht aus was vor Ursachen, gar zu sehr

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Wie dem guten F. musse zumute gewesen sein, ist wohl ganz leicht zu erachten, ja ich glaube, der Allerherzhafteste sollte wohl bei dergleichen Todesart erzittern und auf die Gedanken geraten, sich

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Heuboden; allein er hatte solches eben nicht notig gehabt, denn ich konnte es ohnedem wohl glauben sowohl als dieses, dass beide keinen Schlaf in ihre Augen kommen lassen, bis endlich der anbrechende

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. Derowegen fangt er an, sich einigermassen uber ihre Kaltsinnigkeit zu beklagen und ihr vorzurucken, dass sie vielleicht seiner uberdrussig sein musse, indem sie gemeiniglich nach vollbrachten Liebesspiele einen besondern Ekel gegen seine Person spuren liesse, worauf Livicarda freimutig bekennet, dass sowohl das Staats- als ihr eigenes Interesse erforderte, die

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welchem ich plotzlich und unverhofft gelanget, auch plotzlich und unverhofft wiederum zu quittieren, schatze mich auch verbunden, vor Dero Interesse mehr als mein Vergnugen aufzuopfern, und bin bereit, das letzte Adieu von Ihnen zu nehmen, doch

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der Lieutenant hiermit seine Erzahlung beschlossen hatte, sagte ein gewisser, zwar noch junger, jedoch sehr artiger und geschickter Capitain: "Ich gebe dem Herrn Lieutenant in seiner letztern Meinung gar gerne Beifall;

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ich noch weit miserabler leben mussen. Ich habe aber nur vor weniger Zeit erstlich auch angefangen, Betrachtungen anzustellen, dass dergleichen Kalamitaten, welche mir seit wenigen Jahren her begegnet, gerechte Zuchtigungen und Strafen des Himmels sein mussen."Elbenstein erseufzete hieruber sehr tief. Weiln sie eben zur Mittagsmahlzeit

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der Nahe herum, sowohl unter hohen als geringen Eheleuten erstaunlich viele Exempel, dass selbige teils auf ein oder etliche Jahr, teils auf ihre ganze Lebenszeit solchergestalt fasziniert oder,

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der Stadt bringen zu lassen, allein sie resolvierte sich bald anders, indem sie glaubte, hierdurch den Verdacht noch grosser zu machen, demnach bat sie mich, nur morgen bei Tage wenig zum Vorscheine zu kommen, wenn aber ihr Herr, nachdem ich mich wegen einer kleinen Unpasslichkeit exkusieren lassen, ja darauf bestunde, dass

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Ende bereiten mochte, weiln mir uber den dritten Tag fruh um neun Uhr der Kopf vor die Fusse gelegt werden sollte. Das Urteil ware zwar anfanglich so gesprochen worden, mich lebendig zu radern, jedoch en regard dessen, dass ich von adelichen Geblute herstammete, ware es noch gemildert worden. Ich

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angehoret, allein er wusste sich daraus wenigen Trost vor seinen eigenen schlechten Zustand zu schopfen, hergegen zohe er sich diesen immer mehr und mehr zu Gemute, wurde auch ganz tiefsinnig daruber. Als

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Gefangenschafft so susse gemacht wurde, dass er schier seiner Freyheit daruber vergasse; ob man gleich sonst zu sagen pflegte, dass es keine schone Gefangnusse gaben. Es mag leicht seyn,

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sie hatte ausser mir in der Welt noch niemand gefunden, der ihr diesen Beruf schwer gemacht hatte.Diese Worte ruhrten mich: ich konte mich langer nicht zuruckhalten, ihr meine Liebe zu erkennen zu geben. Wohlan, schonste Fraulein, sagt ich ihr, so bleiben sie denn

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andern zu bestimmen; da doch ihre Vollkommenheiten sein eigen Herz hatten einnehmen sollen. Eure Augen, schonste Base! haben mich dafur gestrafet, und die meinige werden den Fehler busen; indem sie euch nicht mehr sehen sollen.Philirene wurde ganz ernsthaft auf

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und unser eigen Nichts: sind wir einmahl so weit gekommen, so wird es uns wenig Kummer machen, ob wir wenig oder viel Gaben besitzen: wir sind zufrieden, so lang wir uns einfaltig und aufrichtig an GOtt halten; er mag uns zu etwas grosses, oder

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in die neue Anlage zu setzen. Er hatte gern auch das gemeine Volk noch mit mehrern Abgaben beschweret, und neue Zolle und Accisen angelegt; allein Handel und Wandel lag bereits ohnedem schon in diesen

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des Herrn bald niederreissen, bald bauen, bald pflanzen, bald ausrotten; ja ofters so leicht etwas verderben, als gut machen.Die folgende Tage brachte

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zu einem richtigen Schluss gehorte.Ich sagte ihm, seine ganze Religion war auf das Ansehen eines einzigen Menschen gegrundet, welche man entweder mit oder ohne Vernunft annehmen muste: war es das erste, so durfte man sie untersuchen: dorfte man sie untersuchen, so wurde man bald finden, dass

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nicht Gelegenheit gehabt diesen tugendhaften Cheruscer bey dem Konig bekannt zu machen: Er hatte wohl zu verschiedenen mahlen von ihm gesprochen und dessen Verdienste geruhmet; allein, der Konig hatte darauf weiter keine Gedancken geschlagen: Er suchte desswegen demselben die Geschicklichkeit dieses Edelmanns naher ins Auge zu stellen. Er beurlaubte sich auf acht Tage, um nach Prato zu gehen, und

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Menschen damit nutzlich war. Man kan sagen, dass darinn sein groster Eigennutz bestund. Er verehrte dem neuen Cammer-Juncker ein schones Gespann Pferde, nebst einem sehr netten Geschirr, und miethete zugleich fur ihn eine schone Wohnung, welche er mit gantz neuen Haussrath auf das zierlichste versehen liess.

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Geschichten sind voll davon.Wer mehr Bedienten halt, als er vonnothen hat, der macht sich dadurch viel Geschafte und Verdruss zugleich. Es ist nichts ubler zu regieren und in Ordnung zu halten, als Leute, die voll auf leben, und

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anbot, machte mir's noch angenehmer. Es gibt eine gewisse Art, einem zu sagen, dass man ihn liebt, welche ganz bezaubernd ist. Der Verstand tut nicht viel dabei, sondern das Herz redet meistens allein. Vielleicht

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ab und sagten, dass der Priester schon zugegen ware. Wir gingen darauf herunter in das Tafelzimmer. Die Trauung ward sehr bald vollzogen, und wir setzten uns zur Tafel, namlich wir viere

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Gemahls der angenehmste Ort. Er las mir aus vielen Buchern, die teils historisch, teils witzig, teils moralisch waren, die schonsten Stellen vor und brachte mir seinen guten Geschmack unvermerkt bei. Und ob ich's gleich nicht allemal sagen konnte, warum eine Sache schon oder nicht schon war,

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ihrem Stande konnte er uns nichts sagen, weil sie in dem sechsten Jahre in das Kloster gekommen und darinnen bloss unter dem Namen Mariane bekannt gewesen ware. Sie mochte indessen von dem niedrigsten Herkommen sein: so ware sie doch so liebenswurdig, dass er sich nur einen hohen Stand wunschen wollte,

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zu haben pflegt als die Wahrheit. Er sagte, es ware eine Gewissenssache, die wir nicht entscheiden konnten. Wir wollten den Ausspruch verstandigen Gottesgelehrten uberlassen. Er glaubte, dass die Ehe vielleicht noch stattfinden konnte. Dieses

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Wege von mehr als hundert Meilen begegnen konnen. Eben der kummerliche Proviant, der noch etliche hundert gemeine Mitgefangene gesattiget hat, ist die ganze Zeit uber gut genug fur mich

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rufen und sagte mir, dass er endlich so glucklich gewesen ware, sich um seinen Landsmann verdient zu machen; seine Befreiung ware in dem Senate unterzeichnet worden, und er hatte das Versprechen erhalten, dass Steeley binnen drei oder vier Monaten aus

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blieb mir schon zu lange, und ich hatte es sicher genug wissen konnen, dass ich Steeleyn mehr als bedauerte; allein ich fand es fur gut, mich zu hintergehen. Ich

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Schache zu kommen. Unser Umgang hatte nunmehr ungefahr vier Wochen gedauert, und binnen dieser Zeit hatten wir einander nicht langer als funf Tage nicht gesehen, und dennoch waren wir, so sehr wir einander gefielen,

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hatte entschliessen konnen, mich wieder zu vermahlen. Und vielleicht ware ich, soll ich sagen zartlich oder schwach genug dazu gewesen, wenn er langer gelebt hatte. Er starb bald darauf an seiner

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Ich habe unserm Schwager beinahe einen Gewissenspunkt daraus gemacht, dass er uns alle verleitet hat, unserm Vetter eine Sache vorzuschwatzen, die ihn noch vielen Verdrusslichkeiten aussetzen kann. Er ist gleichwohl unsrer Mutter Bruder, wir sollten es nicht

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meine Liebe gestehen, und Hannchen glucklich machen. Es kann unterdessen nicht schaden, wenn sich einige Schwierigkeiten hervor thun: ja es ist allen Liebhabern angenehm, wenn sie in der Liebe rechte hohe Geburge ubersteigen mussen.Amalia. Sie reden etwas poetisch, Herr Magister; wunschen Sie Sich aber lieber keine Berge;

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, mein schones Hannchen, man spuhrt es gleich, wenn eine angenehme Person fehlt.Ich. Sie thaten also besser, wenn Sie dabei blieben: sonen reichlich ersetzen.Magister. Ich will mich eben nicht fur unleidlichhalten; aber das, was Sie sagen, scheint mir eine

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ich eine neue Materie auf die Bahn bringen, daruber noch arger gestritten wird, als uber die erste, dabei mussen die Deckelglasser nicht vergessen werden. So denke ich in zwo Stunden es so weit zu bringen, dass

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hatten aufknupfen lassen.v.N. Was liegt daran, und wenn ich eine ganze Armee hatte aufknupfen lassen, so waren dadurch nicht weniger Menschen worden. Ich weiss aber der Sache schon abzuhelfen, ich will sagen, meine Compagnie hatte nur aus funf Mann bestanden, alsdenn wird die Erzahlung ganz wahrscheinlich seyn.

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sonder Zweifel glucklich und ohne Blut geendiget seyn. Man hatte es so weit gar nicht sollen kommen lassen, wenn inzwischen nur ein Scherz daraus ist gemacht worden, wie du glaubst, dass

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ich mich befand, eben so beschaffen seyn mochte, ich hatte sie dem Baronet gewiss entfuhrt, und wer weiss, an was fur einem guten Orte ich mich jetzo befand. Dieser Tag endigte sich also mit allgemeinen Vergnugen; ich konnte aber nicht ohne Grauen an den folgenden gedenken, den ich zum Abschiedstage bestimmt hatte.

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und Wachstafelgen behelfen mussen: da hingegen die edle Schreiberei ein weit besseres Ansehen erhalten hatte, seitdem das Pappier ware erfunden worden, und

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nicht so viele Freiheiten bei mir heraus nehmen, als das letzte mal, er muss ein wenig schuchtern thun und sich in einer gewissen Entfernung halten, morgen wird er gleichsam als ein Fremder in unserm Hause eingefuhret, der erst Bekanntschaft sucht, und dem die kleinen Freiheiten noch

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diese Vertrostungen sollen so lange fortgesetzt werden, bis sie sich dabei beruhiget oder das Protokoll mit Ungestum fordert, alsdenn soll sie eine Abschrift erhalten, die ihrer Neigung gemass eingerichtet ist, und hierbei wird sie sich schon zufrieden stellen lassen. Wenn

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Kind, zuvor ein wenig wieder zu uns selbst kommen, jetzo sind unsre Leidenschaften zu sehr rege gemacht, als dass wir einen festen Enschluss fassen konnten. An keinem Briefe habe ich langer geschrieben als an

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Oncle einmal sagte, zum Arrest gebracht habe. Ich finde keinen bessern Ausdruck, mein Missvergnugen uber Ihren unartigen Herrn Vettern zu erkennen zu geben, als wenn ich sage, dass ich ihn eben so sehr verachte, als Sie hochgeschatzt werden vonIhreraufrichtigen zartlichen FreundinA.

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dahero in unserm Rathe beschlossen, uns zu stellen, als wenn wir die Briefe gar nicht empfangen hatten, und wo moglich, diese Gedanken unserm Oncle und dem Magister Lampert selbst beizubringen. Wenn wir diesem hatten merken lassen, dass seine verwegne Unternehmung entdeckt ware; so hatten wir nothwendig sehr bose gegen ihn thun mussen, und wenigstens in Jahrsfrist

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der dabey hauptsachlich mit eingeflochten war, durchaus in Erfullung bringen wollte. Es kostete nicht viel Muhe, den Baron dahin zu bringen, seinem Gaste dieses Vergnugen zu verschaffen. Die Herren brachten also den ubrigen Theil des Tages damit zu, einander in allem vollkommen zu unterrichten, was den folgenden Tag ihre Lust vollkommen machen konnte. Ich

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Herrn Herausgeber entweder ganz und gar unterschlagen, oder durch viele erdichtete Zusatze so verunstaltet worden, dass ihn Sir Carl gar nicht mehr fur den seinigen erkennt, wie er dieses selbst gegen viele glaubwurdige Personen, die allenfalls alle mit Namen angefuhret werden konnten, gestanden

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. Es konnte auch Sir Carln ganz und gar nicht einfallen, an dem guten Herkommen dieser beiden Herren zu zweifeln, da der Herr Major gleich nach den ersten steifen Complimenten, die beide Theile einander machten, sein

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Grandison diese beiden Herren fur gemeine Kerls halten, und ihn doch kurz hierauf den Degen gegen beide ziehen lasst. Man konnte zwar sagen, es ware dieses eine Nothwehre gewesen: Sed quod negatur.

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er nachher beobachtet hat, nicht eher einer Verstellung als einer wirklichen Lebensbesserung ahnlich siehet, wenigstens ists es gewiss, dass der Rittmeister dadurch nur destomehr ist angefrischet worden, neue molimina gegen Hochdieselben zu unternehmen, wovon ich auch zugleich ein ungluckliches

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wird bussen mussen.Ich habe mich anheischig gemacht, den Charakter dieses Mannes zu schildern, aus dem, was ich bereits gesagt habe, ist er sichtbar genug; doch damit er desto deutlicher in die Augen falle, so erlauben Eu.

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frohlokkendes Handeklatschen verwandelte, das einen allgemeinen Beifall anzuzeigen schien. Man konnte sich lange nicht vergleichen, wer die Ehre haben sollte, beides das Gedichte sowohl als das Schreiben offentlich vorzulesen. Dass es geschehen sollte, daruber war man einig, obgleich das Fraulein Einwendungen dagegen machte. Endlich fielen die meisten Stimmen fur

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mit Ihnen einerlei Meinung, dass ich daran Unrecht gethan habe. Ich glaube vielmehr allen Verdacht dadurch von Ihnen entfernt zu haben. Er konnte denken, wir hatten von Ihm gesprochen, da wir heimlich mir einander redeten; er konnte dieses aber nicht mehr denken, da ich es ihm offentlich sagte, dass

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.N. entweder gegen mich oder den Major aufbringen konnen? Wer weiss, ob er nicht dadurch in die Versuchung gerath, seinem eignen Kopfe zu folgen, und wenn er sich nicht mehr in der Irre herum fuhren lasst, die rechte Spuhr wieder zu suchen, wodurch es ihm an, ersten gelingen konnte, sein

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wir dieses kleine Concert auffuhren. Sie spielen und ich singe, dabei bleibt es.CHANSONNETTEIris il faut partir!Mon coeur rempli de larmesEn quittant tous Vos charmes

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Ne soyez pas affligee;Du bruit de nos combatsNe Vous effrayez pas.Nous saurons nous defendre,Avant que de nous rendre,A de braves FrancoisEnnemis de la paix.

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soin d'une vie,Qui n'est pas moins cherie,Et que mon tendre coeurAime avec tant d'ardeur.Complez sur ma constance,Et ayez l'esperanceQu'un si parfait amourEst paye de retour.

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welche doch unstreitig den grossten Theil der Erdbewohner ausmachen. Eine geringe Anzahl der Sterblichen weiss alles, und der grossere Theil befindet sind in der grossten Unwissenheit. Diesem Uebel abzuhelfen, sollte billig die hohe Landesobrigkeit darauf bedacht seyn,

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Macht, bald diese bald jene Gestalt zu geben weiss.Die gelehrte Republick, die durchaus keinen Oberherrn vertragen kann, muss gleichwohl die Gesetze derselben eben so wohl als das schone Geschlecht verehren, und je weniger die Gelehrten Gesetze erkennen wollen, desto nachdrucklicher verlangt sie die

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suchten sich dadurch in besonderes Ansehen zu setzen. Wer den grossten Bart unter ihnen besass und den schlechtesten Mantel trug, bekam die meisten Zuhorer, eben so wie zu unsern Zeiten die Horsale am meisten angefullet sind, wo die grosste Perucke auf dem Catheder stolziret. Die

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Schutzschrift zu rechtfertigen suchte. Wir sind einander um hundert Meilen naher, und meine Briefe kommen sparsamer, da du weiter entfernt warest, schieb ich fleissiger. Ich weiss selbst nicht was ich fur Abhaltungen gehabt habe, dir so lange einen Brief schuldig zu bleiben, wenn

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Freund von neuen Moden gewesen, lasst sich nicht gewiss bestimmen, weil er aber am Hofe gelebt hat, so scheint es, dass er sich auch eben nicht ein altfrankisches Ansehen gegeben. Obgleich einige vorgeben wollen, er ware mit dem Zipperlein behaftet gewesen: so kommt mir dieses doch ganz unglaublich vor, weil ich noch nie einen Menschen gekennet habe, der davon einigen Anstoss

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, in acht Tagen sollte ich darauf selbst nach Karafeld kommen und das Jawort in eigener Person abholen. Der Herr Pastor sicher schon im prophetischen Geiste voraus dass unsre Heirath im Himmel gemacht ist, deswegen weiss er bereits die Wirkung

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was man schon zehnmal gesagt hat, und man erhalt die Antwort, die man auch bereits schon einige mal erhalten hat. Sie stehen, wo ich mich nicht irre, noch in dem ersten Grade der Liebe, und ich halte noch nicht

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die Geschichte gesetzt wird, niemal aus den Augen gesetzt; und also alles so gedichtet sei, dass kein hinlanglicher Grund angegeben werden konne, warum es nicht eben so wie es erzahlt wird, hatte geschehen konnen, oder noch einmal wirklich geschehen werde. Diese Wahrheit allein kann Werke von dieser Art nutzlich machen,

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kann er ganz zuverlassig versichern, dass Agathon und die meisten ubrigen Personen, welche in seine Geschichte eingeflochten sind, wirkliche Personen sind, dergleichen es von je her viele gegeben hat,

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Kindheit an befunden, nicht so denken oder handeln konne, oder wenigstens es nicht ohne Wunderwerke, Einflusse unsichtbarer Geister, oder ubernaturliche Bezauberung hatte tun konnen: So glaubt der Verfasser mit Recht erwarten zu konnen, dass

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sein Wort glaube, wenn er positiv versichert, dass Agathon wirklich so gedacht oder gehandelt habe. Zu gutem Glucke finden sich in den beglaubtesten Geschichtschreibern, und schon allein in den Lebensbeschreibungen des Plutarch Beispiele genug, dass es moglich sei, so edel, so tugendhaft, so enthaltsam, oder,

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Mann habe fallen konnen, zu sich selbst sagen mag: Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud faciam ac lubens.Es ist eben so moglich, dass ein ubelgesinnter oder ruchloser

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(in so fern es den echten Grundsatzen der Religion und der Rechtschaffenheit widerspricht) fur ein Gewebe von Trugschlussen ansehen, welche die menschliche Gesellschaft zu grunde richten wurden, wenn es moralisch moglich ware, dass der grossere Teil der Menschen damit angesteckt werden konnte. Wir glauben also vor

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der Plan unsers Werkes ja erfodert hatte, seine Lehrsatze ausfuhrlich hatten widerlegen sollen: So sehen wir fur billig an, ihnen die Ursachen zu sagen, warum wir das erste getan, und

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mit selbigen macht, in ein desto hoheres Licht zu setzen. Und da es mehr als zu gewiss ist, dass der grosseste Teil derjenigen, welche die grosse Welt ausmachen, wie Hippias denkt, oder

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seines Vaterlands beraubt, allen Zufallen des widrigen Glucks, und selbst der Ungewissheit ausgesetzt, wie er das nackte Leben, das ihm allein ubrig gelassen war, erhalten mochte. Allein ungeachtet so vieler Widerwartigkeiten, die sich vereinigten seinen Mut niederzuschlagen, versichert uns doch die Geschichte, dass derjenige, der ihn in diesem Augenblick gesehen hatte, weder in seiner

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der Art derjenigen gewesen sei, welche dem Vergnugen immer offen stehen, und bei denen eine einzige angenehme Empfindung hinlanglich ist, sie alles vergangnen und kunftigen Kummers vergessen zu machen.

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Beziehung auf einander stehen, so ist nicht minder gewiss, dass diese Verbindung unter einzelnen Dingen oft ganz unmerklich ist; und daher scheint es zu kommen, dass die Geschichte zuweilen viel seltsamere Begebenheiten erzahlt, als ein Romanen-Schreiber zu dichten wagen durfte. Dasjenige, was unserm Helden in dieser Nacht begegnete, gibt mir neue Bekraftigung dieser

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Ohne Zweifel konnte eine ausschweifende Einbildungskraft, oder der Griffel eines la Fage von einer solchen Scene ein ziemlich verfuhrerisches Gemalde machen; allein die Eindrucke die der wurkliche Anblick auf unsern jungen Helden machte, waren nichts weniger als von der reizenden Art.

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was er jemals gesehen, gehort, gedichtet oder getraumt hatte, von Entsetzen und Erstaunung gefesselt, wie eine Bildsaule stehen blieb, indes, dass die entzuckten Bacchantinnen gaukelnde Tanze um ihn her machten, und durch tausend unsinnige Gebarden ihre Freude uber die vermeinte Gegenwart ihres

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sie doch unfahig sei, dir eine Liebe einzuflossen wie die unsrige, und dass du dich bald wieder nach derjenigen sehnen wurdest, die dich allein glucklich machen, weil sie allein dich lieben

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eine Barke gesetzt wurde, um ungesaumt nach Smirna gefuhrt und daselbst verkauft zu werden; indes, dass die Galeere mit dem grossten Teil der Seerauber sich fertig machte, der reichen Beute, die sie schon in Gedanken verschlangen, entgegen zu gehen. In diesem Augenblick verlor Agathon die

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ist es eben diese allgemeine Seele der Welt, deren Dasein die geheimnisvolle Majestat der Natur ankundiget; ist es dieser allesbelebende Geist, der die menschlichen Sachen anordnet; warum herrschet in der moralischen Welt nicht eben diese unveranderliche Ordnung und Zusammenstimmung, wodurch die Elemente

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nun zu verstehen glaubte, was die Wonne der Gotter sei; glucklicher, wenn in Augenblicken, deren Erinnerung den bittersten Schmerz zu versussen genug ist, mein Geist in der grossen Betrachtung des Ewigen und Unbegrenzten sich verlor Ja du bist, alles beseelende, alles regierende Gute ich sah, ich fuhlte dich!

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aus der vollkommnen Unempfindlichkeit erwecken konnte, welche in gewissen Umstanden eine Folge der ubermassigen ist. In dasjenige vertieft, was in seiner Seele vorging, schien er, weder zu sehen, noch zu horen; weil

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Sie war allenthalben an ihrem rechten Platz; beliebt bei Hofe, beliebt an der Toilette, beliebt beim Spiel-Tisch, beliebt beim Adel, beliebt bei den Finanz-Pachtern, beliebt bei den Theater-Gottinnen, beliebt so gar bei der

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mitzuteilen, deren Verlust nicht wenig zu bedauern ist, und schwerlich von einem heutigen Schriftsteller unsrer Nation zu ersetzen sein mochte.Nach allem, was wir bereits von diesem weisen Manne gesagt haben, war es uberflussig, eine

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um so weniger erlauben konnte, sich darauf zu verweilen, je vollkommner die Natur darin nachgeahmt war, und je mehr sich der

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? Du kannst im Wurfelspiel von ungefahr alle drei werfen. So gut als dieses moglich ist, konntest du auch unter etlichen Billionen von Wurfen einen werfen, wodurch eine gewisse Anzahl Sandkorner in eine cirkelrunde Figur fallen wurde. Die Anwendung ist leicht zu machen. AGATHON. Ich verstehe dich. Aber es bleibt allemal unendlich unwahrscheinlich, dass die ungefahre Bewegung der

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Es ist genug, dass unter unendlich vielen ungefahren Bewegungen, die nichts regelmassiges und dauerhaftes hervorbringen, eine moglich ist, die eine Welt hervorbringen kann. Dieses setzt der Wahrscheinlichkeit deiner Meinung ein Vielleicht entgegen, wodurch sie auf

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dem du sagtest, durch die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen, diesen allgemeinen Weltkorper nach den Gesetzen einer unveranderlichen Notwendigkeit zu beleben? Und gesetzt, die Welt sei, wie du meinest, das Werk eines verstandigen und freien Entschlusses; vielleicht hat sie viele Urheber?

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deiner Einbildungskraft entdeckt sich eine naturliche Richtigkeit desVerstandes, der nichts fehlt als auf andre Gegenstande angewendet zu werden. Ein wenig Gelehrigkeit und eine unparteiische Uberlegung dessen, wasich dir sagen werde, ist alles was du notig hast, umvon dieser seltsamen Art von Wahnwitz geheilt zuwerden,

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einen Schwarmer ziemlich gutrasonniertWir zweifeln nicht, dass verschiedene Leser dieser Geschichte in der Vermutung stehen werden, Agathon musse uber diese nachdrucksvolle Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch wenigstens in einige Unruhe gesetzt worden sein.

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und Nymphen reden nur die Verliebten. Wir mussen uns schon entschliessen, ihm diese Unart zu gut zu halten, und wir sollten es desto eher tun konnen, da ein so feiner Weltmann als Horaz unstreitig war,

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uns ein geschickter Gaukler macht, der uns einen Augenblick sehen lasst, was wir nicht sehen, ohne es bei einem klugen Menschen so weit zu bringen, dass man in eben demselben Augenblick nur daran zweifeln sollte,

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Alter ein wenig beunruhigend. Das schlimmste war, dass die kleine Hexe, um sich wegen der Gleichgultigkeit zu rachen, womit Agathon ihre zuvorkommende Gutigkeit bisher vernachlassiget hatte, keinen von den Kunstgriffen verabsaumte, wodurch sie den Wert des von ihm verscherzten Gluckes empfindlicher zu machen glaubte. Sie hatte die Bosheit gehabt, sich

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, so sittsamen und doch so verfuhrerischen Morgen konnte zu denken, die Gratien selbst konnten, wenn sie gekleidet erscheinen wollten, keinen Anzug erfinden, der auf eine wohlanstandigere Art das Mittel, zwischen der eigentlichen Kleidung und ihrer gewohnlichen Art sich sehen zu lassen, hielte. Die Wahrheit zu sagen, das rosenfarbe Gewand, welches sie umfloss, war eher demjenigen ahnlich, was Petron einen gewebten Wind oder einen leinenen Nebel nennt, als

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nach einem kleinen Vorbereitungs-Gesprach, den merkwurdigen Discurs an, durch dessen vollstandige Mitteilung wir desto mehr Dank zu verdienen hoffen, da wir von Kennern versichert worden, dass der geheime Verstand desselben den buchstablichen an Wichtigkeit noch weit ubertreffe, und der wahre und unfehlbare Process,

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, jeder zartliche Affect bringt diese Wurkung in einigem Grad hervor, und ist desto angenehmer, je mehr er sich derjenigen Wollust nahert, die unsre Alten wurdig gefunden haben, in der Gestalt der personificierten Schonheit, aus deren Genuss sie entspringt, unter die Gotter gesetzt zu werden.

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angenehmes Hirtenleben getraumt, welches zwischen der rohen Natur und der Lebensart des beguterten Teils eines gesitteten und sinnreichen Volkes das Mittel halten soll. Sie haben die verschonerte Natur von allem demjenigen entkleidet, wodurch sie verschonert worden ist, und dieses idealische Wesen die schone Natur genannt. Allein ausserdem, dass diese schone Natur, in dieser nackten Einfalt, welche man ihr gibt, niemals irgendwo vorhanden war; wer siehet nicht dass die Lebensart des goldnen Alters der Dichter, zu derjenigen welche durch

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von ihrem vormaligen Zustand ubrig geblieben ist; und es ist unmoglich, dass sie diese vollkommne Seligkeit, wodurch sie allein befriediget werden kann, wieder erlange, eh sie sich wieder in ihren ursprunglichen Stand, in das reine Element der

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Beschauung der wesentlichen und gottlichen Dinge fahig, worin die Geister ihre einzige Nahrung und diese vollkommne Wonne finden, wovon die sinnlichen Menschen sich keinen Begriff machen konnen. Solchergestalt kann sie nur, nachdem sie durch verschiedne Grade der

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Wollust zu tauschen, die nur desto lebhafter ist, je verworrener und dunkler die bezaubernden Phantomen sind die sie hervorbringen; allein ob diese Traume ausser dem Gehirn ihrer Erfinder, und derjenigen, deren Einbildungskraft so glucklich ist ihnen nachfliegen zu konnen, einige

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Verstorbnen ihre vermeinte Wurklichkeit zu danken? Je besser wir die Korperwelt kennen lernen, desto enger werden die Grenzen des Geisteo nichts davon sagen, ob es wahrscheinlich sei, dass

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einem Parterre zerstreut stehen, einen Kranz flicht; oder hohere Grade dessen was die Sinnen wurklich empfunden haben, von welchen man jedoch immer unfahig bleibt, sich einige klare Vorstellung zu machen; Denn was empfinden wir bei

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zu der geheimnisvollen Gluckseligkeit zu gelangen, welcher wir diejenige aufopfern sollen, die uns die Natur und unsre Sinnen anbieten? Wir sollen uns den sichtbaren Dingen entziehen, um die unsichtbaren zu sehen; wir sollen aufhoren zu empfinden, damit wir desto lebhafter phantasieren konnen. Verstopfet eure Sinnen, sagen sie, so werdet ihr Dinge sehen und horen, wovon diese tierischen Menschen, die gleich dem Vieh mit den Augen sehen, und mit den Ohren horen, sich keinen Begriff machen konnen. Eine vortreffliche Diat,

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Daseins zu verlieren, so lange man lebt, in Hoffnung sich dafur schadlos zu halten, wenn man nicht mehr sein wird! Denn dass wir izt leben, und dass dieses Leben auf horen wird, das wissen wir gewiss; ob ein andres alsdann anfange, ist wenigstens ungewiss, und wenn es auch ware, so ist es doch unmoglich, das

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den Plan unsers Lebens auf das grunden, was wir kennen und wissen; und nachdem wir gefunden haben, was das gluckliche Leben ist, den geradesten und sichersten Weg suchen, auf dem wir dazu gelangen konnen.Viertes CapitelWorin Hippias bessere Schlusse machtIch habe schon bemerkt, dass

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die sich schon zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat, statt finde. In einer solchen Gesellschaft entwickeln sich alle diese mannichfaltigen Geschicklichkeiten, die bei dem wilden Menschen, der so wenig bedarf, so einsam lebt, und so wenig Leidenschaften hat, immer mussige Fahigkeiten bleiben. Die

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Vollkommenheit zu danken haben. Wie viel Menschen mussen ihre Bemuhungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu befriedigen! Diese bauen seine Felder und Weinberge, andre pflanzen seine Lustgarten, noch andre bearbeiten den Marmor, woraus seine Wohnung aufgefuhrt wird; tausende durchschiffen den

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Gefasse, woraus er isst und trinkt; und die weichen Lager, worauf er der wollustigsten Ruhe geniesst. Tausende mussen in schlaflosen Nachten ihren Witz verzehren, um neue Bequemlichkeiten, neue Wolluste, eine leichtere und angenehmere Art die leichtesten und angenehmsten Verrichtungen, die uns die Natur auferlegt, zu tun, fur ihn zu erfinden, und

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ohne sich darum zu bekummern, ob es mit ihrem guten Willen geschieht. Es kostet ihn keine Muhe, unermessliche Reichtumer zu erwerben, und, um mit der unmassigsten Schwelgerei in einem Tag Millionen zu verschwenden, hat er nichts notig, als denjenigen Teil des

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die du gewohnt bist fur Grundsatze zu halten. Es ist wahr, die Kunst zu leben, welche die Sophisten lehren, ist auf ganz andre Begriffe von dem, was in sittlichem Verstande schon und gut ist gebaut, als diejenigen hegen, die von dem idealischen Schonen, und von einer gewissen Tugend,

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Auserlesnen von beiden Geschlechtern wurde vielleicht der Vorzug lange zweifelhaft sein; allein endlich wurde doch unter den Mannern derjenige den Preis erhalten, bei dessen Landesleuten die verschiednen gymnastischen Ubungen am starksten, und Verhaltnisweise in dem hochsten Grade der Vollkommenheit getrieben wurden;

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den Vorzug gabe, bekennen mussen, dass die Perserin schoner sei; und eben dieses wurde der Serer tun, ob er gleich das dreifache Kinn und den Wanst seiner Landsmannin reizender finden wurde.

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Auszierung zu geben, wodurch sie denjenigen, mit welchen sie zu tun haben, am gefalligsten werden. Das moralische Schone ist fur unsre Handlungen eben das, was der Putz fur unsern Leib; und es ist eben so notig, seine

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Gedanken hatte gebracht werden sollen. Leute von seiner Art konnen, in der Tat zehen Jahre hinter einander in der grossen Welt gelebt haben, ohne dass sie dieses fremde und entlehnte Ansehen verlieren, welches beim ersten Blick verkundiget,

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hier nicht einheimisch sind; geschweige, dass sie fahig waren, sich jemals zu dieser edeln Freiheit von den Fesseln der gesunden Vernunft, zu dieser weisen Gleichgultigkeit gegen alles was die schwarmerischen Seelen Empfindung nennen, und zu dieser verzartelten Feinheit des Geschmacks zu erheben, wodurch die Weltleute

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vorteilhafte Art unterscheiden. Solche Leute konnen wohl Beobachtungen machen; allein da ihnen dieser Instinct, dieses sympathetische Gefuhl mangelt, mittelst dessen jene einander so schnell und zuverlassig ausfundig machen; oder deutlicher zu reden, da

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Freunden zu statten, und, den besondern Fall ausgenommen, wenn die hartnackige Blodigkeit eines noch unerfahrnen Neulings einiger Aufmunterung notig hatte, waren die Liebhaber ganzlich davon ausgeschlossen. Unter einer grossen Anzahl von Schonen, bei denen der weise Hippias dieses

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, eine einzige Person ausgenommen, die sie niemals offentlich nennen wollten, die schone Danae alle ubrigen eben so weit ubertreffe, als sie von dieser einzigen Ungenannten ubertroffen werde.

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Gleichgultigkeit, worin ihn damals ordentlicher Weise auch die schonsten Figuren zulassen pflegten, der weise Hippias nicht, seine Tugend ofters dieser Gefahr auszusetzen. Er war der schonen Danae unter dem Titel eines Freundes vorzuglich angenehm, und die geheime Geschichte sagt so gar, dass sie ihn ehmals nicht unwurdig gefunden, ihm

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du Lust hast die metaphysische Liebe zu kosten, so habe ich deinen Mann gefunden. Er ist platonischer als Plato selbst denn ich denke, du konntest uns geheime Nachrichten von diesem beruhmten Weisen geben. "Ich erinnere mich, antwortete Danae lachelnd, dass

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einem andern eben so ubel zu frieden sein, der gegen dasjenige ganz unempfindlich ware, wofur jene allein empfindlich sind. Ein Frauenzimmer findet allezeit ein Vergnugen darin, Begierden einzuflossen, auch

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des Apollo erzogen worden, und, so viel ich vermute, wird er sein Dasein der antiplatonischen Liebe dieses Gottes zu irgend einer artigen Schaferin zu danken haben, die sich zu weit in seinen Lorbeerhain gewagt haben mag. Er ist hernach eine geraume Zeit zu

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in dieser jungen Person wieder hervorgebracht sah, dass sie dadurch zu der Vermutung Anlass gab, deren wir bereits Erwahnung getan haben. Inzwischen genoss Alcibiades allein der Fruchte einer Erziehung, wodurch die naturlichen Gaben seiner jungen Freundin zu einer Vollkommenheit entwickelt wurden,

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einige waren weiss, andre in himmelblau, andre in rosenfarb, andre in andre Farben gekleidet, und jede Farbe schien eine besondere Classe zu bezeichnen, welcher ihre eigne Dienste angewiesen waren.

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Anred' erwidern konnte. Die Gesellschaft, die er versammelt fand, war aus lauter solchen Personen zusammengesetzt, welche die Vorrechte des vertrautesten Umgangs in diesem Hause genossen, und die attische Urbanitat, die von der sproden, regelmassigen und manierenreichen Politesse der heutigen Europaer so sehr verschieden war, in einem so hohen Grad als

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Durchsichtigkeit, wodurch die Kleidung der Cyane den Augen unsers Helden anstossig gewesen, war die ihrige so weit entfernt, dass man mit besserm Recht an ihr hatte aussetzen konnen, dass sie zu sehr verhullt sei. Es ist wahr, sie hatte Sorge getragen, dass ein kleiner niedlicher Fuss,

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Callias dir verbunden, schone Danae, sagte Phadrias indem sie hereintrat! Du allein konntest seinen Tadel rechtfertigen, nur diejenige konnte es, die liebenswurdig genug ist, um die Sprodigkeit selbst reizend zu machen. Wie sehr ware ein Apollo zu bedauren, fur den du Daphne warest! Es war glucklich fur den guten Agathon,

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der Menschen tun lassen, als die feierlichen Handlungen, wozu man, weil sie dem offentlichen Urteil ausgesetzt sind, sich ordentlicher Weise in eine gewisse mit sich selbst abgeredete Verfassung zu setzen pflegt. Die

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und wir hoffen uns deshalb vollkommen zu rechtfertigen, wenn wir diese Erzahlung durch dasjenige erganzen, was die liebenswurdige Psyche betrifft, mit welcher der Leser schon im ersten Buche, wiewohl nur im Vorbeigehen, bekannt zu werden angefangen hat.

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seine Sinnen verloren hatte; deren Bewegungen, wie man weiss, sonst nicht immer mit den erstern so parallel laufen, als gewisse Romanenschreiber vorauszusetzen scheinen. Die Wahrheit zu gestehen, so

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Herzen gewesen ware. Eine Erfahrung von etlichen Jahren beredete ihn, dass es allezeit so sein wurde, und daher kam vielleicht die Besturzung, wovon er befallen wurde, als der erste Anblick der schonen Danae ihm eine Vollkommenheit darstellte, die seiner Einbildung nach allein jenseits des Mondes

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Herzen zu finden, welches er von Psyche allein ausgefullt zu sehen gewohnt war. Sein Selbstbetrug, wofern es anders einer war, scheint desto mehr Entschuldigung zu verdienen, weil dieser geliebte Name wurklich in wenig Augenblicken seine ganze Zartlichkeit rege machte. Er bemerkte nun erst deutlich die Ahnlichkeiten, welche die beiden Psychen mit einander hatten;

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auf diesen einzigen bezaubernden Gegenstand geheftet, ihm kaum zureichend schienen, dessen ganze Vollkommenheit zu empfinden; da er diese sittliche Venus mit allen ihren geistigen Grazien wurklich vor sich sah, zu deren blossen Schattenbild ihn Psyche zu erheben vermocht hatte?Wir wissen nicht, ob man eben ein Hippias

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(mit dem weisen Hippias zu reden) einen Geist hatte verkorpern mogen, diesen seltsamen Jungling in einen so volligen Geist verwandelte, als man jemals diesseits und vielleicht auch jenseits des Mondes gesehen hat.

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Augen zu leben, ihres Umgangs zu geniessen, vielleicht ihrer Freundschaft gewurdiget zu werden hier hielt seine entzuckte Einbildungskraft stille. Die Hoffnungen eines gewohnlichen Liebhabers wurden weiter gegangen sein; allein Agathon war kein gewohnlicher Liebhaber. Ich liebe die schone Danae, sagte Hyacinthus,

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, und je mehr die an dieses Bild der Vollkommenheit angeheftete Seele daran zu entdecken und zu bewundern findet, desto langer bleibt sie in den Grenzen dieses ersten Grades der Liebe stehen. Dasjenige was sie hiebei erfahrt, kommt anfangs demjenigen ausserordentlichen Zustande ganz nahe, den man Verzuckung nennt; alle andere Sinnen, alle wurksamen Krafte der Seele scheinen stille zu stehen, und in einen einzigen Blick, worin man keiner Zeitfolge gewahr wird, verschlungen zu sein. Dieser Zustand ist zugewaltsam, als dass er lange dauern konnte; langsamer oder schneller macht er der Empfindung eines unaussprechlichen Vergnugens Platz, welches die naturliche Folge jenes ecstatischen Anschauens ist, und wovon, wie einige Adepten uns versichert haben, keine andre Art von

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) eine himmlische Schonheit in einem irdischen Schleier gewesen war, vermengte diese beiden Wesen je langer je mehr in seiner Phantasie mit einander, und er konnte es desto leichter, da in der Tat alle korperlichen Schonheiten seiner Gottin so beseelt waren,

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Seele so lebhaft aus diesem reizenden Schleier hervorschimmerten, dass es beinahe unmoglich war, sich eine ohne die andre vorzustellen. Dieser Umstand brachte zwar keine wesentliche Veranderung in seiner Art zu lieben hervor; doch ist gewiss, dass er nicht wenig dazu beitrug, ihn unvermerkt in eine Verfassung zu setzen, welche die Absichten der schlauen Danae mehr zu begunstigen als abzuschrecken schien. O

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Begierden zu eben der Zeit zu reizen, da sie selbige durch eine unaffectierte Zuruckhaltung abzuschrecken schien. Allein auch dieses war nicht genug; er musste vorher die Macht zu widerstehen verlieren; wenn der Augenblick einmal gekommen sein wurde, da sie die ganze Gewalt ihrer

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andern zu zahlen schien. Endlich kam die angesetzte Stunde. Der schonste Tag hatte der anmutigsten Nacht Platz gemacht, und eine susse Dammerung hatte schon die ganze schlummernde Natur eingeschleiert; als plotzlich ein neuer zauberischer Tag, den eine unendliche Menge kunstlich

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drohen dem erhabnen Charakter, den er bisher mit einer so ruhmlichen Standhaftigkeit behauptet, und wodurch er sich zweifelsohne in eine nicht gemeine Hochachtung bei unsern Lesern gesetzt hat, einen Abfall, der denenjenigen, welche von einem Helden eine vollkommene Tugend fordern, eben so anstossig sein wird,

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sich ausgebreitet sieht; wenn seine Dichtungen durch den machtigen Reiz des Erhabnen und Erstaunlichen schon sicher genug sind, unsre Einbildungskraft und unsre Eitelkeit auf seine Seite zu bringen; wenn schon der kleinste Schein von Ubereinstimmung mit der Natur hinlanglich ist,

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anders sein konnen? Unsre Eitelkeit ist zusehr dabei interessiert, als dass wir uns derjenigen nicht annehmen sollten, welche unsre Natur, wiewohl eignen Gewalts, zu einer so grossen Hoheit und Wurdigkeit erhalten. Es schmeichelt unserm Stolze, der sich ungern durch so viele Zeichen von

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, zu vergottern? Je vollkommener andre sind, desto weniger haben wir notig es zu sein; und je hoher sie ihre Tugend treiben, desto weniger haben wir bei unsern Lastern zu besorgen.Der Himmel verhute, dass unsre Absicht jemals sei, in schonen Seelen diese

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.Wir konnen indes nicht bergen, dass wir aus verschiednen Grunden in Versuchung geraten sind, der historischen Wahrheit dieses einzige mal Gewalt anzutun, und unsern Agathon, wenn es auch durch irgend einen Deum ex Machina hatte geschehen mussen, so unversehrt aus der Gefahr, worin er sich wurklich befindet, herauszuwickeln,

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die uns anfanglich stutzen gemacht hatten, und uns zu uberreden, dass der Nutzen, den unsre verstandigen Leser sogar von den Schwachheiten unsers Helden in der Folge zu ziehen Gelegenheit bekommen konnten, ungleich grosser sein durfte, als der zweideutige Vorteil, den die Tugend dadurch erhalten hatte,

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der Liebesgottin bestimmt schien, die schone Danae auf einem Sofa von nelkenfarbem Atlas schlafend angetroffen; dass er, nachdem er sie eine lange Zeit in unbeweglicher Entzuckung und mit einer Zartlichkeit, deren innerliches Gefuhl alle korperliche Wollust an Sussigkeit ubertrifft, betrachtet hatte, endlich

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sich einen wichtigern Zweck als die blosse Ergotzung seiner Leser vorgesetzt hat, bei gewissen Anlassen, anstatt des zaumlosen Mutwillens vieler von den neuern Franzosen, lieber die bescheidne Zuruckhaltung des jungfraulichen Virgils nachahmet, welcher

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einer noch grossern Gluckseligkeit daruber vergessen zu haben schien. Vermutlich (denn gewiss konnen wir hieruber nichts entscheiden) wurde die Schonheit des Gegenstands allein, so ausserordentlich sie war, diese sonderbare Wurkung nicht getan haben; allein dieser Gegenstand

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schleichen uns davon.Aber wir fangen an, zu merken, wiewohl zu spate, dass wir unsern Freund Agathon auf Unkosten seiner schonen Freundin gerechtfertiget haben. Es ist leicht vorauszusehen, wie wenig Gnade sie vor dem ehrwurdigen und glucklichen Teil unsrer Leserinnen finden werde,

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es auch taten, so wurden wir vielleicht anstehen, ihrer Tugend beizumessen, was eben sowohl die mechanische Wurkung unreizbarer Sinnen, und eines unzartlichen Herzens, hatte gewesen sein konnen. Unser Augenmerk ist bloss auf euch gerichtet, ihr liebreizenden Geschopfe, denen die Natur die schonste ihrer Gaben,

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Welches alle unsre verheiratete Leser, wofern sienicht sehr glucklich oder vollkommne Stoiker sinduberschlagen konnenDie schone Danae war keine von denen, welche das, was sie tun, nur zur Halfte tun. Nachdem sie einmal beschlossen hatte, ihren Freund glucklich zu machen,

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Zweifel zu ziehen. Ob wir nun gleich nicht Mut genug besitzen, gegen einen so ehrwurdigen Beweis als das einhellige Gefuhl des ganzen menschlichen Geschlechts abgibt, offentlich zu behaupten, dass diejenigen Vergnugungen der

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einer Hypothese gunstig finden, ohne welche sich, unsrer Meinung nach, verschiedene Phanomena der Liebe nicht wohl erklaren lassen, und vermoge welcher wir annehmen, dass bei wahren Liebenden, in gewissen Umstanden, nicht (wie einer unsrer tugendhaftesten Dichter meint) ein Tausch, sondern eine wurkliche Mischung der Seelen vorgehe. Wie dieses moglich sei zu untersuchen, uberlassen wir billig den weisen und tiefsinnigen

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Neigungen in einander zerflossen, zuwege bringen konnte. Welches von beiden bei dieser Vermischung gewonnen oder verloren habe, wollen wir unsern Lesern zu entscheiden uberlassen, von denen der zartlichere Teil vielleicht der schonen Danae den Vorteil zuerkennen wird: Aber dieses, deucht uns,

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dass sie glucklich waren felices errore suo glucklich in dieser sussen Betorung, welcher, um dasjenige zu sein, was die Weisen schon so lange gesucht und nie gefunden haben, nichts abgeht, als

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Bekehrung des allzuplatonischen Callias gemeinschaftlich angelegt hatte. Die besondere Vertraulichkeit, worin er seit mehr als zehn Jahren mit ihr gelebt hatte, gab ihm das vorzugliche Recht, sie auch alsdann zu uberraschen, wenn sie sonst fur niemand sichtbar war.

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in so kurzer Zeit zu bewerkstelligen, ich keiner von allen unsterblichen Gottinnen zugetraut hatte. Ich weiss nicht, was du damit sagen willst, erwiderte Danae mit einer angenommenen Zerstreuung; mich deucht nichts naturlichers, als alles, woruber du dich so verwundert stellst; und gesetzt, dass

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einer Myrthenhecke hervor, drei jugendliche Schwestern, deren halbaufgebluhte Schonheit ein leichtes Gewolk von Gase mehr zu entwickeln als zu verhullen eifersuchtig schien. Sie umgaben ihre Gebieterin, und indem die erste einen frischen Blumenkranz um ihre schone Stirne wand, reichten ihr die beiden andern kniend in goldnen Schalen die auserlesensten Fruchte und Erfrischungen dar; indes die Faunen

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noch so gross, so wesentlich sei als jemals. Er verbarg seine schwache Seite hinter die Tugenden, deren er sich bewusst zu sein glaubte; und beruhigte sich endlich vollig mit einem idealischen Entwurf eines seinen eignen Grundsatzen gemassen Lebens, zu welchem er seine geliebte Danae schon genug vorbereitet glaubte, um ihr selbigen ohne langern Aufschub vorzulegen.

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ihnen ihre geheime Bedeutungen an, gaben den Schlussel dazu, und trugen kein Bedenken, einige Arten derselben ganz zuversichtlich dem Einfluss derjenigen Geister zuzuschreiben, womit sie alle Teile der Natur reichlich bevolkert hatten. In der Tat scheinen sie sich in diesem Stuck lediglich nach einem allgemeinen Glauben, der sich von je her unter allen Volkern und Zeiten erhalten hat, gerichtet, und dasjenige in die Form einer schlussformigen Theorie gebracht zu haben,

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des Gegenstands ganzlich gerechtfertiget wurde, und so vorzuglich ihm kurz zuvor die Gluckseligkeit seines delphischen Lebens, und die unschuldigen Freuden der ersten noch unerfahrnen Liebe geschienen hatten; so unwesentlich fand er sie izt in Vergleichung mit demjenigen, was ihn die schone Danae in ihren Armen hatte erfahren lassen. Das blosse Andenken daran setzte sein Blut

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liebte zu zartlich, als dass ihr der stille Kummer, der eine wiewohl anmutige Dusternheit uber das schone Gesicht unsers Helden ausbreitete, hatte unbemerkt bleiben konnen; aber aus eben diesem Grunde war sie zu schuchtern, ihn voreilig um die

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hatte angeben konnen. Einen noch starkern Eindruck machte auf mich die grosse Menge von Bildern der verschiednen Gottheiten, unter welchen unsre Voreltern die erhaltenden Krafte der Natur, die manchfaltigen Vollkommenheiten des menschlichen Geistes und die Tugenden des geselligen Lebens personificiert haben, und wovon ich im

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sich's bewusst ist) unsern Geschmack und unsre sittliche Urteile bestimmt, und das Modell abgibt, wornach unsre Einbildungskraft die besondern Bilder dessen was wir gross, schon und vortrefflich nennen, zu entwerfen scheint. Dieses idealische Modell formiert sich (wie mich izo wenigstens deucht, nachdem neue Erfahrungen mich auf neue oder erweiterte

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die ich vielleicht in einem minder erhabnen Licht sehe, seitdem ich ihre wahre Quelle entdeckt zu haben glaube; aber die ich nichts desto weniger fur diejenige Gemutsbeschaffenheit halte, welche uns, unter den notigen Einschrankungen, glucklicher als irgend eine andre machen kann.Du begreifest leicht, schone Danae, dass unter lauter Gegen- standen, welche uber die gewohnliche Natur erhaben, und selbst schon idealisch sind,

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Wesen einen einzigen Staat, in den verwickelten Bewegungen aller Dinge einen allgemeinen Richtpunct, in unsrer Seele einen kunftigen Gott, in der Zerstorung unsers Corpers die Wiedereinsetzung in unsre ursprungliche Vollkommenheit, und in dem nachtvollen Abgrund der Zukunft helle Aussichten in grenzenlose Wonne zeigt? Ein solches System ist zu schon an sich

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hier zu desto starkern Beweisen, da wir in dem blossen Anschauen der Natur zuviel Majestat, zuviel Geheimnisreiches und Gottliches zu sehen glauben, um besorgen zu konnen, dass wir jemals zu gross von ihr denken mochten.

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dass ich endlich aus eigner Bewegung auf die Frage geraten musste, ob es nicht moglich sei, schon in diesem Leben mit den hohern Geistern in Gemeinschaft zu kommen? Dieser Gedanke beschaftigte mich lange bei mir selbst; ich fand moglich, was ich mit der grossesten Lebhaftigkeit wunschte. Die Geschichte der ersten Zeiten schien meine Hoffnung zu bestatigen. Die

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Raucherungen und andre geheimen Anstalten mussten vorhergehen, einen noch in irdische Glieder gefesselten Geist zum Anschauen der himmlischen Naturen vorzubereiten. Und auch alsdenn wurde unser sterblicher Teil den Glanz der gottlichen Vollkommenheit nicht

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kurz, sie erschafft eine neue Natur, und versetzt uns in der Tat in fremde Welten, welche nach ganz andern Gesetzen als die unsrige regiert werden. In unsrer ersten Jugend sind wir noch zu unbekannt mit den Triebfedern unsers eignen Wesens, um deutlich einzusehen, wie sehr diese scheinbare Magie der Einbildungskraft in der Tat naturlich ist. Wenigstens war ich damals leichtglaubig genug, Traume von dieser Art, ubernaturlichen Einflussen beizumessen, und

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mit den grossen Absichten und den allgemeinen Gesetzen dieses Beherrschers der sichtbaren und unsichtbaren Welt, das wahre Geheimnis liege, zu derjenigen Vereinigung mit demselben zu gelangen, welche ich fur die naturliche Bestimmung und das letzte Ziel aller Wunsche eines unsterblichen Wesens ansah. Beides, jene geistige Schonheit der Seele und diese erhabene Richtung ihrer

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eine Neigung einzuflossen, welche mit ihrem geheiligten Stande und mit ihrem Alter einen gleich starken Absatz machte; sie hatte mich schon seit geraumer Zeit mit einer vorzuglichen Gutigkeit angesehen, welche ich, so lang ich konnte, einer mutterlichen Gesinnung beimass, und mit aller der Ehrerbietung erwiderte, die

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Blumen-Stucks schon in eine Art von Entzuckung setzte, bei einem solchen Auftritt unempfindlich bleiben konnte? Meine Blicke irrten in einer zartlichen Verwirrung unter diesen anmutsvollen Geschopfen herum; bis sie sich plotzlich auf einer einzigen sammelten, deren erster Anblick meinem Herzen keinen Wunsch ubrig liess, etwas anders zu sehen. Vielleicht

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der Folge fahig wurde, uber meinen Zustand zu denken, dem Ubergang in eine neue und vollkommnere Art des Daseins gleich zu sein schien. Aber damals war ich zu stark geruhrt, zu sehr von Empfindungen verschlungen, um mir meiner selbst recht bewusst zu sein. Meine Entzuckung ging so weit, dass ich nichts mehr von dem

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als eine kleine Sclavin von neun oder zehen Jahren, bei ihr fand, erholte ich mich bald wieder; und sie selbst schien mit ihren eigenen Bewegungen zu sehr beschaftigt, um auf die meinige genau Acht zu gehen, oder (welches wenigstens eben so wahrscheinlich ist)

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, von denen sie sich dieses mal desto mehr Wurkung versprechen konnte, je mehr sie vermutlich darauf studiert hatte, sie in dieses reizende Schatten-Licht zu setzen, welches die EinbildungsKraft so lebhaft zum Vorteil

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sie, wahrend unsers Gesprachs unwissender Weise gemacht haben wollte, trieb einen Busen aus seiner Verhullung hervor, welcher reizend genug war, ihr Gesicht um zwanzig Jahre junger zu machen. Sie bemerkte diese kleine Unregelmassigkeit endlich; aber das Mittel, wodurch sie die

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diesen Abend wenigstens, zu einer naturlichen Art zu denken und zu lieben herumzustimmen. Sie entliess mich also bald darauf, nachdem sie mir, wiewohl auf eine ziemlich ratselhafte Art, zu vernehmen gegeben hatte, dass sie besondere Ursachen habe, sich meiner mehr anzunehmen, als irgend eines andern

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die eine andre auf unser Herz gemacht hat, unterhalt. Je mehr Feuer, je mehr Wahrheit, je mehr Beredsamkeit wir in einem solchen Falle zeigen, je reizender unsre Schilderungen, je schoner unsre Bilder, je beseelter unser Ausdruck ist, desto gewisser durfen wir uns versprechen, unsre Zuhorerin einzuschlafern. Diese Beobachtung sollten sich besonders diejenigen empfohlen sein lassen, welche eine wurklich im Besitz stehende Geliebte mit

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Wort zu halten.Die sussen Traume, (fuhr der Held unsrer Geschichte fort) worin mein Herz sich so gerne zu wiegen pflegte, hatten nicht wurkliches genug, diesen angenehmen Zustand meines Gemutes lange zu unterhalten. Eine zartliche Schwermut, welche jedoch nicht ohne

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solchen Wonne fahig ist, zu nichts geringers als zu der Wonne der Gotter bestimmt sein konne. Izt konnt' ich naturlicher Weise nicht mehr denken, mich unbemerkt zuruckzuziehen; meine einzige Sorge war,

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Ausdrucke waren lebhaft und feuerig; aber sie hatten mit der gewohnlichen Sprache der Liebe so wenig ahnliches, dass ich weniger zu sagen glaubte, indem ich in der Tat unendlich mal mehr sagte, als ein gewohnlicher Liebhaber, der mehr von seinen

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, welche schon lange gewohnt waren, anders zu sehen, als man sonst in meinen damaligen Jahren zu sehen pflegt, sahen in Psyche kein reizendes Madchen, sondern die schonste, die liebenswurdigste der Seelen, deren geistige Reizungen aus dem durchsichtigen Flor eines irdischen Gewandes hervorschimmerten; und die wissensbegierige Psyche, welche nie glucklicher war,

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und die unschuldigen Liebkosungen; wozu uns diese Namen berechtigten, in unsern Augen wenigstens, der Tugend, welcher wir zugleich mit der Liebe eine ewige Treue geschworen hatten, den geringsten Abbruch taten. Wir waren enthusiastisch genug, die Vermutung oder vielmehr die blosse Moglichkeit, einander vielleicht so nahe

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Schwarmerei meiner ersten Jugend mich kaum erwehren kann zu wunschen, dass die Bezauberung ewig hatte dauern konnen. Und dennoch ist nichts gewissers, als dass sich diese allzugeistige Empfindungen endlich verzehrt, und

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von Psyche geschrieben sein mochte, liess mich nicht daran denken, ein Misstrauen darein zu setzen, ungeachtet mir ihre Handschrift unbekannt war. Ich ging also plotzlich von dem aussersten Grade des Schmerzens zu der aussersten Freude uber.

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Nachsicht entschuldigen konnte, womit die Alte seine geheime Besuche duldete, ob sie gleich immer haufiger wurden. Nichts kann naturlicher sein, als dasjenige, was man liebt, dem Mangel nicht ausgesetzt sehen zu konnen; aber

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selbst zu verbergen. Allein sie entdeckten doch zuletzt ihren unbekannten Wohltater; und diese neue Proben seiner edelmutigen Sinnes-Art vollendeten den Eindruck, den er schon lange auf das unerfahrne Herz der zartlichen Musarion gemacht hatte, und gewannen es ihm ganzlich. Niemals

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ehemals (wiewohl hochst unbillig) dem weisen Socrates gemacht, sich mit besserm Grund oder mehr Scheinbarkeit zugezogen hatte. Aber damals hatte Plato weder seinen Timaus noch seine Republik geschrieben. Indessen existierte diese letztere doch bereits in seinem

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, welche derjenige auf sich nimmt, der sich in die offentlichen Angelegenheiten mischet, der Lauterkeit und innerlichen Gute meiner Absichten proportioniert war, und ich desto weiter von Ehrsucht, und andern eigennutzigen Leidenschaften entfernt zu sein glaubte, je gewisser ich mir bewusst war,

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von mir machten, rechtfertigen zu konnen. Denn das Vorurteil des grossen Haufens ging weit genug, dass viele offentlich sagten, Athen konne durch mich allein zur Gebieterin des ganzen Erdbodens gemacht werden, und man konne nicht genug eilen, mir eine einzelne und unumschrankte Gewalt zu

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es wagen durfe, ihren Unwillen zu reizen; dass fur einen am Meer gelegenen Frei-Staat ein gutes Vernehmen mit allen ubrigen Volkern, und eine so weit als nur moglich ausgebreitete Handlung, der naturliche und unfehlbare Weg sei, nach

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wie das einzige Band der Gesellschaft zwischen einzelnen Menschen und ganzen Nationen, sei; dass diese Gerechtigkeit fodre, eine jede politische Gesellschaft (sie moge gross oder klein sein) als unsers gleichen anzusehen und ihr eben die Rechte zu zugestehen, welche

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Vertrage zu fodern vollkommen berechtiget waren, hingegen durch diese Nachgiebigkeit neue und sehr betrachtliche Vorteile fur die Athenienser erkaufte; Vorteile, welche dem ganzen gemeinen Wesen zuflossen, da hingegen aller Nutzen

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nicht Dienste geleistet hatte. Aus eben diesem Grunde dachte ich gleich wenig daran, wie ich mir einen Anhang mache, als wie ich die geheimen Anschlage von Feinden, welche mir unsichtbar waren, vereiteln wolle. Denn ich glaubte nicht, dass die Freimutigkeit, womit ich,

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welches vor wenigen Monaten mehr als menschliche Vollkommenheiten an mir bewunderte, war izt unbillig genug, mir nicht das geringste Verdienst ubrig zu lassen; und eben diejenigen, welche auf den ersten Wink bereit gewesen waren,

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der Stimmen schon gefallt; und das Vergnugen, womit ich von einer unzahlbaren Menge Volks ins Gefangnis begleitet wurde, wurde vollkommen gewesen sein, wenn die Gesetze gestattet hatten, mich, anstatt dahin, ohne weitere ProcessFormlichkeiten, zum Richt-Platz zu fuhren.So glucklich meinen Feinden ihr Anschlag von statten gegangen war, so glaubten sie doch,

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wie ich ehmals fuhlte, dass die Achtung ubertrieben war, die sie mir bewiesen; desto bescheidener, je mehr sie mich erhuben; desto stolzer und trotziger, je mehr sie mich herunter setzen wollten.Meine Freunde hatten sich inzwischen in der

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Betaubung, worin nach meinem Freunde, Plato, unsre Seele eine Zeit lang, von sich selbst entfremdet, liegen bleibt, nachdem sie aus dem Ocean des reinen ursprunglichen Lichts, der die uberhimmlischen Raume erfullet, plotzlich in den Schlamm des groben irdischen Stoffes heruntergesturzt worden ist. Die Menge der neuen Gegenstande,

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Zustands noch weit mehr, worein die rachbegierige Eifersucht der Pythia sie vermutlich versetzt hatte. Den Ort ihres Aufenthalts ausfundig zu machen, schien beinahe eine Unmoglichkeit; denn entweder hatte die Priesterin sie (fern genug von Delphi,

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wieder zu finden, (anfanglich wenigstens) der hauptsachlichste Bewen suchte. Denn, nachdem mir alle andre Mittel fehlgeschlagen hatten, schien mir kein andres ubrig zu bleiben, als meinen Namen so bekannt zumachen,

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mit ihr bekannt wurde, zugestossen, und wovon wir dem geneigten Leser bereits im ersten und zweiten Buche dieser Geschichte Rechenschaft gegeben haben; und nachdem er sich auf Unkosten des weisen Hippias ein wenig lustig gemacht, entdeckte er seiner schonen Freundin (welche seine ganze Erzahlung nirgends weniger langweilig fand, als

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von dem ersten Augenblick an, da er sie gesehen, in seinem Herzen vorgegangen war. Er uberredete sie mit eben der Aufrichtigkeit, womit er es zu empfinden glaubte, dass sie allein dazu gemacht gewesen sei, seine Begriffe von idealischen Vollkommenheiten und einem uberirdischen Grade von Gluckseligkeit zu realisieren; dass

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, was darin ubertrieben und schimarisch gewesen, bloss dadurch zuruckgekommen sei, weil er bei ihr alles dasjenige gefunden, wovon er sich vorher, nur in der hochsten Begeisterung einer EinbildungsKraft einige unvollkommene Schatten-Begriffe habe machen konnen; und weil es naturlich sei, dass

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aus seiner ganzen Erzahlung begreiflich gemacht zu haben glaube, warum es, nachdem er schon so oft bald von den Menschen, bald vom Glukke, bald von seinen eigenen Einbildungen betrogen worden, entsetzlich

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dass es nie geschehen werde, dass es unmoglich sei, immer in deinen Augen lesen, immer von deinen Lippen horen, und in deinen Armen fuhlen; und wenn diese vergotternde Bezauberung jemals aufhoren soll, so nimm, im letzten Augenblick, alle deine Macht zusammen, und

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, zu kommen, welche der grosseste Teil unserer Leserinnen (wir besorgen es, oder hoffen es vielmehr,) nicht aus sich selbst erraten hatte, und welche wichtig genug sind, ein eigenes Capitel zu verdienen.Neuntes CapitelEin starker Schritt zur Entzauberung unsers HeldenDie

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scharfsinnigen Beobachtung unsrer Schonen) so gar von Seiten der sinnlichen Lust mehr gewann, als verlor; indem diese von den verschonernden Einflussen einer begeisterten Einbildung und den zartlichen Ruhrungen und Ergiessungen eines gefuhlvollen Herzens ihren machtigsten Reiz erhalt. Dieses als gewiss vorausgesetzt, glaubte sie von

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Einbildungs-Kraft desto mehr abnimmt, je weniger leeres der Genuss wurklicher Vergnugungen im Herzen zurucklasst, und je weniger ihm Zeit gelassen wird, etwas angenehmers als das Gegenwartige zu wunschen.Es ist dermalen noch nicht

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ins Spiel gemischt, und sie begierig gemacht haben, so gar die Erinnerung an die Freuden seiner ersten Liebe, welche ihr vielleicht noch allzulebhaft zu sein schien, aus seinem Gedachtnis auszuloschen. So viel ist gewiss, dass sie (vor lauter Begierde, unsern Helden mit Gluckseligkeiten zu uberschutten,) ihm eine grenzenlose Liebe zu zeigen, und

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auf die bemeldete Unterweisung eines der besten Kenner des menschlichen Herzens verwiesen haben, und uns begnugen, ihnen zu sagen, dass Agathon, nachdem er (dem neuen Plan seiner mehr zartlichen als behutsamen Geliebten zufolge) etliche Wochen lang von allem, was die Liebe susses und entzuckendes hat, mehr erfahren hatte,

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so viel schones zu sagen wissen,) ist doch nur eines gewissen Masses von Vergnugen fahig, und kann einen anhaltenden Zustand von Entzuckung eben so wenig ertragen, als eine lange Dauer des aussersten Schmerzens. Beides spannt endlich ihre Nerven ab, und bringt sie zu

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der wundervolle Traum, den er je langer je mehr fur die Wurkung irgend eines wohltatigen Geistes, und vielleicht des abgeschiedenen Schattens seiner geliebten Psyche selbst, zu halten bewogen war

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bei welchem wechselsweise bald die eine, bald die andere die Oberhand behielt, endlich gefallig genug worden ware, sich mit ihrer schonen Feindin in einen vielleicht nicht allzuruhmlichen Vergleich einzulassen, und die Gluckseligkeit der liebenswurdigen Danae dadurch auf immer sicher zu stellen; wenn

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Freundschaft, deren sie fahig sind, ausmacht; ob es gleich gemeiniglich eine bloss mechanische Folge zufalliger Umstande, und im Grunde nichts bessers als eine stillschweigende Ubereinkommnis ist, einander so lange gewogen zu

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andern Teil gelegen sein werde; und daher auch ordentlicher Weise keinen Augenblick langer daurt, als bis sie auf irgend eine Probe, wobei sich die Eigenliebe einige Gewalt antun musste, gesetzt werden wollte.Die schone Danae, deren Herz unendlich mal besser war als des Sophisten seines, ging inzwischen ganz aufrichtig zu Werke,

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noch so gut kennen, noch so viele Proben davon haben, dass derjenige, dessen Neigungen und Handlungen allein durch das Interesse seiner eigennutzigen Leidenschaften bestimmt wird, keines rechtschaffenen Betragens fahig ist; es wird ihnen doch immer unmoglich bleiben, alle

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einer genauen historischen Treue zu ihrem Augenmerk genommen, und sich kein Bedenken gemacht, bald einen Umstand zu verschonern, bald einen andern gar wegzulassen, so oft es die besondere Absicht auf ihren Zuhorer erfodern mochte. Denn fur diesen allein, nicht

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und der schonen Danae spielen konnte; und dieses zu tun, war das Mittel, wodurch der Sophist an beiden auf einmal eine Rache zu nehmen hoffte, deren blosse Vorstellung sein boshaftes Herz in Erzuckung setzte. Er laurte dazu nur auf eine bequeme Gelegenheit, und diese pflegt zu einem bosen Vorhaben selten zu entgehen.Ob dieses letztere der Geschaftigkeit irgend eines bosen Damons zu zuschreiben sei, oder ob es daher komme, dass

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, so glucklich sie auch in der Ausfuhrung sein mogen, doch gemeiniglich ihren eigentlichen Zweck verfehlen, und das Gute durch eben die Massregeln und Ranke, wodurch es hatte gehindert werden sollen, weit besser befordern, als wenn sie sich ganz gleichgultig dabei verhalten hatten.

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welche das reiche und wollustige Smyrna verschaffen konnte, zu uberlassen, je gewisser sie war, dass sie von dergleichen Zerstreuungen nichts zu besorgen habe.Allein Agathon hatte bereits angefangen, den

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Schicksal auf immer mit dem ihrigen zu vereinigen. Er hielt sie fur wurdig, diesen Agathon glucklich zu machen, welcher zu stolz gewesen ware, das schimmerndste Gluck aus der Hand eines Konigs anzunehmen. Dieser Entschluss, welcher bei tausend andern eine nur sehr zweideutige Probe der

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vieles Zureden endlich das Geheimnis des wahren Standes der schonen Danae, und derjenigen Anecdoten, welche wir (wiewohl aus unschuldigern Absichten) unsern Lesern schon im dritten Capitel des vierten Buches verraten haben,

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mich hier siehest, zehn oder zwolf Jahre abgerechnet, um welche ich damals geschickter sein mochte, den Beifall einer schonen Dame zu erhalten. Du glaubest vielleicht ich scherze; aber

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der ihr unversehens entschlupft war.Mit einem eben so schielenden Auge durchging er ihr ganzes Betragen gegen ihn. Wie deutlich glaubte er izt zu sehen, dass sie von dem ersten Augenblick an Absichten auf ihn gehabt habe! Tausend kleine Umstande, welche ihm damals ganz gleichgultig gewesen waren, schienen ihm izt eine geheime Bedeutung gehabt zu haben.

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gefiel, fahig sein konnte, diese liebenswurdige Unschuld auszuloschen, deren keusche Umarmungen, anstatt seine Tugend in Gefahr zu setzen, ihr neues Leben, neue Starke gegeben hatten? Er trieb die Vergleichung so weit sie gehen konnte. Beide

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ist am wenigsten im Stande, ihr diese Forderungen streitig zu machen. Es war glucklich fur die Unschuld der zartlichen Psyche, dass ihre nachtliche Zusammenkunfte unterbrochen wurden, eh diese auf eine so geistige Art sinnliche Schwarmerei, worin sie beide so schone Progressen zu machen angefangen hatten, ihren hochsten Grad erreichte. Vielleicht noch wenige Tage, oder auch spater, wenn ihr wollt; aber desto gewisser wurden die guten Kinder, von einer unschuldigen Ergiessung des

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die Probe gestellt worden ware? Sie wurde widerstanden haben; daran ist kein Zweifel; aber, setzet hinzu; so lang es ihr moglich gewesen ware. Denn dass sie stark genug gewesen ware ihn zu fliehen, ihn gar nicht mehr zu sehen, das ist nicht zu vermuten. Sie wurde also endlich doch von den sussen Verfuhrungen der Liebe uberschlichen worden sein, so weit sie auch

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den Gegenstand derselbigen wurklich in einem weit hasslichern Lichte gezeigt hatte, als die gelassene und unparteiische Vernunft getan haben wurde. Die seltsame Abwechselung dieser launischen Zauberin, und wie wenig ihr der plotzliche Ubergang von dem aussersten Grad eines Affects zum entgegen gesetzten kostet, wird vermutlich einem guten Teil unsrer Leser aus eigner Erfahrung so wohl bekannt sein, dass sie sich nicht verwundern werden, zu vernehmen, dass

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Es war schwer, sehr schwer, wurde ein Socrates gesagt haben, den Reizungen eines so schonen Gegenstandes, den Verfuhrungen so vieler vereinigter Zauberkrafte zu widerstehen; die Flucht war das einzige sichere Rettungs-Mittel; es war freilich fast eben so schwer; aber das Vermogen dazu war wenigstens anfangs in eurer

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wir fur beide hegen, mussen wir gestehen, dass wenn es auf sie allein angekommen ware, Agathon noch lange in den Fesseln der schonen Danae hatte liegen konnen; ja wir haben Ursache zu glauben, dass die erste gefallig genug gewesen ware, durch tausend schone Vorspiegelungen und Schlusse die andre nach und nach ganzlich einzuschlafern, oder vielleicht gar zu einem

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dieser Geschichte geschehen sein mag, wurde einer Vermessenheit gleich sehen, wozu uns die Empfindung unsrer eignen Schwache oder vielleicht unsre Tragheit wenig innerliche Versuchung lasst. Wir lassen es also bei diesem kleinen Winke bewenden, und begnugen uns,

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sein Abenteur machte, um soviel naturlicher und interessanter sein sollten, als er sich wurklich in dem Falle befand, worein wir uns erst durch Hulfe der Einbildungs-Kraft setzen mussten, und die Gedanken sich ihm freiwillig darboten, ja wohl wider Willen aufdrangen, welche wir erst aufsuchen mussten. Wir

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jenes unfehlbaren moralischen Laudanums, in mehr als einer Absicht von betrachtlichem Nutzen sein konnte.Wir setzen hiebei zwei gleich gewisse Wahrheiten voraus: die eine; dass die meisten jungen Leute, und vielleicht auch ein guter Teil der Alten, entweder zur Zartlichkeit

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ist hier allein die Rede) nicht hoher getrieben habe, als die tagliche Erfahrung beweiset. Du Ungluckseliger! (sagt er zu dem jungen Xenophon, welcher nicht begreifen konnte, dass es eine so gefahrliche Sache sei, einen schonen Knaben, oder nach unsern Sitten zu sprechen, ein schones Madchen zu kussen; und leichtsinnig genug war zu gestehen, dass

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Freundin zu erhalten suchen sollen? Das ware alles gewesen, was er hatte tun konnen, wenn er eine geheime Absicht gehabt hatte, da zu bleiben. Alles wohl uberlegt, konnte er also, deucht uns, nichts mehr tun als was er tat. Er hinterliess ein Briefchen, worin er ihr

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wo die meisten von den ihrigen zuruckkommen. Unterdessen bis diese Kunst erfunden sein wird, deucht uns, man konne denjenigen immer fur weise gelten lassen, der die wenigsten Fehler macht, am baldesten davon zuruckkommt, und sich gewisse Cautelen fur zukunftige Falle darauszieht, mittelst deren er hoffen kann, kunftig weniger zu fehlen.Ob und in wie fern Agathon dieses Pradicat verdiene, mogen unsre Leser zu seiner Zeit selbst entscheiden; wir unsers Orts haben in keinerlei Absicht einiges Interesse ihn besser zu machen,

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des Gluckes verlieren kann, unempfindlich machte. Aber durch eben diesen Enthusiasmus unterlag sie endlich den Verfuhrungen seines eignen Herzens eben so wohl als den Kunstgriffen der schonen Danae. War nicht dieses zauberische Licht, welches seine Einbildungs-Kraft gewohnt war,

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, die wahre Ursache, warum Danae einen so ausserordentlichen Eindruck auf sein Herz machte? War es nicht diese begeisterte Liebe zum Schonen, unter deren schimmernden Flugeln verborgen, die Leidenschaft mit sanftschleichenden Progressen sich endlich durch seine ganze Seele ausbreitete? War es nicht die lange Gewohnheit sich mit sussen Empfindungen zu nahren, was sie unvermerkt erweichte, um desto schneller an einer so schonen Flamme dahinzuschmelzen?

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der Wahrheit sei; dass Hippias eben soviel Recht habe, seinen tierischen Materialismus und seine verderbliche Moral, als die Theosophen ihre geheimnisvolle Geister-Lehre durch die Stimme innerlicher Gefuhle und Erfahrungen zu autorisieren; und dass es vermutlich allein dem verschiednen Schwung unsrer Einbildungs-Kraft beizumessen sei, wenn

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zu einer mehr als menschlichen Hoheit, Reinigkeit und Starke zu erheben schienen, in der Tat aber der wahren Bestimmung des Menschen wohl eben so nachteilig sein durften, als die letztern; teils, weil es ein widersinniges und vergebliches Unternehmen scheine, sich besser machen zu

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seine Absicht ofters, sich selbst aber allezeit schadlich wird.In wie fern diese Satze richtig seien, oder in besondern Fallen einige Ausnahmen zulassen, zu untersuchen, wurde zu weit von unserm Vorhaben abfuhren, genug fur uns,

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Vergnugen war desto vollkommener, da er zugleich empfand, dass Herrschsucht und eitle Ruhm-Begierde keinen Anteil daran hatten; dass es die tugendhafte Begierde, in einem weiten Umfang gutes zu tun, war, deren gehoffete Befriedigung ihm diesen Vorschmack des gottlichsten Vergnugens gab, dessen die menschliche Natur fahig ist.

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durch keine zweite Danae mehr irre machen zu lassen. Er glaubte sich in diesem Stucke desto besser auf sich selbst verlassen zu konnen, da er stark genug gewesen war, sich von der ersten loszureissen, und es mit gutem Fug fur unmoglich halten konnte, jemals auf eine noch gefahrlichere Probe gesetzt zu werden.

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alle langst wissen dass die Eitelkeit die wahre Triebfeder aller Bewegungen des weiblichen Herzens ist Wir erkennen unsern Fehler, ohne gleichwohl den Kennern einzugestehen, dass unsre Anmerkung so viel sage. Aber nichts mehr hievon!Hingegen konnen wir unsern besagten Leserinnen, um sie wieder gut zu machen, eine kleine Anecdote aus dem Herzen unsers Helden nicht verhalten, und wenn er auch gleich dadurch in Gefahr kommen sollte, die Hochachtung wieder zu verlieren, in

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Doch genug; Sie sollen horen, warum diese kleine Abschweifung notwendig war. Es ist hier darum zu tun, den Agathon zu schildern; ein wenig genauer und richtiger zu schildern, als es ordentlicher Weise in den Personalien einer Leichenpredigt geschieht Sie schutteln den Kopf,

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in dem naturlichen, wahren Lichte sehen, worin ungefalschte, gesunde Augen zu sehen pflegen, und werden sich seufzen Sie immer soviel Sie wollen daraus erbauen.

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seiner Seele aufgeschlossen werde; dass wir die geheimern Bewegungen seines Herzens, die verborgenern Triebfedern seiner Handlungen kennen lernen "Eine schone Kenntnis! und die etwan viel Kopf zerbrechens braucht? Ein Herz zu kennen, von dem ich Ihnen, kraft meines Systems, gleich bei der ersten Zeile Ihres Buchs hatte vorhersagen konnen, dass

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niemals ihr wahres Interesse, und kehrten ihre Starke immer gegen sich selbst: Mutig und heroisch in der Widerwartigkeit, allezeit ubermutig im Gluck, und gleich dem asopischen Hund im Nil, immer durch schimmernde Entwurfe verhindert, von ihren gegenwartigen Vorteilen den rechten Gebrauch zu

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die man gemeiniglich mit grobern, weniger reizbaren Fibern und derjenigen Art von Temperament verbunden sieht, welches ungesellig, ernsthaft, stolz und sprode zu machen pflegt. An jede Art von Temperament grenzen wie man weisst, gewisse Tugenden;

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demselben durch gunstige Umstande befordert wird, so ist nichts naturlichers, als dass sich daraus ein Character bildet, der durch gewisse hervorstechende Tugenden blendet, die eben darum zu einer volligern Schonheit gelangen, weil kein innerlicher Widerstand sich

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wollen keine andre gebrauchen, als welche nach den strengesten Regeln einer oft allzuspitzfundigen Gerechtigkeit und Gute, rechtmassig und gut sind. Loblich, vortrefflich, gottlich! rufen die schwarmerischen Bewunderer der heroischen Tugend Wir wollten gerne mitrufen, wenn man uns nur erst zeigen wollte, was diese hochgetriebene Tugend dem menschlichen Geschlecht jemals geholfen habe

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und es daher leicht geschehen konnte, dass ein junger Scribent, der sich seiner bessern Bequemlichkeit wegen unsrer Methode bedienen wollte, sich die Horazische Frage zuziehen konnte: Currente rota cur urceus exit? Und

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nicht zu besorgen ware, so gibt es sehr wackere Leute, denen es schwer fallt, sich aus dergleichen maandrischen Abschweifungen wieder herauszuhelfen, und, sobald es dem Verfasser beliebt, wieder auf dem Punct zu stehen, wo

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seiner Seele vorgegangen seien, woran Dionysens Seele weder gedacht hatte, noch zu denken vermogend war; kurz, er beurteilte, wie wir fast immer zu tun pflegen, die

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fur etwas weniger als seines gleichen anzusehen. Denn ob es gleich damals noch keine Stoiker gab, so pflegten doch die Philosophen von Profession bereits sehr bescheidentlich zu verstehen zu geben, dass sie in ihren eigenen Augen, eine hohere Classe von Wesen ausmachten, als die ubrigen Erdenbewohner.

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o! ccas hominum mentes! Wie naturlich geht auch das ausserordentlichste zu, sobald wir die wahren Triebrader davon kennen!Der erste Schritt, welchen der gottliche Plato in den Palast des Dionysius tat, wurde durch ein feirliches Opfer, und die erste Stunde, worin sie sich mit einander besprachen,

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ihre Mantel eingehullt auf und ab schritten, bald alle zugleich, bald gar nichts, bald nur mit sich selbst sprachen, und wenn sie vielleicht am wenigsten dachten, eine so wichtige Mine machten, als ob der geringste unter ihnen

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er das wenigste recht verstund (ob er gleich, wie viele andere seines gleichen, zu eitel war, es merken zu lassen) noch alles verstehen konnte, weil der begeisterte Plato sich wurklich zuweilen selbst nicht allzuwohl verstund; nehmen wir ferner die erstaunliche Gewalt, welche ein in schimmernde Bilder eingekleidetes

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fur ein kleines Ungeheuer von Lastern und Ausschweifungen gegeben haben, unglaublich vorkommen mochte, uns auf die einhellige Aussage der Geschichtschreiber zu berufen; aber wir konnen noch mehr tun; es ist leicht, die Moglichkeit und Wahrscheinlichkeit derselben begreiflich zu machen.

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Aber wie sollten die in einer grossen Angelegenheit verwickelten Personen fahig sein, so gelassen und uneingenommen davon zu urteilen, wie entfernte Zuschauer, welche das Ganze bereits vor sich liegen haben, und bei einer kalten Untersuchung des Zusammenhangs aller Umstande sehr leicht mit vieler Zuverlassigkeit beweisen konnen, dass es nicht anders habe gehen konnen, als wie sie wissen, dass

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zu ihren geheimen Absichten am besten gelangen konnten, hatten sie, so bald sie die neue Laune ihres Herrn gewahr werden waren, die ganze Aussenseite des philosophischen Enthusiasmus mit eben der Leichtigkeit angenommen, womit sie eine

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Wolken zu erheben; und besonders in Ausdrucken, welche von der schlauesten Bosheit ausgewahlt wurden, von der ausserordentlichen Hochachtung zu sprechen, worein sie sich bei dem Volke setzten. Um den Tyrannen desto aufmerksamer zu machen, wussten sie es durch tausend geheime Wege, wobei sie selbst

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Tat, sagte Timocrates, die Musen konnen nicht angenehmer reden als Plato; ich wisste nicht, was er einen nicht uberreden konnte, wenn er sichs in den Kopf gesetzt hatte Du willst vielleicht scherzen, fiel

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liess sich eben so schnell uberreden, die sichersten Mittel zu erwahlen, wenn sie gleich die niedertrachtigsten waren.Nachdem wir die wahre Triebfeder seiner vermeinten Sinnes-Anderung oben bereits entdeckt haben, wird sich niemand verwundern, dass

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Zwang einer verhassten Einschrankung je balder je lieber loszumachen wunscht; und damit er keine Zeit verlieren mochte, so machte er gleich des folgenden Tages den

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den Dionys besser kannte, und weil er sich wenig Hoffnung machte, dass seine guten Dispositionen von langer Dauer sein wurden, gerne so schnell als moglich einen solchen Gebrauch davon gemacht hatte, wodurch ihm die Macht Boses zu tun, auf

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, wie gefahrlich es sei, den Wohlstand eines ganzen Landes von dem zufalligen und wenig sichern Umstand, ob dieser Einzige tugendhaft sein wolle oder nicht, abhangen zu lassen. Er ging so weit, zu behaupten, dass

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Eitelkeit ist befriediget, wenn er bei demjenigen, der die Regierung fuhrt, in Ansehen steht, und Einfluss zu haben glaubt. Es ist leicht, ihn, so lang es notig sein mag, in dieser Meinung zu unterhalten, und das wird zugleich ein Mittel

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was zu sehen und zu singen zu gehen: So wird alles ruhig bleiben; und indessen dass die politischen Mussigganger sich daruber zanken werden, ob euer Philosoph recht oder unrecht argumentiert habe, und die kleine argerliche Anecdote reichlich ausgeziert und verschonert, den Witz aller guten Gesellschaften im Atem erhalt: Wird

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und bezahlen. Solche Dienste sind, deucht mich wohl wert, etliche Leute zu unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darin setzen, Worte zierlich zusammenzusetzen, Sylben zu zahlen, Ohren zu kitzeln und Lungen

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Liste von mehr als zwanzig Candidaten, aus denen man, wie er sagte, nach Belieben auswahlen konnte. Dionys glaubte, dass man dieser nutzlichen Leute nicht zuviel haben konne, und wahlte alle. Alle schonen Geister Griechenlands wurden unter blendenden Verheissungen an

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. Es ging ihnen in den ersten Augenblicken, wie es uns zu gehen pflegt, wenn uns deucht, als ob wir eine Person kennen sollten, ohne uns gleich deutlich erinnern zu konnen, wer sie ist,

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welches sie geneigt machte, sich weniger vor einander zu verbergen, als man bei einer ersten Zusammenkunft zu tun gewohnt ist. Agathon liess seinem neuen Freunde sein Erstaunen daruber sehen, dass

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, der schon fur sich allein alles habe verderben mussen. Denn die schwachsten Fursten seien allemal diejenigen, vor denen man am sorgfaltigsten verbergen musse, dass man weiter sehe als sie;

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, und verringerten den Wert der schonen Eigenschaften, welche er entweder nicht verbergen konnte, oder nicht verbergen wollte; gewohnliches Verfahren der kleinen Geister, wodurch sie sich unter einander in der trostlichen Beredung zu starken suchen, dass kein so grosser Unterscheid, oder vielleicht gar keiner,

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auf eine unvollkommene Art gelingen wurde; so hoffte er, wofern er sich nur einmal seines Herzens bemeistert haben wurde, doch immer im Stande zu sein, viel gutes zu tun, und viel Boses zu verhindern, und auch dieses schien ihm genug zu sein, um beim Schluss der

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Stirne zu binden, denen man nicht allzunahe kommen darf,) taten schon damals ihr Bestes, den guten Aristipp fur einen Wollustling auszuschreien, dessen ganze Philosophie darin bestehe, dass er die Forderungen unsrer sinnlichen Triebe zu Grundsatzen gemacht, und die Kunst gemachlich und angenehm zu leben, in ein System gebracht habe.

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Grad, einzeln besessen hatten, welche in ihm vereinigt, dennoch den geringsten Teil seines Wertes ausmachten. Er hatte die Klugheit, anfanglich seine grundlichere Eigenschaften zu verbergen, und sich bloss von derjenigen Seite zu zeigen, wodurch sich die

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von einer feinen Stimme gesungen, und von der schonen Bacchidion getanzt wurde) und setzte seine Hoheit dadurch in eine so ubermassige Entzuckung, dass der ganze Hof von diesem Augenblick an fur ausgemacht hielt, ihn in kurzem zur Wurde eines erklarten Gunstlings erhoben zu sehen. Dionys uberhaufte ihn in der ersten Aufwallung seiner

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durch einen ubel zusammengestoppten, und nicht allzuverstandlichen, aber mit Platonismen reich verbramten Discurs, welcher, wie leicht zu erachten, mit allgemeinem Zujauchzen begleitet wurde; ungeachtet er dem Agathon mehr das ungezweifelte Vertrauen des koniglichen Redners in

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und den guten Accent eines andern, die paradoxen Einfalle eines dritten, und die seltsamen Gesichter, die ein vierter zu seinen Distinctionen und Demonstrationen machte, ertraglich belustiget. Nachdem dieses Spiel einige Zeit gedauert hatte, und ein unhofliches Gahnen bereits zwei Dritteile der

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Freistaaten so nachteiligen Rede ohne Widerwillen sollten fortsetzen konnen. Es geschah aus diesem namlichen Grunde, dass wir, anstatt den Discurs des Agathon seinem ganzen Umfange nach aus unsrer Urkunde abzuschreiben, uns begnugt haben, einige Zuge davon, als eine wiewohl sehr unvollkommene Probe des

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, der gesunden Denkungs-Art, der offentlichen Gluckseligkeit und einer politischen Gleichheit, welche sich der naturlichen moglichst nahert, angesehen werden konnen. Unsrer ubrigens ganz unmassgeblichen Meinung nach, gehort die Frage,

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nichts zu sagen verloren worden, ohne dass sich absehen liesse, wie, worin oder um wieviel die Welt jemals durch ihre Auflosung sollte gebessert werden konnen. Wir konnten diese unsre Meinung rechtfertigen; aber es ist unnotig; ein

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Es gibt Falle, wir gestehen es, wo dieses eine Ausnahme leidet aber diese Falle begegnen selten, wenn man die Vorsichtigkeit gebraucht, hundert und funfzigtausend wohlbewaffnete Leute bereit zu halten, mit deren Beistand man sehr wahrscheinlich hoffen kann,

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Meinung aller friedsamen Leute in der ganzen Welt hinwegsetzen zu konnen. Sind nicht eben diese hundert und funfzigtausend oder wenn ihrer auch mehr sind; desto besser! ein lebendiger, augenscheinlicher, ja der beste Beweis, der alle andre unnotig macht, dass eine Nation glucklich gemacht wird?

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sie durch eben denjenigen ausuben lassen, der so gut davon reden konnte. Wo konnte er ein tauglicheres Instrument finden, den Syracusanern seine Regierung beliebt zu machen? Wo konnte er einen andern Mann finden, der so viele angenehme Eigenschaften mit so vielen nutzlichen vereinigte?

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zu nichts nutze sei. Die einzige Belohnung, welche er sich befugt halte fur seine Dienste zu verlangen, sei diese, dass Dionys seinen Raten folgen mochte, so lange er werde zeigen konnen, dass dadurch jedesmal das Beste

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lehrreiches Beispiel geben, eben so frei nach unserm Gesichtspunct zu urteilen, als es unsre Leser aus dem ihrigen tun mogen. Was also den ersten Punct betrifft, so haben wir bereits erinnert, dass es unbillig sein wurde, dasjenige was Agathon

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Dionysens Palast setzte, tat; sollte er vielleicht keine gehabt haben? Was konnen wir, nach der aussersten Scharfe, mehr fodern, als dass seine Absichten edel und tugendhaft sein sollen; und

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, wir allein unveranderlich sein sollten; und wenn es auch nicht unmoglich ware, so war' es unschicklich. Andre Zeiten erfordern andre Sitten; andre Umstande, andre Bestimmungen und Wendungen unsers Verhaltens. In moralischen Romanen finden wir freilich Helden, welche sich immer in allem gleich bleiben und darum zu loben

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Tugend, unendlich viel zu verandern. Und die Erfahrung lehrt, dass wir selten zu einer neuen Entwicklung unsrer Selbst, oder zu einer merklichen Verbesserung unsers vorigen innerlichen Zustandes gelangen, ohne

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wird nicht mehr lange anstehen, so wird eine neue vermeinte Danae, welche seine schwache Seite ausfundig gemacht zu haben glauben mag, sich eben so betrogen finden. Er schien nach und

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was er wurklich war, worin er sich unter allen diesen Gestalten gleich blieb, und was zuletzt, nachdem alles Fremde und Heterogene durch die ganze Folge seiner Umstande davon abgeschieden sein wird, ubrig bleiben mag davon kann dermalen die Rede

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Fassung zu setzen, worin er uns haben mochte. Man tadelt das -und denkt nicht daran, dass seine Stucke eben darin naturliche Abbildungen des menschlichen Lebens sind.Das Leben der meisten Menschen,

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in so vielen Puncten, dass man beinahe auf die Gedanken kommen mochte, die Erfinder dieser letztern seien kluger gewesen als man gemeiniglich denkt, und hatten, wofern sie nicht gar die heimliche Absicht gehabt, das menschliche Leben lacherlich zu machen, wenigstens die Natur eben so getreu nachahmen wollen, als die Griechen sich angelegen sein liessen sie zu verschonern. Um izo nichts von der zufalligen Ahnlichkeit zu sagen, dass

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die er entweder nicht vorhersehen, oder nicht hintertreiben konnte, des glucklichen Erfolgs hatte versichern konnen.Dieses war also die erste Sorge unsers Helden, nachdem er sich anheischig gemacht hatte,

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vollig so ubel von den Menschen denken konnte, als es diejenigen verdienten, mit denen er zu tun hatte. Indessen dachte er doch lange nicht mehr so erhaben von der menschlichen Natur, als ehmals; oder richtiger zu reden, er kannte den unendlichen Unterschied zwischen dem metaphysischen Menschen,

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sie sein konnten, und vielleicht sein sollten, bereits zu gut, um seinen Plan auf platonische Ideen zu grunden. Er war nicht mehr der jugendliche Enthusiast, der sich einbildet, dass es ihm eben so leicht sein werde, ein grosses Vorhaben auszufuhren, als es zu fassen. Die Athenienser hatten ihn auf immer von dem Vorurteil geheilt, dass die Tugend nur ihre eigene Starke gebrauche, um uber ihre Hasser obzusiegen. Er hatte gelernt, wie wenig man von andern erwarten kann; wie wenig man auf

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er ihn wenigstens von den wilden Ausschweifungen abgewohnte, zu denen er sich bisher hatte hinreissen lassen. Unsre Vergnugungen werden desto feiner, edler und sittlicher, je mehr die Musen Anteil daran haben. Aus diesem richtigen Grundsatz bemuhte

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die er dabei hatte, hinlanglich sein mag, eine so gefahrliche Ausserung zu rechtfertigen; aber es ist gewiss, dass Dionys, der bisher aus einer gewissen Scham vor der Tugend unsers Helden sich bemuht hatte, seine schwache Seite vor ihm zu verbergen, von dieser Stunde an weniger zuruckhaltend wurde, und aus dem vielleicht unrichtigen aber sehr gemeinen Vorurteil,

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unter allen denjenigen, mit denen Agathon in seiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhaltnis war. Dieser Mann spielt in diesem Stuck unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig machen kann, ihn naher kennen zu lernen. Und

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dazu gelassen worden ware. Allein alles dieses gehort nicht zu dem Plan des gegenwartigen Werkes; und es ware in der Tat nicht abzusehen, wozu ein solcher Detail in unsern Tagen nutzen sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben scheint, der

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sich Agathon ehmals seines Ansehens und Vermogens zu Athen bedient hat, kann unsern Lesern einen hinlanglichen Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschrankten Macht und eines koniglichen Vermogens bedient haben werde.Nur einen Umstand konnen wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen Einfluss in die folgende Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionys befand sich,

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. Die edlern Beweggrunde unsers Helden fanden also leicht Eingang bei ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die gefallige Disposition, die er bei ihm fand, dem Eindruck seiner eignen Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, dass sie ihren eigentlichen Grund in

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man muss gestehen, dass sie dadurch schon ein grosses uber ihn gewonnen hatten.Ubrigens konnen wir nicht umhin, es mag nun unserm Helden nachteilig sein oder nicht, zu gestehen, dass

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von sich entfernt zu halten? Es blieben also keine andre als solche Vermutungen ubrig, welche unserm Helden auf die eine oder andre Art nicht sonderliche Ehre machten; ohne dass sie den gerechten Verdruss vermindern konnten, den man uber ein so wenig naturliches und

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die Schonheit gelten macht; einige Witz, andre Zartlichkeit; andre wenigstens ein gutes Teil von dieser edeln Unverschamtheit, welche eine gewisse Classe von modernen Damen zu characterisieren scheint, und zuweilen schneller zum Zweck fuhrt als die vollkommensten Reizungen,

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uber die ubrigen ihres Geschlechts zu erheben, (eine ziemlich gewohnliche Schwachheit der eigentlich so genannten Schonen,) oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geschehen sein; so ist gewiss, dass sie alle Gelegenheiten den gottlichen Plato zu horen mit solcher

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so sehr dabei interessiert, dass sie die Parteilichkeit fur einander sehr weit treiben konnen, ohne sich dadurch besonderer Absichten verdachtig zu machen. Ein so unedler Verdacht konnte ohnehin nicht auf die erhabene Cleonissa fallen; indessen war doch nichts naturlicher, als

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also beleidiget halten, da sie mit diesem edeln Enthusiasmus, womit die privilegierte Seelen sich uber die kleinen Bedenklichkeiten gewohnlicher Leute hinwegsetzen, ihm entgegengeflogen war, und die Beweise ihrer sympathetischen Hochachtung nicht so lange zuruckzuhalten gewurdiget hatte, bis sie von der seinigen uberzeugt worden ware? Da

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welche nur immer in das Herz einer beleidigten Schonen kommen kann. Sie wollte die ganze vereinigte Macht aller ihrer intellectualischen und korperlichen Reizungen, verstarkt durch alle Kunstgriffe der schlauesten Coketterie (wovon ein so allgemeines Genie als das ihrige wenigstens die Theorie besitzen musste) dazu anwenden, ihren

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sie sich gleich zum ersten mal in dieser Schwierigkeit befand, so gut, dass der ganze Plan ihres Betragens sie schwerlich eine einzige schlaflose Nacht kostete. Sie sah beim ersten Blick, wie wichtig die Vorteile

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welche der tapfre Widerstand der weisen Cleonissa ziemlich zweideutig machte die Liebe schien noch wenig uber ihre Tugend erhalten zu haben, obgleich diese allmahlich anfing, von ihrer Majestat nachzulassen, und zu erkennen zu geben, dass sie nicht ganz ungeneigt ware, unter hinlanglicher Sicherheit sich

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seines Herzens ganze Stunden durch Langeweile machen zu lassen, in denen es dem guten Prinzen kein einziges mal einfiel, dass diese Angelegenheiten einem dritten unmoglich so wichtig vorkommen konnten, als

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zu fruh versichert hielt, izo den gelegenen Augenblick gefunden zu haben glaubte, dem Dionys offenherzig zu gestehen, wie wenig Achtung er fur die angebliche Tugend der Dame Cleonissa trage. Die Folgen der geheimen Unterredung, welche sie mit einander uber diese

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gegen sie allein daher entsprungen sei, weil sie nicht fur gut befunden habe, seine Liebe genehm zu halten. Dieses war nun freilich nicht nach der Scharfe wahr. Aber da sie nun einmal dahin gebracht war, sich selbst verteidigen zu mussen, so war naturlich, dass sie es lieber auf Unkosten

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die Enthaltsamkeit unsers Helden und die Treue der schonen Bacchidion zu werfen schienen. Dieser Minister fand vermutlich die Absichten seines Herrn auf seine tugendhafte Gemahlin so rein und unschuldig, dass es anstossig, und lacherlich gewesen ware, uber die Freundschaft, womit er sie beehrte, eifersuchtig zu sein.

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Punct ein wenig; denn in der Tat scheint der ganze Unterschied zwischen der republicanischen und hofischen Falschheit darin zu bestehen, dass man in Republiken genotiget ist, die ganze ausserliche Form tugendhafter Sitten anzunehmen; da man hingegen an Hofen genug getan hat,

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und der ganze Hof liebkoseten ihm so sehr als jemals, und die Dame Cleonissa selbst schien es ihrer unwurdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu geben. Aber desto mehr Missvergnugen wurde ihm durch geheime, schleichende, und indirecte Wege gemacht. Er musste zusehen, wie

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du noch getan haben wurdest, bloss darum verloren sein soll, weil du eine schone Dame nicht verstehen wolltest, da sie dir's so deutlich, dass es der ganze Hof (einen einzigen ausgenommen) verstehen konnte, zu erkennen gab, dass sie schlechterdings

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die Ehre gehabt, ihren Platz einzunehmen, bis er ihrer eben so wohl uberdrussig geworden ware als so vieler andrer. Das ware alles gewesen. Und gesetzt, du hattest auch die

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dich am besten gegen die Verleumdungen und den albernen Tadel eines kleinen Hofes voll Toren und schelmischer Sclaven verteidigen, deren Hass dir mehr Ehre macht als ihr Beifall. Du befindest dich in Umstanden, in einem unabhangigen Privatstande mit Wurde leben zu konnen. Deine

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solchen Fursten wert sind; und denke nun daran, wie du selbst des Lebens geniessen wollest, nachdem du den Versuch gemacht, wie schwer, wie gefahrlich, und insgemein wie vergeblich es ist, fur andrer Gluck zu arbeiten.So

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Laster er ehmals mit freundschaftlichen Augen als Schwachheiten betrachtet hatte, stellte sich ihm izt in der hasslichen Gestalt eines Tyrannen dar. Je besser er vorhin von Philistus gedacht hatte, desto abscheulicher fand er izt seinen Character, nachdem er ihn einmal falsch und niedertrachtig gefunden hatte;

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niemals ruhig lassen, und dass er, ungeachtet seiner republicanischen Grundsatze, eben so ungelehrig sein wurde, das hochste Ansehen im Staat mit jemand zu teilen, als ohne Ansehen zu leben. Er hatte also, anstatt seine Zuruckberufung bei dem Dionys zu befordern, diesen der aussersten Abneigung, die er davor zeigte, uberlassen, und

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Anblick des gemeine Elendes unter einer heillosen Regierung, und die immer vergebliche Bemuhung, dem reissenden Strom der Verderbnis entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten Unmut erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer gallsuchtigen Melancholie,

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gegen einen feindlichen Uberfall in gehorige Verfassung zu setzen.Wir sind es schon gewohnt, unsern Helden niemals grosser zu sehen als im widrigen Glucke. Auf das argste gefasst, was er von seinen Feinden erwarten konnte, setzte er sich

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Seneca nicht vermocht haben Nun, so mogen sie glauben was sie wollen, und, tun, was sie ungestraft tun konnen; sie verdienen eben so wenig Widerlegung, als ihre Besserung moglich ist Und du, ruhmvoller und liebenswurdiger alter Mann, empfange dieses wie wohl allzuvergangliche Denkmal von

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auch der ganze Prozess, wodurch er ehmals seines vaterlichen Erbguts beraubt worden war, cassiert, und der unrechtmassige Inhaber desselben verurteilt wurde, ihm alles unverzuglich wieder abzutreten. Agathon hatte zwar grossmutiger Weise nur die Halfte davon angenommen;

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ums Herz leichter wird, aus) Dank sei den Gottern, dass wir unsern Helden aus dem gefahrlichsten aller schlimmen Orte, wohin ein ehrlicher Mann verirren kann, unversehrt, und was beinahe unglaublich ist, mit seiner ganzen Tugend davon gebracht haben! Er hat allerdings von Gluck zu sagen, fahrt das Manuscript

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Auf diesen humoristischen Eingang, womit unser Autor dieses Capitel beginnt, folget eine lange, und wie es scheint, ein wenig milzsuchtige Declamation gegen diejenige Classe der Sterblichen, welche man grosse Herren nennt; mit verschiedenen Digressionen uber

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und den guten Geschmack, welcher ordentlicher Weise die grossen Herren von den ubrigen Erden-Sohnen zu unterscheiden pflegt, in dem besten und schlimmsten Buche (je nachdem es Leser bekommt; welches wir ubrigens ganz unprajudicierlich und niemand zu Leide gesagt haben wollen) das in unserm Jahrhundert zur Welt gekommen ist,

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Digression zu gehoren scheinen, abnehmen, dass der Verfasser neun und dreissig Ursachen angegeben habe; und wir gestehen, dass wir begierig waren, diese neun und dreissig Ursachen zu wissen.Funftes CapitelMoralischer Zustand unsers HeldenDer

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und Romanenmacher zieht oder gegen irgend eine andere: Aber man muss hingegen auch gestehen, dass sie wenigstens eben so zuverlassig ist, als irgend eine andre; ja dass sie es noch in einem hohern Grade ist,

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. Wir denken so lange gross von der menschlichen Natur, als wir gross von uns selber denken; unsere Verachtung hat alsdann nur einzelne Menschen oder kleinere Gesellschaften zum Gegenstand. Aber sobald wir in unsrer Meinung von uns selbst fallen, sinkt durch eine innerliche Gewalt uber

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mit sich bringen) ein jeder unterworfen ist; je genauer wir die Menschen untersuchen, je mehr Grunde finden wir, so zu denken; und diese Denkungsart flosset uns, zu eben der Zeit,

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sich durch feirliches Geprange, hochfliegende Ideen, anmassliche Privilegien von den Gebrechen der menschlichen Natur, und unerbittliche Strenge gegen dieselben anzukundigen, nur darum weniger zu versprechen scheint, um im Werke selbst desto mehr zu leisten. Dieses vorausgesetzt konnten wir vielleicht mit gutem Grunde behaupten, dass die Tugend unsers Helden, durch die neuerliche Veranderung, die in seiner Denkensart vorging, in verschiedenen Betrachtungen, grosse Vorteile erhalten habe.

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; er glaubte zwar, oder hoffte vielmehr uberhaupt, dass dasjenige was in seinen vormaligen Grundsatzen wahres sei, sich mit seinen neuerlangten Begriffen sehr wohl vereinigen lassen werde

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noch nicht deutlich genug, wie? und wurde beim ersten Anblick Lucken gewahr, welche ihm desto mehr Sorge machten, je weniger er geneigt war,

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seine Zeit verschlangen, hatten ihn genotigt, eine fur ihn so wichtige Arbeit lange genug aufzuschieben, um sie durch immer neu hervorbrechende Schwierigkeiten ungleich schwerer zu machen, als sie anfangs gewesen ware. Die umgereimte und lacherliche Seite der menschlichen Meinungen,

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einem so feurigen Unwillen von sich stiess vermutlich niemand, oder nur die schlauesten Kenner des menschlichen Herzens erwartet haben mogen namlich da, wo ihm ein grosser Teil seiner vormaligen Ideen, an denen er zu Smyrna nur zu zweifeln angefangen hatte, nun selbsten ganz schimarisch und belachenswert, und diejenigen, deren Gegenstande ihm zwar ehrwurdig bleiben mussten, doch subjectivisch betrachtet, in der barokischen Gestalt,

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der Spharen horen, und an einem hitzigen Fieber liegen aber wir besorgen billig, dass die allzustarke Nachlassung, welche in der Seele eben sowohl als im Leibe, auf eine ubermassige Spannung zu folgen pflegt, seinem Herzen wenigstens so nachteilig werden konnte, als

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wenn er dadurch weniger rechtschaffen, weniger ein Liebhaber der Wahrheit, weniger empfindlich fur das Beste des menschlichen Geschlechts, weniger edelgesinnt, und wohltatig, weniger zur vorzuglichen Teilnehmung an der Gluckseligkeit irgend einer besondern Gesellschaft (ohne welche die anmassliche Welt-Burgerschaft gewisser Leute blosse Grosssprecherei oder hochstens eine Art

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- Phantom schoner Seelen, weniger aufgelegt wurde erlaubet mir, ihr strengen Anti-Platonisten, denen alles Schimare heisst, was sich nicht geometrisch beweisen lasst, erlaubet mir noch weiter zu gehen wenn dieser schone, herzerhohende, wohltatige, und

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, und etlichen Hochzeiten endet, einen Gefallen getan habe, seinen Helden, nachdem er eine hinlangliche Anzahl guter und schlimmer Abenteuer bestanden hat, endlich fur seine ganze ubrige Lebens-Zeit glucklich zu machen. Es mag sein, dass der Verfasser der griechischen Handschrift hierin seinem guten Naturell den

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ihn der augenscheinlichsten Gefahr aussetzen, in seiner antiplatonischen Denk-Art durch immer neue Erfahrungen bestarkt, und durch die Gesellschaft witziger und liebenswurdiger Leute, welche entweder gar keine Grundsatze, oder nicht viel bessere als der weise Hippias, gehabt hatten,

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den Agathon bisher gesetzt hat, und noch setzen wird ein so weiser und tugendhafter Mann habe sein konnen, und (diejenigen, welche nicht gewohnt sind zu denken, mogen es nun glauben oder nicht,) unter den namlichen, oder

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den Kunstrichtern uberlassen mussen. Das Urteil mag indessen ausfallen wie es will, so beladet sich der Herausgeber, wie er schon erklart hat, dessen im geringsten nicht. Die Absichten, warum er die alte Urkunde, welche zufalliger Weise in seine Hande gekommen ist, in einen Auszug von derjenigen Form und Beschaffenheit, wie die vorhergehenden zehen Bucher weisen, gebracht hat, sind bereits erreicht. Es ist verhoffentlich unnotig, sich hieruber naher zu erklaren. Doch soviel konnen wir wohl sagen, dass er niemalen daran gedacht hat,

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bequemern Ort erwahlen konnen als Tarent. Diese Republik war damals gerade in dem Zustande, worin ein jeder patriotischer Republicaner die seinige zu sehen wunschen soll zu klein, um ehrgeizige Projecte zu machen, und zu gross, um

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achtungswurdige und gluckliche Volk beseelte der unschuldigste und wohltatigste unter allen sublunarischen Geistern, die uns bekannt sind machte, dass man sich zu Tarent weniger, als in den meisten mittelmassigen Stadten zu geschehen pflegt, um andre bekummerte; in so fern man sie

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argerte, konnte jeder leben wie er wollte. Alles dieses zusammengenommen, machte, wie uns deucht, eine sehr gute Art von republicanischem Character; und Agathon hatte schwerlich einen Freistaat finden konnen, welcher geschickter gewesen ware, seinen

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Art von angenehmer Empfindung durch sein ganzes Wesen, welche sich nicht beschreiben lasst. Die unbestimmte Wollust, welche alle seine Sinnen zugleich einzunehmen schien, war nicht dieses seltsame zauberische Gefuhl, womit ihn die

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euch einen grossen stattlichen Mann vor, dessen Ansehen beim ersten Blick ankundiget, dass er dazu gemacht ist, andre zu regieren, und dem ihr ungeachtet seiner silbernen Haare noch ganz wohl ansehen konnet, dass er vor funfzig Jahren ein schoner Mann gewesen

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zu sein scheinen wollte, als was er wurklich war, und an welchem das scharfsichtigste Auge nichts entdecken konnte, das man anders hatte wunschen mogen. Die Natur schien sich vorgesetzt zu haben, durch ihn zu beweisen, dass die Weisheit nicht weniger ein Geschenke von ihr sei, als

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die Kunst gleichwohl sehr selten davon tragt,) es dennoch der Natur allein zukomme, diese gluckliche Temperatur der Elemente, woraus der Mensch zusammengesetzt ist, hervorzubringen, welche, unter einem Zusammenfluss eben so glucklicher Umstande, endlich zu dieser vollkommnen Harmonie aller

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falsch und sclavenmassig machen; jede edle Neigung, jeden grossen Gedanken abschrecken und ersticken, und doch darum nicht weniger von politischen und religiosen Demagogen unter dem grossten Teile des menschlichen Geschlechts, aus Absichten, woraus diese Herren billig ein Geheimnis machen, eifrigst unterhalten werden.

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uber die bloss intellectualischen Gegenstande lediglich auf diese einfaltigen Wahrheiten ein, welche das allgemeine Gefuhl erreichen kann, welche die Vernunft bekraftiget, und deren wohltatiger Einfluss auf den Wohlstand unsers Privat-Systems so wohl als auf das allgemeine Beste allein schon genugsam ist, ihren Wert zu beweisen. Es lasst sich also ganz sicher von dem

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andern Instincts grundet, von dessen fiebrischen Symptomen die ihrige allezeit frei geblieben war. Sie hatten damals schon ein sonderbares Vergnugen daran gefunden, sich einzubilden, dass ihre Seelen wenigstens einander verschwistert seien, da sie nicht Grund genug hatten,

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nicht entschliessen konnte, sein Anliegen denjenigen anzuvertrauen, denen er, diesen einzigen Winkel ausgenommen, das Innerste seiner Seele aufzuschliessen pflegte Wohin uns diese Vorbereitung wohl fuhren soll? werden vielleicht einige von unsern scharfsinnigen Lesern denken

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"Und warum nicht? nachdem wir nun einmal wissen, wie glucklich wir unsern Freund Agathon dadurch machen konnten" Aber wo bleibt alsdann das Vergnugen der Uberraschung, welches andre Autoren ihren Lesern mit so vieler Muhe und Kunst zu zuwenden pflegen. Es bleibt aus,

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eines so liebenswurdigen jungen Herrn, als die schone Psyche zu sein schien; sie pflegte seiner, so gut es nur immer moglich war, und konnte sich nicht satt an ihm sehen. Es war ihr immer, sagte sie, als ob sie schon einmal ein solches Gesicht gesehen hatte, wie das seinige; und sie konnte es kaum erwarten, bis der schone Fremdling im

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ohne Divination vorhersehen konnte Agathon hatte zwar viel fruher zu leben angefangen, als es gemeiniglich geschieht; aber er war doch noch lange nicht alt genug, um sich von der Welt ganzlich zuruckzuziehen. Indessen hielt er sich, nachdem er schon zu zweien malen eine nicht

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Privat-Lebens zuruckzuziehen; und hierin stimmten die Grundsatze des weisen Archytas vollig mit seiner Art zu denken uberein. Ein Mann von mehr als gewohnlicher Fahigkeit, sagte Archytas, hat zu tun genug, an seiner eigenen Besserung und Vervollkommnung zu arbeiten; er ist am geschicktesten zu dieser Beschaftigung, nachdem er durch

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aber doch zuverlassigen Erkenntnis der Natur und ihrer majestatisch-einfaltigen, weisen und wohltatigen Gesetze fuhrt. Er verband mit diesen erhabenen Studien, worin ihm die Anleitung des Archytas vorzuglich zu statten kam, das Lesen der besten Schriftsteller von allen Classen, insonderheit der Geschichtschreiber,

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eine der edelsten und nutzlichsten, oder fur eine der nichtswurdigsten Speculationen hielt, je nachdem es auf eine philosophische oder bloss mechanische Art getrieben werde. Nicht selten setzte er diese anstrengenden Beschaftigungen bei

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hat, konnen uns am besten sagen, woran wir uns halten sollen; und dahin mussen, fruher oder spater, die grossesten Geister zuruckkommen, wenn

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Altvaters Noah allenthalben herumzuflattern und nirgends Ruhe zu finden.Bei allen diesen manchfaltigen Beschaftigungen, womit unser ehmaliger Held seine Musse zu seinem eigenen Vorteil erfullte, blieben ihm doch viele Stunden ubrig, welche der Freundschaft und dem geselligen Vergnugen gewidmet

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Vermogen sein musse; aber es war bisher unmoglich gewesen, ihren Namen und vorigen Aufenthalt, oder was sie bewogen haben konnte, ihn zu verandern, und in einer ganzlichen Abgeschiedenheit von der Welt zu leben, auszuforschen. Das Geruchte sagte Wunder von ihrer Schonheit; indessen war doch niemand der sich ruhmen konnte, sie gesehen zu haben.

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eine Zeit lang vieles und desto mehr von ihr gesprochen, je weniger man wusste; allein da sie fest entschlossen schien, sich nichts darum zu bekummern; so hatte man endlich auf einmal aufgehort von ihr zu reden, und es der Zeit uberlassen, das

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, zu vermuten, dass in der ganzlichen Abgeschiedenheit, worin unsre Heldin lebte, jene sich endlich ganzlich in dieser verloren haben wurde. Allein eben darum, weil ihre Liebe zur Tugend aufrichtig war, machte sie sich

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Begeistrung, worein sie durch ihn allein zum ersten mal in ihrem Leben gesetzt worden, ihrer Seele wie ein neues Wesen gegeben, zu machen er Ursache finden wurde sie, wo nicht immer zu entschuldigen, doch mehr zu bedauren als zu

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Danae wurde indessen mit der Familie des Archytas bekannt, man musste sie lieben, sobald man sie sah; und sie gewann desto mehr dabei, je besser man sie kennen lernte. Es war uberdies eine von

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, beherrschet worden. Er konnte den Grund nicht einsehen, warum eben in diesen Landern eine der ubrigen Welt unbekannte Art zu herrschen ublich ware: und begriff nicht, wie unter vielen gleichmachtigen einmuthige

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ist es schon: er findet mehr Vergnugen im Umgange mit einer einzigen Geliebten, die Reitze genug fur ihn hat, aber deren Sitten, deren Auferziehung, deren Witz, und deren Wissenschaft, sie zum Umgange angenehmer machen, als erkaufte Sclavinnen, die nichts als die leichte Kunst zu

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Deutung haben konnten. Er sorgte, dass sie einfach waren, dass sie aus den allgemeinsten Fallen durch ordentliche Treppen auf die besondern herunter stiegen, dass sie mit einander in ein harmonisches Ganzes ubereinstimmten, und dass sie viele Falle entschieden, ohne dieselben einzeln zu nennen. Der Gesetzgeber muss alle einzelne Falle sich vorstellen, und

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, die sowohl die zur Unruh geneigten Hirkanier, als die benachbarten wilden Truchmannen in den Schranken halten sollten. Er ruhmte den Fleiss der Burger des blumichten Reschd, die mehr Mittel sich zu erwerben wussten, als ganze Provinzen.

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Die Kaiserin kannte an ihrer Tochter eine Entschlossenheit, dadurch sie ihrem standhaften Vater gleich kam: Liosua verlangte zu wissen, was der Furstin an dem jungen Haider missfallen konnte.Nuschirwani unterdruckte lang ihren geheimen Widerwillen, sie konnte aber der Liebe ihrer Mutter nicht widerstehen, und endlich gestund sie: wenn sie sich vermahlen sollte,

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unter den gewaltsamsten Regierungen heilig geblieben. Die Landschaften fanden ein leichtes Mittel, dass keine Rauberey mehr so leicht ihnen zur Last gereichen konnte. Sie nahmen Strassenreuter16 an, deren Anzahl der Gefahr nach bestimmt wurde, und diese leichte Anstalt reinigte sehr bald die Strassen so vollkommen, dass

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seit so vielen Jahren von mir verdient hat, da ich in Ihrer vortrefflichen Seele alle treue und zartliche Sorgfalt gefunden habe, die ich nur immer von meiner wahren Mutter hatte geniessen konnen. Und doch muss ich bekennen, dass

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Grosse; vortrefflich gewachsen; ein langlich Gesicht voll Seele; schone braune Augen, voll Geist und Gute, einen schonen Mund, schone Zahne. Die Stirne hoch, und, um schon zu sein, etwas zu gross, und doch konnte man sie

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ist so kurz, wir haben so viel zu betrachten, wenn wir unsre Wohnung, die Erde, kennen, und so viel zu lernen, wenn wir alle Krafte unsers Geistes (die uns nicht umsonst gegeben sind) gebrauchen wollen; wir konnen so viel Gutes tun dass es mir einen Abscheu gibt, wenn ich von einer Sache reden hore, um

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Warum? sagte mein Herz, warum kostet es die Leute weniger, sich den oft bloss willkurlichen Gesetzen eines Menschen zu unterwerfen, als den einfachen, wohltatigen Vorschriften, die der ewige Gesetzgeber zum Besten unsrer Nebenmenschen angeordnet hat? Warum darf man niemand erinnern, dass

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Geschicklichkeit, womit sie das Klavier spielt, und welche genug ware, hundert andere stolz zu machen, nur darum, weil sie ihrer Freundin dadurch Vergnugen machen kann, einigen Wert beizulegen scheint. Ich kann nicht vergessen, unter den ubrigen wurdigen Damen

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, zu denen sie von ihrem Schicksal angewiesen worden, mit den Pflichten der vollkommenen Tugend, welche zu dem Grundbau unserer ewigen Gluckseligkeit erfodert wird. Es lasst sich eine Verbindung denken; allein es ist so schwer, sie immer in einer gleichen Starke zu erhalten, dass mich nicht wundert, so wenig Personen zu sehen, die darum bekummert sind. Wie oft denke ich,

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ihm alles leicht und angenehm machen. Die Kenntnis des menschlichen Herzens wurde seinem feinen Geiste den Weg weisen, das Vertrauen des Fursten zu gewinnen; seine Rechtschaffenheit, tiefe Einsicht und Starke der Seele, fanden dadurch ihre naturliche Obermacht unterstutzt, so dass die ubrigen Hof-

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. Dieser kleinen List, mich ganz zu kennen, setzte ich die entgegen, allezeit, wenn sie mich horen konnte, etwas Vernunftiges zu sagen oder den Diskurs abzubrechen und recht altklug auszusehen. Aber ob schon ihre Zuruckhaltung

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dieser Gelegenheit macht, gab letzthin dem ganzen Adel auf seinem Gute ein recht artig Festin, wobei wir alle in Bauerkleidungen erscheinen mussten.Wir kamen nachmittags zusammen, und unsre Bauerkleider machten eine schone Probe, was naturlich edle oder was

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; sein frostiges storriges Aussehen, womit er die freundlichsten Blicke ihrer schonen Augen erwiderte, machte endlich, dass sie ihn nicht mehr ansah; aber goss zugleich eine Niedergeschlagenheit uber ihr ganzes Wesen aus, welche die edle Anmut ihres unnachahmlichen Tanzes auf eine entzuckende Art vergrosserte.

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Seite die magische Sympathie der Schwarmerei zu schwachen suche, die in einem einzigen Augenblick zwischen ihr und Seymourn entstehen konnte, wenn sie jemals einander im Umgang nahe genug kamen, den so gleich gestimmten Ton ihrer Seelen zu horen. Doch dem bin ich ziemlich zuvorkommen, indem

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und Gerausch emporten Sinnen gewesen sei. Ich weiss wohl, dass man bei diesen Umstanden unvermerkt von der Bahn der moralischen Empfindungen abweicht und sie aus dem Gesichte verliert. Aber da sie die letzte Warnung ihres guten Genius verwarf und wenige Minuten darauf der angestellten

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ohne im geringsten gesucht oder gezwungen zu scheinen. Das feine ganz nachlassig aufgesetzte Strohhutgen und meine simpel geflochtnen Haare machten meinem Gesicht Ehre. Sie wissen, dass mir viele Liebe fur die Einfalt und die ungekunstelten Tugenden des Landvolks eingeflosst worden ist.

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ist die ganze Welt berechtigt; aber bessere Gesinnungen mussen durch Tugenden erworben werden.Nun glaube ich aber notig zu sagen, dass mein ganzer Plan fur die Familie T* umgearbeitet werden musse, wenn sie ein sicheres Einkommen erhalten. Ich uberlasse es Ihrem

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.Wir brauchen Nahrung, um die Krafte unsers Korpers zu unterhalten. Und diesen Endzweck der Natur konnen wir durch die simpelsten Speisen am leichtesten erreichen. Diese werden von dem kleinen Einkommen nicht zuviel wegnehmen und wir folgen dadurch der Stimme der Natur fur unsre Gesundheit und geben zugleich unserm Schicksal nach,

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so etwas sage und, wenn sie mich sehen oder horen kann, mich sehr weislich und zuchtig auffuhre.Von Mylord G. weiss ich, dass man bei Hof verschiedene Anschlage macht, ihren Kopf zu gewinnen; das Herz, denken sie, haben sie schon, weil sie gerne Gutes tut und ihr

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der mich gerne singen hort, gefallig sein, weil man glaubt, der Prozess meines Oncles gewinne dabei, und ich will ihm lieber vor der ganzen Welt singen als noch einmal in unsern Garten,

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Hulfe eines edeln Herzens anzunehmen; ich konnte auf ewig ihres zartlichen Danks und ihrer Hochachtung versichert sein; sie ginge alle Bedenklichkeiten wegen der Bekanntmachung unsers Bundnisses ein; es ware ihr selbst angenehm, wenn alles stille bleiben konnte, und

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Ausnahme zu fodern, und sie sei so liebenswurdig, dass man unmoglich nur seinen Spass mit ihr treiben konne. Da mogen sie nun die angewiesne naturliche Bestrafung ihrer Torheiten annehmen, indessen wir die Belohnung unsers Witzes geniessen. Gewiss,

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mit so vieler Lustigkeit in ihrem schandlichen Putz zu zeigen. Ich setzte hinzu: dass alle Welt sie verachtete, sie, die man angebetet habe. Meine erste Anrede brachte das vollkommenste Erstaunen in ihr hervor; sie konnte nichts sagen, als

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durch einen blendenden Schein geraten war, nun auf einen ebnen Weg geleitet worden ist, dessen Seiten freilich mit keinen glanzenden Palasten und prachtigen Auftritten der grossen Welt umfasst sind, aber dagegen jedem ihrer Blicke die reinen Reize der unverdorbenen Natur in ihren physischen und moralischen Wirkungen zeiget.

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meiner Kleider lassen meine ganze Weiblichkeit zufrieden vom Spiegel gehen; und was bleibt meiner hochsten Einbildung noch zu wunschen ubrig, da ich mich in dieser geringen Kleidung mit Liebe und Ehrfurcht betrachtet sehe und diese Gesinnungen allein dem Ausdruck meines moralischen Charakters zu danken habe?Ich stehe fruh auf,

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mit der grossten Punktlichkeit und ausserordentlich fein nachahmte.Die ganze Familie liebt und segnet mich. Madam Hills lasst bereits die Steine zum Gesindhaus fuhren und behauen. Denken Sie nicht, beste Freundin, dass sich zu gleicher Zeit dauerhafte Grundteile eines neuen moralischen Glucksbaues in meiner Seele sammlen, worin meine Empfindungen Schutz und Nahrung finden werden,

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Gluck, wovon Sie reden, ist meistens nur in der feurigen Phantasie eines itzt brennenden Liebhabers und verschwindet, sobald die erloschene Flamme ihr Zeit gibt, sich wieder abzukuhlen.""Dieses, meine geliebte Frau von C-, kann wahr sein, wenn die Liebe eines jungen Mannes allein durch die

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und die geringsten Arten von Blumchen vergnugte Stunden geben konnen; und sie denken also wohl, dass ich in unserm Park diese alten Freunde meiner besten Lebenszeit aufsuche und mit Ruhrung betrachte. Denn immer binden sich in

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es ist ganz einfach, aber in dem edelsten Geschmacke gebauet. Die besten Auszierungen des Innern bestehen aus verschiedenen schonen Sammlungen von Naturalien, aus einem vollstandigen Vorrat mathematischer Instrumenten und einer grossen Buchersammlung, worunter zwanzig Folianten sind, in denen er beinahe alle merkwurdige

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Vorschriften der mannigfaltigen Mittel geraten, wie alle auf ihre Art nutzlich und gut gemacht werden konnten."Es ist schon lang geschehen", sagte er, "aber es gibt zu viel unverbesserlichen moralischen Boden, wo der beste Bau und Samen verloren ist."

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, von denen man ihnen redete oder die sie verursachten, machten wenig Eindruck und brachten selten eine anteilnehmende Bewegung hervor. Aber sie werden auch selten gewohnt, an den innerlichen Wert oder die wahre Beschaffenheit der Sachen zu denken; durch ausserlichen Glanz verblenden sie und werden verblendet. Witz

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ist der grosse Haufe nicht fahig zu begreifen: und daher pflegt man ihn immer gerne glauben zu lassen, was seinen Begriffen nach, denen die ihn regieren, die meiste Ehre macht. Die Welt wird nur darum so viel

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Betrug haben einerlei Gesicht, reden einerlei Sprache, tragen einerlei Farbe; ja, der feine Betruger (das schadlichste unter allen schadlichen Geschopfen) weiss das ausserliche Ansehen gesunder Grundsatze und untadeliger Sitten gemeiniglich besser zu behaupten als der

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geschminkten Betrug unterscheiden zu konnen? Das verhute der Himmel! Wer die Wahrheit aufrichtig liebt (und was kann ohne sie liebenswurdig sein?), wer auch als dann sie liebt, wenn sie nicht schmeichelt, der hat nur geubte Augen vonnoten, um ihre feineren Zuge zu unterscheiden, welche selten so gut nachgemacht werden konnen, dass die Kunst sich nicht verraten sollte. Und um diese geubten Augen zu

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von ihm sagen liess. Der einzige Chronikschreiber, der seiner gedenkt, lasst sich also vernehmen: "Sultan Lolo", sagt er, "vegetierte einundsechzig Jahre. Er ass taglich viermal mit bewundernswurdigem Appetit, und ausser diesem, und einer sehr zartlichen Liebe zu

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einer Amme erzogen zu werden, deren Mutter eben dieses ehrenvolle Amt bei der unnachahmlichen Scheherezade verwaltet hatte. Alle Umstande mussten sich vereinigen, diesen Prinzen zum unmassigsten Liebhaber von Marchen, den man je gekannt hat, zu machen. Nicht genug, dass ihm der Geschmack daran mit der ersten Nahrung eingeflosst,

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und Anhoren lehrreicher Historien von beseelten Sofas, politischen Bals, und empfindsamen Ganschen in rosenfarbem Domino, zuzubringen pflegte) von seiner Kindheit an so viele Marchen zu sich nehmen mussen, dass er sich endlich einen Ekel daran gehort hatte. Dies war das ganze Geheimnis; und uns deucht, es ist nichts darin, woruber man sich so sehr zu verwundern Ursache hatte.

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nicht wieder gut machen konne. In beiden pflegte er so wenig Mass zu halten, so wenig Rucksicht auf Umstande und Folgen zu nehmen, so wenig nach Grundsatzen und nach einem festen Plane zu verfahren, dass er meistens immer den Vorteil verlor, den er sich dabei vorsetzte. Man wusste so viele Beispiele anzufuhren, wo er seine besten Freunde misshandelt hatte, um die ubelgesinntesten Leute mit

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scherzend auch wenig schmeichelnde Wahrheiten sagen durfte. Er wollte immer von aufgeweckten Geistern umgeben sein. Ein schimmernder Einfall hiess ihm allezeit ein guter Einfall; allein dafur fand er auch den besten Gedanken platt, der

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Hof war unstreitig der prachtigste in Asien. Er hatte die besten Tanzerinnen, die besten Gaukler, die besten Jagdpferde, die besten Koche, die witzigsten Hofnarren, die schonsten Pagen und Sklavinnen, die grossten Trabanten und die kleinsten Zwerge, die jemals ein Sultan gehabt hat;

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sie von guter Hand, und ware vollig uberzeugt, dass die letztern wirklich von besagtem Sultan herruhrten: allein dies hindert nicht, dass der geneigte Leser nicht davon sollte glauben durfen was ihm beliebt. Wenigstens scheinen sie dem Charakter Schach-Gebals ziemlich gemass; und eben daher wurde es unbillig sein, zu verlangen, dass sie so sinnreich und unterhaltend sein sollten, als

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, zu grossem Nachteile der armen Scheschianer, so lange, bis etliche von den schwachsten den Vorschlag taten: dass sich die samtlichen Rajas, um der allgemeinen Sicherheit willen, einem gemeinschaftlichen Oberhaupte unterwerfen sollten. Die machtigsten liessen sich diesen Vorschlag belieben, weil

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ihn selbst fallen wurde. Aber kaum war diese entschieden: so fand sich, dass man nicht das beste Mittel die Ruhe herzustellen gewahlt hatte.Der neue Konig war des Vorzugs wurdig, den ihm die Nation beigelegt hatte. Die Achtung fur seine personlichen Verdienste unterstutzte eine Zeit lang seine Bemuhungen,

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erster Grundsatz schien zu sein, den gegenwartigen Augenblick zum Vorteil ihrer ausschweifenden Luste auszunutzen, ohne sich darum zu bekummern, was die naturlichen Folgen davon sein mochten. Diese Herren fanden nicht das geringste weder in ihrem

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von Scheschian herab gedruckt wurden. Eine allgemeine Verwilderung wurde sie in kurzem wieder in den namlichen Stand versetzt haben, aus welchem der grosse Affe, ihrem angeerbten Wahn zu Folge, ihre Stammeltern gezogen hatte: in einen Stand, worin sie sich wenigstens mit der Unmoglichkeit noch tiefer zu sinken hatten trosten konnen; wenn

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dass sie bald in ihrer eigenen Person sprechen, bald ihren Autor reden lassen wird, ohne dass wir notig finden, jedesmal besondere Anzeige zu tun, wer die redende Person sei; ein Umstand, woran dem Leser wenig gelegen ist, und den wir seiner eigenen Scharfsinnigkeit ruhig uberlassen konnen."

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"Der beste Sultan bleibt doch immer Sultan, wie man sieht. Diese Drohung, mit einer gewissen Miene begleitet, welche wenigstens besorgen liess, dass er fahig sein konnte Ernst daraus zu machen,

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meinen Iman kommen liesse, die Frage zu entscheiden?" sagte der Sultan."Sein Ausspruch lasst sich erraten, ohne dass man darum mehr von der Kabbala zu verstehen notig hat als andre", versetzte Danischmend.

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"Ich stehe Ihrer Hoheit mit meinen Augenbraunen dafur", sagte Danischmend, "dass weder Bucklige noch Kalender in meiner Erzahlung vorkommen, und dass alles so naturlich darin zugehen soll, als man es nur wunschen kann.Zu den Zeiten des besagten Kalifen also begab sich, dass ein reicher Emir aus

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gute Emir weder jemals einen gesehen, noch fur moglich gehalten hatte dass es einen solchen geben konnte. Munterkeit des Geistes glanzte aus seinen noch lebhaften Augen; achtzig Jahre eines glucklichen Lebens hatten nur schwache Furchen auf seiner heiter ausgebreiteten Stirne gezogen, und

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aufgetragen, wobei der Emir eine neue Erfahrung machte, die ihm, der so wenig gewohnt war uber irgend etwas zu denken, die unbegreiflichste Sache von der Welt zu sein deuchte. Allein, eh ich mich hieruber erklaren kann, seh ich mich genotigt, eine kleine Abschweifung uber

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, die nachteiligen Wirkungen derselben zu beschleunigen. Er setzte ihn darein, die schonsten Frauen, die besten Weine, und die gelehrtesten Koche von ganz Asien zu besitzen: aber auch daran genugte ihm noch nicht; er beeiferte sich auch, der grosste Esser, der grosste Trinker, und der grosste Held in

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um einen unverdorbenen Geschmack ohne Nachteil der Gesundheit zu vergnugen. Es ist wahr, gewisse feine Kunstgriffe waren dabei beobachtet, die entweder ihrer Einfalt wegen den gelehrten Kochen des Emirs unbekannt geblieben waren, oder vielleicht eine Aufmerksamkeit erfoderten, wozu sich diese wichtigen Leute die Muhe nicht nehmen mochten; indessen war es doch hauptsachlich bloss die naturliche Gute der

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einer Grazie schlummernd. Der Alte lag bereits auf seinem Ruhebette, und drei angenehme Frauenzimmer schienen beschaftigt, seinen Schlummer zu befordern. Eine, welche dem schonsten Herbsttage glich, den man sehen kann,

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Der Emir konnte nicht aufhoren sich selbst zu betrugen, bis endlich die Sklavin, welche seinen Eigensinn wirklich unbillig fand, fur besser hielt sich zuruck zu ziehen, indem sie ihm so wohl zu schlafen wunschte als er konnte."

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sich nicht erwehren konnte, sie bei aller ihrer nutzlichen Einfalt und anscheinenden Wildheit schon zu finden, ward er den Alten gewahr, der, halb von Gestrauchen bedeckt, sich mit kleinen Gartnerarbeiten beschaftigte, welche der Emir nie gewurdiget hatte, sich einen Begriff davon zu erwerben. Die

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unser Gesetzgeber wurdig gefunden hat, ihr die Heiligkeit einer unverletzlichen Pflicht zu geben) ist es ohne Zweifel beizumessen, dass du in allen unsern Talern keine Person weder von unserm noch vom andern Geschlechte finden wirst, welche nicht jenseits der Gebirge fur eine seltene Schonheit gelten sollte.

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du uns hast leben gesehen, machte unsre Leute mit Bequemlichkeiten und Vergnugungen bekannt, die ihre Begierden reizen mussten, und kaum ward er gewahr dass er diesen Zweck erhalten habe,

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'welcher unsre Polizei betrifft, werde ich dir am besten durch eine Beschreibung unsrer Lebensart und unsrer Sitten begreiflich machen. Unsre kleine Nation, welche ungefahr aus funfhundert Stammfamilien besteht, lebt in einer vollkommenen Gleichheit;

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uns einen grossern Umfang von Land uberlassen, als wir in etlichen Jahrhunderten bevolkern werden. Unser Gesetzgeber urteilte mit gutem Grunde, dass es zu Erhaltung unsrer Verfassung notig sei, immer ein kleines Volk zu bleiben. Er

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als sie vonnoten haben, um als Mitglieder unsrer Gesellschaft glucklich zu sein. Wenn sie richtig genug empfinden und denken, um unsre Verfassung fur die beste aller moglichen zu halten, so sind sie gelehrt genug. Jeder hohere Grad von

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hat, vermahlt wird. Denn die Liebe allein stiftet unsre Heiraten. Im dreissigsten Jahr ist ein jeder verbunden, zu seiner ersten Frau die zweite, und im vierzigsten die dritte zu nehmen, wofern er nicht hinlangliche Ursachen dagegen anfuhren kann, wovon wir kein

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mit allen geselligen Trieben verbunden hat, vermutlich in einem hohern Grade als die ubrigen Sterblichen; wir werden unsers Daseins vollkommner und langer froh; wir kennen die wenigsten von der unendlichen Menge ihrer

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der Welt gabe, wie diese so genannten Kinder der Natur, so glaube er doch, dass man besser tun wurde, die Nachrichten davon entweder ganzlich zu unterdrucken, oder wenigstens nicht unter das Volk kommen zu lassen."

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ich weiss nicht was fur idealischen Menschen, die man unter dem angeblichen Zepter der Natur ein sorgenfreies, aus lauter Wollust und angenehmen Empfindungen zusammen gewebtes Leben zubringen lasst. Je unschuldiger und liebenswurdiger man ihre Sitten vorstellt, desto schadlicher ist der

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das Verlangen allgemein macht, auch so glucklich zu sein als diese angeblichen Gunstlinge der Natur, deren wollustige Moral man uns fur Weisheit gibt) zuwege zu bringen, dass sich endlich niemand mehr willig finden wird, das Feld zu bauen, harte

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weichliche Seele fahig ist,12 sich in die Wette beeifern, es in einer gewissen Art von nutzlichen Beschaftigungen zur Vollkommemheit zu bringen. Ist es wohl jemals zu erwarten, dass ein wollustiger Kaufmann reich, ein wollustiger Kunstler geschickt, oder ein wollustiger Gelehrter gross werden konne? Wird diese Anmerkung nicht wenigstens ganz gewiss von den meisten gelten? Oder sollen wir etwann glauben, ein wollustiger Richter werde sein Amt desto punktlicher und gewissenhafter verwalten, oder ein weichlicher Feldherr aus dem Schosse der Uppigkeit desto tapferer hervorgehen,

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uber die innerlichen Angelegenheiten von funf oder sechs der schonsten Damen in Dely die Aufsicht zu fuhren, und alle Monate hundert Bahamd'or in Ihren Beutel fallen zu lassen, welche zu erschwingen hundert arme Landleute sich zu Gerippen arbeiten und hungern mussen, stellen Sich vielleicht den Zustand

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man sie nennen will, hinein wunschen, wo das angenehmste Leben so wenig kostet: aber man wird des Wunschens bald uberdrussig sein; und ohne zu hoffen, dass man unversehens einen schonen Muschelwagen mit sechs geflugelten Einhornern vor seiner Ture finden werde,

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Verwandlung am meisten zu verlieren haben.""Die Gefahr scheint grosser als sie ist", sagte Nurmahal: "sechzig Millionen Menschen, wenn gleich ihr Gesetzgeber der Engel Jesrad selber ware, wurden nicht zehen Jahre ohne Sultan und ohne Iman aushalten konnen.""Das hoffen wir auch", sagte der Sultan. "Indessen bleibt es bei

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eine Gesetzgebung erfinden konnen, wodurch durch alle Angehorige eines grossen Staats so frei, ruhig, unschuldig und angenehm leben konnten als die so genannten Kinder der Natur. Die Ursachen fallen in die

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des Mittelstandes erhalten werden, woran seine Gluckseligkeit gebunden ist. Aber ein grosses Volk hat Leidenschaften vonnoten, um in die starke und anhaltende Bewegung gesetzt zu werden, welche zu seinem politischen Leben erfodert wird. Alles was der weiseste Gesetzgeber dabei tun kann,

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sie sein mogen, deucht mir die naturlichste und einfaltigste Methode gerade die beste. Diese Maxime gilt vornehmlich, wenn von politischen Aufgaben die Rede ist, wo ganz unfehlbar die verwickelten und weitlaufigen Auflosungen noch unbrauchbarer sind als

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ohne alles naturliche Gefuhl verloren zu haben, moglich sei mit ihrem Zustande zufrieden zu sein. Unter uns gesagt, schone Lili, das sind wir ihnen schuldig, in einem unendliche Mal verbindlichern Grade schuldig, als wir es sind unsre Spielschulden zu bezahlen. Aber wenn dies auch nicht ware, so

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Reizungen, deren Macht unsern ausgearteten unbegreiflich ist. Der Landmann zieht die angenehmen Gefuhle, womit sie seine Arbeiten teils verwebet, teils belohnet, darum mit nicht desto weniger Wollust in sich hinein, weil er ihnen keinen Namen geben, oder sie nicht so zierlich beschreiben kann, wie unsre Dichter, die sie vielleicht nur durch die Anstrengung ihrer Einbildungskraft kennen. Welche

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Welche von besagten beiden Arten von Vergiftern die schadlichste sei, ist eine Aufgabe, die vielleicht nicht unwurdig ware, von der Akademie Ihrer Majestat entschieden zu werden. Aber, wenn wahr ist, was man bemerkt haben will, dass sich jene gemeiniglich in diese verwandeln, so konnte man auf den Gedanken kommen, die Denkungsart der letztern aus einem hohern Grade von Verderbnis der Natur zu erklaren. Doch, wie dem auch sei, die

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seine Sinne gemacht wird, zu urteilen, erwartete von der Regierung eines so guten Prinzen goldne Zeiten, und hatte unrecht; es betete ihn zum voraus deswegen an, und hatte unrecht; es hassete und verachtete ihn zwanzig Jahre hernach eben so unmassig als es

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Um der menschlichen Natur und dem guten Sultan Azor das gebuhrende Recht angedeihen zu lassen, wollen wir lieber ohne alle Worterpracht heraus sagen: Er befand sich nicht in den glucklichen Umstanden, welche sich vereinigen mussen, um aus einem jungen Prinzen von der besten Anlage einen vortrefflichen Fursten zu bilden. So

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ich noch hinzu setzen, dass ich sehr daran zweifle, ob jemals einer von uns nur halb so gut gewesen ist, als er unter gunstigern Umstanden hatte sein konnen."Es schwebte dem naseweisen Danischmend auf der Zunge, zu sagen: oder nur halb so gut, als

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Veranderungen am gewissesten sagen konnte, war, dass der Staat gemeiniglich mehr dabei verlor als gewann.""Ich bin zwar bereits uber zwanzig Jahre Sultan", sagte hier Schach-Gebal lachelnd: "aber ich mochte doch bei dieser Gelegenheit gerne von dir horen, Danischmend, was ihr andern weisen Leute unter den Pflichten eines Konigs versteht.""Sire", versetzte Danischmend,

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das sie tun konnten, wirklich zu tun; alles Bose, das sie verhindern konnten, wirklich zu verhindern; kurz, sie begriffen so viele und muhsame

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ihre Krafte zusammen setzten, die kleine Anzahl angenehmer Ruhrungen, deren die sparsame Natur den Menschen fahig gemacht hat, ins unendliche zu verandern, zu vervielfaltigen, zu vermischen, zu erhohen, und durch tausend geschickt verborgene Handgriffe diese angenehmen Tauschungen hervorzubringen, die den Uberdruss betrugen, und

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Augenbraunen und blasenden Backen vor mir stehen sehe. Es ist unangenehm, dass unsre Schriftsteller noch immer den rechten Ton so gern verfehlen, und uns aufgedunsene Perioden, worin irgend ein alltaglicher

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viel zu tun, einem jeden das Seine zu geben, dass ihm wenig oder keine Gnaden zu erteilen ubrig blieben; jede Ehrenstelle oder Bedienung erfodre gewisse Talente und Tugenden, und musse also mit demjenigen besetzt werden, welcher die grossten Proben gegeben habe,

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herrschten, machten die Folgen einer so ubel besorgten Staatsverwaltung eine Zeit lang im ganzen unmerklich. Wie leicht werden zehen tausend unterdruckte Burger unter einer grossen, geschaftigen, mutvollen, und von Entwurfen einer schimmernden Gluckseligkeit schwellenden Nation ubersehen!

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Systems, worin damals die Staaten des ostlichen und mitternachtlichen Teils von Asien verbunden waren, eine Veranderung, wobei der Hof von Scheschian unmoglich gleichgultig bleiben konnte, gab dem jungen Konige Gelegenheit wahrzunehmen, dass seine Geschafte sehr ubel besorgt wurden.

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sich nicht besser befinden als sie tun wurden, wenn er ein Tyrann ware.""Sire", erwiderte die schone Nurmahal, "erlauben Sie mir zu sagen, dass Sie ein wenig zu strenge mit dem guten Konig Azor verfahren. Er war wirklich einer der liebenswurdigsten Prinzen seiner

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mit einer zierlich ausgeschnittenen papiernen Gans in rosenfarbnem Domino, von seiner eigenen Arbeit, ausser einem grossen Korb voll Zuckerwerk, den ich, sobald es moglich war zu entwischen, zu den Fussen meiner kleinen Matresse, einer jungen Sklavin der

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"So sage ich, dass wenigstens drei gegen eins zu wetten ist, dass die meisten Sultanen weder mehr noch weniger tun wurden als ihnen beliebt, wenn sie gleich den Konfucius

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eines Ihrer grossen Hunde, ein einziger von tausend Umstanden von dieser Wichtigkeit ware hinlanglich gewesen, die Wirkung der besten Vorstellung zu vernichten. Doch, gesetzt der Freund hatte den gunstigen Augenblick ergriffen: wie leicht konnte es ihm,

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dem Glucke fehlen, seiner Vorstellung die rechte Wendung zu geben! Wie leicht hatte ein einziges Wort, das ihm entschlupft ware, alles wieder verderben konnen, was zwanzig gluckliche Vorstellungen gut gemacht hatten! Und dennoch, setzen wir abermal, es sei ihm gelungen

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eine Viertelstunde darauf, durch eine Gegenvorstellung eines andern wohl meinenden Dieners, oder durch einen einzigen Blick, im Notfalle durch ein einziges kleines erkunsteltes Tranchen einer geliebten Alabanda, wieder ausgeloscht worden ware! Ich stelle mir zum Beispiele vor, die schone Alabanda trate gerade zur namlichen Zeit in

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und Eifer genug leihen wollen, gegen irgend eine neue kostbare Grille, wovon die Phantasie der schonen Favoritin kurzlich entbunden worden, im Namen des gemeinen Besten Vorstellungen zu tun.'Ich komme' (sagt sie mit

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Augen kurz, die angenehmste Aussohnung erfolgt (nach keiner langern Weigerung, als die Dame notig glaubt um den Wert davon zu erhohen) auf diesen kleinen Sturm; Alabanda befestiget sich in dem Herzen des zartlichen Sultans;

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eine Minute lang zu ertragen fahig gewesen waren. Aber weder Azor noch Alabanda wussten, dass diese hunderttausend Unzen Silbers, die an einem einzigen Feste in mutwilliger Uppigkeit verschwendet wurden, den Wert des Brotes ausmachten, welches an eben diesem Tage zweimal hunderttausend Familien hatte sattigen sollen, wenn

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, einen auswartigen Feind durch ihren blossen Anblick abzuschrecken, oder ihn wenigstens unfehlbar durch Hunger aufzureiben, eh es ihm moglich ware ins Innere des Reichs einzudringen.Um das Ungluck von Scheschian vollstandig zu machen, spielten die abgottischen Priester dieses

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denselben Gelegenheit gegeben haben sollen, dass die Nation sich in verschiedene Parteien zerspaltet, aus deren heftigem Zusammenstoss endlich einer der wutendsten Burgerkriege, wovon man jemals ein Beispiel gesehen, entstanden sei. Der ganzliche Untergang des

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: so schmiegten sie sich endlich unter ihr Schicksal, und betrugen sich ungefahr so, wie eine handelnde Nation, welche sich genotiget sieht, gewisse Zweige von Gewerbe, wiewohl mit augenscheinlichem Verluste, bloss deswegen fortzufuhren,

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man nicht verstopfen darf, auch wenn man es konnte, der haufige Missbrauch von Dingen, wovon der rechte Gebrauch der menschlichen Gesellschaft nutzlich ist, und welchem abzuhelfen man bisher noch keine andre Mittel erfunden hat,

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man sich davon macht, klarten sich je langer je mehr auf. Die Vorteile dieser glucklichen Veranderung verbreiteten sich uber das ganze Reich, wiewohl sie nur von scharfsichtigen Beobachtern bemerkt wurden.

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verborgene Schlingen verwickelten. Kurz, diejenigen, die entweder wirklich mehr Witz hatten als andre, oder doch dafur angesehen sein wollten mehr zu haben, fuhlten nicht so bald die Freiheit,

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Frage, woruber ich meine Meinung sagen soll, hatte vorlangst besser als zwanzig andre verdient von unsrer Akademie zu einer Preisfrage gemacht zu werden. Ich unterstehe mich nicht zu sagen, dass ich die Auflosung davon gefunden habe; und mir deucht, diejenigen, welche sie so leicht finden, mochten sich wohl nie die Muhe genommen haben,

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Ubel einen unendlichen und unheilbaren Schaden tut, das andere hingegen unter gewissen Bedingungen ins unendliche vermindert werden kann, notwendig das letztere gewahlt werden musse.Dies vorausgesetzt kommen hier zwei Ubel in

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und Rechtschaffenheit nie verlassen werde, abhangig gemacht? Wenn wir denken durfen, warum sollten wir nicht uber alles denken durfen? Und ist denken nicht etwas andres als nachsprechen? Kann man denken ohne zu untersuchen? oder untersuchen ohne zu zweifeln? Und

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wenn man annehmen wollte, dass es solche gebe, welche man nicht untersuchen durfe, weil schadliche Folgen daher entspringen konnten: wurde die Nation nicht immer in Gefahr schweben, dass es ihren Obern einmal einfallen konnte, die Untersuchung alles dessen fur schadlich zu erklaren, was sie bloss ihres eignen Vorteils wegen nicht untersucht haben wollten? Die Jahrbucher des menschlichen Geschlechts belehren uns, dass unsre Obern zuweilen Tyrannen gewesen sind, oder wenigstens schwach genug, sich von irrigen Meinungen und von Leidenschaften, eigenen oder fremden, beherrschen zu lassen. Auf welchem seichten Grunde wurde demnach die offentliche Gluckseligkeit stehen, wenn es von der Willkur etlicher weniger Sterblichen abhinge, die grossen Triebfedern des allgemeinen Besten der

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Licht zu stellen, und vielleicht die ehrwurdigsten Gegenstande, um unwesentlicher Gebrechen willen, lacherlich zu machen. Man hat uberdies einige Beispiele, dass etwas ungereimt Scheinendes bei anwachsender Einsicht wahr befunden worden, und also aufgehort hat ungereimt zu sein.28 Es ist also moglich, dass

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sie der menschlichen Gesellschaft bringen konnen, wird durch tausend entgegen wirkende Ursachen teils verhutet, teils unmerklich gemacht, und, was das wichtigste ist, er muss, vermoge der Natur der Sache, immer abnehmen.

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von Scheschian konnten nicht anders als bei dieser Freiheit gewinnen. Ja die Bonzen selbst wurden dabei gewonnen haben. Sie wurden anfanglich aus Notwendigkeit, hernach aus Gewohnheit, zuletzt vielleicht aus Neigung und Wahl sich immer weiter von allem demjenigen entfernt haben, was sie einem gerechten Tadel unterwurfig gemacht hatte.

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, so gibt es doch immer einige Flecken wegzuwischen, oder einige kleine Unordnungen an seiner Person zu verbessern. Wer sich keiner grossern Gebrechen bewusst ist, darf getrost hinein sehen; und wer hinein guckt,

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welche so wenig sie auch beim ersten Anblicke zu bedeuten schien, durch ihre Folgen das ganze Reich in Verwirrung setzte. Er hatte namlich gefunden, oder glaubte gefunden zu haben,

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einigen Jahrhunderten geschrieben und ausgesprochen wurde), sondern allezeit Tsao-Faou geschrieben sei. Da nun Tsai in der scheschianischen Sprache allezeit feuerfarben, Tsao hingegen, vermoge eines mit grosser Gelehrsamkeit von

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zu so vielen gelehrten und ausserst interessanten Digressionen Anlass gegeben, dass, ungeachtet des Titels seines Buchs, dasjenige was darin den blauen und feuerfarbnen Affen betraf, kaum den zwanzigsten Teil davon ausmachte. Seine Absicht scheint anfangs nichts weniger gewesen zu

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seines Buches hervor, worin es ihnen nicht sowohl darum zu tun war, zu ergrunden, ob Gorgorix recht oder unrecht habe, als der Welt zu zeigen, dass sie zum wenigsten einen eben so grossen Vorrat von

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Konigin zu uberreden; und die argerliche Chronik sagte sogar, dass er in seinem eigenen Hause Gelegenheit dazu gemacht habe. Ein Beweggrund dieser Art konnte wohl dem Gunstling hinreichend scheinen, Kalaffen, der keine andre als die Verdienste eines geschmeidigen Hoflings aufzuweisen hatte,

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diesem Problem gibt, verdient wenigstens gehort zu werden. "Es ist wirklich eine klagliche Sache", spricht er, "Geschopfe unsrer Gattung ihres besten Vorzugs vor den ubrigen Tieren auf eine so demutigende Art beraubt zu sehen. Und gleichwohl habe ich bisher von den Scheschianern nichts gesagt, was nicht, unter gewissen Voraussetzungen, so glaublich ware als irgend eine andre naturlich Begebenheit.

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und der rohen Einfalt sich des Gehirns eines Volkes bemachtiget und etliche Jahrhunderte Zeit gehabt hat sich fest zu setzen, durch eine stufenweise zunehmende Aufheiterung zwar geschwacht, aber schwerlich anders als nach Verfluss eines langen Zeitraums, und durch eine ununterbrochene Fortdauer der Ursachen welche seinen Untergang befordern, so ganzlich vernichtet werden

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als nur immer moglich sein wurde, hinweg zu glitschen. "Es gibt" (sprach er) "gewisse Leute, die gar zu dumm sind, wie sogar mein guter Oheim Schach-Baham irgendwo angemerkt hat; und gewiss ist dieser

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uberzeugte ihn zuletzt, dass sie wirklich aufgehort haben musse es zu sein; und wozu konnt es ihm helfen, das Unmogliche bewerkstelligen zu wollen?In dieser Verfassung befand sich Azor, als es der persischen Tanzerin, deren bereits in dieser Geschichte Erwahnung geschehen ist,

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zu der neuen Sekte am starksten unterhielt, war der schlaue Einfall, den ein Ya-faou von den Freunden des Oberbonzen Kalaf gehabt hatte, eine Art von religiosen Festen zu erfinden, wobei die Sinne zum Behuf einer fanatischen Andacht auf die angenehmste Weise unterhalten wurden.

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wurde ein gewisser Schnitt von Devotion ein unterscheidendes Merkmal der Hofleute, und jedermann, wer an Erziehung und Lebensart Anspruch machte, bestrebte sich, sie zu kopieren so gut er konnte. Ware dies die schlimmste Wirkung des Einflusses der schonen und devoten Gulnaze gewesen,

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. Weit entfernt zu verlangen, dass seine unuberlegtesten Einfalle fur Gesetze und Gotterspruche gelten sollten, oder, wie viele seines Standes, sich einzubilden, dass Scheschian bloss um seinetwillen aus dem Chaos hervorgegangen sei, und seine Untertanen fur eben so viele Sklaven anzusehen, deren Gluck oder

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Gunstlinge, eben so wert gehalten haben, sich ihnen eben so ganzlich uberlassen haben, und Scheschian wurde glucklich gewesen sein. Aber freilich zeigt uns die Geschichte des ganzen Erdkreises kein einziges Beispiel,

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bei einem jungen Fursten erfodert einen Mann, der mit der warmsten Rechtschaffenheit einen tief sehenden und viel umfassenden Blick, und das reinste sittliche Gefuhl mit der scharfsinnigsten Unterscheidungskraft vereiniget. Keine geringern Eigenschaften setzt die vollkommene Gerechtigkeit voraus, welche

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' (setzte er hinzu) 'wurden durch so viele grosse Eigenschaften vergutet, dass es eben so unbillig als unehrerbietig ware, sich dabei aufzuhalten.'

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; da hingegen die ihrigen ordentlicher Weise nur zum Einpacken der seinigen gebraucht wurden. Sie hatten mehr oder weniger als gewohnliche Menschen sein mussen, wenn sie dieses nicht sehr ubel hatten finden sollen. Sie suchten den Grund davon nicht in der schlechten Beschaffenheit der ubel zubereiteten und

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nach, immer eine Anzahl schoner Seelen, welche (durch gluckliche Zufalle, oder, wie er geneigter war zu glauben, durch die geheimen Veranstaltungen einer wohltatigen Gottheit), wo nicht ganz unverstummelt, doch wenigstens nur mit leichten Beschadigungen, noch ganz leidlich davon gekommen waren.

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in die reizenden Irrgarten des andern sich zu verirren. Diese Leute gaben sich das Ansehen, dem besagten Schriftsteller in allem beizustimmen, einen einzigen Punkt ausgenommen. 'Er hat recht', sagten sie, 'so lang er in seinem wahren Charakter bleibt, so lang er das Eitle der menschlichen Begriffe und Leidenschaften schildert, und

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Menschen Tugend nennen, besteht, wie die Munze in gewissen Landern, in einer Anzahl abgeredeter Zeichen, welche man unter einem gewissen Stempel fur einen gewissen Preis in Handel und Wandel gelten zu lassen ubereingekommen ist. Der innere Wert kommt dabei gar nicht in

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von der kurzsichtigen Menge mit diesen anmasslichen Philosophen in Eine Linie gestellt zu werden, weil sie zuweilen seine Sprache redeten, und in gewissen Stucken eben das zu tun schienen, was Er getan hatte. Man konnte oder wollte nicht gewahr werden, dass nichts verschiedener sein konnte, als

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Freundschaft, kurz, jedes schonere Gefuhl und jede edlere Neigung, verbannt waren. 'Alles ist wahr', sagte er, 'je nachdem wir es ansehen; von unserer innerlichen Stimmung und von dem Gesichtspunkt, woraus wir sehen, hangt es lediglich ab, ob uns ein Gegenstand schon oder hasslich, gut oder bose scheinen soll.

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wider Willen unsrer Kopfe, zu bessern Leuten machte, die Moral aller Erdenbewohner ware.""Mir deucht", sprach die schone Nurmahal, "nichts beweiset besser, wie wahr es ist, dass nur die schonen Seelen der Tugend fahig sind,

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der eine grosse Seele oder ein wohltatiges Herz bezeichnet hatte. Allein man war der langen Regierung seines verhassten Vaters uberdrussig; Isfandiar hatte sich offentlich an die Spitze der Missvergnugten gestellt; man hoffte, dass derjenige besser regieren wurde,

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Zustande, worin sie mussig gehen konnen, wird sie schon arbeiten lehren', pflegte er zu sagen, 'und so lange sie arbeiten, konnen sie geben.'"

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, erwartet immer noch mehr als man zu seinem Besten tut, und halt sich von aller Pflicht der Dankbarkeit losgezahlt, sobald es sich in seinen ausschweifenden Erwartungen betrogen sieht. Mit Widerwillen tragt es die Fesseln der Abhanglichkeit; unbestandig in seinen Neigungen, willkurlich in seinen Urteilen, und immer mit dem Gegenwartigen unzufrieden, durstet es nach

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wurde nicht frei von ihrem Tadel bleiben. Der schlechteste unter ihnen halt sich fur gut genug die Welt zu regieren, und eben darum weil der Pobel nichts weiss, glaubt er alles besser zu wissen als seine Obern. Vergebens wurd es sein,

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ihre Ketten jemals zerreissen zu konnen, ist vermogend sie in ihren Schranken zu halten; und, gleich andern wilden Tieren, mussen sie ausgemergelt werden und den Stock immer uber ihrem Rucken schweben sehen, um einen Gebieter dulden zu lernen.'"

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dem Volke macht, ist nicht geschmeichelt; aber es ist Wahrheit darin. Ich denke ungern an die Folgen, welche sich daraus ziehen lassen: und gleichwohl wurd es, wie Eblis sagt, gefahrlich sein,

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uber diesen wichtigen Gegenstand einzog, waren so mannigfaltig, hingen so wenig zusammen, und schienen so viel Geheimnisvolles zu verraten, dass man etliche Nachte hinter einander von nichts anderm reden konnte als von den drei Kalendern.

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Vorwand des allgemeinen Besten ertraglicher machen konnen. Man gibt dem Fursten williger, weil man weiss, dass die Sorgen fur den ganzen Staat auf seinen Schultern liegen, und weil wenigstens die Vermutung vorwaltet, dass ein Teil der offentlichen Abgaben zu Bestreitung der offentlichen Bedurfnisse angewandt

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Regierung des schwachen Azor war der grosste Teil des Adels durch den ubermassigen Aufwand, wozu er von dem Beispiele des Hofes verleitet und gewisser Massen genotiget wurde, in sehr kurzer Zeit dahin gebracht worden, in den niedrigsten Hofkunsten die Mittel zu suchen, diesen Aufwand auf andrer Leute Unkosten

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Stockung zu setzen, war immer die Antwort, womit sich diejenigen abfertigen lassen mussten, welche augenscheinlich bewiesen, dass es lacherlich sei, eine Krankheit, die man vorsetzlich ernahrt, durch schmerzlindernde Mittel heilen zu wollen. Doch gesetzt auch, Isfandiar, da ihn endlich die ersten Erschutterungen des Thrones, dessen Grundfeste untergraben war, geneigt machten, zu

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Mangel des politischen Lastenmessers, welcher das Gluck gehabt hat den Beifall Ihrer Hoheit zu erhalten, lasst sich dermalen nicht genau bestimmen, wie lange Scheschian unter Isfandiars Regierung noch hatte schmachten konnen, wofern dieser unweise Furst durch

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, und erwarten dass es sich dem ungeachtet immerfort betrugen lassen werde, setzt eine Geringschatzung des gemeinen Menschenverstandes voraus, welche der Klugheit des witzigen Eblis wenig Ehre macht. Dieses Betragen musste nach der damaligen Lage der Sachen in Scheschian notwendig einen gedoppelten Schaden tun. Auf

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, nicht unbenutzt. Je naher die Gefahr andrang, welche dem scheschianischen Aberglauben den Untergang drohte, desto eifriger waren sie, kein Mittel unversucht zu lassen, das Volk aus seiner schlafsuchtigen Gleichgultigkeit aufzuwecken, und in das wilde Feuer einer fanatischen Andacht zu setzen. Unter den Handen einer weisen Regierung wurde

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der Blauen aufs scharfste zu beobachten, und fand desto leichter Gelegenheit ihnen beizukommen, da sie, durch ihre schwarmerische Hitze verblendet, sich stark genug glaubten, ihre

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, die kleinere Partei ausmachten, so schien ihnen doch der Reichtum ihrer vornehmsten Glieder eine desto gewissere Uberlegenheit zu geben, da, ordentlicher Weise, der Reichste derjenige ist, der sich die meisten Anhanger zu verschaffen weiss. Aber eben diese Reichtumer

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von einigen schwarmerischen Anfuhrern, welche desto mehr zu gewinnen hofften je weniger sie zu verlieren hatten, emporten sich endlich im ganzen Ernste. Eine unendliche Menge von

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selbst Unruh erregt hatte, mit Strafen belegen liess, bei deren blosser Erzahlung allen ubrigen, wie er sagte, die Waffen aus den Handen fallen sollten. Aber er kannte die menschliche Natur nur halb. Das unmittelbare Anschauen dieser

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Wiederherstellung der offentlichen Ruhe zu arbeiten, zugestehen und hinlanglich versichern wurden. Die Emporten gingen alles ein, und Eblis arbeitete inzwischen mit eben so viel Eifer als Behutsamkeit daran, die Truppen und ihre vornehmsten Anfuhrer teils in seinen Anschlag zu ziehen, teils zu unwissenden Werkzeugen desselben

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einem andern eben so glucklichen als ungewohnlichen Zufalle zu danken: namlich, dem Umstande, dass seine erste Jugend dem einzigen tugendhaften Manne, der vielleicht damals im ganzen Scheschian lebte, anvertraut worden war.Isfandiar hatte bald nach seiner

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schnell als moglich zu Grunde zu richten, machte es mehr als wahrscheinlich, dass Tifan vielleicht eher als er dazu tuchtig ware, sich aufgefordert finden konnte, sein Recht an die Krone geltend zu machen. Dschengis setzte sich also

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ihnen ableiten lassen, fand der junge Tifan gleichsam mit der eigenen Hand der Natur in seine Seele geschrieben. Es waren eben so viele Gefuhle, welche ihn der weise Dschengis in Grundsatze verwandeln lehrte, deren uberzeugender Kraft seine Vernunft eben so wenig widerstehen konnte, als es in seiner Willkur stand, den

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Art zu denken, dass ihm diejenige, welche damals an dem Hofe zu Scheschian herrschte, eben so widersinnig und ungeheuer vorgekommen ware, als wenn ihm jemand hatte zumuten wollen, den Schnee fur schwarz anzusehen, oder

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Bezauberung eine grossere Empfindlichkeit fur alles Schone, eine grossere Leichtigkeit jede Tugend auszuuben, einen hohern Grad von allgemeiner Sympathie, einen mehr als gewohnlichen Hang zu erhabnen, weit grenzenden und wunderbaren Ideen in uns erfahren; und daher scheint auch kein bequemerer Zeitpunkt zu sein, um begeisternde Vorstellungen von dem hochsten Wesen in einer jungen Seele hervor zu bringen, als eben dieser.Der weise Dschengis musste diese Betrachtung gemacht haben;

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Gotzendienstes nicht ganzlich ausgeloscht werden konnten.'Das hochste Wesen', sagte Dschengis zu dem jungen Tifan, 'ist zwar den aussern korperlichen Sinnen, aber nicht dem Geist unsichtbar, der, sobald er reif genug worden ist, Ordnung und Zusammenstimmung, allgemeine Gesetze, wohltatige Endzwecke und weislich gewahlte Mittel in dem grossen Schauplatze der Natur, der uns umgibt, wahrzunehmen, an dem Dasein einer hochsten Weisheit und Gute, welche gleichsam die allgemeine Seele des Ganzen ist, eben so wenig als an dem Dasein seiner eignen Seele,

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Es ist augenscheinlich, dass die ganze Gattung sich vereinigen muss, um ihre naturliche Herrschaft uber den Erdboden zu behaupten, und dass ein jeder seine besondere Sicherheit, sein besonderes Wohlsein, nur in dem vollkommensten und glucklichsten Zustande der ganzen Gattung findet. Daher diese allgemeinen Gesetze der menschlichen Natur,

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Menschen in besondere Gesellschaften zwar verdunkelt und auf mannigfaltige Weise verfalscht worden sind, aber, so lange der Mensch kein Mittel findet sich eine andere Natur zu geben, notwendig allgemein verbindliche Gesetze fur die ganze Gattung bleiben. Ein sehr fuhlbarer Beweis,

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', sagte Dschengis, 'sind der einzige wahre Dienst, den wir einem Wesen leisten konnen, das unser bloss in so fern bedarf, in so fern es uns zu Werkzeugen seiner grossen wohltatigen Absichten erschaffen hat.'

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Natur unter tausend neuen Gestalten kennen, und erstaunte uber die mannigfaltigen Wunder, wodurch die Kunst sie nachzuahmen, ja selbst zu ubertreffen und zu verbessern sucht. Aber er erstaunte noch mehr, wie

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der Volker durchgehens desto grosser war, je mehr Natur und Kunst sich zu vereinigen schienen sie glucklich zu machen. Die schonsten und fruchtbarsten Provinzen waren immer diejenigen, in

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, welche desto lehrreicher sein mussten weil sie unmittelbar unter ihren Augen lagen, dass nichts einfacher sei als die Kunst weislich zu regieren, und dass es weniger Muhe koste, ein Volk geradezu glucklich zu machen,

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da die sinesischen Prinzen, einem uralten Herkommen zu Folge, niemals ausser Landes zu reisen pflegten, zu ubersetzen fur uberflussig erachtet habe. Alles was er uns davon meldet, ist dass, nachdem Schach-Gebal sich, aus vielen Grunden, sehr ernstlich gegen dergleichen furstliche Wanderungen erklart, und

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in Sachen wovon das Gluck ihres Lebens abhangt; sinnreich, wo es darum zu tun ist sich selbst zu hintergehen, und blode genug sich von andern mit offnen Augen betrugen zu lassen. Sie konnten frei sein, sind geboren es zu sein, beweisen sich's

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von der besondern Anlage zu einem eigentumlichen Charakter, womit ihn die Natur gestempelt hat, beibehielte; so dient doch dies in grossen Gesellschaften meistens nur die Anzahl der ubel gebildeten und grotesken sittlichen Formen zu vermehren. Je grosser diese Gesellschaften und je grosser die Menge der kleinern ist,

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in diesem allgemeinen Gewimmel an einander stossen; desto mehr geht von der ursprunglichen Gestalt des Menschen verloren. Eine sehr kleine und von der ubrigen Welt abgeschnittene Gesellschaft erhalt sich ohne Muhe bei der angebornen Einfalt und

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, oder etliche hunderttausend, welche in Eine Stadt zusammen gedrangt leben, einander nicht in ziemlich kurzer Zeit sehr verderben sollten, wofern der Gesetzgeber nicht ganz besondere Sorge getragen hat,

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mit dem seinigen zufrieden genug zu sein, um zu den hohern ohne Neid hinauf zu sehen; indem man allen Ursachen einer allzu grossen Ungleichheit zuvorzukommen oder doch zu wehren sucht; und, was das wichtigste ist,

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' (erwiderte Dschengis), 'sondern die allzu grosse Verwicklung ihrer Interessen, der haufige und starke Zusammenstoss ihrer Forderungen, die verhaltniswidrige Ungleichheit unter den Standen sowohl, als unter den Gliedern des namlichen Standes, und die ubermassige Bevolkerung einer einzigen Hauptstadt und Provinz auf Unkosten der ubrigen sind die Ursachen dieser allzu grossen Garung,

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dass er ehmals offentliche Wurden am Hofe des Konigs Azor bekleidet habe, und ein Vertrauter des einzigen Bruders dieses Fursten gewesen sei, aber bald nach dem Tode des letztern, weniger um seiner personlichen Sicherheit willen, als aus ganzlicher Uberzeugung von seiner Unnutzlichkeit unter der neuen Regierung,

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Krone ist unstreitig und unverletzlich. Die Nation ist schuldig ihn fur ihren Konig zu erkennen. Es ist wahr, sie hat Rechte, welche eben so heilig sind als die seinigen; und sie ist so wenig verbunden alles zu leiden, als er berechtigt ist alles zu tun. Aber vielleicht geht Isfandiar in sich; vielleicht gibt er billigen Vorschlagen Gehor, und vielleicht ist mehr Erbitterung, Rachsucht und Eigennutz als wahre Vaterlandsliebe in

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welche das erbenlose Reich dadurch gesturzt worden sei. Nun war es nicht langer moglich den jungen Tifan zuruck zu halten; und nun glaubte Dschengis, dass es Zeit sei, sich seines Geheimnisses zu entledigen."

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der Himmel gegeben hat. Er ist der edelmutigste, der liebenswurdigste, der tugendhafteste junge Prinz, den die Welt vielleicht jemals sehen wird.''Du sagst dies mit einem so zuversichtlichen Ton', erwiderte Tifan: 'wie war es moglich, dass du ihn so genau kennen lerntest?''Sehr moglich',

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eines Einzigen nahert sich durch ihre Natur derjenigen Theokratie, welche das ganze unermessliche All zusammen halt. Wenn wir uns ganz richtig ausdrucken wollen, so mussen wir sagen: Gott ist der einzige Gesetzgeber der Wesen; der blosse Gedanke, Gesetze geben zu wollen,

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Vorsteher fur gegrundet und gesetzmassig erkannt haben wurden, sollen hieruber eine formliche Erklarung an den Hof gelangen lassen, und berechtigt sein, die Kundmachung einer solchen widergesetzlichen Verordnung, im Notfall sogar mit Gewalt, zu verhindern. Denn

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Vorstellung zu tun. Und jedesmal betraf es bloss Verbesserungen, welche, unter den besondern Umstanden der Provinz, worin sie vorgenommen werden sollten, nicht zu raten waren. Sobald Tifan verstandiget wurde, dass die abgezielte Verbesserung wider seine Absicht Schaden tun wurde:

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ist sehr glucklich", sagte SchachGebal. "Dein Tifan hatte gut alles zu sein was du willst; die ganze Natur scheint sich zum Vorteile seines Ruhms zusammen verschworen zu haben.""Vielleicht liesse sich wohl behaupten", erwiderte der ehrliche Danischmend,

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Dienern zu veranlassen, um ihre vollkommne Unparteilichkeit zu beweisen, begegnen sie einem ungefahr wie dem andern, und das grosste Talent, das wichtigste Verdienst, sieht sich mit einer Menge mittelmassiger und verdienstloser Leute in Einen Klumpen zusammen geworfen. Oft geschieht es, dass ein Regent bloss durch ubertriebene

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ein Staatsgeheimnis daraus gemacht, oder (welches allerdings noch wahrscheinlicher ist) dass es der goldnen Buchstaben und des prachtigen Bandes wegen in die konigliche Kunstkammer gelegt, und durch diese gar zu grosse Hochschatzung der Welt eben so unnutz gemacht worden sei, als

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Reichs zu verbessern, oder ob zu Erzielung der allgemeinen Wohlfahrt eine ganz neue Gesetzgebung vonnoten sei?Dschengis war fur die letzte Meinung. 'Ein altes, ubel gebautes und beinahe schon ganzlich zerfallnes Gebaude', sagte Dschengis,

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", versetzte Danischmend. "Die altesten und eifrigsten Verfechter beider Parteien waren teils durch die Verfolgung unter Isfandiarn, teils durch die burgerlichen Unruhen aufgerieben worden. Die jungen Priester, welche nun den grossten Teil des Ordens ausmachten, glaubten an die Gottheit des blauen oder feuerfarbnen Affen nicht starker als die ehmaligen agyptischen Priester an

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Ansehen, worin sie noch bei dem Volke standen, in kurzem vollig verschwinden wurde, wenn sie sich der gesunden Vernunft und dem gemeinen Besten, welche offenbar aus Tifans ganzer Gesetzgebung atmeten, entgegen stemmen wollten. Zudem hatte man nicht vergessen, sie in den geheimen Unterhandlungen, welche vorher mit ihnen gepflogen wurden, zu uberzeugen, dass sie bei der neuen Einrichtung mehr gewinnen als verlieren wurden; und wirklich machte sie die neue Gesetzgebung zu einer so unentbehrlichen, ehrwurdigen und in jeder Betrachtung so glucklichen Klasse,

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Tifan zu erhalten.""Keinesweges", sagte Schach-Gebal: "je eher, je lieber!""Das ganze Gesetzbuch war in zwei Hauptteile abgeteilt. Der erste begriff die Pflichten

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Nation, sowohl uberhaupt, als in allen ihren besondern Gliedern betrachtet.Der erste Teil bestand aus mehr als zwanzig Hauptstucken. Nichts war darin vergessen, was zur genauesten Bestimmung der koniglichen Vorrechte gehorte. Dem Konige waren darin alle die

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sie durch weise Gesetze eingeschrankt ist, verdient den Namen der vollkommensten Regierungsart eben darum, weil sie der gottlichen am nachsten kommt. Da es vergebens sein wurde, eine vollkommnere erfinden zu wollen;

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, durch besondere Gesetze bestimmt. Dieser Ordnung zu Folge macht die gesetzgebende Macht des Konigs den Gegenstand des zweiten Hauptstuckes aus. Es werden darin die Falle angegeben, in welchen der Konig berechtiget ist neue Gesetze zu geben, nachdem sie von

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der Scheschianer betrachtliche Anderungen vorgenommen habe. Allein da sie ein besonderes Hauptstuck des zweiten Teils seines Gesetzbuchs ausmachen: so lasst sich, bis man eine vollstandige Abschrift desselben gefunden haben wird, weiter nichts davon sagen, als dass der ehelose Stand durch

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", versetzte Danischmend, "hangt von einer Menge zufalliger Umstande ab, welche das verlangte allgemeine Zeitmass, in so fern es richtig sein soll, unmoglich zu machen scheinen. Gleichwohl, da sich mit gutem Grunde voraussetzen lasst, dass

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Scheschians unter besagten Umstanden in hundert Jahren wenigstens zweimal verdoppelt haben musse; und dies macht freilich in zweihundert Jahren eine ungeheure Summe aus.""Und woher sollen alle diese Menschen ihren Unterhalt nehmen?""Ich setze (vermoge einer Berechnung, womit es unschicklich ware Ihrer Hoheit beschwerlich zu fallen) voraus, dass

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. Aber setzen wir immer, dass es so gewesen sei; woher sollen zweihundert, vierhundert, achthundert, sechzehnhundert, und alle die unzahligen Millionen, welche am Ende der zwanzigsten Generation vorhanden sein werden,

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als sie beim ersten Anblicke scheint. Je mehr sich die Bewohner von Scheschian vervielfaltigen, je mehr Hande haben wir die Natur zu bearbeiten; eine Quelle, welche desto ergiebiger ist, je grosser die Zahl

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Sitten zu barbarischen Volkern tragen, und durch das namliche Mittel, wodurch sie ihren eigenen Zustand verbessern, zugleich Wohltater des menschlichen Geschlechts werden. Wie viele und grosse Inseln, wie viele bewohnbare Gegenden des festen Landes liegen entweder noch ganz ode, oder sind doch lange nicht so bewohnt und angebaut,

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eine so grausame Hulfe anzurufen. Sie hat schon auf eine andre Weise dafur gesorgt, dass, bei allen moglichen sittlichen Beforderungsmitteln der Bevolkerung, dennoch nicht leicht ein gefahrliches Ubermass derselben zu besorgen ist. Die Vermehrung steht, nach einer allgemeinen Beobachtung, in einem selten ungleichen Verhaltnisse mit der mehrern oder mindern

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, welche vorzugliche Leibeskrafte erfordern, erzogen; und die unfahigsten waren doch immer zu irgend einer mechanischen Arbeit gut genug. Ein grosser Teil ging als Dienstboten

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hinterlasse dir sechzig Millionen vergnugte, wohl genahrte, wohl gekleidete, wohl gesittete, fleissige und unsrer Regierung wohl geneigte Untertanen, welche, sobald du sie zum Besten des Staats vonnoten hast, mit

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Volk, gerade wann der Staat am meisten bedarf, nichts mehr zu geben hat. In Scheschian war dies ganz anders eingerichtet. Tifan verstand die Kunst grosse Dinge mit wenigen Kosten zu tun; welches ungefahr eben so viel

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eingerichtete Hofhaltung konnte, wiewohl das Anstandige, und bei gewisser Gelegenheit selbst das Glanzende, nirgends vermisst wurde, nicht so viel kosten, dass der Konig nicht noch grosse Summen in Handen behalten hatte, wovon er einen edeln, wohltatigen und gemeinnutzigen Gebrauch machen konnte. Tifan,

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wendete einen betrachtlichen Teil seiner eigenen Einkunfte auf physische Versuche, auf mathematische Werkzeuge, und auf Belohnung derjenigen, welche in diesem Fache sich vorzuglich verdient machten. Er stiftete aus seiner eigenen Kasse eine Akademie der schonen Kunste, deren immer zunehmendes Wachstum eine seiner angenehmsten Ergetzungen ausmachte. Uberdies setzte er fur

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von seinen eigenen Einkunften machte, lasst sich leicht begreifen, warum er seinem Sohne keinen grossen Vorrat an barem Gelde hinterliess; wiewohl unter allen Rubriken seiner Ausgaben keine einzige war, uber die er zu erroten Ursache gehabt hatte.

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ich mit hunderttausend Untertanen, deren jeder mir, ohne sich zu entkraften, dreimal so viel geben konnte, als ich von ihm fordre, nicht unendliche Mal reicher als mit funfzigtausend Bettlern, die mir endlich nichts mehr zu geben haben,

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Manufakturen so gut als moglich gearbeitet, zugleich aber auch ihrer Verfeinerung gewisse Schranken gesetzt wurden. Der Luxus verwandelt unvermerkt die Handwerke, welche ganz allein, oder doch hauptsachlich zur Verfertigung der unentbehrlichsten Bequemlichkeiten bestimmt sind, in schone Kunste;

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sind dem gemeinen Wesen entweder unentbehrlich oder doch zu irgend etwas gut: aber wozu ein Ya-faou, in so fern er ein Ya-faou ist, gut sei, dies', sagt Tifan,

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Nachsinnen nicht heraus bringen konnen. Ich sehe alle Platze, worin man dem Staate Dienste leisten kann, schon besetzt; und indem ich alle mogliche Arten von Bedurfnissen uberzahle, find ich keines, worauf der Stand der Ya-faou sich bezoge. Vielleicht mogen sie zu

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angebauten, gesitteten, aufgeklarten und polizierten Scheschian mussen sie entweder, gleich mussigen Hummeln, verdienstlos die Fruchte des Fleisses der arbeitsamen Burger verzehren, oder, wenn sie etwas tun wollten, wurde ihre Geschaftigkeit schadlicher als ihr Mussiggang sein. Der grosste Teil von ihnen hat durch seine rohe Unwissenheit,

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Mann zu finden, der fur einen so wichtigen Platz gemacht ist: und nun geht es mir gerade wie den Scheschianern; mich wundert, wie ich nicht schon lange gewahr wurde, dass er bereits gefunden ist."

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andern fortgepflanzt worden sein soll, und der (wofern er so richtig ist als diejenigen, die es am besten wissen konnen, behaupten) vermoge des beruhmten Grundsatzes der moglichsten Ersparung, in der Tat beweisen wurde, dass die Welt unverbesserlich regiert werde. In der Tat gehen die Kenner so weit, uns zu versichern: Wenn es auch zuweilen begegne,

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Gange zu erhalten.Dieses vorausgesetzt wird man es wenigstens nicht ganz unbegreiflich finden, dass der neue Itimadulet Danischmend ungeachtet er, die Wahrheit zu sagen, von allen zu diesem hohen Amte erforderlichen Eigenschaften, die Gutherzigkeit und Aufrichtigkeit ausgenommen, wenig oder nichts

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Scheschian, statt des elenden Aberglaubens worin sie seit so vielen Jahrhunderten von ihren Priestern unterhalten worden waren, eine vernunftige und dem wahren Besten der Menschheit angemessene Religion zu geben; und man muss gestehen, dass er hierin alles getan hat, was man billiger Weise von

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diesen Mysterien gesehen und gehort hatten, so lange bis die Abgotterei aus Scheschian verschwunden sein wurde, ein unverletzliches Stillschweigen angeloben. Diese Veranstaltung (sagen die Geschichtschreiber) wirkte mehr als alles ubrige, die grosse Absicht des weisen Tifan zu befordern. Die

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Folie eines gleisnerischen Ernstes nicht vonnoten. Menschenliebe und patriotischer Geist waren die allgemeine Seele ihres ganzen Ordens. Jedes gemeinnutzige Unternehmen fand in ihnen seine eifrigsten Beforderer. Die sich selbst immer gleiche Heiterkeit ihres Geistes, die grossen und edeln Gesinnungen wovon sie belebt

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so viel geschrieben worden, dass es unmoglich scheint etwas Neues davon zu sagen; und beinahe sollte man Bedenken tragen, irgend etwas davon zu sagen, da nicht ohne Grund zu besorgen ist,

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dieser Materie uberhaupt sagen lasst, unsern Lesern schon aus andern Quellen bekannt sein muss, glauben wir sie uns verbindlich zu machen, wenn wir die weitlaufigen Nachrichten des schwatzhaften Danischmend so kurz als nur immer moglich sein wird zusammen ziehen."

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, jede besondere Klasse zu den Tugenden ihres kunftigen Standes, und uberhaupt Alle zu jeder Tugend des gesellschaftlichen und politischen Lebens zu bilden. Auf diesen grossen Zweck war der ganze Erziehungsplan angelegt. Alles in demselben war praktisch: die Schule machte nicht, wie in den meisten ubrigen Staaten, ein besonderes fur sich bestehendes Institut aus, welches mit dem gemeinen Wesen nur durch einzelne schwache Faden zusammen hangt; alles bezog sich in den scheschianischen Schulen auf den kunftigen Gebrauch,

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, welches berechtiget sein wolle, sich fur besser als Samojeden und Kamtschadalen anzusehen, seine eigene Nationalsprache richtig und zierlich zu reden gelernt haben musse; und da die jungen Scheschianer das Gluck hatten, keine fremde Sprache erlernen zu mussen, so

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dem Gesetze losgezahlt; und aus der sechsten Klasse war es, ohne ausdruckliche konigliche Erlaubnis (welche im Gesetz auf besondere Falle eingeschrankt war) gar nicht erlaubt, in die zweite, dritte oder vierte uberzugehen. Und auf gleiche Weise waren

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. Diese samtlichen Abteilungen genossen vom zehnten bis zum sechzehnten Jahre einer gemeinschaftlichen offentlichen Erziehung in besonders dazu gestifteten Hausern, deren ausserliche Einrichtung von denjenigen, worin die Pflegekinder

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und Fahigkeit vorzuglich bestimmten, und zugleich in diejenige hohere Schule versetzt, worin die besondere Ordnung, in welche er nun gehorte, zu ihrem kunftigen Amte ausgebildet und vollkommen gemacht wurde.In der Auswahl der kunftigen Priester wurde vornehmlich auf diejenige gluckliche Mischung des Temperaments gesehen, welche ihrem Besitzer eine vorzugliche Anlage zu Weisheit und Tugend gibt. Alle

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fur den kostbarsten Schatz derselben anvertrauen konne. Aber eben darum machten sie auch eine der angesehensten Klassen aus, wurden nachst den Akademisten und Priestern als die vornehmsten Staatsbedienten betrachtet, waren fur ihre Arbeit reichlich belohnt, und genossen, wenn sie dem Staate funfundzwanzig Jahre lang gedient hatten,

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zu einer vollstandigen Kenntnis des Menschen gehoren, und in allen nur moglichen Fertigkeiten, wodurch sie zu ihrem Amte geschickter gemacht werden konnten, geubt. Sie waren uberhaupt in zwei Ordnungen abgeteilt, in die Lehrer der niedern und in die Lehrer der hohern Schulen;

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des Staats ganz Unvertragliches ware, dem freien Belieben der Edelleute zu uberlassen, ob sie mussig gehen, oder sich nutzlich beschaftigen; ob sie rohe Verachter der Wissenschaften, deren Wert sie nicht verstehen, und anmassliche Despoten der schonen Kunste, deren erste Grundbegriffe ihnen fremde sind, oder aufgeklarte Freunde und

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die Rechte edler Voreltern Anspruch machen, und unertraglich, wenn ein verdienstloser Mensch, bloss um eines von ungefahr ihm zugefallnen adelichen Namens willen, auf die nutzlichen und an innerlichem Wert edlen Glieder des Staats verachtlich herab zu sehen sich berechtigt halt. Um

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Falle, worin wir andern uns zu befinden pflegen, seine Leute aus einem Gluckstopfe ziehen zu mussen, wie du neulich sagtest. Sein Staat glich einer kunstlichen Maschine, von deren Wirkung der Meister gewiss ist, weil er weiss, dass

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wie du schon mehr als Einmal etwas voreilig zu verstehen gegeben hast, in so kurzer Zeit ins Stocken geriet, und endlich gar so ganzlich zu Grunde ging, dass weder Tifan noch sein Reich unsern Universalhistorikern auch nur dem Namen nach bekannt ist."

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. Aber eben darum, weil es unmoglich ist unter einem grossen Volke die Sitten lange unverdorben zu erhalten, konnt er mit aller seiner Vorsicht mehr nicht bewirken, als dass es mit der sittlichen Verderbnis seines Volkes langsamer zuging, und also der Zeitpunkt des politischen Todes,

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, einen grossen Uberfluss an den kostbarsten Naturgutern: aber seiner innern Verfassung nach stand es weit hinter jenem zuruck, und der grosse Handelsverkehr, der zwischen beiden Volkern vorwaltete, war ganzlich zum Vorteil der Scheschianer. Ubrigens konnte man diesen Krieg in so fern gerecht auf Seiten der Scheschianer nennen, als die erste Veranlassung nicht

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Uberlegenheit von neuen Unternehmungen abgeschreckt werden konnten, als die Erhaltung der so teuer errungenen Fruchte des Sieges, machten mehr als gewohnliche, wiewohl die Krafte der Nation nicht ubersteigende Anstrengungen vonnoten; zu welchen Seine Hoheit Ihre getreuen Stande um so bereitwilliger zu finden hofften, da Sie es ihrer Weisheit ganzlich uberliessen,

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Anhanglichkeit, wovon sie durchdrungen waren, zu beweisen. Was konnten sie, um nicht gar zu weit hinter ihrer Pflicht zuruck zu bleiben, weniger tun, als den Beschluss fassen, Sein Vermogen Gutes zu tun Seiner grenzenlosen Tatigkeit gleich zu machen?

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sie ihm volle Machtgewalt, uber die Verwendung des offentlichen Schatzes eben so unbeschrankt zu gebieten als uber seine eigene Kasse; und um den grossmutigsten der Fursten in den Stand zu setzen, seinen wohltatigen Wunschen einen desto freiern Spielraum zu geben, ordneten sie verschiedene neue Abgaben an, wovon man zwar seit mehr als hundert Jahren in

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Muster zu nehmen. Auch ist dies, dunkt mich, bei unsern ostlichen Staatsverfassungen bereits geschehen; und es erklart sich daraus, warum, zum Beispiele, das sinesische Reich, wiewohl es schon so oft durch Eroberung unter fremde Oberherren gekommen ist, dennoch seine innere Verfassung bei jeder Revolution unverandert erhalten hat. Ich hatte mich also genauer ausdrucken, und sagen sollen, dass

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sich keine allein zuzueignen vermag, bruderlich zu teilen die schicklichsten Mittel das Gesetz unkraftig zu machen mit einander abreden. Dieser Umstand ist fur sich allein schon mehr als hinlanglich, den immer zunehmenden Verfall und endlich, die ganzliche Auflosung jeder politischen Gesellschaft zu bewirken: aber auch ohne ihn wurde bloss die Kultur

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du uns eben da zu sagen beliebt hast, ein vortreffliches Argument gegen deine fortschreitende Kultur ziehen liesse?""O gewiss ein vortreffliches", sagte Danischmend mir einer lachelnden Grimasse, die nicht ganz so ehrerbietig war als einem ersten Minister, der seinem Gebieter antwortet, geziemen will.

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"Die gar zu schone, gar zu gute, gar zu vernunftige, und eben darum (wie Ihre Hoheit weislich bemerkt haben) fur so alberne Tiere als die Menschen sind gar nicht passende Verfassung,

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die Subsistenz erschweren' und was dergleichen halb wahre Kameralweidspruche mehr sind. In der Tat schien die noch immer zunehmende Lebhaftigkeit der Zirkulation, die hohe Vollkommenheit wozu die Fabriken und Handarbeiten getrieben wurden, und der bluhende Zustand des auswartigen Handels, die neuen Maximen eine Zeit lang zu bestatigen. Was fur Tifans Zeiten schicklich und sogar notwendig war, hiess es, passt nicht mehr auf die unsrige. Unvermerkt gewohnte man sich daran, die

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in der wohltatigen Absicht ihre Emsigkeit aufzumuntern, so lange, bis endlich Mangel, ubermassige Arbeit, und die Verzweiflung sich jemals zu einem bessern Zustand hinauf zu arbeiten, ihnen zuletzt das Dasein selbst unertraglich zu machen anfing; ein

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selbst zu fuhren unvermogend oder unlustig waren, bald einer Bande zusammen verschworner Minister, bald einem unersattlichen Gunstlinge, bald einer ausschweifenden Buhlerin, bald einem herrschsuchtigen Priester, bald dem ersten besten der sich dessen bemachtigen wollte, uberliessen. Tifans offentliche Anstalten gerieten zusehens in Verfall, seine wichtigsten Gesetze kamen nach und nach ausser Ubung, und wurden zuletzt ein blosser Gegenstand akademischer Streitfragen; und was etwa von seinen

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der Priester unvermerkt eine so veranderte Form und Richtung, dass der reine wohltatige Geist des Stifters ganzlich dabei verloren ging, und vielmehr gerade das Gegenteil von dem heraus kam, was er dadurch hatte bewirken wollen.

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dass das erstere den Neigungen und Leidenschaften der menschlichen Natur ungleich bequemer sei. Genug, die scheschianischen Bonzen machten diese Bemerkung ungefahr um eben die Zeit, oder bald nachher, da der grossmutige Akbar sich ihres guten Willens, durch die vorerwahnten ansehnlichen Vermehrungen

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um so verdienstlicher mache, mehr als bisher zu begunstigen, und die ansehnlichern Civilbedienungen, die bisher grossten Teils in den Handen unwissender, schlecht erzogener und lasterhafter Menschen ubel genug verwaltet worden, mit

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Akbar ihre erhabene Bestimmung, den einzigen Grund ihrer Vorrechte, ganzlich aus den Augen verloren. Zu hoch uber ihre Mitburger hinauf gesetzt um nicht hoffartig, und zu reich um nicht ubermutig zu sein, uberliessen sich die scheschianischen Nairen in den Jahren, worin sie zur Erfullung ihrer kunftigen grossen Pflichten gebildet werden sollten, dem uppigsten Mussiggang und

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diese Beschwerden unmittelbar vor den Thron gebracht. Sie verursachten scharfe Untersuchungen; man fand, sowohl des Beispiels wegen, als um das aufgebrachte Volk zufrieden zu stellen, fur notig, gegen die schuldig Befundenen mit der aussersten Strenge zu verfahren; und das letzte Resultat von allen diesen mit vieler Klugheit in einander gepassten Operationen war: dass Kolaf zum ersten Minister des Konigs, oder, eigentlicher zu reden, der

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von Indostan billig wunschen mochten manches gegen den Sultan fallen lassen; und er kannte Seine Hoheit zu gut, um nicht voraus zu sehen, dass sein Geheimnis unverzuglich in den Schoss der schonen Nurmahal niedergelegt worden sei. Er begab sich also

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sich nicht eher als mit dem scheschianischen Reiche selbst hatte enden sollen, einiges Licht zu erhalten; und es sei ihm endlich gegluckt, aus alten Sagen und glaubwurdigen Urkunden so viel davon heraus zu bringen, dass er sich im Stande finde, nachdenkenden Lesern einiger Massen begreiflich zu machen, wie besagtes Reich unter der ungeheuern Last von

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Scheschianer, teils unter hundert fremde Volker zerstreut, teils stuckweise den angrenzenden Staaten einverleibt, verloren mit ihrer politischen Existenz zugleich ihren uralten Namen; und eines der machtigsten Konigreiche des Orients verschwand so ganzlich von der

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es, schon zu den Zeiten des sinesischen Kaisers Tai-Tsu, den gelehrtesten Altertumsforschern unmoglich war, die ehmaligen Grenzen desselben zuverlassig anzugeben.Ende des goldnen SpiegelsFussnoten1 Hier bin ich genotiget gewesen eine Lucke zu lassen, welche sich zwar in meinem sinesischen Exemplare nur zufalliger Weise befand, die

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Ecco tra fronde e fronde il guardo avantePenetra e vede, o pargli di vedere:Vede pur certo il vago e la diletta,Ch' egli e in grembo a la donna, essa a l'erbetta:Ella dinanzi al petto ha il vel divisoE'l crin sparge incomposto al vento estivo:Langue per vezzo, e'l suo infiammato visoFan biancheggiando i bei sudor piu vivo.Qual raggio in onda, le scintilla un risoNe gli umidi occhi tremulo e lascivo,Sovra lui pende ed ei nel grembo molleLe posa il capo e'l volto al volto attolle.E i famelici sguardi avidamenteIn lei pascendo si consuma e strugge,

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notwendigen Folgen unsrer eigenen Begehungen oder Unterlassungen sind. Diesen erst alsdann abzuhelfen suchen, wenn sie den grossten Teil ihrer schadlichen Wirkungen schon getan haben, ist das Betragen einer unweisen Obrigkeit. Es ist die Schuldigkeit unsrer Obern, solchen Ubeln zuvorzukommen; und eben darin liegt eine von den wesentlichsten Ursachen, warum man Obrigkeiten vonnoten hat."Anmerk. des sines. Ubersetzers21 Der indische Verfasser spricht hier der herrschenden Meinung gemass, nach welcher man sich ich weiss nicht welchen seltsamen Begriff von der Weisheit der Agypter macht, weil

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diesem Gesichtspunkte betrachtet, in der naturlichen Billigkeit gegrundet sei; so scheint er unter die Wahrheiten zu gehoren, an welche es nutzlich ist die Menschen zuweilen zu erinnern. Allein es ist in unsern Tagen gewohnlich worden, von eben diesem Satze, mittelst gewisser Wendungen, einen sehr schlimmen Gebrauch zu machen. Man hat daraus folgern wollen, die verschiedenen Volker hatten keine andre als subjektive Grunde ihres verschiednen Glaubens, und alle Religionen konnten daher als gleichnen weisen Mann, sich fur irgend eine Religion mehr zu interessieren, als in so weit es die

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nicht nur wohl berechtiget, sondern schlechterdings verbunden, alle ubrigen, in so weit sie der unsrigen entgegen stehen, fur irrig und verwerflich zu erklaren. Die

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Baierischen Geschichte bedient, namlich zu sagen: dass diejenigen, welche den Virgilius behaupten gehort, die Erde sei rund und auch auf der andern Halbkugel bewohnt usw. seine Meinung unrecht verstanden, und

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Antipoden etwas hochst Ungereimtes fand. Lange zuvor hatte Kosmas der Indienfahrer, ein agyptischer Monch, in seiner christlichen Topographie (welche uns Montfaucon im zweiten Teile seiner Sammlung griechischer Kirchenskribenten geliefert hat) versichert, dass die Erde platt sei, und das himmlische Gewolbe an ihren aussersten Enden aufstehe.

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und so ferner, sind eben so viele fruchtbare Gegenden der allgemeinen Geschichte, deren besserer Anbau die herrlichsten Vorteile fur die spekulativen und praktischen Wissenschaften verspricht. Weit entfernt also die Gesschichtskunde gering zu achten, wunschten wir vielmehr, es allen Studierenden, und uberhaupt allen, welche weiser und besser zu werden wunschen, einleuchtend machen zu konnen, dass die Geschichte, mit wahrer Sokratischer Philosophie verbunden, das hochste und wichtigste Studium eines Menschen ist, der mehr als eine tierische Maschine sein

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"En l'amitie de quoy je parle, les ames se meslent et se confondent l'une et l'autre d'un meslange si universel, qu'elles effacent et ne retrouvent plus la cousture qui les a jointes. Si on me presse dire pourquoy je l'aymois, je sens que cela ne se peut exprimer qu'en respondant: parceque c'etoit luy, parceque c'etoit moy."

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was dieser grosse Mann gesagt hat, macht nichts seinem Herzen mehr Ehre als dies. 35 Wir finden den namlichen Gedanken unter dem namlichen Bilde in einem vor kurzem ans Licht getretenen wunderbaren Buche, welches seinem Verfasser vielleicht im Jahre 2440 mehr Ehre,

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Mancha seine schimarischen Gegner bekampfte (nur freilich mit einem gesundern Kopfe als der seinige war), los gingen, die Gestalt unsrer sublunarischen Welt binnen einem Menschenalter machtig ins Bessere verandern wurden. 39 Sollt es moglich sein, dass unter allen kunftigen Regenten, denen diese Geschichte

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, das schon so viele Volker verschlungen hat, hervorstechen machen konnte. 46 Es gibt in der Haushaltungskunst gewisse hochst einfaltige Regeln, deren Verachtung gleichwohl von grosser Betrachtlichkeit ist.

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Ubersetzer, erzahlt mir in einem Schreiben, worin er mir auftragt, die Ausgabe dieses Werks zu besorgen, eine so umstandliche und wohlzusammen hangende Geschichte der besagten Handschrift und ihrer seltsamen Schicksale, der Ursachen warum, ungeachtet des gunstigen Urteils,

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die den freien Zutritt im Hause hatten, sowohl die Wunder-Gaben des jungen Herrn, als die weise Erziehungs-Kunst der gnadigen Frau nicht genug bewundern konnten.Was dieser letztern an ihrem Neffen am besten gefiel, war die ausserordentliche Begierde, wovon er brannte, den erhabnen Mustern nachzuahmen, von deren grossen Taten und

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auf sie macht, zu deutlicher Erkenntnis zu erhohen, uberhaupt aberglaubischer als andre Leute sind; daher die korperlichen Geister, womit sie die ganze Natur angefullt sehen; daher die unsichtbare Jagden in

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, und gunstige Traume setzten die Abenteuer fort, worin er wachend sich zu verirren angefangen hatte. Eine schone Princessin die er liebte, war gemeiniglich der Gegenstand davon; nur war das beschwerliche dabei, dass er sie allemal in der

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am Halse getragen, nicht Andacht genug bewiesen, und den Bonzen nicht Almosen genug gegeben habe.Keine Leute sehen mehr Verdienste an sich selbst als diejenige, an denen sonst niemand keine sieht; wer wollte ihnen auch zumuten, die

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fortzugehen, schien ihm desto gefahrlicher, da eine von seinen unsichtbaren Feindinnen, von deren Bosheit er so viele Proben zu haben glaubte, ihn eben so leicht auf den unrechten, als sein gutes Gluck auf den rechten Weg bringen konnte.Nach

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welche wir unsers Orts um so weniger missbilligen konnen, da wir glauben, dass sich das schone Geschlecht nichts desto schlimmer dabei befinden durfte.Don Sylvio ging also, oder stolperte vielmehr mit dem

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und die schone Schaferin hatten seiner Phantasie einen so ausserordentlichen Schwung gegeben, dass man sich nicht irren kann, wann man in kurzem sehr seltsame Wurkungen davon erwartet.Es mochte ubrigens scheinen, als ob die Torheit unsers jungen Ritters seit einiger Zeit so stark zugenommen habe,

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auch so lange bleiben lassen, bis die Zeit, die endlich alles offenbar macht, sie zu demjenigen Punct der Reife gebracht haben wird, worin Geheimnisse von dieser Art sich insgemein selbst zu verraten pflegen.Neuntes

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, ihrer getreuen Kammerfrau, die ganze Hausgenossenschaft aus. Diese vier guten Leute waren nicht wenig betrubt daruber, dass sie nicht wussten, was aus ihrem jungen Herrn geworden sei; denn sie liebten ihn wegen seines angenehmen und leutseligen Wesens recht herzlich. Nachdem sie ihn nun beim Mondschein bis

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Perlen, wovon dieses Halsgeschmeide schimmerte, nicht wenig geblendet; und ob er gleich kein grosser Kenner von Juwelen war, so deuchte ihn doch, dass sie wenigstens zehen Dorfer, wie das seinige, wert sein konnten. Er betrachtete sie lang ohne auf das Gemalde Acht zu geben, und konnte nicht begreifen, woher Don Sylvio

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Gestalt eines kleinen Frosches ein Leben gerettet hast, von welchem so verachtlich es schien, dasjenige abhing, worin du mich jetzt siehest. Du weisst, dass wir alle hundert Jahre acht Tage lang die Gestalt irgend eines Vogels oder Tiers annehmen mussen, dass

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Mutzchen und irgend einem andern Marchen, womit uns ehmals unsre geliebte Amme einzuschlafern pflegte.Dem ungeachtet notigt uns die Wahrhaftigkeit, deren wir uns im Lauf dieser ganzen Geschichte befleissigen, zu versichern, dass Don Sylvio in seiner ganzen Erzahlung nichts gesagt habe, was nicht in gewissem Sinn eben so wurklich war, als es die meisten andre Geschichten aus

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Um dieses scheinbare Paradoxum zu begreifen, mussen wir uns erinnern, dass es eine zweifache Art von Wurklichkeit gibt, welche in concreto nicht allemal so leicht zu unterscheiden ist, als manche Leute denken.So wie es namlich allen Egoisten zu trotz, Dinge gibt, die wurklich ausser uns sind, so gibt es andre, die bloss in unserm Gehirn existieren. Die erstern sind, wenn wir gleich nicht wissen, dass sie sind; die andre sind nur, in so fern wir uns einbilden, dass sie seien. Sie

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mit seinen vorhergehenden und nachfolgenden Ideen desto starker betrogen wurde, sie fur wurklich zu halten.Dieses ist wenigstens nach unserer Meinung die wahrscheinlichste Erklarung, die man von dergleichen Visionen geben kann; Allein wir sind weit entfernt sie jemanden

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, welches allezeit unter ihrem Hauptkussen lag; eine Gewohnheit, die sie vielleicht mit dem Exempel des heiligen Chrysostomus zu rechtfertigen glaubte, welcher den eben so sotadischen Comodien des Aristophanes die namliche Ehre widerfahren liess.So unanstandig es vielleicht scheinen mochte, dass

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welches man endlich an den aufgestulpten Naslochern fur eine Nase gelten lassen musste; allein das war auch das einzige an ihrer ganzen Person, woran sich die Natur zu karg bewiesen hatte. Zum Ersatz hatte sie hingegen einen Rucken, der so hoch war, als sie sich nur wunschen konnte, ein paar hubsche lange Ohren,

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wir jetzt schon weit von diesem verwunschten Hause entfernt, woraus wir nun, wie ich besorge, ohne den Beistand der machtigen Radiante schwerlich entkommen werden. Aber besorge nichts, mein Freund; ich weiss, dass du keine bose Absicht hattest, und ich bin nicht so unbillig, dass

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Schonheiten, versetzte Don Sylvio, verlangt sie nichts geringers, als dass ich sie heuraten soll.Ihr sollt sie heuraten? rief Pedrillo, heuraten? Ihr ein solches Mondkalb heuraten? Ihr musstet ja gar den Verstand verloren haben;

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Fee Radiante entzucktSeltsames qui pro quo so daraus entstehtUnangenehme Folgen desselbenUnsre kleine Gesellschaft, oder doch wenigstens die Damen, welche die Seele davon ausmachten, befanden den Spaziergang so angenehm, dass die Nacht sie uberschlich, ohne dass sie es merken wollten.In

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dass ich daran dachte; man kann ja leicht eins fur das andre sagen; ich wollte nur sagen; dass es am besten ware, wenn Eu. Gnaden meinen jungen Herrn schlafen liesse; denn

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um zu sehen, ob sie sich schlafen legen; wir mussen, wo moglich, noch vorher zu entrinnen suchen, ehe der Barbier kommt, sonst werden wir aufgehalten, und dann ist alles verloren.Das ist eben die Sache, versetzte Pedrillo, Maritorne ist schon uber eine

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euch so reden hore. Die Riesen konnten euch beim Worte nehmen; glaubt mir Herr, ein einziger wurde euch so viel zu tun geben, dass ihr genug hattet. Ich

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mir da sagt etwas anders sehe, als einen kleinen Feuerklumpen, der in der Luft schwebt und bald naher kommt, bald wieder zuruckweicht, und dergleichen ich oft gesehen habe; ihr konnt es heissen wie ihr

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man das beste reden. Ich dachte, eine Hoflichkeit ware gleichwohl der andern wert, und wenn ich euern Salamander gelten lasse, so konntet ihr meine Riesen wohl auch in ihrem Werte beruhen lassen. Wer weiss ohne dem, ob sie nicht naher mit einander verwandt sind als man sich einbildet, denn die Wahrheit zu sagen, der

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sie keine offenbare Gewalt gegen uns gebrauchen durfen, eine List versucht haben, uns von der Fortsetzung unserer Unternehmung abzuschrecken.Wenn ich reden durfte, sprach Pedrillo, so weiss ich wohl was ich sagen mochte.Und was wolltest du denn sagen?Dass unsre Feinde vielleicht nicht so gar unrecht haben.

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einem Zahnstocher gleich? das ist ein Schluss, hoffe ich, woran nichts auszusetzen ist; ich mochte wohl sehen, was Euer Gnaden darauf antworten konnte.Zum Henker, sagte Don Sylvio lachelnd, gibst du dich

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Erlaubnis, woher konntet ihr das wissen, denn ihr schliefet ja schon lange, da ich noch wachte?Du haltst dein Versprechen unvergleichlich, sagte Don Sylvio, willt du so gut sein, und mich ohne Unterbrechung reden lassen? Ich wurde bis morgen nicht fertig, wenn

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und den sussen Schlummer, worin diesfalls unser Vaterland liegt, nur einen Augenblick zu unterbrechen! Don Ramiro mag beobachtet haben was er will, wir hullen uns in unsern Patriotismus ein, beissen die Zahne zusammen und sind zufrieden.Sechstes CapitelUnterredung beim Fruhstuck.

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und anderer beruhmten Naturkundiger, zu glucklicher Fortsetzung einer Reise nichts dienlichers sei, als des Morgens ein gutes Fruhstuck zu sich zu nehmen. Weil nun Don Sylvio nichts erhebliches dagegen einzuwenden hatte, so suchte Pedrillo einen bequemen Platz, wo sie sich setzen konnten, packte

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das ist verzweifelt! Aber so sind die jungen Madchen; wer ihnen Tandeleien und Liebkosungen vorsagt, verderbt seine Zeit gewiss bei ihnen nicht. Ja wohl! Sie liebt einen andern! Ich wette gleich, dass es einer von diesen kleinen sussen Herrchen ist,

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Schneider, sagt ihr? Wahrhaftig, da kommt ihr mir recht! Sapperment! es schneidert sich nichts; das konnt ihr mir wieder nachsagen; was das betrifft, so darf sie sich neben einer Infantin sehen lassen, sie mag sein wer sie will,

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ihr werdet sie vor dem Rock nicht recht sehen konnen Aber ihr konnt mir sicher glauben, dass man sie nicht schoner drechseln konnte.In der Tat, du hast recht, es

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Herrn zu uberreden, dass noch nichts verloren seie. Pimpimp wird sich wieder finden, eh wirs denken, sagte er, lasst ihr nur die Frau Radiante dafur sorgen; wer weisst, was sie fur Absichten dabei hat,

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ein Cabinet davon hatte machen konnen; gelbe, rote, weissgraue, feuerfarbe, aurora-farbe, bunte, getupfelte, gestrichelte, pfauen-augichte, kurz, Schmetterlinge

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ihn zum wenigsten fur einen kleinen Johann Baptist, oder gar fur einen Engel angesehen haben.Aber wer kann er dann sein? Ich kenne in unsrer ganzen GegendDas glaub ich wohl, unterbrach sie die andre; es ist kaum drei Wochen,

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ohne die geheimnisvolle Zuruckhaltung, womit die Romanen-Dichter uns zuweilen etliche Capitel lang im Zweifel lassen, wer diese oder jene Person sei, mit der sie uns in irgend einem Wirtshaus oder auf der Landgutsche zusammen gebracht haben, jedoch in grosstem Vertrauen,

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, dieses vielleicht) unter gewissen Umstanden, in einem gewissen Zeichen des Monds, wenn ein gewisser Wind gegangen ware, an einem gewissen Ort, zu einer gewissen Stunde und in gewissen Dispositionen, so gar fahig gewesen sein, fur irgend einen unter ihnen, der mehr Lebensart gehabt hatte als der kleine Abbe der

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erlaubte, ganz deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie fahig ware diesem unbekannten jungen Schlafer alle die Reichtumer mit Freuden aufzuopfern, denen sie vor wenigen Jahren die liebenswurdigste Jugend von Valencia aufgeopfert hatte.Was die eigentliche Ursache einer so seltsamen Wurkung, und aller derjenigen sei, wodurch sich die sympathetische Liebe von den ubrigen Arten der Liebe unterscheidet, wurde

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wie man weiss, wenigstens nach dem ordentlichen Lauf der Natur, in der ganzen Welt eine und eben dieselbige.Der beruhmte P. Sanchez merket in seinem eben so keuschen als lehrreichen Buche, de Matrimonio an, dass eine angehende Liebe anders

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so viel neue Sunden erfunden hat, in der schonen Felicia und ihrer Vertrauten gerade das Widerspiel von seiner Beobachtung zu wurken sich erkuhnt habe. Denn so widersinnisch es immer scheinen mag, so gewiss ist es, und so wenig konnen wir leugnen,

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bei nahe glauben macht, dass du verliebt seist."Vielleicht konnten Ih. Gnaden das eher von mir glauben, wenn ich nichts von ihm sagte."Ich verstehe dich; du magst dir aber einbilden, was du willst, so kann ich doch nicht sagen, dass er mir so ubernaturlich schon vorgekommen sei, als du ihn machst."Ubernaturlich schon? das wollt ich eben nicht sagen, denn ich verstehe mich nicht viel auf ubernaturliche Sachen;

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Aber was sagen sie zu seinem Munde? Ich gestehe, dass er schon ist, aber doch ein wenig zu klein, deucht mich"Ich mochte nur wissen, warum du affectierst, gerade das an

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ich meine wahre Meinung sagen soll, so glaube ich, Herr Pedrillo konnte mehr gesagt haben, als er jemals wird beweisen konnen."Nun ja, das Ansehen kann betrugen, denn das ist vollkommen auf seiner

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, du hast dir in den Kopf gesetzt, dass ich notwendig in ihn verliebt sein musse aber daruber wollen wir jetzt nicht disputieren. Und worin soll denn diese Schwarmerei bestehen?"Mich deucht, er konnte eine Art von einem jungen Don Quixotte

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sah, worin er sich immer desto mehr verwickelte, je mehr er sich bemuhte los zu kommen; kurz, nachdem er eine gute Viertelstunde lang mit sich selbst gestritten hatte, so horte er endlich damit auf, dass er in ganzen Ernst an seinem eignen Dasein zu zweifeln anfing.Unter allen Zweifeln, denen die arme blodsinnige Vernunft des Menschen ausgesetzt ist, wird man vielleicht keinen finden, der sich weniger in die Lange aushalten lasst als dieser;

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durch das beruhmte, cogito, ergo sum, gar leicht aus seinem Zweifel heraus helfen konnen. Allein in den Umstanden, worin der arme Knabe war, hatte vielleicht Cartesius selbst sein Latein dabei verloren; denn er dachte wurklich gar nichts,

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oder jenes getan haben solle, gar nicht einmal existiert habe?Allein zum grossten Gluck fur die offentliche Ruhe hatte Pedrillo nicht den geringsten Ansatz zur speculativen Philosophie; und an statt uber seinen beschwerlichen Zustand lange zu rasonnieren, liess er sich nichts angelegener sein, als wie er sich bald davon befreien wolle.

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ihm am besten aus dem Wunder helfen konnen.Ob und wie ferne Pedrillo hierin richtig gedacht habe oder nicht, wollen wir dahin gestellt sein lassen, indem uns eine nahere Untersuchung davon unfehlbar in den beruhmten Streit uber den Intellectum agentem und patientem verwickeln konnte, wozu wir uns diesmal um so weniger aufgelegt finden, als wurklich der tiefsinnige Inhalt dieses

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denn ihr werdet sehen, dass mehr daran liegt als ihr euch jetzt einbildet.Alberner Junge, sagte Don Sylvio lachelnd, du bist zwanzig Jahrelang immer Pedrillo gewesen, warum solltest du es

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ich habe schon oft gedacht, wenn grosse Herren und Damen der Sache recht nachdenken wollten und es brauchte eben nicht viel Kopfverbrechens es konnte ihnen ein gut Teil von der hohen Einbildung benehmen, als ob sie wer weisst wie viel besser seien, als wie andre gemeine Leute,

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sie nicht lang ansehen konnte; aber die kleinereGut, gut; sprachen sie denn nichts mit einander? Hortest du nichts? Was sagte die Fee?Was sie sagte? O! sie sagte recht hubsche Sachen,

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Herr, sagte Predillo, wann man recht nachsieht, so werdet ihr das wohl wieder einem gewissen Pedrillo zu danken haben; versichert, sie waren euch schon nahe genug auf dem Leibe, und wer weisst was hatte geschehen konnen, wenn

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Kummer selbst konnte das reizende Lacheln nicht ausloschen, das ihren angenehmen Mund umfloss.Don Sylvio schien die Wurkung dieser verfuhrischen Reizungen etliche Augenblicke lang so stark zu erfahren, dass Don Eugenio dadurch hatte beunruhiget werden konnen, wenn

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von dem conventionellen Wohlstand unabhangig ist und daher bei allen Nationen dafur erkannt wird, weil sie bloss in dem Ausdruck einer leutseligen Gemutsart und in der Verbindung einer gewissen Achtung gegen uns selbst mit derjenigen, die wir andern schuldig sind, besteht: So

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wisse, jemals das mindeste von ihr erhalten konnen. Kurz, unter so vielen, die um sie geseufzet hatten, sei Don Eugenio von Lirias, der einzige, dessen eben so tugendhafte als heftige Leidenschaft sie wo nicht aufzumuntern, doch wenigstens zu dulden geschienen habe. Allein wer die Donna Hyacinthe kenne, sei so blode

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ihr was gesehen habt, so musst ihr ja am besten wissen, was es war.Es deuchte mich eine weibliche Gestalt zu sein, aber ich konnte nicht erkennen, wer es sein mochte; sie entfloh oder verschwand in dem namlichen Augenblick, da ich sie gewahr wurde.

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die mir unbekannt sind. Packe dein Gerate zusammen, und lasse uns so leise als wir konnen davon schleichen; es fangt kaum an zu tagen, das ganze Haus schlaft, und wenn auch unsre Feinde wachen, so bin ich gewiss, dass Radiante einen bezauberten Nebel um

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CapitelEine kleine Abschweifung nach Lirias, wobei derAutor eine nicht unfeine Kenntnis des weiblichenHerzens sehen lasstDon Sylvio bejammerte allemal den Verlust des armen kleinen Pimpimps, so oft es darum zu tun war, welchen Weg sie gehen sollten. Allein,

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, in denen die angehende Liebe, die er so gar im Schlafe glucklich genug gewesen war, der reizenden Felicia einzuflossen, sich nach und nach so lebhaft offenbarte, dass es sehr geziert heraus gekommen ware, wenn

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ein Geheimnis daraus hatte machen wollen; zumal da dieses Madchen seines Verstands und guten Herzens wegen, des Vertrauens nicht unwurdig war, wodurch seine Gebieterin es beinahe zum Rang einer Freundin zu erheben schien.Dass dieser unbekannte Schlafer der schonste unter allen Sterblichen sei, das hatten ihnen ihre Augen gesagt, und sie breiteten sich mit desto grossrer Gefalligkeit uber

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sich von ungefahr fugte, dass der namliche Barbier, dessen wir bereits mehrmal Erwahnung getan, und der in der ganzen Gegend fur einen desto bessern Wundarzt gehalten wurde, weil er auf viele Meilen umher der einzige war, gleich den folgenden Morgen nach

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Sylvio einen ausserordentlichen Geschmack an den Feen-Marchen finde, und sich in den Kopf gesetzt habe, dass es lauter wahrhafte Geschichten seien, dass es wurklich Feen gehe, und dass es gar nichts seltsames sein wurde, wenn ihm selbst dergleichen Dinge begegneten.

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nicht vorwerfen konnen, dass wir unserm Helden jemals ein Abenteuer aufstossen lassen, welches nicht vollkommen mit dem ordentlichen Lauf der Natur uberein stimme, und dergleichen nicht alle Tage zu begegnen pflegen oder doch begegnen konnten, wie

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werden, geheilt werden kann. Wir konnten ihnen auch gar leicht mit vielen Grunden beweisen, dass die vorgedachten heilsamen Krafte in dieser Geschichte verborgen liegen. Allein, da diese gedoppelte Bemuhung, uns zum Missvergnugen aller unsrer ubrigen Leser zu lange von der Fortsetzung der Begebenheiten unsers Helden entfernen wurde; so mussen wir es

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in Bearn ware, sich belieben lassen mochte, einen Preis von funfzig Ducaten auf die Untersuchung des manchfaltigen physicalischen, moralischen und politischen Nutzens zu setzen, welchen die menschliche Gesellschaft von

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wegwischen, womit Stolz, Selbstbetrug oder geheime Absichten sie zu verfalschen pflegen; Bucher, die mit desto besserm Erfolg unterrichten und bessern, da sie bloss zu belustigen scheinen, und die auch alsdann, wenn sie zu nichts gut waren,

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machen) weit mehr am Kopf der Leser verderben, als sie an ihrem Herzen bessern konnen, und bloss deswegen so wenig Schaden tun, weil sie ordentlicher Weise nur zum Einpacken anderer Bucher gebraucht werden.Es ware uns, um gewisser Ursachen willen,

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nicht anders gebardeten, als ob sie die einzigen Bewohner dieses prachtigen Ortes waren! Einige lagen auf Polstern von goldnem Brocat, andre spazierten ganz gelassen zwischen den Blumen-Gefassen und schinesischen Pagoden, womit der Camin ausgezieret war, herum, indem noch andre sich um ein wunderartiges schneeweisses Katzchen

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einem halben dutzend schonen neuen Gleichnissen nachsinnen, wodurch ein Poet benotigten Falls den hochsten Grad des Erstaunens und der Besturzung abzuschildern versuchen konnte, ohne dass wir so glucklich gewesen sind, nur ein einziges zu finden, welches nicht durch die vielen Hande, wodurch es seit

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ihrem Saal sichtbar geworden sei, und der gluckliche Instinct, der bei den Beherrscherinnen unsrer Herzen die Stelle unsrer langsamen Vernunft einnimmt, hatte ihr in einem Augenblick begreiflich gemacht, dass sie nicht Feen-massig genug aussehen konne, um den Eindruck zu befordern, den

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uberwaltigte sein ganzes Wesen Alle seine vorige Ideen schienen ausgeloscht, neue Sinnen schienen plotzlich in seinem Innersten sich zu entwickeln, um alle diese unzahliche Reizungen aufzufassen, die ihm entgegen strahlten Kurz,

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Es ist schon langst beobachtet worden, dass das terentianische: Tu si hic esses, aliter sentias, wenn der gehorige Gebrauch davon gemacht wurde, ein fast allgemeines Mittel gegen

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als eine ganze wohl policierte Gesellschaft von moralischen Egoisten beisammen zu sehen, wovon immer einer dem andern seine Personalitat streitig macht, und nichts geringers zu fordern scheint, als dass alle andre in allen

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, da kommen sie mir gerade, wo ich sie erwartete. Wenn der Affect zuweilen verblendet (und das tut er nur alsdann, wenn er raset, welches nie lange dauren kann) so ist hingegen eben so gewiss, dass er ordentlicher Weise das Gesicht scharft. Wie konnen sie erwarten, dass

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Einbildungen fur wurkliche Empfindungen halt; warum wollen sie lieber auf einer Voraussetzung bestehen, wodurch sie die Gesundheit meines Hirns verdachtig machen, als gestehen, dass es eine Sache geben kann, die ich besser kenne als sie,

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und wissen sie wohl warum? die Ursache ist ganz naturlich weil sie beide recht haben. Tu si hic esses sagt Terentz: Sie urteilen wie ein

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viel Muhe brauchen werde, einen jungen Menschen, dessen Torheit bloss in einer Art von Schwarmerei bestund, die aus zufalligen Ursachen einen so seltsamen Schwung genommen hatte, in kurzer Zeit zurechte zu bringen. Ich habe bemerkt, sagte er, dass sie ihm nichts weniger als gleichgultig sind. Es ist wahr, sie

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, wie reizend, bezaubernd, uberirdisch, gottlich, und wofern es moglich ware, mehr als gottlich die Vollkommenheiten seiner Princessin sein mussten, da eine schwache Ahnlichkeit mit ihr diese Fee schon so reizend in seinen Augen machte.Um diesem Schlusse desto mehr Starke zu geben, strengte

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er zu nehmen hatte, bedacht, deuchte ihn zuletzt das sicherste zu sein, sich so bald als moglich, oder wenigstens, so bald als er Ursache finden wurde seinen Argwohn fur gegrundet zu halten, aus diesem gefahrlichen Schlosse zu

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jetzt zum erstenmal in guter Gesellschaft erscheint. Donna Felicia bemerkte es beim ersten Anblick, ohne dass sie darauf acht zu geben schien; sie erriet die Ursache davon mit dieser ausserordentlichen Scharfsinnigkeit, welche die Liebe zu geben pflegt, und

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seinem Herzen bald entscheiden werde.Die Moralisten habens uns schon oft gesagt, und werdens noch oft genug sagen, dass es nur ein einziges bewahrtes Mittel gegen die Liebe gebe, und dieses ist, sagen sie, so bald man sich getroffen fuhlt, so schnell davon zu laufen als nur immer moglich ist.

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einer halb geoffneten Rose zusammen geflossen sind.In einer so sympathetischen Gesellschaft wie diese war, konnte die Conversation nicht lange gleichgultig bleiben. Das Gesprach lenkte sich unvermerkt auf den sonderbaren Zufall, der unsern Helden und Don Eugenio mit einander bekannt gemacht hatte,

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die nur darauf dachte, wie sie mich reizend machen wollte, hatte sich wenig bekummert, mich die Tugend kennen zu lehren; und wie hatte sie es sollen, da sie selbst weder Begriff noch Gefuhl davon hatte. Dem ungeachtet war ich nicht ganzlich ohne moralische Begriffe. Ein gewisser Instinct,

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. Endlich sagte sie, dass ich ihr zu nutzlich ware, als dass sie sich entschliessen konnte, mich ohne einen betrachtlichen Ersatz von sich zu lassen. Zum Ungluck war die grossmutige Dame, die bereits mein ganzes Herz eingenommen hatte, nicht reich genug, die ausschweifende Forderung der Alten zu befriedigen, und

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Die armen jungen Geschopfe, die von ihrer neuen Lebensart nur die angenehme Seite sahen, schienen ganz davon bezaubert zu sein; sie konnten nicht Worte genug finden, mir ihre Gluckseligkeit anzupreisen, und die alteste hatte es schon so weit gebracht, dass

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aus der ersten Besturzung, worin (die Wahrheit zu sagen) Furcht und Vergnugen zu gleichen Teilen vermischt war, erholen konnte. Ich uberlasse dich nun dir selbst, meine liebe Hyacinthe, sagte sie zu mir, nachdem sie mich auf die Seite genommen hatte; du bist liebenswurdig, und hast dir in den Kopf gesetzt, auch tugendhaft zu sein; der Einfall ist gut, und

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Ungewissheit, worin ich hieruber bin, fur das sicherste halte, mir einzubilden, dass ich vielleicht von gutem Hause sei; und so lacherlich ihnen diese Einbildung vorkommen mag, so vermag sie doch

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, so glaubte er, dass dieses der Augenblick sei, da er mich uberraschen konnte. Es wurde lacherlich sein, wenn ich sie uberreden wollte, dass ich keiner Schwachheit fahig sei; die Tugend besteht, meiner Meinung nach, in gewissen Umstanden weniger in einer

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, und sagte ihm, dass ich nichts mehr von einer Liebe horen wolle, die ich in keinerlei Betrachtung aufzumuntern Willens sei. Ich setzte so vieles hinzu, ihn ganzlich hievon zu uberzeugen, dass ihm endlich die Geduld ausging. Er

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Unordnung, worein ihr Fall ihre ohnehin sehr leichte Bekleidung brachte, dem erhitzten Marquis andre Schonheiten, wodurch die Natur sie wegen ihres Gesichts vollkommen entschadiget zu haben schien. Er wurde so sehr dadurch geruhrt, dass er plotzlich den Entschluss

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ich unverschamt genug gewesen war, mich gleichsam den Augen des Publici Preis zu geben, und in einer angenommenen Person Leidenschaften zu erregen, die einer zugellosen Jugend eine Art von Recht zu geben schienen, von mir zu erwarten, dass ich in meiner eigenen Person die ihrigen begunstigen sollte.

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alle Augenblick bereit war alles andere Gluck aufzuopfern? Ein Opfer, wofur derjenige, der wahrhaftig liebt, sich durch einen einzigen Blick, eine einzige Trane der Zartlichkeit fur entschadiget halten wurde. Doch, ich weiss eben so wohl, dass ich in dieser kleinen Gesellschaft von Freunden keine Entschuldigung notig habe, als dass diejenigen, die

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ihr, ungeachtet ich noch immer in den Grenzen der Freundschaft zu bleiben schien, kein Geheimnis war, ein betrachtliches Opfer gebracht habe; allein sie konnte sich doch mit guter Art nicht erwehren, seine Besuche anzunehmen, und an den ausschweifenden prachtigen Lustbarkeiten,

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dieses Abenteuers zufrieden zu sein, so ungedultig hatten mich die Unbequemlichkeiten des theatralischen Lebens, denen ich Hyacinthe bei dieser Gelegenheit ausgesetzt sehen musste, gemacht, sie davon zu befreien. Ich glaubte nunmehr ihres Characters und Herzens so gewiss zu sein, dass ich eine langere Beobachtung fur uberflussig hielt, und ich ging wurklich damit um,

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und der schonen Hyacinthe ihnen selbst und vielleicht auch ihren unmittelbaren Zuhorern gewesen sein mag, so wenig konnen wir unsern Lesern ubel nehmen, wenn sie das Ende davon zu sehen wunschen. Es

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Abkunft, ungeachtet des geheimnisvollen Dunkels, womit sie noch bedeckt sei, eben so erhaben und glanzend sein musse, als ihre personliche Verdienste. Indessen konnte er doch nicht umhin, seine Verwunderung daruber zu bezeugen,

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einer so vollkommenen jungen Dame keinen Anteil gehabt haben sollten? Die ernsthafte Mine, womit er diese Frage tat, machte, dass die beiden Damen, ungeachtet ihres Vorsatzes alle mogliche Achtung fur seine Schwarmerei zu zeigen, sich des Lachens nicht enthalten konnten. Wollten sie dann, sagte Hyacinthe,

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Absicht der schonen Hyacinthe gewesen, uns nur dasjenige, was man einen summarischen Begriff nennen mochte, von ihren Abenteuern zu gehen. Die Feen konnen dem ungeachtet, wie ich nicht zweifeln will, die geheimen Treibfedern aller ihrer wundervollen Zufalle gewesen

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des Altertums streitig macht, sind unstreitig eine Gewahr, die niemand sich einfallen lassen wird fur unsicher zu halten, und wenn schon das sechste Buch davon, fur die Welt langst verloren gegangen ist, so folgt doch nicht daraus, dass

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die wir unsern Leser bereits hievon gegeben zu haben glauben, schon hinlanglich befriediget ist, so werden sie erlauben, dass wir, ohne unsre Bequemlichkeit ihrem Vergnugen aufzuopfern, uns fur diesmal begnugen, ihnen zu sagen, dass die schone Felicia ihre Absichten vollkommen erreicht habe,

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und so wenig kann der vollkommenste Gegenstand von unserer Aufmerksamkeit Meister bleiben, so bald sich uns ein anderer, so klein und eitel er immer vergleichungsweise sein mag, darstellt, der

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fur ihn auszuwahlen. Man muss gestehen, dass unter allen diesen jungen Madchen nicht eine einzige Jungfer war; allein man glaubte, sie wurden sich nur desto besser zu dem ehrenvollen Amte schicken, wozu man sie notig hatte, und wozu sich jede die meiste Hoffnung machte, weil der erste Leibarzt ausdrucklich

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auf die schonste fallen sollte. Aus zwanzig tausend schonen die schonste auszuwahlen, ist keine so leichte Commission, als man denken mochte; auch hatte der Leibarzt, ungeachtet er eine

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bei ihm einzunehmen; allein zum Ungluck kam er schon zu spat, und musste sichs gefallen lassen mit einer von den ubrigen neunzehn tausend, neun hundert und sechs und siebenzig vorlieb zu nehmen; denn die vier und zwanzig waren alle schon bestellt.Inzwischen machten die Drohungen

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seine Meinung gesagt hatte, so befand sichs, dass sechs und dreissig Rate in grossen viereckichten Perucken, nicht weniger als sechs und dreissig Vorschlage getan hatten, wovon an jedem wenigstens sechs und dreissig Schwierigkeiten ausgesetzt wurden; man stritt in mehr als sechs und dreissig Sessionen mit vieler Lebhaftigkeit, und der Prinz wurde vermutlich mannbar geworden sein,

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die Hutte hinein gehen, oder sie sind verloren. Halten sie sich immer linker Hand, und gehen sie fort, bis sie endlich zu einem verfallenen Palast kommen, dessen noch ubrige Pracht ihnen beweisen wird, was er ehmals gewesen ist. Sie werden durch etliche Hofe an eine grosse Treppe von weissem Marmor kommen, welche sie in einen langen Gang fuhren wird, wo sie zu beiden Seiten eine Menge prachtiger und hell erleuchteter Zimmer finden werden. Gehen sie ja in keines derselben hinein, sonst schliesst es sich

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fuhrte in zwei oder drei andere, und die Pracht, womit sie eingerichtet und ausgeschmucket waren, ubertraf alles, was sich seine EinbildungsKraft vorstellen konnte, ungeachtet ihm die Feerei nichts neues war. Allein dieses mal nahm er sich wohl in acht, seiner

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es ist schon fur uns beide gedeckt, und ich hoffe, ihre Treue gegen ihr schones Milchmadchen werde ihnen doch erlauben, mir wenigstens bei Tische Gesellschaft zu leisten. Biribinker merkte den geheimen Verveis sehr wohl, der in diesen Worten lag, er tat aber nicht dergleichen, und begnugte sich mit

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auf diesen kleinen Umstand ankommt, so werden sie unter den zehen tausend Gnomen, die ihnen zu Diensten stehen, einen neuen Grigri suchen mussen, um ihren graubartigen Gecken an seinem wundertatigen Nebenbuhler zu rachen (denn daran wird ihnen vermutlich mehr gelegen sein, als dass ihr kleiner Zwerg seine vorige Schonheit wieder

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hochachtungswurdige Feen gebe; denn es ist unleugbar, dass es solche gibt; indessen ist doch gewiss, dass vielleicht die meisten irgend etwas seltsames und ungereimtes an sich haben, wodurch sie sich von den Sterblichen unterscheiden wollen;

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uberzeugt und ruhrt, ohne dass man darauf acht gibt was sie sagt, und wurde gemeiniglich nicht viel dabei gewinnen, wenn man darauf acht gabe. Wenn sie unserm Geschlecht keine schonere Complimente zu machen haben, sagte Donna Felicia, so taten sie besser ihre Erzahlung fortzusetzen, so langweilig sie immer sein mag.Don Gabriel versprach, sein moglichstes zu tun, um sie kurzweiliger zu machen,

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meinen Fussen verzehrt zu werden wunschen; glauben sie mir, ich weiss besser was sie wunschen, und sie wurden mehr dabei gewinnen, wenn sie naturlich mit mir reden wollten. Diese schwulstige Sprache,

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seinem nicht geringen Erstaunen, auf eben dem Ruhebette, in eben dem Zimmer, in eben dem Palast, und in dem namlichen Zustande befand, worin er des Morgens zuvor gewesen war.Die schone Ondine, welche, man weisst nicht warum? sich nicht weit von ihm befand, merkte

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tandeln, analysierte er mir die geheimnisvollen Schriften des Averroes; wir sprachen ganze Tage lang von unsern Empfindungen, und ob es gleich im Grund immer eben dieselbigen waren, so wussten wir ihnen doch so vielerlei Wendungen zu geben, dass wir immer etwas neues zu sagen schienen, wenn wir in der Tat immer einerlei sagten. Sie sehen, mein Prinz, dass nichts unschuldigers sein konnte, als

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meinen Augen blitze, welches lange Zeit darin erloschen gewesen war; ein anderer konnte nicht begreifen, dass meine Lust zur Philosophie gross genug sein konne, um mir so gar in meinem Schlafzimmer Lectionen darin geben zu lassen; ein dritter wollte eine gewisse Sympathie unserer Knien und Ellenbogen, und ein vierter ich weiss nicht was

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! Ich mag nicht reden Aber glauben sie mir, ihr moralisieren fangt mir an beschwerlich zu werden, so eine grosse Meisterin sie immer darin sein mogen. Sagen sie mir lieber, wie ich meine geliebte Galactine aus

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sie sich einbilden, und ich kenne einen gewissen Gnomen, der ihnen, so klein er ist, mehr Eintrag tun konnte als Caraculiamborix, wenn er gleich noch etliche hundert Ellen langer ware als er

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als er vielleicht denkt, und ich hoffe ihnen Anleitungen zu geben, wodurch sie in den Stand gesetzt werden sollen, alle seine Vorsichtigkeit zu vereiteln.Ich wurde ihnen sehr dafur verbunden sein, erwiderte der Prinz; ich weiss nicht was

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Walfisches anders erwarten als ausserordentliche Dinge?) hatten ihn billig geneigt machen sollen, alles glaubwurdig zu finden, was man ihm sagte; dem ungeachtet war er diesmal so eigensinnig, dass er nur sich selbst glauben wollte. Er ging also auf den unsichtbaren Palast zu;

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sich gefallen lassen wollen, zu tun was ich ihnen sage, so wird ihnen der Palast sichtbar werden, und sie werden eben so sicher hinein gehen konnen, als ob es eine Strohhutte ware. Sie brauchen nur ein ganz leichtes Mittel dazu,

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dass die schonste Sterbliche gegen die geringste von unsern Schonen nicht besser als wie ein Affenweibchen aussehen wurde? Es ist wahr, ich kenne eine Ondine, die vielleicht der schonsten Salamandrin den Vorzug streitig machen konnte; allein es ist

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gegen die vereinigten Reizungen aller ihrer feurigen Schonen so sicher zu sein glaube, als ich es mitten unter den hasslichsten Gnomiden sein konnte. Es wird sich zeigen, sagte der Kurbis, ob sie diese edle Gesinnungen zu behaupten wissen werden;

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die sie bisher uber ihn erhalten haben, zu urteilen, konnen sie allerdings hoffen, diesesmal nicht weniger glucklich zu sein.Es mag gehen wie es will, versetzte Biribinker,

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nicht, hoffe ich, welche unter ihnen die schonste sei? Sagte Biribinker. Und warum nicht? erwiderte die Gnomide; sie haben es ersten Streichs erraten. Aber denken sie nur, mein schoner Prinz, nachdem ich es wurklich schon dahin gebracht habe,

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alles beiseite setzen, und nur von der Nase reden. Es ist wahr, die ihrige ist eine von den grossten, die man sehen mag, und man konnte in Versuchung geraten, sie die Schonste zu nennen, wenn man die meinige nicht gesehen hat: Aber man braucht ja keinen Massstab, um zu finden, dass meine Nase wenigstens einer halben Spanne lang weiter uber den Mund herab hangt als die ihrige. Die Schamhaftigkeit erlaubt mir nicht, setzte sie mit einem entsetzlich zartlichen Blick hinzu, von andern Schonheiten zu reden, die nur einem glucklichen Liebhaber sichtbar werden durfen; aber sie konnen versichert sein,

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wurde in eben demselben Augenblick die seinige, wenigstens uber die schone Salamandrin ganzlich verloren haben; und da alles dieses wahrend dass der Alte schlief, gar leicht hatte begegnen konnen, so

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Inhalt derselben aufzuhalten. Biribinker, fahrt die Geschichte fort, erwachte eben aus einer Betaubung, welche gewissen Indianischen Philosophen so angenehm zu sein scheint, dass sie in eine immerwahrende Dauer derselbigen den hochsten Grad der Gluckseligkeit setzen, als er gewahr wurde, dass die schone Unsichtbare alle

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durch eine dreimal wiederholte Untreue dich ihrer nicht selbst unwurdig gemacht hattest. Wenn Mitleiden dir helfen konnte, armer Prinz, sagte das schone Milchmadchen, so wurdest du, so wenig du es auch von mir verdient haben magst, weniger unglucklich sein; denn ich sehe wohl, dass

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Erben so gross und schon mit einer so schonen Princessin und mit einem so schonen Namen wieder zu sehen. Bald darauf wurde das Beilager mit grosser Feierlichkeit und Pracht vollzogen; das neue Ehepaar liebte sich so lange als es konnte, und

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die Wahrheit sagen soll, so halte ich es fur unmoglich, das abenteurliche und ungereimte weiter zu treiben, und Don Sylvio musste wohl sehr gut sein, wenn er nicht schon lange gesehen hatte,

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Sie haben hierin vollkommen recht, sagte Donna Felicia, aber eben darin besteht das Lustige von der ganzen Comodie, oder vielmehr wenn man diesen einzigen Umstand wegtate, so wurde die ganze Geschichte des Prinzen Biribinkers an statt eines der possierlichsten Feen-Marchen,

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Geschichten eine umstandliche Beschreibung macht, und worin er selbst ein grosses Land entdeckt hat, welches damals von funf oder sechs verschiedenen Nationen bewohnt war, die immer gegen einander zu Felde lagen, und vermutlich zu der

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, nicht notwendiger Weise die mechanischen und geborgten Krafte eben dieser Werkzeuge unendlich ubersteigen mussten. In dieser Betrachtung glaube ich allerdings, dass unzahliche Dinge moglich sind, die wir aus keinem bessern Grunde fur unmoglich halten, als weil sie unserer Unwissenheit unbegreiflich vorkommen; worin wir ungefahr eben so weise sind,

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; ein grosses Ubel, welches dem schwachen Verstand oder dem bosen Willen, oder wenigstens der Eitelkeit der Geschichtschreiber zu Schulden liegt, und in meinen Augen die wahre Quelle so vieler schadlichen Irrtumer ist, womit wir die verschiedenen Gesellschaften der Menschen behaftet sehen. Glauben

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mit dem ordentlichen Lauf der Natur, in so fern sie unter unsern Sinnen liegt, oder mit demjenigen hat, was der grosste Teil des menschlichen Geschlechts alle Tage erfahrt, eben deswegen die allerstarkste und gewisser massen eine unendliche Prasumtion der

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zur Censur gegeben worden, von diesem Discurs den unschuldigen Anlass genommen, den Druck des ganzen Werks zu untersagen. Dem sei wie ihm wolle, so fand Don Eugenio selbst fur gut, die Fortsetzung dieser allzu metaphysischen Untersuchungen zu hemmen. Ich glaube kaum, sagte er,

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, wie leicht uns in diesem Stuck unsere vorgefasste Meinungen oder eine allzuwurksame Phantasie hintergehen kann, etwas anders braucht, als sich auf Don Sylvio eigene Erfahrung zu berufen. Ich wette was man will, sie glaubten beim Eintritt in diese Garten, und beim Anblick des

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die ihn vielleicht lieber narrisch sehen wurden, dabei verlieren oder nicht.Damit man uns indessen den Vorwurf nicht machen konne, als ob wir den guten Pedrillo, so bald wir seiner nicht mehr notig gehabt, undankbarer

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sie aber einander eben so unverhofft antrafen als Dido und der trojanische Held in einer gewissen Hohle, so war nichts naturlichers, als dass sie, an statt zu schlafen, sich zusammen setzten, und mit einander schwatzten. Die Hitze tut nicht auf alle Leute die namliche Wurkung, und wenn gleich die Naturkundiger beweisen, dass ein grosser Grad derselben

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kein schoners wunschen, wenn ich an eurem Platz ware. Ich weiss schon was ich weiss, wenn ich schon nicht dergleichen tue; aber man findet manchmal mehr als man sucht, und ein Waldschnepfe lasst sich wohl gegen einen Auerhahnen tauschen. Ich will nichts gesagt haben, aber denkt an mich,

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es vor etlichen Tagen in dem namlichen Walde verlor, wo sie es bald darauf gefunden haben mussen. Dieses ist die Entwicklung des ganzen Knotens, und nun, setzte sie lachelnd hinzu, uberlasse ich ihnen,

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, in denen er seine Seele hatte ausatmen mogen. Fur eine zartliche Schone von Feliciens Alter ist vielleicht nichts gefahrlicher als der Anblick der Gluckseligkeit, womit ihre erste Gutsbezeugungen ihren Liebhaber berauschen; und man muss gestehen, dass die Gefahr nichts desto kleiner ist,

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auf eine kleine Weile beurlauben sollte, und so wenig hatte ihn das Anschauen seiner geliebten Felicia in vier ganzen Stunden sattigen konnen, dass es ihm fast unmoglich schien, sich nur auf etliche Augenblicke davon los zu reissen.Eine Weile darauf fand sich die ganze kleine Gesellschaft beim Tee-Tische der Donna Felicia zusammen. Don Eugenio und Don Gabriel bewunderten die sichtbare Verwandlung nicht wenig, die mit unserm Helden vorgegangen war; der erste hatte sich schon mit einer ganzen Rustung von

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floss, wurdig bewiesen; dass die junge Hyacinthe sich aufgemuntert fand, ihren Anteil zum Lob unsers Helden beizutragen.Die erhabene Mencia liess sich jetzt zum erstenmal herab, diese kleinen Geschopfe mit einem zerstreuten Blick anzusehen. Wir haben ehemals schon bemerkt, dass Hyacinthe weder die Grosse,

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(wie wir hoffen,) lange genug lebt, seiner Zeit auch so gar weise zu werden. Wir konnten ihn also in so angenehmen Umstanden mit bestem Fuge seiner Liebe und seinem glucklichen Gestirn uberlassen, wenn wir nicht vermutlich einige Leser

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und Birkenreiser regiert werden: das will niemand gern glauben, und mich dunkt, man kann es mit Handen greifen.Ich gestehe dir gern, denn ich weiss, was du mir hierauf sagen mochtest, dass diejenigen die Glucklichsten sind, die gleich den Kindern in den Tag hinein leben, ihre

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des Abends gesagt: "Sie kommen doch morgen?" Wer konnte da wegbleiben? Oder sie gibt mir einen Auftrag, und ich finde schicklich, ihr selbst die Antwort zu bringen; oder der Tag ist gar zu schon, ich gehe nach Wahlheim,

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will mir wohl, und ich vermute, das ist Lottens Werk mehr als seiner eigenen Empfindung; denn darin sind die Weiber fein und haben recht; wenn sie zwei Verehrer in gutem Vernehmen mit einander erhalten konnen, ist der Vorteil immer ihr, so selten es auch angeht.Indes

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.Ich konnte das beste, glucklichste Leben fuhren, wenn ich nicht ein Tor ware. So schone Umstande vereinigen sich nicht leicht, eines Menschen Seele zu ergetzen, als die sind, in denen ich mich jetzt befinde. Ach so gewiss ist's, dass unser Herz allein sein Gluck macht. Ein Glied der liebenswurdigen Familie zu

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dem alles abhing, zu losen. Hatte eine gluckliche Vertraulichkeit sie fruher wieder einander naher gebracht, ware Liebe und Nachsicht wechselsweise unter ihnen lebendig worden und hatte ihre Herzen aufgeschlossen, vielleicht ware unser Freund

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ein und sechzigste,) worin ein gewisser wilder thracischer Ton mit der ionischen Grazie, die seinen Liedern eigen ist, auf eine ganz besondere Art absticht.Wer sollte nun nicht denken, die Tejer in ihrem ersten Ursprung Athenienser so lange Zeit in Ionien einheimisch Mitburger eines Anakreons sollten auch in Thracien den Charakter eines geistreichen Volkes behauptet haben?

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. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken, was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten. Die naturliche Folge hievon war, dass sie selten den Mund auftaten, ohne etwas albernes zu sagen. Zum Ungluck erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch

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. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, dass es endlich so kommen wurde. Der Fehler lag in der Tat bloss an den Mitteln, wodurch sie dem Ubel steuern wollten; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten, dies einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hatte offnen sollen, war, dass sie kaum etliche Monate von

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Dieses alles ungeachtet, konnte Natur, Zufall und gutes Gluck mit zusammengesetzten Kraften wohl einmal so viel zuwege bringen, dass ein geborner Abderite Menschenverstand bekam. Aber wenigstens muss man gestehen, wenn sich so etwas begab, so hatte Abdera nichts dabei geholfen. Denn ein Abderit war ordentlicher Weise nur in so fern klug,

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fur einen weisen Mann zu halten. Dies folgt aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten bemerkt worden sein muss, und gleichwohl, da Helvetius daraus folgerte was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam;

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habe mich immer zu wohl befunden, mich der sanften Gewalt von zwei schonen Augen, die an ihrem naturlichen Platze stehen, zu uberlassen, um jemals eine Versuchung zu bekommen, das grosse Stierauge auf der Stirn einer Cyklopin zartlich zu sehen.Die Schone mit den grossen Augen,

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, und zehen Tausenden noch schonern Blumen, die in unsrer Sprache ohne Namen sind, freiwillig hervorbluhn, und die Luft mit wollustigen Wohlgeruchen erfullen?Die schonen Abderitinnen hatten, wie leicht zu erachten, die Einbildungskraft nicht weniger lebhaft als die

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schloss ihre grossen Augen halb, und befand sich unvermerkt am blumichten Rand einer dieser schonen Quellen, von Rosen und Zitronenbaumen umschattet, aus deren Zweigen Wolken von ambrosischen Duften auf sie herab wallten. In einer sanften Betaubung von sussen Empfindungen begann sie eben einzuschlummern:

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eine oder andre Art sehr lebhaft Anteil nahm. Da die ubrigen Anwesenden nicht wissen konnten, dass die gute Dame einige hundert Meilen weit von Abdera unter einem athiopischen Rosenbaum, in einem Meer der sussesten Wohlgeruche schwamm, tausend neue Vogel das Gluck der Liebe singen horte, tausend bunte Papageien vor ihren Augen herum flattern sah,

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dass die schonsten unter den athiopischen Nationen (namlich diejenigen, die nach unserm Massstabe die schonsten, das ist, uns die ahnlichsten sind,) durchaus olivenfarb wie die Aegyptier, und diejenigen, welche tiefer im festen Lande und in den mittaglichsten Gegenden wohnen,

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ihr die grosste Schmeichelei sage,) schone Augen mussten sehr gross sein, wenn ich sie zu gross finden sollte; und hassliche konnen, deucht mich, nie zu klein sein.Die schone Lysandra warf einen triumphierenden Blick auf

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dann eine ganze Glorie von Zufriedenheit aus ihren grossen Augen auf den glucklichen Demokrit herab."Darf man wissen, was Sie unter schonen Augen verstehen?" fragte die kleine Myris, indem sich ihre Nase merklich spitzte.Ein Blick der schonen Lysandra schien ihm zu sagen: Sie

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hatte ihre kleinen Augen, ein anderer ihre schwellenden Lippen, ein dritter ihre grossen Ohren bewundernswurdig wurdig gefunden: so setzt auch dies immer eine Vergleichung zwischen ihr und andern athiopischen Schonen voraus. Die ubrigen hatten Augen,

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Haar ist wollicht, und deine Nase platt; deine Augen sind klein, deine Ohren gross, und deine Lippen gleichen einer aufgeborstnen Nelke. Aber dein Herz ist rein und aufrichtig und frohlich, und fuhlt mit der ganzen Natur. Du denkst nie Arges, sagst nie was Albernes, qualst weder andre noch dich

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deinem Busen ruhe! Gute, sanftherzige Gulleru! Ich konnte dir einen andern Namen geben; einen schonen, klangreichen, griechischen Namen auf ane oder ide, arion oder erion: aber dein Name ist schon genug, weil

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unternahmen, immer erst mitten im Werke ausrechneten, dass es uber ihre Krafte gehe; wenn sie ihre halbthracische Sprache mit attischen Redensarten spickten; ohne den mindesten Geschmack eine ungeheure Passion fur die Kunste affectierten, und immer von Malerei

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, so wenig auch das, was sie sagten, zu bedeuten haben mochte.Sie besassen auch einen eignen Schauspieldichter, Hyperbolus genannt, der, wenn man ihnen glaubte, ihre Schaubuhne so weit gebracht hatte, dass sie der atheniensischen wenig nachgab.

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die er reden lassen soll, zu stellen."Sie finden also die Hekuba unsers Dichters nicht vortrefflich?"Ich finde, dass der Mann vielleicht sein Bestes getan hat. Aber die vielen, bald dem Aeschylus, bald dem Sophokles, bald dem Euripides, ausgerupften Federn, womit er seine Blosse zu decken sucht, und die ihm vielleicht in den Augen mancher Zuhorer, denen jene Dichter

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, die immer ihren eigenen Individualbegriffen und Empfindungen gemass reden und handeln; immer so, dass man fuhlt, nach ihrem besondern Charakter, nach allen ihren vorhergehenden und gegenwartigen Umstanden und Bestimmungen, mussen sie im gegebenen Falle so reden, so handeln, oder aufhoren zu sein

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werden, glanzend, ohne zu blenden; wahre Heldensprache, die immer der lebende Ausdruck einer grossen Seele und unmittelbar vom gegenwartigen Gefuhl eingegeben ist, nie zu viel, nie zu wenig sagt, und, gleich einem dem Korper angegossnen Gewand, immer den eigentumlichen Geist des Redenden durchscheinen lasst. Ich fodre, dass derjenige, der sich unterwindet, Helden reden zu lassen, selbst eine grosse Seele habe;

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nicht die unsrige! Hyperbolus gefallt uns, ruhrt uns, macht uns Spass; und gesetzt auch, dass er uns mitunter gahnen macht, so bleibt er doch immer ein grosser Dichter! Brauchen wir eines weitern Beweises?"

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Namen zu nennen; und so eigensinnig, dass ich nie gestehen werde, alles sei schon und vortrefflich, was man so zu nennen beliebt."Aber das Gefuhl eines ganzen Volkes wird doch mehr gelten, als der Eigendunkel eines einzigen?"

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Gelegenheit dazu gaben; aber, wiewohl dies sehr oft geschah, so konnten sie sich doch unmoglich gewohnen, diesen Ton angenehm zu finden. "So geht es, sagten sie, wenn man naseweisen Junglingen erlaubt, in der weiten Welt herum zu reisen

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schamen zu lernen, und nach zehn oder zwanzig Jahren mit einem Kopfe voll auslandischer Begriffe als Kosmopoliten zuruckzukommen, die alles besser wissen als ihre Grossvater, und alles anderswo besser gesehen haben als

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hing an zwanzig andern; es war unmoglich, einen davon abzustellen, ohne den ganzen Staat umzuschaffen. Eine gute Seuche (dacht er) welche das ganze Volkchen bis auf etliche Dutzend Kinder, die gerade gross genug waren,

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am liebsten sehen mochte, sagte eine von den Basen, das ware ein lebendiger Sphinx! Sie mussen deren wohl viele in Aegypten gefunden haben?""Aber ists moglich, ich

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zum Sehen eben so unbequem, als zu wenig. Helldunkel ist, deucht mich, gerade so viel Licht, als man gebraucht, um weder zu viel noch zu wenig zu sehen. Ich setze zum voraus, dass Sie uberhaupt sehen konnen. Denn wenn dies nicht ware, so begreifen Sie wohl, dass wir beim Licht von zehentausend Sonnen nicht besser sehen wurden, als beim Schein eines

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die Moralisten tun sollen?"Die Natur erst ein wenig kennen lernen, eh sie sich einfallen lassen, es besser zu wissen als sie; vertraglich und duldsam gegen die

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am wenigsten davon zu wissen glaubte.Die Philosophen, vermutlich weil sie es fur zu klein hielten, in den Detail der Natur herabzusteigen, gaben sich mit lauter Aufgaben ab, die ausserhalb der Grenzen des menschlichen Verstandes liegen. Bis

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Diese Meinung fand in Abdera wegen ihrer Bequemlichkeit vielen Beifall. Sie erklart alles, sagten sie, ohne dass man notig hat, sich erst lange den Kopf zu zerbrechen. Es ist immer so gewesen, war die gewohnliche Antwort eines

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, uber einander liegen, und sich nach und nach ablosen."Sehr deutlich gegeben, riefen die Abderiten, sehr deutlich! Sie glaubten den Philosophen verstanden zu haben, weil sie sehr gut wussten, was

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Stoffe Form gibt; beide sind von Ewigkeit her vereinigt; und, so wie einzelne Korper aufgelost werden, sobald der Geist, der ihre Teile zusammenhielt, sich zuruckzieht, so wurde, wenn der allgemeine Weltgeist aufhoren konnte das Ganze zu umfassen und zu

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sich selbst kommen, von sich selbst gehen sagten die Abderiten."Man spricht wohl so, antwortete der Philosoph: allein, wo habt ihr jemals gesehen, dass es wirklich so erfolgt ware? Ich habe freilich unsre Archonten wohl tausendmal sagen horen: es wird sich schon geben; es wird schon kommen! dies oder jenes wird sich schon machen! Aber wir hatten gut warten!

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ist sehr gross; und von dem Standort, woraus wir in sie hineingucken, nach ihren vornehmsten Provinzen und Hauptstadten ist es so weit, dass ich nicht wohl begreife, wie sich einer von uns einfallen lassen kann, die Charte eines Landes aufzunehmen, wovon ihm (sein angebornes Dorfchen ausgenommen) alles ubrige, und sogar die Grenzen unbekannt sind.

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dies so lange, bis wir so viel davon herausgebracht hatten, als funf Menschensinne, mit Verstand angestrengt, daran entdecken konnen. Ihr werdet zu tun finden, das konnt ihr mir auf mein Wort glauben. Aber dafur werdet ihr auch

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in so fern Gutes tun kann, als das Subject dessen fahig ist: so fand er sein Vermogen durch die unzahligen Hindernisse, die ihm die Abderiten entgegensetzten, in so enge Grenzen eingeschlossen, dass er Ursache zu haben glaubte, sich als eine der entbehrlichsten Personen in dieser kleinen Republik anzusehen. Was

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als Abderiten tun konnte, glaubte er hinlanglich gerechtfertigt zu sein, wenn er wenigstens seine eigene Person in Sicherheit zu bringen suchte, und einen so grossen Teil als immer moglich von derjenigen Zeit rettete,

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durch die blosse Wissenschaft der Regeln ein guter Dichter oder Kunstler geworden sei und nur derjenige, welchen angebornes Genie, emsiges Studium hartnackiger Fleiss und lange Ubung zum Dichter oder Kunstler gemacht, geschickt sei, die Regeln seiner Kunst recht zu verstehen und anzuwenden: so sei auch die

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jeden andern hingegen eine hochst ungewisse und betrugliche Sache; und eben darum musse sie als eine von den geheimen Wissenschaften oder grossen Mysterien der Philosophie immer nur der kleinen Zahl der Epopten29 vorbehalten bleiben.Diese

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dieses Merkmal schon ofters von den Geheimnissen junger und alter Schonen mehr entdeckt hat, als diese Lust gehabt haben wurden, mir von freien Stucken anzuvertrauen31.Der zuversichtliche Ton, womit er dies sagte, verursachte einige Entfarbungen; wiewohl die Abderitinnen

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der die ganze Welt zum Besten hat Aber darf man fragen, worin Ihr Mittel besteht?"Wie ich Ihnen sagte, die naturlichste Sache von der Welt. Ein ganz kleines unschadliches Ding, einem schlafenden Frauenzimmer aufs Herzgrubchen gelegt, das ist das ganze Geheimnis; aber es tut Wunder, dies konnen Sie mir glauben. Es macht reden, so lange noch im innersten Winkel des

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Halften (wiewohl wir davon schon gewiss waren, sagten sie) noch gewisser zu machen.Die guten Weiber wussten nicht, ob sie ihren Sinnen glauben sollten. Aber, wiewohl sie Abderitinnen

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diese dort sang, als Nannion so davon geruhrt wurde?"Das lasst sich nicht so leicht ins Griechische ubersetzen als Sie denken, schone Thryallis. Es gibt keine Redensarten in unsrer Sprache, die dazu zartlich und feurig genug waren."Aber wie konnen Sie denn die Sprache der Vogel verstehen, wenn

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doch so gerne Arges von seinem Nachsten denkt! Indessen verdient Ihre Antwort, dass ich mich naher erklare. Die Vogel verstehen einander durch eine gewisse Sympathie, welche ordentlicher Weise nur unter gleichartigen Geschopfen statt hat. Jeder Ton einer singenden Nachtigall ist der lebende Ausdruck einer Empfindung, und erregt in der zuhorenden unmittelbar den Unisono dieser Empfindung. Sie verstehet also, vermittelst ihres eignen innern Gefuhls, was ihr jene sagen wollte; und gerade auf die namliche Weise versteh

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die Sache unmoglich mit so vielen Umstanden hatte erzahlen konnen, wenn sie nicht wahr gewesen ware. Indessen wussten sie itzt doch gerade nur so viel davon, als notig war, um desto ungeduldiger zu werden, alles zu wissen"Aber,

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Denn jener lasst uns doch noch immer ein wenig Hoffnung ubrig; dieser hingegen weint alberner Weise uber Dinge, die er bessern zu konnen verzweifelt. Auch zeigt derjenige eine grossere Seele,

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sich selbst freiwillig des Gesichts beraubt habe, und die Ursachen, warum er es getan haben soll, dies setzt auf Seiten derjenigen, bei denen es Eingang finden konnte, eine Neigung voraus, die wenigstens ihrem Kopfe wenig Ehre macht.Und was fur eine Neigung mag denn das

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fur einen unverwerflichen Zeugen gelten zu lassen, sobald er einem grossen Manne irgend eine uberschwengliche Ungereimtheit nachsagt, welche auch der alltaglichste Mensch bei funf gesunden Sinnen zu begehen unfahig ware.Ich mochte nicht gerne glauben, dass diese Neigung so allgemein sei, als die Verkleinerer der menschlichen Natur behaupten. Aber dies wenigstens lehrt die Erfahrung: dass die kleinen Anekdoten, die man von grossen Geistern auf

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Art zu denken) noch viel Ehre zu erweisen glauben; und dies mag wohl, was die freiwillige Blindheit unsers Philosophen betrifft, der Fall bei mehr als einem abderitischen Gehirne gewesen sein."Demokritus beraubte sich des Gesichtes, sagt man, damit er desto tiefer denken konnte. Was ist hierin so unglaubliches:

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, um desto besser zu beobachten, zu zergliedern, und nach den Sternen zu sehen?Die Ungereimtheit ist so handgreiflich, dass Tertullianus die angebliche Tat unsers Philosophen aus einer andern Ursache ableitet, die ihm aber zum wenigsten eben so ungereimt hatte vorkommen mussen, wenn

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Verstande (wofur man gleichwohl den Demokritus ausgibt,) so gar erbarmlich raisonnieren konnte. Freilich sind grosse Geister von der Moglichkeit sich zu irren, oder unrichtige Folgerungen zu ziehen, eben so wenig frei als die kleinen; wiewohl man gestehen muss, dass sie unendlichmal seltener in diese Fehler fallen, als es die Lilliputter gerne hatten; aber es gibt Albernheiten,

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Dummheit werden einander schon die Waage halten. Er wird, in so fern er nur kein Omrah ist, weder durch diese noch jene grossen Schaden tun. Die Welt ist weit; lass ihn laufen, Itimaddulet! aber vorher soll er kommen, und

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die Sykophanten wenigstens den zwanzigsten Teil der Einwohner von Abdera ausmachten, und die Leute gleichwohl nicht bloss von Feigen leben konnten: so reichten die gewohnlichen Gelegenheiten, wobei die Rechtshandel zu entstehen pflegen, nicht mehr zu.

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, so gefahrlich und gewagt sie auch immer sein mogen, bleibt doch wenigstens eine Moglichkeit, mit ganzer Haut davon zu kommen. Aber ein abderitischer Client war immer gewiss, um sein Geld zu kommen, er mochte seinen Handel gewinnen oder verlieren. Nun rechteten die Leute zwar darum weder mehr noch weniger; allein ihre Justiz kam dabei in einen

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der die gemeinen Kunstgriffe seiner Mitbruder verachtete, und sich viel darauf zu gut tat, dass er, seitdem er sein edles Handwerk trieb, ein paar hundert schlimme Handel gewonnen hatte, ohne jemals eine einzige directe Luge zu sagen. Er steifte sich auf lauter unleugbare Facta; aber seine Starke lag in der

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Narr ist verloren, so bald es so weit mit ihm gekommen ist, dass er Unsinn spricht. Bei dem gelehrten Narren hingegen sehen wir gerade das Widerspiel. Sein Gluck ist gemacht und sein Ruhm befestiget, so bald er Unsinn zu reden oder zu schreiben anfangt. Denn die meisten, wiewohl sie sich ganz eigentlich bewusst sind, dass sie nichts davon verstehen, sind entweder zu misstrauisch gegen ihren eigenen Verstand, um gewahr zu werden,

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Unsinn zu finden. Jener, gleich einem durch den offentlichen Beifall angefrischten Luftspringer, tut immer desto verwegnere Satze, je mehr ihm zugeklatscht wird. Diese klatschen immer starker, um den gelehrten Gaukler noch grossere Wunder tun zu sehen. Und so geschieht es oft,

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nicht zu ermuden, will ich aus unzahligen Beispielen nur zwei anfuhren, deren Gewissheit gerichtlich erwiesen werden kann, falls sie ihrer Unglaublichkeit wegen in Zweifel gezogen werden sollten.Vor einiger Zeit wurden unserm Philosophen Feigen vorgesetzt, die, wie es ihm deuchte, einen ganz besondern Honiggeschmack hatten. Die Sache schien ihm von

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und allen angrenzenden Gegenden missgeraten waren. Demokritus hatte das Jahr zuvor (ich weiss nicht, ob durch Punctation oder andre magische Kunste) herausgebracht: dass die Oliven, die damals sehr wohlfeil waren, im folgenden Jahre ganzlich fehlen wurden. Ein solches Vor wissen wurde hinlanglich sein, das Gluck eines vernunftigen Mannes auf seine ganze Lebenszeit zu

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man ihn beim Worte nehmen wurde.Hippokrates, sagte der Archon, ist allerdings der Mann, der uns am besten aus diesem bedenklichen Handel ziehen konnte. Zu gutem Gluck befindet er sich eben zu Thasos; vielleicht lasst er sich bewegen, zu uns heruber zu kommen, wenn

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doch so abderitisch nicht" werden die Arzte denken, die sich vielleicht unter unsern Lesern befinden. Aber wo sagten wir denn, dass die Abderiten gar nichts getan hatten, was auch einem vernunftigen Volke anstandig sein wurde? Indessen lag doch der wahre Grund, warum sie dem Hippokrates so viel Ehre erweisen wollten, keinesweges

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Sache, woran dem gemeinen Wesen gelegen sei, anzusehen. "Wahnwitz (sagte er mit grosser Ernsthaftigkeit) ist ein Punkt, worin die grossten Geister und die grossten Schopse zuweilen zusammentreffen. Wir wollen sehen!"

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Anblick einer schonen Frau allemal etwas sehr unterhaltendes. Und wofern die schone Frau etwas dummes sagt, (welches den schonen Frauen zuweilen so gut begegnen soll als den hasslichen,) macht es einen merklichen Unterschied, ob man sie nur hort, oder ob man sie zugleich sieht. Denn im letzten Falle ist man immer geneigt, alles, was sie sagen kann,

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nicht so wohl befinden, als es zu wunschen ware. Ich bin zwar zu Cos geboren, und wohne bald zu Athen, bald zu Larissa, bald anderswo; itzt zu Abdera, morgen vielleicht auf dem

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Ernsthaftigkeit, womit er uns alles das vordeclamierte, rief ein Dritter; ich gestehe, dass ich mir gar nicht einbilden konnte, wo es hinaus laufen wurde. Ha, ha, ha, ein lustiger Zufall, so wahr ich ehrlich bin, sagte der kleine dicke Ratsherr,

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den Alten ausser allen fernern Widerspruch setzen: so wusste das Publicum ausgenommen wenn ein neues abderitisches Originalstuck aufs Theater gebracht wurde selten vorher, was gespielt werden wurde. Denn wiewohl die Herren von der Deputation eben kein Geheimnis aus der Sache machten: so

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durch einen einzigen kleinen Umstand erzabderitisch wurde; namlich, dass die Antwort schlechterdings von keinem praktischen Nutzen sein konnte. Denn die Leute gingen in die Komodie, es mochte ein altes oder neues, gutes oder schlechtes Stuck gespielt werden.Eigentlich zu reden gab es fur die Abderiten gar keine schlechte

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den Idiotismen unsers thracischen Athens erzahlen konnen: so ist doch dieser eben erwahnte Zug etwas so ganz besonderes, dass wir besorgen mussen, keinen Glauben zu finden, wofern wir ihnen nicht begreiflich machen, wie es zugegangen, dass

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das Ratsel auflosen sollen, eine kleine Ausschweifung uber das ganze abderitische Theaterwesen erlauben mussen. Wir sehen uns aber genotiget, uns von dem gunstigen und billig denkenden Leser vorher eine kleine Gnade auszubitten, an deren grossmutiger Gewahrung ihm selbst am Ende noch mehr gelegen ist als

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in ihrem eigenen Mittel anzulegen, und diese neue poetische Manufactur in welcher abderitischer Witz, abderitische Sentiments, abderitische Sitten und Torheiten als eben so viele rohe Nationalproducte zu eigenem Gebrauch dramatisch verarbeitet werden sollten wie guten weisen Regenten und Patrioten zusteht, auf alle mogliche Art aufzumuntern. Dies auf Kosten des gemeinen Seckels zu bewerkstelligen, ging aus zwo Ursachen nicht wohl an: erstens, weil

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er nun binnen wenig Jahren zu mehr als 60 Stucken von beruhmten und unberuhmten atheniensischen Schauspieldichtern die Musik gemacht denn die abderitischen Nationalproducte uberliess er meistens seinen Schulern und Nachahmern, und begnugte sich bloss mit der

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Wiederholung mitunter gahnen und hojahnen machten, dass die Kinnladen hatten auseinander gehen mogen, so versicherte man einander doch beim Herausgehen sehr trostlich: es sei gar ein schones Stuck und gar eine schone Musik gewesen!Und so vereinigte sich denn

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man's nehmen will, mussen wir uns die Abderiten gleichwohl nicht als Leute ohne allen Geschmack einbilden. Denn ihre funf Sinnen hatten sie richtig und vollgezahlt; und wiewohl ihnen, unter den angegebnen Umstanden, Alles gut genug schmeckte: so deuchte sie doch,

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man sich darauf verlassen, dass der Gesichtspunkt, woraus er eine Sache ansah, immer der schiefste war, woraus sie angesehen werden konnte; dass er zwischen zwei Dingen allemal die Ahnlichkeit just fand, wo ihr wesentlichster Unterschied lag; dass er je und allezeit feierlich aussehen wurde, wo ein vernunftiger Mensch lacht,

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und seit kurzem arbeitete er an einem grossen Nationalheldengedicht in acht und vierzig Gesangen, die Abderiade genannt zu grosser Freude des ganzen abderitischen Volks! "Denn, sagten sie, ein Homer ist das einzige, was uns noch abgeht: und

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Blasphemien, wobei den Zuhorern die Haare zu Berge standen, das ganze Stuck in lauter Action und Pantomime gesetzt war. Beide Stucke hatten den erstaunlichsten Effect gemacht. Nie waren binnen drei Stunden so viele Schnupftucher voll geweint worden, seit

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anbetrifft, sagte die schone Salabanda, darauf lasst sich eben nicht immer so sicher schliessen. Ich zweifle, ob Paraspasmus alles halten wurde, was er zu versprechen scheint; grosse Prahler,

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noch so angenehm ist, gar bald ersattiget, so fingen auch die Abderiten bereits an, es uberdrussig zu werden, immer und alle Tage gar schon zu finden, was ihnen in der Tat schon lange gar wenig Vergnugen machte: als ein junger Dichter,

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das war eben was ihnen so viel Vergnugen machte. Es ging ihnen wie einem jungen Madchen, das sich zum erstenmal in einem Spiegel sehen wurde; sie konnten's gar nicht genug kriegen. Die vierfache Braut wurde vierzehnmal hinter einander gespielt, und eine lange Zeit wollten die Abderiten nichts als Thlapsodien sehen. Thlaps,

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zum Verfolg unsrer Geschichte zuruckkehren, mochte vonnoten sein, dem geneigten Leser einen kleinen Zweifel zu benehmen, der ihm wahrend vorstehender kurzen Abschattung des abderitischen Schauspielwesens aufgestossen sein mochte.Es ist nicht wohl zu begreifen, wird man sagen, wie

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wir sie eigentlich nennen sollten), waren schon ofters aufgefuhrt, und allemal sehr schon gefunden worden. Die Andromede, eines der neuesten, wurde itzt zum erstenmal auf die abderitische Schaubuhne gebracht. Der

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alle Hande voll zu tun gegeben", sagte Gryllus, und schien sich viel darauf zu gut zu tun, dass die armen Leute schon im zweiten Act keinen trocknen Faden mehr am Leibe hatten.Im Vorbeigehen gesagt, das Orchester war eins von den Instituten, worin die Abderiten

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Wohlstand sich allzu sehr beleidigt finden konnte, von den schonen Formen, die man an ihr bewunderte, wenig oder nichts fur die Zuschauer verloren ging. Nun hatte sie gut singen! Die Composition hatte, wo moglich, noch

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fehlerhafter sein konnen, immer wurde sie ihren Monologen haben wiederholen mussen, weil das doch immer der ehrlichste Vorwand war, sie desto langer mit lusternen Blicken betasten zu konnen. Wahrlich, beim Jupiter, ein herrliches Stuck, sagte einer zum

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der dies sagte, pflegte immer beim Anubis zu schworen, um zu zeigen, dass er in Aegypten gewesen sei.Die Damen, wie leicht zu erachten, fanden die neue Andromeda nicht ganz so wundervoll

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ihrem Vorteil aufgesetzt der Gurtel war zu hoch, und zu stark geschurzt und besonders fand man die Ziererei argerlich, immer ihren Fuss zu zeigen, "auf dessen unproportionierte Kleinheit sie sich ein wenig zu viel einbilde" sagten die Damen, die aus dem entgegengesetzten Grunde die ihrigen zu verbergen pflegten. Indessen

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Abderiten sehr schon befunden wurden. Insonderheit bewunderte man einen Sonnenuntergang, den sie vermittelst eines mit langen Schwefelholzern besteckten Windmuhlenrades zuwege brachten; welches einen guten Effect getan hatte, sagten sie, wenn es nur ein wenig schneller umgetrieben worden ware. Bei

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werden uns ja nicht schon verlassen wollen? Sie scheinen ein grosser Kenner zu sein; Sie haben unsre Neugier, unsre Lehrbegierde (er sagte dies mit einem dummnaseweisen Hohnlacheln) gereizt; wir lassen Sie wahrlich nicht gehen, bis Sie uns gesagt haben, was Sie an dem heutigen Singspiel zu tadeln finden. Ich

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ist viel gesagt! Wir mochten wohl horen, wie Sie das beweisen wollten?"Die Lebhaftigkeit, womit unsre beiden Verfechter ihres vaterlandischen Geschmacks dem graubartigen Fremden zusetzten, hatte bereits verschiedne andre Abderiten herbeigezogen; jedermann wurde aufmerksam

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zu betreffen schien. Alles drangte sich hinzu; und der Fremde, wiewohl er ein langer stattlicher Mann war, fand fur notig, sich an einen Pfeiler zuruckzuziehen, um wenigstens den Rucken frei zu behalten.Wie ich das beweisen Wollte? erwiderte er ganz gelassen: ich werde es nicht beweisen! Wem

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man kann freilich viel sagen, ha, ha, ha! Und was kann der Herr sagen?"Ich sage, dass diese Buste dem Euripides ganz und gar nicht ahnlich sieht."

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die verstehen, wie eben dieser Euripides sagt.Ubrigens, wenn wir sagten, dass der Konig Archelaus ein grosser Liebhaber der schonen Kunste und schonen Geister gewesen sei, so muss das eben nicht so genau und im strengsten Sinn der Worte genommen werden; denn es ist eigentlich nur so eine Art zu reden, und

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so sie dabei sehen, blosseingebildet sindEs ist oben schon bemerkt worden, dass Euripides schon lange, wiewohl unbekannter Weise, bei den Abderiten in grossem Ansehen stund. Itzt, so bald es erschollen war, dass er in Person zugegen sei, war die ganze Stadt in

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, so bescheiden, als ob er kein grosser Kopf ware", erwiderte Salabanda. "Der drolligste Mann von der Welt, beim Jupiter! sagte der kurze dicke Ratsherr, beim Aufstehen von Tische; ein recht kurzweiliger Mann!

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Sie, sagte sie, wenn wir ihn dahin bringen konnten, dass er uns seine Andromeda gabe, Er hat seine eigne Truppe bei sich. Es sollen ganz ausserordentliche Virtuosen sein." Onobulus fand den Einfall gottlich "Ich hatte ihn eben selbst gehabt, sagte der politische Ratsherr,

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welchem Euripides schon von langem her bekannt war. Sie gingen also mit einander; und da die Stadt Abdera ziemlich weitlaufig war, so hatten die beiden Alten Gelegenheit genug, von den jungen Herren zu profitieren, die immer den Mund offen hatten, uber alles entschieden, alles wussten, und sich gar nicht zu Sinne kommen liessen, dass es ihres gleichen in Gegenwart von Mannern anstandiger sei, zu horen als sich horen zu lassen.Euripides hatte also diesen Morgen genug zu horen und zu sehen. Die jungen Abderiten, die nie weiter als bis an die aussersten Schlagbaume ihrer Vaterstadt gekommen waren, sprachen von allem,

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wie es zugegangen, dass der geheiligte Teich aus Lycien uber das ionische Meer heruber bis nach Abdera versetzt worden; welches, wie Sie wissen, eine ziemliche Strecke Wegs uber Lander und Meere ausmacht, und, wenn man so sagen darf, beinahe ein noch grosseres Wunder ist,

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was auch immer der Priester des Jasons dagegen einwenden mag."Strobylus sagte dieses letzte mit einem Eifer und einem Crescendo il Forte, dass Demokritus fur notig fand, ihn zu versichern, dass dies wenigstens bei allen Gesunddenkenden eine ausgemachte Sache sei."

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als diese guten unschuldigen Tierchen jemals sein konnten, wenn sie auch unsre Feinde wurden."Das sollt ich auch denken, sagte Euripides. Mich wundert, wie einem so grossen Naturforscher, als Demokritus, unbekannt sein kann,

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und seinen guten Willen, indem er ganz deutlich zu verstehen gab, dass der Fehler bloss an diesem oder jenem liege, der eine Viertelstunde zuvor seinen guten Willen eben so stark beteuert hatte.Euripides fand die abderitische Art, allen moglichen Vorschub zu tun, so beschwerlich, dass er sich nicht entbrechen konnte, der

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sie vor wenig Tagen schon gesehen zu haben glaubten. Noch weniger wollten ihnen Anfangs die fremden Schauspieler einleuchten, deren Ton und Action so naturlich war, dass die guten Leute gewohnt ihre Helden

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waren wie andre; ja, in gewissem Sinn, nur desto mehr Menschen je mehr Abderiten sie waren. Denn gerade ihre Abderitheit machte, dass es eben so leicht war, sie zu betrugen, als

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. Verschiedene blieben im Nachhausegehen auf offentlicher Strasse stehen, und declamierten uberlaut die Stellen des Stucks, wovon sie am starksten geruhrt worden waren. Andre, bei denen die Leidenschaft so hoch gestiegen war, dass sie singen mussten, fingen zu singen an, und wiederholten, wohl oder ubel, was sie von den schonsten Arien im

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, ein desto grosseres Compliment zu machenden armen Abderiten das Argste nachsagt, was sich von Menschen denken und sagen lasst. Aber das ganze griechische und romische Altertum soll auftreten und zeugen, ob jemals so etwas auf die guten Leute gebracht worden sei! Sie hatten freilich, wie man weiss, ihre

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dass es charaktermassig ist. Es gilt also davon, was die Italianer zu sagen pflegen: se non e vero, e ben trovato. Aber wahr ists freilich nicht; wie schon aus dem einzigen Umstand erhellt,

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Abderiten ihr leidiges Haberrohr weg, um ihren verschiednen Berufsarbeiten wieder mit ihrem gewohnlichen guten Verstande obzuliegen: als die Schicksalsgottinnen, ganz ingeheim, aus dem schalsten, dunnsten, unhaltbarsten Stoff, der jemals von Gottern oder Menschen versponnen worden ist, ein so verworrenes Gespinnzungen,

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der Parteien wahrscheinlicher Weise aushalten konnten. Allein diesesmal kamen so viele besondere Ursachen zusammen, der Sache einen schnellern Schwung zu geben, dass man sich nicht daruber zu verwundern hat,

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Seite nicht weniger einleuchtend: dass, wiewohl der Schatten weder als ein wesentlicher noch ausserwesentlicher Teil des Esels anzusehen sei, folglich von dem Abmieter des letztern keinesweges vermutet werden konne, dass er jenen zugleich mit diesem

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Abdera keines finde, worin der vorliegende Fall klar und deutlich enthalten sei, und das Urteil also lediglich aus der Natur der Sache gezogen werden musse: so komme es hauptsachlich auf einen

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nicht nur einzelnen Personen, sondern ganzen Gemeinheiten, ja den unsterblichen Gottern selbst eigentumlich zugehoren) bisher aller Orten einem jeden, wer er auch sei, frei, ungehindert und ohnentgeltlich zur Benutzung uberlassen worden: so erhelle daraus, dass,

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, es sei nun aus bloss politischen Absichten, oder dass sich vielleicht auch ein wenig Coquetterie und wer weiss, ob nicht auch zuweilen das, was man in der neuern franzosischen Feinenweltsprache das Herz einer Dame nennt, mit einmischen mochte: genug, ausgemacht war es, dass sie immer eine Anzahl

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, unter denen (wie man glaubte) doch immer wenigstens der eine oder andre wissen musse, wofur er diene. Die geheime Chronik von Abdera sagte, dass der Erzpriester Agathyrsus eine geraume Zeit die Ehre gehabt, einer von den letztern zu sein;

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abgeschmackten Handel bemengt hatte, fand itzt zwar nicht langer statt. Denn die schone Gorgo hatte, ungeachtet des Unterrichts ihrer Mutter Krobyle, entweder nicht Geschicklichkeit oder nicht innern Halt genug gehabt, den anfanglich entworfnen Verteidigungsplan gegen einen so gefahrlichen und erfahrnen Belagerer gehorig zu befolgen.

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Abdera nicht zureichend waren, einen so geringfugigen Handel auszumachen, so musse er sich gefallen lassen, dass der grosse Rat den Ausspruch daruber tue; jedoch wollte er darauf angetragen haben, vorher im Archiv nachsuchen zu lassen, ob sich nicht etwa schon in altern Zeiten dergleichen ungewohnliche Falle

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doch mit vielen andern Kanzleien zween Fehler gemein, uber welche zu Abdera, schon seit Jahrhunderten, fast taglich Klage gefuhrt wurde, ohne dass darum jemand auf den Einfall gekommen ware: ob es nicht etwa moglich sein konnte, dem Ubel auf eine oder andre Weise abzuhelfen?Das

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und nach ganz unbrauchbar wurden; das andre: dass man, alles Suchens ungeachtet, nichts darin finden konnte. So oft dies begegnete, pflegte irgend ein patriotischer Ratsherr, meistens mit Beistimmung des ganzen Senats,

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vornehmste Annehmlichkeit darin bestund, dass es auf der sudwestlichen Seite eine ganz herrliche Aussicht uber ein schones Tal hatte, welches zwischen zween waldigten Bergen hinlief, in der Ferne immer schmaler wurde, und sich endlich in das ageische Meer verlor. Pamphus pflegte oft zu sagen: dass

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es zwar ziemlich klar, dass diese beiden Rechtshandel zu Entscheidung des vorliegenden sehr wenig Licht geben konnten; zumal da in keinem von beiden definitive war gesprochen worden, sondern beide durch gutlichen Vergleich ihre Endschaft erreicht hatten: allein der Ratsherr,

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Rechtsgrunde sehr viele Ahnlichkeit mit dem Eselsprocess zu haben schienen, so viele Jahre lang vor dem abderitischen kleinen Rat gefuhrt und verhandelt worden, ohne dass sich jemand habe beigehen lassen, an den grossen Rat zu provocieren, oder nur zu zweifeln, ob der kleine auch wohl Fug und

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um des gemeinen Bestens willen, fur diesesmal und citra praeiudicium sich gleichwohl gefallen lassen wolle, dass der Handel wegen des Eselsschattens vor den grossen Rat gebracht, und der Entscheidung desselben uberlassen werden konnte.Inzwischen war den guten Ratsherren so

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da es augenscheinlich darauf angesehen sei, das Volk durch susse Worte einzuschlafern und unvermerkt dahin zu bringen, dass es unwissenderweise ein Werkzeug seiner eignen Unterdruckung werde.

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Sieg uber unsre Feinde zu erhalten, so mussen wir reinen Mund uber das halten, was ich euch von meinem geheimen Anschlag habe merken lassen, und seiner Zeit davon entdecken werde. Agathyrsus muss sicher gemacht werden. Er muss glauben, dass

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Instanz verdorben worden, und zu einem Handel erwachsen sei, an welchem ganz Abdera Anteil zu nehmen sich gleichsam genotigt sehe immer gewunscht habe, dass die Sache je balder je lieber vor den grossen Rat gebracht wurde; nicht sowohl, damit der arme Anthrax die gebuhrende Genugtuung erhalte (wiewohl nicht zu zweifeln sei, dass ihm solche bei dieser hohen Gerichtsstelle keineswegs werde versagt

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sie noch immer ganz unparteiisch zu sein glaubten, zu so guten Eseln zu machen, als es vielleicht in Abdera gab; zumal nachdem die vortrefflichen Weine womit er sie bei der Abendmahlzeit betraufte, jeden

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und den patriotischen Gesinnungen des Pralaten nur desto auffallender machten: so wurden die besagten Schatten ausserst verlegen gewesen sein, was sie anfangen wollten, um ihrer beinahe ganz gesunknen Partei wieder einen Schwung zu geben, wenn

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Republik mit irgend einem grossen Ungluck bedrohe.Es hatten namlich schon in der ersten und zweiten Nacht vor dieser letztern einige zum Latonentempel gehorige Personen zu horen geglaubt, dass die Frosche des geheiligten Teiches, anstatt des gewohnlichen Wreckeckek Koax

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Eleleleleleu! ganz deutlich unterscheiden konnen. Dieses Wehklagen habe eine ganze Stunde lang gedauert, und sei, ausser den Priestern, noch von allen denen gehort worden, die

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unerhorten und hochst bedenklichen Wunders mit sich gebracht habe. Da nun gar nicht zu bezweifeln sei, dass die Gottin ihr bisher geliebtes Abdera durch dieses drohende und wundervolle Anzeichen vor irgend einem bevorstehenden grossen Ungluck habe warnen, oder vielleicht zur Untersuchung und Bestrafung irgend eines noch

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und der seltsame Eindruck, den solche bereits auf die gegenwartigen Personen aus dem Volke gemacht zu haben schien, liessen ihn leicht voraussehen, dass in wenig Stunden die ganze Stadt von diesem vorgeblichen Wunder voll sein, und in schreckenvolle Ahndungen gesetzt werden wurde,

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den man dergleichen Erzahlungen auf die Zuhorer machen sieht, eine naturliche Anreizung fur den Erzahler zu sein pflegt, immer etwas, das die Sache interessanter macht, hinzuzutun: so wurde das Wunder in weniger als einer Stunde in den verschiedenen Gegenden der Stadt mit so furchtbaren Umstanden gefuttert, dass den Leuten beim blossen Horen die Haare zu Berge standen. Einige

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, wie gewohnlich, immer grosser, je weiter es sich fortwalzte, und fand desto mehr Glauben, je ungereimter, widersprechender und unglaublicher

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, dass verstandige Leute durchs Alter gewohnlich weiser, und Narren mit den Jahren immer alberner werden. Ein abderitischer Nestor hatte daher selten viel dadurch gewonnen, dass er zwo oder drei neue Generationen gesehen hatte; und so konnte man ohne Gefahr voraussetzen, dass

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Vorstehern des geheiligten Teichs allein blieben, und nachdem sie eine Zeit lang alle drei zugleich gesprochen hatten, ohne selbst recht zu wissen, was sie sagten, endlich des Schlusses eins wurden:

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von Abdera betrachtet und verehrt worden. Die Abderiten hatten sich also wohl vorzusehen, keine Schritte zu tun noch zuzulassen, wodurch sie vielleicht durch eigne Schuld desjenigen beraubt werden konnten, an welches nach einem uralten und zur Religion gewordnen Glauben das

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diesem Ende schon so lange affectierte, dass sie ihm endlich ganz naturlich liess, war es eben, was ihn beim Volke so beliebt gemacht hatte, als noch wenige von seinen

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der Schatten geteilt befand, einen ordentlichen Ehrenpunct darin gesetzt, sich so zu betragen, dass er keiner von beiden Parteien Ursach gabe, ihn zu der ihrigen zu zahlen; und wiewohl beinahe alle seine

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und aus albernen kindischen Begriffen von dem, was gross oder klein ist, mit unverstandigem Hohnlacheln ansehen kann, was die hochste Ehre unsrer Justizverfassung, der Ruhm unsrer Obrigkeit, der Triumph des ganzen abderitischen Wesens und eines jeden guten Burgers ist!

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, allem gerechten Stolz eines echten Abderiten, fuhle und erkenne, welch ein glorreiches Zeugnis von der vortrefflichen Verfassung unsrer Republik sowohl, als von der unparteiischen Festigkeit und nichts ubersehenden Sorgfalt, womit unsre ruhmwurdigst regierende Obrigkeit die Waage der Gerechtigkeit handhabet, dieser vorliegende Handel bei

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und Kornfeldern erfrischen, oder ihm gegen die mittagliche Sonne Zuflucht geben konnte!Der arme Struthion sank endlich von seinem Tier herab. Die Natur vermocht' es nicht langer auszudauern. Er liess den Esel halten, und setzte sich in

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keinem seines gleichen der kunftig geboren werden mag, eine Moglichkeit, ihm an schamloser Frechheit gleich zu kommen, ubrig lasse, treibt er sie so weit, nachdem er schon von dem ehrwurdigen Stadtgericht in erster Instanz verurteilet worden, sogar vor der Majestat dieses hochsten Gerichtshofes der Vierhundertmanner zu behaupten, dass er Recht daran getan habe.

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, was bisher den Gegenstand des Streits ausgemacht hat. Um dessentwillen allein ist gegenwartiges hochstes Gericht niedergesetzt worden! Dies allein macht itzt die Sache aus, woruber es zu erkennen hat! Und ich unterstehe michs, vor diesem ganzen mich horenden Volke zu sagen: entweder ist kein Recht in Abdera mehr, oder meine Forderung ist gesetzmassig, und

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und es sei nicht so ganz richtig mit uns gewesen, als wohl zu wunschen ware. Kam' es schlechterdings darauf an, uns noch langer zu prostituieren: so sollte mirs wohl auch nicht an Atem fehlen, fur

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, und brachen allesamt, gleich den Gottern im ersten Buch der Ilias, in ein unausloschliches Gelachter aus.Dank sei dem Himmel, rief endlich, nachdem die sehr ehrwurdigen Herren wieder zu sich selbst gekommen waren, der Nomophylax lachend aus: mit aller unsrer Weisheit hatten

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was er konnte, die ganze Geschichte in ein Gassenlied zu bringen, das sogleich auf allen Strassen gesungen wurde; und der Dramenmacher Thlaps ermangelte nicht, binnen wenigen Wochen sogar eine Komodie daraus zu verfertigen, wozu der Nomophylax eigenhandig die Musik componierte.Dieses schone Stuck wurde offentlich mit grossem Beifall aufgefuhrt, und beide ehmalige Parteien lachten so herzlich darin, als ob die Sache sie gar nichts anginge.

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Denn, ungeachtet sie den Laich aus dem heiligen Teiche sehr wohlfeil, namlich den abderitischen Cyathus (der ungefahr ein Nossel unsers Masses betragen mochte) nur fur zwo Drachmen verkauften: so wollte doch jemand berechnet haben, dass sie in den ersten zwei bis drei Jahren, da die Schwarmerei am wirksamsten war, uber funftausend Dariken damit gewonnen hatten. Die Summe scheint uns bei allem dem zu hoch angesetzt; wiewohl nicht zu

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Staat einen grossen Teil mehr Frosche ernahren musste, als er notig hatte die diensamsten Mittel vorzuschlagen, wodurch ihre ubermassige Menge vermindert werden konnte."Korax spricht verstandig, sagten etliche junge Akademisten."Ich rede bloss menschlicherweise von der Sache", sagte Korax.Ich wollte lieber, dass wir gar nicht davon angefangen hatten, sagte der Prasident.Dies war der erste Funke, den Korax in die schwindlichten Kopfe einiger speculativen jungen Abderiten warf.

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hatten trinken lassen wollen, in Frosche verwandelt habe, sei etwas, woran man allenfalls zweifeln konnte, ohne sich eben darum an Jupitern oder Latonen zu versundigen. Es mochte aber auch

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betraf, gerade eben so machten, wie alle andre Leute. Ja, der weise Korax, als derjenige, auf den man am meisten Acht gab, hatte fur schicklich angesehen, lieber zu viel als zu wenig zu tun; und also, gleich nach seiner

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Grenzen der menschlichen Erkenntnis zu erheben schienen; oder, richtiger zu reden, je weniger sich der mindeste praktische Gebrauch zum Vorteil des menschlichen Lebens davon machen liess. Gleich einer unermudeten Spinne sass

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(nach uralten Traditionen) einst da gewesen, aber seit undenklichen Zeiten nicht mehr da waren, zu tun gemacht. Der ehrliche Mann wusste kein Wort davon, was zu seiner eignen Zeit in der Welt vorging, und noch weniger, was

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solches Beispiel gibt Doch, ich kann unmoglich glauben, dass es schon so weit mit Abdera gekommen sei."Sie sind auch gar zu unschuldig, Herr Oberpriester, sagte der Nomophylax. Aber lassen wir das auf sich beruhen! Es stunde noch gut genug, wenn das der grosste Fehler des Archons ware.""Ich sehe nur ein

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? (sagte jener.) Was nennen Sie gelehrt? Gelehrt in lauter Dingen, die kein Mensch zu wissen verlangtDavon konnen Ew. Ehrwurden besser urteilen als unser einer, erwiderte der Ratsherr; ich verstehe nichts davon; aber es ist mir doch immer unbegreiflich vorgekommen, dass

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sollte wie bisher, so mochte uns Latona eben sowohl allzumal in Frosche verwandeln. Es ware immer noch das Glucklichste, was uns widerfahren konnte, wenn uns nicht bald auf andre Weise geholfen

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Archon, sagte er, ich komme Ew. Gnaden einen guten Rat zu geben, weil ich eine grosse Meinung von Dero Weisheit hege, und gerne Unheil verhuten mochte."Ich danke Ihnen fur beides, Herr Oberpriester! Ein guter Rat findet, wie Sie wissen, eine

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sein, gar nicht mehr uber die Sache zu raisonnieren. Die Akademie mag sonst Gutachten stellen woruber sie immer will. Die ganze Natur liegt vor ihr offen. Sie kann reden vom Elephanten

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der Eile geben konnte: Ich weiss nicht wie ich das nehmen soll, was Sie mir da sagten. Aber das weiss ich, wenn Sie was gehort zu haben glauben, das Sie nicht hatten horen sollen, so mussen Sie mich ganz unrecht verstanden haben.

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haben grosstenteils davor gehalten, dass die Unterhaltung des geheiligten Teichs als blosses Institut unsrer Voraltern, und die darin aufbewahrten Frosche, als blosse Erinnerungszeichen der Macht unsrer Schutzgottin, mit gebuhrender Ehre anzusehen seien.Das gemeine Volk hingegen hat von diesen Froschen immer eben so gesprochen und geglaubt,

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. Wir begnugen uns also nur mit zwei Worten zu sagen: dass sich sein ganzes System uber die mehrbesagten Frosche um eine heutigs Tages sehr gemeine, damals aber (in Abdera wenigstens) ganz neue, und

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er selbst erfunden, mit so vieler Muhe ausgearbeitet, mit allen seinen ubrigen Ideen in Verbindung gesetzt, und zur Grundlage eines neuen durchaus raisonnierten Systems uber die Latonenfrosche gemacht hatte, zuletzt eben so gewiss, anschaulich und unzweifelhaft vorkam, als irgend ein Lehrsatz

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also in gewissem Sinne noch immer unsers Geschlechts, unsre Bruder, unsre verungluckten Bruder, zu unsrer Warnung mit dem furchtbaren Stempel der Rache der Gotter bezeichnet, aber eben darum unsers zartlichsten Mitleidens wurdig. Doch nicht nur unsers Mitleidens (setzte Stilbon hinzu), sondern auch unsrer Ehrerbietung;

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, in deren Besitze sie zu storen vielen bedenklich, und manchen wohl gar unerlaubt scheinen mag; und da es, vermoge der Natur der Sache, leicht geschehen konnte, dass die einzigen diensamen Mittel,

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in dem gegenwartigen aussersten Notstande des gemeinen Wesens vorzuschlagen haben mochte, jenen wirklichen oder vermeinten Gerechtsamen der abderitischen Frosche Abbruch zu tun scheinen konnten: so wird es eben so zweckmassig als unumganglich sein, eine historisch-pragmatische Beleuchtung der

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bei diesem theoretischen Teile ihres untertanigsten und unmassgeblichen Gutachtens von allen hoch- und wohlansehnlichen Mitgliedern des hohen Senats um so mehr geneigte Aufmerksamkeit aus, als der gluckliche Erfolg dieser ganzen der Republik so hoch angelegnen Sache lediglich von Berichtigung der Praliminarfrage abhangt: ob und in wiefern die Frosche zu Abdera als wirkliche Frosche anzusehen seien oder nicht?"Diese Berichtigung nimmt in dem Gutachten selbst mehr als zwei Drittel des Ganzen ein. Der schlaue Philosoph, wohl eingedenk dessen,

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bei der vorliegenden Frage vollkommen gleichgultig sei. Denn es werde doch wohl niemand leugnen wollen, dass diese milischen Menschfrosche schon ein paar tausend Jahre wenigstens tot und abgetan seien und gesetzt auch, dass die abderitischen Frosche ihre Abstammung von denselben genuglich erweisen konnten; so

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dass ihre ersten Stammvater vor ihrer Verwandlung milische Bauern gewesen, verandre eben so wenig an ihrer gegenwartigen Froschnatur, als wenig ein von zwei und dreissig Ahnen her geborner Bettler fur einen Prinzen angesehen werde, wenn gleich erweislich ware, dass der erste Bettler seines Stammbaums in gerader Linie von Ninus und Semiramis entsprossen sei. Die Anhanger der entgegenstehenden Meinung schienen dieses auch selbst so gut einzusehen,

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durch eine komische Berechnung der unendlichen Kleinheit der angeblichen Keime zum Ungereimten zu treiben."Wir wollen, sagte er, um die Aufmerksamkeit deshohen Senats nicht ohne Not mit arithmetischen Subtilitaten zu ermuden, annehmen, der Sohn des grossten und dicksten von den froschgewordnen Miliern habe

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: so findet sie diejenige noch immer die naturlichste, vermoge deren die Keime der organischen Korper durch die geheimen Krafte der Natur erst alsdann gebildet werden, wenn sie ihrer wirklich vonnoten hat. Dieser Erklarungsart zufolge, ist

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wahrheitsbegierigen Forscher wenig Hoffnung lasst, seine Begierde jemals befriediget zu sehen. Aber, wozu hatten wir denn auch vonnoten, mehr davon zu wissen als wir wirklich wissen? Was

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, die milischen Bauren in Frosche verwandelt hat: folgt denn daraus, dass alle Frosche der Latona heilig sind, und sich des priesterlichen Vorrechts der personlichen Unverletzlichkeit anzumassen haben? Und, wenn unsre wackern Vorfahren fur gut befunden haben, zum ewigen Gedachtnis jenes

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nach einige tausend Froschteiche und Graben austrocknen und wieder urbar machen konnte; ein Umstand, wodurch wenigstens der vierte Teil des zu Abdera gehorigen Grund und Bodens wieder gewonnen werden und den Einwohnern zu Nutzen gehen wurde. Die Akademie (setzt er hinzu) habe die Sache aus allen moglichen Gesichtspuncten betrachtet, und konne nicht absehen,

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durch welchen dasjenige, was bisher das grosste Ubel und Drangsal des abderitischen gemeinen Wesens gewesen, bloss durch eine geschickte Wendung in den grossten Nutzen desselben verwandelt wurde. Da es aber nicht mehr als billig sei, sie,

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mit diesen merkwurdigen Worten: "Die Akademie glaube durch diesen eben so notgedrungnen als gemeinnutzigen Vorschlag ihrer Schuldigkeit genug getan zu haben. Sie sei nun wegen des Erfolgs ganz ruhig, indem sie dabei nicht mehr betroffen sei, als alle ubrigen Burger von

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sie uberzeugt sei, dass nur ganz erklarte Batrachosebisten fahig sein konnten, sich einer so unumganglichen Reformation entgegen zu setzen: so hoffte sie, die preiswurdigen Vater des Vaterlandes wurden nicht zugeben, dass eine so lacherliche Secte die Oberhand gewinnen, und

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was er getan, aus blosser Nascherei getan habe, halten wir fur eine Verleumdung schwachkopfiger und passionierter Leute, woran es bekanntermassen bei solchen Gelegenheiten (zumal in kleinen Republiken) nie zu fehlen pflegt.Korax hatte solche Massregeln genommen, dass sein Gutachten bei der zweiten Zusammenkunft der Akademie einhellig genehmigt wurde.

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Auftrag, dasjenige was er etwa dagegen zu erinnern hatte schriftlich und sobald als moglich an den regierenden Archon gelangen zu lassen.Korax stund eben mitten unter einem Haufen nasenweiser abderitischer Junglinge in

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von dem mitkommenden Ratsboten vernommen hatte, warum es zu tun sei, entstund ein so unmassiges Gelachter unter der gegenwartigen Versammlung, dass man es uber drei oder vier Gassen bis in der Ratsstube horen konnte. Der Priester Stilbon hat einen schlauen Genius, sagte Korax; er hat gerade das unfehlbarste Mittel ergriffen, um

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die nicht horen wollen? Aber sei es darum! Ich habe das Meinige getan. Wollen sie nicht horen, so mogen sie's bleiben lassen! Ich setze keine Feder mehr an, ruhre keinen Finger mehr fur ein

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, da besagte Mause entschlossen schienen, den Abderiten ohnehin nichts anders zu essen ubrig zu lassen, um so notiger sei, sich des Schadens, den beiderlei gemeine Feinde der Republik verursachten, wenigstens an der essbaren Halfte derselben, namlich an den

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keine Gelegenheit gegeben weder Boses noch Gutes von ihnen zu sagen.Um ubrigens unsern geneigten Lesern eine vollkommne Probe unsrer Aufrichtigkeit zu geben, wollen wir ihnen unverhalten lassen, dass wofern der altere Plinius und sein aufgestellter Gewahrsmann Varro hierin Glauben verdienten, Abdera nicht die einzige Stadt in der Welt gewesen ware, die

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Knaben im letzten Viertel des achtzehnten sich weiser als die Manner des vorgehenden dunken oder wenn alle die Erziehungsbucher, womit wir seit zehn Jahren so reichlich beschenkt worden sind und taglich noch beschenkt werden, nur den zehnten Teil der herrlichen Wirkungen tun, die uns die wohlmeinenden Verfasser hoffen lassen.Der

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das in vielen Dingen mit seinem schlichten Menschenverstand richtiger zu sehen pflegt als die Herren mit bewaffneten Augen, gerade Verstand genug, um zu sehen, dass in diesen grossen heroischen Fabeln, ungeachtet des Wunderbaren,

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Schatze nicht verlustigt werden sollten, notwendig einen Schlussel dazu geben; und dieser Schlussel war eben die Exposition des allegorischen oder mystischen Sinnes; wiewohl der Dichter, gewohnlicherweise, erst wen er mit dem ganzen Werk fertig war, daran dachte,

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dazu ohne fremde Beihulfe in ihrem eignen Kopfe finden kann.Diese kurze Deduction wird mehr als hinlanglich sein, um denen, die noch nie daran gedacht haben, begreiflich zu machen, wie es zugegangen sei, dass sich unvermerkt eine Art von gemeinem Vorurteil und wahrscheinlicher Meinung in den meisten Kopfen festgesetzt hat,

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ohne einen einzigen Gran von dieser stolzen Zufriedenheit mit sich selbst, dieser unerschutterlichen Uberzeugung, welche gewisse Leute versichert, dass alles, was sie denken, sagen, traumen und im Schlaf reden, wahr, witzig, weise, und

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und zum glucklichsten aller Menschen macht. Kurz, ich fuhlte meinen Zustand, und er lag schwer auf mir; ich schuttelte mich vergebens; und es war, wie gesagt, so weit mit mir gekommen, dass ich durch ein ziemlich unbequemes kleines Fenster in

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! diese leben und weben noch immer fort, wiewohl ihr ursprunglicher Wohnsitz langst von der Erde verschwunden ist. Sie sind ein unzerstorbares, unsterbliches Volkchen; ohne irgendwo einen festen Sitz zu haben, findet man sie allenthalben; und wiewohl sie unter allen andern Volkern zerstreut leben, haben

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frisieren und parfumieren, purgieren und klysterisieren lassen, kurz, alles was zur Notdurft des menschlichen Lebens gehort ungefahr eben so machen wie andre Leute dass sie, sage ich, nichts destoweniger in allem was sie zu Abderiten macht sich selbst so unveranderlich gleich bleiben, als ob sie von jeher durch eine diamantne Mauer, dreimal so hoch und dick

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diesem Volke geben wollten, wobei sie aus vielerlei Ursachen wenig zu gewinnen hatten.Und dies, werte Leser, ware also der versprochne Schlussel zu diesem merkwurdigen Originalwerke, mit beigefugter Versicherung, dass nicht das kleinste geheime Schubfach darin ist,

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uns an unentbehrlichen einheimischen Worten gebricht, werden wir wohl genotiget bleiben, fremde zu borgen. Und von wem konnen wir solchenfalls schicklicher borgen als von derjenigen lebenden Sprache, welche die polierteste und allgemeinste ist? So machten es die alten Romer mit der griechischen; und warum sollten deutsche Schriftsteller, mit gleicher Bescheidenheit, nicht tun durfen, was sogar Cicero,

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. Mich dunkt, er hatte mit wenig Muhe finden konnen, dass es noch was bessers gibt als dies Bessere. Warum immer lachen, immer weinen, immer zurnen, oder immer gleichgultig sein? Es gibt Torheiten, welche belachenswert sind; es gibt andere, die ernsthaft genug sind, um dem Menschenfreund Seufzer auszupressen; andre, die einen Heiligen zum Unwillen reizen konnten; endlich noch andre, die man der menschlichen Schwachheit zu gut halten soll. Ein weiser und guter Mann (nisi pituita molesta est, wie Horaz weislich ausbedingt,)

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auch nicht recht abzusehen, wie sie angestellt werden konnte. Ebensogut ware eine Untersuchung vorzuschlagen, ob nicht etwa sein Kompendium von einem Garkoch namens Erdwin Julius mochte sein zusammengetragen worden? Denn es konnte gar zu unwahrscheinlich scheinen, dass

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das wir gesagt, aufs glaubwurdigste belegen konnen.Sie wurden im Drucke nur etwa sieben bis acht Quartbande betragen. Demungeachtet konnen sie mit dieser Geschichte bloss aus einer Ursache nicht bekannt gemacht werden, wegen deren schon so manche treffliche Urkundensammlung ungedruckt geblieben ist: namlich wegen des wenigen Geschmacks unsers Jahrhunderts an grundlichen Studien. Es ware zwar der Vorschlag zu tun, dass

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zukunftige Gluckseligkeit bestimmt, wenn auch Gott fur gut befunden habe, ihn besonders zu offenbaren, musse dennoch auch notwendig durch Vernunft eingesehen werden konnen und mit der Vernunft ubereinstimmen. Die einzige Offenbarung, die uns etwas ganz Unbekanntes entdecken konne, worauf die blosse Vernunft nie gefallen sein wurde, glaubte er, sei die prophetische

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dem Grundtexte gar fein zusammenzutreiben. Ebendiese Manner aber sieht man die ganze Woche uber als dickstammige Pachter, wilde Pferdebandiger, drollichte Trinkgesellschafter oder vorsichtige Wucherer und mochte sie kaum fur ebendieselben halten. Ebenso konnte jedermann alle Sonntage horen, dass

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er sich befand, zwei neue Handlungszweige eroffnet worden, an die vorher noch niemand gedacht hatte. Das kleine Furstentum hatte einen fruchtbaren Boden und nicht wenig Viehzucht, es brachte alles hervor, was die Einwohner nahren konnte. Sie

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Stadt zu gehen und bei seinen Gonnern Hilfe zu suchen. Man kam ferner uberein, die Pfarrwohnung sollte nicht freiwillig geraumet werden, und Wilhelmine wusste viele zureichende Grunde anzufuhren, warum keine Gewalt zu befurchten sei. Solange man nur im Besitze ware, glaubte sie, konnte noch wohl die Absetzung

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Mutter die gewohnlichen zartlichen Liebesdienste zu leisten. Wilhelmine aber, welche bisher in der aussersten Entkraftung gelegen hatte, rief alle ihre Lebensgeister hervor, um ihr uberschwengliches Elend zu empfinden, denn bei grosser Wehmut ist die Wehmut selbst der einzige Genuss.

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ob man gleich in der Geschichte lauter wahre Begebenheiten erzahlen soll, so konne doch der grosste Teil derselben fuglich unerzahlt bleiben. Es sind funfzigtausend Bande voll Wahrheit uber die Geschichte Deutschlands zusammengetragen worden, so dass der schon ein Geschichtskundiger heisst, der

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der nur wenig weiss, tut sich auch aufs Wissen nichts zugute, sondern erzahlt nur das, was seine Leser etwa zu wissen verlangen konnten, macht sich aber

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einernten als moglich. Zu dem letzten sind leider nur allzuviel Mittel vorhanden!Sebaldus: Sie sagen mir da so unerhorte Sachen, dass ich vor grossem Erstaunen mich fast nicht getraue, ein Wort dagegen einzuwenden, und doch ist mir alles unbegreiflich. Was fur Mittel konnen vorhanden sein,

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zur Welt bringt.Magister: Und rechnen Sie immer auch den grossten Teil der ungeheuer grossen Anzahl von Buchern ab, womit Deutschland vermittelst unserer Ubersetzungsmanufakturen uberschwemmt wird.Sebaldus: Habe ich recht gehort? Ubersetzungsmanufakturen?

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Messe noch notig, so sucht er unter allen neuen, noch unubersetzten Buchern von drei Alphabeten dasjenige aus, dessen Titel ihm am besten gefallt. Ist sodann ein Arbeiter gefunden (welches eben nicht schwer ist), der noch drei Alphabete bis

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solche Ubersetzungen gemeiniglich auch an Unterarbeiter ausgeteilt.7 Diese mussen sich aber schon mehr in acht nehmen, dass sie wenigstens die eigenen Namen richtig ubersetzen und die Jahrzahlen recht abschreiben,

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! Aber neue Komodien und neue Romane muss meistens der selbst ubersetzen, der als Ubersetzer bekannt sein will, weil diese Bucher allzu vielen Lesern in die Hande kommen; und hier sind die Kunstrichter gleich bei der Hand und lassen sich selten durch einen beruhmten Namen vom Tadel abschrecken.Sebaldus: Ich erstaune immer mehr uber das, was Sie da sagen. Es

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Tugend auch allemal tugendhaft und ein Lehrer der Weisheit weise ist. Mein lieber Freund, traumen Sie nicht ferner, so angenehm Sie auch traumen mogen; sehen Sie um sich herum, was in Deutschland vorgeht, und Sie werden finden, was ich Ihnen sage, ist

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kluge Menschen gar keine Bucher brauchen. Das konnen Sie daraus sehen, dass von den meisten Buchern im deutschen Buchhandel etwa funfhundert und hochstens bis ein paar tausend Exemplare gedruckt und selten samtlich verkauft werden, und doch reden an dreissig Millionen Menschen

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Geschmacke des grossen Haufens richten muss; und dieser macht es ihm nur allzu leicht, die meisten guten Schriftsteller beinahe ganz zu entbehren.Sebaldus: Dies tun die Buchhandler freilich, aber sie sollten es nicht tun, sondern sollten billig dem Geschmacke der grossten Gelehrten folgen; und ich habe mich schon oft uber

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der Geschmack grosser Gelehrten ist der Geschmack sehr weniger Leute; der Buchhandler aber braucht sehr viele Kaufer, wenn er sein Geschaft treiben will. Wenn nun sogar dumme Bucher oft nicht Kaufer finden, wieviel mehr wird es den gelehrten und klugen Buchern so gehen, da der gelehrten und klugen Leute offenbar die wenigsten sind? Daher kommt es,

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die Wissenschaften konnen nicht allemal so fasslich vorgetragen werden, dass sie der grosse Haufen begreife. Dadurch wurden sie nicht allein nicht erweitert werden, sondern endlich nur in ein seichtes Geschwatz ausarten, das man bei halbem Hinhoren schon versteht; aber ihre wichtigsten Wahrheiten wurden sie entbehren mussen, weil

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nach einer gewiss nicht zu starken Berechnung seit hundert Jahren achthundert bis neunhundert Logiken geschrieben worden12; vielleicht in dreien oder vieren mag diese Wissenschaft durch einige kleine neue Entdeckungen bereichert sein, die ubrigen schreiben sich aus, und aufs hochste haben sie

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dann die neuen Erfindungen, worauf sie stolz tun. Sind solche Entdeckungen wohl der Muhe wert? Und ware es, wenn so wenig Neues zu entdecken war, nicht besser gewesen, das schon Entdeckte lieber gemeinnutzig zu machen? Es kommt mir vor,

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von Gelehrten besonders fur sich in ihrem kleinen Zirkel bleiben und den grossen Zirkel der ubrigen ganzen Nation ihrer Achtsamkeit unwurdig halten wollen? Es mussen zwar immer einige Gelehrte von Profession vorhanden sein, deren jeder uber seine Wissenschaft einzeln nachdenkt und seine Bemerkungen den Gelehrten mitteilet; dies

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sie dem menschlichen Geschlechte bringen konnen, zu betrachten.Hieronymus: Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich von keinem Gottesgelehrten urteilen will. Ich verehre die grossen Schriftsteller aller Art, welche Geist genug haben, mehrere Wissenschaften zugleich zu uberschauen,

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. Die meisten deutschen Schriftsteller, voll pedantischen Stolzes, pflegen gewohnlich den Teil der Wissenschaften fur den wichtigsten auszugeben, den sie kennen oder lehren, er mag nun klein, unbetrachtlich, ja wohl gar schadlich sein; und ihnen deucht, um zu meinem vorigen Gleichnisse zuruckzukommen, der kleine Haufen, woran sie sammeln

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den Markthelfer anstatt seines Sohnes anzuwerben und dadurch desselben Loslassung um einen desto wohlfeilern Preis zu bewirken. Er fand aber sehr bald, dass die Loslassung des jungen Stauzius jetzt weit mehr Schwierigkeiten habe als vorher, da der Hauptmann gar nicht geneigt war, anstatt eines Rekruten,

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oder nur uberhaupt sein superintendentenmassiges Ansehen16 daran schuld gewesen, wurde der beruhmte Herr Lavater am sichersten berichten konnen, wenn er den Generalsuperintendenten Stauzius gesehen hatte. Der Erfolg schien indes, wenigstens anfanglich, das Misstrauen des Majors gar nicht zu rechtfertigen. Stauzius

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nach Hofe kommen. Picard, mein homme de chambre, sagt immer, es ist kein brin von bon ton darin, und das ist auch wirklich wahr. Es klingt alles so

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Vorteile zu ersetzen. Man mag von dem machtigsten, von dem reichsten Manne, ja selbst von seinem eigenen Freunde abhangen, so fuhlt man die Fesseln, sie mogen noch so weit losgelassen und noch so schon geschmuckt sein.

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schlichten, gesunden Verstande glaubte sie, der Vorzug eines Frauenzimmers bestehe vielmehr darin, dass sie gut als dass sie schon und galant sei. Obgleich selbst sehr wohlgebildet, hatte sie doch niemals Wert darauf gesetzt, vielleicht weil ihr noch nie eine Mannsperson gesagt hatte, sie sei schon. Zum

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gout zu wahlen wusste. Sie las lieber "L'ami de ceux qui n'en ont point" als "Les egarements de l'esprit et du cur" und lieber "Memnon, histoire orientale" als die "Lettres de Ninon Lenclos"

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"Conte moral" von Marmontel oder la Dixmerie, die damals einzeln im "Mercure" zu erscheinen pflegten, oder suchten einen zuweilen eingeruckten trait de bienfaisance auf.In diesem allen fand sich noch sehr wenig du bon ton, welches

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wollte angefuhrt wissen. Es ist also leicht zu erachten, dass sie mit einer so burgerlichen Erziehung schwerlich zufrieden sein konnte. Schon in den ersten vier Wochen schien es beinahe, dass sie ihre neue franzosische Mamsell sehr bald wieder abschaffen wurde,

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ihnen selbst daruber einen Verweis zu geben. Sie setzte zuweilen die nachsichtsvolle Anmerkung hinzu, dass man freilich von ihrer Mamsell nicht alles fordern konnte, weil sie nicht de qualite sei, wodurch sie in gedrungener Kurze zugleich Marianen tadelte und ihren eigenen Vorzugen ein verbindliches Kompliment machte.Dritter AbschnittIm dritten Monate von

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war eingeflosst worden, angenehm unterhielt. Ausserdem war er die erste Mannsperson, die ihr gesagt hatte, dass sie schon sei und dass ihre blauen Augen mit sanfter, herzruhrender Kraft wirkten; und auch ein sittsames und ganz philosophisches Frauenzimmer wird eine solche Nachricht aufs hochste mit einem kleinen Verweise bestrafen.Die Kenner wollen bemerkt haben, die erste Vereinigung zwischen jungen Personen zweierlei Geschlechts bleibe selten lange so,

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trenne sich entweder bald oder pflege nicht allein bestandig unvermerkt fortzurucken, sondern auch zuweilen, durch einen ganz kleinen Umstand, mit einem so starken Sprunge fortzuschreiten, dass diejenigen, denen das verborgene Ding, das menschliche Herz, nicht genau bekannt ist, glauben mochten,

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war dies wichtige genealogische Geheimnis jedermann, soviel wie immer moglich, verborgen worden; und hier ward es offentlich, in einer grossen Gesellschaft von turnier- und stiftsfahigem Adel beiderlei Geschlechts ausgeplaudert! Dies war freilich ein niederschlagender Vorfall, zumal da in

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war zu gross, als dass nicht noch mehrere gleich geheime Zusammenkunfte auf diese hatten folgen sollen, in denen beide Liebenden ihre Herzen aufs genaueste miteinander vereinigten und den sussesten Reiz in dem Versprechen fanden, alles Widerstandes ungeachtet sich ewig zu lieben.

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nachgedacht und finde, dass weder eine blutige Versohnung noch eine ewige Verdammnis mit den erhabenen Begriffen zusammenstimmen, die wir von Gott haben mussen, sobald wir den Begriff Gott denken wollen.""Ja, ja, so geht es! Je mehr die Menschen alles durch ihre blosse Vernunft einsehen wollen, desto weniger erkennen sie die ihnen angeborne Blindheit und Finsternis. Mir fallt hierbei ein, was ein lieber Sohn des

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an einem schonen Sonntage vorzustellen und dafur das Seitenhohlchen anzupreisen, worin sie recht selige Spaziergange halten konnten.Einige gingen vorbei, beinahe ohne ihn zu horen, andere

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trat er hinein, weil er nichts Bessers zu tun wusste.Er fand die Kirche wider Vermuten so gestopft voll, dass es ihm einige Muhe kostete, sich bis dahin durchzudrangen, wo er den Prediger deutlich verstehen konnte. Dies war ein junger Kandidat voll zierlichen Anstandes,

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", sagte der Mann mit der Laterne lachelnd, "nur an allzu reiche Leute gewendet. Ein wohlhabender Mann kennt das wahre Bedurfnis eines Unglucklichen nicht recht, wirft ihm aufs hochste einen Dreier oder Pfennig zu und geht weg. Konigen konnen am besten Konige und Armen am besten Arme helfen.

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wegzuraumen, bisher noch in Berlin den grossten Beifall erhalten.""Ja, vergleichungsweise, weil sie an vielen andern Orten ganz und gar nicht geduldet werden. Aber wenige Schriftsteller und ihre wenigen Freunde verlieren sich unter den vielen tausend Einwohnern. Wenn diese je von der Dogmatik abgehen oder irgendworin uber die Schnur hauen sollten, so mochte es gewiss minder von der

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Standes so wenig geachtet haben. Daraus ist dann endlich der ganze Verfall des Christentums entstanden. Wer gibt wohl darauf Achtung, was ein elender Prediger sagt? Hingegen wenn ein Erzbischof spricht, so mussen die Freigeister schweigen. Man sieht es ja: an

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hat, wenigstens einzelne Vorurteile zu bestreiten, aber viele andere damit verbundene nicht bestreiten mag oder darf, kann wohl zuweilen seiner Ehrlichkeit und Einsicht unbeschadet inkonsequent sein oder scheinen. Die Verbesserer der Religion mogen immerhin ein zerrissenes Buch sein, das weder Titel noch

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andere spat ermuden kann. Ein jeder gehe so weit es ihm seine Krafte erlauben. Auch derjenige, der nur einen einzigen Schritt fortgeht, auch derjenige, der nur eine ganz kleine Strecke durch seinen Fleiss zu bahnen sucht, ist mir ehrwurdig. Aber

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"wollen Sie erst neue Wege zur Wahrheit bahnen? Sie kommen zu spat, lieber Herr! Der Weg ist schon ganz gebahnt, er heisst die Bibel. Und dabei haben uns unsere Vorfahren einen ganz untruglichen Wegweiser gesetzt, der heisst die symbolischen

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, kein vernunftiger Mensch wurde blindlings einem Wegweiser folgen, den man vor mehr als zweihundert Jahren gesetzt hat. Er wurde bedenken, durch wie viele Vorfalle entweder der Wegweiser seit zweihundert Jahren konne verruckt oder der Weg konne geandert worden sein. Wenn man die offenbare Truglichkeit uberlegt,

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dahingestellt sein lassen, weil ich den Mann nicht genug kenne.""Ich lasse es auch dahingestellt sein. Ich kenne aber nicht wenig Geistliche von hohem Sinne, die vielleicht auch Heterodoxe wurden, wenn dadurch Ruhm oder ansehnliche Amter zu erlangen standen. Wenn sie aber sehen, dass andere schon durch Heterodoxien grossen Ruhm erworben haben, wenn sie dagegen bei sich nicht Geschicklichkeit und Mut genug spuren,

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Arm zu legen, ob sie ihn schon, um sich jenen nicht ganz gleich zu stellen, auf dem rechten Arme trugen43. In kurzem ward dieser kleine Unterschied der Konfessionen auch nicht mehr beobachtet. Die

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ihr zu verstehen, sie wolle dergleichen von ihr verfertigen lassen und ihr mehrere Vorteile dabei zeigen; nur musse sie unter ihren Augen arbeiten. Mein Kind freute sich, mehr lernen zu konnen, und wir fanden kein Bedenken,

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ist es vielleicht am nutzlichsten, wenn ich Sie an Wahrheiten erinnere, die allen Menschen ehrwurdig und wichtig sein mussen. Ich kann nicht wissen, ob Sie dieselben in gehoriger Verbindung gedacht haben; ware dieses nicht, so wurden vielleicht ihre Wirkungen

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ich habe immer gedacht, dass die Vernunft nicht einmal weiss, wenn ein Toter recht tot ist; wie sollte sie wissen, was nach dem Tode vorgeht? Wenigstens meine Vernunft reicht so weit nicht. Was die Bibel betrifft, so steht viel Gutes darin. Ich

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Sammlung der vermittelst des Arabischen von ihm neuentdeckten Beweisspruche der Bibel bei sich, wodurch die vornehmsten Artikel der Dogmatik noch mehr befestigt wurden; und er glaubte dadurch in dieser orthodoxen Stadt gewiss eine ansehnliche Belohnung oder Beforderung zu erhalten. Aber zu seinem Erstaunen hielten auch dortige Doktoren der Gottesgelahrtheit seine neuen Beweisstucke fur ganz uberflussig, weil

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und Nacht gefunden hatte und nun daraus schliessen wollte, Nachttisch und Nachttopf mussten Sachen von einerlei Art sein und beide nur in der Nacht gebraucht werden, dem wurde es gerade so gehen wie unsern heutigen arabischen Philologen.

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Schrift des beruhmten Reiske50 gelesen, der die Unmoglichkeit zeigt, die arabische Sprache jetzt schon auf die hebraische anzuwenden. Er versichert, dass noch nicht der tausendste Teil der nutzlichen arabischen Manuskripte bekannt ist und gebraucht werden kann; dass die meisten Theologen,

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. Er sang manche Lieder voll verliebter Verzweiflung und endlich eins, worin er der Liebe ganz und gar entsagte. Dies letztere gefiel ihm ausserordentlich, denn es schien ihm feierlicher als alle seine vorigen Lieder. Sein verliebter Schmerz brachte also neue Geisteswerke hervor und ward durch das Wohlgefallen daran nach und

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Antwort zu verlangen, jedermann dreist in die Augen zu sehen und sich des c'est pour cela!, eh mais!, tant pis! und tant mieux! so geschickt zu bedienen, dass man schier hatte glauben mogen, er habe monde. Dabei

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neben ihrer gewohnlichen standesmassigen franzosischen Lektur zuweilen auch ein deutsches Buch durchblattern und davon reden, so geschieht es gemeiniglich bloss deshalb, weil sie dadurch am Hofe einen gewissen Anstrich von Sonderbarkeit zu erhalten meinen, der sie unter den ubrigen flachen Hofgesichtern ein wenig hervorziehen konnte; indes halten dies unsere gutherzigen deutschen Genien doch fur einen wirklichen Beifall und traumen wohl gar, die Zeit sei nahe, da sich der reichste und wollustigste Teil der Nation des witzigsten und verstandigsten nicht mehr schamen wird.

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jedes Ding verstehe oder daran Anteil nehme, was er etwa zu verstehen oder woran er Anteil zu nehmen scheinen wollte. Diese von vielen Hofleuten fur ein grosses politisches Geheimnis geachtete Kunst besteht im Grunde bloss in einigen

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von Gedichten entzuckt wurde, woran ihm eigentlich nichts gelegen war und wovon er weder etwas verstand noch empfand. Saugling war sehr zufrieden, da er eben nicht weit sah und besonders gern glaubte, man musse es aufrichtig meinen,

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Herzen fur mehr als eine Liebe Raum genug war und er es, vermoge der hohen Meinung von seiner eignen Person, nicht fur moglich hielt, dass ihm ein Frauenzimmer widerstehen sollte, so glaubte er, Mariane konne gar wohl ein fluchtiger

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oft geradezu daruber aufzuhalten. Zum Unglucke fur Saugling ward er darin zuweilen von der Grafin unterstutzt, deren feiner Geschmack schon langst in Sauglings Liedern eine gewisse Einformigkeit und Schlaffheit wahrgenommen hatte, wofur ihm selbst

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wenn sie vortrefflich sind; sie wirken alsdann mit unbeschreiblichem Reize auf mich und bleiben meiner Seele tief eingepragt. Aber Sie wissen, der ganz vortrefflichen Gedichte sind nur sehr wenige. Was die ubrigen anbetrifft, so sind sie ganz gute Dingerchen, die man allenfalls einmal anhoren,

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es am wenigsten wunschet. Eine solche kleine Intrige kommt einem jungen Madchen, ich weiss wohl, gar allerliebst empfindsam vor; es dunkt sich so vom gemeinen Haufen unterschieden, einer Sappho oder Hero so ahnlich, wenn

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weil er gar nicht einsehen konnte, wozu noch mehrere Beweisgrunde notig sein sollten. Denn es hatten ja alle Geistlichen einen schweren Eid geleistet, sie zu lehren, und man wusste seit mehr als hundert Jahren in

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obwohl sehr selten, aufstiessen, denen zur Verantwortung zu uberlassen, von denen er war vereidet worden. Da er also bloss zu lehren, nicht aber zu untersuchen hatte, so konnte er sein Amt beinahe ganz mechanisch ausuben.

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es, gar zu arg sein wurde, der christlichen Liebe gemass glauben, der Schulmeister konne hierin wohl falsch gehort haben.Die Gesellschaft ging auseinander. Aber diese Nachricht ward, wie gewohnlich, den folgenden Sonntag von

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Kalvinisten und dergleichen bei uns zugeben; also muss man auch nicht lehren, dass man sie lieben musse."Sebaldus mochte immer einwenden, die Vernunft sage uns, eine ungereimte Verfassung konne gar wohl verandert werden,

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gute Gesinnung sei ausschliessend bei unserer Religionspartei; lassen Sie uns vielmehr untersuchen, ob diejenigen, die wir fur Irrlehrer halten, nicht mehr Wahrheit mogen erkannt haben und lobenswurdiger leben als wir: und dann finden wir vielleicht, dass

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Da wird immer einer an dem andern irre! Wenn einem ja auch hin und wieder ein Zweifel einfallt, so ist's besser, man unterdruckt ihn gleich. Dies ist viel kurzer und besser, als davon soviel Redens zu machen, daruber dann andere auch irregehen. Nein, lassen Sie mir immer die Lehrformeln

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sind, aufs wenigste gerechnet, ein notwendiges Ubel. Da ist ja so vieles in der Bibel, woraus man sich sogleich nicht finden kann, und so wurde man wahrend seiner ganzen Lebenszeit untersuchen mussen, was man glauben soll, wenn's nicht schon in der

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wie Sie ganz recht sagen, lieber tolerieren. Doch um wieder aufs Vorige zu kommen, tun Sie mir's immer zu Gefallen und predigen nicht ferner davon, dass man sie lieben musse. Sehen

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dass sie wegen ihrer bloss scheinbaren Tugenden kein Gegenstand der gottlichen Barmherzigkeit sein konnten und also in dem hollischen Schwefelpfuhle ewig braten mussten. Sebaldus unternahm es unbedachtsamerweise, jene grosse Manner wider dies harte Verdammungsurteil zu verteidigen, machte aber dadurch das Ubel

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Schriftgelehrten gleich den scholastischen Philosophen haben von jeher ihre Lehrgebaude so kunstlich angelegt, dass jeder das seine trotz aller Widerlegung beweisen kann. Sie gleichen Bergschlossern, die noch dazu mit hohen Wallen und tiefen Graben umgeben sind, so dass derjenige, der darin ist, sich ewig verteidigen und derjenige, der

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und Uberlegen fuhren sicherer zur Wahrheit als spitzfindige Lehrgebaude."*"Man setzet immer die Vernunft der Offenbarung entgegen. Dies mag der notig finden, der an eine unerklarliche Theopneustie glaubt. Ich hoffe aber, es sei niemand jetzt mehr so einfaltig, sich einzubilden, Gott habe die heiligen Bucher unmittelbar und ubernaturlich eingehaucht. Es

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der Beistand verfehlt war, den er gewiss von dem Domine zu erhalten hoffte, und nicht dienlich fand, demselben die wahre Ursache seines Antrags naher zu erklaren, so ging er, nachdem er sich dienstlich empfohlen, ziemlich betroffen zur

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als er wohl anfanglich gedacht hatte. Er fing an zu bauen, ward aber sehr bald fertig, mit einem Hause, das schon grosser war, als er es brauchte. Es fanden sich zu ihm bald Kunstkenner,

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Einsetzungsarten und dergleichen mehr fuhrten ihn in so mancherlei ernsthaft aussehende Rechnungen, aus denen so viele sonderbar scheinende Resultate entsprangen, dass er zuweilen verleitet ward, seine Hirngespinste mit Wohlgefallen fur mathematische Einsichten zu halten. Dazu

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, und wodurch zugleich seine Safte in so ordentlicher Wirkung und Gegenwirkung erhalten wurden, dass er nie weniger von Indigestionen zu befurchten hatte als kurz vor und kurz nach den verschiedenen Ziehungstagen. Man kann also leicht erachten, wie sehr er in guter Gesundheit erhalten worden, da verschiedene Patrioten in verschiedenen Provinzen Deutschlands

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man wisse wohl, dass Leute dieser Art am leichtesten in Ruckfall geraten konnten; daher werde die Frau Gertrud seinem Sohne gewiss den Vorzug geben, nur musse er, wie leicht zu erachten, sich sehr bald deshalb erklaren.Der alte Saugling ward uber diese

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meine Einwilligung gegeben und ihr Vater auch. Also kommt Ihr guter Rat zu spat, mein lieber Herr Rambold."Rambold war ausserst betreten. Seine naturliche Unverschamtheit verliess ihn. Er ward bald blass, bald rot, sah bald voll Verwirrung den Sebaldus an, bald wieder weg,

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und Saugling kurz darauf mit Marianen verbunden. Die ersten Honigmonate verflossen in allen Entzuckungen einer zartlichen Liebe. Saugling machte sich den schonsten Plan zu einem arkadischen Schaferleben, voll Zartlichkeit, Unschuld, Liebe und besonders voll lieblicher Gedichte; doch ging es in der folgenden Zeit nicht ganz nach diesem schon ausgesonnenen Plane. Mariane hatte wahrend ihres einsamen

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der Einbildung verschwanden, da sie in die wichtigen Verhaltnisse des wirklichen Lebens trat. Ihre sussen empfindsamen Phantasien machten wirklicher Liebe Platz, unbestimmte Aussichten auf uberschwengliche himmlische Seligkeiten wurden durch gemassigtes, aber wahres Wohlbefinden ersetzt. Gesprache vom Wohltun gingen nun in wohltatige Geschafte uber. Sie weihte sich ganz ihren Pflichten, ward eine Landwirtin,

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mit sich fuhrt, denn ihrem edlen Geiste ward dadurch von seiner feinen Empfindung nichts entzogen, die vielmehr dadurch mehr Krafte gewann. Mariane ward nunmehr inne, wie weit sentimentales Gefuhl, im wirklichen Leben tatig angewendet, das leichte Geschwatz davon uberwieget. Sie merkte bald, dass

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Wenn man irgendwo schielende und ungereimte Urteile lieset uber Dinge, wovon, wie offenbar zu sehen ist, der Verfasser nichts verstanden hat; wenn dabei verdiente Manner mit naseweisem Geschnatter fein superklug uber die ersten Grunde der Kunst oder Wissenschaft, worin sie vorzuglich gross sind,

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Federischen oder wer weiss aus welcher noch neueren, folglich zehn Jahre lang noch wahreren Philosophie folgern zu konnen. Einige haben daher den alten Mann, obgleich mit einigem Kopfschutteln, sein lassen, wie er ist. Andere hingegen, weise, systematische Manner, haben ihn dadurch vollig in die Enge zu treiben vermeint, dass

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verschiedener noch lebender deutscher Genies bestarkt wird, namlich: dass ein Mensch sehr wohl in allen Dingen so denken und handeln konne, dass ihn die ganze ubrige Welt fur verstandig gelten lasst, dabei aber in einem einzigen so,

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nicht so leicht werde nehmen lassen; dass daher ein Gelehrter ein Buch, besonders ein biblisches Buch, woruber er eine ihm wichtig scheinende Hypothese erfunden hat, niemals ganz werde fahrenlassen wollen. Sie mogen ubrigens deshalb unbesorgt

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den Rest davon aus Liebe zu den schonen Kunsten und Wissenschaften auf der Universitat verschwendet hatte, so befand sich der letztere in sehr bedurftigen Umstanden. Er trieb sich an verschiedenen Orten herum, so dass von mehrern Jahren seines Lebens die zuverlassigen Nachrichten fehlen. Soviel weiss man,

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Urteil noch zuruckhalten und dahingestellt sein lassen, ob etwa die Handschrift derselben auf eine unbekannte Art dem Herausgeber mochte in die Hande geraten sein; allein wer den Herrn Magister Sebaldus etwas genauer und personlich gekannt hat, wird sich bald uberzeugen, dass jene Predigten unmoglich von diesem guten Manne herruhren konnen.Wenn

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.Wie ware es moglich, dass der sanftmutige Sebaldus einen ganzen dem gemeinen Wesen notigen und nutzlichen Stand auf eine so bittere und zugleich so tolpische Weise habe offentlich verunglimpfen wollen? Sollte wohl ein verstandiger Mann zweifeln konnen, ob jemals ein Termin

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kalt gewesen ware als dieses Fragment, schwerlich nur ein einziger Bauerkerl dadurch wurde bewogen worden sein, Kriegsdienste zu nehmen. Es scheint, Magister Cyriakus hat bloss einen Versuch machen wollen, zu zeigen, wie etwa die Predigt,

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In dem echten zweiten Bande wird man, der Wahrheit gemass, sehr viele Meinungen und nur sehr wenige Handlungen antreffen, weil der ehrliche Sebaldus wirklich meistens nur gedacht, hingegen wenig gehandelt hat.

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und ob immer am rechten Orte gepfiffen worden, kann hier nicht untersucht werden. 9 Auch hierin hat sich viel verandert. In unserm glucklichern Jahrzehente leben wirklich eine Menge Schriftsteller en hommes de lettres in geschaftiger Musse. Alle freilich werden nicht in ihrer Kunst gross, sogar einige, welche allzu geschwind gross wurden, erschienen in jedem neuen Buche, das sie schrieben, immer kleiner. 10

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mit diesem griechischen Worte die Kunst der Erziehung andeuten. Diese feierliche Benennung wird gebraucht, seitdem die Gelehrten diese Kunst in verschiedene Systeme gebracht haben, deren jedes gleich den philosophischen Systemen fur sich sehr genau zusammenhangt und dem andern schnurstracks widerspricht. 19 Unmodischen Lesern und Leserinnen sei kund,

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Art eines kleinen Kopfzeuges ist, das, glaubwurdigen Nachrichten zufolge, im Winter 1772/1773 allgemein getragen ward. Es ist zu hoffen, ausser den Buchgelehrten werde jedermann in Deutschland wissen, dass ein Komete ein kleiner Kopfputz war, unter welchem ganz frisierte Haare getragen wurden. Aux zephyrs aber ward dieser Komete benannt, weil daran hinterwarts gewisse haarigte Zieraten

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Weil zu vermuten ist, dass eher Buchgelehrte als gens du bon ton dieses Werk lesen werden, so mussen, wegen der Unwissenheit der erstern, hier schon einige Worter erklart werden, die sonst jedermann versteht, des qu'il entre dans le monde. Ein bonnet en demi-ajuste

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nur kaum ertraglich.In leidenfreiester Eintracht leben wir mit denjenigen, die uber einen gewissen Punkt hinaus, ausgemachterweise, uns gar nicht verstehen; daher dann der entschlossene Menschenverachter allein den ewigen Frieden geniesst. Sylli und Clerdon aber fanden es in jedem Falle unmoglich, eine

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hat, worin Sylli uns gleich in den drei ersten Briefen dieser Sammlung erscheint, lasst sich im Grunde weder aus den angefuhrten noch aus andern ausserlichen Umstanden hinlanglich erklaren. Er kann nur in lebendiger Darstellung gezeigt, und nur durch Sympathie begriffen werden.Amalia, deren gleich im 2.

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Personen etwas voraus zu erinnern ware uberflussig.Der Besitzer von Allwills Papieren glaubte, es sei gar nicht tunlich, sie in ihrer eigenen Gestalt dem Publiko vorzulegen; die kleinen Details mussten ausgemerzt, der Gesichtskreis erweitert, und das Ganze zur allgemeinen Brauchbarkeit umgearbeitet werden. Dawider fuhrte ich ihm folgende Worte aus

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dann, wer hatte binnen unsern dreifachen Mauern sich einbilden konnen, dass draussen schon der Fruhling ware? Hecken und Strauche sind schon ganz grun, und uberall aus

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sie sind daruber einig, sich einander etwas weiszumachen, und es kommt auch selten jemand dabei zu kurz. Was brauchen die Leute sich weiter liebzuhaben? woher und wozu? Sie haben ganz andre Dinge aneinander zu bestellen; geht's damit voran, so bleibt das gute

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in sehr gutem Rufe. Dass ich immer eine oder die andre Prinzessin, welche mich ihrer vollkommensten Hochachtung wurdigt, ausnehmend verehre zuweilen auch zwei, drei auf einmal weiss kein Mensch so recht: man sagt nur: der Allwill ist uberall wie das

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ihres Hauswesens denke. Sag, ob Du etwas davon weisst, dass es eine besondere Leidenschaft gibt, die sich eheliche Liebe nennt, ganz verschieden von jener Leidenschaft, welche allgemein den Namen der Liebe tragt, und die Sag weisst Du etwas davon? denn

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! Liebe macht uns Weiber immer unglucklich. Die Manner verdienen so wenig das Opfer unsers Daseins, dass sie nicht einmal anzunehmen wissen, was wir ihnen geben. Das Gluck ein ganzes Herz zu besitzen wie sollten sie das schatzen konnen, da ihr Herz nie einen Augenblick ganz, da

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! Ich weiss ja das alles; bin ja mehr als einer gehutet worden irgend zu wissen was ich wollte; zu empfinden was ich empfand; strenge angewiesen wie ich etwas schon und gut, und nur dies etwas so finden musse; ausgestopft

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Thermometer so weit zu treiben, dass wir rund um die Erde Zonam temperatam kriegten, und immer schones und fruchtbares Wetter zugleich hatten sollten wohl alle Tugenden erwerben und ausuben beim Kegelschieben, oder beim Tarock, a l'hombre sollten solltenJa, so in etwa denken lasst sich freilich manches noch so eben. Aber von der schimarischen Vorstellung bis zur eigentlichen; vom

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fur sein ganzes Dasein, und weiss, was gut und schon ist mit Namen zu nennen.Alles mogliche von einer gewissen Seite betrachtet, lasst sich in einem ganz ertraglichem Lichte ansehen, denn nichts kann durchaus hasslich und

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kann vielleicht die Halfte seiner Lebenszeit ein ganz guter Mensch scheinen; die andre Halfte aber scheint er zuverlassig ein desto schlechterer; ein wurdiger nie; ist keinen Augenblick ein ganzer Mann."An eben diesen D**

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, der ganzlichen Zerruttung es immer naher bringen. Alle Hande voll, wollen Sie doch immer noch mehr greifen, und konnen dann weder fassen noch halten. Uberdem

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zu empfinden, Gefuhle zu fuhlen; findet nicht hier eine ebenso ungereimte Absondrung statt, wie dort beim Wissen? Ich glaube, wer eine schone grosse Seele in der Tat besitzet, halt sich nicht

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sich nun immer, wenn sie neue Ankommlinge bekommen konnen. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erst mit dir davon reden. Du sagst, es habe dir vom Kloster getraumt; was

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hat mir schon ein paarmal sagen lassen, ich mochte doch ja zu ihm kommen, wenn ich hier im Dorf ware; Er hatte mir gar was wichtiges zu sagen; ich weiss nicht, was es seyn mag? Ich

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bey den meisten Junglingen bleibts auch beym Gefuhl und geht selten zum Entschluss uber. Der gesetzte Mann hingegen, der oft kalt scheint, weil sein Gefuhl minder stark und gleichsam stumpf gemacht ist, handelt desto mehr fur die Tugend. Er begnugt sich nicht am Anschauen der ausserlichen schonen Gestalt der

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schlecht zu handeln, wird sich noch mehr vor dem heiligsten und reinsten Wesen schamen, das zugleich unsre Thaten richtet. Der Gedanke von der gottlichen Allgegenwart erhebt das Herz, und treibt es zu grossen Thaten an.

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Menschenliebe, je nachdem wir glauben, durch das eine mehr, als durch das andre, unsre Eigenliebe zu befriedigen.Kentnis deiner selbst und deines eignen Herzens wird dich in Beurtheilung andrer Menschen billiger machen. Die besondre Lage,

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Ehre er genossen, was fur Leute er da kennen lernen, und was er sonst alle schones gesehen und gehort habe. Endlich sagte er, es sey nun ganz richtig, dass er auch ins Kloster gehen, und deswegen in etlichen Tagen nach

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ins Kloster gezogen seyn und bedaurte, dass ich nicht schon langer mich drein begeben hatte. Aber nach etlichen Wochen, da ich nicht mehr neu im Kloster war, giengs ganz anders. Erst entstunden bey Tische kleine Nekkereyen; eine Nonne zog die andre auf, man verantwortete sich; ward bose;

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in den rechten Arm sey geschossen worden, nun sey er aber ziemlich wieder hergestellt, und hoffe, bald wieder schreiben zu konnen. Die Nachricht davon sey an seine Eltern gekommen, und er habe sie zugleich zartlich grussen lassen! Diese Erdichtung half mehr, als

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du doch gestehen, dass sie hundertmal mehr Gutes thun, als andre Weltmenschen.Therese. So viel mehr Gutes eben nicht; und dann sind das ausserordentliche Leute, deren es wenig gibt, und die gewiss in der Welt eben so viel

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der Nahe denkt, und lernt sein Vaterherz immer mehr kennen. Warlich fur den Gebrauch unsrer funf Sinne konnen wir Ihm nie genug danken. Durch sie wird man am meisten mit ihm bekannt; mit dem Verstand geht's viel

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sich am strengsten. Wenn sie sich zuweilen auch wegen andrer, und besonders wegen ihrer Kinder, zu vielen, auch wol ungegrundeten Kummer machte, so war doch die Quelle davon so rein, so edel, dass ihr gewiss jedes dieser Leiden ewig wird vergolten

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ich freylich konnen bleiben lassen. Nun, nun, was geschehen ist, last sich nicht mehr andern! Wenns nur nicht gar zu lang anhalt; denn diessmal hat michs recht niederg'worfen Heut must ihr schon zu Haus Geduld haben! Morgen konnen wir vielleicht wieder 'naus, wenns besser wird!

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ohne das viele vorhergehende, dem weiblichen Geschlecht sonst so eigene Gezier. Ihre Stimme war rein und naturlich, ob sie gleich eben nicht sehr nach der Kunst sang. Aber sie sang mit dem ganzen herzlichen Antheil, der den Gesang allein angenehm und unterhaltend macht. Drauf

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besann sich recht drauf, viele Gesundheiten auszubringen, und die jungen Leute mit zu qualen. Da ward aufs hohe Wohl des gnadigen Herrn Papa; aufs hohe Wohl der gnadigen Fraulein Schwester; aufs hohe Wohl der ganzen hochadelichen Familie; dann aufs erwunschte Wohl

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er sich zuletzt selbst verrieth, und mit vielen Umstanden und weit hergeholten Wendungen dem Pater das ganze Geheimnis entdeckte. Das ist ja was gutes, und unschuldiges, sagte Philipp, und braucht der Beschonigungen gar nicht. Ja, ich weis wohl, sagte Kronhelm;

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Stadt sind lauter Misthaufen. Wir sind bisher immer in stinkende und ungesunde Nebel eingehullt gewesen. Man soll leicht Krankheiten davon kriegen. Das ware noch das beste, wenn mich eine suchen, und es enden mit mir wollte! Aber man sagt, der

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So lassen Sie ja das Buch nicht offentlich sehen! sagte er ganz angstlich; das wurd Ihnen gleich weggenommen werden. Man ist hier gar scharf. So, sagte ich,

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hat sonst gewiss mannliches genug! Aber ich glaube, je zarter und richtiger und tiefer einer fuhlt, und je mehr er seinen eignen Werth kennt, desto mehr muss ihn

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in die tiefe Nacht hinein. Wenn sein Herz recht weich, und er allein war, so erhub sich seine Seele zu hoher Andacht; er betete mit grosser Inbrunst, und heiligte sich Gott ganz. Das Lesen der Bibel machte ihn taglich vollkommener und besser, und jeder grossen Handlung fahig. Seine

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Marianens Denkungsart gehort hatte, ausserordentlich, und fesselte seine ganze Seele nur noch mehr an sie. Von allen diesen verschiednen Empfindungen ward sein Herz immer mehr zerrissen, und die schmerzhafte Wunde immer tiefer, so

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wieder mit einander in das Grab herab, und klagten. Jedes Herz fuhlte Zartlichkeit und Liebe, doch das ihrige am meisten. Man hatte wenig scharfsinnig seyn durfen um zu horen und zu fuhlen, dass weit mehr aus ihnen sang, als

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hat sie ganz unglucklich gemacht. Ich hoff immer noch, es soll ein gutes Ende nehmen; sagte Mariane. Herr von Kronhelm verdient sie gar zu sehr, und wurde sie gewiss glucklich machen.

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was zu unserm Besten dienen konnte, zu versuchen. Sie hat bereits mit meinem Vater gesprochen, und ihn so weit gebracht, dass nun wegen des Hofraths nicht weiter in mich gesetzt werden soll. Nur sollen wir behutsam seyn, und unsre Rechnung nicht zu gewiss machen! Meine Hand soll gewiss kein anderer

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, und kampf! Die Siegerkrone kann dir nicht fehlen. Du wirst sagen: der hat gut trosten, weil ihm nichts mehr auf Erden ubrig ist, zu wunschen; und da hast du freylich Recht. Leb wohl, Bester, und sey glucklich! Ich bin ganzDein treuer

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oder des guten Herzens. Wenn ich einen gut die Flote spielen hore, so ist mirs kaum moglich, zu glauben, dass dieser Mensch, wenigstens in diesem Augenblick, etwas Boses denken, oder ausuben konne. So geht mirs fast bey allen Instrumenten, sagte Siegwart.

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weg, eh er ihn ausgelesen hatte, und machte sich tausend schreckliche Vorstellungen, warum wol sein Vater nicht geschrieben haben moge, da doch schon vor vier Posttagen ein Brief hatte ankommen konnen. Mit alle seinem Nachsinnen bracht er doch nichts heraus, als tausenderley Muthmassungen, deren immer eine die andre wieder aufhob.

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Schwester noch langer bey sich behalten hatten, so konnten sie es doch nicht ubers Herz bringen, ein paar so zartlich Liebende langer getrennt zu lassen; daher willigten sie in seinen Vorsatz, nachdem er ihnen erst versprochen hatte, sie gewiss bald, von

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, und schienen in tiefe Wehmuth zu versinken. Siegwart betrachtete zuweilen den Einsiedler seitwarts, und bemerkte tiefe Zuge der Schwermuth in seinem Gesicht eingegraben. Je gewisser er uberzeugt ward, dass er ein Unglucklicher seyn musse, desto mehr Zuneigung fuhlte er bey sich gegen ihn; desto mehr wunschte er,

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ihm dieses gleich so traurig war, und ihn tausend Thranen kostete. Wenn sich davon das Gesprach anfieng, so konnt er gar nicht aufhoren. Es war ihm immer noch zu kurz, wenn es auch schon ganze Stunden gedauert hatte. Seine einzige Hoffnung grundete

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in Klostern wohl bekannt, wussten Sie mir nirgends ein Dienstlein? Sie konnten ein recht gutes Werk verrichten. Ich wollte mich gewiss billig finden lassen; und meinen Dienst kann ich versehen, so gut als ein Gartner im ganzen deutschen Reich,

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es seyen dahin auch vier Nonnen von den verungluckten gekommen, von denen zwo bey dem Brand vielen Schaden gelitten haben. Er schilderte ihren Schrecken, der noch immer fortdaure, sehr ruhrend, und beschrieb die Nonnen, deren eine noch sehr jung und ausserst schwermuthig sey.

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.Die ubrigens lieber ideale Schilderungen von ganz guten Menschen und ganz glucklichen Welten lesen, denen kann dieses Buchelchen keine taugliche Speise scheinen; und wenn sie lieber solche von ihm verlangten, so konnte er sie damit bedienen: denn er hat Risse zu vollkommnen Republiken und vollkommnen Welten fertig, in denen sichs aber vielleicht, wenn

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dass sie beide kleine Gartchen zu ihrem Vergnugen sich neben einander gemacht hatten, dass der altre allmahlich dem jungern beinahe die Halfte von dem seinigen betriegerisch abgezwackt, dass der Beraubte sich daruber beklagt, dass ihn der andre ausgelacht und endlich herausgefodert habe: darauf hatte er

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, der erste Erzvater gewesen. Was ware denn nun vollends solchen nackten Lumpenkerlen Geld nothig? meinten sie; wir hatten ja ohnehin keine ganzen Taschen; also wars doch tausendmal besser, dass wirs IHNEN gaben, als wenn wirs verloren: das ware ja jammerschade: sie wollten uns dafur recht hubsch gepuzte

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fremden Nutzen aufgeopfert hat. Man dunkt sich schon gross, indem man grosse Absichten befordert, daran arbeitet; und jener Mann schazte sich schon glucklich und gross genug, wenn

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seine Leser zusammen; wer sie oder ihren Autor aufs Gewissen gefragt hatte, worinne ihre Freiheit gekrankt worden ware, wurde keine Antwort darauf erhalten haben: dennoch sezte das einzige Wortchen "Freiheit" das ganze Volk in

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verheere so lange, dass es die Leute so bald nicht wieder verschmerzen konnen: so denken sie doch gewiss allemal an mich, wenns ihnen ubel geht: die Spuren meiner Verwustung werden wenigstens auch ein Jahrhundert und langer ubrig bleiben: man denkt allemal an mich, wenn man sie sieht. Kommt!

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ist alles eins: nur andre Gegenstande, andre Waffen.Durch eine lange Reihe der Begebenheiten bildeten sich in der Gesellschaft verschiedene Stande, wurden verschiedene Lebensarten nothig: und gleich entstund daher der grosse Krieg der

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Palmblattern, grossen Schlauchen voll Kameelmilch und ahnlicher Kostbarkeiten bestunden, wurden offentlich vorgetragen: Nach dieser muhseligen Reise durch warme, sandigte, wasserlose Gegenden gelangten sie endlich zum koniglichen Palaste, einer viereckichten grossen Hutte von Palmbaumen aufgefuhrt, dessen

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seiner Narrheit verschieden, allenthalben in sich selbst verliebt, allenthalben sich selbst der grosste, der wichtigste, und der Verachter andrer: sollte er gleich nur Strohkorbe machen konnen, so verachtet er doch gewiss, den Brodneid abgerechnet, aus blosser Selbstgefalligkeit alle

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dasigen Frauenzimmer liegt, weswegen viele, die besonders gefallen wollen, sich oft so kunstliche Bewegungen zu geben wissen, dass jene schonen Auswuchse von den Achseln herunterfallen mussen, worauf man sie mit einer so annehmlichen reizenden Nachlassigkeit zuruckwirft, wie

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ernstliche Erinnerungen wegen der versprochnen Wiedererstattung, und es fanden sich tausend Entschuldigungen und Verhinderungen: Belphegor drang alsdann weniger ernstlich, seltner und endlich gar nicht mehr darauf; tadelte alle getroffne Anstalten als unbillig, unfreundlich,

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Anstrich nur desto mehr vermissen liessen; mein Herz fand nirgends anziehende Kraft und allenthalben Widrigkeiten. Je weniger mein Gefuhl gleichsam ausgefullt wurde, desto mehr verstarkte es sich! und zuletzt war gar nichts mehr ubrig, das nicht, so zu sagen, wie ein leichter Span auf einem Weltmeere, darauf geschwommen hatte: gar nichts druckte

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jeden der folgenden Tage Blumen suchen; ich glaubte jedesmal den alten Evnuchen zu finden, um etwas bestimmteres von meinem bevorstehenden Glucke zu erfahren: allein statt seiner kam den dritten Tag der grosse Fali und eine kleine Weile darauf der alte

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ausgieng, tausende haben einander aus Neid darum gebracht; nur wenige erjagen zuweilen eine goldne Feder, die sie kaum besitzen, als sie des erlangten Besitzes uberdrussig sind: demungeachtet bleibt keiner,

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unter einem ununterbrochnen Jubel in das erste Dorf eingezogen waren, so glaubte Belphegor nichts gewisser, als dass man auf seine erste Bitte, sobald sie nur verstanden worden ware, mit der grossten Bereitwilligkeit seinen Hunger befriedigen werde.

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Nur das einzige war ihm unbegreiflich, dass diese mitleidigen Versorger sie gleich anfangs aller Kleider beraubt hatten, bestandig gefesselt hielten und auf das scharfste bewachten: er sann tausend gunstige Ursachen dafur aus, die insgesammt ganz wahrscheinlich, aber keine die wahre war.

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wie er kommt, und immer gedacht: wer weiss, wozu er gut ist? das heisst klug gelebt! Und das kannst Du mir doch nicht laugnen, Bruderchen,

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und seine eigne Ueberzeugung zog ihn allezeit zu der erstern, ob ihn gleich sein Freund zu der letztern zu ziehen suchte. Wenn aber auch sein innerlicher Zustand nie vollig ruhig werden konnte, so glaubte er wenigstens, dass

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, um dessentwillen sie je langer, je mehr vervielfaltigt werden mussen, so dass zuletzt entweder ein Pabst mit etlichen listigen Fuchsen den ubrigen Haufen ganz abrutiren muss,

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trat, allenthalben, und erblickte sie nirgends. Je mehr ich von der Erde kennen lernte, je mehr musste sich meine Vorstellung von der menschlichen Gluckseligkeit verengern, und zuletzt schrumpfte sie gar bis auf das magre Etwas zusammen Abwesenheit wirklicher Leiden; wer diese errungen hat, der ist menschlich glucklich. Die

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er sich gewohnte, mehr das Gegenwartige zu empfinden als daruber nachzudenken, seinen Blick mehr in sich und den kleinen Umkreis seiner kleinen Bedurfnisse und Freuden zuruckzuziehn und uberhaupt den Horizont seines Nachdenkens mehr und mehr zu verengern, mehr sinnlich als geistig, mehr empfindendes und handelndes als denkendes

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dem Unterthan ungleich grossern Vortheil verschaffen: wie ich hingegen nie ohne innerliche Erschutterung einen sonst guten Mann im Durchschnitte genommen! mit Ernst behaupten horen konnte, dass ein Bauer nichts mehr als gesunde Hande und

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Nebenzimmer zu begeben und dreimal die letzte Silbe Ihres vorigen Namens auszusprechen, und Sie konnen ein grosser Konig werden."Der Konig stand auf, ging ins Nebenzimmer und rief dreimal "Lak", und plotzlich lag vor seinen

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: Je tiefer Sie greifen, desto grosser wird er; je mehr Sie Gold herausnehmen, desto mehr wird darinne sein. Sobald ein neidischer Nachbar Ihnen den Krieg ankundigt, so offnen Sie Ihre goldne Buchse: Wo Ihre Majestat die goldnen Korner darinne

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"und komme nicht eher zuruck, als bis du den zweiten Fehler gemacht hast", und sogleich verschwand es.Der Konig entfernte alle, denen der Stuhl die grossten Konvulsionen machte, und fand ohne Schwierigkeit soviel andre, die

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Die Hunde lockenDen Fuchs zum schweren Kampf." Er sagt's undspringt empor,Die edle Zeit mit Klugheit einzuteilenUnd nicht bei einer Lust zu lange zu verweilen,Wenn eine neue ruft. Ihm folgt der ganze ChorDer satten Esser nach.

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wurde ihm gar im kurzen so interessant, dass er nicht mehr blinzte, sondern die Augen so weit aufmachte, als es sich naturlicherweise tun liess. Je weniger sie buhlte, je weniger sie ihm ihre Liebe anbot, desto begieriger verlangte

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Luft mit verdoppelter Wut fortgesetzt. Es macht schon Larm genug, wenn zwei gewohnliche Weiber sich zanken; nun denke man, was fur einen es geben muss, wenn es gar Hexen sind. Schabernack befand sich am schlimmsten dabei: Das

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auf einmal aufgelost, warum Kakerlak immer zur Konigin Ypsilon und Mylady immer zum Lord Antick geht; die verwunschte Hexe schuf den beiden Steinfiguren so unwiderstehliche Reize, dass wirkliche Liebe daraus wurde.Wie bei dergleichen Vorfallen die Weiber immer sinnreicher sind

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sich mit vieler Warme und waren uber eine so angenehme Bekanntschaft entzuckt; beide hatten schon lange davon getraumt, dass ihnen ein so grosses Vergnugen widerfahren sollte, und beide versicherten sich,

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und war schon in Gedanken Herr vom schonsten Garten im ganzen Lande.Nach langer Arbeit und langer Hoffnung stand endlich das Wunderwerk der Gartenkunst fertig da. Zwischen jungen Fichten dreht Sich der Schlangenpfad dahin, Wo die schonste Charitin In dem schonsten Haine steht. Wie

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croyaient entrer dans l'appartement: mais celui qui avait droit d'en fermer les portes, ne parut qu'a trois heures. Il fallut que le roi attendit comme les autres. Les grands jouissaient de privileges que maintenait la severite de l'etiquette: on tenait par-la le Monarque en quelque sorte reclus, excepte pour eux. "

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in den langen Abenden, wie er versicherte, bloss seine Augen zu schonen, die freilich durch Noten und Faden gelitten haben konnen, trieb. Er verstand auch etwas vom Schuhmachen, allein nicht das mindeste von der Poesie. Meine Mutter pflegte daher von ihm zu sagen: er hatte den kalten Brand.

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, die unfehlbar sich vorstellte, dass es wegen des Monumentes in der Speisekammer ware, fragte leise: "an beide?" Ja, liebe Mutter, und gleich, lieber Vater, sagte ich laut. Sprich, sagten sie beide. Verlasset hier weinte ich zartlich M

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, was beide wissen, und das erste Capitel von dem, was sie beide nicht wissen. Ein schones Buch, das wirklich schon ist, das vom Herzen kommt und zu Herzen geht, was meinst du?

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Der Staat braucht viel Hande, aber wenig Kopfe. Ein politischer Kannengiesser ist ein schlechter Kannengiesser und ein schlechter Burgermeister; die Kenntnisse des gemeinen Mannes mussen bei der Hand bleiben und nicht bis zum Kopfe kommen. Wer dem Menschen das Denken nehmen will, setzt ihn herab. Denken kannst du, du kannst denken, das

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wenn er gleich weiss, dass er dadurch zum ewigen Leben kommen soll? Das Letzte ist gewiss. Leute, die recht sehr fromm sind, mussten hier schon wie dort seyn. Sie studiren die himmlische Geographie,

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, welches dreimal so lang war, als leider das unsrige ist, betete meine Mutter ungewohnlich laut mit, und das war schon immer ein gutes Zeichen, denn wenn sie das ganze Haus beinahe in einander geworfen hatte,

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Hebraer im funften Kapitel und dessen sechsten und zehnten Vers, und im sechsten Kapitel und zwanzigsten, im siebenten und dessen ersten, zweiten und dritten Vers entwickelt sich dieses naher, welches

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dir's wohl geht, denke, dass dir's ubel gehen konne, und wenn dir's ubel geht, denke, dass dir's wieder wohl gehen konne.Auf Regen folget klare Zeit;

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kein Mensch glaubt, dass du so lange gesucht hast. Dein Vater wurde sagen: Windbeutelei, faul Holz statt Licht; allein klimpern gehort zum Handwerk. Einem Geistlichen steht's am wenigsten an, zu sagen, ich will diess und das thun. Er steht in Gottes

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In der besten Welt, der besten Welt wegen Kopfweh, das wurd' ich der besten Welt, und die beste Welt es mir ubel nehmen, ich konnte schon was druber reden, schreiben

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wenn er gleich seine siebenzig erreicht, nur zweimal in seinem ganzen Leben; wenigstens hat der furs menschliche Geschlecht ein grosser Verdienst, der es zu lachen macht, als der Thranen presst; indessen ist viel beim Lachen zu erinnern. Es entsteht aus einem

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. Ich glaube, der liebe Gott hat manches bloss der Mannigfaltigkeit wegen gemacht. PASTOR. Schwerlich, obgleich wir bei vielem keine andere Summe ziehen. Ich liebe die Abwechselung, die Mannigfaltigkeit durch verschiedene Zeiten. Wer im Bett immer auf einer Stelle liegt, schwitzt

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l e ward,konnen sich meine Leser nicht vorstellen. Ich habe wenigstens ein Quartblatt, dicht geschrieben, druberverhort, und doch ging es glucklich ab, obgleicheine allgemeine Stille daruber ward.HERR

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der Ehre kommen, welche der griechischen und lateinischen, eben weil es selige und vollendete Sprachen sind, zusteht. Solang eine Sprache lebt, wird diess Wort adelich, diess burgerlich, diess bauerisch, nachdem es die Mode will. Es geht mit den

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s mir vorstellen. Der witzige Jude hat indessen Unrecht. Selbst die Art, womit man dergleichen zerbrechliche Dinge behandelt, machen sie angenehm. Man denkt mehr daran, man geniesst sie also mehr. Pastor, Sie sprachen gestern wider

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jeder Flecken zwei Thore hat, eines beim Eingang und eines beim Ausgang, so sey es mir erlaubt, denen, die in diesem Theile zu wenig Geschichte gehabt, schliesslich den Trost zu lassen, dass die folgenden Bande sie entschadigen werden. Wer Romane liest, sieht die Welt

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sondern Handlung ware, wo man alles, oder wenigstens mehr sehe, als hore. Man sieht freilich den Erzahler im gemeinen Leben, allein die Wahrheit zu sagen, man hort ihn mehr, und

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er die meisten Dinge aus einem oft unbetrachtlichen Gesichtspunkt nimmt, und eben dadurch beim rechten Ende fasst;dass er einen koniglichen, einen Revisionsblick, der immer mit einem gewissen Gluck verknupft ist, besitzt (sein Blick trifft immer, ohne

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du bist verschwunden. Vielleicht hingst du schon lange, lange nicht mehr an meiner Hand, eh' ich dich misste, eh' ich wusste, dass ich allein war. Allein! grosser Gott, ich allein! Gin schreckliches Wort allein! O

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Wer erzahlt nicht gern, was er gesehen und gehort hat und was geschehen ist? Wie viel hort, sieht man und lasst geschehen, bloss um es erzahlen zu konnen? Und wer hat nicht wenigstens etwas (

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Decanus der philosophischen Facultat fur gut zu fragen, als wollten Sie zugleich andeuten, dass das Examen darnach eingerichtet werden wurde. Man hat uberhaupt die Gewohnheit, Fremde entweder ganz und gar nicht, oder hochstens nur sehr wenig zu examiniren.

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die man weiss, von denen man uberzeugt ist, spricht man nur wenig. Man handelt wie oben gezeigt worden. Dingen aber, von denen man nicht uberzeugt ist, legt man durch eine gewisse Hitze einen Grund bei. Man legt es recht dazu an, sich dadurch, dass

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Art zu denken. Sie zeigt den Lehrer unangekleidet. Beim Horen denkt man immer mehr als beim Lesen. Horen ist auch naturlicher als Lesen. Zwar konnen auch Bucher erbauen, allein es ist hier das namlich Verhaltniss wie

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Seele; allein eins, was nicht ersetzt werden kann, das Bewusstseyn, fehlt, und wahrlich, es fehlt wenig, und es fehlt viel! Mein Reisegefahrte wollte wegen der Hunde einwenden, indessen konnt' er nichts mehr als husten.

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hatt' indessen nicht viel ubrig) den beiden von unserem Vorganger beschriebenen Madchen schenkte, mit denen er, wie er zu sagen pflegte, so ziemlich bekannt ware. Sie sind, sagt' er,

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auf der schlimmen Seite und lebendig todt, ja wohl! lebendig todt!Ich will mir, sagte Hermann, einen ruhigen, guten Tag machen; eigentlich wollte er sich diesen ruhigen, guten Tag fur

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und bei weitem nicht zum B zu bringen, vielmehr schien sie zuweilen gar das A zuruckgehen zu wollen, wenigstens ward aus dem grossen A ein so kleines, dass man es beinahe dafur nicht ansehen konnte.

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vierzehn Tage zuvor bestellt werden musste. Mine sang und spielte, weil sie singen und spielen musste. Es war indessen keine Dedication an die hohen Anwesenden. Wenn diese Damen Gefuhl gehabt, hatten sie wohl den Vogel im Bauer gehort. Indessen hatten die hohen Gaste weder so seine

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Krankheit ist alsdann der plotzliche Tod, und sobald diese Sterbenskrankheit eingetreten, sagt, leben wir wohl noch? Wir hoffen doch? Wir zweifeln, willst du sagen, und das ist wahrlich kein so glucklicher Zustand!

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unanstandigen Verkehr getrieben. Comparent steht an, diesen jungen Menschen zu nennen, obgleich die Sache an sich jedermann, Jung und Alt bekannt seyn soll. Die Steine wurden schreien, fugte er hinzu, wenn nicht jedermann, Jung

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vor und hernach, blicken lassen? erwiederte sie: ja, es hatte einige Tage vorher sich jemand blicken lassen. Nachdem aber diesem Umstande genauer nachgespurt wird, so kommt endlich heraus, dass

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Vater, einst dort wieder zu finden und meiner Mutter diese feste Hoffnung zu geben. Es wird ihr, das weiss ich, eine grosse Freude seyn. Leben Sie wohl, leben Sie wohl! ewig wohl!Der

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dass er leben konnte. Mehr, sagte er, bedarf ich nicht. Er hatte zwei Sohne, welche der konigliche Rath als die seinigen in Konigsberg erzog. Gretchens Bruder gingen in eine der besten Schulen, sie sollten beide Geistliche werden.

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auch in unserm Dorfchen gesehen, du sollst Muttersternchen heissen. Es war das erste, was ich wieder aus unserm Dorfe sah. Ewig sollst du, ewig Mutterchen heissen, solange ich sehen kann, soll es Mutterchen heissen diess Sternchen, eine Spanne lang vom Monde.

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du nicht aufhoren kannst, dass du nicht aufgehort hast. Es stirbt nicht jeder auf gleiche Weise, es lebt nicht jeder auf gleiche Art. Stiller Mond, diess grosse Grab empfehle ich dir; du siehst viel, was die Sonne nicht sieht, du bist ein Sonntagskind und kannst Gesichter sehen, die sonst niemand zu sehen versteht. Du siehst fromme Geister,

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dich ein wenig ansehen, schones Jungferchen, nicht lange. Ich weiss, du lebst nur kurz, armes Vogelchen, kunftigen Sommer bist du nicht mehr, und ich bin schon sieben Sommer alt.

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euch nicht lange mehr im Wege seyn. Alle Jahre finde ich weniger Aehren, und immer habe ich denn auch weniger nothig. Je alter, desto weniger Hunger, je weniger Zahne, desto weniger Magen. Diess Jahr nur wenige Hande voll Aehren; so wenig hab' ich noch kein Jahr gehabt. Ich glaube, ich habe diess Jahr zum

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(unter uns gesagt) schier den Anfang genommen, so werd' ich wohl am Ende gar nichts drum geben konnen.Und doch mocht' ich was drum geben, wenn ich fein der Erste gewesen, welcher das menschliche Leben mit

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aber man sieht doch daraus, dass der liebe Gott selbst an Essen und Trinken denkt und wohl weiss, dass uns der Mund alsdann eher nach dem Himmel wassern werde, als wenn er gesagt hatte, wir sollten mit Abraham,

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, das konnt ihr nicht glauben, liebe Nachbaren; indessen ist auch Waare dafur, und wenn Gott uns leben lasst, wird er kunftige Pfingsten seine erste Predigt auf unserer Kanzel thun, wozu ich Jung und Alt hiermit zum voraus dienstlich eingeladen

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. Dieser vierte schien es eben so gut zu meinen, wie die drei andern; allein wer den Menschen kennt, wird es finden, was fur eine grausame Beschamung es fur unsern Weinenden gewesen ware, wenn

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Der vierte riss wirklich endlich die Schurze herab wie konnte der Traurige lange widerstehen? Schmerz macht schwach. Unser Weinender machte indessen die Augen ganz dicht zu, und da stand er jammerlich. Der erste nahm dem vierten die Schurze

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Menschen tragen lassen und lasst, und dass auch hierbei, nach Bewandtniss der Leiche, bald viel, bald wenig Trager genommen werden, obgleich diess mit zur letzten Ehre gereicht, von der oben gehandelt worden. Leitet

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die Fenster sehen konnen. Fast wollt' ich sagen, ein heftig lustiger sey eben so gefahrlich unwillig im Sinn, wie man gefahrlich Kranke hat, die sehr gesund aussehen.Diagoras freute sich uber seine drei Sohne, weil sie alle drei den Preis der Akademie der Wissenschaften erhalten, fing

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zwar in naturalibus; indessen hatt' er doch eher als Fechtmeister als wie ein andrer Meister die Zunft gewinnen konnen. Er war indessen wegen einer naturlichen Herzlosigkeit auf diese edle Kunst gar nicht fundirt. Der Teufel, glaubt' er, konnte sein Spiel

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nicht nur bloss so fromm und gut seyn, als wir jetzt uns gerade halten? Die Christen wissen es gewiss, wie sie sagen, dass sie bleiben werden; allein leben sie wohl so, als wussten sie mehr davon als wir?

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durch so unzahlige mittlere Zwecke hindurch zu einem einzigen, letzten, grossen Endzweck arbeiten, das heisst, die hochste nur mogliche Wohlfahrt des ganzen menschlichen Geschlechts befordern. Vorwarts

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Diessmal glaubte ich schon, mich zu irren. Ich irrte mich wirklich; die Eltern sagten endlich ja zur Heirath und alles sagte ja. Das Madchen erholte sich zusehends. Verlobungen kommen unser einem selten zu Ohren. Die Leute halten mich fur

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, so lange, bis die Thranen ihm nicht mehr erlaubten, in den Mond und aufs Grab zu sehen. Ich glaube nicht, dass er mich bemerkt hat; allein ich habe ihn weinen sehen, weinen, und das beim Mondenschein. O! wie schon die Thranen da aussehen! Er war mir von jeher schatzbar;

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der dem guten Prediger gegebenen Verheissung, seinem Bruder hievon einen Strahl leuchten zu lassen. Ich indessen stellte auf meine eigene Hand diess Werk und den koniglichen Rath zusammen und uberzeugte mich je langer je mehr, dass

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nichts zu bedeuten. Dieser Nachtag, diess Agio von Hochzeitfest hatt' drei Umstande, die ich ausserdem, dass dreimal mehr Essen und dreimal weniger Vergnugen herrschte, der Bemerkung werth halte. Die erste Denkwurdigkeit.

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Saft hat wenig oder nichts dabei gethan, der, wenn gleich er seinem Vater selig eben nicht in Wunderkuren durch Heirathen gleich kommt, jedoch in der Apotheke zu Hause gehort und seine Kunst versieht trotz einem. Du weisst wie gottergeben ich damals war.

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es dir aufs Wort, dir, dem einzigen, dem ich aufs Wort glaube und als Sohn zu glauben von Gott und der Natur angewiesen bin, wofur ich dem lieben Gott Dank sage fur und fur. Da, dunkt mich, hab' ich die ganze Pflicht des Sohnes zum Vater gesagt. Christus verlangt selbst nichts mehr, da

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sind zu mehr bereit. Junker Gotthard wird sehen, wie es fallt.Der Konig schreibt, trotz allen Worterbuchern, Federic, obgleich Friederich Frederic heisst.Ich habe schon bemerkt, dass er sich nur angekleidet sehen lasst. Ein

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; sonst wurd' auch die edle Zeit verloren gehen, die oft die besten Kopfe aufs Lehren verwenden. Es ist indessen wahrlich weit schwerer zu lehren, als zu lernen. Der

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die Zahl neun! Sie ist neun, pflegt er zu sagen und bleibt neun. Zweimal neun ist achtzehn, acht und eins ist neun; dreimal neun ist siebenundzwanzig, sieben und zwei ist neun; viermal neun ist sechsunddreissig; sechs und drei ist neun. Es

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! Und je mehr ich mich fassen will, je arger ist es. So geht's mit den Leidenschaften, sagte dein Vater, je mehr man druckt, je elastischer sind sie!

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Zahl, darauf gefolgt. Mein Vater sagte ihr, von den vier Theilen Europens, von den vier Weltgegenden, von den vier Jahreszeiten, von den vier Altern des Menschen, von den vier Temperamenten und vier Elementen, lasst sich leichter reden, als von den vier letzten Dingen; allein meine Mutter

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Nichts konnte es ihr naher legen; wer steht, mag wohl zusehen, dass er nicht falle, als ein Hahn.Sie konnte keine Uhr schlagen horen, ohne

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und Hitze abhangen, ist auch schon verfalscht, wenn man's genau nimmt. Wasser also ist allein aus dem Paradiese ubrig geblieben; Wasser ist das einzige unter allem Flussigen was reinigt, setzte er hinzu.Die vier Elemente,

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im Plurali indessen gilt eben das, was im Singulari gilt. Der Staat ist der vollkommenste, der die meisten Menschen hat, die wie Einer scheinen. Je volkreicher ein Land ist, je mehr scheint es sich dieser Probe eines wohleingerichteten Staates zu

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Endlicher hiess wissen, diess fassen? Und wurd' es ihm nutzlich und selig seyn, zu wissen und zu fassen, wenn er es wissen und fassen konnte? Wir sehen diess so leicht an, und es scheint wirklich so; allein alles, was recht schwer ist, sieht leicht aus.Warum aber so weit hinaus? Gott weiss, ob der Mensch langer als zehntausend Jahr in

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und da kommt's freilich viel darauf an, ob ich selbst gesehen, selbst gehort oder mir von andern erzahlen lassen, was diese andere gesehen und was sie gehort. Der hat ein Auge furs Vergangene, der furs Gegenwartige. Man sagt, einige

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diesem Gerede denken? Ob Roschen oder Knospchen? sagt der Katholik; allein grosser Unterschied! Ist's denn gleich, fein zuchtig sich gehalten, oder Scham und Schande verloren und sich weit und breit jedem darstellen, der's begaffen und beriechen will?

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und Tuch aufs Gewiss gegeben; Ein Hannchen aber ist mehr werth als zehn andachtige Jungfern. Werde schwerlich Hannchen zum ehelichen Gemahl nehmen.Von Wahrzeichen weiss Ew. Wohlehrwurden wenig oder nichts zu sagen, ausser die schone Aufschrift an

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meine Mutter nie ganz vergeben konnte. Dass ich Worten, denen respective grosse und kleine Buchstaben gebuhren, diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, und dieses Briefbuch mehr leserlich von dieser Seite gemacht, sey fur die Buchstabenhelden gesagt.Konigsberg,

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die Traufe gekommen ware. Einen gastfreien Ausdruck nahm sich Gottfried nicht ubel, und kam immer mit heiler Haut davon, wenn gleich er zu weit ging. Seine Rechtschaffenheit blickte uberall durch. Jeder nahm Partei, sobald er ihm

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als wenn beim Rasiren ein Einschnitt sich etwa zugetragen. Sie wussten nicht, sagte der konigliche Rath, dass sie beide in einer Woche in die Zeitung kommen wurden! Ich konnte den kleinsten von diesen Zugen nicht ohne ganz besondere Aufmerksamkeit horen. Alles

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Ausdruck nicht weit eher von der Vernunft brauchen, wenn sie gleich ubrigens recht sein aussieht, und sich so rein gewaschen, wie moglich?Bei der rechtlichen Abstellung der beiden Principien kann man freilich dem Ausspruch der Vernunft nichts entgegen stellen; indessen haben wir

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so sichtbarlich entgegen, dass ich mich nicht entbrechen konnte, zu sagen: Man konnte aus dem Untergange der heutigen Sonne sehen, was fur ein schoner Tag uns morgen erwarte! Seine Kleidung ganz frohlich und guter Dinge.

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Ich hatte freilich mein Auskommen; allein Junker v. K. war reich.Das korinthische Madchen, Tine, ware nun wohl bereit gewesen mit ihrem Liebling zu ziehen, wie und wo er's verlangt; allein wer wollte das

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dass man durchaus etwas auf dem Teller liegen lassen musse. Bin ich beim Vornehmern, wie ich, sagt er, lasse ich das beste zuruck, um zu zeigen, dass auch das schlechteste fur mich das beste ist!

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Minens Bild hangen!Einige meiner Leserinnen werden ganz unfehlbar die Anmerkung in ihrem guten Herzen haben aufkeimen lassen, wie ich uber der zweiten Ehe die erste so bald und so tief vergessen konnen? Freilich dachte weder Tine noch

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haereditatis ubersteigen heissen, wenn sich irgend ein Mensch einbilden wollte etwas zu schreiben, wovon er behaupten konnte, es ware so ganz da, wie er! Ein andres Schopfer, ein andres Geschopfe! Niemand kann sagen: er

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Mensch, je weniger theilnehmend, je weniger gesellig ist er. Je mehr Cultur, je kleiner der Wirkungskreis! Es scheint, ein vernunftiger Mensch bilde sich ein, er sey so stark an Leibeskraften,

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hatten ein besonderes Feuer. Die Lerche singt im Fluge, so auch achte Dichter. Der Philosoph steht. Oft, wenn er spazieren ging, blieb er stehen, die linke Hand auf seinen grossen weissen Stock gelegt, und mit der rechten sich aufgestutzt.Da sehen die meisten Leute diese

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er da steht, sich verbreitet und sich einbildet, deinen ganzen Garten befassen zu konnen! Lass ihn gross thun, diesen Baum aus so gutem Hause, lass ihn gross thun! Es kostet ihm am meisten. Das Gras braucht Schatten und

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nicht zu laugnen, dass Woldemar Eindrucke auf mich gemacht hatte, wovon ich damahls glaubte, dass Leidenschaft sie leicht zu Leidenschaft wurde beleben konnen. Woldemar kannte sein Herz besser; und ich habe seitdem auch das meinige kennen gelernt.

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:Il se fait parmi les hommes plusieurs fortes deraisonnemens bons & mauvais;Ne les admire point legerement, & ne les rejettepas non plus.Il y a une espece de fureur qui vient du

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so concreepas en l'ame ou dedans nous, ains est une inspiration estrangere, qui vient de dehors, un devoyement de la raison du sens & de l'entendementnaturel, prenant son origine & le principe de sonmouvement de quelque puissance divine, laquelle passion en general s'appelle enthusiasme,comme qui diroit inspiration divine: car ainsicomme se nomme repletion d'esprit, &, qui est a dire prudence & repletion desens: aussi telle agitation de l'ame se nomme, qui n'est autre chose qu' une repletion de quelque puissance divine.Oeuvres morales de Plutarque, traduites par Amiot.

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Ach, lieber Vater! rief Henriette, ich weiss schon was Sie von mir verlangen; ich bitte, horen Sie mich, glauben Sie mir! Woldemar hat nie Anspruche auf mich gemacht; und eben so wenig habe ich den entferntesten Gedanken je die seinige zu werden. Sie mussen sich erinnern, dass ich Ihnen das schon mehrmahls bekraftiget habe;

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den mehresten dacht' ich deswegen nicht schlechter; zuweilen, im Gegentheil, nur desto besser; aber ich glaubte zu sehen, dass uberhaupt die Menschen im Grunde keinen rechten Sinn fur einander haben. Ich wurde duldsam und stille ..

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, dass eben dieses Mangels wegen das weibliche Gefuhl weit reiner, scharfer, vollkommener sey als das mannliche; die wahren Eigenschaften der Dinge, ihren innerlichen und verhaltnissmassigen Werth zuverlassiger unterscheide; dass endlich, und eben dieses Mangels wegen, in einer weiblichen Seele jede schone Bewegung leichter hervorkomme, ungehinderter und dauerhafter wurke."Da alle wichtige Geschafte des

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und so konnten die guten Leute bis dahin andre Sachen sich angelegen seyn lassen. Sie geriethen ausser sich vor Besturzung, die guten Leute, da sie itzt so ganz unversehens mit der Nachricht uberrascht wurden: Allwina sey nicht erst die Braut sie sey wurklich seit sechs Monathen schon mit Woldemar vermahlt. Das konnte unmoglich mit rechten Dingen zugegangen seyn! Es musste etwas dahinter stecken: und

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den Beyfall edler Seelen erwerben, und auch diejenigen Widriggesinnten wieder gunstig machen. Ich habe in sehr vielen Gelegenheiten meine Miteinwohner gerechte und schone Handlungen ausuben gesehen, warum sollten sie gegen einen Mann unbillig seyn,

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et Frauenzimmer fesseln, und sie dann einander opfern sollten. Er wollte dadurch ihrem Bundniss mehr Reize geben, und das unausbleibliche Ermudende verhindern, welches aus dem immer gleichen Gang ihrer Liebe entstehen wurde.Henriette hatte anders gerechnet. Sie

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Beytrag des gemeinen Besten zu erfullen hatte, mochte es wahr seyn. Sie ware auch gelehrt worden, dass es schwer sey, ein mannliches Herz ganz zu fesseln, deswegen hatte sie gesucht, Kenntnisse und Empfindungen in einem gewissen Grade von Vollkommenheit zu besitzen, um

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Schmerz still stand. Ein grosser, edel gebildeter, junger Mann, von neun und zwanzig Jahren, etwas hager und bloss, aber schone und grosse Augen, die ich eben bemerkte,

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, auf deren Seele er die seinige stutzte; sie hatte ihn uber acht Tage lang gehen lassen, ihn aber genau beobachtet; dann ware sie Abends in sein Cabinet gekommen, und hatte ihm mir einer zartlichen Heiterkeit gesagt: "Mein lieber T**. Sie haben mir schon einigemal versichert, dass Sie mir eine Genugthuung schuldig sind, wegen des vielen Jammers,

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Lady Emma immer mehr bereicherte, besonders da sie vereinigt eine Reise nach Italien und Sicilien machten, damit Lady Emma das gluckliche Stuck Erdreich mit eigenen Augen sahe, auf welchem der grosse Genius der Alten, mit so vieler Muhe, die ehrwurdigen Ueberreste seiner schonsten Werke aufbewahrt.

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Eigenschaft der edelsten und starksten Fuhlbarkeit des Herzens dazu setzen konnte, welche so deutlich in der schonen Melancholie seiner Gedichte erscheint, und in seinem Privatleben herrscht!Dieser ganz unvollkommne Umriss eines moralisch grossen Mannes, ist der Anfang von charakteristischen Beschreibungen,

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und die grosse, volkreiche Stadt sehen konnte, in welcher gewiss eine eben so grosse Summe moralischen Guten liegt, als mein Auge in dem weiten Gesichtskreise umher physikalische Wohlthaten sah. In der grossen Gesellschaft,

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"Sie wissen aber, dass dieses Instrument aus lauter Glasstucken besteht; und dass, wenn eines davon bricht, ein ganzer Ton fehlt.""Und sehen Sie, liebe kritische Baase, ich will lieber einen Ton fehlen lassen, als

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ist Nachts zwolf Uhr! und der Schlaf noch weit von mir entfernt, weil wir nach unserm Abendessen auf eine Unterredung kamen, deren Gegenstand ich schon oft betrachtet, aber nicht unter dem furchterlichen Bilde gesehen hatte, wie er durch Jemand unserer kleinen Gesellschaft gemahlt

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in Erstaunen setzte. Der Mann merkte es und sagte: "Sie wundern sich, dass alles so schon und gut ist, weil sie mich immer als einen armen Mann gesehen haben. Aber die fremde Frau hat schon etliche Haushaltungen so eingerichtet. Sie ist selbst herumgegangen, hat

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Wie ungerecht ist dieses! und dennoch geschieht es immer, bald bey wichtigen, bald bey geringen Gelegenheiten, und versagt also auch immer nach diesem Verhaltniss grosse oder kleine Unannehmlichkeiten.

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das Gut nennen, wird bald da stehn. Es arbeiten sechzig Mann. Der schatzbare Beamte hat unvergleichliche Anstalten gemacht. Wir haben vier eigne Pferde und auch schon vier Kuhe, denen wir auch

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sind, stehen Banke; da sitzen meist die jungen Frauenzimmer und arbeiten, weil sie zugleich die Aussicht des Gartens geniessen, der aus lauter Alleen und Grasplatzen besteht, in denen der Besitzer einen seltnen Gedanken zeigt, nehmlich alle Arten von Blumen zerstreut hinein zu pflanzen und hingegen gewohnliche Wiesenblumen,

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gesunder Vernunft reden zu horen und ich freue mich, einer anscheinenden Thorheit das Vergnugen zu danken, viele schatzbare Menschen mehr zu kennen und ihnen einen kleinen unschuldigen Spass in dem Weg gelegt zu haben.

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sich selbst kennen lernen mochten. Ich bin gar nicht daruber erstaunt und noch weniger bose. Mein ganzes Wesen und Thun hat eine so eigne Farbe, dass man naturlicher Weise auf die Mischung begierig ist, aus denen sie besteht.

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bluhenden Baume genossen hatte. Und gewiss, dass erste starke Gefuhl des Vergnugens bleibt und zieht uns immer zu diesen Gegenstand. Ach! mochte doch jede erste Freude eines gefuhlvollen Herzens aus unschuldigen Gegenstanden fliessen,

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, ihr konnt dem gemeinen Wesen mehr nutzen, als ihr glaubt, und ich bin sicher, dass die ganze Gemeinde was auf euch halt! Herr! das ist wahr und ich darf auch zwey eigene Kuh halten, Wind

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alle des eigenen Sonderbaren willen so werth, so vorzuglich wurde, dem ich tausend Liebhaber aufgeopfert hatte, den ich edler als andre Manner glaubte, nicht vermuthete, dass jemals eine grosse oder kleine Coquette etwas fur ihn seyn konnte, ist selbst Coquet. Ich finde kein Wort im Teutschen um diess so eigentlich auszudrucken was man unter Coquet versteht, und so lassen sie es

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mir nicht moglich lange anzusehen: ich bat also beide, mit mir in die kleine Laube von Essigtrauben zu gehen, die ich sehr liebe, und deren Blatter nun auch schon die rothliche Farbe annehmen, die ich so gern sehe. Sie

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: wie weit wohl Zierlichkeit und feiner Geschmack unter dem Volk verbreitet werden sollte, und welches das sicherste Mittel dazu seyn mochte? Man fand dazu doch nichts bessers, als offentliche Schulanstalten, in denen immer den Kindern

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uber die ganze Welt, die er kannte, hervor. Da nun tief in seiner Seele ein gewisses Gefuhl lag, das ihn anspornte mehr zu thun als andre konnen, und mehr zu seyn als andre sind, ein Gefuhl das weder durch Treffen

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Burschenlieder zu bilden. Und wenn das alles nicht tiefe Wurzel geschlagen, oder schlimme Folgen hervorgebracht hatte, so ist es bloss der damaligen zarten Jugend des Junkers beyzumessen, die unstreitig zu des Mentors Zeiten ausserordentlich zart gewesen seyn

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der Edelmann horen mogte, so wenig war er selbst furs viele Reden, und wenn er ja den Mund offnete, so pflegte ihm doch das Ding eigen zu seyn, das man gemeiniglich Imperatoria Brevitas zu nennen pflegt. Wie er demnach dazu kam,

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helfen; vielmehr liess er sichs angelegen seyn, den guten Junker in dieser Lage zu erhalten. Gnadiger Herr, sagte er, mit meiner geringen Wenigkeit stehe ich zwar immer zu hohen Befehlen. Aber eine Avise muss billig gedruckt seyn; daher mussten Eu'r

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so was verdient schon ein oder ein Paar eigene Kapitel, welche aber diejenigen die mehr Vernunft als Genie haben, ihrentwegen, diejenigen aber, die das Genie bald auf Alpen, bald in Mistlachen und Pferdeschwemmen zu fuhren pflegt, meinetwegen ungelesen lassen konnen. Ehe

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Stunde an offentlich ruhmte: es sey eben so viel als wenn er die ganze Buchdruckerkunst selbst erfunden hatte, weil er drucken konne, ohne von einer Christenseele Anweisung gehabt zu haben. Sollte dieser einzige Zug nicht fast hinreichen, das ganze Genie des changeanten Mannes zu schildern?Nun noch wenige Worte von

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Du nun gerade bist, als ein alter Bekannter treuherzig die Hand bieten kann.Zwar, warest Du und das kann sich gar wohl zutragen, da ich diesen meinen neuen ersten Theil so gut als den alten, und auf eben den Fuss, dem guten biedern Nicolai und der hohen Ottomanischen Pforte hiermit, respektive

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. Liberius si Dixero quid, si forte iocosius, hoc mihi iuris Cum venia dabis, etc.Um Verzeihung, lieber Sultan, wegen dieser langen Citation.

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Laune wegscherzen konnen.Meinen Deutschen Lesern hab ich wenig oder nichts zu sagen. Sie haben mir grosstentheils die Ehre erzeigt, die erste Ausgabe meines Buches mit einigem Beyfall aufzunehmen. Ich bin kuhn genug, eben dieses fur gegenwartige fast dreifach starkere Ausgabe zu hoffen.So viel ich weiss, bin ich der erste, der es wagte, unserer jetzigen Nation einen originalen Deutschen komischen Roman vorzulegen.

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Tatigkeit, womit sie getan werden, zu einer ungewohnlichen Hohe steigen. Je hoher der Dichter dieses Wunderbare treibt, je mehr verliert er an der Wahrscheinlichkeit bei denjenigen Lesern, die das nur wahrscheinlich finden, was

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Bander zu zahlen, und wer die meisten hatte, bekam das wenigste Geld: ein einziger Knabe, der nur eins in den Wagen geworfen und auch nur eins zuruckgefodert hatte, erhielt den hochsten Preis gerade so viel, als alle ubrige zusammen. Naturlich mussten die andern uber ihre getauschte Unverschamtheit unwillig werden,

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sich zu verraten, dass es blosse Schmeichelei sei? das kann ich nicht entscheiden: soviel bleibt gewiss, dass es bei vielen die letzte Ursache grosstenteils wirkte, wenn auch die erste nichts dabei tat; und

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seiner Einbildungskraft dabei hindern, einen Busen so wenig in Verbindung mit der Liebe zu setzen als einen Finger. Einen schonen Busen soll er schon finden wie ein schones Gesicht, eine schone Hand: so wenig ich verhuten kann, dass ein schones Gesicht gewisse Empfindungen bei ihm veranlasst, so wenig kann ich'

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Geduld, allein die Furcht vor einer Entdeckung der geheimen Ursache, warum sie die Baronesse allein gelassen hatte, machte sie wutend, besonders da Schwinger einigemal sich erkundigte, warum sie ohne die Baronesse spazierengegangen sei. "Sie denken wohl gar",

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Er merkte wohl, dass er unrecht sei, allein seine Schwache uberwaltigte ihn so stark, dass er unmoglich der Versuchung widerstehn konnte, der Einladung eines schonen, kattunen Vorhangbettes zu folgen: entweder glaubte er in seinem Schwindel, wirklich schon zu Hause

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selbst zu gleicher Zeit spricht, so muss sie zuerst genennt werden, oder sie macht ein Gesicht wie eine wilde Katze. Zur Tur hinein oder heraus muss sie allemal vorangehn, oder es lauft ubel ab. Auch muss man soviel moglich sich huten,

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und wie hoch man's bringen konnte, wenn man recht jung anfinge, wie leicht es in seinem Alter sei unterzukommen, wenn man vorliebnahme und eine Zeitlang sich gehorsam in andre Leute schickte und fugte, um durch sie weiter befordert zu werden.

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rechter, guter Christ."Herrmann konnte sich vor Vergnugen nicht fassen und flog schon auf den goldnen Fittichen der Ehre Ulrikens Umarmung entgegen, sah sich an ihrer Seite geehrt, bluhend, glucklich und fahig, andre glucklich zu machen:

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meinen Kopf daruber verlieren, Du sollst nicht hinein. Halte Dich zu allem gefasst und lebe wohl. Das Blatt wurde zwar am bestimmten Termine eingehandigt, aber erst viele Tage darauf erschien die

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denn das tun konnen?Wilibald. Weil er nichts davon wusste! Aber sie verrieten sich gleich, sagt er: 'Ob sie sich wohl anfangs vor mir nicht wenig scheuten, so konnten sie sich doch vor meinen scharfsichtigen Augen nicht lange verbergen. Sie hatten alle grosse, schwarze

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ihrer Unternehmung sei und dass er schlechterdings Dresden heimlich verlassen musse, weil man ihn sowenig entbehren konnte und deswegen durch alle Mittel, vielleicht gar durch Gewalt, zuruckhalten wurde. Was sollte Herrmann tun? Er war schon von seiner kunftigen Grosse beinahe blind und

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ob ihn gleich sein Gefahrte wegen des irdischen, weltlichen Klanges verwarf.Die Luft war ausserordentlich rauh, kalt und scharf, die beiden Abenteurer apostelmassig nur mit einfacher, leichter Kleidung versorgt: doch der doppelte Rausch des Korpers und der Seele wirkte so heftig,

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nicht volligen vier Talern noch eine Familie auf ein ganzes Jahr und vielleicht auf immer glucklich machen konnte, wie wohl ihm da um das Herz ward! Es schlug zum ersten Male wieder lebhaft, es deuchte ihn,

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! Je mehr ihm dieser Abstand einleuchtete, je mehr fuhlte er freilich, dass es Notwendigkeit und Klugheit sei, dieser Liebe zu widerstehen, je mehr schien es ihm toricht und gefahrlich, sie wieder aufwachen zu lassen. Zudem wusste ja Graf und Grafin Ulrikens Aufenthalt, wollten sie auffangen lassen, und vielleicht war sie schon langst wieder

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"bose mussen Sie nicht werden: das konnte Ihnen gar leicht Schaden tun. Haben Sie denn etwa, da Sie von Dresden kommen aber Sie mussen meine Vorwitzigkeit ja nicht ubel deuten , haben Sie denn etwa so etwas

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so wirblicht davon, dass ich taumle: ich glaube, ich phantasiere gar zuweilen. Die Leute sagen immer, dass die Liebe ernsthaft macht: Lugen! lauter Lugen! Mich macht sie so lustig, dass ich oft fur mich ganz allein lachen muss;

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ein Cato dagegen. Sie sagte mir so eine grosse Menge Sottisen beim ersten Anblicke ins Gesicht, so viele Abgeschmacktheiten, dass meine Backen gar nicht aufhoren konnten zu erroten. Ich hasste sie anfangs deswegen,

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, comme les grands Seigneurs de campagne: dans le commencement je marche sur les filles un peu horriblement: mais si ils se donnent, je suis douce comme de la marmelade.

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ich ein grosses Schrecken und eine grosse Lust gehabt. Der Phantast, Monsieur de Piquepoint, den Du vermutlich nunmehr auch kennen wirst, trat ausserordentlich geputzt zu mir herein, machte eine unendliche Menge seiner zierlichen Verbeugungen und warf sich gerade vor mir

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eine Franzosin geschrieben habe. "C'est un seigneur", setzte er hinzu, "qui crache des ver francois, tant il est francois, tout francois: c'est un Monsieur de qualite, comme il faut; il parle allemand

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, der drei Tage gefastet hat. Ans Arbeiten darf ich gar nicht denken; denn mir ekelt, wenn ich nur eine weibliche Arbeit liegen sehe. Schreiben? das tu ich ja wohl, aber

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. Warum sollt ich's denn nicht wissen?Vignali. Weil Sie nicht verliebt sein wollen und es doch schon sind.Herrmann. Ich? verliebt? Furwahr, das kommt mir itzt nach einer so widrigen Erfahrung am wenigsten ein. Wenn Ulrike so gewiss tugendhaft ware, als ich nicht verliebt binVignali.

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denn nicht deutlich gesagt, dass ich dich liebe? Aber ich weiss schon, ich bin nicht die erste, die du hast verschmachten lassen.Herrmann. Desto besser! So konnen Sie sich um soviel leichter beruhigen.Lairesse. Desto schlimmer! willst du sagen.

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wenn Du schon zuverlassige, nicht bloss eingebildete Aussichten dazu hast, will ich kein Wort mehr verlieren: hast Du diese nicht und Du willst bessere bei mir erwarten, wohl! so eile und sei meiner Liebe

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. Ich weiss ihre ganze Geschichte aus ihrem eignen Munde: sie macht vor mir gar kein Geheimnis daraus. Wird sich die Baronesse bald offentlich dafur erklaren? Man muss doch alsdann auf eine andre Gouvernante fur Ihr Fraulein denken.

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Nahe eine sonderbare Rolle: keins sah das andre an, und die ersten zwo Mahlzeiten, die sie zusammen tun mussten, brachten sie beide ganz stumm hin; bei der dritten wurden schon verstohlne Blicke heruber und hinuber geworfen, wobei man aber

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sosehr es beide anfangs vermieden: aus einzelnen Worten, mit gesenkten Augen gesprochen, wurden allmahlich Reden, und nach sechs oder sieben Mahlzeiten war das Gesprach schon wieder leidlich in Gang gebracht; allein beide sprachen mit essigsaurem Ernste zueinander, der desto drollichter gegen die Freundlichkeiten abstach, womit ein jedes

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, so wahr ich lebe! keinen Menschen gefunden, der so gut dafur ware wie Sie: Sie sind gut gewachsen, und Ihr Gluck ist gemacht, dafur lassen Sie mich sorgen! Ich pariere hundert Dukaten,

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diesen zu lassen, wenn sie einen guten Preis machten. Arnold setzte mit verstellter Begierde vierhundert Taler darauf: der Rosstauscher glaubte die Leidenschaft der beiden Leute besser nutzen zu mussen und schuttelte

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ihm das grosste Geschenk machte. Er bezahlte, was wir unsrer bisherigen Wirtin schuldig waren, die auch nicht wenig an mir getrieben hatte, seinen Vorschlag anzunehmen, weil ich, wie sie sagte, vielleicht mit Ehren noch unter die Haube kommen konnte, wenn

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, den kleinen grossen Herrn zu spielen, unendlich wohl tat, wollte es gern in seinem ganzen Umfange geniessen und den Grafen Ohlau im kleinen vorstellen: er ahmte deswegen viele von seinen

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erbietet: fodert er Ihnen nicht freiwillig die Rechnung ab, so erinnern Sie ihn auch nicht von fern daran; und fragt er bloss, wer die Reisekosten bezahlen wird, so nennen Sie die Grafin. Der guten Dame wurde die Erstattung freilich schwer sein,

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me chicanez pas; ce n'est pas le nom de mon mari. Allons, finissons la lettre. Adieu, meine liebe Herr Ermann. Madame Vignali, si Vous la connoissez, Vous donne sa benediction.Heut abend um acht Uhr schick

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in seiner ersten Jugend vorlegte, ihn eine weitere Sphare kennengelehrt, wo man Wirkung ausser sich verbreitet, wo fur den Vorteil andrer durch unsre Tatigkeit etwas entsteht, wo nicht bloss zwei oder drei Menschen erkennen und empfinden, dass

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, nach guten, edlen, nutzlichen Handlungen: die Spiele seiner ersten Jahre mit den romischen und griechischen Gipfkopfen, wo er so viele politische Anordnungen und Staatsgeschafte besorgte, bestimmten gewissermassen die Art der guten und nutzlichen Handlungen,

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: ich stimme uberhaupt selten mit ihren Urteilen uberein, ob ich es gleich nicht merken lassen darf: was mir nur mittelmassig scheint, halt sie immer fur das schonste. Am hochsten steigt meine

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schweigen Sie davon! Ich werde mich gewiss als ein wahrer, guter Freund dafur bezeugen. Ihre Besoldung ist klein, und ich begreife nicht, wie Sie davon leben konnen: ich habe schon langst darauf gedacht, wie

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noch zu neu, als dass sein Herz schon Ihrer satt seyn konnte, wenn er wirkliche Liebe gefuhlt hat, und diess sein Betragen gegen Sie schien doch von Liebe zu zeugen. Doch vielleicht liegt schon der wiederkehrende

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, ich lebe vergnugt und bequem; warum sollte ich meine Ruhe durch eine grossere Anzahl von Bedienten storen? Die wenigen, die man halten muss, machen schon Sorge genug."So sammelt er ein grosses Vermogen zusammen, das nach seinem Tode bald genug zerstreut werden wird. Er konnte von seinem

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im Grunde kannst du diess alles finden, wenn du den Schluss meines vorigen Schreibens noch einmal aufmerksam durchlesen willst. Ich sage dir also heute nichts mehr, als das, wovon du gewiss schon lange uberzeugt bist:

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nichts als bloss gewohnliche Zartlichkeit geschenkt, so konnten deine angefuhrten Grunde dich vielleicht entschuldigen. Aber du weisst, dass sie mehr, dass sie ihre Unschuld dir aufgeopfert hat, und dafur bist du ihr Ersatz schuldig, und solltest billig in keine andre Verbindung treten, so lange dir J

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Er ist ganz gut gebildet, ist der einzige Erbe eines reichen Vermogens, hat nur gerade so viel Verstand, als er braucht, um dereinst den Befehlen seiner kunftigen Frau Gemahlinn, ohne weitere Untersuchung und Widerrede, Folge zu leisten, ist also ganz der Mann,

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Geschaften Zeit ubrig bleibt, so mag er sie lieber zu einsamen Spaziergangen anwenden, auf welchen wir nur von unserm kleinen Gustav begleitet werden. Alsdann gehen wir auf einem schonen Wege nach einem etwas entlegnen Dorfe,

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habe Ihnen schon gesagt, dass der Mensch in diesen ersten Jahren bloss Thier ist. Und wer tragt wohl jemals die jungen Thiere? Und doch sind sie verhaltnissmassig weit starker als unsre Kleinen.

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. Ich weiss nicht, wodurch ihr Verstandniss aufs neue mag wiederum erweckt worden seyn eigentlich haben sie wohl immer einen Briefwechsel mit einander gehabt genug, der

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, und schutteln den Kopf? Horen Sie, junger Mensch, Sie werden hoffentlich selbst so klug seyn, zu glauben, dass wir Sie, unsrer Sicherheit halber, nicht so konnen wiederum weggehen lassen, wie sie angekommen sind. Sie wissen unsre Geheimnisse, und das ware fur uns gefahrlich."

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sie fur gewiss hielt, schmeichelte ihrem romanhaft gebildeten Geiste sehr.Auch mir schienen seine Gefuhle den meinigen so ahnlich, dass ich bald in ihm den Gegenstand zu finden glaubte, nach welchem ich mich schon so lange gesehnt hatte. Ich glaubte in ihm das hochste Ideal der

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ihnen einmal gefallt, mit weit mehr Beharrlichkeit zu lieben, und es braucht keiner grossen Kunst, sie standhaft zu erhalten. Die heftige Liebe unsrer jungen Herren hingegen, die alle Augenblicke vor Zartlichkeit schmelzen wollen, stirbt eben so geschwind

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wollte ihn unerbrochen weglegen."Aber wer weiss, was er mir zu sagen hat?" sprach sie bald hernach. "Es ware hart und ungerecht, ihn gar nicht horen zu wollen. Er hat mich ja durch nichts

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das Liebeln gewohnt, sehnt sich bald nach einem neuen Gegenstande. Dieser findet sich leicht. Ist er seiner Aufwartung uberdrussig: so kommt ein andrer wieder, und so geht es immer fort. Das Hauswesen liegt ruhig.

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denn so ganz vergessen? Ach, lieber Herr, davon ware viel zu sagen. Es giebt so gewisse Leute, doch Sie wollen nichts horen. Aber sie meynte es gewiss recht gut mit Ihnen.

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nur auf zwei, zwei kurze Jahre sollt' ich Julchen nach Berlin lassen. Noch wollte ich nicht darauf horen; endlich kam es gar heraus, dass die gnadige Frau deshalb schon nach Berlin an eine sogenannte Erzieherinn geschrieben hatte.

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man nennt das ja wohl Wurde, lieber Vater? mit der ich immer predigen horte, gewohnt ist, so sonderbar vorkommen; denn es schien sonst Niemanden aufzufallen, es waren sogar einige geruhrt. Ich begreife gar nicht,

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das arme kleine Ding, nur in der beschrankten Sphare unsers sehr einfachen hauslichen Lebens gesehen. In unserm Herzen schlummern, so lange wir einsam leben, tausend Triebe und Neigungen, und erwachen vielleicht nie, wenn das Gerausch der grossen Welt oder

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Hand mit recht ungezwungener Art, und sagte mir auch viel Schones, wie gut ich es gemacht hatte. Da ward ich etwas dreister; und nachdem mir Mariane warmen Punsch zu trinken gegeben hatte, verlor sich meine Schuchternheit ganz, so dass ich es sogar wagte, mich in eine Quadrille einzulassen. Hier glaube ich, etwas von der Ursache bemerkt zu haben, weshalb mein lieber Vater oft sagte, er mochte mich lieber auf dem

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Kinder meine grosste Sorge, und mein Hausstand beinahe ununterbrochen glucklich gewesen; unsre stillen genugsamen Herzen hatten auch den bosen Tag fur gut genommen, weil der Herr beide werden lasst. Jetzt sollten wir auch

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, und sagte: "Ihrer Jugend kann man wohl den Irrwahn zu gute halten; ihr guter Kopf lasst mich hoffen, dass sie einst selbst denken, und etwas mehr als bloss empfinden wird. Ihr Kopf ist noch ganz unphilosophisch dunkel, und mit verworrnen Prinzipien angefullt."

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jede Stufe moralischer Verwilderung erreicht haben konnte. Bei einer erwachsenen und vollendeten Person wurde es indess mehr Ursache zum Erstaunen geben, als bei einer jungen empfanglichen Seele, deren Erwartungen besonders waren erregt worden, die in einer ihr unbekannten Zone vom

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ich mich ganz versetzte, ging mir tief zu Herzen. Dann sagt' ich: lieber, lieber Mann, glaubst Du, dass ich Dich mehr wie mein Leben, mehr wie mein irdisches Gluck liebe? Ich

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den Sinn errieth. Sonntags las er viele Predigten, wenn wir vorher, hochst misstonig und verstimmt, Lieder gesungen hatten, wobei jeder Vers neu intonirt werden musste, weil wir wenigstens um eine Quinte tiefer fielen, und uns zuletzt in den tiefsten Bass verloren. Die

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Wie sehr irren doch diejenigen, welche uber zu viele Aufklarung schreien, und immer besorgen, sie werde im grossen Haufen zu weit um sich greifen! So lange dieser noch so wenig von den ihn umgebenden Naturkraften kennt, kann

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ich denn arbeiten konne? meine Landsmanninnen hatten gewohnlich gar wenig aufzuweisen; ein wenig Stricken? ein wenig caquet? n' est ce pas? setzte sie in einer mehr boshaften als scherzenden Manier hinzu. Sie hatte leider! recht. Das

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Haus nun machte fur sich eine kleine Republik aus, worin gewiss eine ganz andre Verfassung als rund umher im ganzen Lande herrschte. Das ganze Hauswesen bis auf den geringsten Dienstboten bestand aus lauter solchen Personen, deren Bestreben nur dahin ging oder zu gehen schien, in

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Nun aber konnte er nicht begreifen, wie es moglich sei, dass andre Leute so geschwind lesen konnten, wie sie sprachen; er verzweifelte damals ganzlich an der Moglichkeit, es je so weit zu bringen.Um desto grosser war nun

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; die andre von einem bosen Buben, der sich im zwanzigsten Jahre seines Lebens bekehrte und bald darauf starb.Nun kam auch das andre kleine Buch an die Reihe, worin die Abhandlung gegen das Buchstabieren stand, und er zu seiner grossen Verwunderung las, dass es schadlich, ja seelenverderblich sei, die

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Pyrmont und besonders in dem von Fleischbeinschen Hause erhalten hatte, bald wieder ausgeloscht, und er befand sich aufs neue in seiner vorigen gehassigen Lage, wodurch seine Seele ebenfalls finster und menschenfeindlich gemacht wurde.Da Antons beide Stiefbruder bald abreiseten, um

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: er glaubte daher auch in der Schule immer mehr Gerechtigkeit als bei seinen Eltern zu finden.Er musste nun anfangen, den Donat auswendig zu lernen; allein freilich hatte er einen wunderbaren Akzent, der sich bald zeigte, da er gleich in der zweiten Stunde sein

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es wollte nie recht mit ihm fort.Er las darauf irgendwo, wie unnutz und schadlichdas Selbstbessern sei, und dass man sich bloss leidend verhalten und die gottliche Gnade in sich wurken lassen musse: er betete daher oft sehr aufrichtig: Herr,

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ein Kind gehalten sein und nur leichte und anstandige Arbeiten, als etwa Rechnungen schreiben, Bestellungen ausrichten und dergleichen ubernehmen, alsdann solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen, bis er konfirmiert ware und sich dann zu etwas entschliessen konnte.Dies klang in Antons Ohren ausserst angenehm, insbesondere der letzte Punkt von

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ihn nicht mehr beneidete; die andre, dass er wieder anfangen musste, mehr wie jemals die schwersten und niedrigsten Arbeiten zu verrichten, wobei er immer in der Werkstatt bleiben musste und nur selten zu Herrn Lobenstein in die Stube kommen durfte.

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Morgens noch immer glaubte, er traume, wenn er schon wirklich wachte, weil der Stift, woran er sonst immer des Morgens beim Erwachen die Ideen vom vorigen Tage sowohl als von seinem vorigen Leben anknupfte, und wodurch sie erst Zusammenhang und Wahrheit erhielten, nun gleichsam verruckt war;

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auf dem hohen Walle hatte hin und her gehen sehen.Dieser Ort musste es gerade sein, der ihn durch die plotzliche Erinnerung an tausend Kleinigkeiten gerade in den Zustand wieder zu versetzen schien, worin er sich unmittelbar vor dem Anfange seines hiesigen Lebens befand. Alles, was dazwischen lag, musste

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losen Speise begnugen, und wenigstens wurde doch seine Einbildungskraft dadurch beschaftigt, sein Verstand blieb gleichsam neutral dabei er glaubte es weder, noch zweifelte er daran; er stellte sich das alles bloss lebhaft vor.Indes ging jetzt Lobensteins

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und dergleichen unzahlige Demutigungen und Herabwurdigungen gab es mehr, denen Reiser durch den Genuss der Freitische ausgesetzt war, und denen gewiss ein jeder junger Mensch mehr oder weniger ausgesetzt ist,

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ihm nur irgend jemand erweisen wollte. An dem guten Willen aber pflegt es nie zu fehlen, wenn Leute einem jungen Menschen zum Studieren beforderlich sein zu konnen glauben dies erweckt einen ganz besondern Eifer jeder denkt sich dunkel, wenn

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Er konnte den Rat seiner Base unmoglich befolgen. Wenn sein Herz voll war, so suchte er schon Ausdrucke, wo er sie auch fand. Aber die Sprache der feinen Lebensart hatte er freilich nie reden gelernet. Was man insinuantes Wesen nennt, ware auch bei ihm die kriechendste Schmeichelei gewesen.

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doziert, worin z.B. die opera ad extra und die opera ad intra vorkamen, die vorzuglich eingepragt wurden. Unter den erstern wurden namlich die Werke verstanden, woran alle drei Personen in

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, er sei es so satt und uberdrussig, dass er lieber heute als morgen davon frei sein mochte. Reiser konnte sich das unmoglich einbilden. Er besuchte mit grossem Eifer die

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verlegen, albern und dumm betrug, und dies verlegene und alberne Betragen fuhlte er auch wieder selbst weit starker, als es vielleicht irgend jemand ausser ihm bemerken mochte; darum war er

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dem er damals noch nicht viel Selbstgefuhl entgegensetzen konnte, noch mehr niedergeschlagen.Weil nun der Rektor sicher zu glauben schien, dass aus Reisern doch nie etwas wurde, so brauchte er ihn indes, wozu er noch zu brauchen war, namlich zu allerlei kleinen Diensten,

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von den eigentlichen Arbeiten eines Bauernknechtes machte, die Reisern seine schonen Traume wohl hatten verderben konnen, wenn seine Phantasie nicht zu stark dagegen angewurkt und nur immer die angenehmen Bilder mit Gewalt nebeneinander gestellt hatte. Sonst kommt auch selbst in der Operette Klarissa schon eine Stelle

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Bauernsohn, namens M., zu diesen beiden, der ebenfalls in keinen bessern Umstanden war. Es fand sich also hier eine Stubengesellschaft von drei der armsten Menschen zusammen, die vielleicht nur je zwischen vier Wanden eingeschlossen waren.Mancher Tag ging hin, wo sie sich alle drei mit nichts

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Verachtung, wodurch er schon von seiner Kindheit aus der wirklichen in eine idealische Welt verdrangt worden war darauf zuruckzugehen hatte seine Denkkraft damals noch nicht Starke genug, darum machte er sich nun selbst unbilligere Vorwurfe, als ihm vielleicht irgendein anderer wurde gemacht haben in manchen Stunden verachtete er sich

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Gesichter bei denen Personen, zu denen er kam, und wer weiss was mehr, wodurch ihm die Ausfuhrung seiner guten Vorsatze nun merklich erleichtert wurde.Er nahm ubrigens zu allerlei Mitteln seine

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welche die menschliche Denkkraft keinen eignen Schwung nehmen kann und welche gleichsam nur ein kunstlicher Behelf ist, wodurch etwas dem eigentlichen reinen Denken, wozu wir dereinst vielleicht gelangen werden, ahnliches hervorgebracht wird.Die Sprache schien ihm beim Denken im Wege zu stehen, und doch konnte er wieder ohne Sprache nicht denken.Manchmal

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zuerst eine sonderbare demutigende Empfindung hervor, als sei nun sein Schicksal unter diesen unendlichen verwirrten Haufen sich einander durchkreuzender menschlicher Schicksale gleichsam verloren und werde dadurch klein und unbedeutend gemacht. Dann erhoben aber auch eben diese Lichter in den einzelnen Stuben in den Hausern am Walle zuweilen seinen Geist

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zu unterreden pflegte, und der ihn wenigstens immer zu verstehen schien.Dabei dauerten seine Kopfschmerzen immer fort allein er gewohnte sich zuletzt so daran, dass ihm sein Zustand ordentlich gefahrlich oder unnaturlich vorkam,

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, das sei ja noch das einzige, wodurch er sich wegen der Verachtung, der er so allgemein in der Schule und im Chore ausgesetzt ware, einigermassen schadlos halten konnte.Durch

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nicht versetzen konnte, denn weil er gar nicht glaubte, dass er von einem Frauenzimmer je geliebt werden konnte indem er sein ganzes Aussre einmal fur so wenig empfehlend hielt, dass er ganzlich Verzicht darauf getan hatte, je zu gefallen; so konnte er sich nie in die Lage eines solchen setzen, der daruber klagt,

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wider jemanden erklart man fangt an, seinem eignen Urteil nicht recht mehr zu trauen, das immer noch einer Stutze ausser sich zu bedurfen scheint, sei sie auch so klein sie wolle

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ihm dies gelange, seine Schulden in Hannover bezahlen und seinen guten Ruf wieder herzustellen suchen, indem er dort gleichsam wieder aufstande, nachdem er hier burgerlich gestorben ware. Dies letzte war ihm insbesondre eine der angenehmsten Vorstellungen, womit er sich

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Vorstellungen zu uberzeugen, dass es wirklich sein Vorsatz sei, in Erfurt zu studieren, wovon ihn nichts in der Welt abbringen konne, dass diese ihm endlich zu glauben schienen.Der Schulmeister sagte ihm auf lateinisch, wenn er morgen fruh auf Muhlhausen zureiste, so

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der Poesiekonnen daher wohl in jedem Betracht eine eigene Rubrik in Reisers Leidensgeschichte ausmachen, welche seinen innern und aussern Zustand in allen Verhaltnissen darstellen sollen und wodurch dasjenige gewiss werden soll, was bei vielen Menschen ihr ganzes Leben hindurch

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scheute, lauter grosse Massen vor sich fand, deren Darstellung man denn fur die eigentlich erhabene Poesie halt und wozu die unberufenen jungen Dichter immer weit mehr Lust haben

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welchen er gleich anfangs trocknes Fusses hatte durchgehen konnen, wenn er statt seiner philosophischen Resignation, seine beiden Sinne Gesicht und Gefuhl zusammengenommen hatte, um sich vermittelst seines Dornstockes und seiner gesunden Fusse, erst einen Durchgang durch den Graben zu erproben, ehe

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in sich aufsteigen lassen, darum argerte er sich dann am Ende lieber gar nicht.Er verdoppelte seine Schritte, um sich warm zu gehen, und befand sich ungleich besser, da

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nichts als kleine Geschichten erzahlt, wo dergleichen edle Handlungen zu Dutzenden darinn vorkommen; anstatt dass sie nun denken sollten, das musste schon so seyn, das verstunde sich schon von selbst, lernen sie etwas ganz besonderes daraus machen,

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Tafeln, worauf die zehn Gebote standen, haben sie in unsrer Kirche abgenommen, und dafur eine Tafel mit Punkten hingehangt sehe er nur, das heisst eine Meritentafel, da stehen die Nahmen der Jungen oben angeschrieben, und wer die meisten Meriten hat,

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von Moral reden wollen, so sind doch die zehn Gebote auch eine recht kurze und nachdruckliche Moral warum sollen wir denn die nun wegen der goldnen Punkte abschaffen? Der Mensch behalt alles so leicht an den

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Mit den zehn Geboten war man nun einmal so schon eingerichtet man durfte nur sagen, du musst nicht wider das siebente, wider das sechste, wider das achte Gebot, sundigen, und jedermann verstand einen gleich die neue Moral ist

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Hartknopf hatte gleichsam den ersten Buchstaben von dem grossen Worte gesagt, und glaubte, sein Vetter wurde vielleicht mit dem zweiten Buchstaben einfallen weil er aber diess nicht that, so lenkte er bald wieder ein, und sagte: lass

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, und setzten sich daraufNicht weit von hier sagte Knapp, und zeigte uber zwei fremde Graber weg, nicht weit von hier liegt meine Frau funfzehn Jahre lang habe ich mit ihr glucklich gelebt, und

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, bei deren Anblick wir eine dunkle Uebersicht unsers ganzen Lebens, und vielleicht unsers ganzen Daseyns erhalten. Diese Gegenstande mogen freilich immer bei einem jeden wieder andre seyn.

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Leidenschaften vor unsrer Seele aufsteigen und unsre Erwartung der schrecklichen Katastrophe war aufs hochste gespannt, als plotzlich die Lampe verlosch und wir konnten sie nicht wieder anzunden das ganze erhabne Zauberwerk war verschwunden, bloss weil eine

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, und sagte:Das war eine sonderbare Empfindung indem ich eben itzt so lebhaft dachte, dass diess unmoglich das rechte Wachen seyn konnte so war es mir gerade als wenn einem im Traume einfallt, dass man traumt; man pflegt denn zu erwachen mir daucht, ich

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er noch immer mehr neue Schonheiten hinzufugt, wodurch vielleicht das Ganze mehr verliert, als gewinnt, so scheint derjenige auch den sichersten Weg gewahlt zu haben,

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, verdiente freilich wohl allgemein bekannt zu werden allein die Beschreibung davon wutde ein eignes Buch erfordern, und doch vielleicht unvollkommen und unverstandlich bleiben denn wer kann Knapps

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wollt existiren lassen!Also damit es einen Staat gebe, mussen so viele tausende auf alle Anspruche Verzicht thun, wozu sie ihre angestammte Menschenwurde berechtiget?Sie mussen sich fur bloss nutzbare Wesen halten, wie

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uns von obenSo war alles zusammen bis auf den innersten Gedanken in unsrer Seele ein vollendetes Ganze.Ich fuhlte mein Daseyn zum erstenmale; fuhlte mich in dieser grossen Kette eingezwangt; sicher, fest, und unerschutterlichIch ward zum erstenmal auf den rechten Lebensfleck gefuhrt Ich lernte die grosse Weissheit:

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, zu weit getrieben.Er will sich hiermit nur von dem vielleicht sonst kunftigen Vorwurfe befreien, dass er sie daraus genommen habe; und weiss wohl, dass mehrere uber gleiche Gegenstande ahnlich und gleich empfinden und urteilen konnen.Eine

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Archipelagus und fischt ein neues Konigreich. Es ist genug, dass man eins hundert Jahre lang ruhig besitzt. Dreimalhunderttausend Zechinen kann man hernach leicht fur den Genuss bezahlen; dreitausend Zechinen furs Jahr war

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den Gewandern zeigen wollten; griechische Gestalt und leichte Kleidung ist uns ganz entruckt. O wie verlangt mein Herz, jene gluckseligen Inseln und das feste Land auf beiden Seiten noch heutzutag zu sehen und wie

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ob es gleich prachtig klingt:Illam homines dices, hanc posuisse deos.4Wenn einer die Geschichte kennt und da gelebt hat und es beim Ausflusse der Brenta vom Ufer betrachtet: so sieht es richtiger aus wie ein endlich sichrer Zufluchtsort von dem Lande weggeprugelter und weggescheuchter furchtsamer Hasen, die sich hernach gross und zu geflugelten Lowen gemacht haben,

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Matrone aufgetragen ware; die Bogen derselben entsprachen nicht denen des gotischen Gebaudes, das uberall schief durchguckte. Julio Romano hatte, damals schon alter und erfahrner, mehr Geschmack gezeigt, als er eine meisterhafte gotische dazu erfand. Es sei etwas anders,

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demselben Gebaude durchaus von Stein. Dieser ist inzwischen ungelenk, und wer ihn allzusehr zu leichtem Holze schnitzelt, besonders am Boden, wo er gerade vor Augen liegt, wird abgeschmackt und lacherlich. Holz hat seine naturliche Form in Stamm und Zweigen: woher die Saulen

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mit ihren sechzig Stufen herauf und hinunter mehr Treppe als fortgesetzter bequemer Weg ist.Wir machten den letzten Strich in unvergleichlicher Nacht, wo der Mond, beinahe voll, immer mit uns ging und uns durch die schonen Ulmen begleitete,

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taglichen Leben gehort; obgleich die gemeinsten Dinge bei den Uberfallen verschiedner Volkerschaften hauptsachlich ihre Benennungen verandert erhalten haben. So heisst zum Beispiel jetzt: Brot psomi, Wasser neron, Wein krasy, der Leib kormi, die

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den Tag ausdruckt, nicht mehr himera wie die Vorfahren ausspreche, sondern entweder hemera oder neuerdings , und dabei den schonen Ursprung nicht mehr fuhle, dass es von himeros, das Verlangen, herkomme, weil man namlich in der

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wieder die tragischen und komischen, sich zur Kurzweil des Volks einander zum besten hatten. Wer weiss, wie hart Sokrates und Euripides vorher dem Aristophanes begegneten? Das beste Zeugnis fur das, was ich sage, ist, dass Plato nicht aufhorte, den komischen Dichter hochzuschatzen.Dieser hohe Genius schien uns uberhaupt einen viel weitern Gesichtskreis als

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verdorben, immer in gehoriger Munterkeit und Bewegung erhalten, von hohem und heiligem und wollustigem Geist beseelt, ein wenig Uberfulle, wo sie sein musse, uppige sanfte Wolbung und wieder straffer Umriss sei ausserst selten und ein

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Liebesspiel zu treiben. So gebar sie denn zwei Tochter, von welchen wenigstens die erste meine naturliche Schwester ist. Sie hat sich hernach vielen preisgegeben und mag wohl selbst nicht wissen, mit wem sie die ubrigen Kinder erzeugte; jung und schon uber alle Weiber, voll Witz und

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Fleiss und schien auf nichts achtzugeben, als die eigensten und bedeutendsten Zuge von ihr recht zu fassen. Er bat sie, so ganz bloss als unbekannter Maler, sie mochte sich nur vollig frei ihrem Wesen uberlassen und tun wie sonst

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nicht soviel gelegen", erwiderte der Brautigam; "wisst Ihr was, lasst es fur jetzt gut mit mir sein und macht die Signora vollends fertig. Wir werden naher bekannt werden, und kunftigen Winter einmal ist's bessere Zeit."

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sonderbar untereinander laufen. Am dritten Tag hierauf sollte das Beilager gehalten werden; alle Anstalten dazu waren schon gemacht und die Nachbarschaft zu einem festlichen Ball eingeladen.Ardinghello ging inzwischen tiefsinnig herum, ass wenig und trank viel, und konnt es nicht langer verbergen, dass

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bosartigen Ungeheuer wolltest du an der Seite liegen und deine glanzende Wohlgestalt von ihm schanden lassen, in lauter Gram und Ekel, da die edelsten Junglinge voll Eifer und Feuer vor dir schmachten? Hat dies so machtig wallende Herz in deinem Busen so wenig eigne Kraft,

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hatte, endlich freigesprochen; und sie selbst verstand meisterlich die Seelen zu fesseln und spielte durchaus ihre Rolle vortrefflich: in dem kurzen Umgange mit Ardinghellon hatten sich ihre seltne Naturgaben herrlich noch entwickelt und ausgebildet.Zu Anfang des neunten Monats darauf wurde sie,

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Insel Rhodos besonders entzuckte ihn so, dass er sie bald auswendig konnte. Seine Phantasie kam wieder ganz in das Gotterreich der Poesie hinein, die Spiele griechischer Jugend rissen sein Herz dahin, susse Liebe und solche Taten pries er allein ein wurdig Fruhlingsleben;

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ich heruntergekommen ware, ohne das mindeste von dieser Hochzeitfeier zu wissen. Aus dem Stegreife konnt ich in so hoher Gesellschaft nicht singen; und ausserdem musst ich immer erst ein wenig die Art meiner Zuhorer kennen, um leicht den Eingang

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"Und warum sollen wir dich nicht als Freundinnenlieben konnen? O du bist ein so teuer Gut, dass wir beide an dir uberflussig genug haben; und ihrer mehrere, wenn du willst. Du sollst als der edelste Wein nur zum hochsten Fest aufgespart

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wegstreichen zu lassen, und in diesem Punkt Lucinde gewiss immer albern.Darauf ging es an das Catullische Da mihi basia mille, wovon ich mich bald losmachte. In solche nekkende Handel geraten wir Liebesritter! Aber ich stelle mich auch auf keinen philosophischen Lehrstuhl,

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in sich fuhlt, auszudauern, und grosse Belohnung dereinst unter seinen Geliebten dafur erwartet.""Ein guter Glaube uberwindet freilich alles", antwortet ich ihm darauf; und dachte im Herzen, wer damit nur immer in der gluckseligen Dunkelheit herumtappen konnte!Noch

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sein Leben lang uberlassen sollte.Ubrigens studier ich hier immer mehr die Schiffahrt und streiche ofters an der Kuste herum. Zu Korsika bin ich auch schon gewesen, und das rauhe Volk gefallt mir: es liegt Stoff darin. Es kommt kein Schiff an und geht keins ab, das ich nicht ausforsche. Und so beschaftigt sich auch noch meine bildende Kunst mit

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Nero in beiderlei Gestalt, die noch immer wussten, wenn sie fur sich aufhoren sollten. Ein neuer Hippokrates von Macchiavell wird den jungen Tarquinen auch noch hierin die Anfangsgrunde vorbuchstabieren mussen; denn von selbst wird selten einer so gescheit sein.Der neue Herzog, sein Sohn, fuhrt sich auf

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.Ich mochte mich lieber mit Dir nur wenige Augentigsten Buchstabenwechsel.Ich habe Cacilien schon zum zweitenmal gesprochen; das erstemal in Gesellschaft und darauf vor wenig Tagen allein. Sie ist hoch schwanger, gesund und bei

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muss man benutzen.Auch der Herzog will mir wohl, vermutlich durch sie. Ich habe schon verschiednemal mit ihm Schach spielen mussen, worin er sich einbildet, ein grosser Meister zu sein. Ich verlor mit Fleiss das erste Spiel und gab ihm Gelegenheit zu feinen Zugen,

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ihn dann hochlich freute. Das zweite Spiel dreht ich so lange, bis keiner mehr gewinnen konnte; und uberliess ihm wieder das dritte. Beim vierten und funften aber macht ich den

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den andern verstarkt und entzuckt, und alle insgesamt dann fremde trage Erdenkorper zum Leben erwecken wie jetzt allein ich.'Es liess sich vielleicht hierauf noch immer antworten: 'Dass der Lowe minder starke Tiere zerreisst

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und dort gross und herrlich und menschenfreundlich wirken will oder irgendwo an der Spitze steht, les' ihre Geschichte und denke sie tief durch mit einer Seele voll Erfahrung: und sie wird ihm ganz ander Licht gewahren als auch die besten Massregeln eines einzelnen Politikers.

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sich auch lauter und rein erkennt, als es von seinem Ursprung gekommen ist, muss sich uberall nach der Materie bequemen, wohinein es vom unerbittlichen Schicksal getrieben fuhr. Einer, der aus beiden Brutussen zusammengesetzt ware, wurde nun bei uns immer als Pobel herumgehen, wenn

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des andern innerliche Kraft im Vertrauen kluglich anrege und wenigstens den einen grossen Grundsatz auf die sinnlichste Weise ausbreite, dass der Staat der beste sei, wo alle uberhaupt und die Bessern und der ausbundig Vortreffliche bei den Vorfallenheiten ihre Rechte geniessen; und dass man dabei nicht allein auf glucklichre Zeiten hoffe, sondern

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in den offentlichen Schulen vermindert, das bloss leere scholastische Geschwatz, soviel moglich, daraus verbannt; und es sind andre wackre Meister in verschiednen Fachern mit guten Besoldungen angesetzt worden.Die

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noch nicht einmischen konnen. Mehr ist nicht moglich, fur jetzt zu tun: so ist das Volk schon gesunken.Unser junger Monarch ist ubrigens leicht zu leiten; und er findet, obgleich nicht ohne gute naturliche Anlagen und

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sind die stolzesten Palaste der neuern Welt aufgefuhrt; die andre steht noch, ein weiter Kreis in hoher grauer Majestat mit lauter Quaderstucken von Felsen und dreifachen festen Saulen ubereinander mit korinthischen kleinen Pilastern oben gekranzt. Die

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dorischer, ionischer und korinthischer Ordnung in Bogen ubereinander, der vierte ist mit kleinen korinthischen Pilastern geziert und schliesst ohne Bogen mit einem prachtigen dreigestreiften Gebalke. Die ganze Hohe macht zweihundertundzweiunddreissig Palme.

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Dies ergreift mannliche Seelen, und ein solch ausgewahlt Leben, von trivialen Lumpereien fern, dringt in nichtsdestoweniger rein und scharf fuhlende Herzen; es ging nach dem grossen paradoxen, unsrer empfindelnden Welt unbegreiflichen Grundsatze der

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und Obergebaude daruber mit den acht Fenstern macht damit einen wunderbaren Kontrast, der aber doch einfach ist und gewissermassen dem Untern entspricht, und dies gibt dem Ganzen eine furchtbare Grosse; die entzuckendste griechische Schonheit muss, vom Schicksal unwiderstehlich genotigt, den wilden Barbaren dienen.

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Diese Kirche bleibt die hochste Pracht der Welt, und nichts ubertrifft sie. Man mag von den gefangnen ruhrenden Schonheiten nicht weggehn, wie von lauter Iphigenien in Tauris, und die ganze Seele stimmt sich daran rund und geschmeidig.Man sagt, die

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und Euripides wollten sprechen horen, die diese Kunst zur Vollkommenheit gebracht, so konnten sie sich leicht von ihrem Wahn befreien.Die Bildhauerei und Malerei stellt Oberflachen von Korpern dar, die letztere, insoweit sie sich durch Farben zeigen.Ein neues Ganzes, wie schon gesagt, oder ein altes neu auf die

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und dieser getauscht dasselbe dabei sich vorstellt? Bei jedem Genusse sind wir ewig und scheinen die Zeit nicht mehr zu fuhlen.Unser Leben ist kurz: wer uns ein Ganzes tauschend am geschwindesten in die Seele bringt, erhalt den Vorzug.Wenn einer inzwischen gar zu grosse Begierde hat, ein neues Ganzes zu wissen: so behilft er sich auch mit dem mangelhaftesten Mittel, bis er ein bessers vorfindet.Ein Dichter muss dem Maler immer in Schilderung korperlicher Gegenstande unterliegen: und geradeso geht's dem

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Nachfolgende am besten erkennen kann, bleibt also immer an und fur sich schon ein qualendes Fragment, das weder Herz noch Geist befriedigt.Um hieruber nicht zu streiten, so bleibt ausgemacht: das Vortrefflichste derselben ist das schone Nackende; mit dem Ausdruck geht's hernach wie bei

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den Verstandigen mehr als eine ebenso vortreffliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Besinnung macht die Malerei dagegen ganz verschwinden. Unter tausend Gesichtern findet man ferner in einem guten Klima nur ausserst wenige fur den Marmor, aber weit mehrere fur die

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den Rucken gebunden. Dies musste Lysipp so naturlich wohl bleiben lassen. Aber Bildhauerei behalt doch immer den Rang; denn sie zeigt das edelste der bildenden Kunst, namlich die Form, am vollkommensten. Bei Weibern, es ist wahr, und

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Auf die letzt uberschleicht uns das unzufriedene, schwache, menschenscheue, verhasste Alter, wo alle Ubel haufenweise zusammen wohnen.So seufzte selbst der bewunderte Sophokles am Ende seiner glucklichen und glanzenden Laufbahn.Ihr sagt: Schonheit nackender Gestalt sei viel fur Auge und den ganzen korperlichen Menschen, wenig fur den innern? Sie allein ergriff das Unsterbliche nicht?Wenn wahr ist, was Ihr selbst behauptet, dass, wer ein Ganzes tauschend am geschwindesten in die Seele bringt, den Vorzug erhalte: so steht wohl bildende Kunst aller

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; diese konnen sie darstellen, die Kunstler! den Menschen sollen sie dem Dichter uberlassen. Die Landschaftsmalerei wird auch endlich alle andre verdrangen. Und also konnen wir gewissermassen die Griechen ubertreffen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenstande machen, die sie verfehlt haben.Nichts wirkt recht auf den

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Euripides: wer wird ihre Marmorbusten fur ihre lebendigen Reden und Gedichte nicht gleich weggeben? Wir konnen an uns selbst nicht im Spiegel wahrnehmen, auch in dem namlichen Moment, was wir denken und empfinden; und sogar verschiedne Leidenschaften zeigen sich bis auf ihre hohen Grade im Gesicht uberein. Die ganze bildende Kunst ist

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ihren Quellen schopfen, wenn er neue Schonheit und neuen unsterblichen Reiz hervorbringen will. Durch Ubung gewinnt man nach und nach doch auch sichre wissenschaftliche Fertigkeit.Was bildet den lebendigen Korper von innen hervor, vom ersten Stoff zum

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. Man kommt bei ihm einmal wieder zu einem verstandigen Menschen.Damit Du aber siehst, dass ich doch nicht schwarme, so meld ich Dir dagegen, dass der bewunderte Attila gegenuber auf mich wenig Wirkung macht. Ich finde darin kein recht zusammenhangend Ganzes in der wirklichen Malerei und den Charaktern, obgleich die Anlage trefflich ist, und zuviel Kompliment auf

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man auch hierin einzelne Figuren, die entzucken. Er musste sich darauf einschranken, was auf Tapeten Wirkung tut, und konnte nicht ins Feine gehen, in die zarten Zuge, die oft soviel entscheiden. Deswegen hat man vermutlich auch aus einer schandlichen Nachlassigkeit die

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wird, kannst Du Dir leicht vorstellen; aber sie will ihre Freiheit behaupten und sich platterdings nicht vermahlen.Kurz darauf bracht ich bequemer und freier eine ganze Nacht mit

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, jeder wert, ein Mann zu sein, sollten sich eine Freude daraus machen, ein schones Weib gemeinschaftlich zu lieben. Der geringste Genuss wird durch Anteilnehmung mehrerer verstarkt und gewinnt dadurch erst seinen vollen Gehalt: warum sollte es

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und Heiterkeit genug.Petrarca geht zuviel in der Luft; doch entzuckt nicht selten lauter und rein sein himmlischer Geist, in guter Gesellschaft gebildet. Allein Boccaccio hat am mehrsten Natur und war am mehrsten unter seinen

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und Lippen voll Verachtung geben seine Hoheit zu erkennen. Die Augen sind selig, leicht aufzutun und zu schliessen, in weiten Bogen. Sein kurzer schlank und zart geformter Oberleib zu den langen Beinen macht ihn zu einer ganz besondern Art von Wesen und gibt ihm Ubermenschliches.Ein erstaunliches Werk von

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zu sein schien, welcher kurz vor dem Plinius entdeckt wurde, und kein parischer, woraus die Griechen ihre mehrsten Bildsaulen verfertigten.Wenn man dieses beweisen konnte, so war es wohl ausgemacht wahr; allein daran fehlt viel. Der parische ist nicht durchaus gleich, und man hat sichre neuere Proben kommen lassen, die

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bei der besten Regierung vor sich gehen. Lysipp allein hat mehr Bildsaulen verfertigt als alle neuere Bildhauer zusammen, und jede zeigt den Mann von hoher Schopfungskraft.Der Kunstler von gelautertem Gefuhl, der nicht bloss nach Brot und eitler Ehre trachtet, sondern

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und Apelles erreichen konnte: was hat er vom nackten Menschen in der Geschichte, der heutigen Fabel, unsrer Religion vorzustellen, das wahrscheinlich und naturlich, nicht erkunstelt und bloss erlernter fremder Kram ware? Das Hochste ist eine allgemeine, ewig einerleie idealische Gestalt von

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Widerspruch zu geraten? Jede griechische Gottheit war nur ein Ideal einer besondern Klasse menschlicher Vollkommenheit. Sein Bild ist lediglich ein Werk ubernaturlichen Ausdrucks im Gesichte, und neue Art ubriger Schonheit findet hier nicht statt. Der Kunstler macht vor den Leiden und ans Kreuz und beim Herunternehmen davon einen richtigen ordentlichen Leib, sonst hat die eigentliche Kunst da kein weiter Feld, hohere Formen aus der Natur zu schopfen.An gewisse Teile und ihre Bestimmung darf man gar nicht denken, und

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in die griechische Fabel und Geschichte ubergehen und unsre Vorstellungen daraus hernehmen, so erhalten wir meistens nur einen verwirrten Nachklang, ein wahres Echo ohne Sinn, das nur einzelne Silben wiederholt. Wer ist ausserdem so frech eitel, dass er sich einbilden kann, einen bessern Apollo als den Vatikanischen, einen bessern Herkules als

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. Man kennt sie nicht mehr vor den stolzen Wasserleitungen; und gewiss war sie doch die Hauptursache, warum Romulus oder vor ihm ein junger Ausflug Griechen hier sich annistete, da in den jetzigen weiten Ringmauern sich keine andre Quelle befindet.In schwarmerischen Betrachtungen verloren wand ich hernach in den

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sind, fehlt gewiss die edelste, starkste und schonste Form. Die korinthischen haben, wenn die Blatter rein gearbeitet sind, am mehrsten Leben und den grossten Reiz; und die gefugten, welche die Rinde nachahmen, erhohen noch Natur

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die die unermessliche Peterskirche dagegen mit ihrem schmalen und engen des mittlern Schiffs nie erregen wird, der eher einen Sarg als einen Bogen vom freien schonen gestirnten Himmel Gottes nachahmt; weswegen die Leute sich verwundern, dass sie nicht erstaunen.Die

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, mit starkem Blei gedeckt, ist, wie schon gesagt, ausserst flach gehalten; man steigt zur weiten Offnung auf wenig grossen Stufen, rundum aber laufen an die vierzig kleinere im Kreise.

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. Mich trieb er vorzuglich nur in dem angegebnen System herum und sagte zuweilen verwirrte hochtrabende Dinge, um auszuweichen oder vorzubereiten und zu sehen, was ich damit anfing. Wenig Auserwahlten reicht er auf die letzt den Faden

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und den grossen Massen an bis aufs geringste einzelne und die Verzierungen aus allem rein hervorleuchte, die alten von den neuern Gebauden unterscheide, wo oft blosse nachgeahmte Kunst und leere Schonheit sei, auch bei den besten, sonder

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zu ihren guten Zeiten nur wenigemal gewesen. Und dann lassen sich Meinungen, wo nicht offenbare Widerspruche sind und das Gewisse tief verborgen steckt, nicht so leicht wegarbeiten. Es halt bei den ausgemachtesten Dingen schwer, den grossen Haufen unter einen Hut zu bringen, wenn

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Ein bestimmtes deutliches System hieruber darf man bei keinem Sterblichen suchen; die grossten Weisen haben fur sich keins gehabt und nicht klar gesehen, wie kein Mensch die ganze Welt klar durchschauen kann. Sie nahmen gewisse Satze an und bauten darauf hin, und wurden immerwahrend von der Natur wieder in Verwirrung gesetzt.Eines jeden Gefuhl muss ihm sagen, dass

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"uber die astronomischen Ketzereien, die ich meinen Priester sagen lasse! Es wird eine Zeit kommen, und nach der Freiheit, womit die grossen Geister schon anfangen ihre Flugel zu schwingen, kann sie nicht mehr fern sein,

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und Feuer denkt. Jedes einzelne Wesen wird seine Existenz bloss durch andre gewahr; je reiner es sich damit vereinigt, desto grosser wahrscheinlich seine Gluckseligkeit.

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Teilchen; eins wirkt und regt sich wie das andre, jedes Gefuhl blitzt durch das ganze All. Was das eine angeht, das geht auch das andre an; es ist eins so machtig, so ungeheuer und unermesslich gross, wenn man eine solche Grosse annehmen will, wie das andre. Die Meere und Tiefen von ursprunglichen Elementen sind es, woraus wir immer neu stromen und zusammenrollen; und unsre Urnatur ist unendlich gottlicher und erhabner als das augenblicklich zusammengeballte Eins verschiedner Krafte; nach dem hohen Plato nur eine Stockung im unsterblichen Flusse der

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ihre eiserne tyrannische Herrschaft, bis auf die sich frei wahnendsten philosophischen Haupter, die davon nichts traumen.Ardinghello. Auf einen Hieb fallt kein Baum, geschweig eine Zeder, die so viele Jahrhunderte, durch alle bekannte Zeitalter steht und mit ihrem immer grunenden Gipfel jedem Sturm trotzt. Die Menschen werden heutzutag schwerlich glauben, dass

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; aber binnen zweitausend Jahren hat sich kein bessrer Architekt gezeigt. Er trug allen philosophischen Reichtum jener glucklichen Zeiten zusammen und brutete daruber wie ein Gott. Seine physischen und metaphysischen Werke sind ein langwieriges Studium, und es lasst sich in einem Gesprache davon kein Auszug

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. Die sinnliche Kraft der Seele konne nicht ohne Korper bestehen, der Verstand aber davon abgesondert werden; er sei sich allein Materie. Nur sei er leidend und verganglich, insofern er etwas denke und sich an etwas erinnere; gleichsam wie der

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allem Lebendigen zuschreibt.Wenn der Verstand nur unsterblich ist, insofern er nichts denkt, so ist alle andre Materie auf eben die Weise unsterblich, namlich insofern sie ausser der Zusammensetzung gedacht wird;

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was auf unsrer Erdkugel Mensch werden konnte, auf einmal wirklich Menschen und unzahlbare Scharen von Volkern ware und man sie an einen neuen Ort, in andre Planeten versetzte: dass, sag ich, vielleicht wenig von derselben ubrigbleiben und wir alsdenn erkennen wurden,

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und es gabe uberhaupt keine allgemeine Wahrheit, und die ganze Welt sei ein Tollhaus? Also war es wohl keine Fabel mehr, dass Medea einen Greis in kleine Stucke zerhacken und wieder jung machen konnte, wenn sie nur den gehorigen Grad der Warme trafe, wodurch sie sich

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dass sie mehr oder weniger, vollkommen gelautert oder minder vollkommen, davon besitzen. Und eben dieser ist die erste gegebne Proportion ihrer ganzen Zusammensetzung.

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und Lefzenelemente anzunehmen Ursach finde, so find ich es eher notwendig, mannliche und weibliche Elemente in der Natur anzunehmen. Der Mann ist der vollkommenste, der ganz aus mannlichen Elementen zusammengesetzt ist, und das Weib vielleicht das vollkommenste, welches nur gerade so viel weibliche Elemente hat, um Weib bleiben zu konnen; so wie der Mann der schlechteste ist, der gerade nur so viel mannliche Elemente hat, um Mann zu heissen.Mannliche und weibliche Elemente machten ausserdem am begreiflichsten die Natur lebendig und erklarten die ewige unaufhorliche Bewegung

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er sie vollkommen mit seinen Sinnen durcherkennt und sich davon ein Ideal bildet.Einige Alten behaupteten auch, dass er schon lange studiert habe, bevor er ein so herrliches Ganzes wie den Menschen ausklugelte; es liesse sich dieses aus der auffallenden Ahnlichkeit, grossern und mindern

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. Woher wisst Ihr das? Und doch schon genug, wenn er sich so wohl befindet! Er kann nicht mehr als die Materie aufs beste verarbeiten, in die er kommt. Die Natur geht ausserst langsam und

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wenn er ungestaltet, hasslich oder krank ist? warum nicht verjungen?Wolken, lieber Demetri, nichts als Wolken und metaphysische Traume! Nehmen wir lieber doch noch die gewohnliche Meinung an, die Ihr kurz vorhin verwarft. Ich glaube, dass, so wenig sich der Mensch jetzt selbst hervorbringt, er

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es muss allezeit ein machtiger Wesen ihm den ersten Stoss und die Bequemlichkeit zum vollen Dasein verschaffen.Die vier Aristotelischen Elemente allein werden nie in allen moglichen Zusammensetzungen mehr als die vier Aristotelischen Elemente sein; es gehort gewiss noch etwas

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wird noch einfacher fur das Auge und erquickt es lieblich und heilig. Dann ist es so recht der weite hohe schonheitsvolle Zauberkreis, worin man von dem Erdgetummel in die blauen heitern Lufte oben wegverzuckt wird, und schwebt, und in dem unermesslichen Umfange des Himmels atmet, befreit

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ist sich gleich, nur die Form seines unendlichen Wesens verschieden.Des Exempels wegen; denn was wissen wir Bestimmtes hieruber mit unsern groben Sinnen? In den Sonnen rund, in der Luft rund und halbrund, im Meere platt und eckicht, in der Erde platt. Und Platt kame unserm Gefuhle kalt

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isst und verdaut, darf uns wenig kummern; denn dieses folgt wohl aus den meisten eingefuhrten Systemen. Die alten Agyptier verehrten vielleicht Gott erhabner, als der heutigen Menschen Verstand reicht; und

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welches, vernunftigerweise und aller Erfahrung nach undenkbar, bezauberte Phantasien sich vorstellen.Und warum sollten wir nicht in der ewigen Natur noch verehren, was wir immer wirksam, schon und gewaltig darin empfinden? Die ersten Ausgesandten

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sind uber kurz oder lang mit der Gegenwart nicht zufrieden, und das Wesen trachtet immer nach Neuem. So viel mogen wir wohl auch bei dem hartnackigsten Zweifler herausgebracht haben, dass etwas ausser uns ist, unermesslich unsern Sinnen;

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bei Verehrung verschiedner Geschopfe und Gewachse ahnliches denken. Und noch andre alte morgenlandische Religionen scheinen davon auszugehn.Das erstere ware entweder reine Weltaristokratie, jedes Element namlich so gottlich als das andre; wo

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keine Form notwendig und ewig ware, worauf lediglich Euer Eins beruht. Die Frage woher? bleibt so gut bei einem Wesen als bei mehrern; und wie ich Eins notwendig und ewig annehme, kann ich ihrer Zentillionen annehmen. Und denn musst es sich verzweifelt plagen, eh es die mancherlei Qualitaten nur fur unsre Sinne herausbrachte; wer weiss, ob

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eine sehr reine klare Empfindung, die ihn minder fehlen liess als andrer scharfer Verstand.Je langer man den Christus betrachtet, desto mehr findet man etwas

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den Edelsten angebetet.Sie erhalt den ersten Preis unter den weiblichen antiken Schonheiten. Ihr Gesicht schon fur sich, das glucklich ganz unversehrt blieb, ergreift unaussprechlich reizend, mehr als irgendein andres, ist gewiss ursprunglich in der Natur selbst voll Geist und hohem eigentumlichen Wesen aufgebluht und stammt wahrscheinlich von einer

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und die emporschwellenden Schenkel davor im Lichte sind ausserst wollustig, so wie die jungen Bruste. Die grossen grunlichtbraunen Augen mit den breiten Augenbraunen blicken in Feuchtigkeit. Sie ist lauter Huld, es recht zu machen in reizender sommerlicher Lage, und gibt sich ganz preis, und wartet mit gierigem Verlangen furchtsamlich auf den Kommenden. Man sieht's ihr deutlich an, dass das Jungfrauliche schon einige Zeit

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der Nachtigall davor verschwindet und zu geschwatzigem und unaufhorlichem Geton wird. Die meisten lasst sie wild fliegen; sie kennen das Platzchen und kommen immer wieder.Morgen geht die Woche schon zu Ende, seitdem wir hier

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sind wir gleich nach dem neuen Sturz des Velino in aller Fruhe ausgezogen. Wir wollten ihn zuerst von oben betrachten.Der Weg dahin ist voll reizender Aussichten; die Berge wolben sich immer einer hoher als der andre weiter fort gen Himmel, um gleichsam dieses Paradies ganz von der irdischen Welt abzusondern. Die Sonne ging eben auf,

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wir haben davon nur die ersten Strophen behalten.Quando contemplo el cielode innumerables luces adornado;y miro hazia el suelode noche redeadoen sueno y en olvido sepultado:El amor y la penadespiertan en mi pecho un ansia ardiente,despide larga venalos

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, y digo al fin con voz doliente:"Morada de grandezatemplo de claridad y hermosura,el alma, que a tua altezaNacio, que desventurala tiene en esta carcel baxa escura?

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den wir dadurch verbannten, war allzu gross, und der scharfsinnige Prufer aller zu seiner Zeit bekannten Republiken schien uns hierin die Vorurteile der Erziehung nicht genug abgelegt zu haben. Inzwischen fand noch immer Eigentum statt, namlich offentliche Belohnungen;

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bei den erspriesslichen und allgemein beliebten Gesetzen; und das Ganze fugte sich immer lebendiger zusammen und wuchs zur reifen Schonheit durch neue auserwahlte Ankommlinge, worunter sich die schonste und heldenmutigste griechische Jugend aus beiderlei Geschlecht befand, die wir mit Behutsamkeit in unsern Geheimnissen einweihten.

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schwacher Staat mag sich an den ersten rohen begnugen; allein dieses ist zur Gluckseligkeit nicht hinlanglich. Der starke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedurfnisse hat. Das beste Instrument gehort dem besten Virtuosen, das koniglichste Ross dem mutigsten und geubtesten Bereiter.

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wird inzwischen immer schwer mit einem Zeichen vollkommen richtig zu bestimmen sein, da ihn wahrscheinlich schon die Alten verschieden aussprachen; namlich nachdem die zwei Vokalen waren,

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Fu amata dal Cosmo suo padre, di maniera, che era voce per la citta, che egli avesse commercio carnale seco, sagt eine florentinische Handschrift aus der damaligen Zeit hieruber. 9 Man erinnere sich hier,

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ab und erklarten die Bianca fur vera e particolar figliola della Republica; e cio in considerazione di quelle preclarissime e singolarissime qualita, che degnissima la fanno di ogni gran fortuna. Das ist: erklarten sie fur eigentliche und vorzugliche Tochter der

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, mit bewunderten Systemen daruber, allgemein angenommen wird, auf seine Art behandelt. Ich wollte nichts daran umandern und den ersten rohen Entwurf lassen, weil es immer wenigstens ein kunstlerisches Vergnugen macht, auch des Geringsten eignen Gang wahrzunehmen. 29

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32 Eine gleichzeitige handschriftliche Chronik meldet dabei, jeder habe gesagt: che bisognava aver rimediato prima, che il padre, e il Granduca Francesco, il Cardinale, & altri suoi fratelli si servissero del mezzo suo per cavarsi le lor voglie, e con le altre donne della cita menandola tutta notte fuori vestita da Uomo, e voler poi, ch'ella fusse stata santa senza il marito. den andern schier ein gleiches erzahlt hat: e questo fu il misero fine delle figliole del Duca Cosmo de Medici.

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habe mich ganz in die neue vergaft. Wir Madchen haben ja unsern besondern Abgott, ich kann eben nicht sagen, dass ich ihm eigensinnig durchaus alles opfern will; aber eitel bin ich

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sind doch narrische Dinger; nichts reizt uns mehr, als wenn die Manner sanft genug sind, mit ihren eignen Trieben recht lange zu kampfen und mit uns recht platonisch zu schwarmen. Fanny, lose mir doch

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Tugend ist ubertrieben, aber sie macht demungeachtet deiner Denkungsart Ehre. Gott gebe, dass es lange bei ihm gut thun moge! Wenn ich aber aufrichtig reden soll, so zweifle ich sehr daran. Ihr beide habt nun einmal eure Herzen gegen einander verstimmt, und schwerlich werden sie sich wieder finden. Ist es moglich, dein

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eintonig die schonste Moral hinwegplappern, wobei sie gar nicht denken, und also ihrem Geiste wenig oder gar keine Nahrung dadurch geben konnen. Wer nicht beim Lesen denken lernt, kann nichts verstehen, und wer nichts versteht, der fuhlt auch nichts.

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ihren Bequemlichkeiten weit mehr zu beneiden: Sie schwimmen ganze Tage in den Armen ihrer Lieblinge unbemerkt herum; da hingegen unsere guten Damen ohne Ruksicht auf ihre adelichen Schwachheiten so leicht wegen ihren heimlichen

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Einbildungskraft den freien Zugel lasst. Die meisten Menschen denken zu wenig, um ihre Begierden einschranken zu konnen. Ihre Sinnen verirren sich so leicht bei jedem neuen Gegenstande, wo hingegen das Thier keinen Unterschied kennt, um ausser seiner gehorigen Zeit lustern zu werden.

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ist, ausser der guten Madame Seipp, bei unserer Gesellschaft noch Alles gesund. Hier ist es grosse Mode Chinarinde statt Tabak zu schnupfen, und wer uberdies nicht im Stande ist dreissig bis vierzig Doses China in Zeit zwei Tagen zu

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tollen Eigensinn gegrundet, dass du so kraftig daruber losziehest? So lange mir das Verhangnis keine bessere Bestimmung gonnt, so lange das Theater meine einzige okonomische Aussicht bleibt, muss ich ja diese Leidenschaft nahren, denn sie spornt doch immer den Fleiss an, der mir ausser ihr gewis

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rechtschaffen zu handeln. Rollen-Neid zeigt sie gar keinen, aber desto mehr andere kleine Bosheiten, wodurch sie die ubrigen Schauspielerinnen ihre Direktrisen-Herrschaft fuhlen lasst. Sie besizt vielen naturlichen Wiz;

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die auf gutes Herz, Rechtschaffenheit, Vernunft und wahre harmonische Denkungsart gegrundet ist, hat ja keine Flitterwochen. Wie konnen die Reize eines denkenden Mannes in den Augen eines denkenden Weibes ihre Neuheit verlieren, wenn eben dieser Mann durch tausend hausliche Gefalligkeiten, durch sein gutes Herz,

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, so ware es doch weit ertraglicher zu horen, als jener schleppende Ton, womit sie jede Silbe Ellen lang ausdehnet. Sie versteht weder Pausen, noch weniger einen Uebergang der Leidenschaften im hohen Tragischen. Komische Rollen konnten ihr noch besser gelingen, wenn sie nicht eitel und eigensinnig genug ware, sich vollkommen zu glauben. Es ist mir unbegreiflich, wie das Weib so ganz ohne das mindeste Feuer die interessantesten, leidenschaftlichsten Strophen uberhupfen kann; eben so wenig als ich begreife, wie

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hizzigen Einbildungskraft hattest Du in jenem kalten Monate unserer blossen Freundschaft nicht vermuthet? Ja, siehst Du, es kommt nur darauf an, dass man seinen Mann findet. Es ist freilich toll von mir, so zu schwarmen; aber ich trage doch keine

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zu schaffen wissen.Ich glaube, wenn wir hundert Jahre zusammen lebten, wir fanden immer etwas neues, uns recht gut zu unterhalten, immer etwas neues zu fuhlen, um einander zum seligsten Entzukken zu reizen!Blos in der gegenseitigen Hochachtung liegt das Band der unendlichen Liebes-Fesseln;

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in eine edle feurige Wallung kommen, um mannliche Vestigkeit zu begreifen?Glaube sicher Friz, wer uber unsere Geschichte lacht, wer sie fur unbegreiflich halt, der ist gewiss in der Liebe keiner Beharrlichkeit fahig!

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, so bald sie wissen, dass die Natur sie an einander kettete, so bald sie bei gegenseitiger Untersuchung einer reinen Kritik fahig sind; Kurz, so bald zwei Kopfe zusammen kommen, denen es nicht an Menschenkenntniss fehlt, die lange vorher unter freundschaftlicher

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einige Jahre alter, als Frize, und hatten viele Blatter-Narben im Gesichte, sehen Sie also, dass Sie mir lange nicht an die Seite stehen durfen. Ich weiss recht gut, was recht und billig ist, und ich sage Ihnen,

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sie waren immer so feurig, so begeistert, als sie es je an der Seite eines ganz schonen Madchens seyn konnten.8.) Sie mussen doch nicht wissen, was recht und billig ist, sonst wurden Sie selbst sehen, dass gerade diejenigen Madchen den Kurzern ziehen, die sich selbst beim andern Geschlecht wegwerfen und blos geben.

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nicht an einander schreiben, oder verstohlner weise beisammen sizzen, oder andere Leute plagen, dass sie uns wechselseitig von einander erzahlen, oder an einander denken, traumen und schwarmen. Ha! Wahrlich so geht es ja allerliebst!

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nahrte sich dabei, und muss sich ewig dabei nahren.Nicht wahr lieber Friz, wir wollen immer so gut mit einander leben? So ganz Gutheit einander nachgeben, und verbannt sey nun auf ewig aus unsrem

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und ich darf nicht dagegen murren. Auch darf ich Dich wohl an keine Pflichten erinnern, Du weisst, dass mein Loos das schroklichste ware, wenn Dich je Menschenbosheit zur Veranderung stimmen konnte. Ich bin jezt so ganz Zutrauen in

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, so kannte Madam Haller alle diese drei Leute so vollkommen, dass sie mir eine vollstandige Biographie von ihnen liefern konnte, die mich angenehm genug unterhielt, ob sie gleich eben nicht die vortheilhafteste war. Die liebe Frau! wenn mir es erlaubt ist,

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; die zunehmende Schwachheit seiner Tante konnte ihn nicht zuruck halten, er reiste ab, blieb lange aussen, kam wieder und fand mich in tiefer Trauer uber den Tod derjenigen, deren Namen ich hinfort nie ohne Thranen nennen sollte. Ich fand ihn auf eine seltsame Art verandert.

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die Universitat gehen sollte.Meine Kinder, sagte ich zu euch, ich weiss, dass es bisher einige unnutze Leute gegeben hat, welche euch bereden wollten, eure Aeltern seyen reich, und konnten euch einmal ein grosses Gluck in der Welt verschaffen. Ihr seyd jetzt erwachsen genug, um

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, zu danken pflegten, nicht anstossig gewesen war.Wir schienen uns anfangs gar nicht zu bemerken; bald aber trug der Weg die adelichen Damen allemal vor unserm Stuhl vorbey; die Neugier mochte sie vorbey treiben, auch

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, welches letzte doch bey den Meinigen, die immer beschaftigt waren, im Grunde nicht wohl statt haben konnte, sondern ganz allein auf die Seite unserer neuen Bekannten fiel.Funfzehntes KapitelEine ganze Familie von AlltagsleutenEs dunkt mich hier

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auf der lacherlichen Seite vorstellen, so hatte man gewonnen; es war oft gar nicht nothig eine Ursach anzugeben, warum man die Sache lacherlich fand, genug, man lachte daruber, suchte auch ihr Lachen zu erregen, und ihre gute Meynung dafur, war auf lange Zeit dahin. Peninna! Peninna! pflegte ich oft zu ihr zu sagen, ein wenig mehr Festigkeit in

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du nicht bisher immer in so erleuchteter Gesellschaft gewesen warest, so musste ich glauben, du wolltest den wahlen, den du etwa morgen zuerst erblicken wirst. Sie scherzen, liebe Mutter, sagte sie, Sie wissen, dass dergleichen Possen mir nicht in den Sinn kommen konnen, aber

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den Regierungsrath vielleicht von der weitern Bewerbung um sie abschrecken werde, aber dies war ja eben die Probe; der geliebte Herr Walter, mit welchem sie uberhaupt ein wenig sauberlicher umgegangen zu seyn schien, wurde sie gewiss aushalten, wie

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Nie hat wohl ein Jungling einen strengern Begriff von weiblicher Tugend gehabt als ich. Der Aufenthalt in grossen Stadten hatte mich schon langst in der Meynung bestarkt, dass ich an ein schones Ideal glaubte, das ich nie realisirt sehen wurde.

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beyderseitigen Gefuhle lang hatten fremd bleiben sollen, wir erklarten uns einander ohne Ruckhalt, und um unserm Verstandnisse den kleinsten verdachtigen Anschein zu benehmen, drang ich darauf, dass der Hofrath zum Mitwisser unsers Geheimnisses gemacht werden solle.

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sollte, darum ward er nicht gefragt, war auch nicht nothig. Hannchen brauchte eine Bedienung, sie hatte Rosen immer wohl leiden konnen, und ich hingegen hatte meine Ursachen, letztere gern entfernt zu sehen.Wie

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zeitverderbend, wohl gar sundlich nennen, findet man hier sehr massig und eingeschrankt. Sie sollten sehen, wie andere von meinem Alter leben. Meine Auffuhrung ist nach dem allgemeinen Urtheile, ordentlich und angenehm, und

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vergiessest, mussen dir immer in Gedanken bleiben, und dich lehren, wie bitter eigene Verbrechen zu beweinen seyn mussen. O Gott, erhalte dieses Herz doch immer so weich und rein wie es jetzt ist! Der blosse Gedanke, es konne dereinst verderbt

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ich so wahr, ach durch lange Erfahrung, so ganz wahr finde, dass ich wollte, ich konnte ihn jedem jungen Herzen einpragen, welches bey dem ersten Unfall gleich geneigt ist zu glauben, Ruhe

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. Es ward mir leicht den Dienst zu lernen, meine Gestalt fand Beyfall, und meine durch die letzte Demuthigung etwas gemilderte Gemuthsart, ermangelte nicht mir meine Obern gunstig zu machen, man begegnete mir wohl, und ich glaubte mich glucklich.Herr

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mein Vater bestimmt hatte, ich hatte nie hiervon ein Wort erwehnen horen. Meine Neigung trieb mich zum Soldatenstande, und ich begriff leicht, dass ich in diesem am ersten mit dem wurde zufrieden seyn konnen, was Herr Feldner mich lehren konnte.Sein Fach waren vornehmlich die schonen Wissenschaften,

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er war ganz der Mann, der fremdes Gluck wie sein eignes fuhlen konnte.Vier und zwanzigstes KapitelWas Herr Haller anstatt des Steins der Weisen fandDer erste Strahl des kunftigen Morgens fand mich schon bey Klarens Bette. Ich musste allein mit ihr

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sondern durch stille Grosse, und tausend gemeinen Seelen unerreichbare Handlungen aussert, wie sehr musste alles dieses zusammengenommen, einen Mann wie den Rittmeister fesseln. Er schrieb mir in den feurigsten Ausdrucken, dass sie sein ganzes Herz erobert habe, dass sie allein ihm die Stelle ihrer Schwester zu ersetzen vermochte,

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und der gothische Kopfputz liessen der lieblichen Dirne noch allemal Reiz genug ubrig, vor allen ihren eben so geschmuckten Zeitverwandtinnen hervorzustechen, aber ganz ein anderes war es doch immer, sie im hauslichen Gewande ohne weitern Schmuck, als einen kleinen Schleier auf ihren schonen Locken zu erblicken.Herrmann stand wie versteinert,

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ihr ein grosses Pergament mit dem kaiserlichen Siegel zu uberreichen.Ida ward besturzt.Ihr konnt dieses Geschenk, sagte Wenzel, nicht so ausserordentlich finden, als es mir selbst vorkommt, aber man hat es fur gut gefunden es fur euch bey mir zu suchen, und

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der Gerechtigkeit bringen konnten? Aber soll sie darum ungestraft bleiben? und welch ein Mittel ist ubrig, sich ihrer zu bemachtigen?Meine Nachrichten horen hier auf, ich weis nicht was hierauf weiter vorging, nur dieses sagte man mir, dass die Versammlung erst um Mitternacht

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auf dem kleinsten Wege unausbleibliche Gefahr, sie wird irgend einem laurenden jungen Wustlinge in die Hande fallen, und fur unser Kloster verloren seyn, welches doch, es gehe wie es wolle, einst ihre Zuflucht werden wird, was sollen wir thun Schwestern? was sollen wir thun? Wars wohl Verletzung unserer heiligen Regel,

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erschien, machte, dass er sie schonen musste, aber er sagte ihr genug, um sie an die ganze abscheuliche Rolle zu erinnern, welche sie in Ansehung Idas gespielt hatte, und die niemand besser als ihm bekannt war. Seine Reden voll Kraft und Nachdruck zogen die Augen

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fur die schone Zauberinn, die so sinnreich war, ihm seine Gefangenschaft angenehm zu machen, wuchs desto mehr, da sie schlau genug war, ihm nie in den Weg zu kommen, ihm die Moglichkeit ihr personlich zu danken stets vergeblich wunschen zu lassen. Die

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nicht so bald gehort, dass Herzog Friedrich vielleicht hier voruber ziehen wurde, als er begierig ward denjenigen zu sehen, der ihm bisher so viel Furcht eingejagt hatte und

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, und vermag in meiner jetzigen Lage nur wenig zu schreiben. Aber jetzt fallt mir ein, du mochtest mir nicht gehorchen, mochtest meinen Traum fur so einen gewohnlichen Traum halten, wie ihn die Schlafenden traumen, und darum sollst du alles wissen, und

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erfuhr in kurzer Zeit mehr von seinen Angelegenheiten als ich wissen mochte. Alle meine Gedanken blieben bey der Grafinn von Wurtemberg stehen, deren Aufenthalt ich durch schlaue Fragen schnell erfuhr, und von deren Schicksal die Manner nichts weiter zu sagen wussten, als

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wollen einige behaupten, dass bey verschiedenen Gelegenheiten auch andere Losungen gewahlt wurden. 6 Herzog Friedrich entfernte sich, wie die Geschichte sagt, allein ins Gebusch, so weit ein Mann mit einem Bogen schiessen mag. Kurd, sein Leibknappe, fand sein Ausbleiben zu lang, und folgte ihm, fand ihn ermordet,

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was tiefes erkennen, noch haben, allzubekannt zu machen, weil man leicht mit einem Heuchler konnte bekannt werden, der sich gut zu seyn stellen konnte, und alsdann konnte ein solcher einem leichtlich Verfolgung und allerlei Leiden erwecken."Nun kamen aber noch mehrere Dinge zusammen, welche

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es nicht daher, weil man einen gewissen angenommenen feierlichen Ernst schon voraussetzt, mit dem das geringste Komische weit mehr, als im gemeinen Leben absticht?Und wurde diess wohl der Fall

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was er sieht, hort, betastet, fuhlt und denkt, womit er spielt und womit er sich ernsthaft beschaftigt. Nicht zufrieden, das zu zertrummern und zu verunstalten, was er mit den Handen lassen kann,

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musste man streben, diesen vornehmen Gast von dem feurigen Eifer, den man fur das hohe Kaiserliche Haus empfande, zu uberzeugen, und ihn ja nicht abziehen lassen, ohne ihn dem Staat zu gewinnen. Man musste hierin den klugen Senat von Venedig zum Vorbilde nehmen, der keine Gelegenheit verabsaumte, denen am meisten Freundschaft und

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, die bestimmten und unveranderlichen Merkzeichen der tierischen Natur so klar beweisen und auf den Menschen anwenden zu konnen, ob gleich die Gesellschaft das Gesicht des letztern zur Maske geschliffen hat und er nie einen in seinem ursprunglichen Zustand sah.

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du den gefahrlichen, wilden Kampf, den sie im Innern erregt, nie gefuhlt hast? wie bestimmen, welcher Versuchung er unterliegen muss, da du dich bloss mit Schatten genahrt hast? Was meinst du,

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habe sie reichlich dafur bezahlt, und du hattest dich mir fur eine gleiche Summe prostituiert, wenn ich eine Bestie gewesen ware wie du. Wisse, meine grosse Erfindung wird mehr Gutes stiften und dem Menschengeschlecht mehr nutzen als alle Papste, vom heiligen Peter bis

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Fausten zu plagen, seine Zweifel immer nur scharfen will, deutet hier auf folgende Theorie, die er vielleicht darum nicht bestimmt ausdruckt, weil er glaubt, sie mochte dem Stolze des Menschen zu viel schmeicheln und ihm durch eine Reihe von wahren oder falschen Schlussen einen erhabenen Begriff von

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von welchem diejenigen, die bis auf den heutigen Tag daruber geschrieben (wie Sie aus meiner so glaubwurdigen Erzahlung sehen werden), ganz falsche Nachrichten gegeben haben; zugleich aber auch enthalt mein Buch die Erzahlung einer hochst merkwurdigen Revolution,

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und ihre eroffnende Wirkung betrifft, ruhmlichst Erwahnung tut. Wir hielten zugleich ein Wirtshaus und hatten immer die Stube voll lustiger Gaste. Hier fielen dann sehr angenehme Gesprache, besonders uber politische Gegenstande,

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Von dieser wohltatigen und nutzlichen Menschenklasse befanden sich damals kaum funfzig in Goslar, von denen einige, die schon sehr alt waren, vermutlich bald aus dieser Welt heraus kontumaziert werden mussten; und

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als der zehnte Sohn, vollendete seine Studia, war ein wenig taub und kurzsichtig, wurde daher zum Informator gut genug befunden, in welcher Qualitat er sich vielleicht noch jetzt herumtreibt. Der kleine Joseph, der wenig Jahre junger als ich

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wie er darauf stante pede zum Kammerprasidenten ware ernannt worden, wodurch er dann Gelegenheit erhalten hatte, seine ganze Familie zu hohen Ehren zu bringen, und was dergleichen Torheiten mehr waren.Indessen liessen sich solche erhabne Gedanken nicht wohl mit seines

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sie sehr wohl fuhlen, dass ein blosser Stammbaum noch nicht beweiset, dass der Abkommling von sechzehn adelig gebornen Personen ein edler Mann und kein Tolpel sei, so suchen sie sich wirkliche Vorzuge des Geistes und Herzens zu erwerben und, durch Beforderung einer weisen Aufklarung und

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kirchlichen Zeremonien geschieht, die, besonders einem Protestanten, gar sonderbar mitzumachen vorkommen mussten, wenn die Menschen nicht einmal daran gewohnt waren, Spielereien Feierlichkeiten zu nennen und das Alte ehrwurdig zu finden, wenn auch gar kein Sinn darin liegt.Der

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Muster der europaischen Staaten, in seinem weitlauftigen Reiche gemacht und wunsche, noch mehr Europaer dahin zu ziehen, auch Bucher, Maschinen und andre Dinge, wovon das Verzeichnis hiebei erfolge, aus unserm Vaterlande zu erhalten. Er,

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Verfassung der europaischen Staaten zu reden und Sie unvermerkt zu demjenigen zu stimmen, was ich durchzusetzen mir vorgenommen habe. Wenn Ihr dabei leidlich grade auf dem Pferde hangen konnt (ich will Euch schon eine geduldige Mahre geben lassen),

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auch der grobeste Stoff, bearbeitet und veredelt worden und alle Form aufhort.Allgemein, uber den ganzen Erdboden verbreitet, kann eine solche Revolution nie sich erstrecken, hat nie sich so weit erstreckt, darf das auch

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die Erbschaften betreffend. Darin wurde unter andern ausgemacht, dass, wenn eine Familie aussturbe, ihre Besitzungen dem ganzen Staate anheimfallen sollten, und da es nicht gut moglich war, diese in unendlich kleine Stucke unter alle ubrigen Familien zu verteilen, so

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Eigentum zu betrachten, so konnte das ungefahr den Besitzer eines kleinen Stuckchen Landes unermesslich reich machen, indes der Eigentumer einer zehenmal so grossen Besitzung arm blieb, welches eine unnaturliche Verteilung des Vermogens zu sein schien. Noch fand man, dass Bergwerke viel Hande erfordern, folglich mancher unterirdische Schatz,

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's nicht ubel, wenn der andre den Wert der Ware nicht verstand, ihn zu uberlisten, zu betrugen. Treue und Wahrheit verschwanden.Die Begierde, Geld zu erwerben, gab indessen doch auch Gelegenheit zu Erfindung mancher nutzlichen Kunste.Die taglich zunehmende Vervielfaltigung der Verhaltnisse erforderte eine Menge neuer Gesetze. Je grosser die Zahl derselben wurde, desto mehr verloren sie von

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Staate alles geschehen, insofern sie nicht unmittelbar dabei verloren; viele traueten dem Fursten; auch hatte er ja noch kein Interesse dabei, schlecht zu handeln: allein die Sache war wichtig der Folgen wegen. Seine

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soviel Land gewann, als die Heere verwustet hatten; der Negus hielt ein grosses Fest, das den schon verarmten Untertanen den letzten Heller aus dem Beutel lockte, und fand nun Vergnugen daran, mehr dergleichen unschuldige Possen zu treiben.Einem

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, das wenigste, was man dadurch lernte; aber man gewanne auch neue Ideen, die unmerklich, mit den fremden Redensarten zugleich, zu uns ubergingen. Es ware, zum Beispiel, wohl der Muhe wert, mit philosophischem Scharfsinne genauer nachzuspuren,

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"und man dadurch nicht zuletzt so viel neue Seiten bekommt, dass man nicht mehr recht weiss, welche die rechte und eigne Seite ist, so lasse ich das Ding gelten. Doch das ist zu weitlaufig.

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er wahlte dabei die Methode, welche unsre neuern Padagogen so sehr anpreisen und wodurch man die Sprachen freilich weniger grundlich lernt, aber desto geschwinder und ohne Anstrengung einige Fertigkeit darin erlangt, namlich durch bestandiges Plaudern; und bald wurde, wie ich schon oben erzahlt habe,

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du Corps beiwohnen, zu welchem Endzwecke mir von besagtem meinem Vetter ein schoner Gaul, der auf drei von seinen Beinen noch so ziemlich flink war, zum Geschenke gemacht wurde. Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand dazu. Es ging mit der Reuterei besser, als ich gedacht hatte;

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Erhabenheit die kalten Tugendbilder wie geschmacklose Zwergfiguren aussehen; endlich, wenn man uns, statt naturlicher, menschlicher Szenen und interessanter Begebenheiten, hochst verwickelte, sich durchkreuzende, immer unerwartet sich auflosende Geschichten darstellt, so dass man zuletzt keinen Sinn mehr fur das

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aber ich denke, wenn sie erst ein wenig in Ubung kommen, so soll es schon besser gehen. In Deutschland kommen wohl recht viel Bucher heraus?ICH: Viel tausend jahrlich.

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mir zu reden. Fange nur gleich an!" Das tat ich denn und machte ihm ungefahr nachstehende Schilderung:"Unsre grossern deutschen Staaten werden mehrenteils nach menschlichen und gerechten Grundsatzen regiert; ein machtigrer Furst fuhlt lebhafter die Wichtigkeit seines Berufs, weiss, dass

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nun einmal allgemein angenommen sind, echte, der freien Menschheit zukommende Behaglichkeit verdrangen, so tritt doch an deren Stelle eine Art konventioneller Gluckseligkeit, und alles ist so kalkuliert, dass wenigstens jeder Stand diejenige kleine Portion von

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der Advokaten verhandelt werden. Uber die Beendigung der einfachsten Streitigkeiten, welche die gesunde Vernunft in zwei Minuten entscheiden konnte, verstreicht eine ganze Lebenszeit, und wenn unzahlige Riese Papier sind verschrieben worden, so haben beide Parteien mehr an Gerichtsgebuhren

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Mann uns vielleicht nicht wichtig genug ist; endlich, dass uns daran gelegen sein muss, eben ihn um so mehr zu unserm Anhanger zu machen, je furchtbarer er als

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Tafeln mit mehr Speisen und trinkt mehrere Arten von Wein; aber dagegen werden auch jahrlich mehr Garten und Weinberge angebaut, mehr Baume gepflanzt, mehr Wusten urbar gemacht. Die kleinen Bedurfnisse des Lebens vervielfaltigen sich, aber mit ihnen zugleich die Anstalten, sie in grossrer Zahl und

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als der eigentliche Hofnarr, indem dieser andre Leute zum besten zu haben pflegte, der Hofmarschall hingegen dadurch belustigte, dass er sich zum besten haben liess.Als nun die ganze Liste der Begleitenden aufgesetzt war, fand sich's, dass sie mehr als sechzig Personen ausmachten. Unter diesen waren ausser mir nur

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und dennoch bemerkt man einen feinen Ton in allen Gesellschaften; und dennoch gehen alle Geschafte ihren ordentlichen Gang; es herrscht keine Anarchie; die kleine Republik steht bei auswartigen Machten in hohem "Ansehen;

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doch auch dafur sorgen, dass gewisse naturliche Begriffe unter dem Haufen von konventionellen nicht ganzlich verlorengehen.Ich habe oben gesagt, dass wenige von unserer Gesellschaft Sinn fur kuhne, unverstellte Wahrheit hatten.

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Tatigkeit zu bringen. Ich hatte oft gehort, welche klagliche Rolle zuweilen die Furstensohne spielen, wenn sie unmittelbar aus der vaterlichen Residenz in die grosse Welt kommen und sich an fremden Hofen zeigen, welche lacherliche Pratensionen sie dann mit sich herumtragen und wie wenig Nutzen sie von ihren Reisen ziehen. Da

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, sehr geneigt seien, von einer Ubertreibung in die andre zu fallen; dass in der Erziehung durchaus keine allgemeine Vorschriften Platz haben konnen; dass also die Padagogik nie eine positive Wissenschaft werden konne; dass es jedermann freistehen musse, uber

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anzuwerben, nie aus den Augen verlor, so dachte ich, Leipzig sei zur Zeit der Messe grade der Ort, wo ich teils einige derselben personlich kennenlernen, teils von den Buchhandlern erfahren konnte, welche unter ihnen in vorzuglich grossem Rufe stunden. Die jungen reisenden Prinzen mussen, wie bekannt, daran Geschmack finden, was ihre Hofmeister wahlen; also

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, eine lange Silbe zu finden, da nimmt man statt dessen funf kurze oder macht auch nach Belieben zu kurzen Silben solche, in denen sechs rauhe Konsonanten, zwei doppelte M und dergleichen vorkommen. Was

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Journale, statt unparteiisch die herauskommenden Werke nach dem innern Gehalte zu beurteilen, den darin herrschenden bestimmten Begriffen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die schwankenden hingegen zu widerlegen, wenn sie, sage ich, statt dessen die Lieblingsmeinungen ihres Anfuhrers allgemein zu machen suchen und jedes Buch tadeln mussen, in welchem gegenteilige Satze vorgetragen werden; oder wenn nun gar, unter

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, so mussen Sie zwei Schiffe ausrusten. Die wenigen guten Geschichtsbucher, die wir seit kurzer Zeit gewonnen haben, einige philosophische, mathematische und kameralistische Aufsatze und die Schriften unsrer geschicktesten Arzte und

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. Kurzlich ware eine vortreffliche Sangerin, die aber zu reine Begriffe von ihrer Kunst gehabt hatte, um jenen verdorbnen Geschmack anzunehmen, in einer grossen Residenz angekommen; man hatte es ihr aber unmoglich gemacht, sich soviel Zuhorer zu verschaffen, als

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schwarzes Gesicht gar zu sehr gegen die Physiognomien der schonen jungen Leute, woraus des Landgrafen Armee bestand, abstechen wurde. Indessen fand sich ein Mittel, diesen letzten Einwurf zu heben; es hatte namlich der Landgraf beschlossen, bei seiner ersten Garde Mohren zu Trommelschlagern anzunehmen; da

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Gefolge ein grosses Haus. Hier lebten wir als reiche Privatleute, gaben oft grosse Schmausereien und hatten das Gluck, unsre Tafel immer von Gasten, besonders von Fremden, deren eine Menge dort wohnten, umringt zu sehen, unter welchen sich vorzuglich einige franzosische

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ihrer Macht steht zu geben und einzuraumen, auch wieder nehmen konnen; dass es also hochst wichtig und notig ist, sich Eigenschaften zu erwerben, die nicht von der willkurlichen Bestimmung des grossern Haufens abhangen, sondern deren Wert von jedem Erdensohne anerkannt werden muss.

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es nicht wohl moglich sei, seine Wasche u. dgl. genau zu taxieren, den Wert zehnmal hoher wurde angegeben haben, da dies doch nichts mehr kostete; und ware das geschehen, so musste sie nun mehr bezahlen, als gerecht ware. Diese ebenso unbillige als zwecklose Verordnung konne also nur

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Seiner Hoheit begreiflich zu machen, wozu eigentlich diese pedantische Posse dienen konnte; und als es ihm deutlich wurde, da konnte ich doch weder ihn noch einen von seinen Hofleuten bewegen, diese Farce mit sich spielen zu lassen, welche sie wirklich als ein

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waren, immer gesund und munter gewesen, den Kronprinzen ausgenommen, der sich, wie ich oben erzahlt habe, durch seine Ausschweifungen allerlei Ubel zuzog; dennoch aber fuhrten wir zwei Arzte in unseren Gefolge, nicht sowohl um uns ihrer Hulfe unterwegens zu bedienen, als vielmehr weil ich

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die Menschen sinnlich, durch sinnliche Mittel zu ruhren sind und fur hohere Eindrucke empfanglicher gemacht werden. Eine blosse Verstandesreligion, bei welcher gar nicht auf das Gefuhl Rucksicht genommen ware, wurde daher aller aussern Feierlichkeiten entbehren konnen. Sollen aber gottesdienstliche Gebrauche stattfinden,

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"und ich denke, er sollte nirgends Platz finden, wo man Billigkeit und gesunde Vernunft respektiert; allein", fugte ich hinzu, "es gabe noch wohl wichtigre Missbrauche in der Justizverfassung einzelner deutscher Staaten

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auffielen, ermuden; was ich davon erzahlt habe, das sollte ihnen nur zeigen, aus welchen sonderbaren Gesichtspunkten zuweilen die Leute, denen europaische Verfassungen fremd sind, dergleichen Gegenstande ansehen. Dass es ubrigens unbillig sein wurde, wenn man ihre verkehrten Meinungen auf

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durch Tirol dahin), eine auffallende Probe. Er hatte namlich in Kassel Bekanntschaft mit einer verbuhlten und rankevollen franzosischen Schauspielerin gemacht und diese wahrend der ganzen Zeit seines Aufenthalts in dieser Stadt unterhalten. Ich habe oben erzahlt, dass seine Hofleute, sobald sie merkten, dass er sich dergleichen Ausschweifungen ergabe,

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und von einheimischen Kunstlern hundertmal sein Antlitz auf Leinwand getragen und in Marmor gehauen zu sehen.Die schonen Kunste haben etwas sehr Verfuhrerisches; bald wurde im ganzen Reiche in allen Ecken gepinselt, gefiddelt, geleiert, gedichtet, und wer auch uber diese angenehmen Zeitvertreibe nicht jede burgerliche und hausliche

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Weichlichen, verzartelten Menschen, mit ausserst reizbaren Nerven und dabei gewohnt an Uppigkeit und Wohlleben und sinnlichen Kitzel, deren Phantasie immer mit der gesunden Vernunft davonlief und die dabei jede dauernde Anstrengung flohen, solchen Menschen war freilich ein System

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das uberlasse ich dem geneigten Leser zu entscheiden.Eilftes KapitelFortsetzung des vorigenIch habe eben gesagt, dass der alte Negus taglich toleranter und aufgeklarter geworden ware; doch darf ich nicht behaupten, diese Vervollkommnung sei das Werk

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ob auch wohl ein gesunder Begriff in dem allen liege; und beobachten wir mit philosophischem Auge, auf welche Weise, mitten in aufgeklarten Zeiten, gewisse Betruger sich grossen Anhang zu verschaffen wissen, so werden wir finden, worauf die Kunst dieser Leute beruht; sie wissen, dass,

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Unsinn zu behaupten, der anfangs verlacht, nachher ubersehen, dann geduldet, hierauf verteidigt wird und endlich Martyrer findet, sie doch zuletzt ihren Zweck erreichen und dass, wenn es erst soweit ist, dann wenig Leute den Mut haben, sich allgemeinen Meinungen zu widersetzen. Diese Bemerkung konnten sich, wie ich glaube, diejenigen zu Nutzen machen, welchen es darum zu tun ist, edle, grosse und nutzliche

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Dies alles wohluberlegt, so darf man sich daruber nicht wundern, dass in kurzer Zeit die Wut zu geheimen Bundnissen in Abyssinien sehr hoch stieg und dass deren eine Menge von allerlei Art errichtet wurde.Solange die ersten Stifter noch

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elenden Grenzstreitigkeit wegen seinen Anfang genommen; beide Monarchen wurden von schelmischen Lieblingen regiert, die voraussahen, dass sie dabei im truben fischen konnten, und daher das Feuer anbliesen, das ausser dem leicht zu dampfen gewesen ware. Man verwarf also von beiden Seiten alle

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zur Firma schadlicher Zwecke dient, ich mochte doch wunschen, dass diese Leute recht wohl kalkulierten, ob es besser getan sei, bei ausgemacht todlichen und ansteckenden Krankheiten der Natur alles zu uberlassen oder Mittel zu wahlen, unter denen, wenn sie auch ein wenig gewagt sind, doch wohl eines anschlagen kann und woran wenigstens kein einziger stirbt,

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waren, dergleichen Unfug als verderblich, unglucklich und unerlaubt darzustellen, so machten doch diese Erzahlungen dem abyssinischen Volke die Wahrheit einleuchtend, dass tausend vereinigte Menschen starker sind als ein einziger und dass jene sich nur so lange von diesem misshandeln zu lassen brauchen, als es ihnen beliebt. Diese

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an diesen afrikanischen Begebenheiten spiegeln mochten, um bessere Massregeln zu nehmen, als damals der Negus nahm. Ein ganzes Volk ist nicht so leicht zum Aufruhre geneigt, als man gewohnlich glaubt. Jeder einzelne liebt seine Ruhe, bauet, bei Revolutionen, nicht so ganz fest auf

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dem Throne uberlassen, auf welchem sich's wahrlich nicht so weich und ruhig sitzen liesse, als wohl mancher glaubte. Wollten sie aber fernerhin Zutrauen zu ihm fassen, so sei er bereit, allen billigen Beschwerden abzuhelfen und, gemeinschaftlich mit den Reprasentanten, Grundsatze zu bestimmen, nach

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die Fursten weise genug sein wollten, einzusehen, dass sie sichrer und unumschrankter ein Volk regieren konnen, das sich fur frei halt, sich selber zu regieren glaubt, als einen Haufen immer unzufriedner, immer murrender Sklaven, denen man nie Rechenschaft gibt, sie

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Kriegsheere zu begeben und alles anzuwenden, das unruhige Volk zufriedenzustellen, indem er die Bedingungen ganzlich seiner Klugheit und Grossmut uberliess. Der Konig selbst hatte sich indes nebst seinem Hofstaate nach einer Festung fuhren lassen, wo er wenigstens vor den kleinen wilden Haufen,

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und sehr republikanisch gesinnte Leute hingegen wollten dies teils nur unter gewissen Einschrankungen zugeben, teils durchaus nichts von Herrschaft eines einzigen horen. Indessen war die Armee gross, und es liess sich voraussetzen, dass,

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Heers zu stellen, davon der grosste Teil ihm schon ergeben war und wovon er den Rest leicht durch seine Leutseligkeit und edle Beredsamkeit gewinnen wurde; allein er wollte sich durchaus nicht dazu entschliessen, bis endlich die Generale zu ihm gekommen waren und

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Einsichten seines eignen beschrankten Kopfs und nach den Gefuhlen seines leicht irrezufuhrenden Herzens lenken und, ohne fremden Beirat, unumschrankt beherrschen zu wollen! Ihm sei daher schon der Gedanke einer willkurlichen Alleinherrschaft unertraglich. Nur nach bestimmten, mit reifer Uberlegung verfassten Gesetzen mussten vernunftige Wesen

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. Jeder volljahrige Mensch sei kultiviert genug, um uber das zu urteilen, was er tun oder lassen musse, oder vielmehr, es sei ungerecht, verlangen zu wollen,

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Menschen im naturlichen, rohen, wilden Zustande besteht darin, dass jeder einzelne alle seine Handlungen willkurlich einrichten, tun darf, was ihm beliebt und wozu er Krafte hat, und nehmen, was

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einem oder mehrern verstattet, von einem oder mehrern genommen wird, andern willkurlich vorzuschreiben, was sie in einzelnen Fallen tun oder unterlassen sollen; die Gewalt einer vernunftigen Staatsverfassung hingegen beruht auf der Befugnis des ganzen Korps der

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der Stimmen entscheiden. Die weiseste Meinung ist nun aber freilich nicht immer die Meinung des grossern Haufens; allein jeder kann sich fur den Weisesten halten; und wer darf dann entscheiden? Es bleibt daher kein anderes Mittel ubrig, als die Meinung der mehrsten fur die beste Meinung zu halten; und am Ende muss es ja auch von dem grossten Haufen abhangen, unweise Gesetze zu geben, wenn er nun einmal keine andre haben will, weil der grossere Haufen der starkste Teil ist

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der Gesetzgebung darauf Rucksicht nehme, sowenig als moglich die naturliche Freiheit einzuschranken, sich untereinander keinen unnutzen oder gar schadlich werdenden Zwang aufzulegen. Es werden daher bei unsrer Legislation eine Menge kleiner Verordnungen wegfallen, die bei andern Volkern ganze Bande fullen.

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einem Uhrwerke bewirkt, namlich alle ubrigen, nach gewissen Regeln fortlaufenden Rader und Walzen die erste Bewegung zu geben. Je einfacher dies erste Ressort ist, desto weniger Verwirrung wird zu besorgen sein; nach dieser Analogie halte ich es fur besser, dass eine als dass mehrere Personen die mechanischen Bewegungen des

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den jetzt lebenden Edelleuten werden murren und schreien, besonders die letztern, daruber, dass man ihnen das einzige nimmt, was sie noch ein wenig emporheben konnte aber denen geschieht schon recht.Dass

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Kinder am mehrsten gestraft sein wurden.Ehescheidungen konnen statthaben, wenn entweder beide Teile es verlangen oder wenn nur der eine Teil darum anhalt. In beiden Fallen wird die Klage nicht eher angenommen, als nachdem Mann und Frau drei Jahre lang miteinander gelebt haben,

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. Er glaubt nie genug zu haben; er hofft hundert Jahre zu leben und zittert nur davor, dass es ihm noch einst am Notwendigsten fehlen konnte. Aber der Sohn des reichen Mannes wird nun nicht mehr die Nase so hoch tragen gegen armere bessere Menschen; er wird nicht, voll Zuversicht auf

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die ihm einst sichern Unterhalt und Wohlstand versprechen konnen. Freilich aber wurde eine neue gleiche Verteilung der Glucksguter in einem schon errichteten Staate schwer zustande zu bringen sein ich sage schwer, denn unmoglich ist sie ganz gewiss nicht. Lasset uns daher eine Mittelstrasse wahlen! Jedoch muss ich nochmals erinnern, dass alle meine Vorschlage mehr auf eine ganzlich neu zu grundende

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Bedienung zu unterhalten. Man setzt also voraus, dass ein gewohnliches burgerliches Gewerbe ungefahr soviel als eine gemeine Landportion eintragen, folglich ausser den Personen, die zur Familie gehoren, noch zwei Gehulfen, mannlichen oder weiblichen Geschlechts, ernahren konne; halt nun ein Stadteinwohner mehr als diese,

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zu der neuen Lebensart die notigen Kenntnisse habe und nicht etwa bloss ein schlechter Wirt sei, der, nachdem das, womit ihn der Staat ausgestattet hatte, verzehrt ist, nun aufs neue darauflos zehren will.

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den vorhin beschriebnen Werkhausern, mussen grobere Arbeit verrichten, werden genauer beobachtet, aber doch keineswegs strenger behandelt.Die Arbeitshauser der dritten Gattung sind fur Verbrecher bestimmt. Sie sind die eigentlichen Gefangnisse.

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durch die darin verfertigten Arbeiten, mehr oder wenigstens ebensoviel Vorteil zieht, als die Unterhaltung derselben kostet; Hospitaler und Tollhauser hingegen erfordern mehr Aufwand; doch muss fur diejenigen, welche Vermogen haben und darin aufgenommen werden wollen, eine bestimmte Summe eins fur alles in den offentlichen Schatz niedergelegt

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ist sehr begreiflich, dass dies Gesetz leicht zu tauschen sein wurde; allein sollen wir denn gar nichts auf den Erfolg der bessern moralischen Bildung unsrer Burger und darauf rechnen, dass sie nicht geneigt sein werden,

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laut und offentlich ihre Meinung uber diese ihnen wichtige Dinge zu sagen und zu schreiben, weil uberhaupt Worte keinem Zwange unterworfen sind. Was endlich die religiosen und gottesdienstlichen Gebrauche betrifft, so darf sich der Staat nur insofern dareinmischen, als sie die befohlnen Handlungen hindern und die verbotnen befordern konnten, zum Beispiel, wenn sie anstossig, unsittlich

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dunkler sich durchkreuzender Gesetze haben und unsre Staatsverfassung nicht Gelegenheit zu mannigfaltigen, verwickelten Streitfragen und Handeln gibt, die Hauptfalle aber sehr klar in den Gesetzen bestimmt sind, so kommt weniger darauf an, dass unsre Richter sehr

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.Strafen konnen nur dreierlei Zweck haben: entweder das verubte Unrecht wieder gutzumachen und den dadurch erlittnen Verlust zu ersetzen oder die Verbrecher zu bessern oder, endlich, bose Menschen ausserstand zu setzen, die burgerliche Ruhe ferner zu storen (jedoch nur durch

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Verlust nicht ersetzt wird; weil der Staat nichts nehmen darf, was er weder geben noch zusichern kann; weil es andre Mittel gibt, einen Verbrecher ausserstand zu setzen, ferner zu schaden; endlich, weil Strafe nie Rache werden

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und was dahin gehort, werden die besten Vorkehrungen getroffen.In unserm Staate wird niemand geduldet, der nicht irgendein burgerliches Geschaft treibt und zu treiben versteht, womit sich Unterhalt erwerben lasst; eine bloss verzehrende Klasse kennen wir nicht. Ob er ubrigens in diesem Berufe sehr fleissig sei oder ob er nicht mehr Zeit auf Nebendinge, mit denen er sich lieber beschaftigt, verwendet, darum kann sich die Regierung nicht genau bekummern; auch

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das aus zwolf Kompanien, drei zu zweihundert und neun zu hundert Mann, besteht. In jedem der drei grossen und neun kleinen Dorfer liegt eine dieser zwolf Kompanien,

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aus den vier Stadten stossen und mit jenen gemeinschaftlich allerlei Kriegsevolutionen machen.Wir halten es nicht fur zweckmassig, in unsern eigentlichen Schulen den Kindern Anweisung in korperlichen Ubungen geben zu lassen. Bis

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, dass unsre Mitburger ihre uberflussigen Produkte und diejenigen Waren und Fabrikate, deren man im Laufe nicht bedarf, an fremde Nationen verkaufen.Es steht also jedermann frei, einen uneingeschrankten Handel in und ausser Lande zu treiben und jedes Landesprodukt aus dem abyssinischen Reiche auszufuhren.

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sein Herz passt, bauen wird. Mathematische, physikalische und alle dahin einschlagende Wissenschaften werden taglich durch neue Entdeckungen bereichert und werden am besten aus den altern und neuern Schriften, verbunden mit eignen Versuchen,

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ist, mehr zu lernen und dies grundlich zu lernen, wird leicht einen Gelehrten bereit finden, ihn als Schuler, vielleicht auch als Kostganger, auf gewisse Jahre anzunehmen. Er wird dann gewiss von einem solchen praktischen Gelehrten, mit geringerm Aufwande, in kurzerer Zeit weiter gefuhrt werden,

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Nebenstucken zu durchkreuzen, zu widersprechen scheinen, wie manches wohl vorerst noch ganz unausfuhrbar ist, das wird euch freilich leicht in die Augen fallen. Allein lasset euch dadurch nicht abschrecken, den

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bisschen wehe tat, ein Reich verlassen zu mussen, in welchem, nachdem wir so manche unangenehme und unruhige Szenen darin erlebt hatten, wir nun erst recht gluckliche und heitre Tage zu sehen hofften; doch erwachte auch in unsern Herzen die Vaterlandsliebe, und das grossmutige Versprechen des Prinzen, uns reichlich zu beschenken, eroffnete

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wir sind ja weit genug von der Welt entfernt, die die scharfe Granzlinie zwischen Furst und gemeinen Mann gezogen hat, welche eigentlich nur zwischen den guten und bosen Menschen statt finden sollte!

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einmal zu betrachten, die er des vorigen Abends fur Jonathan und David gehalten hatte. Es ward hinlanglich von dem einfallenden Mondstrahl beleuchtet, um ihm in dem letzten die volle Aehnlichkeit Alfs von Dulmen zu zeigen, so wie er ihn eben im Traum gesehen hatte;

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, ihn annehmen sollen? Die sichtbare und die unsichtbare Obergewalt im deutschen Reiche konnen und durfen nie in einer Person vereinigt seyn, ich hatte die letzte aufgeben mussen, um die andre zu behaupten, und

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ihr doch vielleicht wahnen konntet, wir mochten mit unserm Vorwort (dass wir unserer Stimme keinen hoheren Namen geben) auf unsern Mundel, den jungen Konig von Sicilien fallen, dessen wir als Vormund uns anzunehmen, vielleicht gehalten seyn mochten; doch fern sey es

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Verbindung zu gewinnen, als er sich mir als bereits einen der unsern bekannt machte, als einen, der, nachdem was er wusste, schon eine hohe Stufe in dem unsichtbaren Reiche erstiegen hatte. Ich kannte ihn nicht; wie war es moglich, alle

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ungluckliche Alix erstrecken! aber es scheint, man muss in euren Bund gehoren, um eure Hulfe vollkommen zu geniessen, und der schwachere und am meisten hulfsbedurftige Theil des menschlichen Geschlechts, wird sich also immer eurer Macht am wenigsten zu getrosten haben.Lebt wohl, edler Pfalzgraf. Die Warnungen, wegen eurer Verlobten,

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ihre Reize nie fur machtig genug, eine Leidenschaft, wie die seinige, zu erregen, sie war zu bescheiden, so etwas nur zu denken, zu fromm, es zu wunschen, sie kummerte sich wenig um irdische Liebe, da ihr Sinn mit himmlischen Dingen erfullt war; es dauerte lang, ehe

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von ihm losreissen konnte, verfehlt seine Wurkung, und bringt das Gegentheil hervor, sein wildes rastloses Wesen anstatt mich zu schrecken, erregt meine Aufmerksamkeit, gewisse geheime Verbindungen mit einer unbekannten furchtbaren Macht, die man ihm schuld giebt, erregen statt scheuer Furcht

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, an fremde zu denken. Gleichwohl ward dieses zufallige Stillschweigen uber eine dem Ansehen nach ganz gleichgultige Sache, der Grund meines ganzen unubersehbaren Unglucks. O! wer kannte die feinen Faden, welche das zarte Gewebe unsers Schicksals ausmachen, hinlanglich, um

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ein, sobald mir auf der letzten Poststation zu K e h l vier Rappen vorgespannt wurden, aus denen dieselbe Empfindung zu wiehern schien.Dieser kleine Ort steht diesseits und jenseits des Rheins in einem etwas zweideutigen Rufe, der ihm ubrigens gleich einer hubschen

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. Die guten Leute wissen jede Einwendung, die wir etwa dagegen merken lassen, so geschwind zu entkraften, glauben, dass jedes menschliche Auge so geformt sei, wie das ihrige, und konnen nicht begreifen, wie

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Beruhigung so leicht gelungen seyn mag, als das gefahrliche Mittel, das sie einschlug, will ich nicht mit Gewissheit behaupten, und es noch weit weniger mit dem allgebietenden Leibnitz in Schutz nehmen. Mich gemein denkenden Mann brachte schon die Erinnerung dieser Geschichte ganz aus meiner glucklichen Stimmnug,

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und das ganze Sujet ist unter der tragischen Wurde. Indess dergleichen Missgeburten gehoren ja zur herrschenden Mode! Vor vielen Jahren wurde es sogar m der Hauptstadt aufgefuhrt Doch das beweis't freilich nichts fur

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den Weg geben lasst. In unserm traurigen Lande, lieber Eduard, wird man sich selten den Zeitvertreib verschaffen konnen, auf einem so kleinen Umkreise so viel frohliche Gesichter beisammen zu sehen. In dieser Rucksicht halte ich die

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mir aus lauter Gutherzigkeit zugefuhrt! Fur wie alt muss mich Mein ehrlicher Wirth halten, wenn er glaubt, dass diess nichts zu bedeuten habe?Ich habe hieruber schon die erste Viertelstunde ihres Hierseyns eine missliche Erfahrung gemacht. Ich glaubte etwas recht kluges zu thun, setzte mich mit einem philosophischen Auge den

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die der ganzen Gesellschaft gemeinschaftliche Stube. Es ist der gutherzigste, naturlich gesittetste Mensch, den ich vielleicht aus Berlin hatte mitnehmen konnen; und es freut mich recht, dass ich noch in dem zehnten Jahre, da er mir dient, seine Bekanntschaft gemacht habe.Das mag wohl oft der Fall in unserm Stande und noch weit mehr in der

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, eine neue Oper von Naumann auffuhren, oder durch ein andres Kunstwerk die Natur verhunzen gesehen: aber dafur sah ich, und weit deutlicher, als es nicht leicht ein Hofmann zu sehen bekommt, alle Federn eines geruhrten weiblichen Herzens im Spiele; die schonste Pantomime,

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von den besten Menschen ware, die ich jemals gekannt habe. Diese Betrachtung macht mir ihn feierlich. Ich darf mir meine innere Bewegung nicht merken lassen was wurde es nutzen?Sie setzen ohne Argwohn voraus, dass ich diesen Abend wenigstens noch mit

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bei Gelegenheit unsern Kant damit in die Enge zu treiben. Das Buch selbst findet sich ja wohl in der koniglichen Bibliothek, oder doch gewiss bei einem unserer Konsistorialen; und da ohnehin uber dieses belehrende Gesprach der Mittag unvermerkt herbei geruckt war, so begnugte ich mich um so viel eher mit dieser

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mir so verdachtig schien.Dass man doch, der vielen Erfahrungen ungeachtet, sich durch den aussern Anschein noch immer so leicht zu ubereilten Urtheilen verleiten lasst! Es macht der menschlichen Vernunft wirklich wenig Ehre.

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gern sein einzelnes Leben daran setzen, wenn er hoffen darf, dadurch ein allgemeines Wohlbehagen zu befordern, auf unzahlige Geschlechter Freude und Genuss zu verbreiten; wenn er hoffen darf, dass eine Schaar empfindsamer Geschopfe sich

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ihre Morgenbesuche anfangen seltener zu werden wenn sie gar aufhoren alsdann," setzte der schlaue Kirchner leiser hinzu, "weiss ich auch eben so gewiss, was die Glocke geschlagen hat. Sie begreifen nun doch, wie einzig in ihrer

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der Stimmen gewiss zu seyn, noch andere herbei, die auch, mehr oder weniger, den guten Grunden jenes grossen Kasuisten beitraten, wovon ich Dir besonders einen gewissen Thomas Tambourin nennen und empfehlen will, der mir wirklich vielen Spass gemacht hat. Hier hast Du den

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vollige Abtretung bieten soll. Die kleine Narrin hat sich da sowohl als mich in eine Verlegenheit gebracht, aus der ich wahrlich nicht einsehe, wie wir uns ziehen wollen. Alles das ging mir eine lange Weile durch den Kopf. Endlich glaubte ich einen Ausweg wahrzunehmen, und blieb dabei stehen."

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eigenem Instinkt darauf gefallen ist. Das sage ich Ihnen offenherzig; ob ich gleich mit einiger Wehmuth voraus sehe, dass, so lange solche in ihrer Kraft bestehen, wir nimmermehr bis an die lieblichen Indulgenzen des Papstes gelangen konnen. Doch das ist jetzt mehr Ihre Sache als die meinige, da ich Ihnen ganz uberlasse, Sich den heiligen Kniegurtel eigen zu machen,

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die Sie eigentlich Auskunft nothig haben? In einer grossen Bibliothek ist das beinahe nothwendig; denn sonst kann man sich darin verlieren, um nicht wieder heraus zu kommen. So viel ich mich erinnere, sind Sie erstlich wegen des schonen, mir

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, wie gesagt, desswegen hatten Sie nicht gebraucht, erst in eine Bibliothek zu gehen Ich wurde eben so gut im Stande gewesen seyn, Ihnen hieruber Auskunft zu geben, wenn Sie, kleine Misstrauische, mir nicht Ihre Ohren verstopft hatten."

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die Frage schon deutlicher aus einander gesetzt finden, wenn Escobar, wie wir bald sehen wollen, richtig citiert hat. Horchen Sie recht auf: On n'appelle pas occasion prochaine celle, ou l'on

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weiter zu unterhalten. Ich that sehr wohl daran, und Escobar kann es mir wahrlich nicht ubel nehmen; denn ich hatte noch gar nicht lange in der Somme de peches seines Kollegen gestort, so fand ich unvermuthet eine der grossten Bedenklichkeiten meiner kleinen Unschuldigen so deutlich entwickelt, und

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: Lorsqu'une fille qui est en la puissance de son pere et de sa mere se laisse .

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Sache, mehr als Einmal nicht anwendbar ist, so ist das darauf folgende aussi bien que de son corps nichts weniger als uberflussig, dont elle peut, faire ce que bon lui semble,

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Du Dir etwa einfallen liessest an der Aechtheit meiner Urkunde zu zweifeln, schon das ihrige beitragen, Dich eines bessern zu uberzeugen. Ich wurde erst in dem Augenblicke mit ihrer Entdeckung uberrascht, und aufs neue fortzulesen ermuntert,

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auf das vollkommenste ubereintraf. Si ille hoc fecit, sprach ich langsam und ernst, qui templa concutit sonitu Ego homuncio hoc non facerem? ego vero illud feci ac lubens.17Wie

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mit Klarchen annehmen, und ihn, auf den geringsten Widerspruch, nicht allein fur unschuldig, sondern selbst fur verdienstlich erklaren. Wer wollte aber einer so einfachen Wahrheit wegen einen grossen Dialektiker in Unkosten setzen? Sie spricht ja laut genug fur sich

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Dich noch besser davon uberzeugen; denn diese Vorbetrachtungen, so anziehend sie auch mir seyn mogen, da ich das Ende weiss, sollen Dir nicht langer die Geschichte selbst vorenthalten, zu deren genauer Darstellung mich mein Versprechen verbindet.Ich trat, Du weisst in welcher

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so fest steht, mochte nur locker werden, wenn Sie daran kunsteln und nach Beweisen forschen wollten, die ihn noch mehr bestatigen. Ich habe denen, die meinem Rathe folgen aber auch leider habe ich derjenigen von Ihren Gespielinnen nichts weiter zu sagen, die, ungeachtet meiner redlichen Zurechtweisung, es dennoch wagen kann,

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doch uber lang oder kurz an das Ruder eines Staats bringen. Zufallig konnte es ja wohl eins seyn, das aus seinem naturlichen Schwung, und bloss aus der Ursache gekommen ware, weil

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durch einen neuen Tragbalken vor seinem Einsturze gesichert sei zu ihrem Fensterladen eine brennende Laterne aushangt. Sie konnen wohl denken, mein Herr, wie der allgemeine unertragliche Larmen beiderlei Geschlechts, den die Gauklerin so gewiss wieder als die vorigen beiden Male, wo es meine eigenen Ohren empfanden, in der Residenz veranlassen wird, manchen ehrlichen Mann, den nicht etwa selbst die Umarmung einer Geliebten munter erhalt, in dem Schlafe storen muss. Unbegreiflich ist es daher gar nicht, warum sie in

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vom Sturm ergriffen, sich endlich glucklich an ein lachendes Eiland getrieben sieht. Er uberlasst sich zuerst dem entzuckenden Gefuhle seiner Rettung, er gedenkt nicht mehr der Wellen, die ihn dahin schaukelten, und mochte sich lieber schamen,

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Er musse sich, fahrt er fort, in Erstaunen verlieren, wenn er, die lange Reihe seiner Ahnen herunter an alle die, bekannter Massen so reizenden unschuldigen erhabenen und hochst vortrefflichen Furstinnen dachte,

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dieser Kapelle verdienen mussen. Nichts hatte sie wahrscheinlich dabei aufrecht erhalten und trosten konnen, als der Gedanke an das allgemeine Beste, dessen Erhaltung allein dieser Tempel geweiht sei. Freilich, setzt er hinzu, ware es auch wohl das erste Gesetz jedes

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mit diesem albernen Geschwatze anfangen? Aber so geht es, wenn ein Narr einen grossen Dichter nachahmen will. Weil sein Petrarch immer und ewig ihm unverstandlich seyn wird, so denkt der Tropf, glaube ich, Laurens Schatten mochte es ubel nehmen, wenn ihr Wachter sich deutlicher ausdruckte. Den Augenblick gehe zu ihm, und sage ihm zur

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ist! anstatt finsterer Beweise fur die Zukunft, zieht er viel eher angenehme Fehlschlusse auf bessere Zeiten daraus, und das Gefuhl eines wirklich erlebten glucklichen Tags macht ihm die Moglichkeit vieler kunftigen nur gar zu wahrscheinlich. Gluckliche

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, keinen ausgenommen, auf die Verabschiedung und Trennung unserer Truppe zusammen stimmten, und uns mit dem kurzen Bescheid entliessen, nie wieder mit lebendigen Personen zu spielen. Wir schlichen belastet von unserm Unglukke nach Hause, dem Sturme entgegen, der jetzt unter unserer Gesellschaft entstand,

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wenn wir eben aus einem Koncerte gekommen sind. Hatte ich mich gehen gelassen, ich mochte wohl wissen was morgen aus mir geworden ware! Zu meinem grossen Glucke hatte ich, wahrend meiner aussern und innern Thatigkeit,

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14 Il est permis d'user des termes ambigus en les faisant entendre en un autre sens qu'on ne les entend soi-meme. On peut jurer qu'on n'a pas faite une chose, quoiqu'on l'ait faite effectivement, en entendant en soi-meme, qu'on ne l'a pas faite un certain jour, ou avant qu'on fut ne. Cela est fort commode en beaucoup de rencontres et est toujours tres juste, quand cela est necessaire pour la sante, l'honneur ou le bien.

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der im gemeinen Leben von einem ernsthaften und festen Charakter war. 26 Fleury imagina de lui faire voir des peintures lademoiselle R. dont le talent etoit connu pour peindre de belles nudites,

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des desseins de la nature en action. On alla plus loin; on chercha les sculptures les plus obscenes, pour qu'il put les palper et les voir dans tous les sens, et qu'il ne fut point entrepris, lorsque la princesse polonoise, aussi neuve et aussi modeste que lui, seroit arrivee. Douze tableaux, dessines et peints par l'habile peintre de graces, et representant les amours des patriarches, furent donc places dans un lieu ou la curiosite pouvoit engager le prince dans un moment de solitude, a y jeter les yeux. On representoit dans le premier numero

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nein! wahrlich ich kann mich nicht eines Gedankens erwehren, den mir mein guten Genius gewiss nicht umsonst so warm an das Herz legt. Bei der kleinen Margot ward er schon einmal ziemlich laut bei mir aber Du weisst, wie fluchtig er damals und wie wenig uberdacht er war. Hier aber finde ich ungleich mehr Ursachen ihm

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auch das letzte, worauf ein Mann zu sehen hat, der seinen wahren Vortheil versteht. Ihre aberglaubische und schwarmerische Religion o die war ihr wahrend ihres Jungfrauenstandes recht nutzlich, und nach der Trauung, denke ich, will ich sie ihr schon mit guter Art aus dem Kopfe bringen. An die heiligen Steine mag sie meinetwegen noch eine Weile glauben die sollen mich an

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und das erste Blatt meines neuen Kalenders gewaltig beschmutzt hat.Meine einzige, zwar immer leidige Trostung ist, dass es wohl keinen in der Welt giebt, worin von den zwei und funfzig Wochen die er enthalt, nicht Eine wenigstens, so gut wie die meinige, verdienen sollte ausgestrichen

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Stock zuruck gezogen, und meine Bedienten umringt haben, die sich immer, wie ich von weitem hore, einander unterbrechen, um mit dem ehrwurdigen Ansehn ihres Herrn gross zu thun; jetzt konnte ich nun ruhig und lachelnd in das

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Dir, lieber Eduard, mit meinem letzten Federstriche zu Avignon gab, nicht mehr als wie billig, munter erhielt. So hore mich denn eben so munter an, und hore noch die letzten Merkwurdigkeiten meines heutigen grossen Tages, unter welchen ich glucklich bis an das Tintenfass gekommen bin,

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durch Montpellier komme, noch an, so konnten wir wohl gar unsere Nachhausereise zusammen machen. Nicht dass ich etwa wunschte, noch mehr von unserer Nachbarin zu erfahren von der weiss ich in dieser Zeitlichkeit nun genug. Nein! ich wunschte es bloss, weil

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Voraltern entgelten lassen. Mag es noch so gewiss seyn, dass Ihre geheiligte Person durch eben die kleinen Hulfsmittel an uns zum Ritter ward, die Sie jetzt in unsern profanen Handen fur verdachtig und strafwurdig erklaren so

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; so setzte ich doch, wie Du weisst, gewisse Bedingungen voraus, unter denen sie allein von Nutzen seyn konne; und diese fielen freilich ganz bei meinem guten Bastian weg. Es ward ihm unglaublich schwer, sich von der schonen Waare zu

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La Mecque etoit auparavant occupee par AbuGabshan, qui eut la simplicite de s'en defaire pour une bouteille de vin, dans un malheureux moment ou il se trouva d'

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Il voulut ensuite se relever d'un marche si prejudiciable et fut appuye par les gens de sa tribu, mais et lui et eux furent chasses de la Mecque par Cosa, ayeul de Mahomet. vid. Prideaux Vie de Mahomet.

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um so gefahrlicher ist, als sie allgemein fur eine erhohte Gesundheit gilt, und um desswillen unheilbar bleibt, weil der Kranke den einzigen Arzt, der ihm helfen konnte, zum Hause hinaus wirft, so oft er sich ihm nahert. Warum gehe ich so um den Brei herum? Das

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ist meine treue Freundin und Hausgenossin, und heisst Natur.Du hast viele gebildete Menschen Virtuosen in den schonen Kunsten gesehen, lieber August; aber sahst Du wohl je einen von ihnen, der glucklicher dadurch gewesen ware, als

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schmeckte ja ich trieb meine Freigebigkeit so weit, dass ich ihm sogar mich selbst auf den ganzen Nachmittag preis gab, und nicht allein seine Geschichte, die mir immer noch anziehend genug den gewohnlichen Streit der Armuth mit der Ungeschicklichkeit darstellte, sondern

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"das nennen Sie nach der Natur gemalt? Wollte Gott, es ware wahr, nur halb wahr! Ich gabe gleich aus meinem Beutel tausend Guineen schon allein fur den Untergang Ihres einzigen Hauptschiffs

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an den widrigen Bastiden bemerkte ich nicht die kleinste Veranderung; sie blickten aus ihrer hohen, Ferne noch immer so albern, so vornehm, so versteinert herunter, wie vormals. In jedem kleinen Matrosengartchen hingegen, uber dessen Schilfzaun ich wegsehen konnte, jagten schon halb nackende Kinder unter

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. Ich fuhlte, dass ich der glucklichste Mensch sei, den dieser Felsen wohl seit seiner Erschaffung getragen; aber ich war nicht vermogend, es auszudrucken ich konnte aus beiden Sprachen nur Ausrufungen der Freude zusammen bringen, meine

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in dem geistigen Tauschhandel wie in dem burgerlichen, dass zufallig die vornehmsten Handler en gros einander aus dem Wege fahren, und daruber den kleinen Kramern gut Spiel geben. Ich gewann offenbar durch

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die man viele Blatter voraus sieht. Wird nicht oft der kleinste Garten durch eine verstandige Benutzung seiner geringen Flache unendlich erweitert, und durch schlangelnde Nebenwege nach verschiedenen Aussichten so in die Lange gezogen, dass sich eine so susse Ermudung darin erholen lasst, als in den grossten Anlagen? Warum sollten wir denn nicht auf gleiche Art Mannigfaltigkeit

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, so wenig sie auch Schmeichelhaftes fur mich enthalt, so bleibt mir doch keine andre ubrig. Der Unbekannte, stelle ich mir vor, mochte es wohl nach seiner Eigenheit eben so sehr fur Pflicht halten, so lange ich krank lag, mir

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Arsenals ungeduldig erwartete. Er konnte nicht begreifen, wie ich zwei volle Stunden an die hassliche Galeere habe verschwenden, und sie den Schaustukken entziehen mogen, die ich ja jetzt nur im Flug wurde betrachten konnen. Da sein Zeitvertreib ungleich mehr als der

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War ihr weiss gemacht, dass ich ein Litterator sei, oder glaubte sie es meiner listigen Miene anzusehen; genug, ich hatte noch nicht drei Loffel von der Suppe genossen, als ich schon mit ihren zwei vorzuglichsten Lieblingen des

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mit einer dogmatischen Miene, die ihr nicht so ganz ubel anstand, "nichts gut sei, was nicht um es kurz zu sagen gerade zum Ziel fuhrt. Alle unsere physischen und moralischen Handlungen standen langst unter dieser Regel: aber erst seit ihm

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deinem Landsmann hast ausloschen helfen, unser schuld- und straffreies Thal erreichen. Dort wird es dir hoffentlich eher behagen, die reichhaltige Geschichte des verlaufenen Tags in eigene stille Betrachtung zu ziehen, als umringt von Fragern

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. Peus-tu croire qu'il a meme soupe avec moi? Oui, oui! mon reverend pere, sans qu'il ait8 touche a ton plat favori. En es-tu content? Il est reparti pour Versailles. Que Dieu le conduisse. J'espere chasser de ma chambre la peste de son haleine par l'encens que tu m'offriras.

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Madame, vous venez de solliciter vos juges contre moi, je consens que vous gagniez votre proces, si le roi a assez de credit pour cela. Anna ware so aufgebracht daruber, dass

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abgedankten Liebhaber erfunden, mit dem man nicht mehr weiss was man reden soll. Schon in einigen vorhergehenden Missiven vermisse ich das Herzliche der vorigen Zeit, so dass ich wohl begreife, warum allein der dritte Sohn Philipp,

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La reine, schliesst sich diese drei Seiten lange Urkunde, vous loue d'avoir brule nos lettres. Faites de meme avec celle-ci. Que rien ne reste apres nous de tout ce qui a trait a ce

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a Marly le 21. Febr. 1609. il recut l'habit de Religion le 19. May 1631. age de 22 ans. On lui changea son nom de Denis en celui de Frere Fiacre de Sainte Margarite.

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Fiacre penetre de reconnoissance pour les aumones de la reine, prioit le ciel de la rendre feconde

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du proces verbal: Il se sentit une forte inspiration de faire trois neuvaines pour saluer la sainte vierge a Notre Dame de Paris, a Notre Dame de Graces en Provence et a Notre Dame de Victories; et Dieu qui voulut que la France eut obligation de son bonheur a

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Ainsi naquit le Dauphin, le fruit du frere Fiacre apres 23. annees de sterilite de la Reine. Les nouvelles publiques de ce temps reconnoissent qu'il y a du merveilleux dans cette naissance. Louis XIII. dans ses lettres

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au milieu de tant de graces il etoit tourmente de mille pensee impures: qui le croiroit? il evitoit en general les conversations avec les femmes et

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fonds n'est si facile a comprendre. Les saints n'ont ete de grands saints que parce qu'ils ont eu de grandes passions etc. Le frere Fiacre afflige par ces pensees

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'agitoit, se tourmentoit pour les repousser, il se serroit les tempes, se ridoit le front, secouoit la tete, et faisoit mille autres contorsions.Circonstances de sa mort: Il faut savoir que de l'an 1646 c'est a dire 38 ans avant sa mort il avoit ecrit, qu'il etoit arrete de toute eternite qu'on prendroit son coeur apres sa mort et que deux religieux de son ordre le porteroient a Notre Dame de Graces pour y etre pose sous les pieds de la glorieuse Vierge Marie; il pria ceux qui tireroint son coeur de son corps, de le tirer par le cote, a cause de la pudicite religieuse. Toutes circonstances ont ete accomplies a la lettre.

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Il mourut le 16 fevr. 1684 dans la 75me annee de son age. Il avoit la taille mediocre, le front grand et large, les yeux bleus, il etoit blanc, avoit les traits assez

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peintres ne le perdirent jamais de vue, il en eut toujours de nouveaux qui se succederent pour le tirer.Pag. 370. Des qu'il fut enterre, le P.

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au roi la lettre que ce serviteur de Dieu lui avoit ecrite avant de mourir. Le P. Prieur lui presenta encore la donation qu'il avoit fait de son coeur a la sainte Vierge et qui etoit signee de son sang. Le roi baisa la signature avec respect. Voila, dit-il, un sang qui est bien vermeil.

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enfin revolue le Roi attentif envoya Msr. de Pompone Ministre et Secretaire d'etat avec une lettre de cachet qui lui ordonna d'ouvrir les manuscripts du frere Fiacre. Il les ouvrit en presence des superieurs; il en tira quelques papiers qu'il fit porter

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die Unbefangene spielen ihn schon von weitem kommen sehen, wahrend er seine Experimente fur die ersten halt, denen sie bloss steht. Die Reise nach Spanien ist gewiss ihr Werk.

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von so kurzer Zeit her, dass inzwischen die Sonne weder einmal auf- noch untergegangen ist sollte man denken, musse sich eben so kurz abbrechen lassen; aber wir beide machten eine seltene Ausnahme von diesem gewohnlichen Falle.

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Und so flatterte er zuruck zu den Damen, deren Krankheit ihm mehr am Herzen zu liegen schien, als meine Gesundheit. Jetzt konnte ich die schone Anlage des prachtigen Spazierorts schon mit ruhigerm Gemuthe betrachten. Er ubertrifft wirklich an freundschaftlicher

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: Montpellier est une grande ville fort peuplee, coupee par un immense labyrinthe de rues sales tortueuses et larges de six pieds. Ces rues son bordees alternativement de superbes hotels et de miserables chaumieres pleines de boue et de fumier. Les habitans y sont moitie tres

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; mais ils sont tous egalement gueux par leur maniere de vivre, la plus vile et la plus crasseuse qu'on puisse imaginer. Les femmes sont divisees en deux classes: les Dames qui passent la matinee a s'enluminer, l'apres-midi au Pharaon, et la nuit a la debauche, a la difference des bourgeoises, qui n'ont d'occupation que la derniere.

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, sans doute, quels egards on a en Italie pour les Huguenots, et pour les Juifs en Espagne; c'est comme on traite les Etrangers ici; on les regarde precisement comme une espece d'animaux faits expres pour etre pilles,

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denn wahrscheinlich komme ich in kurzem wieder in diese Gegend, und lasse mich vielleicht gar, wie es Johann gemacht hat hauslich hier herum nieder." Sie machten grosse fragende Augen

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Gedanken einen grossen Spielraum einraumt, mag folgende Stelle daraus beweisen: Transportee sur une montagne et dans une chambre ou je fus recue par Jesus Christ. Je demande pour qui etoient les deux lits

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als die unbedeutende seines eignen Selbsts der sich ungern an den Glockenschlag bindet, und immer mit Helvetius furchtet, dass uns schon dadurch ein Mensch verhasst werden konne, wenn man ihm lange gegen uber sitzt, taugen alle Fahrzeuge um so weniger, je richtiger sie ihre Stunden halten, und je bunter sie

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, "schon auf das erbarmlichste in deinen Erwartungen getauscht worden, und kannst dennoch deine Wetterfahne aufs neue dem Winde eines Grosssprechers preis geben, der wohl nicht ohne Ursache abgedankt, vielleicht hoffte, mit deinem Trinkgelde naher noch verwandt

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den Wirth macht, dass dieser einst wohlhabende Ort im letzten Religionskriege so herunter gekommen ware. Er sei vorher und so lange mit fleissigen, redlichen, aber freilich kalvinistischen Einwohnern sehr reich besetzt gewesen,

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allen Fantomen eigenen elektrischen Zusammenhang mit unserer Maschine erklaren.Ihm sei, wie ihm wolle; genug das meinige war so vollstandig als ich, Du und meine ubrigen Leser mit der nachtlichen Situation der Dorfschone bekannt, und ware es nun nicht sehr albern von mir

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Zufriedenheit der beiden Augen-Paare verbreitet hat, die vergangene Nacht an einander geriethen, ich mir doch zu behaupten getraue, dass keines von ihnen herrlicher uberrascht und in gleich hohem Grade glucklich seyn konnte, als

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Le Marechal de Montrevel avoit fait venir de Lyon un homme, qui devoit decouvrir les Camisards par le moyen de la baguette divinatoire. Cette baguette tourna sur dixhuit personnes, qui furent amenees a Alais. Dans quel etat est le peuple, lorsque le Gouvernement emploie les manoeuvres d'

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des Unbekannten je wieder an das Licht kommen werde, das sie so sehr verdient, muss ich, ohne es ganz zu bezweifeln, allein der kunftigen Zeit uberlassen, denn die meinige ist, und das eben war, wie ihr alleweil horen sollt, mein

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volligen Untergang aufgehalten. Wie viele prachtige Meteore sind nicht in diesem langen Zeitraum durch den Aether gezogen, verschwunden und vergessen, und das meinige blinkt noch in der zwanzigsten Leipziger Messe, tritt noch einmal aus dem Nebel hervor, in

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unsere Abende begeistert und von der wir nicht eher, als mit dem letzten Tropfen, in susser Betaubung nach unserer Hangmatte taumeln, ohne darauf zu achten, wie sehr sie einem Leichentuche ahnlich sieht. Wer mochte nicht lieber in dem freien Weltmeere begraben

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der Zeit vermag nichts uber das ewige Einerlei Eures mit Recht bewunderten Landes, wenn man es namlich zum erstenmal sieht; kame aber auch ein Reisender wieder nach hundert Jahren zu Euch, ich wette, er findet weder eine modische noch asthetische neue Anlage,

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Neid auf unsern Erwerb mit Spott auf unsere einfachen Erholungen herunter zu sehen? Gesetzt sogar, lieber Wil'm, lass uns immer einmal ernstlich daruber sprechen, du konntest deine viel bedurfende Weichlichkeit in Allem befriedigen und stiegest

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, ihre heutigen ausgenommen, noch nie eine Druckerpresse erreicht haben. Dann erst wird sie sich fuhlen und gebieten lernen ihren eigenen guten Einfallen folgen und,

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Muster der hochsten menschlichen Vollkommenheit, ja beinahe fur einen Gott zu halten sich genothigt glaubten, weder mehr noch weniger als der grosste aller Narren, sein ganzes Leben das

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wird man vielleicht unglaublich finden, dass sie in einem so langen Zeitraum nicht eher Gelegenheit gehabt haben sollten, sich anzutreffen und gegen einander zu erklaren. Allein furs erste sind sechzehn Jahrhunderte, nach dem Massstabe woran die Geister die Zeit zu messen pflegen, kaum so viel als nach unserm Zeitmasse eben so viel

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der Welt gekommen seyn sollte. Nun sehe man, durch welche schlaue Erfindung der weise Proteus sich aus diesem bosen Handel zu ziehen wusste! Er hatte sich inzwischen einen grossen Bart wachsen lassen, und ging gewohnlich in einem

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des Gedranges wegen zu weit entfernt war, konnte ich wenig davon verstehen, und fand endlich aus Furcht erdruckt zu werden (welches mehr als Einem

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neben der grossen Rennbahn ostwarts geht, hat man gerade zwanzig Stadien dahin zu gehen. Wie wir ankamen, fanden wir den Holzstoss in einer ellentiefen Grube aufgesetzt. Er bestand grosstentheils aus Kienholz mit durrem Reisig vermischt, damit das Ganze desto schneller in Flammen

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des Menschen ungefahr so einbildeten wie wir es wirklich befunden haben, durch die That bewiesen, dass eine gewisse Divinationskraft in unsrer Seele schlummert, die vielleicht (wie so viele andere Fahigkeiten) in den meisten Menschen nie erweckt wird, aber denen, in

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wenn ich jemals so glucklich gewesen ware, nur einen einzigen edeln und liebenswurdigen Menschen aus dieser Secte kennen zu lernen.Peregrin.Diess ware eben nicht unmoglich gewesen; wiewohl ich gestehen muss,

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unbefangene Leser schwerlich uberreden lassen.Lucian.Aufrichtig zu reden, lieber Peregrin, ich zweifle sehr, ob du damals, wenn du von mir hattest reden oder schreiben sollen, gerechter gegen mich gewesen warest als ich

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vortrugen, ging es ziemlich gut; der letzte machte ihn sogar, mit seiner komischen Hypothese uber die ursprungliche Natur der Menschen und die wahre Ursache der verschiedenen Arten von Liebe, mehr als einmal

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ich dir sagte, wurde immer dunner, und in eben diesem Masse ward es auch immer heller in meinem Inwendigen; kurz, sie wurde endlich so dunn, dass ein einziger Vers des Empedokles, der mir zufalliger Weise in die Augen fiel, genug war, sie ganz zu zersprengen. Nun fuhlte ich mich gleichsam von mir selbst entbunden, fuhlte, dass der Damon der weisen Diotima in mir, oder vielmehr, dass

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ich mich desto williger von der weiblichen Klugheit leiten; und so wurde endlich, nachdem verschiedene andere Vorschlage als gefahrlich oder unthulich verworfen worden, beschlossen, dass man eine kurze Abwesenheit des Menekrates benutzen wollte,

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auf ihre eigenen hatten, betreffend, welche eine zweite und dritte Zusammenkunft vorbereiteten und ganz ungezwungen herbeibrachten.Hatte ich damals schon die Menschenkenntniss haben konnen, die uns eine Erfahrung von dreissig oder vierzig Jahren verschafft, so konnte mir vielleicht das Betragen der schonen Kallippe einigen Argwohn gegeben haben; und ware ich gesinnt gewesen, wie beinahe jeder andere in meinem damaligen Alter,

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mit ihm gehabt, als ihn zu einem leidlichen Burger von Athen zu bilden, so war freilich die Hoffnung dazu nichts weniger als verloren; er konnte sogar werden was seine Landsleute einen liebenswurdigen Menschen hiessen; denn er war der angenehmste Plauderer von

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er mich zwei- oder dreimal durch seine ausserordentliche Liebe zu mir, die er meisterlich spielte und mit den zartlichsten Liebkosungen begleitete, wieder dahin zu bringen, dass ich ihn noch langer bei mir duldete: bis endlich sein Betragen (welches einem weniger Unerfahrnen schon lange hatte verdachtig seyn mussen) keinen Zweifel mehr ubrig liess,

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meiner Gattung sowohl, als die hohern, mit denen meine Natur verwandt war, besser kennen zu lernen. Diese Kenntniss war die einzige die ich meiner wurdig hielt, da sie mich geraden Weges zur Eudamonie fuhrte, jener erhabenen Geisterwonne, die mir nichts Irdisches weder geben noch rauben konnte, und nach welcher zu streben mein angebornes Vorrecht war. Und was konnte diese Eudamonie

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?Die grosse Frage blieb indessen immer: wie, auf schehen konne? und, wofern es mehrere Wege gabe, welches der nachste und kurzeste ware? Da es mir nun ausgemacht schien, dass

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weiden kurz, mitten in der Hulle der groben Sinnenwelt, in einer lichtvollen und granzenlosen Welt von Geistern und Ideen zu leben: man muss, sage ich, vermuthlich aus Erfahrung wissen was fur eine Existenz diess ist, oder du wurdest mich in diesem Zustande nicht so bedauernswurdig finden, als du zu thun scheinst. Aber solltest du nicht wenigstens diess erfahren haben: dass es Traume gibt, die uns glucklicher machen, als wir wachend je gewesen sind, und deren wir uns,

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sey, womit die Ammen den unartigen Kindern zu drohen pflegen, und dass sie den holden Menippus bloss darum an sich gezogen, um ihn erst recht fett zu machen und dann lebendig aufzuessen, indem sie und die ubrigen Lamien, ihre Schwestern, gar grosse Liebhaberinnen von jungen wohl genahrten Mannspersonen

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uber seine jungen Freunde zu geben wusste, beim Arm ergriff und mit sich davon fuhrte, indem er zugleich der verblufften Lamie befahl, unverzuglich aus Korinth zu verschwinden, und sehr nachdruckliche Drohungen hinzu fugte, wofern sie sich unterstande jemals wieder einem seiner Freunde nachzustellen.Lucian.

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eines der glanzendsten Beispiele eines vermenschten Damons zu halten, ohne eine allgemeine Umkehrung meiner ganzen Vorstellungsart unmoglich entsagen; und Menippus, entweder weil er diese Bemerkung gemacht hatte, oder weil er nicht stark an seinen Meinungen hing, begnugte sich bei unsern Disputen uber diese Dinge gemeiniglich, sich

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Tod50, wodurch ich in das damonische Leben ubergehen musste, zu befordern, und mein Inneres dem himmlischen Lichte aufzuschliessen, worin ich zum unmittelbaren Anschauen der gottlichen Dinge zu gelangen versichert war. Eine unzahlige Menge schneeweisser Tauben schienen die einzigen Bewohner dieses Hains zu seyn, deren Farbe das

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in diesen unbegreiflichen Augenblicken erfahren, es uns vielleicht durch unser ganzes Leben unmoglich macht, dem Gedanken Raum zu geben, dass es Tauschung gewesen seyn konnte.Lucian.Eine glucklichere Stimmung hatte in der That die gottliche Dioklea oder Apollonia ihrem kunftigen Schuler nicht wunschen konnen!Peregrin.Nachdem ich den grossten Theil des

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Frau von hohem schlankem Wuchs und feiner Gestalt, dem Ansehen nach zwischen dreissig und vierzig, von einer schonen Gesichtsbildung, worin gerade so viel Weiblichkeit war, als erfordert wurde, den Ernst ihrer edeln, beinahe mannlichen Zuge angenehm zu machen.

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ehrerbietig und sagte: ich glaubte mich nicht irren zu konnen, wenn ich die Tochter des grossen Apollonius und die Erbin seiner erhabenen Weisheit in ihr verehrte; wer ich selbst ware, hatte ich nicht nothig derjenigen zu sagen, die

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, aber plotzlich von einem heiligen Schauer zuruckgehalten wurde.Es ware schwer die Bewegungen zu beschreiben, die dieser unerwartete und meinen eigenen innern Zustand mir so lebhaft vorspiegelnde Anblick in meinem ganzen Wesen hervorbrachte.

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Morgen auf mehr als Eine Art uberrascht werden. Indem ich verschiedene schone Stucke, womit dieses Gemach ausgeziert war, durchging, ward ich auf einem kleinen Ecktische von Ebenholz eines elfenbeinernen Kastchens gewahr, worin ein goldner

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junge Nymphe wissen liess, sie ware verhindert mich diesen Morgen zu sehen; ich wurde aber etwas gefunden haben, das meine Musse hinlanglich beschaftigen konnte, und ich mochte es ubrigens in allen Stucken so halten, als ob ich in meinem eigenen Hause ware. Ich

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Gotter, sagte sie, sind von jeher einigen besonders von ihnen geliebten Menschen sichtbar geworden: zuweilen ohne Zuthun der letztern, aus blossem Antrieb ihres eignen freien Wohlwollens; zuweilen auf Veranlassung

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und Epoden53 herbeilocken konne: immer sey es gewiss, dass die unachte Magie sich solcher Behelfe zu Bewirkung betruglicher Theophanien und Geistererscheinungen bediene, aber eben darum enthielten sich die wahren Theurgen dieser zweideutigen Mittel ganzlich.Als sie zu reden aufgehort hatte,

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.Bald darauf befahl sie unsre Abendmahlzeit zu bringen, welche, ganz nach Pythagorischer Weise, bloss aus einigen leichten Speisen und auserlesenen Fruchten bestand; auch wurde blosses Wasser aus krystallenen Bechern dazu getrunken, aber das reinste, leichteste und frischeste, das ich je getrunken hatte.

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angstlich uber unbedeutende Dinge zu seyn. Du bist vielleicht einer sich so rein und ganz hingebenden Liebe nicht fahig: aber, glaube mir, die Gotter lassen sich mit weniger nicht abfinden; und wiewohl es moglich ist, durch ihre besondere Gunst zu

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mich so warm und lebhaft uber diesen Punkt, dass sie genothigt war, ihren Worten einen mildern Sinn zu geben, oder vielmehr zu behaupten, ich hatte den ihrigen nicht recht gefasst. Dieser kleine Streit, der erste und letzte den wir mit einander hatten, endigte sich in einer Aussohnung, wodurch wir bessere Freunde wurden als jemals, und

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, kaum erwarten konnte, wiewohl sie sich's so angelegen seyn liess mich angenehm zu unterhalten, dass sie nicht wohl befurchten konnte mir lange Weile zu machen. Es war schon ziemlich spat,

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von ihr abhingen, waren angewiesen, meine Winke eben so gehorsam wie die ihrigen zu befolgen: auch hatte sie dafur gesorgt, dass es mir an nichts fehlen wurde, was ich nothig haben oder wunschen konnte, ohne dass ich mich selbst desswegen zu bekummern brauchte. Nach

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, ohne gewahr worden zu seyn wie er hierher gebracht worden. Solltest du es glauben? aller seiner hohen damonischen Schwarmerei zu Trotz, fiel der bezauberte Liebhaber der himmlischen Venus mit der Esslust eines gemeinen Erdensohns uber die anziehend duftenden Schusseln

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liess, wiewohl sie fur zwei massige Esser zureichend gewesen waren, nicht so viel ubrig, dass ein Schoosshundchen davon hatte satt werden konnen.Lucian.Diess ist gerade was mich von allen Symptomen deines damaligen Fiebers am wenigsten befremdet. Wiewohl man zu glauben pflegt, bezauberte Personen bedurften weder Speise noch

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zu derselben gehorte, zu lauter Idalischen Hainen58 und zu einem zweiten Daphne59 umgeschaffen. Die prachtigen Gebaude, woraus die Villa bestand, waren mit einer zahllosen Menge wunderschoner Knaben zwischen acht und zwolf, und reizender Madchen zwischen zwolf und sechzehn Jahren angefullt, die

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in mir vorging, war zu gross, um einer Kennerin wie Mamilia unbemerkt zu bleiben: aber ohne das geringste Zeichen von Verdruss daruber sehen zu lassen, sagte sie bloss mit einem unbeschreiblich sussen Lacheln zu

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gegen ein wirkliches, das alles was du dir jemals einbilden konntest ubertrifft, zu vertauschen! Ich glaube selbst, sagte ich, dass ich mich sehr glucklich finden wurde, wenn ich so denken konnte, wie du es jetzt zu verlangen scheinst. Glaubst du das? versetzte sie mit einem kleinen Nasenrumpfen.

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und an verschiedenen noch entferntern Orten halte, so gut bedient, dass sie schon am ersten Tage meiner Ankunft eine ziemlich genaue Beschreibung meiner Person erhalten habe. Da ihre Aufmerksamkeit dadurch nicht wenig gereizt worden sey,

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ihrem Vortheile zusammenspielen sollten, einzuschlafern. Wir konnten nicht zweifeln, dass die blosse Versetzung in einen so romantischen, mit lauter schonen Gegenstanden angefullten Ort, verbunden mit dem

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und meiner starken Anlage, immer auf eine oder andere Art zu schwarmen und getauscht zu werden, erwartete. Meine Verfuhrerinnen glaubten die ausserordentlichen Mittel, die nun nicht langer zu gebrauchen waren, auch nicht langer nothig zu haben.

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Trunkenheit, worin sie mich durch immer abwechselnden Genuss der ausgesuchtesten Vergnugungen zu erhalten wussten, mich unvermerkt dahin zu bringen, dass meine vorige Denkungsart mir selbst endlich eben so lacherlich werden musste

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in so mancherlei vortheilhaftem Lichte zeigen konnten, mir ihren Umgang immer unentbehrlicher und gar bald zu dem einzigen machten, was mich an diesen Ort fesselte. Wir

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Widerwillen zu mildern, den ich bereits gegen diese Venus Pandemos66 gefasst hatte. Aber was der guten Nymphe ganz besonders am Herzen lag, war die allzu gunstige Meinung herunter zu stimmen, die

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goetischen, magischen und theurgischen Mysterien und Kunsten vertraut machte, wodurch sie geschickt wurde, einige Zeit darauf, als die besagte Bande durch ein unangenehmes Abenteuer aus einander getrieben worden war, die Rolle einer vorgeblichen Tochter des gottlichen Apollonius zu spielen, und

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wurde, wofern ich es nicht bereits erfahren hatte, auch das meinige seyn. Sie schilderte mir hierauf die Dame mit den vielen Namen als eine wahre Zaubrerin; es sey nicht anders moglich, sagte sie, das Weib musse unerlaubte magische Mittel dazu gebrauchen, um die feinsten Manner so unbegreiflich zu verstricken,

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wie sie daran zweifeln konne, flusterte sie mir lachelnd zu: ich bin eine machtigere Zaubrerin als du denkst; du sollst sie tanzen sehen, wiewohl sie schon eine geraume Zeit aus der Welt verschwunden ist.Ein paar Tage darauf lud sie mich zu einem kleinen Schauspiel ein,

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Quelle dieser neuen Art von Unterhaltung, wozu ich ihr so unverhofft Gelegenheit gemacht hatte, so dauerte dieser neue und letzte Ruckfall langer, als ich dir ohne Beschamung gestehen durfte.Lucian.Ich glaube gar, du willst dir noch leid seyn lassen, dass

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unterm Monde vollkommen seyn kann, so war es ganz naturlich, dass sie mir, nachdem die Starke des ersten Eindrucks durch oftere Wiederholung geschwacht worden war, zuletzt immer weiter unter dem Ideale zu bleiben schien, dem sie so nahe als moglich zu kommen sich beeiferte.Die

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fasste, vielleicht unausfuhrbar gemacht haben wurde. Aber sobald das Unvermogen es langer auszuhalten diesen Scenen der wildesten Schwarmerei endlich ein Ende machte, und die sammtlichen Bewohner der Villa, die daran Theil genommen hatten, in einen allgemeinen Schlaf versunken lagen: raffte

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, nicht voraus zu sehen.Peregrin.Ich denke du hast es getroffen, ob ich gleich noch immer glaube, dass Dioklea bei dieser ganzen Sache bloss einer allzu grossen Gefalligkeit gegen ihre Freundin schuldig war.

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er in eben dem herzgewinnenden Tone fort, kannst du glauben, dass uns ein blosser Zufall hier zusammengebracht habe? Es gibt keinen Zufall, Peregrin! Wir sollten uns finden, und wir fanden uns."Ich fuhlte mich uberwaltigt. Ich setzte mich wieder

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durch nichts andres hergestellt werden konnte, als indem die ganze Thatigkeit meines Geistes wieder auf den grossen Zweck gerichtet wurde, der, wiewohl ich ihn auf einem Irrwege verfehlt hatte, nicht aufhorte, noch ohne eine ganzliche Verwandlung meines Ich's aufhoren konnte, das Ziel meiner ewigen Sehnsucht zu

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mit einer wunderbaren Befriedigung ein. Was ich fuhlte war dem unbeschreiblichen Gefuhl ahnlich, womit ein lechzender Wanderer, der lange nach einem Tropfen frischen Wassers schmachtete, die ersten Zuge aus einer ihm unverhofft entgegen rauschenden Felsenquelle

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Nacht ein ausserst anmuthiger Gesang verschiedener mannlicher und weiblicher Stimmen entgegen, deren gut zusammenpassende Verschiedenheit, bei einer uberaus reinen Intonation, die angenehmste Harmonie hervorbrachte. Ich glaubte einen Chorgesang jener himmlischen Wesen zu horen, deren wieder hergestellte Gemeinschaft mit

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wo er behauptet: "ein vollkommen weiser und guter Mensch wurde eben darum, weil er diess ware, von den ubrigen Menschen nothwendig gemisskannt, gehasst, geschmahet, verfolgt und endlich gar getodtet werden, ohne dass er darum sogar am Kreuze aufhoren wurde, sich selbst gleich zu bleiben."

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durch den naturlichen Zauber, womit grosse Seelen auf kleine wirken. In beiden Fallen erklart sich alles auf die naturlichste Art von der Welt; zumal wenn man bedenkt, wie wenig dazu gehort, dass in den Augen unwissender und aberglaubischer Leute aus einem ungewohnlichen Menschen ein

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dieser Sache ohnehin der Ironie verdachtig ist demjenigen, dem sie das Wort zu reden scheinen, jemals verschaffen konnen. Wie scheinbar auch beim ersten Anblick die Aehnlichkeit seyn mag, die

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ich die emphatischen Worte noch in meinen Ohren klingen: "bald wird die Decke von deinen Augen fallen! Du wirst in Mysterien, wovon die zu Eleusis nur tauschende Schatten sind, zum Anschauen eines ganz andern Lichtes kommen, und ein ganz andrer Fuhrer der Seelen, als jener fabelhafte Hermes,

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Nebel, worein er sich schon so lange, gleich einem Homerischen Gott, eingehullt hat, hervor trate, und uns wissen liesse wer er eigentlich sey,

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Diesem Vorhaben zufolge saumte er nicht, mir anzukundigen: dass er mich bloss desswegen zuruckberufen habe, um alle seine noch ubrigen Geschafte, besonders diejenigen, die mit grossern oder kleinern Reisen nach verschiedenen Handelsplatzen des

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nach der unbewolkten Stille der Seele und der reinen Eudamonie, wozu ich nirgends als unter so guten Menschen gelangen zu konnen glaubte. Aber eben diess hing an einer in mir vorgegangenen Veranderung, die vermuthlich unter andern Umstanden nicht so bald erfolgt ware. Das,

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Christianern so lange geheim hielten, bis veranderte Umstande diese Zuruckhaltung immer weniger nothig machten.Peregrin.Sehr wahrscheinlich. Indessen muss ich gestehen, dass fur mich selbst, wiewohl ich mehrere Jahre in ziemlich enger Verbindung mit

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Stimme des guten Hirten nachzuaffen wussten, bloss; und so wurden jene hohen Gesinnungen und zarten Gefuhle (die, so zu sagen, die angeborne Moral der schonsten Seelen ausmachen) von arglistigen Menschen zu subtilen Netzen verwebt, worin sie immer die gutherzigsten und arglosesten Gemuther am ersten zu fangen gewiss waren.Aber, wie gesagt, um

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den Asiaten ohnehin so naturlich ist) um so mehr befordern, da schon an sich selbst nichts leichter ist, als der unmerkliche Uebergang vom reinen und achten Enthusiasmus zum unachten, und uberdiess so viele andere innere und aussere

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, und schien seine vernunftige Erklarung dadurch zu finden. Diese beiden Systeme, so wesentlich verschieden, konnten nun gleichwohl so nahe gebracht werden, dass sie dem ungeubteren Betrachter in Eins zerstiessen wussten. Durch die kuhne Vollendung der Personification einer gottlichen Kraft schien diese zu einem von der Gottheit verschiedenen Wesen zu

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von Kerinthus verordneten Mystagogen, den wirklichen Unterricht in der erhabenen Gnosis, hinter deren emblematischen und allegorischen Bildern Kerinthus das wahre Geheimniss seines weit granzenden politischen Plans verbarg. Peregrin, dessen unheilbare Phantasie in dieser aus magischen und kabbalistischen

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Innern seines grossen Plans bekannt, und offnet ihm dadurch auf einmal die Augen uber die ganze Kette von Tauschungen, wodurch er von Kerinthus und Hegesias bisher zum blinden Werkzeug ihrer politischen Absichten gemacht worden war. Peregrin erhalt durch ihre

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Faden, wodurch er noch am Leben hangt, einen nach dem andern abreissen, erwacht hingegen das alte, nie ganz erloschne Gefuhl seiner damonischen Natur wieder in seiner ganzen Starke und in eben demselben Verhaltniss, wie der naturliche Trieb zum Leben die seinige verliert. Er sehnt sich immer ungeduldiger nach jenem hohern Leben der

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brauche dich wohl nicht erst zu versichern,Ware die Rede nur von irgend einer grossen Narrheit, so wirst du mir erlauben zu sagen, dass meine Partei genommen ware: aber wer dich eines Bubenstucks beschuldiget, hat seinen Process bei mir verloren, und wenn er auch ganz Mysien zum Zeugen gegen dich aufstellen konnte. Doch, das versteht sich von

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hatte keinen kleinern Plan; und wiewohl es ihm mit dem seinigen nicht besser gelang als dem grossen Alexander, so bin ich doch gewiss, dass er sich schmeicheln darf, den ersten Grund zu der grossen Revolution gelegt zu haben,

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Plane sehr gut zu gebrauchen, aber nur so lange als man deine Vernunft in dem gehorigen Helldunkel sehen liess, was hinter dem hoch tonenden mystischen Prunk verborgen steckte, und wie naturlich diese theurgische Magie war, womit man die herrschende Leidenschaft deiner Seele gefesselt hatte.

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.Darauf kannst du dich verlassen! nicht das allermindeste!Peregrin.Ich begnuge mich also zu sagen, dass sie weder mehr noch weniger als ein Gewebe von theosophischmagischen Traumereien war, welche Kerinthus eben so leicht den Grundbegriffen des damaligen Christenthums anzupassen

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eine der naturlichen Folgen seiner Theorie, dass der menschliche Geist, trotz der dichten Rinde von kaltem und finsterm Stoffe, womit er nach seiner Verbannung aus den empyreischen Wohnungen umzogen worden, doch nie so ganz verfinstert geblieben sey, dass nicht, gleichsam durch die

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platten Unsinn sagt. Indessen hat mich gleichwohl die Neugier einst verleitet, unter so vielen andern Ausgeburten der menschlichen Thorheit, mich auch mit diesem gnostischen Aberwitz bekannt zu machen: und du kannst also gedas ganze theurgische System deines

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noch diese einzige Anmerkung. Es kommt bei dieser gnostischen Theosophie alles im Grunde darauf an, dass die abstracten Begriffe der gemeinen Philosophie darin versinnlicht, und den Wortern, wodurch sie bezeichnet werden, die unbekannten Wesen und Urkrafte selbst, wovon jene metaphysischen Begriffe nur

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zwischen seiner exoterischen und esoterischen Lehrart5 zu verstandigen, und, kurz, mir zu vertrauen, dass der buchstabliche Sinn nur fur die schwachern und schwarmerischen Seelen, der moralische und politische hingegen (der alles wieder in die naturliche Ordnung der

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von welchem vorausgesetzt wurde, dass er seine Verhaltungsbefehle unmittelbar von unserm Herrn empfange war eine der ersten Pflichten, zu deren Erfullung ich mich, vor meiner angeblichen Einfuhrung in das innere Heiligthum des Ordens, verbindlich gemacht hatte. Hegesias selbst schien in diesem Stucke nichts vor mir voraus zu haben.

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dass von mehr als funfhundert grossern und kleinern Brudergemeinen, welche damals durch Asien, Syrien und Aegypten zerstreut waren, kaum der siebente Theil in naherer und unmittelbarer Verbindung mit ihm stehe; und dass es daher von unumganglicher Nothwendigkeit sey, zahlreiche Arbeiter auszusenden,

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des Oberhirten immer horen zu konnen, und von keinen blinden oder betrugerischen Leitern irre gefuhrt zu werden. Er liess sich hieruber, besonders uber die Klugheit, womit die Vorsteher der verschiedenen Gemeinen gepruft, behandelt und gewonnen werden mussten, in sehr genaue Instructionen ein,

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habe: indessen muss ich doch bekennen, dass ich ihn hochst seltsame Nervenkrankheiten, welche (wie leicht zu erachten) auf Rechnung boser Damonen gesetzt wurden, durch blosses Handauflegen vertreiben sah; wobei doch vielleicht, als

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der Einbildung vermuthlich wurden bloss dadurch plotzlich gesund, dass er ihnen, nach allerlei vorbereitenden Feierlichkeiten, auf einmal mit machtiger Stimme befahl zu glauben dass sie gesund seyenLucian.Auch nicht ubel!Peregrin.Das starkste Stuck aber,

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er sich gleich im ersten Augenblick unsrer Bekanntschaft als ein ausserordentlicher und mit hohern Wesen in Verbindung stehender Mann dargestellt hatte, wurde vielleicht durch diese Dinge am wenigsten befremdet: indessen gaben sie doch

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anderm; dafur wurde aber auch, sobald sie aufhorte etwas Neues zu seyn, gar nicht mehr daran gedacht. Die Christianer hingegen, und besonders die mit Kerinthus verbundeten Gemeinen, geriethen dadurch in ausserordentliche Bewegung: und, wiewohl man bald merken konnte, dass alles bloss auf meine

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. Es gehort, wie du weisst, Zeit dazu, eine lange gewohnte Sprache zu verlernen und sich eine ganz neue anzugewohnen. Ich wollte nichts damit sagen, als worin wir unfehlbar beide einverstanden sind,

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nach, unmoglich gewesen ware ihren Anschlag auf mich zu vereiteln: so bin ich beinahe versucht, jenen wilden Ausbruch, der so ganz und gar nicht in meinem naturlichen Charakter war, eher fur das Werk meines guten Genius zu halten, oder wenigstens in die Zahl der unerklarbaren Zufalle zu setzen, durch

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selbst (diess so unentbehrliche Triebrad in unserm Wesen) durch keine unsrer Vergehungen oder Thorheiten ganzlich zu verlieren, fur jede Anklage in unserm eigenen Busen eine Entschuldigung finden, welche unvermerkt die Gestalt einer Rechtfertigung gewinnt, und wenigstens uns selbst unparteiischen Richter bestehen konnte.

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und seines hoch strebenden Geistes wurdigere Art beschaftigen konnten: als ein glucklicher Zufall sie mit der schonen und reichen Romerin Mamilia Quintilla bekannt machte, und die beiden Damen eine so grosse Zuneigung fur einander fassten,

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aus ihrem eignen Munde horen, wie es damit zugegangen; und sie ermangelte nicht, mir von freien Stucken alles Licht zu geben, das ich wunschen konnte.Ich habe wohl nicht nothig (fuhr sie mit dem halbironischen Lacheln,

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Handen eines fahigen und unternehmenden Mannes werden konne, ganz andere Begriffe zu machen als man gewohnlich davon habe. Er hatte gefunden, was sich vielleicht noch keiner aus ihrem Mittel deutlich gedacht haben mochte, dass es ganz dazu gemacht sey die grosste Revolution in der Welt zu bewirken, und dass dazu, nachst der Zeit,

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, aber immer von Klugheit geleiteten Eifer, womit er sich fur einzelne Gemeinen sowohl als fur die allgemeine Sache verwendete, in kurzer Zeit so sehr hervor, dass er das Vertrauen vieler einzelner Vorsteher und dadurch immer neue Gelegenheiten erhielt,

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allem war gemacht. Aber noch immer suchte er Ordensglieder, denen er sich ganz vertrauen konnte, und welche mit den allzu seltnen Fahigkeiten ausgerustet waren, die er bei den unmittelbaren Organen seines Plans zu finden wunschte:

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und du kannst leicht ermessen, ob ich ihn dadurch begierig machte, einen so seltenen, so liebenswurdigen und so ganz entschiedenen Schwarmer je eher je lieber in seine Partei zu ziehen. Wir uberlegten mit einander, was

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sondern auch zugleich, dass Kerinthus, weit entfernt mich seines innersten Vertrauens wurdig zu halten, mich bisher nur als ein blosses Werkzeug seiner Absichten betrachtet habe; als einen Menschen von gutem Willen, dessen Schwarmerei man benutzen musse, ohne ihn jemals auch nur ahnden zu lassen, dass

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du (sagte sie lachelnd) mit einer in der That allzu kindlichen Einfalt im buchstablichen Verstande genommen hast, scheinen mir weder mehr noch weniger als die unschuldigste Poesie: entweder bildliche Einkleidungen grosser Wahrheiten,

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Trummern des ihrigen errichtet werden konne.Dioklea kannte mich so gut, dass sie alles gewonnen zu haben glaubte, wenn sie mir sowohl die verhasste Vorstellung, dass ich selbst betrogen worden sey, benehmen, als meine naturliche Abneigung, andere zu tauschen, uberwinden, und mich uberreden konnte, dass

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, und wohl gar ein Opfer derselben seyn solltest, hatte sie dir sein Geheimniss entdeckt, und sich dadurch in den Fall gesetzt, seinen ganzen Unwillen auf sich zu laden, ja wofern sie zu viel auf dich gerechnet haben sollte. Wurde sie diess gewagt haben, wenn sie nicht die grosste Meinung von

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an dir gefunden hat, von deren verfuhrerischer Gewalt du dir nur erst jetzt einigen Begriff machen kannst, nachdem es ihr schon bei einer bloss mittelbaren Bekanntschaft gelungen ist, den kalten Lucian, den erklarten Feind aller Tauschungskunste, durch einen einzigen behenden Handgriff auf ihre Seite zu bringen! Mit

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hatte zu viele, zu entscheidende Proben, wie hoch sie es in der Mimik gebracht, und Gebarde jeder schonen Empfindung, jeder Tugend, jeder moralischen Grazie anzunehmen, als dass ich (zumal nach Gestandnissen, welche nothwendig einen dem Kerinthus und ihr selbst hochst nachtheiligen Eindruck auf mich machen mussten) so geneigt hatte seyn konnen, von der anscheinenden Grossmuth ihrer Freundschaft auf eine dauernde Art geruhrt

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der Stimmung worin mich die Geheimnachrichten von ihrem Bruder gesetzt hatten, bloss als einen feinern Kunstgriff ansah, mich starker und unaufloslicher in die Unternehmungen eines Ordens zu verwickeln, der schon allein dadurch, dass er im Grunde bloss politische Absichten und

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die es wohl mit ihren Brudern meinten, mit vereinigten Kraften auf das einzig Nothwendige arbeiten sollten, als ob er absichtlich warmer wurde, um zu sehen wie und was es auf mich wirkte. Weil ich aber bei dergleichen Aeusserungen allemal in gleichem Verhaltnisse kalter und einsylbiger ward, so zog er sich immer unvermerkt wieder in seine gewohnliche Ruhe zuruck,

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, so konnte ich mich doch nicht uberreden lassen, dass sie so bosartige und gefahrliche Leute seyen, als ihre Feinde behaupteten. Wie es scheint, sagte er lachelnd, hast du vielleicht noch keinen von ihnen sehr nahe gesehen.

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dass da schon tausendmal in deinem Leben mit Christianern gesprochen oder Geschafte gehabt hast, ohne sie dafur anzusehen. Dafur kann ich dir wenigstens burgen, wenn dir im gemeinen Leben ein stiller, friedfertiger, zuverlassig treuer und guter Mensch, von unbescholtnem Ruf und reinen Sitten, in den Wurf kommt, so kannst du drei gegen eins setzen, er

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, das eigentliche grosse Mysterium seines Ordens, in sehr scheinbare moralische Hullen einzuwickeln, welche, je nachdem die Hoffnung mich noch zu gewinnen stieg oder sank, dunner oder dichter wurden: aber eben diese Kunstgriffe, wie leicht auch seine Hand dabei war, verriethen mir was er verbergen wollte; und je mehr ich ihn zu entrathseln glaubte, desto mehr fand ich mich in der Meinung bestarkt, dass er schwerlich den Mystagogen unter den Christianern spielen wurde,

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ihnen zu leben schon so tief hinein gearbeitet, dass ich nicht begreifen konnte, wie auch der kaltblutigste aller Menschen einem so naturlichen und vernunftigen Projecte seinen Beifall versagen konne. Es muss daran liegen, dachte

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welcher seine vorgeblichen Anhanger im Verborgnen arbeiten, und womit sie uber lang oder kurz die erstaunende Welt uberraschen werden, nicht mehr gemein, als sein Geist mit dem ihrigen. Er war ein Enthusiast im erhabensten Sinne dieses ehrwurdigen Wortes,

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einen sehr vortrefflichen Menschen und als das Muster eines achten Cynikers beschrieb) mich in der einzigen Lebensweise vollkommen zu machen, wobei ich, vermoge der Selbstkenntniss wozu mir die Erfahrung verholfen hatte, glucklich zu seyn hoffen konnte."Warest du, sagte mir Dionysius kurz zuvor ehe wir von einander schieden, warest du ein weniger ungewohnlicher Mensch,

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nicht dazu gemacht, auf irgend einem gebahnten Wege durchs Leben zu ziehen, und es ware vergeblich, zu erwarten dass du hierin jemals deine Natur andern werdest. Ich sehe zwei Grundzuge in

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dich unvermeidlich bestimmen, so lange du lebst, und vielleicht (setzte er lachend hinzu) in deinem Tode selbst, ausserordentlich zu seyn. Du strebest nach einem Lebensgenuss, den nur innere Vollkommenheit geben kann; und wiewohl du,

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Banden der burgerlichen Gesellschaft sowohl als von allen besondern Verbindungen ganzlich loswickeln, und, um allenthalben, immer und im hochst moglichen Grade unabhangig zu seyn, sich schlechterdings auf die unentbehrlichsten Bedurfnisse des Korpers einschranken, und gegen allen ausserlichen Reiz von

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welche sich gewohnlich in den Cirkeln der Glucksgunstlinge weder horen noch sehen lassen konnen ohne uberlastig oder lacherlich zu seyn, selbst dieser am meisten verfeinerten, und eben darum verderbtesten Classe von Menschen ehrwurdig oder wenigstens ertraglich gemacht. Da

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, sehr gut erklaren kann, wie der blosse Gedanke, allein gegen das ganze Menschengeschlecht zu stehen, und, als ein neuer moralischer Hercules, sich durch Bekampfung der sittlichen Ungeheuer, von denen du die Welt verwustet und geangstiget sahest,

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einen sehr zweideutigen Ruf zu; aber es fanden sich doch auch mehrere, die den Charakter einer hohen und beinahe mehr als menschlichen Weisheit darin zu sehen glaubten, und von mir als einem neuen Sokrates, Antisthenes und Epiktetus sprachen. Auch fehlte es mir (wiewohl Agathobulus selbst

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mit meinem cynischen Aufzug machte, konnte fur eine Art von Seltenheit gelten; und der junge Herr schien sich nicht wenig darauf einzubilden, einen Hausphilosophen zu besitzen, von welchem jedermann gestehen musste,

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.Es konnte also nicht fehlen, dass endlich auch die Prinzessin, deren starkste und vielleicht einzige Leidenschaft war, immer mit einer neuen Puppe zu spielen, neugierig ward, sich

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und Gutheit verbunden war, machte, vielleicht eben dieses Ausdrucks wegen, beim ersten Anblick nur einen schwachen Eindruck auf mich. Aber desto mehr schienen die Damen in ihrer Erwartung getauscht zu seyn, da sie, anstatt eines rauhen, ubel gekammten und ungeschliffnen Cynikers,

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Liebe hat ja auch die ihrigen) nothig machte, welche durch die Gegenwart der kleinen Sklavinnen, deren die Prinzessin bei unsern Zusammenkunften immer drei oder vier um sich herum schwarmen hatte, nicht wenig gehindert wurden.

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hat, ward ich nun immer weniger gewahr, was fur ein gefahrlicher Gegenstand eine Seele, deren Schonheiten mit den Reizen ihres materiellen und animalischen Theils so zart verwebt oder vielmehr so unmerklich in einander verschmelzt waren,

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Philosophie) widmete, und die kleinen Nymphen, die immer dabei gegenwartig waren, dem freien Umtausch der Empfindungen unsrer Seelen auferlegten. Sie schien diess eben so gut als ich zu fuhlen, aber

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auf dich nehmen willst, auch mich in diesen erhabenen Mysterien einzuweihen.Die schlaue Dame hatte mich, wie du siehest, unvermerkt auf einen Weg gebracht, worauf sie ihr mir damals noch unbekanntes Ziel schwerlich verfehlen konnte. Sie

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, was wohl am Ende daraus werden wurde, ist, daucht mich, einer jungen Furstin, deren Laune zu solchen Kurzweilen gestimmt war, um so leichter zu gut zu halten, da sie vermuthlich durch Flavianen zur Wette herausgefordert worden war, und ubrigens von einem Enthusiasten deiner Art unmoglich eine so lebendige Vorstellung haben konnte, um vorauszusehen, wie

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in meinem ganzen Leben nie weniger aufgelegt gewesen als damals, meine Ruhe von irgend einem Wesen ausser mir abhangen zu lassen, geschweige eine bessere Behandlung, als ich bisher von den

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selbst nur selten ungehalten auf ihn werden konnten.Peregrin.Er glich hierin unserm gemeinschaftlichen Meister Agathobulus, welchem ich aus bereits angefuhrten Ursachen weder gleichen wollte, noch konnte. Bei mir ging, vermoge der individuellen Form meines

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Gefuhls meiner damonischen Natur welches dich nun nicht mehr an mir befremden darf, da es die erste und machtigste Triebfeder meiner ganzen Thatigkeit war in eben dem Masse gewachsen, wie der naturliche Trieb zum Leben die seinige verlor. Das Klumpchen organisirter Erde, womit ich mich

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Art zu sehen, zu horen, mit dem Weltall, und vornehmlich mit den geistigen Wesen und Kraften desselben, in engere Beziehungen zu kommen, kurz, zu einer unendlich schonern und unbeschranktern Thatigkeit zu gelangen. Ich fuhlte mich endlich von einer unbeschreiblichen Sehnsucht nach diesem hohern Leben, an dessen Wirklichkeit ich nie gezweifelt hatte,

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Spitzfindigkeit mit blosser Hulfe des schlichten Menschenverstandes gehoben werden konnen; so finde ich mich um so mehr bewogen, ihm diesen kleinen Dienst zu leisten, indem diese Zweifel gerade solche Gegenstande betreffen, woruber sich die wahren Kosmopoliten durch eine gegen die seinige sehr stark abstechende Vorstellungsart unterscheiden.Nichts ist wohl naturlicher, als

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?Augenscheinlich nahert sich ein grosser Theil von Europa diesem Zustande mit starken Schritten. Die vorbesagte Philosophie, nicht zufrieden sich der hohern Classen allenthalben fast ganzlich bemachtigt zu haben, macht sich auch Wege zu demjenigen Theile des Volks, der sich beim blossen Glauben immer noch am leidlichsten befunden hat. Was zuletzt die Folgen dieses immer allgemeiner werdenden Emporungsgeistes gegen

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unfern Vatern ehrwurdig und unverletzlich war, naturlicher Weise seyn werden scheint eine Aufgabe, deren Auflosung eines akademischen Preises wurdiger ware, als manche andre, womit man die dialektische Geschicklichkeit unsrer besten Kopfe zeither in Wetteifer gesetzt hat.

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die Schlachtbank fuhren oder in Gefahr setzen lassen, unsre Felder verwustet, unsre Wohnungen angezundet, unsre Weiber und Tochter geschandet, und unsre Sohne in die Kriegsknechtschaft gefuhrt zu sehen, wollen wir vorher untersuchen, was uns daran gelegen ist, ob ihr etliche Quadratmeilen mehr oder weniger zu besteuern

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den Menschen wesentlich angeht, ist unser wichtigstes und allgemeinstes Interesse; und Verbesserungen sind ihre naturlichen Folgen. Aber es gibt auch Irrwische, deren betrugliches Licht in Moraste fuhrt. Selbst das wohlthatige Sonnenlicht darf nicht anders als mit grosser Behutsamkeit und durch fast unmerkliche Stufen in die schwachen Augen eines

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bei jeder policirten Nation nur zwei Drittel an euern Unglauben glauben und nach euern Grundsatzen handeln wurden.Die ewige Quelle aller Chimaren und Trugschlusse, wodurch halb aufgeklarte Kopfe und aufgeklarte Halbkopfe sich selbst und andre tauschen, ist die Verwechslung willkurlicher Abstractionen mit den wirklichen Dingen dieser

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der aus zwanzig Millionen lebendiger Menschenkinder besteht, auch wohl scharf genug durchdacht haben, um so gewiss zu seyn, dass dieser eben so gut ohne Religion bestehen konnte als jener?

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im Einzelnen schwachen, aber zusammengenommen unzerbrechlichen Faden sind, welche sie verhindern, ihre ganze Starke zur Vernichtung aller noch ubrigen Reste der menschlichen Freiheit anwenden zu konnen? Und ihr glaubt der Menschheit einen Dienst zu erweisen, wenn ihr mit eurem Lampchen herumgeht, und

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an dem unendlichen Gewebe des Schicksals, ohne zu wissen was wir machen, und befordern unbekannte Endzwecke, indem wir oft gerade das Gegentheil zu thun glauben oder scheinen. Und so bleibe es denn dabei, was Pope sagt:In erring reason's spite,One

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Achamoth auch unvermerkt etwas von der geistigen mischte. Darum besteht der Mensch aus drei Theilen, der materiellen und sterblichen, der seelenartigen, der Seligkeit oder Unseligkeit fahigen, und der geistigen unsterblichen. Alles diess, wie

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agresti, immanique vita execulti ad humanitatem et mitigati sumus, initiaque, ut appellantur, ita re vera principia vitae cognovimus, neque solum cum laetitia vivendi rationem accepimus, sed etiam cum spe meliore moriendi. Cicero de Leg.

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Was der eben angefuhrte grosse Romer irgendwo von dem Glauben der Unsterblichkeit sagt: "Nescio quomodo inhaeret in mantibus quasi saeculorum quoddam augurium futurorum, idque in maximis ingeniis altissimisque animis et existit maxime et apparet facillime," lasst sich um so richtiger von der Religion uberhaupt sagen, weil jener Glauben so wenig ohne Religion,

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dass ich glaubte, ein Gentilhomme de la Chambre durfe nicht auch einmal ein historisch-philosophisch-politisches Werk herausgeben (hat doch der Gentilhomme ordinaire de la Chambre, Herr von Voltaire, deren viele in die Welt geschickt), allein ich kannte meinen Herrn Vetter zu gut, als

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hatte ahnden sollen, er werde schwerlich unterlassen konnen, mit zuviel Feuer seine republikanischen Ketzereien auszukramen und andre ein wenig kuhne Satze einzumischen, die ihm leicht missgedeutet und gefahrliche Folgen fur ihn haben konnten; denn da die beiden grossten Machte des

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an Beurteilung grosser Weltbegebenheiten wagen, gutlich zurechtzuweisen und durch Warnung und richtigen Volksunterricht den gefurchteten bosen Folgen vorzubeugen, welche unvorsichtig vorgetragne Satze, von falschem Enthusiasmus irregeleiteter Schriftsteller, auf die allgemeine Stimmung haben konnten.So wenigstens habe ich jene Ankundigung verstanden, und das hat mich bewogen, damit

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Neid ihm vielleicht jede Art von Grosse und Tugend absprachen? Wer mochte wohl eine allgemeine Geschichte der Reformation fur zuverlassig halten, die im sechzehnten oder siebzehnten Jahrhunderte geschrieben ware?Das Gemalde muss erst aus einem Standpunkte beobachtet werden konnen, wo man es im Ganzen ubersieht, ohne von dem Schimmer einzelner Farben,

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ein Jahrgeld eintragen konnte!Selten also urteilt die gegenwartige Generation richtig uber die grossen Weltbegebenheiten ihrer Zeit; wenigstens wage sich niemand daran, der nicht oft den Versuch gemacht hat, mit philosophischem Blick, ohne Systemgeist, unparteiisch (soviel das moglich ist) uber allgemeine Gegenstande der

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man wartete lange vergebens. Was er hatte tun konnen und sollen, was die Konigin zum Besten gewirkt hat oder nicht gewirkt hat, ob man die Finanzen besser verwalten, den unnutzen Aufwand einschranken, redlicher und offner hatte verfahren konnen, daruber lasset uns jetzt nicht rasonieren! genug! dem Jammer wurde nicht abgeholfen, und

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Nation, geboren sein konnte, langer die untergeordnete Rolle zu spielen, sich taxieren, sich im Blinden fuhren, sich nicht nach bestimmten Gesetzen, sondern nach Willkur regieren zu lassen. Alles Zutrauen, aller guter Wille war verschwunden mogen immerhin bosgesinnte Sturmer

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dieses Mannes nachteilig urteilen oder gar es versuchen wollte, ihn, wegen einiger kuhnen Ausdrucke oder einiger vielleicht (doch nur vielleicht) ubertriebnen Deklamationen, verdachtig oder lacherlich zu machen!1Ein andrer, nicht weniger hellsehender Reisender kommt in eine franzosische Stadt, wo grade der noch

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Stimmungen und herrschenden Ideen der Menschen selbst, die daruber reden und schreiben.Wer bis dahin eine Herrschersrolle gespielt hat und nicht ganz gewiss ist, dass, sobald es auf freiwillige Wahl ankame, die Untergebnen lieber ihm als

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in Frankreich angenommenen Grundsatzen gar nicht passen will.Unter den teutschen kleinen Freistaaten ist vielleicht Hamburg der einzige, wo man sehr viel warme Bewundrer der neuen franzosischen Verfassung findet.Im ganzen scheint der Nationalstolz

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alles ist klar den sehr strengen Augen des Publikums dargelegt. Mochten sie immerhin geheime, eigennutzige oder ehrgeizige Absichten gehabt haben; mochten sie immerhin ausschweifende, rankevolle Leute gewesen sein! es kommt hier auf

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den Philosophen getraumt haben, aber es ist auch wohl nur ein Traum, dass einst eine Zeit kommen musste, wo das ganze Menschengeschlecht mundig geworden sein, den hochsten Grad von Geistesbildung erlangt, zugleich seine moralischen Gefuhle aufs hochste veredelt haben und dann keiner Gesetze mehr bedurfen wurde, um weise und gut (denn das ist ja einerlei), kurz, um seiner Bestimmung gemass zu handeln.Das Bild ist zu schon, das dieser Traum unsrer Phantasie darstellt, als

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; jeder lebt nur fur sich, hascht nach Genuss, geniesst und begehrt noch immer, nimmt, wo er nehmen kann, und hat doch nie genug fraget jeden einzelnen, und keiner ist zufrieden. Nichtswurdige Kleinigkeiten haben Wert erhalten, und das, was allein Wert hat und allein glucklich und ruhig machen kann das findet der mit Blindheit geschlagne Haufen nicht.

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Spiel wieder herbeifuhren."Wollte Gott, es ware also! aber mir scheint diese Hoffnung wenigstens noch zu gewagt. Ja, wenn jeder einzelne die ganze Reihe von Erfahrungen an sich selber gemacht hatte, so konnte man wohl darauf rechnen, dass dauerhafte Eindrucke davon zuruckblieben und seine Bildung vollendeten; allein fremde Erfahrungen dampfen nicht eigne Leidenschaften, und von allgemeinen Begebenheiten macht man selten spezielle Anwendung, wenn das liebe Ich in das Spiel kommt. Uberhaupt liegt es sehr selten an der

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und vielleicht wird man sich wundern, mich aus diesem Tone reden zu horen , ich glaube fast, obgleich ich anfangs erklart habe, dass ich hieruber nichts zu entscheiden wagen wurde, dass die monarchische Form vielleicht die zweckmassigste

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, der andre Menschen, am wenigsten die folgende Generation, verbindet.Nun aber uben unsre Beherrscher Rechte aus, die sich gar nicht aus dem Naturrechte erklaren lassen, sondern die vielmehr mit diesem im Widerspruche stehen, die niemand ihnen ubertragen konnte, die

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, welcher grade am mehrsten leisten und zahlen muss, darf am wenigsten dazu sagen, auf welche Weise er leisten und zahlen will. Friedensschlusse, die ganzen Nationen neue Verbindlichkeiten auflegen,

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mit dem ersten Zwecke jeder gesellschaftlichen Vereinigung, indem sie, statt die allgemeinen Menschenrechte und die personliche Sicherheit und Gluckseligkeit aller durch gegenseitigen Schutz zu befordern und gegen Beleidigungen zu sichern, vielmehr ganz darauf eingerichtet zu sein scheinen, dass eine kleinere Anzahl der

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dumme Menschen leitet, namlich Vorurteil, Autoritat, Tauschung und blinder Glauben, noch immer den Haufen der Starken im Zaume halten sollten. Und doch verlangen wir nicht nur, diese Albernheit durchzusetzen, sondern wir wollen sogar die Sache per modum contrarium treiben, das heisst: indes das Volk taglich kluger, taglich abgeneigter wird, sich im Blinden fuhren zu lassen, werden

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. Jene mogen sich daran spiegeln und gewahr werden, was der grosse Haufen vermag, wenn man ihn aufs ausserste treibt, und wie wenig die alten Quacksalbereien gegen ein so eingewurzeltes Ubel wirken; das Volk aber mag durch den

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seine Plane mitteilen, wenn er nicht gewiss uberzeugt ist, dass diese von eben den Empfindungen wie er durchdrungen sind, und das setzt entweder eine allgemein gegrundete Unzufriedenheit oder eine allgemeine Korruption der sittlichen Gefuhle voraus an beiden ist die Regierung schuld.Aus diesem allen ziehen wir theoretisch folgende Schlusse:

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in einem ausserst verderbten, in einem ausserst unglucklichen oder in einem ausserst inkonsequent regierten Staate zustande gebracht werden konnen. In dem erstern, weil da der grossere Teil der Menschen geneigt ist, ungerecht zu handeln; in dem zweiten, weil

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. Aber wer hatte auftreten mogen und sagen: ich will besser regieren als er? Wer durfte denken, er sei unerschrockner, scharfsichtiger, schneller bei dringenden Fallen, geschickter, begangne Fehler zu verbessern, wachsamer, weniger vergessend? Wer war liebenswurdiger, hinreissender, uberredender, witziger als er im geselligen Umgange?

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aus Eigennutz rede; aber das ist gewiss nicht der Fall. Sie belieben zu sagen, die Beamten wurden reich bey den grossen Pachtungen; allein das hangt davon ab, wie der Contract gemacht ist. Und ware das auch! Was wurde aus unsern Staaten werden, wenn es keine reiche Leute darinn gabe? Wer

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ohne den geringsten Eigennutz, ja! mit schweren Aufopferungen, dazu gehort schon grosse Starke der Seele. Aus blosser Liebe zu Gott edel zu handeln, das setzt schon ein Herz voll Warme fur Religion voraus. Naher liegen dem sinnlichen Menschen die

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sehr vernachlassigt worden, lieber Gott! man kann ja auch nicht alles wissen meinen aber, wollen es jedoch nicht gewiss behaupten, dass dieser Platz zu demjenigen Theile der Festungswerke gehorte, den man die Contre-Escarpe nennt. Genug, es war ein grosser gruner Platz

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nimt nicht selten ein lamentables Ende.Diese sieben Moralien scheinen beym ersten Anblicke ganz gemein und gleichsam trivial; allein nicht nur ist das bey allen moralischen Satzen der Fall, namlich, dass sie bekannt genug sind,

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fur einen achten Kenner, je ofter er ein Meisterwerk sieht, um desto grosser wird dafur hat das Gros des Publicums nirgends in Teutschland mehr Sinn, sondern will nur immer neue Spielwerke sehn. Ich sage, es hat keinen Sinn mehr dafur; aber hat es ihn je gehabt? ja! wenigstens in einigen

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in den grossten Stadten Teutschlands in den letzten Jahren sind aufgefuhrt worden, und Sie werden daruber erstaunen, wie weit man noch in manchen Gegenden unsers Vaterlandes zuruck ist und wie weit man in andern schon wieder hinabsinkt! Die mehrsten Directionen mussen sich doch

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und Recht moglich ist, wissen wir alle. Dieser Hokuspokus macht das Gerade krumm, das Krumme gerade, erklart Menschen fur todt und spricht: kommt wieder Menschenkinder! je nachdem es im Rathe der Schoppen beschlossen ist. Ich selbst habe drei Rosenthaler gekannt, welche

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den Handen verlieren, so setzt meine Tradition zum voraus, dass sie gar gern sich in Schlossern aufhalten, je alter je besser; nur mussen diese Schlosser bewohnt seyn, weil die Menschlein sich gar zu gern

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!Ob ubrigens etwa eine Verwunschung, die in dergleichen alten Gebauden zu Hause gehort, an der Figur unserer Kleinen Schuld sey, oder ob wirklich dergleichen Geschopfe gleich anfanglich und schon bei der Schopfung so klein gewesen, das bleibt in meinen Nachrichten weislich oder unweislich unbemerkt. Allenfalls

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seine Botmassigkeit bringen lehren; und wie weit leichter ware diess olympische Ziel zu erreichen, wenn man die unendlich mannichfaltigen Anlagen des Kindes zu benutzen wusste,

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und alle zusammen nur Ein Wappen fuhren, noli me tangere, welches verdolmetscht ist: honny soit qui mal y pense, leider! so allgemein ware, dass nur demjenigen Lebensart zugestanden wurde, der mit Menschen einer hohern Region umzugehen verstande; ob es gleich nicht nur weit schwerer, sondern auch weit nutzlicher sey,

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, sehr tief und ehrerbietig ab. Schon lange konnte unser Ritter sich nicht ohne Mutze behelfen, und es gibt Menschen, denen sie naturlicher als der Hut ist. Zwar lasst sich nicht laugnen, dass eine Mutze eben nicht die schicklichste Tracht fur einen Ritter sey; indessen war er wegen seiner Neigung zu Hauptflussen zur Mutze verurtheilt; und da in unseren letzten Tagen die

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l (wobei die gnadige Frau sich jedesmal ehrerbietig beugte), ist unstreitig unter allen Orden einer der altesten und beruhmtesten; denn obgleich der Orden der Freimaurer sich dunkt, als ob Adam der erste achte und gerechte Maurer gewesen sey, so dient doch zur dienstfreundlichen Antwort,

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er Erbauung sucht und dazu empfanglich ist, gar reichlich finden wird. Die guten Werke mussen dem Glauben vorausgehen; nach meinem glaubigen Dafurhalten ist er eigentlich nur da, das Fehlende zu ersetzen. Ach lieber Gemahl! warum sollten wir uns selbst vermessen, besser zu seyn,

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den Freimaurern gemacht, furs erste beruhigt und durch so viele schone Schlussreden ausserst bewegt schien, war voll heiligen Posaunentons und voll Jubelsprunge uber so viele Jerusalemsanstalten. Er hatte beim Schlusse der

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wird, anstatt dass er je langer je bewahrter werden sollte, je langer je unrichtiger und unsicherer, besonders wenn er mundlich fortgewalzt wird, obgleich er zusehends anschwillt;

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Warum nicht gar! wenn die guten Herren nur die Bibel zur Hand nehmen wollten, wie so manches konnten sie uber Mord und Todtschlag lernen, woruber in ihren Gesetzbuchern ein altum silentium herrscht! Gibt es nicht groben und feinen Todtschlag, und tritt nicht diese Eintheilung auch beim Morde ein?

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einer Eiche hangen blieb, und die Kinder edler Leute selten gerathen; wenn gleich die Kinder der Reichen nicht besser einschlagen, und nicht selten an Eichen hangen bleiben. Ein edler, personlich geadelter Mann wird er bloss dem Allgemeinen

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! Amalia glaubte, sich wenigstens in den vorigen Stand bei unserm Helden zu setzen, wenn er je eher, je lieber ihr Bruder wurde. Dergleichen platonische Liebe pflegt bald sich auch

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Sarges (wahrlich, der Sarg, nicht der gnosticirt! Nun war freilich das gelobte-Landes-Jerusalem noch nicht angefangen und der Meister Hans Peter daruber leider! ins Irrenhaus gekommen. Auch verstand man nicht die Graphik des irdischen Jerusalems, und konnte keinen Bauentwurf auf das Papier bringen; was sollte denn aus dem unsichtbaren Jerusalem werden? Nicht minder wandte die

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? und wer wollte nicht in so guter Gesellschaft seyn, wer wohl gern allein ubrig bleiben und dem ewigen Einerlei sich unterwerfen, das zuletzt anekeln muss? Wahrlich, wer vorausgeht,

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d nicht sagen. Ich denke noch viele Tage, vielleicht viele Wochen bei euch zu bleiben. Lebt wohl, wohl, wohl bis aufs Wiedersehen! Schrecklich ware es,

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die Zahlen starke Jagd machte. Auf seine Rechnung gehoren die Zahlen, die so wie uberhaupt, so insbesondere in den letzten Paragraphen vorgekommen sind und ohne Zweifel noch vorkommen werden, obgleich unser Held gewiss auch nie vergass, sich alle Monate drei Hemden anzuziehen und sich gewisser Speisen zu

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Warum nicht gar! versetzte der Junker; dann ware das verlorne Portrait ein noch grosseres Ohngefahr. Warum gab es eben sieben Weisen in Griechenland? warum nicht mehr oder weniger? Der Pastor war vermittelst der sieben Weisen vollig

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Loge zum hohen Licht kommen konne. Das ist freilich die sicherste Partei, zu der ein weiser Richter in der Mitte zweier kunsterfahrner Advokaten sich zu entschliessen pflegt. Wer beiden Recht gibt, verdirbts mit keinem von beiden. Hiezu kam, dass Michael ganz richtig bemerkte, sein Herr sey bei weitem so ubel nicht daran, als

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alles nicht bloss dogmatisch begriffen, sondern praktisch geubt werden, um endlich aus Ziel zu kommen. Das Kind, das gehen lernt, setzt sich der Gefahr aus, zu fallen, und sollten die Verstandeserweiterungen auch wirklich zunachst unangenehme Folgen haben, sollten! scheinen diese Folgen nicht vielleicht bloss so? Waren sie aber auch wirklich Uebel, kront nicht bloss das Ende

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mussigere, kleinere Theil mit einer grossen Portion Leichtsinn ausgestattet ware? Wenn nicht die noch ubrigen wenigen Edlen, diese Menschen Gottes, getrieben vom heiligen Geist zu reden und zu schreiben, den hohen Beruf fuhlten, sich des menschlichen Geschlechts anzunehmen? Leichtsinn und die rastlose Thatigkeit der theoretischen und praktischen Vernunft wird das menschliche Geschlecht vor

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(ich stehe furs Ja!). Die zweite sich wo moglich durch keine Bedienung im monarchischen Staat die Hande und den Kopf binden zu lassen; in Freistaaten ists vielleicht anders, vielleicht auch nicht; wo gibt's ausser Eldorado,

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war so buchstablich wahr, dass sie nicht genauer und wahrer seyn konnte. Unser armer Held kannte eben so wenig als Michael das Thor, wovon die Frage galt. Diese Ungewissheit allein machte unsern Helden so muthig, wenn gleich, wie wir wissen, seitdem er zum drittenmal den Einladungsbrief

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diene ihm wegen des Wechselumstandes zur dienstfreundlichen Nachricht, dass es politische Briefe geben konne, von denen Wohl und Wehe ganzer Provinzen und Staaten abhange, und wozu man sich gewohnlich der Chiffer zu bedienen pflege.

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einer Sache kennen, heisst ihre Bestimmung umfassen. Nicht immer ist die Behauptung wahr, doch zuweilen. Je ungeheurer der Block, desto besser der Merkur; je wildfremder das Bild, desto ergotzender dem Kenner; je kuhner die Idee, desto umfassender fur

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uberkeuschen Keuschheit eben so unmoglich machte. Die meisten dieser Ordenszweige der zweiten Ordnung und ihre Stufen passten so wenig auf die allgemeine und die nachherige besondere Vorbereitung, dass man gar nicht zu begreifen im Stande war, wie eins zum andern kame. Auch

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selbst im grossten Leiden leben, um des Lebens und Todes wurdig zu seyn. Wer bei widrigen Schicksalen verzagt, sich den Tod wunscht, ist eben so klein, als der gross ist, der im grossten Gluck an den Tod denkt und zu sterben wunscht.

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und die angeliehenen Kapitalien gingen sammtlich verloren. Die Ritterguter blieben den beiden Brudern ubrig; eins derselben ware hinreichend gewesen, zwei Familien standesmassig zu unterhalten. Der jungere Bruder befand sich in Kriegsdiensten und stand zu

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, wo moglich, in den ersten drei, neun oder zehn Tagen, drei, neun, zehn ersten Wochen, drei, neun, zehn ersten Monaten, drei, neun, zehn ersten Jahren erscheinen

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nicht so bekannt war, wie der Ritter, konnte sich nicht so leicht finden; er schien sich zu wundern, wie es in aller Welt zuginge, dass Grabesritter, so wie regierende Herren, sich von Besitzungen nennen konnten, in denen ihnen kein

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gelehrt zanken konnte. Heraldicus junior war verliebt; und wenn gleich die Liebe immer dringend ist, musste die seinige es nicht um so mehr seyn, da ein andrer Freier ihm zuvorgekommen war? Ob wohl oder ubel? war nicht auszumachen; er konnte sich nicht entbrechen, den

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mit den bekannten Orden zu la Trappe und dem Orden des heiligen Grabes; nur waren hierbei nicht die mindesten weltlichen Aussichten, vielmehr schien alles Seltene und Schwere aus den vier Hauptregeln des heiligen Basilius, des heiligen Augustinus, des heiligen Benedictus und des heiligen Franciscus in

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Unmassigkeit zu erwehren. Auch ward in keinem Orden mehr geschlafen und weniger gearbeitet als hier. Diess gab unserm Ritter und seinem Knappen zu vielen Bemerkungen Anlass, wiewohl es fuglich bei der einzigen Frage hatte bleiben konnen: Was kann Menschen bewegen, u

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Orden sich mehr Muhe geben, wo gemeinhin nichts weniger als Wallfische zu fangen sind! So viel ist gewiss, dass viele der Vergiften zu wissen glaubten, was sie nicht wussten, und diese wollten andere in der Unschuld ihres Herzens glauben machen, dass sie wussten. Viele

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ist unerforscht geblieben bis auf den heutigen Tag.Ob nun gleich der Bruder Praparateur unserm Ritter unendlich grossere Ordenswunder praambulirte, so schien dem violetten Manne doch dieser Vorfall ausserst wichtig, wenigstens weit wichtiger,

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. Doch wer Menschen kennt, kennt der schon die Liebe? Der Englander war freilich in vielen hohen und niedern Schulen gewesen, um Menschen kennen zu lernen; in der Liebe war er wahrlich kein Eklektiker.

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die in unsern letzten Tagen so viele Bestreiter gefunden haben, konnen sicher seyn, bei einer gewissen Stimmung des Gemuths immer noch zu gewinnen. Sie behaupten, die zweite Edition von dem Leben der ersten Christen zu seyn; und scheint es nicht wirklich, dass sie den einfaltigen Wandel dieser ersten Bekenner und Bekennerinnen nachahmen? Nicht wahr, lieber Ritter,

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Ende zu bedeuten? Man hatte sie immer sich selbst uberlassen sollen. Es sey ungerecht, glaubten sie, von unsern Dichtern und Philosophen immer etwas ganz neues zu verlangen. Etwas neues vom Jahre konnten sie liefern. Freilich gilt eine Geistererscheinung mehr als alles, was philosophirt und gedichtet

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Heraldicus junior behauptet, wenn seine Gattin ihm namlich so weit Spielraum lasst: irrende Ritterschaft sey eigentlich die wahre; und wo nicht drei-, sieben-, neun- und zehnmal, so doch weit besser als die nicht irrende. Ein grober Irrthum!

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nur das erste Mal gemacht. Diese Not wird sich erst recht zeigen so dass ich lieber und leichter nach den vier gedruckten Flegeljahren noch so viele neue, als ich Jahre habe, gabe , wenn ich einmal den dritten oder Schlussband dieser Loge bauen muss;

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Schonheit, womit frische Gefuhle zum ersten Male reden, schon so oft und besonders in Vorreden gesprochen (ich verweise in dieser zur zweiten Auflage der Mumien auf die neueste zur zweiten Auflage der gronlandischen Prozesse); und so beweiset sich der Satz schon dadurch, wie

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Er furchtete immer, ein Dichter musse so gut wie ein Maler und Baumeister etwas wissen, wenn auch wenig; ja er musse (die Sache noch hoher getrieben) sogar von Grenzwissenschaften (und freilich umgrenzen alle

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sind hier wohl die einzigen Ausnahmen von Belang, namlich ihre verschiedenen kleinen Aufsatze und die verschiedenen kleinen Urteile dazu.Es ist eigentlich ziemlich spat, dass ich erst nach 28 Jahren sage, was die beiden Titel des Buchs sagen wollen. Der eine "unsichtbare Loge" soll etwas aussprechen, was

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auch; ja ohne eine angeborne unwillkurliche was man eben Hoffnung und Erinnerung nennt ware keine Wirklichkeit zu ertragen, wenigstens zu geniessen.Aber ebenso gewiss ist es, dass gerade die Jugend, diese lebendige Poesie, mitten unter ihren

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gern mit tausend Worten uberladen mochte und eben deswegen bloss mit Blicken ausfullt, noch zu sagen haben oder zu sagen wissen, als meine ewigen Wunsche fur sie: findet auf diesem (von uns Erdball genannten) organischen Kugelchen, das mehr begraset als beblumet ist, die wenigen Blumen im

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achtjahrigen Erziehung brauchte dann ohnehin nichts zu werden."Die ersten 14 Tage wurd' in der Tat zu nachlassig gespielt und geliebt. Allein damals hatten weder andre gescheite Leute noch ich selber jene hitzigen Romane geschrieben, wodurch wir (

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zogernde Schicksal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm abhangen, absichtlich entgegen und wunschet sie doch. Die beiden kriegenden Machte wurden zwar sich einander immer lieber, eben weil sie einander einzubussen furchteten; gleichwohl stands in den Kraften der weiblichen nicht,

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mit Einsicht herunter je langer es nun regnete, desto kurzer schurzte sich sein Frack hinauf, und am kurzesten Tage ging der Epitomator wegen des unerhorten Wetters im kurzesten Uberrock herum, in

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soll so ausserordentlich lang gewachsen tragen, wie der geneigte Leser beide tragt, dem es freilich nicht erst hier vorgedruckt zu werden braucht er merkte alles schon vor drei guten Stunden ,

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, die weit denken, hoff' ich, nicht sich wundern, sondern vielmehr sich anstellen, als fanden sie ein solches ErziehHeldentum eben recht naturlich. Ubrigens ist wohl die Tugend der meisten Menschen mehr nur ein

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der Leidenschaften heraus in den sogenannten Himmel hinein, wo neben den Seligen ebenso viele Verdammte gehen. Aber da er alsdann auch der grossen Natur ins Angesicht schauen darf: so ists doch nicht sein Schicksal allein, was mich beklommen macht, sondern meines und fremdes, weil

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Kinderseelen vollends gefahrlich. Indes ist es zuweilen auch nicht wahr: denn ich machte den vollstandigen Filou bloss ein-, zwei- oder dreimal in meinem Leben, aber wirklich noch, eh' ich zum erstenmal gebeicht hatte.

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mit mir bekannt genug ist. Das mannliche Geschlecht ist glucklicher und neidloser als das weibliche, weil jenes imstande ist, zweierlei Schonheiten mit ganzer Seele zu fassen, mannliche und weibliche; hingegen die Weiber lieben meistens nur die

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die Wunde bloss tiefer unter der Haut und macht zwar nicht den Chirurgus, aber wohl den Doktor notig.Jetzt will ich berichten, warum der Rittmeister beinahe geblieben ware.Hoppedizel hatte ausser ihm an einem Nachmittag funf Leute bei

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oder gehenkeltes schon an ihren Reizen hangen; aber der Teufel trau' geheimen Legationraten, zumal Oefeln. Ich sage dir, er mag Beaten kapern oder nicht, so wundert mich jedes. Du wirst dich freilich damit trosten, lieber Jean Paul, dass du erstlich grossere Reize hast als er und zweitens gar nicht weisst, dass du die Reize hast, welches in der Konversation viel tut. Es ist wohl etwas daran; denn Oefel will nicht sowohl gefallen als bloss zeigen, dass er gefallen konnte, wenn

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Geld, bald zu gross sind, bald zu klein. Sie wird vielmehr finden, mit einem ehrlichen Jean Paul sei mehr anzufangen; sie wird, hoff' ich, besagtem Paul die

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mit ihr vermahlen, weil ein gewisser dritter Hof, der nicht genennt werden darf, sie dadurch einem vierten, den ich gern nennen mochte, entziehen wollte. Man glaube mir aber, es glaubt kein Mensch am ganzen Hofe des

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die funfzig Schreiber irren; sie werden ferner denken, er lernte klein schreiben, um das Porto zu schwachen, ferner Chiffern und Titel machen, ferner wissen, wessen Name im offentlichen Instrument, das an drei Potenzen kommt, zuerst stehe und

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im Nachspringen begriffen, als die Residentin mit zwei Portraten wiederkam. "Welches ist ahnlicher?" sagte sie zu Beata und hielt ihr beide entgegen und heftete ihr Auge statt auf die drei Gesichter, die zu vergleichen waren, bloss auf das,

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noch nichts gearbeitet hatten, auf den Altar gelegt. Ich weiss es recht gut, dass mehr als einer der paralytischen grossen Welt Arbeit zumutet, die namlich, sich und andre in einem fort zu amusieren; diese ist aber so herkulisch schwer und nutzt

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als wenn eigne Meinungen und Wahrheitliebe darin als feste dicke Saulen stehen.Dieses sind eben die Mittel, wodurch Weltleute sowohl andre als sich selber im feinsten lacherlichen Lichte darzustellen wissen. Der Hofmann kann allerdings den deutschen

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zu haben weiss, unter ihren Schwielen-Handen meistens verfliegen lassen. Er, der Hofmann, macht sich stets auf eine feine, nie niedrige Weise lacherlich und wurzet mit einem echten hohen Komischen, das seinem hohen Stande anpasst, seine Person leicht; aber

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, ihr zwei schonen Seelen, ihr findet niemand, der euch gleichen, der euere Liebe verdienen kann, ihr seid allein O Beata, auch Gustav liebet dich und sagt es nicht Wenn du dein schones Herz noch hast, so gib es ihm, auf der ganzen Erde verdient nur ers, gib es ihm

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vergiesset, desto grosser und schneller, je weniger ihm die Erde geben kann und je hoher er von ihr steht, wie die Wolke, die hoher als andre von der Erde sich entfernt, die grossten Tropfen wirft. Nichts

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etc. teils reduzierte, teils uberkomplett machte, so viel bewiesen, Beata werde von ihrer eignen Empfindung getauscht und das Paradies ihrer unschuldigsten Liebe sei nach ihrer mutterlichen Empfindung blutschlecht und wirklich ein pontinischer Sumpf die Blutenbaume darin seien Giftbaume der Blumenflor bestehe teils aus giftigen Kupfer-, teils aus falschen

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unwissend, andre Grunde zu erraten als folgende: der Sitz des Zorns (wofur nach Winckelmann die Griechen die menschliche Nase hielten) kann nicht bald genug ausgerottet werden, weil weder ein Hofmann noch ein Christ Zorn beweisen soll. Zweitens: verkleinerte Korper sind wenig von bucklichten,

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Fall und sage sogar zur Seele, die so gut ist wie seine: "Sei besser!"Ehe wir zur Seele gehen, der ers sagt, zu Beata, wollen wir wenigstens einen einzigen Verteidiger fur den armen Gustav vernehmen, damit man ihn nicht zu tief verdamme. Der Verteidiger gibt bloss dieses zu bedenken: wenn die Weiber so leicht zu besiegen

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von mir fodern, die Damen von meiner Bekanntschaft offentlich zu nennen, die gewiss wie Mailand 40 mal (nach Keissler) waren belagert und 20 mal erobert worden, waren sie nicht brav stolz gewesen, ja ware nicht eine davon an einem Abende voll Tanz zweiundeinhalbmal stolz gewesen; aber nennen konnt' ich

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kann wer weiss, wann wirs wieder so haben?" Endlich fuge er hinzu: "Ich und Gustav verreisen ohnehin morgen fruh, und das Wetter halt nicht mehr lange." Es ist das siebenwochentliche unbekannte Verreisen,

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, mit denen wir sie verbrachten, in einem schonen Dammerlichte, das unsre Herzen zieht, vor unsern innern Augen schweben. In der Tat, man liebt nie eine Frau mehr als nach

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ein Weib schonen, sondern dir auf einmal den ganzen ausserordentlichen Schlag erzahlen, der unsere glucklichen Stunden getroffen hat und am meisten die unserer beiden Freunde.Drei Tage nach unserer schonen Nacht erinnerst du dich noch an eine gewisse Bemerkung von

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in deinen zwei Herz-Kammern, Freude in deinen zwei Herz-Ohren. Du numeriertest bloss oben im Chore, gutes Ding! das ich je langer je lieber gewinne, deine kunftigen Schulbuben und Schulmadchen in den Kirchstuhlen zusammen und setztest sie samtlich voraus in deine

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Busen drucken konnte dass noch viele Jahrtausende uber diese Statte gehen und daruber himmlische, vielleicht betrubte Menschen fuhren werden, die uns nie begegnen, sondern hochstens unsern Urnen,

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fruher oder spater empfinden kann, so mussen wir unsern Helden dreifach glucklich preisen, dass ihm gegonnt ward, die Wonne dieser einzigen Augenblicke in ihrem ganzen Umfange zu geniessen. Nur wenig Menschen werden so vorzuglich begunstigt, indes die meisten von ihren

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ist eine schone Empfindung, liebe Mariane", versetzte Wilhelm, "wenn wir uns alter Zeiten und alter unschadlicher Irrtumer erinnern, besonders wenn es in einem Augenblicke geschieht, da wir eine Hohe glucklich erreicht haben,

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selbst Lust gefuhlt, die Vorstellung zu wiederholen und dabei in einem Nachspiele einen ganz frisch fertig gewordenen Hanswurst zu produzieren.Ein junger Mann von der Artillerie, mit vielen Talenten begabt, besonders in mechanischen Arbeiten geschickt, der dem Vater wahrend des Bauens viele wesentliche Dienste geleistet hatte und von ihm reichlich beschenkt worden war,

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und Kameraden hinauf; wenn sie aber auch nicht kommen wollten, war ich allein oben. Meine Einbildungskraft brutete uber der kleinen Welt, die gar bald eine andere Gestalt gewann.Ich hatte kaum das erste Stuck, wozu Theater und

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in welcher besonders die Reifrocke fur die Damen nicht vergessen waren.Die Truppe war nun wirklich mit Kleidern fur das grosste Stuck versehen, und man hatte denken sollen, es wurde nun erst recht eine Auffuhrung der andern folgen; aber es ging mir,

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es den ubrigen auch nicht eingefallen; sie glaubten, sie wurden sich leicht als Helden darstellen, leicht so handeln und reden konnen wie die Personen, in deren Welt ich sie versetzt hatte. Sie standen alle erstaunt, fragten sich einander, was zuerst kommen sollte?

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wie wir kommen und gehen, deklamieren und gestikulieren sollten; allein er erntete fur seine Bemuhung meistens wenig Dank, indem wir die theatralischen Kunste schon besser als er zu verstehen glaubten.Wir verfielen gar bald auf das

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Augenblicke am meisten gesucht wird und doch bald fehlt, bald schwer zu haben ist, zu kennen, jedem, was er verlangt, leicht und schnell zu verschaffen, sich vorsichtig in Vorrat zu setzen und den Vorteil jedes Augenblickes dieser grossen Zirkulation zu geniessen! Dies ist, dunkt mich,

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der Vorrat reichlich, das Silbergeschirr schwer, das Tafelservice kostbar; dagegen waren die Gaste selten, denn eine jede Mahlzeit ward ein Fest, das sowohl wegen der Kosten als wegen der Unbequemlichkeit nicht oft wiederholt werden konnte. Sein Haushalt ging einen gelassenen und einformigen Schritt,

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sein Mitwirken zubereitet worden! So gross war seine Leidenschaft, so rein seine Uberzeugung, er handle vollkommen recht, sich dem Drucke seines bisherigen Lebens zu entziehen und einer neuen, edlern Bahn zu folgen, dass

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sie wurden gewohnt, sich taglich zu sehen, und man hatte sagen sollen, das Verlangen, einander zu finden, sich miteinander zu besprechen, sei durch die Unmoglichkeit, einander verstandlich zu werden, vermehrt worden. Im Grunde aber gingen sie doch, weil sie beide gute Menschen

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, Du siehst, was ich uber mich gewinnen kann, um Dich gewiss zu haben; denn Dich so lange nicht zu sehen, Dich in der weiten Welt zu wissen! recht lebhaft darf ich mir's nicht denken. Wenn

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wir uns bedienen. Je mehr wir uns dabei aufhalten, je mehr wir darauf merken und teil daran nehmen, desto schwacher wird das Gefuhl unsers eignen Wertes und

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? Ein guter Schauspieler macht uns bald eine elende, unschickliche Dekoration vergessen, dahingegen das schonste Theater den Mangel an guten Schauspielern erst recht fuhlbar macht."Nach Tische setzte Philine sich in das beschattete hohe Gras. Ihre beiden Freunde mussten ihr Blumen

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ein Pfand geben mussen. Philine hatte sie mit grosser Sorgfalt gesammelt und besonders den geistlichen Herrn mit vielen Kussen bei der kunftigen Einlosung bedroht, ob er gleich selbst nie in Strafe genommen ward. Melina dagegen war vollig

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leidlich, wohl gar interessant zu finden, und so die jugendlichen Eindrucke, welche nie verloschen, denen wir eine gewisse Anhanglichkeit nie entziehen konnen, von

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seinen Umstanden entdeckt hatte. Ich musste mich sehr irren, wenn ich ihn nicht schon irgendwo gesprochen hatte.""Und doch konntet ihr euch", sagte Philine, "darin wirklich irren. Dieser Mann hat eigentlich nur das

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er nichts weniger denn diese Vorwurfe zu verdienen glaubte. Er schwur hoch und teuer, dass es ihm keineswegs eingefallen sei, sich an diese Person, deren ganzen Wandel er wohl kenne, zu

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bei uns bleibt, spielen liessen. Sie haben doch wohl einige Geschicklichkeit. Eine grosse Sozietat lasst sich am besten durch ein Theater unterhalten, und der Baron wurde sie schon zustutzen."Unter diesen Worten gingen sie die Treppe hinauf, und Melina prasentierte sich oben als Direktor.

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was man tun sollte, und konnte keinen Entschluss fassen. Endlich sah man von weitem eine Laterne kommen und holte frischen Atem; allein die Hoffnung einer baldigen Erlosung verschwand auch wieder, indem die Erscheinung naher kam und deutlich ward. Ein Reitknecht leuchtete dem bekannten Stallmeister des

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unruhigen Zeit eingetroffen sei und sich mit der ubrigen Gesellschaft in dem alten Schlosse schlecht behelfen musse.Mit grosser Sorgfalt nahm darauf Wilhelm das Stuck vor, womit er seinen Eintritt in die grosse Welt machen sollte. "Du hast", sagte er, "bisher im stillen fur dich gearbeitet, nur von einzelnen Freunden Beifall erhalten; du hast eine Zeitlang ganz an deinem Talente verzweifelt, und du musst immer noch in

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es Melinan angegeben, fertigen zu lassen; wenn ich nicht irre, so wollte er uns bloss durch einen Fingerzeig auf den rechten Weg weisen. Der Liebhaber und Kenner zeigt dem Kunstler an, was er wunscht, und uberlasst ihm alsdann die Sorge, das Werk hervorzubringen."

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das zu gleicher Zeit eintraf, die vielen Menschen, die teils zum Besuche, teils geschaftswegen einsprachen, machten das Schloss einem Bienenstocke ahnlich, der eben schwarmen will. Jedermann drangte sich herbei, den vortrefflichen Fursten zu sehen, und jedermann bewunderte seine Leutseligkeit und Herablassung, jedermann erstaunte,

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wenn nichts dergleichen ware aufgefuhrt worden, ausser dass Jarno mit Wilhelmen gelegentlich davon sprach und es sehr verstandig lobte; nur setzte er hinzu: "Es ist schade, dass

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und einer grossen Feder machte die Maskerade vollkommen.Die Frauen beteuerten, diese Tracht lasse ihm vorzuglich gut. Philine stellte sich ganz bezaubert daruber und bat sich seine schonen Haare aus,

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Platze zu sehen, und die wunderliche Gruppe fand sich in dieser Einsamkeit allein.Wilhelm erfuhr nun immer mehr, als er wissen wollte: die ubrigen Manner, die allenfalls noch Widerstand hatten tun konnen, waren gleich in Schrekken gesetzt und bald uberwaltigt; ein

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mir auch gar nichts daran gelegen, ich wollte, sie waren je eher je lieber fort! Den einzigen Laertes wunscht' ich zu behalten; die ubrigen wollen wir schon nach und

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sass und allerlei Spielwerk durcheinander warf. Er mochte, wie Philine schon angegeben, ungefahr drei Jahre alt sein, und Wilhelm verstand nun erst, warum das leichtfertige, in ihren Ausdrucken selten erhabene Madchen den

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Geist und fordert Rache, aber vergebens. Alle Umstande kommen zusammen und treiben die Rache, vergebens! Weder Irdischen noch Unterirdischen kann gelingen, was dem Schicksal allein vorbehalten ist. Die Gerichtsstunde kommt. Der Bose fallt mit dem

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liebste, ja seine einzige Lekture. Diese konnte er nun, da er eine grosse Leihbibliothek fand, nach Wunsch befriedigen, und bald spukte die halbe Welt in seinem guten Gedachtnisse.Wie leicht konnte er daher seinem Freunde

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Du aber ja nicht denken, dass es uns eingefallen sei, das grosse leere Haus in Besitz zu nehmen. Wir sind bescheidner und vernunftiger; unsern Plan sollst Du horen. Deine Schwester zieht nach der Heirat gleich in unser Haus heruber, und sogar auch Deine

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und die schonen Lustorter auf dem Lande fur beide. Dabei ist der grosste Vorteil, dass auch unser runder Tisch ganz besetzt ist und es dem Vater unmoglich wird, Freunde zu sehen, die sich nur desto leichtfertiger uber ihn aufhalten, je mehr er sich Muhe gegeben hat,

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ich Dir gleich dienen konnen, wenn ich Dir vorher das gebuhrende Lob uber Deine vortrefflich angewendete Zeit werde entrichtet haben.Sage nur, wie hast Du es angefangen, in so wenigen Wochen ein Kenner aller nutzlichen und interessanten Gegenstande zu

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Er fasste darauf alle seine Argumente zusammen und bestatigte bei sich seine Meinung nur um desto mehr, je mehr er Ursache zu haben glaubte, sie dem klugen Werner in einem gunstigen Lichte darzustellen, und

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ernsthaften und wichtigen kleidet ihn wohl, weil er sehen lasst, dass er uberall im Gleichgewicht steht. Er ist eine offentliche Person, und je ausgebildeter seine Bewegungen, je sonorer seine Stimme, je gehaltner und gemessener sein ganzes Wesen ist, desto vollkommner ist er.

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konigahnliche Figuren erschaffen kann, so darf er uberall mit einem stillen Bewusstsein vor seinesgleichen treten; er darf uberall vorwarts dringen, anstatt dass dem Burger nichts besser ansteht, als das reine, stille Gefuhl der Grenzlinie, die ihm gezogen ist. Er darf nicht fragen

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Stuck weglassen konne, ohne es zu zerstukken, daruber waren beide sehr verschiedener Meinung.Wilhelm befand sich noch in den glucklichen Zeiten, da man nicht begreifen kann, dass an einem geliebten Madchen, an einem verehrten Schriftsteller irgend etwas mangelhaft sein konne. Unsere

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und doch sollen wir spielen, und immer spielen, und immer neu spielen. Sollen wir uns dabei nicht unsers Vorteils bedienen, da wir mit zerstuckelten Werken eben soviel ausrichten als mit ganzen? Setzt

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, ihnen begreiflich zu machen, was sich eigentlich von selbst versteht, und wie schwer es ist, denjenigen, der etwas zu leisten wunscht, zur Erkenntnis der ersten Bedingungen zu bringen, unter denen sein Vorhaben allein moglich wird.

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am Leben erhalten", sagte Wilhelm, "da ihn das ganze Stuck zu Tode druckt? Wir haben ja schon so weitlaufig daruber gesprochen.""Aber das Publikum wunscht ihn lebendig."

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allerliebsten Stelzchen beschaftigt; er habe sie mit einem gewissen Interesse angesehen, behandelt, damit gespielt und sich erst gegen Morgen in seinen Kleidern aufs Bette geworfen, wo er unter den seltsamsten Phantasien einschlummerte. Und wirklich schlief er

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schnurrte, bald mit dem Rucken der Hand, bald mit den Knocheln darauf pochte, ja mit abwechselnden Rhythmen das Pergament bald wider die Knie, bald wider den Kopf schlug, bald schuttelnd die Schellen allein klingen liess, und so aus dem einfachsten Instrumente gar verschiedene Tone hervorlockte. Nachdem sie lange gelarmt hatten, setzten sie sich

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ihn und konnte nichts Zusammenhangendes aus beiden Kindern herausbringen.Indessen hatte das Feuer gewaltsam mehrere Hauser ergriffen und erhellte die ganze Gegend. Wilhelm besah das Kind beim roten Schein der Flamme; er konnte keine Wunde, kein Blut, ja keine Beule wahrnehmen. Er betastete es uberall, es

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aber er konnte keine Ruhe finden.Neben dem anmutigen Garten, den der eben aufgegangene Vollmond herrlich erleuchtete, standen die traurigen Ruinen, von denen hier und da noch Dampf aufstieg; die Luft war angenehm und die Nacht ausserordentlich schon. Philine hatte beim Herausgehen aus

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auf eine interessante Weise vor, so werden sie gewiss darnach greifen.Was unserm Theater hauptsachlich fehlt, und warum weder Schauspieler noch Zuschauer zur Besinnung kommen, ist, dass es darauf im ganzen zu bunt

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Art Bindungsmittel furs Ganze, und ihr Verlust musste bald fuhlbar werden.Serlo konnte ohne eine kleine Liebschaft nicht leben. Elmire, die in weniger Zeit herangewachsen und, man konnte beinahe sagen, schon geworden war, hatte schon lange seine Aufmerksamkeit erregt, und Philine war klug genug, diese

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und ordentlich gehen solle.In kurzer Zeit war das ganze Verhaltnis, das wirklich eine Zeitlang beinahe idealisch gehalten hatte, so gemein, als man es nur irgend bei einem herumreisenden Theater finden mag. Und

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Ihre Mitspieler vortrefflich, sondern weil sie gut sind, lasst man Ihrem ausserordentlichen Talente keine Gerechtigkeit mehr widerfahren.Stellen Sie sich, wie wohl sonst geschehen ist, nur allein hin, suchen Sie mittelmassige, ja, ich darf sagen, schlechte

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", sagte er, "ist schwer nachzuahmen, weil er eigentlich negativ ist und eine lange anhaltende Ubung voraussetzt. Denn man soll nicht etwa in seinem Benehmen etwas darstellen, das Wurde anzeigt; denn leicht fallt man dadurch in ein

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fur ihn entschieden. Er warnte mich gleich, vor seinem Bruder geheim zu sein; allein das Feuer war nicht mehr zu verbergen, und die Eifersucht des Jungeren machte den Roman vollkommen. Er spielte uns tausend Streiche; mit Lust vernichtete er unsre Freude und vermehrte dadurch die Leidenschaft,

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, und woruber ich mich im Gesprache auszudrukken verstand. Mein neuer Freund, der von jeher in der besten Gesellschaft gewesen war, hatte ausser dem historischen und politischen Fache, das er ganz ubersah, sehr ausgebreitete literarische Kenntnisse,

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mir mit altern Personen ein Spiel ausmachen konnte, wozu ich sonst nicht die mindeste Lust hatte, und wenn ein alter guter Freund mich etwa scherzhaft daruber aufzog, lachelte ich vielleicht das erstemal den ganzen Abend. So ging es mit Promenaden und allen gesellschaftlichen Vergnugungen, die sich nur denken lassen.Ich hatt' ihn einzig mir erkoren;Ich schien mir nur fur ihn geboren,Begehrte

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Hand anbieten konne, dass ich am besten wisse, wie hinderlich es ihm bisher gegangen, dass er glaube, ein so lang fortgesetzter fruchtloser Umgang konne meiner Renommee schaden, ich wurde ihm erlauben, sich in der bisherigen Entfernung zu halten; sobald er imstande ware, mich glucklich zu machen,

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ihren Gegnern recht diplomatisch und juristisch zu Leibe zu gehen. Wie unbekannt muss ihnen das wahre Gefuhl sein, und wie wenig echte Erfahrungen mogen sie selbst gemacht haben!Ich darf sagen, ich kam nie leer zuruck,

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zu helfen suchen. Es tut etwas, aber nicht lange genug.In der Einsamkeit konnte ich nicht immer bleiben, ob ich gleich in ihr das beste Mittel gegen die mir so eigene Zerstreuung der Gedanken fand. Kam

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hatte ich gewiss Vaterland und Freunde verlassen, ware zu ihm gezogen; unfehlbar hatten wir uns verstanden, und schwerlich hatten wir uns lange vertragen.Dank sei meinem Genius, der mich damals in meiner hauslichen Verfassung so eingeschrankt hielt! Es war schon eine grosse Reise,

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meinem Leben gehabt hatte, wie ubel eine grosse gemischte Gesellschaft sich befinde, die, sich selbst uberlassen, zu den allgemeinsten und schalsten Zeitvertreiben greifen muss, damit ja eher die guten als die

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zu einer feierlichen Stimmung, die ich nicht edler nahren kann als durch eine Musik, deren Wiederholung Sie schon fruher zu wunschen schienen."Er liess durch das indes verstarkte und im stillen noch mehr geubte Chor uns vier- und

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und seinem ganzen Wesen nichts weniger als rauh, sondern vielmehr sanft und verstandig.Die alteste Tochter hatte meine ganze Neigung gefesselt, und es mochte wohl daher kommen, weil sie mir ahnlich sah,

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dem Reiter sagte: "Wenn ich mich nicht irre, so muss ich Sie irgendwo schon gesehen haben.""Ich erinnere mich Ihrer auch", versetzte Wilhelm; "haben wir nicht zusammen eine lustige Wasserfahrt gemacht?" "Ganz recht!" erwiderte der andere.Wilhelm betrachtete ihn genauer und sagte nach einigem Stillschweigen: "Ich weiss nicht,

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begegnet, lasst Spuren zuruck, alles tragt unmerklich zu unserer Bildung bei; doch es ist gefahrlich, sich davon Rechenschaft geben zu wollen. Wir werden dabei entweder stolz und lassig oder niedergeschlagen und kleinmutig, und eins ist fur

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den Interessen weniger willkurlich umgingen.""Das einzige, was ich zu erinnern habe", sagte Jarno, "und warum ich nicht raten kann, dass Sie eben jetzt diese Veranderungen machen, wodurch Sie wenigstens im Augenblicke verlieren, ist,

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auch der einzige sein, jeder mochte gern alle ubrigen ausschliessen und sieht nicht, dass er mit ihnen zusammen kaum etwas leistet; jeder dunkt sich wunder original zu sein und ist unfahig, sich in etwas zu finden, was ausser dem Schlendrian ist; dabei eine immerwahrende Unruhe nach

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sie noch lange schliefen, schon ihre Garderobe in Ordnung gebracht, die sie des Abends gewohnlich ubereinandergeworfen zuruckliessen.Meiner Mutter schien diese Tatigkeit ganz recht zu sein, aber ihre Neigung konnte ich nicht erwerben, sie verachtete mich, und ich weiss noch recht gut, dass sie mehr als einmal

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hatten uns beide sehr lieb, recht im Ernste und auch ziemlich lange. Zufalligerweise traf heute alles zusammen, mir die ersten Zeiten unserer Liebe recht lebhaft darzustellen. Die Knaben schuttelten eben wieder Maikafer

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Gattin zu finden, die uberall mit ihm wirkt, und die ihm alles vorzubereiten weiss, deren Tatigkeit dasjenige aufnimmt, was die seinige liegen lassen muss, deren Geschaftigkeit sich nach allen Seiten verbreitet, wenn die seinige nur einen geraden Weg fortgehen darf. Welchen

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Sicherheit im einzelnen, wodurch das Ganze sich immer so gut befindet, ohne dass sie jemals daran zu denken scheinen. Sie konnen wohl",

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ruht, lassen Sie mich fragen, warum Sie sich des Kindes nicht annehmen? eines Sohnes, dessen sich jedermann erfreuen wurde, und den Sie ganz und gar zu vernachlassigen scheinen. Wie konnen Sie bei Ihren reinen und zarten Gefuhlen das Herz eines Vaters ganzlich verleugnen? Sie haben diese ganze Zeit noch

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man kaufen konne, ohne zu bezahlen; vor nichts war ihr mehr bange, als wenn sie schuldig war; sie hatte immer lieber gegeben als genommen, und nur eine solche Lage machte es moglich, dass sie genotigt ward, sich selbst hinzugeben, um eine Menge kleiner Schulden loszuwerden.""Und hattest du",

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ich Wache stehen; denn Sie sollten nun ein fur allemal vorbeigehen, man wollte Sie wenigstens sehen; so ging der ganze Tag unruhig hin. Nachts zur gewohnlichen Stunde erwarteten wir Sie ganz gewiss. Ich passte schon an der Treppe, die Zeit ward mir lang, ich ging wieder zu ihr hinein. Ich fand sie zu

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aus diesen vielen Stimmen gar bald ein ganzes Urteil zusammensetzen; denn diejenigen, die uns die Muhe ersparen konnten, halten sich meist stille genug.""Das sollten sie eben nicht!" sagte Wilhelm.

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von aussen recht gut kannte, hatte er bisher vergebens Weg und Eingang gesucht.Eines Abends sagte Jarno zu ihm: "Wir konnen Sie nun so sicher als den Unsern ansehen, dass es unbillig ware, wenn wir Sie nicht tiefer in unsere

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Tatigkeit zu vergessen. Da lernt er erst sich selber kennen; denn das Handeln eigentlich vergleicht uns mit andern. Sie sollen bald erfahren, welch eine kleine Welt sich in Ihrer Nahe befindet, und wie gut Sie in dieser kleinen Welt gekannt sind; morgen fruh vor

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der Kunstler braucht sie ganz. Wer sie halb kennt, ist immer irre und redet viel; wer sie ganz besitzt, mag nur tun und redet selten oder spat.

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umarmten sich aufs zartlichste, und beide konnten nicht verbergen, dass sie sich wechselsweise verandert fanden. Werner behauptete, sein Freund sei grosser, starker, gerader, in seinem Wesen gebildeter und in seinem Betragen angenehmer geworden.

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sich zu bekennen, dass er schon gedacht, gesorgt, gesucht und gewahlt hatte; er konnte nicht langer zogern, sich es selbst zugestehen. Nach oft vergebens wiederholtem Schmerz uber den Verlust Marianens fuhlte er nur zu deutlich, dass

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bares Geld dafur?""Recht gut!" sagte Lothario; "auch werden Sie dasjenige, was ich zu erinnern habe, vielleicht fur einen leeren Skrupel halten. Mir kommt kein Besitz ganz rechtmassig, ganz rein vor,

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ihrem Alter glich, da ich erst ein Kind war. Es ist gemalt, als sie ungefahr meine Jahre hatte, und beim ersten Anblick glaubt jedermann mich zu sehen. Sie hatten diese treffliche Person kennen sollen. Ich bin ihr so viel schuldig. Eine sehr schwache Gesundheit, vielleicht zu viel

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nur die geringste Fahigkeit uns angeboren, und es gibt keine unbestimmte Fahigkeit. Nur unsere zweideutige, zerstreute Erziehung macht die Menschen ungewiss; sie erregt Wunsche, statt Triebe zu beleben, und anstatt den wirklichen Anlagen aufzuhelfen, richtet sie das

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als Kind macht, scheint, wenn ich nicht irre, noch immer zu passen. Sie haben sich, man fuhlt es Ihnen wohl an, nie verwirrt. Sie waren nie genotigt, einen Schritt zuruck zu tun."

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Leben einen gewissen Halt geben. Ja, ich mochte beinah behaupten, es sei besser, nach Regeln zu irren, als zu irren, wenn uns die Willkur unserer Natur hin und her treibt, und wie ich die Menschen sehe, scheint mir in ihrer Natur immer eine Lucke zu bleiben, die nur durch ein entschieden ausgesprochenes Gesetz

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den Kopf gesetzt hat; sie scheint dem Abbe und Jarno zu misstrauen. Lydie hat ihr gegen gewisse geheime Verbindungen und Plane, von denen ich wohl im allgemeinen weiss, in die ich aber niemals einzudringen gedachte, wenigstens einigen Argwohn

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nur zu brauchen und zu uben, bis zum ruhigen abgeschiedenen Ernste des Weisen konnte man in schoner, lebendiger Folge sehen, wie der Mensch keine angeborne Neigung und Fahigkeit besitzt, ohne sie zu brauchen und zu nutzen. Von dem ersten zarten Selbstgefuhl,

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den Augen fassen, sich glucklich finden und ganz etwas andres fuhlen und denken als das, was vor Augen steht."Und gewiss, konnten wir beschreiben, wie glucklich alles eingeteilt

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. Wir wollten mit eignen Augen sehen und uns ein eigenes Archiv unserer Weltkenntnis bilden; daher entstanden die vielen Konfessionen, die wir teils selbst schrieben, teils wozu wir andere veranlassten, und aus denen nachher die Lehrjahre zusammengesetzt wurden.

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anderm Hokuspokus teils aufgehalten, teils beiseitegebracht. Wir sprachen nach unserer Art nur diejenigen los, die lebhaft fuhlten und deutlich bekannten, wozu sie geboren seien, und die sich genug geubt hatten, um mit einer gewissen Frohlichkeit und

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"Ich muss gestehen", versetzte Wilhelm lachelnd, "dass es ziemlich komisch sein mag, euch als Vater und Mutter beisammen zu sehen.""Es ist ein recht narrischer Streich", sagte Friedrich, "dass ich noch zuletzt als Vater gelten soll. Sie behauptet's,

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bei uns schon lange vorbereitet ist und jetzt notwendig angegriffen werden muss. Sie wissen schon etwas im allgemeinen davon, und ich darf wohl vor unserm jungen Freunde davon reden, weil

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ein Substantivum betrachtet, verschiedene Adjektiva, und folglich, wenn man ihn als Subjekt betrachtet, verschiedene Pradikate finden konnte.""Ich muss aufrichtig gestehen", versetzte Natalie, "es ist ein gefahrlicher Versuch,

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dass jeder vielmehr uber das, was er tut, auch fahig sein solle zu denken, Grundsatze aufzustellen und die Ursachen, warum dieses oder jenes zu tun sei, sich selbst und andern deutlich zu machen.Der Fremde ward geruhrt, so schone Besitztumer ohne

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Schranken zu halten. Jarno war selten zugegen.Bei der Betrachtung, dass vortreffliche Kunstwerke in der neuern Zeit so selten seien, sagte der Marchese: "Es lasst sich nicht leicht denken und ubersehen,

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als den rechten Weg wahlen sollte, der ihn mehr oder weniger zu einem kummerlichen Martyrertum fuhrt. Deswegen bieten die Kunstler unserer Zeit nur immer an, um niemals zu geben. Sie wollen immer reizen, um niemals zu befriedigen; alles

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sich selbst bewirken muss, wenn er sich uberhaupt bilden will; deswegen finden wir so viel einseitige Kulturen, wovon doch jede sich anmasst, uber das Ganze abzusprechen.""Was Sie da sagen, ist mir nicht ganz deutlich", sagte Jarno, der eben hinzutrat."Auch ist es schwer", versetzte der Abbe,

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ob er gleich jeden von uns beiden zufrieden sah, so konnte er sich doch nicht drein finden und versicherte, dass nichts Gutes daraus entstehen werde. Je alter er ward, desto abgeschnittener fuhlte er sich

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, die recht gut ausfuhrbar ist, und die ofters, nur nicht immer mit klarem Bewusstsein, von guten Menschen ausgefuhrt wird. Meine Schwester Natalie ist hiervon ein lebhaftes Beispiel. Unerreichbar wird immer die Handlungsweise bleiben, welche die Natur dieser schonen Seele vorgeschrieben hat. Ja sie verdient diesen Ehrennamen vor vielen andern, mehr, wenn ich sagen darf, als unsre edle Tante selbst,

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Scenen einiger beschriebenen Opern, die jetzt wenig oder gar nicht mehr bekannt sind, konnen, so wie die andre Musik in dem namlichen Fall, wenn sich eine hinlangliche Zahl Liebhaber dazu findet, leicht in Partitur

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welchem ein wohlangelegter Weinberg sich ferner fortstreckte.Den Garten umschlossen hohe Mauern, uber welche die gesundesten Fruchtbaume mit laubvollen Zweigen schatteten. Voran stand ein geraumiges Landhaus, so schon und schon dem Aeussern nach so zweckmassig, wie irgend eins von Vignola. Er erfuhr bald von einem

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Unterthanen der ubrigen Stande tragen, die wenig Truppen halten, folglich auch nicht so viel bezahlen, und sich in grossem Vortheil dabey befinden.Der Erbprinz, sein einziger Sohn, altere undjungre Prinzen und Prinzessinnen starben meistens in zarter Jugend

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ihm am naturlichsten ist, woraus, wenn ich mich so ausdrucken darf, sein ganzes Wesen geht, und worin er gewohnlich spricht. Wenn er diesen rein und voll hat: so geht er einen tiefer, und

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"Fratres, ego enim accepi a Domino, quod et tradidi vobis; quoniam Dominus Jesus, in qua nocte tradebatur, accepit panem, et gratias agens fregit et dixit: Accipite et manducate, hoc est corpus meum. Hoc facite in meam commemorationem."

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sein Kappchen abnimmt.""Bey Accepit panem, et gratias agens, winden sich beyde Chore wie im Taumel achtstimmig voll Kunst durch einander. Accipite et manducate: hoc est corpus meum; ist am oftesten wiederhohlt, und vortreflich ausgefuhrt durch die schonsten Verflechtungen.""Hoc facite in meam commemorationem, wird mit aller Pracht ausgefuhrt in C dur, F dur, B dur, F dur, C dur, G moll, D dur, und G dur."

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selbst aber nie bethoren lassen; und war jederzeit den gefahrlichen Gelegenheiten schlau und fein ausgewichen. Sie trieb ihr obgleich muthwilliges doch unschuldiges Spiel immer nur bis auf einen gewissen Punkt, uber dessen Grenze sie bisher nichts verleiten konnte. Die

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, gewinnt man bey uns desto mehr brauchbare Zeit, je spater man isst. Jedoch scheint mir die neuere Lebensart der Italianer viel naturlicher fur ihr Klima. In der grossten Hitze von zwolf bis vier Uhr ist man, besonders in Rom

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der Natur gemass leben, und bald fruher, bald spater essen; immer aber in den nordlichen Gegenden, dunkt mich, die Hauptmahlzeit zu Abend halten: denn was bleibt uns sonst wahrend des Winters, besonders in Schottland,

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Ohne sie wurd' er die erhabnen Melodien: O di tranquilla pace amabil sede, ascolta, o sacro tempio, i voti miei; Dove mi guidi, o Dio! Ombra cara, che t'aggiri; und die ganze gottliche Oper Antigona nicht hervorgebracht haben.

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sogleich das wahre Wesen unserm Geist vorhalten. Ohne strenge Untersuchung der ersten Elemente dieser hohen Kunst kann man zu keiner Sicherheit darin gelangen."Er fing aufs neue an."Die gleichschwebende Temperatur gefallt, weil sie einige stolze, hoch daher fahrende, grelle grosse Terzen,

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von Temperatur unterscheiden sich, nachdem man mehr oder weniger vollkommen reine Quinten, vollkommen reine grosse und kleine Terzen erhalt, und

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wohin die schone Natur steigt. Im H dur verschwindet schon der Stand der Natur einigermaassen; und noch mehr in Fis dur, das vollig gekunstelt ist.""Das namliche Verhaltniss herrscht beym Niedersteigen. F dur ist, wenn ich mich so ausdrucken darf, schon um einen

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Opern und grossen Kirchenstucken, wo der Ton C dur auf irgend eine Weise als die reine vollkommen schone Natur in die Seelen gebracht seyn sollte. Bey kleinen Sachen werden und sind diese besondern Charakter nicht sehr merklich. Ein Lied ohne Begleitung singen Madchen und

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sich am besten fur ihre Kehlen schickt.""Auf diese Weise betrachtet geben also die zwolf Dur- und zwolf Moll-Tone schon allein durch ihre blossen Accorde vier und zwanzig Arten verschiedner Existenz;

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in die blasenden Instrumente waren verpflanzt worden. Ein guter Geiger, der aus C dur spielt, greift gleichsam aus Instinkt die Terz rein; und wenn er aus E dur spielt, sie hoher. Wenn

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haben Sie treflich angegeben; ich glaube, die Ursach ist hinlanglich fur einen guten Philosophen, und es bedarf nicht der Zierung der grossern und kleinern grossen und kleinen Terzen. Gewiss erhalten die andern Dur- und Mollaccorde hauptsachlich ihren Charakter, nachdem sie in

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fur sich kleine nothwendige Uebel, unter die zwolf gewaltigen Gotter des himmlischen Tonreichs gleich vertheilt, wurde so vielleicht am leichtesten zu ertragen. C dur soll Saturnus, das goldne Zeitalter bleiben; Cis dur Jupiter seyn; D dur Bacchus; Es dur Konigin Juno; E dur Urania Venus.

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als den einzigen untruglichen Wegweiser in dieser gottlichen Kunst.""Der grosse Haufe der gewohnlichen Tonkunstler bekummert sich darum sehr wenig, und halt diess fur Grillen; sie bringen aber auch oft so falsche Intervallen hervor, dass

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Opfer zu bringen.Miserere und Fratres gewannen unbeschreiblich durch sie; und Messias entzuckte doppelt aufs neue.Das Miserere ward Sonnabends zur Vesper in der grossen Kirche aufgefuhrt, so gut, und vielleicht mit mehr Andacht und

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zweyte Chor tritt in die Harmonie ein; oder vielmehr zwey Strome wallen neben einander fort, und vermischen sich bey et vincas und cum judicaris.""Der siebente Vers Ecce enim gleicht einem tiefen Genfersee voll Majestat, doch uberall noch im

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und tausendfach lebendig. Wie klar und entzuckend sich das verschlingt und in einander quillt: ecce enim veritatem dilexisti, und das incerta et oculta wie eine Offenbarung hervorgeht! Es ist ganz erhaben. Und der Jubel dabey mit vollem Gefuhl: manifestasti mihi! Es ist ganz gross, und wie ein prachtiger Triumph; die Seele wird gleichsam untergetaucht, und am Ende kommt sie aus den tiefen Wonnestrudeln hervor, und schwebt still im

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noch nicht stark und reich genug, so etwas Schweres tauschend darzustellen; die Poesie ist zu gekunstelt und hat nicht die Natur der ersten Menschen. Fur musikalischen Ausdruck ist wenig da; moralische und theologische Sentenzen erlauben wenig Abwechslung der Stimme. Auch gehen in der Musik altvaterisch die Formen gar wenig hervor. Die immer trocknen Recitative,

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. Der erste Chor fangt an:Oh di superbia figlia, d'ogni vizio radice, nemica di te stessa invidia rea.""Der Anfang in lauter Oktaven ist prachtig, der Ausdruck sinnlich.""Der letzte Chor:

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Worte nicht schon weiss, so wird man ihren Sinn wenig merken. Der wahre Geschmack, oder die eigentliche Schonheit ist diess gewiss nicht.""Mit den grossen klassischen Werken der Kirchenmusik, seinem Requiem aeternam, und seinem erhabnen erschutternden Benedictus dominus Deus Israel

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n n sagte, er habe diess bey ihrer grossen Fertigkeit nicht fur nothig erachtet; jedoch zog er die Partitur aus seiner linken Rocktasche nun auch hervor. Er setzte sich wieder ans Klavier, und sie sang.Salve Regina, mater misericordiae, vita, dulcedo; dulcedo et spes nostra; et spes nostra salve! Salve Regina! Salve mater! Salve mater misericordiae!

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ruhrender im schonsten Ausdruck; er halt darauf im eingestrichnen C, und die Begleitung spielt und weht pittoresk darum."Eja ergo advocata nostra illos tuos misericordes oculos ad nos converte; ist, obgleich mit aller

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zu Gott ausdruckt, bindet es meisterhaft. Das Thema zur Fuge ist gleichsam im Korinthischen Styl.Das Gloria voll Jubel. Et in terra pax, voll Ausdruck. Qui tollis miserere nobis eben so, die Begleitung uberall glanzend in herrlicher

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l i mehrere Tone durch, aus dem D dur bis ins C dur und C moll. Et resurrexit voll Ausdruck; et ascendit in coelum eben so; wie resurrectionem mortuorum. Das Credo ist immer Chorus, und stellt in Oktaven

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regina, mater misericordiae, vita, dulcedo; dulcedo et spes nostra; et spes nostra salve! Salve Regina! Salve mater! Salve mater misericordiae!

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dass eine ausserordentliche Stimme so wenig ausserhalb Italiens zu finden sey, als eine andre mit einer vortreflichen Cremoneser Geige konne verglichen werden."Er beschrieb dann mit einer wirklich angenehmen Beredtsamkeit verschiedne grosse Feste dort, wobey er zugegen gewesen war;

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"Die Bekleidung allein, dunkt mich, ist ein wenig zu mahlerisch, und hat nicht genug Wahrscheinlichkeit. Aber das Ganze bleibt immer eins der reizendsten Gemahlde voll hoher Schonheit; es vergnugt, entzuckt, und

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nicht zu haufig unter dem Weizen ist! mit allzu genauem Ausjaten zertritt und verderbt man endlich selbst die Saat. Da so viele Madchen an keinen Mann kommen konnen: warum wollte man zwanzig oder dreyssig alten Jungfern ein wenig Feinheit ubel nehmen, die sie sich erlauben, eine bequeme Pflegestatte zu

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, und reichen Liebhabern.""Wenn man inzwischen nur einmal den Anfang damit machte! Man brauchte nicht ganze grosse Komposizionen aufzufuhren, sondern nahme nur die schonsten und bedeutungsvollsten Stucke daraus. Kunstler und Kenner konnten nachher die Partituren fur sich besser studiren. Man brauchte anfangs auch nicht

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harmonisch, kurz, alles nach der Regel treflich seyn: und stellt doch nichts dar, und tauscht nicht.""Was einer darstellen will, muss er erst in Natur recht gefasst haben. Welch ein sichrer scharfer Blick, welche feste geubte Hand gehort nicht dazu, eh einer nur den Umriss von der geringsten Sache rein aufnimmt!"

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: so lasst sich an dem Vorzug der neuern Musik vor der Griechischen nicht mehr zweifeln. Welche Stellen: l'inferno tutto svolgero contro te! Vanne, vanne! ma pensa, che nudo spirto ed ombra m'avrai sempre seguace!12 und wie ganz vollkommen sinnliche wahre Natur sichs schliesst: Chiamarmi a nome, e sara tardi allora13. Gottliche Darstellung durchaus."

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in Tone bringen. Deh, amato Bene, non partiro! oh pene, oh barbaro dolore! ah mi si spezza il cor fra tanti affanni14! Wie gottlich! welche Begleitung! Man fuhlt so recht lebendig, wie

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zu stillen suchen, die sie vielleicht beunruhigten, durch andre, die ihr gewohnlich Vergnugen machten, und ihre bluhende Jugend und Schonheit nicht verderben. Es that ihr wohl, dass er ihr diess allein sagte; sie antwortete ihm freundlich und gefallig: sie hoffe, unter

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ist so glucklich schon, dass man nun schon viele Jahre nach einander sich an derselben nicht satt horen kann.""Die ersten bekannten Finalen dieser Art sind ebenin der buona figliola von P

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schreibt einen guten komischen Styl. Muster davon sind hier im ersten Akt die Arie des Marchese E pur bella la Cecchina, mi fa tutto giubilar. Und Muster zugleich des Naiven: Una povera ragazza, padre e madre che non a,

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Abwechslung dazu gekommen.""Cecchina fangt an: Vo cercando e non ritrovo la mia pace e il mio conforto, che per tutto meco porto una spina in mezzo al cor.""Aber gewiss hat man

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: per il buco della chiave.""Cecchina hat schone Arien, die aber nicht ins komische Fach gehoren; als Vieni il mio seno di duol ripieno dolce riposo a consolar16.

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Si Signora di la su si e veduto che quagiu col Soldato fortunato si badava a divertir, mag zu seiner Zeit sehr schon gewesen seyn;

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r d zuletzt die Arie: Vieni il mio seno di duol ripieno dolce riposo a consolar; und beschloss: "Diess ware mir vorgestern vielleicht so gut gewesen,

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"Dieser Fehler findet jedoch auch bey der gewohnlichen Privaterziehung Statt. Die Meister geben ihre Lehren stundenweise; und lassen sich so dafur bezahlen. Der Sprachmeister geht diese Stunde dahin, die andre dorthin.""Ein Fehler unsrer Erziehung uberhaupt ist, dass die Kinder mehr Worte als Sachen lernen. Wer

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Gallischen und burgerlichen Krieg, die er am besten kannte.Der edle Jungling hatte sie mehr als einmal mit vieler Aufmerksamkeit und Ueberlegung gelesen; und sagte: "Bey ihm kann man recht die Philosophie des Kriegs studiren. Er ist zwar nur der einzige unter den Romischen Schriftstellern dafur: aber

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Buche, findet man genug zu denken."Der Furst ging ins Besondre; es ware ausserst anziehend, die Schweizer, Gallier und unsre Urvater daraus kennen zu lernen. Zum Beyspiel gleich Anfangs den festen Charakter der

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8 Qui nostram disciplinam petit, in monochordi usu manum exerceat, hasque regulas saepe meditetur, donec vi et natura vocum cognita ignotos vt et notos cantus suaviter canat. Sed quia voces, quae hujus artis prima sunt fundamenta, in monochordo melius intuemur, quomodo eas ibidem ars naturam vocum imitata discrevit, primitus videamus etc. Micrologus, id est, brevis sermo in

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, den einzig bedeutenden, ist des erstern Ausdruck entschieden vortreflich, ganz Natur, so rein, dass nicht zu denken ist, wie er besser seyn konnte. Und nicht allein der Ausdruck ist vortreflich, sondern die Musik uberhaupt: schone neue Melodie, schone neue glanzende Begleitung, grundliche passende abwechselnde Harmonie.

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Diese Oper gehort aber auch unter seine besten Werke.""Im ersten Aktist die vierte Scene der Sophonisbe ein Meisterstuck reizender weiblichen Schonheit voll Italianischen Accents: Intesi; ti basti, s' io cesso d'odiarti1. Hier ist so gar nichts von Schlendrian, alles neu, die susseste Melodie, nichts uberflussig."

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Che fier destin, che strano caso e il mio3. Das ganze Recitativ ist ein Meisterstuck edler tragischer Declamazion; die verkleinerte Septime ist in der Begleitung hochst reizend angebracht.

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dem C dur bey Ecco al mio labbro gia la tazza letal in A moll, worin nun die Begleitung zu dem gottlichen Ma ohime! beginnt. La mano perche mi trema! Qual si spande intorno fasco vapor! sotto l'incerte piante il suol perche vacilla! alles

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Entschluss in neuen Absatzen: dove son? che m'avenne? e questo forse il natural ribrezzo al tremendo passaggio? und nun aus dem E moll ins C dur, und durch den Accord der kleinen Septime auf der Dominante die ganz gottliche Stelle: ah, non credei, che si terribil fosse l'aspetto della morte in der ganzen Fulle mit

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dazwischen: ma qual suono lieto insieme e feroce? donde? s' osservi! aprite!Oh vista atroce! le navi, i prigioneriInvano m'attendete, o superbi. Jo non verro; la mia difesa e questa.

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: i ferri, le catene! Wie gottlich: mi lascian tutti, misera, in abbandono; e sol m'avanza, che soccorso crudel! la mia costanza. Und sie trinkt gierig das

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antwortete sie lachelnd, "ich weiss selbst nicht, wie ich es gemacht habe, wenn es Ihnen gefallt. Ich habe das Klavier immer nur zur Begleitung gebraucht, hochstens Tanze, einige gar leichte oder sehr angenehme Sachen gespielt, und

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den Megakles schon todt glaubte, ihm sagt:Ingrato! e tantom' odi dunque, e mi fuggi,che, per esserti unitas'io m' affretto a morir, tu torni in vita6?wird es ein wahres Puppenspiel."

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Ognuno vi chiama suo ben von G dur in A moll, F dur, Es dur, C moll, G moll; und Guadartevi da lor son tutti inganni8, beschliesst voll Grazie."

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e, che non sono rigide a questo segno le leggi d'amista! perdoni il prence10 die Ueberlegung des eignen Interesse vortreflich wieder durch die Begleitung. E questa vita di Licida non

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edlen Fragen eben so meisterhaft durch die Begleitung; non fu suo dono? non respiro per lui? Diese Gefuhle werden erstaunlich durch die Begleitung verstarkt; blosse Declamazion kann sie unmoglich so ausdrucken: so etwas konnte die Griechische Musik nicht leisten.""Voi soli ascolto oblighi d'amista; vortreflich mitdem Uebergang in das reine C dur. Palpito, e sudo solo in pensarlo;

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Crede Megacle sposo, e se ne affanna? und in der achten Scene: L'amor mio, caro amico, non soffre indugio. Man begreift am Ende gar nicht, warum er den

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Senti, ah no dove vai?Ah t'oppresse il dolor, cara mia speme ""Das ganze Recitativ ist voll von achtem Pathos, und gehort unter das

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und alles neu; mit dem allgemeinen Text treflich fur ein Konzert: Cara son tua cosi, che per virtu d'amor risento anch'io i moti del tuo cor."

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in den folgendenAh! che parlando o dio! tu mi trafiggi il cor,Ah! che tacendo o dio! tu mi trafiggi il cor, P

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tristis, voll Ausdruck. In quae moerebat, eine gewisse bescheidne Art von Enthusiasmus. Dolentem cum filio hochst vortreflich; so in tanto supplicio, das Ganze voll Religion und Salbung. Pro peccatis in tormentis et flagellis voll Darstellung. Eben so vidit suum dulcem natum; Eja mater, fons

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"Fac ut ardeat cor meum, eine sehr angenehm verwickelte kleine Fuge, gleichsam Stempel von Kirchenmusik, welche gut zu Eifer passt.""Sancta mater istud agas ist zwar auch gut, wird

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die Natur leidet und in Ohnmacht sinkt. blitzen, wenn ich das Wort brauchen darf, Wollust; der offne uberlassne Mund fuhlt eine hohere Kraft, und liegt uberwunden in bangen sussen Gefuhlen. Die ganze Gestalt scheint die schwarmerische Spanierin."

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r d sang sie sotto voce."Quando saprai, chi sono, si fiero non sarai, ist ganz vortreflich declamirt; eine ganz eigne Art von

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Vortreflichstes; besonders sind im Recitative die starksten Zuge von Genie. Di Giove il cenno, l'ombra del genitor, la patria, il ciel, la promessa, l'onor, la fama, alle sponde d'Italia oggi mi chiama11, ist ein wahres Meisterstuck musikalischer Fortschreitung und

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sich nicht befindet, fallt treflich sogleich ein; es ist voll Leidenschaft und schoner Melodie, und auch als Kunst betrachtet ein Meisterstuck. Non ha raggione, ingrato, un core abbandonato da chi giurogli fe; alles hochst sinnlich declamirt. Zu jener Zeit war Erfindung darin, die hernach gemein geworden ist.

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dem Zuschauer verliert. Jarbas macht freylich den Schluss fast zu einem komischen Finale.""Eine ganz unertraglich alberne Person bleibt jedoch Selene; Osmida und Araspe hochst unnaturlich Aeneas noch am besten gehalten, doch

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sind fur einander geschaffen, geboren, und erzogen. Wo war' ich lieber, als vor der lebendigen Gottheit ihrer schonen Augen; lusterner, als vor ihrem sussen Munde, der so angenehm und sinnreich spricht, dass

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ein sehr gutes Franzosisches Schauspiel.""Der dritte Akt ist in der Musik bey weitem der beste.""Die erste Scene mit der Arie Helas! pour nous il s'expose, ist ein wahres Meisterstuck besorgter Liebe; vortreflich der Ton gewahlt, und

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der umgekehrten kleinen Septime bey Qu'ils portent le fer et les feux au rivage ou tu vas descendre! gewaltiger Rhythmus; c'est la le dernier de mes voeux.""Ich halte diese Stelle fur eine der schonsten der gesammten Musik; und kenne von P

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' und stark, die Kurzweil mit zu treiben, mit ihr zu wetteifern, und allein bald vor bald nach zu singen; wo er zuerst recht erkannte, welch ein unendlich reicher Schatz musikalischen Wesens sie ware. Er

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. Sie sollen augenblickliche Empfindung ausdrucken, gleichsam Impromptus seyn; und geben Sangern und Virtuosen etwas reizend Individuelles. Bloss erlernt und erkunstelt taugen sie nie viel; sie kommen selten auf den rechten Fleck, und passen nicht zum Charakter. Die schlechtesten unter allen

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der Instrumente nachmacht. Jedoch kann eine gewaltige schone Stimme viel wagen, wie ein schones junges Frauenzimmer bey Moden. Je alberner diese zuweilen sind, desto mehr erhohen sie durch den Kontrast die nackte Schonheit. Bloss erlernte fremde Manier ohne Natur ist jedoch das Widerlichste unter allem. Ein reiner schoner Ton in

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. Tu chiedi il mio core, il core ti daro. (Da se) Ma infida! che parlo? Crudel,

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ferma, ma intendi, ma l'ira sospendi; si, il cor ti daro.""Che abisso d'affanno! per tutto e periglio, non o piu consiglio, ragion piu non o14.

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die Unentschlussigkeit voll Pein und Leiden in der reinen zartlich und heftig liebenden Seele ist vortreflich ausgedruckt; der Styl acht klassisch, und in hoher Vollkommenheit. Es ist alles so weiblich, und doch kein schwacher Zug darin. Eine unaussprechliche Sussigkeit und Schonheit voll Geist und

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Horner sind meisterhaft dazu gewahlt und gebraucht. Das Recitativ fangt an: Qual lugubre apparato di spavento e di lutto! qual di tenebre e d'ombre regia dolente e fiera!

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, o son desta? Odo, o parmi di udir la voce, il pianto del moribondo sposo, die Begleitung vortreflich; e quella oscura caligine, che la s'inalza; sie erblickt endlich den Schatten

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ist sehr sinnlich, bis endlich zum Presto. Ah barbaro tiranno, il mio sposo uccidesti!15""Darauf kommt die gottliche Arie aus dem Es dur mit obligaten Hornern: Ombra, che pallida fai qui soggiorno, Larva che squallida mi giri intorno, perche mi chiami? che vuoi da me16?

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"Al mare invitano placide l'onde,dal cielo spirano l'aure seconde,e tutto giubila nel nostro cor!"Das Ganze schliesst sich mit einer prachtigen Chaconne, die gleich in den Chor einfallt." "Es giebt wenig Opern,

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Luci belle piu ferene, piu tranquille a me splendete, voll schmeichlerischer Melodie fur einen Tenor. Die erste Arie der Berenize mit begleitetem Recitativ: Se vive il mio bene, le pene non sento, voll weiblicher Freude.

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gl'affetti miei spiegagli tu per me. Digli ma che? Non so. Che fida io parto."Sie hat durchaus den Charakter einer schonen keuschen jungfraulichen Seele,"

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unter einer hohen freystehenden Eiche, deren weit verbreitete zweigevolle Aeste kuhl umschatteten, ins weiche Gras gelagert; wo nicht weit davon ein klarer Bach, mit Pappeln und Erlen eingefasst, in ein kleines anmuthiges Thal

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an dem entgegen gesetzten Ufer eines gehorig breiten angeschwollnen Flusses, woruber sie nicht konnen, einander einsam zu Gesichte kommen, und sich erstaunlich wichtige Neuigkeiten erzahlen; hore nun,

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und eine eigne Kunst aus blossen Tonen gebildet. Wo einmal schon Sprache ist, lassen sich die Tone der Stimme allein fur sich selten horen. Es kommt hauptsachlich darauf an, was gesagt wird,

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. Schon bloss neue angenehme Musik geht Ohr und Menschen uber angebliche Wahrheit; so wenig Gewisses herrscht da.""Die Musik macht den Text nur gefalliger, und dadurch tiefer eindringend. Wir bilden uns ein,

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wenn er vortreflich ist, zu fuhlen, was der Dichter fuhlte, oder vielmehr, was der hohe Mensch uberhaupt bey gleichen Situazionen fuhlen muss, zuweilen unendlich erhabner und wahrer, als der mittelmassige Dichter selbst fuhlte."

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Geliebte und bald Vermahlte des Montezuma, tritt in der vierten Scene reizend auf: al sembiante sconvolto, turbato oltre il costume; und dann mit der Arie voll neuer Grazie: Ah, che in un mar d'affanni ho gia penato assai."

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ver, ma che far posso! mit der Arie: A morir se mi condanna la tiranna ingrata sorte, ah! si cada almen da forte, senza un ombra di vilta.""Parli poi con suo stupore de' miei casi il mondo intero, e le stelle abbian rossore, della loro crudelta21."

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. Ah se mi sei fedele, cangia pensier ben mio.""Im dritten Akt hat Guacozinga die Meisterscene, voll noch grossrer Schonheiten in

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Montezuma im ersten Akt. Sie ist allein wahrend des Gefechts: Eccomi sola alfine, eccomi abbandonata al mio dolore. Schon im Recitativ sind herrliche pittoreske Sachen, als bey Odo il nitrir de' fervidi destrieri 22. Die drey einzeln angeschlagnen halben

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bey den ersten Nachahmern noch fur neu durchging; als die ganz bezaubernde Begleitung auf Ombre dolenti, ombre pallide, deh, per pieta, deh, lasciatemi, so gezogen fortlaufend der zweyten

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und der nachgeschlagnen Harmonie der ersten Violine. Hier ist die erste frische Quelle: und wie gleich so vollkommen!""Das No, piu trovar non sa, aus dem Es moll die kleine Terz in die grosse hinubergezogen, ist hernach, nur grell, nachgeahmt worden; hier

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Geist und heroischen Charakter betraf, die gottliche Arie des Montezuma sang: A morir se mi condanna la tiranna ingrata sorte! Solche! neue reizende Schonheit in

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sede a dextris meis, donec ponam inimicos tuos scabellum pedum tuorum23. Dieses macht ein prachtiges ausgefuhrtes Ganze mit der herrlichen Begleitung.""Nun kommen Solos.""Virgam virtutis tuae emittet Dominus ex Sion: dominare in medio

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Kunst, konnten nicht mit ihr in Vergleichung kommen: sie ubertraf bey weitem Alle; das Hochste schien bey ihr nur leichter Scherz, und sie glanzte, gleich der ersten Person im besten Theaterballet unter gewohnlichen Tanzern, die sich lustig machen. O, wie ihr schones Gesicht gluhte, die Locken herumwallten, die grossen Brillanten in ihren Ohrgehangen und dem reichen Hauptschmuck Strahlen

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. mit erhabner Begleitung. Ihre ganze Anrede ist klassisch; neu, schon und tragisch; auch die Tonart treflich gewahlt: F moll und As dur. Die Arie darauf: Se tutti i mali miei io ti potessi dir,

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non vedo sponde, mi confonde il mio periglio; Parodie, die sich recht fur Saturnalien schickt, aber fur den eigentlichen gefuhlvollen Menschen immer widrig bleibt. Es

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Mann zu kommen, vortreflich; das Recitativ schon; noch schoner die Arie: Cara voce del mio bene, gia ti sento e ti reviso32,

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in dem ersten, zweyten unddritten Jahrhundert unsrer Zeitrechnung so davon entzuckt und bezaubert, dass jedes andre Schauspiel seinen Reiz fur sie verlor. Und noch jetzt scheinen in dem sudlichen pantomimischen Italien einige willkurliche Zeichen davon ubrig zu seyn.

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den Opern je zu einem reinen gediegnen Gusse werde bringen lassen, einzelne Scenen ausgenommen.""In unsern neuern Balleten herrschen die einmal angenommenen bestimmt ausgebildeten Formen von

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i hat eben hier den Text verandert und Neues hinzu gefugt. Seine Musik hat den eigentlichen Charakter, den der edle Orest haben soll; sie ist voll des tiefsten Gefuhls und der hochsten Schonheit. Man kann nichts Gottlicheres horen, als die vierte Scene des ersten Akts: Per pieta, deh nascondimi almeno di quel seno l'acerba ferita! deh per pieta! non mi dir, che ti tolse la vita, quel ingrato chi l'ebbe da te34.

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dem Thoas vermahlen und hernach umbringen will, wenn Orestes dadurch fortgekommen ist! Accresca pietoso al viver tuo quei giorni il cielo, ch' a me scema il rigor d'averso fato! und welche bezaubernde Arie: Se il labbro si lagna, mi basta se dice, per me l'infelice la vita perde! J

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: Torno la mia speranza nel seno a germogliar, vinto ha la mia constanza, io corro a trionfar37! Mit einem so naturlich schonen Produkt und Gewachs lasst sich etwas bloss von der Kunst Zusammengereihtes gar nicht vergleichen.""Eben so vortreflich ist noch die letzte Scene des

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: Per pieta, deh nascondimi almeno di quel seno l'acerba ferita! und die Jubelarie: Torno la mia speranza, von

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und Fagotten meisterhaft begleitet. Die Arie:Che mai risolvere! che far poss'io!mi struggo in lacrime, morir desio,ne basta a uccidermi il mio dolor38;ist erhaben und klassisch; vortrefliche Musik durchaus, und zugleich edler Ausdruck.

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in der hochsten ursprunglichen Schonheit. Wie schwebt die Stimme hernach auf che far, che far poss'io hinunter!""Das wirklich Pathetische der Oper besteht in der vierten Scene dieses

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bey dem ausschweifenden Luxus einzelner Sanger und Sangerinnen im Ganzen meistens doch nur ein armseliges Wesen, und glich so ziemlich dem neuern Romischen Staate, worin nur wenige papstliche Familien reich sind; passte so auch gut fur Rom

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in der hochsten Starke. Eine susse tonvolle Stimme kann in dieser Scene bezaubern.""Der gemilderte Chor darauf: Misero giovine, in der einfachsten Harmonie, mit blossen Oktaven vermischt, setzt die Handlung vortreflich fort;

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: Mille pene, ombre moleste, immer tiefer eindringend; und der Chor eben so, mehr besanftigt, in Ah quale incognito affetto. Das men tiranne ah voi sareste, besturmt noch mehr mit lebhafterer Begleitung und

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: Che puro ciel! che chiaro sol! che nuova serena luce e questa mai! Die Instrumente konzertiren hochst reizend mit einander, und die Begleitung der ersten Violine halt wie ein liebliches Murmeln alles zusammen. Der

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der Oper singt: Che faro senza Euridice! dove andro senza il mio ben! che faro, dove andro senza il mio ben!Euridice,

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rispondi! io son pur il tuo fedel!Ah, non m'avanza, piu soccorso, piu speranza, ne dal mondo, ne dal ciel! ist gottlich, und gehort unter G

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Die Chore darin sind schon; die Recitative gut declamirt; und die erste Arie der Antigone voll einfachen Ausdrucks: D'una misera famiglia, tutta sai l'istoria amara39.

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Worte sind schon:Ascolta il nostro pianto,i gemiti, i sospiri,ombra, che qui t'aggirial mesto rogo accanto!E passa poi feliced'eterna pace in sen40.""Ganz erhaben ist der

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:Ombra cara amorosa, ah perche mai tu corri al tuo riposo, ed io qui resto!Tu tranquilla godrai nelle sedi beate, ove non giunge ne sdegno ne dolor, ne sdegno de dolor! ricopre ogni cura mortale eterno obblio.Ne piu ramenterai fra gli amplessi paterni il pianto mio, ne questo di dolor soggiorno infesto.Ombra cara amorosa, ah, perche mai tu corri al tuo riposo, ed io qui resto!41 Und in der Cavatine sogleich darauf: Io resto sempre a piangere, dove mi guida ogn'or, d'uno in un altro orror, la cruda sorte. E a terminar le lagrime pietoso al mio dolor, ahi, che non giunge ancor per me la morte42!"

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den Unterschied gar nicht merkt. Ich kenne nichts Vollkommneres im ganzen Reiche der Musik; der schonste Ausdruck schwesterlicher Zartlichkeit und tiefer Trauer.""Der Chor fallt alsdann wieder prachtig ein: O folle orgoglio umano! und Antigone beschliesst himmlisch: O reliquie funeste! Dieses alles zusammen macht das vollkommenste Ganze, und die erhabenste Leichenfeyer.

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aber am besten: denn eben in seinen guten Opern herrscht die Musik mehr, als in andern; nur flattert sie nicht herum, und treibt kein Spielwerk, sondern druckt die Gefuhle mit machtiger Entscheidung aus. Und so herrscht im Gegentheil

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war bey weitem nicht mannigfaltig genug, und passte in vielen Fallen gar nicht. Auch diess ist schon so oft gerugt worden, dass ich mit Wiederhohlung davon Ihnen nicht beschwerlich fallen will."

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solchen Sammlungen scheint auch die Handlung still zu stehen; der Strom derselben wird unmerklich; die Kehlen grosser Sanger und Sangerinnen konnen darin, vollkommen der Natur gemass, ihre ganze Gewalt, ihren ganzen Reichthum, zeigen. Ein zu rascher Fortgang beraubt die Musik ihrer grossten Schonheiten, die Oper ihres vorzuglichsten Reizes vor

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in dessen musikalischem Worterbuche: Les Airs de nos Opera sont, pour ainsi dire, la toile, ou le fond sur lequel se peignent les tableaux de la Musique, folgendermaassen dolmetschte:"

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fur die unwissenden Tonkunstler etwas arbeiten wollen, wenn sie ein se cerca, se dice, oder ein ne' giorni tuoi felici, so unertraglich eitel herunter setzen?"

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Ganzen nicht mehr statt findet; nur einzelne schone fur die Musik sehr ergiebige Scenen konnen daraus hervorspringen.""Die Symphonie kundigt eine grosse Begebenheit erhaben und e

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A te nume del giorno, a te del cielo ornamento e splendor, in As dur angefangen, und in Es dur geendigt, ist ganz gottlich.""Wieder eben derselbe Chor.

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ein vortrefliches kleines Duett, ganz neu und ruhrend dialogirt: Ah, perche con quelle lagrime m'avveleni il mio contento?""Das Recitativ, worin die Entdeckung geschieht, ist voll von Leidenschaft; die verkleinerte Septime und die vielen Sextquinten erheben den Ausdruck machtig. Admets Arie: No, crudel, non posso vivere, aus dem A moll, fallt gleich mit der Stimme ein, und gehort zu den grossten Meisterstucken dieser

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Melodie: tu lo sai, non mi salvi, ma m'uccidi se da me dividi la piu viva, la piu tenera cara parte del mio cor, ein Muster vom tragischen Ausdruck derselben,

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Holz und grosse Kachelofen sieht man nach langer Zeit zum erstenmal wieder.""Das letzte Welsche Dorf S. Martino war ganz armselig, und die Post hatte nur vier Pferde; einen andren Reisenden hatten Ochsen ziehen mussen, und

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seinem Bruder bekannt gemacht hatte.""C'est trop faire de resistance; il faut des Dieux irrites nous reveler les volontes, o Calchas, rompez le silence."

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"Der Chor darauf: Nommez nous la victime, et prompts a l'immoler sur les autels des dieux tout son sang va couler, wird

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Diane sois nous propice, conduis nous au bord Phrigien, que notre fureur s'assouvisse dans le sang du dernier Troyen; beschliesst voll Inbrunst und Eifer. Die verkleinerte Septime macht den Accent

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: et si tendre a cet, ordre inhumain sind meisterhaft ausgedruckt; und j'entends retentir dans mon sein le cri plaintif de la nature, ist wahre leidenschaftliche Beredtsamkeit:

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"Der Chor darauf: Que d'attraits! que de majeste! que de grace! que de beaute! macht mit dem vorigen einen entzuckenden Kontrast, und das ruhrendste und reizendste Schauspiel.

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in Accenten voll Grazie zu der naturlichen Empfindung: Les voeux, dont ce peuple m'honore, peuvent-ils flatter mes souhaits! Achille a mes yeux inquiets ne s'offre point encore.""Die Mutter kommt am Ende desselben wieder, und bringt die verhasste Nachricht,

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que voulez vous faire? voulez vous, n'ecoutant qu'un aveugle transport, aussi cruel que les dieux et son pere, voulez vous donner la mort? Diese

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, et dis lui, qu'elle n'a rien a craindre, qu'outrage, furieux, mais vaincu par l'amour, quelque soit mon courroux, je saurai me contraindre, et respecter celui qui lui donna le jour; in entzuckender Melodie und

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wieder: faut-il sacrifier l'interet de la Grece, faut-il d'Achille endurer le mepris? Der Kampf wird starker; aber endlich siegt die Natur. Er stellt sich die grausame Handlung recht lebhaft vor, fuhlt schon die Gewissensbisse daruber in ihrer ganzen Schrecklichkeit, und schickt seinen Getreuen

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"O toi l'objet le plus aimableque tant de vertus font cherir,pardonne a ton pere coupableen faveur de son repentir!

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non, nous ne souffrirons pas,qu'on enleve aux Dieux leur victime;ils ont ordonne son trepas,notre fureur est legitime.Nun folgen die schonen Scenen der jungen Heldin."

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ihm gewidmet gehabt, und es sey ihr desswegen theuer. Aber, Il faut de mon destin subir la loi supreme, ist dann die erste Arie voll heroischen tragischen Seelenklanges, gleichsam Einleitung zu der nach einem kurzen Recitative darauf folgenden, worin sie mit hochst ruhrender wehmuthiger Zartlichkeit von ihm Abschied nimmt."

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vos regards la carriere immortelle, ou vous devez courir: ma mort seule peut vous l'ouvrir.""Avez vous cru, qu' Iphigenie put oublier sa gloire et son devoir? ils lui sont plus chers, que la vie."

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, so tief eindringende: N' oubliez pas, qu' Iphigenie, digne d'un moins funeste sort, pour seul cherissoit la vie, in der Arie, treibt den Achill zur Wuth. Er verlasst sie mit

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d'un trait mortel perce sera ma premiere victime; l'autel prepare pour le crime par ma main sera renverse. Et si dans ce desordre extreme votre pere offert a mes coups frappe tombe et perit lui meme, de sa mort n'accusez que vous."

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solche Menge verschiedner Fusse oder Takte zusammensetzen, dass die zwey Dutzend Griechischen weit zuruckbleiben mussen. Man sollte sie wohl einmal zahlen und ordnen, und die verschiednen schonsten Formen nach vortreflichen Mustern in Klassen bringen. Bis jetzt sind sie bloss dem Instinkt uberlassen worden. Die Kunst der Musik erhebt sich schon dadurch allein uber den

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Fur das epische Gedicht hat ihn hernach schon die verstarkte Aussprache eingefuhrt. Eine gewisse Harmonie des Zeitmaasses erleichterte nicht allein die Anstrengung der Stimme, sondern machte auch den Vortrag fasslicher und gefalliger.""Der Vers richtet sich nach

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in alle moglichen Fusse der Griechischen Poesie verwandelt; nicht an einzelnen Stellen, sondern uberall. Wir wollen bey dieser Oper gleich von vorn anfangen." "Diane impitoyable, envain vous l'ordonez Cet affreux sacrifice! Envain vous promettez De nous etre propice; De nous rendre les vents, par votre ordre enchaines. Non, la Grece outragee Des Troyens a ce prix ne sera pas vengee! Je renonce aux honneurs, qui m'etoient destines; Et dut-il m'en couter la vie! On n'immolera point ma fille Iphigenie." "Die mehrsten Jamben sind

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in Anapaisten verwandelt:cet affreux sacrifice,de nous etre propice,de nous rendre les vents par votre ordre enchaines.

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prix ne sera pas vengee.Je renonce aux honneurs, qui m'etoient destines.Et dut il m'en couter la vie,On n'immolera point."

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Nommez nous la victimeEt prompts a l'immolerSur les autels des dieuxTout son sang va coulerQue notre fureur s'assouvisseDans le sang du dernier Troyen."

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Que d'attraits! que de majeste!Que de grace! que de beaute!Qu'aux auteurs de ses jours elle doit etre chere!Agamemnon est a la foisLe plus fortune pereLe plus heureux epoux et le plus grand

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Adieu! conservez dans votre ameLe souvenir de notre ardeur;Et qu'une si parfaite flammeVive du moins dans votre coeur.N'oubliez pas, qu Iphigenie,Digne d'un moins funeste sort,Pour vous seul cherissoit la vieEt vous aima jusqu' a la mort."

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k mit einander hatten bewirken konnen. Jener wurde sich von der ganz unnutzen eingebildeten Form der Jamben gar nicht haben storen lassen. 46 Die Franzosen lassen sich diess leicht gefallen; dans nos chants, heisst es bey ihnen, la valeur des notes determine la quatite des syllabes. 47

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nicht leidenschaftlicher ausdrucken, als Iphigeniens Traum ausgedruckt ist, besonders bey den Worten: Mon pere perce de coups c'etoit ma mere c'est Oreste.""Reizender Seelenklang gleich in der ersten Arie der Iphigenia: O toi, qui prolongea mes jours."

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Chore sind durchaus schon und voll Gefuhl.""Thoas tritt dann auf, und macht einen herrlichen Kontrast mit dem zarten Jungfraulichen der Priesterinnen, besonders in der Arie: Des noirs pressentimens. Eine Stelle von grosser pittoresker Wirkung ist: Je crois voir sous mes pas la terre s'entrouvrir, et

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Ah, mon ami, j'implore ta pitie; ist entzuckend: sie thut durch ihre reine Seelenaccente dem Herzen wohl.""In der funften Scene setzt Orest es endlich durch in einem vortreflichen kurzen Gesange, worin er drohet, dass

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dazwischen; ganz aus der Seele declamirt: Voila le terme heureux de mes longues souffrances! und die kurze Cavatine: Que ces regrets touchants pour mon coeur ont de charmes!"

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: O ma soeur, oui, c'est vous! in A moll, der kleinen Terz.""Gottlich darauf Iphigenia: O mon frere, o mon cher Oreste! in E moll; und weiter hernach: Laissons la ce souvenir funeste! Laissez moi ressentir l'exces de mon bonheur! jubelnd im ganz heitern C dur. Eine himmlische Cavatine!"

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die Abschrift damals noch nicht ganz erhalten konnte, die schonsten Scenen der besten Oper, die ich in Italien gehort habe. Ich hoffe, dass man sie in unserm Konzert mit grossem Vergnugen horen wird."

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ihm Dienste nehmen will; entdeckt alsdann, wer er ist, und nimmt ihn in seiner unterirdischen Wohnung gefangen.""La tu vedrai, chi sono, non ti parlo invano3; ist die erste Arie des

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: Come partir poss'io; muss man von schonen Kehlen horen. Es ist vollendet in der neuern Zartlichkeit.""Cari figli un altro amplesso, dammi, o Sposa, un altro addio, o figli, o Sposa, cari pegni del cor mio, ah non posso, o

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ne celarvi il mio dolor"7! ist eine von den grossen Scenen der neuern Musik. Sie macht auf dem Theater erstaunliche Wirkung. Sabinus wird in der unterirdischen Wohnung mit seiner ganzen Familie von Titus uberrascht, und gefangen genommen. Heldencharakter voll Gefuhl herrscht durchaus. Das lange Recitativ mit

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: Io gia lo sento, quel che invita alla tomba, orribile di morte atro lamento11; worauf die traurigen

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im Einklang immer fortgehen E intorno errar mi veggo lo stuol funesto delle larve orrende12; schoner enharmonischer, ausserst leichter Uebergang aus Es mol in E dur, durch

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man die ganze gesammte Musik als einen Baum betrachten wollte; so stande diese Scene wie ein zarter schlanker bluhender Spross im hochsten Gipfel.""Noch mehr kann man diess von dem Rondo sagen: In qual barbaro momento io ti do l'estremo addio! mit

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Vortrag nicht wenig begeistert haben.""Wieder ein reizender enharmonischer Gang von As dur in E dur, durch einen blossen Nachschlag der kleinen Terz, bey Costanza, anima mia! pochi momenti restano al tuo penar14."

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, noch wenig untersucht worden; man hat sie, ungeachtet ihrer grossen Wichtigkeit, immer dem eignen Gefuhl der Komponisten, und ubrigens meistens dem Ungefahr uberlassen.""Die leichten und angenehmen Verhaltnisse gehen bis auf

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Dominante einer neuen Existenz, wohin die vorige ubergeht.""Am schonsten klingt er, wenn die grosse Terz, lanote sensible, oben schwebt; schmachtende Lippen am vollen Becher der

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von seinen zarten Kindern und seiner geliebten Gattin Abschied nimmt; bey der Stelle: Jo gia lo sento quel che invita alla tomba orribile di morte atro lamento.

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. Er fallt durch die Sussigkeit des vorigen gar leicht wieder in die schone frische reine Existenz, oder uberhaupt den Charakter derselben. Durch die verschiednen Verwechselungen verandert er sich mehr oder weniger, eben so wie der vorige."

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c k braucht ihn in der Verwechselung derSextquinte gleich beym ersten Ausruf des Orestes zu Ende des ersten Akts der Iphigenie en Tauride zu den Worten: O mon ami, c'est moi, qui cause ton trepas. Eben so darin wieder Orestes

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:Caro ti lascio addio!Ben mio addio! Er lasst in ihm auf der Silbe di eine Kadenz halten, und bringt ihn, zur hochsten Verstarkung des Ausdrucks, gleich wieder auf

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bey Lascia mi, o cara, la pace in sen. Und in der gottlichen Arie der Berenize im zweyten Akt eben dieser Oper bey L'ira sospendi, sospendi l'ira!"

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c h schildert: so konnte ein Ding zum Vorschein kommen, das traurig-frohlich-melancholisch zu gleicher Zeit ware.""Die Vorhalte sind gleichsam Mitteltinten, die Harmonie zu verschmelzen; sie konnen bey allen Accorden und deren Verwechselungen angebracht werden, geben denselben oft einen starken Reiz, und machen die zufalligen Dissonanzen aus. Sie drucken entweder ein Strauben,

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und None konnen, jede einzeln, und mehr oder weniger beysammen, den Vorhalt ausmachen; sie bleiben allezeit aus dem vorigen Takt in dem neuen liegen. Quart und Sext sind die angenehmsten; besonders ist die Sext ein ungemein reizender Uebergang bey den Accorden der kleinen Septime: ganz Jungfraulichkeit,

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e r machte es nur einfacher, und dabey vollstandiger; einiges Falsche, das man schon vorher bemerkt hatte, ward darin ausgemerzt. Aber noch immer finden sich Schwierigkeiten

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nicht die schonste Melodie mit der wahrsten Harmonie vereinigt seyn konnen?""Der vortreflichste musikalische Ausdruck irgend einer Empfindung, einer Leidenschaft, beruhet furs erste auf der Harmonie; nach deren Verhaltnissen kommt dann der Vortrag in der gefalligsten Melodie, und mit dieser der ergreifendste Rhythmus.""Alle drey mussen vereinigt seyn; aber die erste ist das Wesentlichste: sie enthalt die Elemente, aus denen die andern beyden bestehen. Man mag Messing noch so schon pragen,

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erhielt dessen ganzen Beyfall. Es konne nicht fehlen, meinte der Furst: der heroische, verstand- und kenntnissreiche Jungling musse bey dem erhabnen J o s e p h bald wohl angeschrieben stehen.Man dachte auf baldige Ausfuhrung des

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in dem gottlichen Rondo: In qual barbaro momento io ti do l'estremo addio! allgemein bewundert. Der Prinz erstaunte bey diesen ersten Worten; doch horte er bald, dass

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; man denkt nun wenig daran, Thetis mag es lachelnd verantworten: es ist nun einmal geschehen, wird fur bekannt angenommen, und Dichter sowohl als Zuhorer bekummern sich weiter nicht darum.""Achilles in weiblicher Kleidung muss

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Ah, di tue lodi al suono,Padre Lieo, discendi!Ah, le nostr' alme accendiDel sacro tuo furor!Parte del Coro.O fonte de' diletti,O dolce obblio de' mali,Per te d'esser mortaliNoi ci scordiam talor.Tutto il Coro.Ah, le nostr' alme accendiDel sacro tuo furor!Parte del Coro.Per te, se in fredde venePigro ristagna e langue,Bolle di nuovo il sangueD' insolito calor.Tutto il Coro.Ah le nostr' alme accendiDel sacro tuo furor.Parte del Coro.Chi te raccoglie in seno,Esser non puo fallace;Fai diventar veraceUn labbro mentitor.Tutto il Coro.Ah le nostr' alme accendiDel sacro tuo furor.Parte del Coro.Tu dai corragio al vile,Rasciughi al mesto i pianti,Discacci

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.Tutto il Coro.O fonte de' diletti,O dolce obblio de' mali,Accendi i nostri pettiDel sacro tuo furor.Chor.

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Liebe noch mehr zu entflammen; und dieser druckt sein Gefuhl daruber in folgender Arie aus:Involarmi il mio tesoro!Ah, dov' e quest alma ardita?A da togliermi la vita.Chi voul togliermi il mio Ben.M' avvilisci in queste spoglieIl poter di due pupille;Ma lo so, ch'io sono Achille,E mi sento Achille in sen."

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Lungi, lungi fuggite, fuggiteCure ingrate, molesti pensieri!No, non lice del giorno feliceChe un istante si venga a turbar.Dolci affetti, diletti sinceriPorga amore, ministri la pace;E da' moti di gioia veraceLieta ogni alma si senta agitar.Lungi, lungi fuggite, fuggiteCure ingrate, molesti pensieri!No, non lice del giorno feliceCh'un istante si venga a turbar.Fliehet, fliehet weit weit unangenehme Sorgen,

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lidi i vostri legniL'ancora scioglierannoUlisse. Al mio ritorno; altro non mancaCh'il soccorso di Sciro.Licomede. O qual mi toglieSpettacolo sublimeLa mia canuta eta!

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Europa v'accorre. Omai son vuoteLe selve, e le citta. Da padri istessiDa vecchi padri invidiata, e spintaLa gioventu protervaCorre all' armi fremendo.Chi d'onoreSente stimoli in sen, chi sa, che siaDesio di gloria, or non rimane."Wo konnte man je so viel

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"Er setzt sich, ruhrt die Guitarre, und fangt das reizende Lied an:Se un core annodi,Se un alma accendi,Che non pretendiTiranno Amor?Vuoi, che al potereDelle tue frodiCeda il sapere,Ceda il valor.Coro.Se un core annodi,Se un alma accendi,Che non pretendiTiranno Amor?

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Se in bianche piumeDe' Numi il NumeCanori accentiSpiego talor:Se fra gli armentiMuggi negletto:Fu solo effettoDel tuo rigor.Coro.Se un core annodi, etc.

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De' tuoi seguaciSe a far si viene,Sempre in tormentoSi truova un cor.E vuoi, che baciLe sue catene,Che sia contentoDel suo dolor.Coro.Se un core annodi,Se un' alma accendi,Che non pretendi,Tiranno

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"O ciel, che miro!Licomede. Mai non si tinse in TiroPorpora piu vivace! (ammirando le vesti)Teagene. Altri sin ora (ammirando le vasi)Sculti vasi io non vidiDi magistero egualDeidamia.

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(ammmirando le gemme)Non a lucide gemme al par di quelle.(Si leva per andare a veder piu da vicino le armi.)"

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Ach, wer sah je schonere Rustungund Waffen! (Er steht auf, und geht, die Waffenmehr in der Nahe zu betrachten.)"Diess ist ganz nach dem schonen antiken Basrelief.Deidamia. Pirra, che fai? ritornaAgli interrotti carmi.Achille. (Che tormento crudele!)(di dentro) All' armi! all' armi!"

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lumiOffuscando mi va! che fiamma e questaOnde sento avvamparmi!Ah, fernar non mi posso. All' armi! all' armi!"

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no; la sorteAltre m'offre, e piu degne.A terra, a terra(Getta la cetra, e va all' armi portate co' doni diUlisse)Vile stromento. All' onorato incarcoDello secundo pesante (Imbraccia lo scudo)Torni il braccio avvilito: in questa manoLampeggi il ferro. (Impugna la spada)

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Deidamia un giornoRitornar ti vedra cinto d'allori,E piu degno d'amore.Achille. E intantoUlisse. E intantoChe d'incendio di guerraTutta avvampa la terra, a tutti ascosoQui languir tu vorresti in vil riposo?Diria l' eta futura:Di Dardano le muraDiomede espugno; d'Ettore ottenneLe spoglie Idomeneo; di Priamo il tronoMiser tutto in faville

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als Pyrrha sang."Achille, in gonna avvoltoTraea misto e sepoltoFra le ancelle di Sciro i giorni sui,Dormendo al suon delle fatiche altrui.

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, ein entzuckendes Schauspiel, die Oper, worin Dichter und Tonkunstler so zu einem gottlichen Wesen vereinigt sind!"Ah non sia verl Destati alfine: emendaIl grave error. Piu non soffrir, che alcunoTi miri in queste spoglie. Ah, se vedessiQuale oggetto di risoCon que' fregi e un guerriero! In cuesto scudoLo puoi veder. Guardati,

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(Gli leva loscudo) Dimmi,Ti riconosci? (Presentandogli lo scudo)Achille. Oh vergognosi, oh indegniImpacci del valor, come finoraTollerar vi potei! Guidami, UlisseL'armi a vestir. Fra questi ceppi avvintoPiu non farmi penar.Ulisse.

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! i miei rossoriNon farmi rammentar! (partendo)Nearco. Senti! tu parti?E la tua Principessa?Achille. A lei diraiUlisse. Achille, andiam.Achille. Dille, che si consoli;Dille, che m' ami; e dilleChe parti fido Achille,Che fido tornera.Che a suoi begli occhi soliVuo' che il mio cor si stempre,Che l' Idol mio fu sempre,Che l' Idol mio sara.

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Che fia di me! Se m' abbandoni, Achille,A chi ricorrero?Achille. Ch'io t'abbandoniIn periglio si grande! ah no: sarebbeFra le imprese d'AchilleLa prima una vilta. Vivi sicura;Lascia pur di tua sorte a me la cura.Tornate sereniBegli astri d'amore!La speme baleniFra il vostro dolore;Se mesti girate,Mi fate morir.Oh Dio! lo sapete,Voi soli al mio coreVoi date e toglieteLa forza e l' ardir."

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"Numi clementiSe puri, se innocentiFuron gli affetti miei: voi dissipateQuesto nembo crudel. Voi gl'inspiraste:Protegeteli voi. Se colpa e amore,Si lo confesso, errai.Ma grande e la mia scusa:Achille

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dir, che rea son io,Guardi in volto all' idol mio:E le scuse del mio coreDa quel volto intendera.Da quel volto, in cui riposeFausto il ciel, benigno AmoreTante cifre luminoseDi valore e di belta.

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) L'esser padre a tal figlio e gran mercede.Gl' illustri sposi uniscaIl bramato da lor laccio tenace;E la gloria e l'amor tornino in pace."

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in der ersten Scene des dritten Akts, wo Achilles ganz als grosser Held erscheint, und Ulysses ausruft:Oh sensi! oh voci! oh pentimento! oh ardoriDegni d' Achille! e si volea di tantoFraudar la terra? e si spero di SciroNell' angusto recintoCelar furto si grande! Oh troppa ingiusta,Troppa timida madre! E non previde,Che a celar tanto fuocoOgni arte e vana, ogni ritegno e poco?Del terreno nel concavo senoVasto incendio se bolle ristretto,A dispetto del carcere indegnoCon piusdegno gran strada sifa.Fugge allora; ma, intanto che fugge,Crolla, abbatte, sovverte, distruggePiani, monti, foreste, e citta."

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stragi; io fuggo almenoUn piu lungo morir. Tu lieto vaiSenza aver, chi t' arrestiAh perfido! ah spergiuro!

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; e son questiGli ultimi tuoi congedi? Ove s' inteseTirannia piu crudel! Va scellerato,Va pur; fuggi da me; l'ira de' NumiNon fugirrai. Se v'e giustizia in cielo,Se v'e pieta, congiureranno a garaTutti tutti a punirti. Ombra seguacePresente ovunque seiVedro le mie vendette. Jo gia le godoImmaginando; i fulmini ti veggoGia balenar d'intorno"

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, und sagte: sie sey ihm vor wenig Wochen zugeschickt worden. Alle freuten sich hochlich daruber, und behaupteten, dass die Italianische Musik gewiss nicht im Fallen sey. Besonders bewunderte man, wie leicht und gut die glanzendsten Laufe und Sprunge fur die Instrumente gesetzt waren.

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Zum Beschlusse ward der Anfangschor nebst der Symphonie wiederhohlt:Ah, di tue lodi al suono,Padre Lieo, discendi!Ah, le nostr' alme accendiDel sacro tuo furor!Alles drang jetzt noch weit tiefer ein. Der fremde Furst, den das unvorbereitete doppelte Schauspiel uberrascht, ergotzt und ergriffen hatte,

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Getreuen verspottet zurucklassen? O, wir sind fur einander geboren und erzogen, himmlisches Wesen, susses reizendes Leben! Wir werden mit einander glucklich seyn, glucklicher als irgend ein andres Paar.

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Wien zu bleiben!"Er drohte ihr schalkhaft mit einem Finger, und sagte: "Die Mutter ist sehr gut, dass sie diess geschehen lasst. Ihr drey Weiber beysammen konnt in Schwaben, auch wahrend der kurzen Zeit, eine Menge Unheil anfangen."Sie erwiederte lachend: "Wir kommen bald in Regensburg wieder zu einander;" gab ihm einen schwesterlichen zartlichen Kuss,

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, und folglich immer in dem Orte bleiben. Der atherreine, gewolbtvolle, susse Kapweinklang des vortreflichsten unter allen Instrumenten bringt hier auch immer Virtuosen hervor, und die Reisenden bewunderten mehrere edle junge Herren, die mit grosser Gefalligkeit ihretwegen einen Wettstreit hielten.Sie setzten uber den koniglichen Po,

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d war inzwischen auf der Buhne verschwunden, kam nun, begeistert und in der besten Laune, am aussersten Ende wieder zum Vorschein, sang den Dithyramb:Ah di tue lodi al suonoPadre Lieo discendi!und machte Satze,

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da Du erst so kurze Zeit von Hause weg bist, gar nicht erwarten kann: so erkennen sie Dich unter der Travestirung zuverlassig nicht, und finden hochstens nur sonderbare Aehnlichkeit. Das Theater und die nachtliche Beleuchtung verandern ubrigens so sehr,

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fur die ubrigen hundert und sechzig tausend Seelen gewiss ganz neu. Und ubrigens wird jeder Vernunftige die Entschuldigung des geschmackvollen Betrugs fur gerecht erkennen.

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gab fast immer das Tempo an, liess wiederhohlen, was nicht ganz nach ihrem Sinne ging, zeigte, jedoch gefallig und bescheiden, den rechten Vortrag; und man folgte gehorsam ihrer bessern Einsicht. Sie erstaunte uber die vorher unerkannte Wirkung ganzer Scenen in dem weiten Raume des grossen Theaters, und bewunderte L o

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und den durchaus originellen grossen Styl. Bravone il Maestro! bravissimo Passionei! erscholl oft von einzelnen Stimmen da und dort.Am allgemeinsten bewunderte man: Se un core annodi; und die Scene: Ove son? che ascoltai? Dille, che si consoli. Aber bey Tornate sereni begli astri d'amore! konnte man das

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den Abendmahlzeiten ward vonweiter nichts gesprochen, und man liess durch ganz Rom das Lob des unvergleichlichen Sangers hoch leben.Die folgenden Proben wurden kurz vorher angesagt, und deshalb ungestorter gehalten. H

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In der siebenten Scene des zweyten Akts ward bey der schonen Stelle: Ove mirar piu mai tant armi, tanti duci, der Tenorist zuerst bewundert, aber noch mehr der Meister.

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.Ecco al mio labbro gia la tazza letal!Ma ohime! la mano perche mi trema,Qual si spande intorno fosco vapor,Sotto l'incerte piante il suol perche vacillaDove son? che m'avenne?E questo forse il natural ribrezzo al tremendopassaggio?Ah, non credei, che si terribil fosse l'aspettodella morte!Man

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Ma qual suono lieto insieme e feroce? donde?s'osservi! aprite!O vista atroce! le navi! i prigioneri!Invano m'attendete, o superbi! Io non verro,La mia difesa e questa. Bevvasi!O dio! ma dunque o da morir cosi?I ferri! le catene!Mi lascian tutti, misera, in abbandono; e solm'avvanza,Che soccorso crudel? la mia constanza.Das

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sie nicht recht daran wollte, und sang dann plotzlich mit raschen Griffen, wie auf einmal begeistert, in quellreinen vollen Tonen, unter der allerfertigsten Begleitung der zarten Finger:Se un core annodi,Se un alma accendi,Che non pretendiTiranno Amor!

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von ihren lachelnden Lippen entgegen. Nun erfolgte eine Pause, die mehr sagte, als die lieblichsten Worte der Beredsamkeit. Beyder Blicke weideten sich an einander in hoher Schonheit; nur die ihrigen schuchtern und furchtsam, die seinigen mit kuhner Begierde. Er ging zuerst auf

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r d machte mit reizender Bescheidenheit uber das, was sie gesehen hatte, die feinsten und richtigsten Bemerkungen, worin lebendige Empfindung und geubter Verstand entzuckend schon vereinigt waren. Die Kunstler horten dem unvergleichlichen Sanger,

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und Deutschen zugegen waren, die alle nie ein reizenderes Paar gesehen hatten.Der edle Jungling war kein Sterblicher mehr, nur entzucktes ewiges Leben, als sie nun ganz die Seine ward, und er bezaubert die Blume der Schonheit in himmelreiner Knospe lieblich umschattet fand. Diese letzte Entdeckung war

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. Er glaubte, dass Klima, grossere Freyheit, und hinreissender neuer Umgang auch an ihr seinen Einfluss zeigen wurde, und schloss diess besonders aus dem, was sie schon gewagt hatte.Das Gesprach ward wieder lebendig, und

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n benutzte binnen wenig Tagen jede Gelegenheit so gut, dass er ihr bald das zartliche Jawort in Entzucken von den sussen Lippen lockte.Er that darauf den formlichen Antrag. Die Verlobung erfolgte mit einem prachtigen Gastmahl; und gleich nach Ostern die festlichste Hochzeit.

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Aber Seldorf konnte sich nur von den Einzelnen losreissen, unter denen ihn so viele betrogen und verkannten, um das ganze Geschlecht mit desto innigerem Wohlwollen zu umfassen.Verschiedne Umstande verschafften ihm schon in fruher Jugend, ob er gleich in Deutschland geboren, und seine Eltern von der namlichen Nation waren,

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durch das andre zu bilden; Lage und Karakter hatten sie einander so genahert, dass der Unterschied ihrer Jahre verschwunden war. Theodor gewohnte sich, Sara gleichsam als die Stellvertreterin ihres ganzen Geschlechts anzusehen, und achtungswurdiger konnte es ihm nie erscheinen als in ihr. Sara glaubte in ihrem

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, es geht dessen kein Staubchen verloren, jeder schone Gedanke deines edeln Geistes gehort mit zur Schonheit der ganzen Schopfung. Alles schon und am besten machen kann das Menschengeschlecht nie, noch weniger ein einzelner Mensch;

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eignes Gewissen handeln konnte. Lassen Sie uns hier bleiben, mein Freund; glauben Sie mir, wir brauchen den Begebenheiten nicht entgegen zu gehen, sie werden uns schon ereilen und wie schon, wenn wir sie dann zusammen bestehen, wenn

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uns alle frei und gleich zu sehen, hatte sie wohl hoffen gemacht, dass mir jedes Mittel dazu gut ware. Ich dachte auch, ich konnte ihnen ja wohl sagen, was

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Feldzug gegen fremde Feinde. Er hatte sich daher gleich bei seinem Abmarsch von ihr begleiten lassen, wenn ihr gutes Herz und seine Menschlichkeit es ihnen damals erlaubt hatten, die noch sehr schwache Sara allein zurukzulassen. Auch bis sie nicht vollkommen genesen war, konnte es Babet nicht uber sich gewinnen, sie mit ihrem Entschluss bekannt zu machen, den sie ohnehin der guten Alten, von welcher sie so gastfrei aufgenommen worden war,

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Vorrede zur dritten AuflageZwei lange Vorreden folgen dieser dritten auf dem Fusse nach, die zweite zur zweiten Auflage und die erste zur ersten. Mach' ich nun diese dritte wieder lang; und wohl auch gar die ubrigen vielen zu den kunftigen Auflagen:

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das dritte Gericht hingegen bestand aus umgearbeiteten Kartoffeln auch das vierte als funftes konnte man nun wieder Kartoffeln servieren, sobald man nur zum sechsten neu brillantierte Kartoffeln bestimmte und so ging es durch 14 Gerichte hindurch, wobei man noch von Gluck zu sagen hatte, dass wenigstens Brot,

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Regent muss uberhaupt die jetzige Entvolkerung Frankreichs vorausgesehen haben; denn er setzte sich ihr bei Zeiten entgegen und hinterliess in drei gallischen Seestadten drei Sohne, und auf den sogenannten sieben Inseln nur einen. Der erste hiess der Walliser, der zweite der Brasilier, der dritte der Asturier, der auf den sieben Inseln der Monsieur oder Mosje: wahrscheinlich sollten die Namen

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so gern horen, in dessen Augen ich so ausserordentlich gern die Tropfen der weichern Seele und den Blick der hohern sehen mochte, neben dem ich so gern stehen bleiben mochte unter der ganzen fliehenden opera buffa und seria

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ist nichts darin als lauter Liebe... Stumm gingen die Wirbel der Liebe um beide und zogen sie naher sie offneten die Arme fur einander und sanken ohne Laut zusammen, und zwischen den verbruderten Seelen lagen bloss zwei sterbende Korper hoch vom Strome

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die Lange wahrnehmen, die, obgleich ein wenig vorgebogen gehalten, doch uber das Gewohnliche ging. Der Gesichterschneider drehte sich mit zwei blitzenden schwarzen Augen gegen Viktor herum, empfing ihn recht artig, wusste dessen Namen, sagte seinen eignen Matthieu und hatte beim achten Schritt schon vier gute Einfalle gehabt. Der

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jedem Falle grosse Dinge zu erwarten sein.Noch dazu fallt der vierte Mai hinein mit seinen, wie es scheint, wichtigen zwei Dankfesten fur die Ankunft der zwei Sebastiane, des kleinen in der Welt, des grossen im Baddorfe.

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und Scharfsinn ganz unnutz als Ladenhuter liegen bleiben, dass daraus recht gut ein eigner Schalttag zu machen ware: so soll er auch gemacht werden, sooft vier Hund-Dynastien voruber sind; nur dies braucht es noch, dass ich vorher mit dem Leser folgenden Grenzund Hausvertrag

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nur damit heraus"- sagte sie und umfing die zwei Kinder und zog beide in die vaterliche Umarmung hinein "und wunscht eurem guten Vater lange Tage und noch drei begluckte Kinder."Der Vater konnte nichts sagen und streckte

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'Ach wohl sind wir einander ahnlich und bekannt'? Warum mussen erst die Fleischstatuen, worein unsre Geister eingekettet sind, zusammenrucken und einander betasten, damit die darin vermummten Wesen sich einander denken und lieben? Und doch ists so menschlich und wahr: was nimmt uns denn

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die Historie ware aus, damit ich sie konnte drucken lassen; denn ich habe schon zu viele Pranumeranten darauf unter dem gemeinen Volk. Ein Schriftsteller nimmt in unsern Tagen Vorausbezahlung auf sein Buch vom schlechtesten Kerl an der Schneider tut seinen Vorschuss

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empfindsame und philosophische Seele. Wer ihm eine davon wegnahme, sagt' er, der mochte ihm immer auch die restierenden gar ausziehen. Ja zuweilen, wenn gerade die humoristische auf der umwechselnden Querbank obenan sass, trieb er den Leichtsinn so weit, dass

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wurde Spass gemacht, und er konnte sich auf die zwolf Stuhle mit seinen drei Seelen zugleich niederlassen.Seine Nachmittage ubergab er bald einer stromenden Laune, die ihre rechten Zuhorer nicht einmal fand bald den Pfarrleuten bald der ganzen St. Luner Schuljugend, deren Magen er

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ebensogut wie geerbte brechen konne?Wer philosophisch daruber reden wollte, der konnte dartun, dass uberhaupt gar kein Mensch sein Wort zu halten brauche, nicht bloss kein Furst.

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gepicht, worauf er eigenhandig mit Perlenschrift geschrieben: Rome cacha le nom de son dieu et elle eut tort; moi je cache celui de ma deesse et j'ai raison28."Ich kenne die Leute schon," dacht' er,

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nur einem einzigen Liebhaber geben und bloss die zwei Seitenlogen tausend Freunden."Gleichwohl konnt' es Jean Paul es mochte immerhin Platz genug ubrig sein nie so weit treiben, dass er nur in die zwei Koloniekorbe, namlich in die Herzohren hineingekommen ware, welches

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eine Bemerkung allein gemacht, sondern allemal zwanzig, dreissig hintereinander und gerade diese erste ist ein Beweis davon.*Wenn jemand bescheiden bleibt, nicht beim Lobe, sondern beim Tadel,

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dass er erst in einem Jahre von hinnen gehen konne; er bauete seine schwarmerische Weissagung auf zwei Grunde: dass erstlich seine meisten mannlichen Verwandten am namlichen Tage und im namlichen Stufenjahre gestorben waren, zweitens dass schon mehre Schwindsuchtige

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, bis wirs nur zur Kriegsbefestigung treiben. Es wird einem Mann uberhaupt bei einer ganz vernunftigen Frau nie recht wohl, sondern bei einer bloss feinen, phantasierenden, heissen, launenhaften ist er erst zu Hause.

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' er daraus auf eines wichtigen Mannes Gesundheit toasten konnen dieser beforderte, so gut er konnte, mit den durren Schachstatuen bloss das fremde Wohl auf Kosten des eignen: gern verlor er, falls nur Matthieu gewann. Noch dazu glich er jenen

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, dass unsre Finger im Grunde der geliebten Seele nicht um einen Daumen naher kommen, es mag zwischen ihnen und ihr bloss die Gehirnkugel oder gar die Erdkugel liegen, wird allezeit sagen: "Ganz naturlich!" Daraus erklart dieser sitzende Philosoph, warum die Madchen die mannlichen Verwandten ihres Geliebten halb mitlieben warum der Rohrstuhl

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auf, hebe dein Bette auf; "denn ans Podagra ist hier gar nicht zu denken", sagte er. Er tat ihm dar, seine ganze Krankheit sei Wind, figurlich und eigentlich gesprochen in den

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zur Tugend schon an Zeit. Der Furst fuhrt mich uberall wie ein Riechflaschchen bei sich und zeigt seinen narrischen Doktor vor. Mich werden sie bald nicht ausstehen konnen, nicht weil ich etwan etwas tauge ich bin vielmehr fest versichert, sie ertrugen den tugendhaftesten Mann von

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Eine solche glucklich robuste Seelen-Natur, worin man weniger seinen Geist erhohen will als seinen Pacht, macht es freilich begreiflich, wie es Schutzpocken geben kann, vermittelst deren der Flachsenfinger allein (wie

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Emanuel! bald in einem feinen Speisesaal, bald in einem Garten, bald in einer Loge, bald vor dem grossen Nachthimmel, bald vor einer Kokette, bald vor dir ist: so macht ihm dieser zweideutige Wechsel der Auftritte Schmerzen und vielleicht Flecken..

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Politiker wer irgendein System mehr annahm als erfand, wer nicht vorher dunkle Ahnungen desselben hatte, wer nicht vorher wenigstens darnach lechzte, kurz, wer nicht seine Seele als einen vollen warmen,

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Willen nicht weiss und nicht tut? Also folgt, dass grossere Kenntnisse die moralische Schuld nicht erschweren, sondern erst erzeugen! Denn insofern ich eine moralische Verbindlichkeit gar nicht einsehe, ist mein Verstoss dagegen ja nicht kleiner, sondern

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Joachime machte den Anfang zu einer zurnenden Miene. Der Hofmedikus hatte nichts lieber mit Schonen als Zank und setzte dazu: "C'est a force de se faire hair qu'elles se font aimer c'est aimer que de bouder ah que je Vous prie de Vous facher!

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argern, wiewohl ich so gut wie einer weiss, warum alle Menschen, sogar die aufrichtigsten, sogar die Manner, sich zu kleinen Intrigen gegen Geliebte neigen; nicht bloss namlich, weils kleine und erwiderte sind,

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sie hier verbergen wollte, machte sie reizender als alles, was sie je zu zeigen gesucht.Nichts ist gefahrlicher wie er vor einigen Wochen getan , als sich verliebt zu stellen: man wirds sogleich darauf. So

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"Nimm ein wenig Eis ein wenig Herz ein wenig Witz ein wenig Papier ein wenig Zeit ein wenig Weihrauch und giess es zusammen und tu es in zwei Personen von Stande: so hast du eine rechte gute franzosische

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Feldblumen und trage sie warm auf: so hast du einen schmackhaften burgerlichen Herzenskoch62"Matthieu setzte noch hinzu: "in der heissen burgerlichen Liebe sei mehr Qual als Spass; in ihr sei, wie

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, nicht notwendig, dass Volker in einem gewissen Stufenalter, auf einer gewissen murben Sprosse wieder heruntersturzen man verwechselt nur die letzte Stufe, von welcher Volker fallen, mit der hochsten; die Romer, bei denen keine Sprosse, sondern die ganze Leiter brach, mussten nicht notwendig durch eine

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der Untertanenhandel anfangen, aufhoren.66Die hochsten steilsten Thronen stehen wie die hochsten Berge in den warmsten Landern. Die politischen Berge werden wie die physischen taglich kurzer (zumal wenn sie Feuer speien) und mussen endlich mit den

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bekanntlich ein guter Zeichner.Ich lasse Begebenheiten, die weniger wichtig sind, unerzahlt liegen und gehe frohlich weiter.Es war schon im Marz, wo die hohern Stande wegen ihres sitzenden Winterschlafes mehr vollblutig als

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auf eine gewisse Hohe ziehen) wie sie bei den besten Stellen zwei Blatter auf einmal umwenden, bald zwei ungleichartige Kapitel entern lassen, bald in vier Wochen erst ein Kapitel gar hinauslesen,

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das ihn erwartete, namlich seinen Bruder, mit dem ers schon seit vielen Jahren gegen etwas Gewisses ausgemacht hatte, dass sie einander in Gesellschaften gar nicht kennen wollten. Der Balgtreter begriff ohnehin aus Einfalt gar nicht,

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Kopierpapier, nie in natura selber zu geniessen, ich hier weder meine Meinung noch die Grunde sagen kann, weil ein ganzesExtrablattvonnoten ware, um nur unter so vielen moglichen Grunden, warum sie uberall auf

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. Die moralische Freiheit wirkt so gut auf unsre Meinungen als auf unsre Taten; und trotz der Entscheidgrunde beim Verstande und trotz der Beweggrunde beim Willen wahlt doch der Mensch sowohl sein System

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Kalb, indes nichts als ein lebender Laubfrosch darin gesteckt ware, der sich bloss mit seinem Quaken daraus horen lassen. "Aber eine noch grossere Feigheit war's," sagte Viktor, "nicht einmal zu singen; allein ich weiss, die Menschen sind jetzo weder barbarisch noch gebildet genug, um die Dichter zu geniessen und zu

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nachstemal stolzer auffuhre und minder nachsichtig und uberhaupt ernsthafter, um eine gewisse Ehrfurcht zu erregen." Das nachstemal soll noch kommen. Er vergab daher den Drillingen so schon, dass sie endlich den Menschenfreund mit leidenschaftlichen Armen auf immer an ihre Seele schlossen.Nach einer solchen Gradualdisputation machte er nichts lieber als etwas recht Tolles, Galantes, Kindisches damals wars ein

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der anstandigen mannlichen Frohlichkeit noch weniger aus Verlegenheit, da es uberhaupt ihrem Geschlechte leichter ist und leichter gemacht wird, sich unter vierzig Augen unbefangen zu benehmen als unter vier noch weniger aus Unvermogen

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ein Pflaster statt einer Statue gemacht wird, dass er das ganze Menschenleben fur etwas recht Erhebliches ansieht, das er nicht genug preisen konne. Inzwischen konnte doch auch uns guten Narren das Aussere nicht so klein vorkommen, wenn nicht etwas ewiges Grosses in uns ware, womit wirs zusammenhalten

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in dem ihrigen verbergen wollte er konnte sogar die unverschleierte Wachsstatue mit sanftem Geiste anschauen und sagte lachelnd: "Ich glaube, ich habe mich darum ganz in Wachs wiederholen lassen, warum es der Katholik mit einzelnen Gliedern tut, um

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haben, namlich drei nicht mehr Plagen, als die Agypter trugen, namlich sieben nicht mehr Verfolgungen, als die ersten Christen ausstanden, namlich zehn. Aber auf solche Gluck-Ziehungen sieht ein Mann von Verstand gar nicht auf; wenigstens verspricht sich

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nur so weit zu bringen, dass er wenigstens durch schweigende Gebarde loge und die ihrige rechtfertigte, worin der Schein immer mehr abnahm, als glaubte sie es an eine fremde Dame gerichtet.Er sagte ihr frei heraus, was er sei ein

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Helden alle kleinen Fugen und F-Locher nachzuzahlen, wodurch er bisher seinen Flamin in sein verliebtes Herz sehen und horen lassen: diese Astlocher sind desto grosser, da er vor dem dritten Ostertag eben darum unvorsichtiger war,

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denn kaum vier aus meiner Bekanntschaft brauch' ich auszunehmen gerade im Gegensatz der Manner desto schoner schreiben, je besser sie denken. Lavater sagt, der schonste Maler gebiert die schonsten Gemalde, und ich sage, schone Hande schreiben eine schone Hand.Klotildens Brief stellet sich mit einer Lusthecke und einem lebendigen Zaun voll Bluten unserem

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Rechts, folglich ihrer Personlichkeit, die sie von blossen Mitteln unterscheidet, folglich ihrer Freiheit. Vorher auf ihren zehn Inseln waren sie mehr ungebunden als frei. Je mehr die Gegenstande ihrer Gesetze sich veredeln, desto mehr sehen sie, dass das Gesetz den innern Menschen mehr angehe als

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, sondern wegen der wahrscheinlichen Ausgiessung eines freudigen heiligen Geistes darin, oder wegen eines ganzen Taubenflugs von heiligen Geistern, und wegen der historischen Gemalde darin und wegen meiner eignen Anstrengung ein Kapitel (glaubt man) werden muss, dergleichen in jeder dionysischen Periode kaum

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Viktor antwortete endlich zugleich wahr und beziehend und fein: "Sie setzen beide, glaub' ich, unmogliche Falle: kein Mensch hat ganz unrecht und keiner ganz recht; und wer vergibt, dem wird zugleich vergeben, und umgekehrt so teilen zwei Menschen, die sich versohnen, immer die Freude

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oder ist wohl darum, weil die Sinne Spiegel voll Bilder sind, etwan das geistige Auge entbehrlich oder ersetzt? Und setzt die Veranderung des Nervens nicht eine zweite in einem zweiten Wesen voraus, wenn sie soll bemerkt werden? Oder stellet sich in

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und Seele immer einerlei oder hochstens in den Zeiten grosser ist, wo sie andere kleiner vermuten; denn der grosste Tiefsinn, die heiligsten Empfindungen, der hochste Aufschwung der Phantasie bedurfen gerade das wachserne Flugwerk des Korpers am meisten, wie auch seine darauf kommende Ermattung es verburgt; je unkorperlicher der

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aux plaisirs de l'indecence: la vertu est le sel de l'amour; mais n'en prenez pas trop. J'aime dans les femmes les acces de colere, de douleur, de joie, de peur: il y a toujours dans leur sang bouillant quelque chose qui est favorable aux hommes. C'est la ou la finesse demeure courte, qu'il faut de l'enthousiasme.

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neigen sie einander sich in Gestalt des mathematischen Wurzelzeichens zu mit wahrer verbindlicher Hoflichkeit sich von uns trennt. Ich weiss, wenn wir fort sind, lasst er uns Gerechtigkeit widerfahren und macht zuviel aus uns; denn er verleumdet nie, weder aus Bosheit

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die Tanzsale desto tiefer nieder, je hoher sie sind. Es ware schlimm, wenn diese so wichtige Tugend der Niederbuckung erst eine besondere geistige oder korperliche Starke, die sich ja niemand geben kann, voraussetzte; aber gerade umgekehrt will sie

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sah einen einzigen Engel glanzend und lachelnd darin stehen. Unsere drei Tage waren Traume von schonen Blumen, denn Traume von Blumen bedeuten Jammer."- Er hatte bisher seine weiche Seele gegen dieses grausame Gemalde verhartet; aber als er gar mit gepresster Stimme dazugefugt hatte:

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Todes ebenso veredeln? Aber ich und du stehen ja schon davor; ist unser Tod nicht so gewiss als Viktors seiner, wiewohl in einem langern Zwischenraum? O wenn jeder nur gewiss glaubte, nach Jahren an einem bestimmten Tage fuhrte

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Sehnsucht euch sehen kann jetzo stumm und weinend einander in die Arme fallen nach so vielen Losreissungen endlich verknupft nach so vielen Verblutungen endlich geheilt nach tausend, tausend Seufzern doch endlich begluckt

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sich nicht recht zusammengewohnen konnen; wir sollten uns samtlich, sagen sie' einander recht gut ausstehen konnen und schon dadurch des grossen Montesquieu Bemerkung

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in Deutschland neue Gesetze und Novellen der Reichsgesetze hervorzubringen vermag als ausser den Grenzen desselben: so konnt' es ja bei meinen Lebzeiten geschehen, dass legitimierte Prinzen fur thronfahig erklart wurden wodurch ich freilich zur Regierung kame. Gut

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(ob ichs gleich anfangs besorgte), dass ich mehr als gemeine Kenntnisse habe. In unsern Tagen sind die adeligen Vorderpferde nicht mehr so weit wie vor hundert Jahren vor den burgerlichen Deichselpferden am Staatswagen vorausgespannt; daher ists Pflicht, wenigstens Klugheit (auch fur einen neuen Edelmann wie

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selber Reichard denken sollte, sie seien bewohnt. 35 Die meisten Menschen haben vielleicht nur eine noch nicht bestimmt, wie lange der Tugendhafte die guten Gedanken, die weniger als gute Handlungen der aussern Welt bedurfen, durch gleichgultige unterbrechen darf. 36 Denn der edelste Mensch hangt eben am meisten von liebenden

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unter diesen steht William wahrhaftig nicht im letzten Gliede. Wir haben sehr oft unsre kleinen Disputen daruber, und was das schlimmste ist, so werd ich jedesmal aus dem Felde geschlagen; aber ganz naturlich, denn wenn ich etwa nur Lust habe, mit leichter Reiterei zu

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ich nun bald in fremde Lander komme, wo man meine Sprache nicht mehr versteht.Ja, lieber Tom, Du kannst Dich immer wundern, ging es mir doch um kein Haar besser und ich hatt es doch schon vorher gewusst.

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des Tantalus recht lebhaft habe denken konnen. Ich habe mich itzt darum aus dieser Gesellschaft mehr zuruckgezogen, ich bin mehr allein und Du wirst vielleicht lachen ich habe oft wieder angefangen zu studieren und mich dessen zu erinnern, was

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fur Ambrosia halten.Deine Schwester hab ich heut schon besucht, sie ist schon und scheint ebenso verstandig, ausser dass sie traurig war und gewiss um Lovell es tut mir leid um sie.Es ware ubrigens wohl moglich, dass

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ist ein vernunftiger Mann, der weiss, was meistenteils hinter der gewohnlichen Ernsthaftigkeit steckt; vielleicht hat auch eben meine Heiterkeit seine Wahl auf mich fallen lassen, da er mit der zu reizbaren Empfindsamkeit und Schwarmerei seines Sohnes nicht ganz zufrieden ist.Und wenn nun auch bald viele Meilen zwischen uns liegen, so

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mit einem jungen, aufbrausenden, sonderbaren Deutschen bekannt geworden, dem sich William ganz und gar hingibt; er heisst Balder und ist auch nur seit kurzem in Paris. Zwei harmonierendere Tone konnen nicht so leicht ineinanderschmelzen, als diese beiden Seelen: beide sind Enthusiasten, beide poetisch gestimmt, beide begegnen sich mit gleicher Liebe. Ich mag noch itzt nichts davon merken lassen, dass

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Beispiel dienen konnten, haben eben auch ihre Geschichte verloren. Der Zustand tierischer Wildheit ist kein menschlicher Zustand mehr. Darum sind uns alle grossen Erinnerungen alter Zeiten so wert, weil sie an sich selbst schon unser Gemut erheben, und zugleich in uns

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die Summen ausgezahlt und die Kontrakte vollzogen sind, so wie sie damals geschlossen wurden; der Prozess ist schon eingeleitet und er wird mir vielleicht viele Sorge, wenigstens viele Muhe machen. Ich habe schon Advokaten angenommen, welche behaupten, kein vernunftiger Mensch konne an der Rechtmassigkeit meiner Sache zweifeln. Es tut mir weh,

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die alles entweder aus einem guten oder schlechten Gesichtspunkte ansehn mussen, konnten es gar fur die niedrigste, schleichendste Art von Schmeichelei halten; doch, diese Insekten mussen einen im Leben nie viel bekummern, am wenigsten muss man

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Deine Phantasie bedarf bestandig eines reizenden Spiels und Du wirst es auch allenthalben sehr bald finden; jenes hohe, einzige Gefuhl der Liebe, das sich weder beschreiben noch zum zweiten Male empfinden lasst, hat Deine irdische Brust nie besucht,

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.Ich glaube Dir darin, lieber Bruder, was Du mir von wegen meiner Briefe sagst, ich weiss es auch, dass sie bei weitem nicht die schonsten sind, die einem der Brieftrager bringen kann; aber das kannst Du mir doch auf mein Wort glauben, dass

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allerbesten Herzen kommen. Und dann weiss ich ja auch, dass Du Deinen guten redlichen Verstand hast, der immer gleich weiss, was man sagen will, sonst wurd ich wahrhaftig mit meinem Briefschreiben ubel ankommen; aber einem Gelehrten ist gut predigen.

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die bei vielen Gelehrten von Profession ebenso lastig als lacherlich ist, verbindet er eine grosse Menge von Kenntnissen mit ebenso vielen Erfahrungen und einem sehr ausgebildeten Verstande. Er empfindet ebenso fein als tief und steht von den kalten Menschen ebenso weit als von denen mit gluhenden Gefuhlen entfernt! aber vorzuglich wert ist er

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Emilie mich liebt, muss sie sich notwendig unglucklich fuhlen; ich reise nun bald fort, ihr Vater projektiert wahrscheinlich eine reiche Heirat ach, was weiss ich alles, wie viele hundert Umstande sich miteinander verschworen konnen, um einem guten frohen Menschen

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zu sein scheinen, und da ich sehe, dass ich mit einem verstandigen Manne spreche, so konnten wir uns vielleicht auf einem andern Wege begegnen. Wenn es unsre Pflicht ist, nach unsrer Uberzeugung zu handeln, und das Gute zu befordern, soviel wir konnen: warum wollen wir

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kann Sie zuruckhalten, zu meinem Vorteile zu handeln, da dieser mit Ihrer Uberzeugung zusammentrifft? Warum sollte man hier den gunstigen Zufall unbenutzt lassen, der Sie grade an einen Ort gestellt hat, wo Sie mehr fur mich tun konnen, als

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Gottes Hulfe bald ein Ochs werden, und darauf hoffen wir auch alle itzt bei dem jungen Ferdinand, aus dem gewiss noch mit der Zeit ein ganzer Kerl wird, da er schon so fruh anfangt, sich tapfer zu halten. Er eben hatte den

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mein Herr indes mit den andern beiden herumbalgte. So waren sie endlich Sieger geworden. Mir tut es leid, dass ich dabei nichts weiter habe tun konnen, als zusehn, und auch das nicht einmal recht, denn wir kamen erst hin, als alles schon vorbei war.

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, aber schade, dass wir etwas zu spat angekommen sind. Da hab ich namlich mit Wunder und Erstaunen gehort, wie hier mitten im Sommer viele Pferde ein grosses Wettrennen halten mussen, ganz allein namlich und nach ihrem eignen Kopfe; ich meine namlich, dass keiner darauf reitet. Das muss herrlich anzusehen sein, und es sollen auch dann immer eine grosse Menge von

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Sachen nicht recht verstanden, denn sonst wurden sie wohl vieles besser und naturlicher gemacht haben. Herr William halt aber diese Gemalde gerade fur die schonsten; ich glaube aber, dass Herr Rose daran schuld ist, weil der aus Rom geburtig ist.An den Statuen finde ich auch

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man den orientalischen Ausdruck anwenden, dass er vom bosen Feinde verfolgt wird. Man fuhlt sich gewissermassen in eine solche Lage versetzt, wenn man seiner Phantasie erlaubt, zu weit auszuschweifen, wenn man alle Regionen der schwarmenden Begeisterung durchfliegt wir geraten endlich in ein

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ahnliche Art verraten ward ich suchte Dich darum schon fruh mit Menschen bekannt zu machen, und jenen jugendlichen Enthusiasmus zu mildern; bis itzt ist diese Bemuhung vergebens gewesen, aber Du siehst wenigstens aus meiner Geschichte, wie notwendig es ist. Lebe wohl, ich hoffe, dass

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den Bergen liegen, werden sichtbar, mein Blick umfangt die ganze Landschaft. Ihr Geist zieht den meinigen zu sich hinuber; eben da, wo ich mich einst mit einer zu jugendlichen Voreiligkeit (ich darf es Ihnen nun wohl gestehn) uber Ihnen erhaben fuhlte, seh

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dreister Hand hinein und behalte mir, was mir gefallt, ehe der gluckliche Augenblick voruber ist.Ja, Lovell, lassen Sie uns das Leben so geniessen, wie man die letzten schonen Tage des Herbstes geniesst; keiner kommt zuruck, man darf keinem folgenden vertrauen. Ist

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Herr Rosa bilden sich immer ein, ich verstehe ihre hohen freigeisterischen Reden gar nicht, die sie manchmal fuhren, wenn ich dabei bin, Ach, ich verstehe alles recht gut, wie sie es gerne meinen wollen;

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Mir fallt es erst jetzt ein, dass beide Ansichten der Welt und ihrer Schatze einseitig sind, und es sein mussen alles liegt dunkel und ratselhaft vor unsern Fussen; wer steht mir dafur ein, dass ich nicht einen weit grosseren Irrtum

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schamen, handeln sie morgen gewiss anders; ein Freund oder Bekannter darf ihnen nur zu verstehen geben, was er fur gross halt, und morgen suchen sie sich ihm in dieser Grosse unvermerkt zu prasentieren.

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scheid zu geben, so dass ich am Ende gar nicht mehr wusste, was ich sagen sollte, und wie ein alter Narre vor ihm stand, so weichherzig hatte er mich gemacht. Er sagte, dass er dem Madchen so ganz wunderer gut sei, dass

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von ihnen abzuhangen. Je mehr alles um uns her von uns abhangt, um so sklavischer es uns gehorcht, um so hoher steht unser Verstand. Denn darin kann die Vernunft des Menschen unmoglich bestehen, seltsame Dinge zu erfinden, oder zu begreifen, sondern

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Es ist gewiss, dass man unter unschuldigen Menschen selbst wieder unschuldig wird. Jetzt kommen mir manche meiner Ideen zu gewagt vor, die mir sonst so naturlich schienen; ich bin hier in der kleinen Hutte demutiger, ja ich fuhl es, dass ich ganz einer von den Menschen werden konnte, die ich mir bisher gar nicht deutlich denken konnte; die in einer engen dunkeln Stube geboren, nur so weit ihre Wunsche

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Leben nicht mehr aushalten konnen, das kannst Du mir glauben, lieber Thomas; ich war hier ganz, wie unter Heiden und Turken geraten, und hatte keinen einzigen frohen Augenblick. Mein Herr ist verloren, der bose Feind hat ihn ganzlich und ganz und gar eingenommen; lauter Ungluck hat

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, an denen ich mich ehemals so gross und edel fuhlte, bloss weil ich mir selber meine innern Empfindungen abstritt. Eitelkeit, sagt ich, verband uns vielleicht, und ich mochte jetzt hinzusetzen, dass ich nicht mehr daran zweifle.Erinnerst

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mit dem wirklichen Dinge gleichsam korrespondiert, so lasst sich aus dem Hange zum Wunderbaren gewiss weit mehr folgern, als man bisher getan hat. Das Bewusstsein unsrer Seele und der tiefe innige Wunsch

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um so tiefer in diese Labyrinthe, je mehr ich nachsinne. So viel ist gewiss, dass wir gewohnlich viel zu sehr den gegenwartigen Moment vor Augen haben, und daruber unser ganzes voriges Leben ausser acht lassen; die

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andern sogenannten verstandigen Menschen, mit so tiefem innerlichen Widerstreben gewahr werden. Wenn ich Ihnen sage, dass er Sie vielleicht schon besser kennt, als Sie glauben, so ist dadurch wahrscheinlich alle Ihre

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mein Vater schon diesen wundervollen Andrea gekannt, den ich nun zum dritten Male mit innigem Entsetzen und in immer nahern Beziehungen auf mich gesehen habe.Ich weiss nicht, was ich gesprochen haben mag, ich weiss ebensowenig, was jener sagte, und

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Meine Phantasie ward mit jedem Tage mehr erhitzt, alle meine bisherigen Zweifel verloren immer mehr von ihrem Gewicht; Sie konnen sich vorstellen, welchen seltsamen Eindruck Ihre Briefe damals auf mich machen mussten, in denen Sie immer mit so vielem Eifer von Rosalinen sprachen. An einem schonen Abende schweiften

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ich so lange geblieben sei. Ich konnte ihm nur wenige Worte sagen und die ganze Nacht hindurch lag ich in einem abwechselnden Fieber.Und war es nicht eben die Gestalt unsers Andrea, mit Schrecken denke ich daran, die

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in ihr goldnes Netz so gern und willig fangt. Die ganze Natur ist begeistert und die Waldvogel singen lange und schone Lieder, und die Baume stimmen drein mit lautem ehrwurdigem Rauschen und wie Harfensaiten zittert und klingt alles um

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als ein junger Bursche sprang o lieber Bruder, so kann ich Dir gar nicht sagen, wie seltsam mir dabei zumute wird. Ich mochte sagen, ich hatte mich damals bloss in einen jungen Menschen verkleidet, oder

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dem Gartner unmoglich wieder recht in Ordnung bringen; das liebe Unkraut hat sich allenthalben eingeschlichen und tiefe Wurzel gefasst; wir tun beide, was wir konnen, aber es will immer nichts fruchten.Bleib ja gesund, lieber Bruder, dass wir uns vor unserm Tode noch einmal sehn konnen; endlich muss es doch ans Sterben gehn,

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. Der ganze Brief macht wenigstens, dass Sie auf der Reise vielleicht an mich zuweilen denken; damit habe ich schon genug und ubergenug gewonnen, und gegen unsern Andrea will ich recht damit prahlen,

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es so weit bringen konnen, und die Gelegenheit es erfordert, sich fur uns totschlagen lassen. Aus dem Lovell konnte vielleicht einer von den letzten gemacht werden, denn er gibt mir selbst freiwillig alle die

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mein Nachbar wirkt, kann ich nur erraten, und ich muss daher auf meine eigene Beschaftigung achtgeben.Viele Menschen wissen gar nicht, was sie von den ubrigen fordern sollen, und zu diesen gehort Lovell. In Gedanken macht er sehr grosse Pratensionen an meine Freundschaft. Ich fordre von den Menschen nicht mehr, als was sie mir leisten; und dies vorher zu wissen, ist

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ob er gleich mein Oheim ist, ob er gleich alter ist als vierzig Jahre, ob er gleich schon grosse Reisen gemacht hat, ist dennoch ein weit grosserer Narr, als der jugendliche Lovell. Er glaubt alles zu

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jeden Fall gewinnen musse. Wenn ich hintergangen ware, ich wurde mich nie beklagen, sondern mich nur zu rachen suchen.Waterloo ist abgereist, und wie ich eben hore, gestorben. Er ist vielleicht toricht genug gewesen,

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denn die vernunftigen Leute mit Recht einen Aberglauben nennen konnen, denn er weiss wirklich nicht viel von einer bessern Aufklarung, wie man zu sagen pflegt. Ich denke aber wohl, dass er in einigen Tagen sowohl gesunder, als auch vernunftiger werden wird. Gott gebe seinen Segen dazu, damit er bald wieder an seine Geschafte gehen konne!Verzeihen Sie ubrigens, wertgeschatzter

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aus jeder schien ein tiefer Kummer zu sprechen. Ich weiss selbst nicht, auf welche wunderbare Weise mein Herz in mir bewegt ward, es war mir ganz wie bei einer guten Tragodie zumute, wo ein unbekannter Elender unsre ganze Teilnahme an sich reisst.Ich konnte es nicht

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von dieser irdischen Erde noch mehr Gluck, noch eine hohere Wonne erwarten?Ach, Emilie, immer, immer mocht ich bei Ihnen sein und den sussen Ton Ihrer trostenden Stimme horen, immer den sanften Augen begegnen, die

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ist nicht moglich; wenn ich daran glauben konnte, o so ware mir besser, ich ware nie geboren worden.Meine Schwachheit nimmt zu,

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, sie finden seine vorzuglichsten Schwachheiten heraus und beweisen daraus augenscheinlich, dass aus ihnen zugleich das fliesse, was die ubrigen Menschen an einem solchen gut und lobenswurdig nennen. Wenn sie neue Gedanken in

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alle Gedanken rechts und links am Wege liegenlasse, er hat mir immer eine gewisse Einfalt zugesprochen, und ich weiss, dass mich sein Scherz nie erbittert hat, denn er hatte vollkommen recht: es fehlt meinem Geiste jene Fahigkeit ganzlich, durch das ganze Gebiet verwandter Gedanken zu

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Wir sollten an Rosa schreiben, vielleicht dass er uns die besten Winke geben konnte, da er immer mit Andrea am vertrautesten gewesen ist.Lovell ist mir immer als ein Narr vorgekommen, aber seine Narrheit ist eine tragische, und das tut mir um so mehr leid, da ich ihm gut bin.

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dass es besser ware, man hatte mich nicht geboren."Im Glucke war ich stolz und eigensinnig, beim kleinsten Unglucke glaubt ich, dass dergleichen mir nur allein begegne, jedermann hatt ich

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dem ich weiss, wohin er mich fuhrt. Ich mag lieber nicht weit kommen, als mich aufs Ungewisse einem unbekannten Fusssteige vertrauen.Das Gleichnis wird Ihnen vielleicht lacherlich dunken aber mag's! Es ist vielleicht notwendig, dass

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der Zeit wohl besser werden, Sie mussen nur nicht die Hoffnung verlieren, denn die Hoffnung ist die beste Arznei. Wenn Sie aber wirklich die Schwindsucht hatten, so konnte diese Krankheit fur andre leicht ansteckend sein: wenigstens sagt man es

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ich Ihnen sage, alles dies kann ich nicht beurteilen, und ich hoffe, dass er sich ganz zu Ihrem Besten erklaren wird, sobald ich ihn spreche.Mich wundert nur, und es ist mir unbegreiflich, wie Sie so ganzlich unvorsichtig handeln konnten. Die Art Ihrer Verschwendung scheint Sie gar nicht belustigt zu haben, und dennoch konnten Sie diesem

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kann es immer noch nicht vergessen. Manche Menschen wissen gar nicht, was Elend heisst, sie konnen sich daher die grosse menschliche Not, aber auch die menschliche Dankbarkeit nicht vorstellen, und

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, so denken Sie recht oft an mich; doch das darf ich nicht hoffen. Sie sind immer so gut und Ihre Briefe sind so gut, dass ich glaube, ich konnte auf Erden keine bessere Freundin finden. Nach Eduard liebe ich Sie

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hatte die grosse Strasse ganz verlassen und befand mich nun auf Nebenwegen, die bald ausgingen, bald dahin zuruckzukehren schienen, woher ich kam. Ich fand nur einzelne Hutten, in denen ich einkehren konnte, und

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Welt fast gar nichts ohne Muhe haben, und obgleich die gemeinen Leute immer zu behaupten pflegen, umsonst sei der Tod, so mussen sich doch die meisten ganz ausserordentlich bemuhen, ja fast qualen, ehe sie nur ans eigentliche Sterben kommen; ich meine namlich die letzten Zuge, in denen man immer zu liegen pflegt; mit dem letzten Atemholen mussen wir das bequeme Luftholen fur unser ganzes Leben bezahlen.Der

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ihr nur darum zu tun, dass der Garten grun sei, und damit war dann alles gut und fertig. Dieselben aber werden wohl einsehn, dass das noch lange keinen Garten ausmacht, und wir beide wissen es am besten, was

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kann man nie wissen, wie weit es gehn wird, es geht oft gar zu weit und ist nachher nicht mehr zu andern, eben weil es gleich in der Anlage zu gross war. Er tut mir daher einen sehr grossen Gefallen, lieber Thomas, wenn Er so bald als moglich wieder zuruckkommt,

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mich keine mehr hintergehn wurde, sondern dass auch nie irgendein weibliches Geschopf eine grosse Gewalt uber mich haben konnte. Die Probe nachher hat aber nie mit dem ausgerechneten Exempel zusammenstimmen wollen. Ich habe schon tausend Ausnahmen von meinen Regeln gemacht, ja mehr Ausnahmen als Regeln gefunden und nachher wieder eingesehn, dass meine Regel doch dauerhafter sei, als ich vermutet hatte.

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Ursache, warum viele sich schon fruh selbst sehr wichtig vorkommen, jede Art von Affektation wird dadurch bei ihnen erzeugt, sie halten sich fur Genies und ausserordentliche Menschen, und denken nie daran, sich und der Welt Beweise davon zu geben. Ich

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, ist schon deswegen glucklicher. Ich wurde offenbar nur deswegen besser als meine gestorbenen Bruder, weil mich meine Eltern vernachlassigten, ja fast verachteten; sie glaubten, ihre Sorgfalt sei an mir doch verloren, und daher gaben sie mir

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das uns erhaben vorkommt, weil wir uns so lange zwingen, bis wir es so finden. Dem kalteren Menschen erscheint der Enthusiasmus gerade so, wie derjenige, der kein Spiel versteht, denen zusieht, die sich mit vieler Aufmerksamkeit mit

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und fur gottliche Wesen halt; sie sind immer in der Gesellschaft eines jungen unerfahrnen Menschen glucklich und unbefangen; je bloder, je verlegener er sich nimmt, je lieber ist er

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den Vorhof unsers Lebens hingelegt ware, damit wir diese schone Empfindung in uns recht lange nahren und fortsetzen, damit uns der schonste Genuss der Seele durch unser ganzes Leben begleite, und durch die blosse Erinnerung uns dies Leben teuer mache. Wenige nur wagen es, nachdem sie durch

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den Menschen recht genau zu nehmen, ihn treu aufzubewahren, damit er mir nutzen konne. So legte ich es freilich wenig darauf an, uber Menschen gut zu sprechen, aber desto mehr, sie von ihrer wahren Seite zu begreifen.Jeder Mensch sucht aus seinem Leben etwas recht Bedeutendes zu machen, und jeder glaubt, er sei der Mittelpunkt des grossen Zirkels. Keiner lebt im Allgemeinen, keiner kummert sich um das grosse Intresse des Ganzen, sondern jeder weiss in diesem unendlichen Stucke nur seine kleine armselige Rolle

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. Aber eben von diesem unsichtbaren Dinge, oder sogenanntem Gewissen konnt ich mich nie uberzeugen. Es gibt mehrere dergleichen fabelhafte Traditionen beim Menschengeschlechte, wodurch der grosste Teil desselben wirklich in einer gewissen Furcht gehalten wird,

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. Mein seltsames, eingezogenes Wesen hatte schon die Aufmerksamkeit mancher Leute auf sich gezogen, man konnte aus mir nicht recht klug werden, und es geschah daher sehr bald, dass ich fur einen interessanten, ja fur einen ausserst interessanten Menschen ausgeschrien

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die Menschen betrugen wolle, man ja nicht darauf ausgehn musse, sie recht fein zu betrugen. Viel Feinheit wurde voraussetzen, dass die andern auch einen feinen Sinn haben, dann ware sie angewandt: aber eben darum verderben recht viele gute Plane,

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und Grobe glauben die Menschen eben darum am ersten, weil es unwahrscheinlich ist, sie meinen, es musse denn doch wohl irgend etwas Wahres dahinterstecken, weil sich ja sonst kein Kind dadurch wurde hintergehn lassen.Haben

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nach meinem eignen, bessern Willen handeln.Wir sind durch Andrea kluger gemacht, und so mag denn seine trube, hyperphysische Weisheit fahren! Wir wollen das Leben sanft geniessen. Ich habe eine rechte Sehnsucht nach Ihnen, kommen Sie ja recht bald. Ich habe hier schon alles fur Ihren Aufenthalt eingerichtet. Sie sollen jetzt erfahren,

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ich wieder wohl und gesund werden.Ja, ich komme bald zu Dir, lieber Rosa. Warum sollt es nicht moglich sein, dass die qualenden Geister endlich wieder von mir wichen und ich freier atmete?Mein ganzes Leben habe

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seyn, sagt man, und dieses ist wahr; allein ich wollte nur zeigen, wie in einzelnen Fallen, das Weib wohl am besten handeln wurde. Freylich hat jede individuelle Lage ihre eigenen Verpflichtungen; allein die Grunde,

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Tode nichts wissen konnen, ist schon der Gedanke von der Zerstorung unsers Wesens verbunden, und viele Menschen mussen ihn schon gedacht haben. Ich wollte zeigen, dass die Ruhe im Tode wohl hauptsachlich aus der Ueberzeugung entspringt, auf

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Vorsatze, bessere Gattinnen, bessere Mutter, bessere Kinder, bessere Menschen zu seyn? Oder wolltet Ihr nicht vielmehr, bey Vernachlassigung Eurer wichtigsten Pflichten, Euch in den Stand setzen, einen der ersten Platze in diesem geistreichen Zirkel einzunehmen? War Euer Gefuhl fur Tugend warmer, als

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; und gewiss, Viele wurden sich ganz dem Erziehungsgeschafte widmen. Doch jetzt bleibt allen Hofmeistern keine andere Aussicht ubrig, als durch ihre eigenen Bemuhungen sich eine Stelle zu verschaffen; da sie in den meisten Hausern auf einen unangenehmen Fuss stehen, so suchen sie diese bald zu erlangen; daher der oftere

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Gute ihr nie diejenige Kraft, welche andre im Zugel gehalten, und sie daruber hinweggesetzt hatte, uber ihre und andrer Handlungen und Motive peinlich zu grubeln; so stiess schwarmerische Kleinlichkeit in ihr, unaufhorlich gegen gewohnlich menschliche und gesellschaftliche Kleinlichkeit in

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wird Ihnen nie Ehrfurcht verschaffen, er wird Ihnen nie in seinem Hause den Platz anzuweisen wissen, der Ihnen gebuhrt. Es ward Luisen schwer, einen Entschluss zu fassen: aber war sie einmal dazu geschritten, so konnte sie die Furcht der hochsten Strafe nicht

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entstellte; ja ware es auch moglich, dass meine Liebe je aufhorte, so wurde ich es doch immer fur meine Pflicht halten, jedem Ihrer Wunsche zuvor zu kommen. "Das heisst, sagte Luise lachend, Sie wollten mich um

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in einer ganz fremden Stadt niederliesse, wollte sie lieber nach B. gehen, wo sie sich schmeicheln konnte, von Verwandten und Freunden aufgenommen zu werden. Man hatte denken sollen, dass es Luisen nur darauf ankame, eine Stadt zu finden, da

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, ist eben, in diesem Leben daher ichs in diesem Billett wenig brauche der ganzen Welt zu entdecken, dass man kleine sinnliche Freuden hoher achten musse als grosse, den Schlafrock hoher als den

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Biographien jeden grossen Mann gegen einen zweiten grossen wiegt und vergleicht, so halt der Leser jeden grossen Charakter einer Biographie leise mit einem zweiten grossen zusammen (welches seiner ist) und gibt acht, was dabei herauskommt.

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, dem schone Tage sehr zustatten kommen in seinen Versen: so bracht' ich mich mit Fleiss immer mehr in Harnisch gegen ihn, besonders da nach Platner Ingrimm dem Unterleibe augenscheinlich zupasse kommt daher sollten Gelehrte, die immer auf den elendesten Unterleibern wohnen, einander wechselseitig auf antikritischen Intelligenzblattern noch starker erbittern ;

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betrubt, sagt' ich, um bis Bindloch etwan den Quintus Fixlein nach der ersten oder zweiten Auflage zu referieren: ich konnte unmoglich.Ich holte aber meine Schreibtafel heraus und setzte etwas auf. Man sehe etwan keiner fortgesetzten Vorrede zur zweiten Auflage entgegen: "

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uber mich gebieten, so sei Ihnen mein ganzes halbes Vermogen vermacht: denn Ihrer unbeschreiblichen Gute hab' ich es ja zu danken, dass ich schuldenfrei bin wie wenige Schulmanner."Thiennette, unbekannt mit unserem Geschlecht, musste dieses irrig fur einen Antrag der Ehe nehmen und druckte dem einzigen lebendigen Menschen,

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kaufen, indes er mit der Halfte davon ein Schulmann hatte werden konnen, worauf ihm das Alter von selber zugefallen ware. Und tausend solche Dinge! Sie beweisen aber, dass es nicht ubel um Staaten und Reichskreise stehen musse, wo der Torheit Standeserhohungen teurer gegeben werden als

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hier im achten nur kurz daruber wegfahren, wie es ihm bis dahin erging: naturlicherweise himmlisch genug. Es gluckt wenigen so wie ihm, schon vor der Hochzeit so grosse Flugel und so grosse Blumen (auf die er fliegen kann)

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Sorge fur einerlei kleine Lieblinge, einander in einer schonen Stunde an die uberwallenden Herzen fallen sehe! Und wenn es vollends zwei Menschen tun, die schon die Trauerschleppe des Lebens, namlich das Alter, tragen, deren Haare und Wangen schon ohne Farbe, deren Augen ohne Feuer sind und deren Angesicht tausend Dornen zu

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aus den altesten Meinungen und neuesten Versuchen wissen mussten, Luft sei nichts als verdunntes, auseinandergeschlagenes Wasser: so konnten sie doch leicht erraten, dass umgekehrt Wasser nichts sei als eine dickere Luft.

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Mutter und viele feste Teile mir nachgebosselt waren, welche doppelte Ahnlichkeit den Leser nicht interessieren soll. Jean Paul sieht nach seinen Jahren schon ausserordentlich gescheut aus, oder vielmehr nach seinen Minuten, denn ich rede vom kleinen.Jetzt mocht' ich

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einer gestorbenen einer dramatischen.Noch mehr. Leute, deren Kopf voll poetischer Kreaturen ist finden auch ausserhalb desselben keine geringern. Dem echten Dichter ist das ganze Leben dramatisch, alle

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meine Appellationen wollten (wie alle lang lebende Gewachse) nie schon in zehn Tagen zeitigen; dennoch erwiderte ich einen gut ausgedachten Streich des bosen Damons mit einem bessern. Uberhaupt sollten die Kollegien so gut Fatalien zu

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sehr ich dadurch von sonst gelehrten Mannern abweiche, die solche poetische Figuren des aussern Korpers nicht einmal anempfehlen, geschweige damit selber vorzuleuchten wissen. Es sagt aber Seneka c. 3. de tranquill. ganz gut: '

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Rathaus und vier Kirchen hat. Um diese funf corpora pia gingen wir bloss prozessionsweise herum, und sie sind ganz gut. Vom letzten offentlichen Gebaude, in das wir wollten, vermisst' ich sogar die Ruinen,

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Zensur am vierten.Den funften liess ich an einer Thiersheimer Flora arbeiten, den sechsten an einer dergleichen Fauna. Der siebente Tag ist uberall frei und des Herrn Ruhetag. Den achten wurde der Plan, gleichsam die DidosKuhhaut, zu einem neuen Idiotikon der

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Grundsatze noch wenig und kann also nicht sagen, ist Ihr Geschmack britisch oder griechisch; aber ich besorge, es tut dem Werke Abbruch, dass darin Stellen ich hoffe, es sind deren nicht viele nachzuweisen sind, worin mehr als ein Sinn steckt, oder allerlei Bildliches und Blumiges zugleich, oder

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beweiben, freilich nicht sowohl mit der zehnten Muse oder vierten Grazie oder zweiten Venus denn er wisse wohl, wer diese schon habe , aber so etwa mit einer Stiefgottin und weitlauftigen Verwandten davon. Wahrend der ganzen Fahrt, sagte er, sei er auf

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, welche schon anfangs sichtbar ist und erst spater unsichtbar wird, erscheint diese sympathetische anfangs gar nicht und tritt auf dem Papier erst grun hervor, sobald dasselbe erwarmt worden. Leibgeber

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Sterbelisten darzutun erbotig, dass im Reichsmarktflecken Kuhschnappel beinahe nicht mehr Burger als Patrizier leben, welches um so wunderbarer ist, da die letzten wegen ihres Hungers schwerer zu leben haben. Ich frage, welcher neuere Staat kann so viele Freie aufzeigen? Waren nicht sogar im freien Athen und

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ihr, hoff' er, andere Lieder vorlesen, als da unten verkauflich herumgetragen wurden. Er war namlich einer der grossten Dichter in Kuhschnappel, wiewohl er bisher mehr seine Verse bekannt gemacht, als dass diese ihn bekannt gemacht hatten.

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und Dichter seinesgleichen sich bei den grossten Leiden der Menschheit zu fassen wissen, sie sich doch nicht ganz bei denen der Liebe bezwingen konnen, sondern weinen mussen. Sie bereuen freilich solche Tranen nicht. Rosa inzwischen, der sich wie diebische Spieler immer an einer

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schenke Ihnen statt des neuen Jahrs ein neues Herz und der guten Tochter ein zweites in ihres hinein."Der Elementenstreit unsrer ungleichartigen Bestandteile wurde immer lauter; mehr sag'

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", dacht' ich, "warum sollen uber die heitre stille Nacht die kunftigen Toten mit ihren Wunden ziehen und deine schlafenden Sohne ohne Glieder? Warum willst du schon die fliegenden Flammen der so Feuerbrunste sehen und alles dustre Getummel des ungebornen Jammers,

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, kein kleines e statt eines grossen E, oder ein F statt eines Ph gesetzt ob die Gedankenstriche nicht zu lang und nicht zu kurz sind, und was sonst dergleichen ist ja oft urteilen sie sogar (welches ihnen aber nicht gebuhrt) uber

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bei seiner schwachen und weichen Seite, beim Herzen. Er suchte lange in sich nach einem rechten Danke dafur herum, bis er endlich einen ganz neuen fand. "

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klopften nicht mehr, sondern waren beim Bier Haubenzubringerinnen liessen sich ohnehin so spat nicht mehr sehen und horen. Davon will ich gar nicht reden, dass naturlich die Abende immer langer werden und folglich auch mein Schreiben und Scherzen darin ebenfalls.

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solche Frage schwimmen im weiblichen Gehirn statt einer ganzen Antwort tausend halbe Antworten herum, die eine ganze machen sollen, wie in der Differentialrechnung unendlich viele gerade eine krumme Linie bilden solche

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Hauszins nicht voraus geben sollen. Denn vom letzten konnt' er wenigstens einige Tage leben. Man setze immer der Mehrzahl solcher weiblicher Halbbeweise die Minderzahl eines ganzen entgegen: es

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Lenette, ists denn eine ganzliche Unmoglichkeit, dass ein Weib sagt, es ist vier Uhr, anstatt zu sagen, es hat vier Viertel auf vier Uhr geschlagen? Kann keine sagen, morgen ist der Kopf-Lumpen fertig und damit gut? Kann keine sagen, einen Ortstaler verlang' ich dafur und damit gut? Keine, lauf' Sie morgen wieder herauf

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Was freilich ihn und mich bei der ganzen Sache am meisten erstaunen lasst (erklaren lasset sichs aber immer), war bloss, dass er nicht eher daran gedacht hatte,

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Vexier-Soldateska kleiner Reichsstande fur eine wirkliche ernsthafte zu halten, da sie doch sonst hatten sehen mussen, dass mit so kleinen Heeren weder ein kleines Land zu verteidigen noch ein grosses anzufallen sei und dass es auch dieses gar nicht brauche,

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die obengedachten jungen Kerle und noch besser als Villaume gewinnt, und darauf zweckt ja alles ab. Es ist mir recht gut bekannt, dass haufig ein Drittel des Landes gar nicht zum Soldaten gemacht und mithin

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viel zu kaltsinnig aufnehmen sie betrog uns alle: viel zu freudig tat sie's; aber aus zwei guten Grunden: sie hatte die Nachricht schon vor einer Stunde erhalten, und also hatte das erste weibliche Trauern uber eine Freude der Freude daruber schon Platz gemacht; denn Weiber gleichen dem Warmmesser,

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Husten, zwei sehr unbedeutenden Flecken Er konnte sie nie dahinbringen, ihm offen beizufallen, wenn er ganz unbedingt verfocht und aufschrie: es liegt beim Teufel in Schwaben. Sie raumte bloss ein, es liege gewissermassen zwischen Franken,

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und er tat ihr mit keinem einzigen Vorwurfe mehr weh: "Du siehst", sagt' er bloss, "ich bin nicht schuld, dass der Rat nicht mehr wiederkommt er hatte freilich nichts erfahren sollen nun ists vorbei."

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in Polarlandern gar ganze Monate nicht einmal zum Vorschein komme bei hellem Himmel; oder warum wir, fragt' er endlich, gegen grosse fur uns selten erfreuliche Sonnenfinsternisse nicht vorkehren, sondern hierin uns eigentlich von den Wilden ubertreffen lassen, welche

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es so gut als unter uns Genies, gute offne Kopfe und wahre Einfaltpinsel geben muss, nichts aus als letzte, hochstens Extreme. Keine Tierklasse liegt nahe genug an unserer Sehhaut, dass nicht die feinen Mitteltinten und Abstufungen ihres Werts zusammenfliessen mussten.

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. Wir wissen alle, er hatte so gut mannliche Launen, die immer die Konsequenz ubertreiben, wie sie weibliche, die in der Inkonsequenz zuviel tun. Es war also toricht, dass er eine durch so viele kleine Gall-Ergiessungen erbitterte Freundin durch eine grosse Herz-Ergiessung wiederzugewinnen hoffte. Die grosste Wohltat, die hochste mannliche Begeisterung reissen keinen mit tausend kleinen Wurzelfasern im

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Grafen heute lieber als morgen!"Aber darauf kniete Heinrich in einer feierlichen, leidenschaftlichen und humoristischen Begeisterung, die der Wein hoher trieb und weiter gab, mitten auf einen langen schmalen Gang, der zwischen den hohen Baumen des dicksten Lusthains ein unterirdischer schien, und

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noch gut erhalten uberreichen konnte. Uberhaupt lahmte ihn in weiblicher Gesellschaft nichts arger als eine mannliche, und er sturmte leichter ein ganzes weibliches Stift als sobald ein einziger elender Mann dabei stand nur zwei Stiftfraulein, geschweige eine Stiftdame.Eine solche stehende Theatertruppe spielte

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sie, dacht' er bloss, und er konne sich kaum selig genug preisen, dass er so leicht der unabsehlich-langen Verdrusslichkeit entgangen, ein dergleichen Wesen jahraus jahrein ausstehen und verehren zu mussen in einer verdammt langen Ehe; hingegen uber alle

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heute die hochste Ruhrung vergeben ich sehe Sie nie mehr wieder, Sie waren die edelste Ihres Geschlechts, die ich gefunden, aber wir begegnen uns nie mehr Bald mussen Sie horen, dass

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, sondern bloss zu erteilen hatten, begehren, gleich Fursten, desto mehr vom Nebenmenschen, je mehr sie ihm zu geben haben und je weniger sie es tun. Gerade zwischen den ahnlichsten Seelen sind die Misshelligkeiten am peinlichsten, wie Misstone desto harter kreischen, je naher sie dem

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warf noch schneller alle Nachrichten auf einmal hervor, um auf immer von jeder frei zu sein: "Sie tritt gewiss hinein. Ich hab' ihr nichts gesagt und kann nicht. Du kannst ihrs leichtlich sagen. Du musst auch. Ich komme nicht mehr in Fantaisie.

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und dozieren zugleich sollten Tausende; wer sich auf drei Tage einschrankt, kann sicher darin uber alle Materien als ausserordentlicher Lehrer lesen, von denen er wenig versteht. So viel seh' ich schon, dass sich jetzt uberall leuchtende Wandelsterne

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, Sie konnen unmoglich schoner richten, als Sie eben gerichtet haben, wiewohl meine Uberraschung nicht so gross ist als mein Vergnugen. Meine zweite Frage soll niemand an Sie tun als Sie selber; jede frage sich: 'Gesetzt, du hattest diesen vierten Teil in die Hande bekommen, warest aber jene

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Regiment, wovon jeder einzelne Soldat den seinigen hinten tragt, nicht gleichsam einen Kompaniezopf der vaterlandischen Vereinigung bilden und deutsches Wesen zeigen!Lenette machte nun vor ihrem Manne kein Geheimnis daraus denn ihr stand Stiefel von weitem bei ,

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. Dasselbe sagte er auch dem Bader und fugte noch bei, im Grabe, worin bekanntlich die Haare fortwachsen, truge ohnehin die ganze geheime und fruchtbringende Gesellschaft, gleich 60jahrigen Schweizern, schone Barte. Diese beiden Haar-Mitarbeiter, die sich als zwei Uranus-Trabanten um die namliche Kugel bewegen, zogen mit verkurzten

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silbernen und goldnen Geader durchschossener Berg, dass er schon in diesem Jahre namenlose Beisteuern zur preussischen Witwenkasse ablaufen lassen konnte, um seinen Betrug anfangs zu halbieren, und zuletzt gar aufzuheben und gutzumachen. Ich wurde diese Pflichthandlung gar nicht vor die Augen des Publikums befordern, wenn ich nicht zu besorgen hatte,

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als Vorlaufer ankundigt, wie ich selber schon tat im ersten Bandchen, wird wirklich diesen Namen fuhren und soll mir (insofern ich kann) statt einer Dispensationbulle, statt einer Absolution in articulo mortis, statt einer poenitentiaria gegen so viele asthetische Sunden dienen, die ich schon begangen habe.

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auch so wenig kampfet, dass er ihr vielmehr langsamen Schritts und mit einer Art innern Genusses entgegengeht. Er gleicht einem seltnen, lieblichen, interessanten Kinde, das einen duster erhabenen dichterischen Traum schwarmt, bevor seine Vernunft ganz erwacht ist. Ich bewundre das Buch

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deshalb zu bekummern schien, weil er ganz anders von der Sache denkt. Und sagt uns Hadem nicht immer, dass man bei guten, gerechten Unternehmungen weder auf sich noch andre Rucksicht nehmen musse? Sollte ich nun etwas unternehmen, so wurde ich eher Hadem als

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muss ich wohl dafur leiden. Hadem verzeiht mir ihn gewiss. Lass du mich nur immer allein; es scheint ja doch nur so, als sei ich allein."Er konnte Ferdinand auf keine Weise bewegen, ihn

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muss sehr gross sein, da Sie gar nichts von ihm horen, ihn vielleicht ganz vergessen wollen. Doch vergessen konnen Sie ihn nicht, lieber Hadem; verlassen mussten Sie ihn und konnten gewiss nicht anders. Sie mussten, und vermutlich mussten Sie auch Ihr Wort geben, mir

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Fahigkeiten, leicht von ihren bisherigen Fortschritten und ruhmte sich sehr bescheiden, er denke alles ubrige bald in das gehorige und naturliche Geleise zu bringen.Ferdinand ergoss sich in grosse Lobspruche uber Renot. Ernst sagte gelassen:

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der Seele sei der Grundstein aller Tugend und diese konne sich nur durch Proben erweisen.Da Ernst immer ruhig und still zuhorte, so glaubte endlich Renot wirklich, der Zeitpunkt sei gekommen, worin er die nahere und ganzliche Entwickelung seines Systems wurde vornehmen konnen. Nun

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die das bloss Nutzliche zum Grund unsrer Handlungen aufstellte, uns bald dahin bringen musste, bei allen unsern Handlungen bloss auf das uns Nutzliche zu sehen, und dass demnach alle Moral nur Spiegelfechterei der Schule ware.Ernst liess Renot ruhig seine ganze Denkungsart mit

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? Ich hoffe, von den Menschen nie schlecht genug zu denken, um dieses glauben zu konnen. Und ware es, so bewiese es ja doch nur, was ich glaube, was ich von ihm glaube. Der Mann Ihres Systems wird freilich ein glanzenderes Schicksal haben. Ich wette, er ist reich, geachtet, allgemein beliebt. Es sei so!

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Lehrer so verstanden, wie ihn mancher verstanden hat und noch versteht: als musse man diese selige Heimat in dem wilden Zustande suchen, der darum dem Menschen nicht allein und vorzuglich eigen und naturlich sein kann,

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so vielfach leidet. Gewiss besitzen die Franzosen schon von Natur alle geselligen Tugenden in einem hohern Grade als andere Volker; und darum konnen andere Volker auch nur ihre Torheiten nachahmen. Ich werde uberall eine feine Urbanitat und gefallige Redlichkeit gewahr, die

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Ihrem Vaterlande darum nicht, weil sein Umfang so klein und beschrankt ist. Das kleinste Land braucht gute Menschen; und vielleicht ist ein kleiner Bezirk denen, welche gut sind und es bleiben wollen, zutraglicher als ein grosses Reich. Ich gestehe Ihnen, dass ich darum als teutscher

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solange wir darauf wandeln. Wir legen dadurch ein Fleckchen in seinem grossen Garten an! Es lebe der Furst! Er ist der erste, beste teutsche Mann seines Landes. Und gelegentlich werden Sie ihm ja wohl sagen, dass

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das Alte storen, wenn es gut ist! Etwas verbessern, hier oder dort nachhelfen heisst ja nur, der wohltatigen Natur zu Hulfe kommen, ihr durch Fleiss und gehorige Anwendung der Erfahrung von ihren reichen Schatzen mehr abgewinnen. Dies

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sich in kurzem einen erstaunlich grossen Namen machen, viel Aufmerksamkeit erregen; und Sie wissen ja, was dieses nach sich zieht. Auch wissen Sie, wie ein grosser Mann unmerklich wieder so klein wird, dass man am Ende gar nicht begreifen kann, wie und wodurch er gross gewesen ist. Ich habe schon manchen so im Echo verhallen horen wie die letzten Seufzer eines

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sich Muhe dabei geben. So viel ist gewiss, dass unser vortrefflicher Furst nicht aufhort, von unserm jungen Oberkammerrat zu reden. Er ist stolz auf ihn und versichert laut, ihm sei noch kein teutscher junger Edelmann wie dieser da vorgekommen. Und tritt Ihr Neffe

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Furst weiter unternimmt; fur jetzt scheint er Ihren Plan schon auf bessere Zeiten auszusetzen. Wir danken ihm fur den Aufschub und wissen, woher es ihm kommt. Wie wohl hatten Sie getan, lieber Neffe, wenn Sie ein wenig mehr auf den klugen Renot gehorcht

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ihr zu stehen. Es genugte ihm lange; denn da er diese reine Stimmung am meisten achtete, auf sie vorzuglich sein Gluck bauete und Amalien hauptsachlich um dieses hohen Sinnes willen gewahlt hatte, so glaubte er, es musse so sein und sein Gluck sei um so sichrer. Aber

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, der einst einen so starken Eindruck auf Sie machte, auch in Frankreich einige Wirkung getan? So viel ich weiss, ward er ubersetzt. Ich erinnere mich, dass Sie damals ganz bereit waren, fur die erste beste Dame zu

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Hand und entfernte sich. Ernst kehrte bald zuruck:"Du hast gewiss mit deinen leidenschaftlichen Ausserungen meine Amalie entfernt?"FERDINAND: So scheint es.ERNST: Ich glaube es wohl. Sie kennt dich noch nicht genug, sie weiss nicht, wie deine allzu lebhafte Einbildungskraft den Herrn uber dich spielt und wie sehr sie sich in verwegenen, ubertriebenen Vorstellungen gefallt. Solche

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: Ich hoffe, wir haben eins, und morgen hoffe ich, es zu sehen, oder besser, ich ware in einer Wildnis geboren! Du weisst, der Adel versammelt sich morgen.FERDINAND: Ein verlorner Morgen mehr fur dich.

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"RENOT lachend: Wie tragisch die Liebe macht! Das alles wird sich schon geben. Die Weiber verstehen das recht gut, ihnen muss man so etwas uberlassen. Morgen wird man ja den Demagogen horen, morgen will er ja uns und

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zu beschutzen vorgeben; und darum kann ich Ihnen nicht dafur danken, wie Sie vielleicht wohl gar erwarteten. Auch weiss ich sehr wohl, wie sanft und gesetzt Herr von Falkenburg anfangs gesprochen hat.

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, Sie vergessen mich und sind so glucklich, als sei nichts geschehen.AMALIE: Sie jetzt vergessen, da ich Sie vorher nicht vergessen konnte? Und ich sollte so glucklich sein, als sei nichts geschehen? Nichts geschehen! Und

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war ein wahres Fest, diese Aufnahme des neuen Einwohners der kunftigen Stadt, und gewiss konnte in der ganzen Christenheit kein Sonntag schoner gefeyert werden. Vandek hielt erst die Gebete, dann eine kurze ruhrende Rede; uber die gottliche Vorsicht und

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. Emilie fuhlte sich glucklich uber mein heiteres Aussehen, und fand den Entwurf auf einer Insel zu leben ganz herrlich. Die in dem Blute unserer Nation liegende Leichtigkeit alles zu fassen, alles thunlich zu finden, und im Vertrauen auf unsern Geist und Thatigkeit, alles zu unternehmen, hat immer in Krieg und Frieden unserm Vaterlande grosse Vortheile geschafft.

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da sie wenig an Zahl, und ein sehr gutes Volk waren, das sein Wort immer heilig halte, und nie ein abgegebenes Land betraten. Ich fand dieses auch ganz war, denn nie habe ich einen auf der Insel gesehen, aber was uns unendlich schmerzte, auch nie mehr einen von unsern Fischern, nie bekamen wir Nachricht von unserm Vater John,

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Bienenfang zu kennen wunschte, ob wir es schon in unserm Europa nicht nothig haben, so dunkt es mich den guten Menschen schatzbar zu wissen, wie andre weniger Gluckliche Schwierigkeiten uberwinden, etwas zu erhalten, was er so leicht und so

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schreibe? dennoch wird mir alle Tage uberzeugender wahr, was beyde Wattines aus Erfahrung sagen: dass das einsame Leben des moralischen Menschen seine Gefuhle erhoht, und allen seinen Ideen einen starkern Ton giebt. Dieser oben erzahlte Auftritt, noch mehr aber die Folge der vollkommensten Aussohnung dieser edlen Unglucklichen, dunkt mich ein grosser Beweiss dieses

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mit den besten die jemals lebten, umgeben, und konnten uns immer die nutzlichste angenehmste Gesellschaft wahlen. Wie oft sagte ich mit dem grossten Staunen: o wie viel schones hat der menschliche Geist hervorgebracht! ja, als

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Regen, dennoch die Ansicht unserer Insel zu geniessen, mitten im Winter Sonnenstralen aufzufangen, und zugleich die Ordnung unserer Haare und unsers Gesichts zu beobachten Sie konnen sich, sagte sie mit wahrer weiblicher Freude,

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Ein andermal sagte er: bald mochte ich hohe Tugenden, die schonen Kunste der moralischen Welt nennen, unter welchen in so vielen Jahrtausenden, die Menschengeschichte alter und neuer Zeiten, nur wenige einzelne Bilder des

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Es war naturlich, dass Menschen, welche selbst gut und edel sind, die Modelle der hohen Tugend eines Socrates und Mare Aurels verehrten und schon fanden; wie das Auge des feinen Geschmacks, der Kunste, seit mehr als tausend Jahren die Meisterstukke der griechischen Bildhauer und Baumeister bewundert und liebt. Naturlich entstanden in der moralischen Denk- und der materiellen Kunst-Welt,

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mit der rechten Hand so viel Moos zusammen, als sie erreichen konnte, breitete ihr Halstuch daruber, und legte voll Sorgfalt das Kind darauf, bewegte sich lange nicht, und beobachtete zartlich ob es fortschlafe. Leise stand sie auf, ging einige Schritte naher zum Ufer,

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sind hier wirklich in den Armen der reinen einfachen Natur, von niemand gesehen, als von unserm Urheber. Wir wollen die physischen Wunder und Guter seiner Erde ganz kennen lernen, und ihm in unsern Herzen das schonste und beste zeigen, was die moralische Welt fur sein gottliches Auge haben kann.Gewiss sagt meine theure schatzbare Verwandtin, dass dieser Abend mir unendlich werth seyn musste, gewiss wurde sie gerne Antheil daran genommen haben;

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den mehreren tausend Menschen machte, welche in Bergwerken arbeiten, von denen viele niemals, andre wenige sehr selten an das Tageslicht kommen, also die sussen Gefuhle nie kennen lernten, nie genossen, die schonen mit Baumen,

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grunen Hintergrunde ganz deutlich zeigte, raufte er mit dem grossten Eifer das Gras aus dem innern Umrisse, an dem kleinen uber die Bank erhabenen Hugel, und anderte mehrere Tage so lange daran, bis es wirklich in einer gewissen Ferne das

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in dem unermesslichen Spielraume der moralischen Welt des Denkens, bald in machtigen fruchtbaren Aesten grosser und nutzlicher Wissenschaften, bald in tausend grossern und kleinern Zweigen der Dichtkunst, wohl auch in

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eine Trennung dichter Regenwolken, durch den Anblick des blauen Aethers, an die wiederkommende Sonne denken und ihr entgegen lacheln macht. Sie wissen, dass Lesen und Arbeit unsere einzige Stutze war. Die zwey ersten Winter wollten wir nur die Naturgeschichte ganz kennen,

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Befleissige dich immer gut zu seyn, denn wer wurde dich sonst zu seiner Frau wunschen? du wurdest von allen verworfen werden. wir mussen uns bestreben, die Guter zu verdienen, welche uns die Gotter geben sollen; also durfen wir nicht trage und nachlassig bleiben, sondern

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, noch neu, und wie dieser gerne Saamen auffasst, werden ihre reinen Seelen Ideen annehmen und zur Vollkommenheit bringen. Mogen diese einfachen Vorschriften nur so lange ungestort wirken, als der Bau unserer Stadt dauern wird; denn unsere jungen Colonisten wurden indessen neben der

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welcher uns gunstig schien, sagte Frau Wattines; denn nie hatten wir schonere Abendwolken gesehen: die holden jugendlichen Zuge unsrer Kinder waren so schon beleuchtet, und die ganze Landschaft glanzte in dem

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zwischen den hohen Buschen der Gicht-Rosen spielen, und sie dort neben mich setzen konnte. Sie sehen hierin, setzte sie lachelnd hinzu, die Ursache, warum mein liebreicher Wattines mit so vieler Sorgfalt Gichtrosen

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von den reichsten undheitersten Stralen,liegen in des Oceans finstern unergrundlichen Tiefenbegraben;unzahlbare Blumen werden geboren, ungesehen zubluhen undihre sussen Geruche an eine einsame Luft zuverschwenden.Meine Freunde sehen, dass ich unsers geliebten Gray schones Gedicht noch ganz im Gedachtnisse habe, noch mehr, ich erinnere mich wie

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des Fischens grosse Fortschritte machen konnten. Vandeks Vetter besorgt den gewohnlichen Unterricht der Schulen schon sehr gut, und der edle, thatige Wattines, will die jungen Leute schwimmen lehren, weil es ihm ausserst nothwendig dunkt, dass

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will sie gross machen, dass einst meint Arbeitsleute sich mit Vergnugen darin sehen, vielleicht auch moralische Empfindungen darin kennen lernen: sie soll auch mit wilden Reben,

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mit jemand davon zu reden, weil alle zeigen, dass sie meine Entfernung ungern sehen; doch bekenne ich, dass ofters ein Wunsch nach Europa in mir entsteht. Ich habe gesehen was ich wunschte, und noch mehr als ich erwartete.Ich

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, alles besser wusstest und dir das Herz nicht mehr so warm schluge, wenn du dann mit kaltem Blute nach Durers Grabstein hinsehn konntest und du hochstens uber die Arbeit und Inschrift sprachest o so mocht ich dich gar nicht wiedersehn, dich gar nicht fur meinen Bruder erkennen."

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, so irgend etwas zu tun, das bliebe, und wobei die kunftigen Menschen meiner gedenken konnten, so eine recht uberaus kunstliche Schmiedearbeit, aber ich weiss immer noch nicht, was es wohl sein konnte, und

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und Franz fuhlte sich so wohl und glucklich, in der kleinen beengten Stube so selig und frei, dass er sich kaum seiner vorigen truben Stunden erinnern konnte, dass er glaubte, er konne in seinem Leben nie wieder betrubt

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Gefundene nicht achten mogen, wenn sie ja so glucklich sind. Ich kann mich immer nicht darin finden, warum es nicht besser ist, warum sie nicht zu ihrem eigenen Glucke mit

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die Dich notwendig storen und von allem abhalten mussen.Lebe recht wohl, und schreibe mir ja recht fleissig, damit wir uns einander nicht fremde werden, wie es sonst gar zu leicht geschieht. Teile

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die Welt regiert und in Ordnung halt, er gestand es sich deutlich, wie die Andacht der hochste und reinste Kunstgenuss sei, dessen unsre menschliche Seele nur in ihren schonsten und erhabensten Stunden fahig ist. Die ganze Welt,

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den ich hore, alles wirkt mit qualender und schoner Geschaftigkeit in meinem Busen, und bald mocht ich Begebenheiten in Landschaften, bald heilige Geschichten, bald einzelne Gestalten darstellen; die Farben genugen mir nun

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diese Antiken verstehen wir nicht mehr, unser Fach ist die wahre nordische Natur; je mehr wir diese erreichen, je wahrer und lieblicher wir diese ausdrucken, je mehr sind wir

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eine der heiligen Geschichten wieder erzahlen hore, so regt sich's plotzlich in mir, dass ich ein ganz neues Gelust empfinde, gerade das und nichts anderes darzustellen. Das eigentliche Erfinden ist gewiss sehr selten, es ist eine eigene und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Unerhortes hervorzubringen. Was uns erfunden scheint, ist gewohnlich nur aus alteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt, und dadurch wird es gewissermassen neu; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschichte

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"und sagt mir dann, wie es kommt, dass Ihr Euch mit so gar mancherlei Dingen abgebt, von denen man glauben sollte, dass manche Eures hohen Sinnes unwurdig sind. Warum wendet Ihr so viele Muhseligkeit an, Geschichten fein und zierlich in Holz zu schneiden, und dergleichen?""Ich weiss es selbst nicht recht, wie's zugeht",

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hindern ihn daran; wo er diese nicht wiederfindet, da dunkt ihm nichts recht zu sein. Ich mochte Dich jetzt mundlich sprechen, um recht viel von Dir zu horen, um Dir recht viel zu sagen; denn je langer Du fort bist, je mehr empfinde ich

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. Sie konnen es sich nicht vorstellen, dass der menschliche Geist, der hohe namlich, sich endlich an allen Freuden dieser Welt ersattige, und nichts mehr suche, nichts mehr wunsche. Ihnen genugt schon das blosse Dasein,

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, es sei wenn es sei. Je fruher, je weniger Lebensmuhe; je spater, je mehr Sorgen. Aber komm bald zuruck, wenn du kannst."Er segnete hierauf seinen jungen Freund,

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Beschrankung noch qualender, und er merkte es immer, dass er ihnen zu lebhaft, zu jugendlich war, dass er sich gemeiniglich an Dingen entzuckte, die jenen immer fremd geblieben, und dass sie doch zuweilen mit einem gewissen Mitleiden, mit einer hoffartigen Duldung auf

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so genau nehmen muss, denn das letzte hangt gar nicht mit dem ersten zusammen.""Ihr habt sehr recht", sagte der Fremde, "indessen Ihr kennt das Sprichwort: Ein Schelm gibt's besser, als

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, der gar kein Ende zu haben schien.Er ging weiter und traf immer noch keinen Ausweg, das Geholz ward immer dichter, Vogel schrien und larmten mit seltsamen Tonen durch die stille Einsamkeit.

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versammelten Gesellschaft nutzen? Wann hat sich je das Grosse und Schone so tief erniedrigt, um zu nutzen? Ein neues Feuer facht der grosse Mann, die edle Tat in einem einzelnen Busen an; der Haufe staunt dumm, und begreift nicht und fuhlt nicht, er betrachtet ebenso ein noch nie gesehenes Tier,

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eine Art vortrefflich sein, in den mechanischen Kunsten ist eine Erfindung die beste; nicht also mit der gottlichen Malerei. Je tiefer einige sinken, um so hoher steigen andre; wenn es jenen moglich ist, den Weg zu verfehlen, so ist es diesen dafur vergonnt, das Gottliche zu erreichen, und uns wie durch himmlische Offenbarung mitzuteilen.

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Bild ist vielleicht das letzte, das meine Hande erschaffen haben. Dazu so tragt die Muttergottes die Bildung meiner gestorbenen Gattin, des einzigen Wesens, das mich auf Erden jemals wahrhaftig geliebt hat: ich habe lange daran gearbeitet, meine beste Kunst,

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ob er recht hore und sehe. Franz musste ihm die Versicherung ofters wiederholen. Als er sich endlich uberzeugte, sprang er auf und kleidete sich schnell an. Dann tanzte er in der Stube herum, wobei er alte niederlandische Bauernlieder sang, bald umarmte und

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Kunst einen ruhigen Geist fordre.""Das ist wohl ausgemacht", sagte Rudolph; "aber warum muss Euch ein alter Herr, den wir alle nicht kennen, erst auf diesen Gedanken bringen, der doch so naturlich ist?""Ihr habt recht", sagte der hofliche

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rieselnder Bach entgegen, und Franz glaubte, die Geisterwelt habe sich wohl plotzlich aufgeschlossen, weil sie vielleicht, ohne es zu wissen, das grosse zaubernde Wort gefunden hatten; als habe nun der geheimnisvolle unsichtbare Strom den

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den Mann immer fur einen grossen Dichter gehalten", sagte ein andrer, "warum macht Ihr uns in unserm Glauben irre?""Es ist leichter tadeln, als besser machen!" rief ein dritter.Der

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denn ich kenne nichts Schoneres, als so recht viel und mancherlei durcheinander zu empfinden, und deutlich zu fuhlen, wie durch Kopf und Herz gleichsam goldne Sterne ziehen, und den schweren Menschen wie mit einer lieben wohltatigen Flamme durchschimmern. Wir sollten taglich recht viele Stimmungen und frische Anklange zu erleben suchen, statt uns aus

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Wohlwollen, ja Zartlichkeit kommt sie jedem entgegen, sie weiss Vertrauen zu erregen, und bald meint der Getauschte, dass er ihr unentbehrlich sei. Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt, wie sie es fuhlt, dass jener sie sucht und wunscht, dass das leichte Verhaltnis sich

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alle Krafte ergriffen, die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen, dass beide sich wie zum Tode gern und willig opfern, und keine Jugend mehr leben, und keine neuen Wunsche und Ruhrungen mehr finden wollen, so darf die Seele,

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muss ihr eigne neue Lieder dichten, die wir abwechselnd singen, wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehort habt, diese mussen einfach in wenigen Akzenten das Gefuhl gleichsam mehr anklingen, als aussprechen. So

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ist eine geheime Ziffer verborgen, die sich nie hinschreiben, nie vollig erraten lasst, die wir aber bestandig wahrzunehmen glauben. Fast ebenso macht es der Kunstler: wunderliche, fremde, unbekannte Lichter scheinen aus ihm heraus, und er lasst die zauberischen Strahlen durch

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und dieser einzelne, mir so bekannte Vogel vermischt sich mit den ubrigen seines Geschlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und hore ihn, und sehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, sondern halte ihn fur eine ganz fremde Person. So haben mich schon so viele Freunde verlassen.

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nicht Gesellschaft leisten konne, aber Florestan horte nicht darauf. "Ich werde nie wieder vergnugt sein", sagte Franz, als er sich allein sah, "meine Jugend ist voruber, ich kann auch nicht mehr arbeiten, wenn ich in der Zukunft vielleicht auch geschaftig bin."Der folgende Tag erschien. Florestan hatte alles angeordnet. Man

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entzucke, ja es scheint mir sogar schwer zu bestimmen, ob in diesem Gebiete unsre Kunst ihre schonsten Lorbeern antreffe: allein erinnere dich nur selbst der schonen, stillen, heiligen Familien,

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nun nicht mehr denken: Welche weibliche Gestalt steht dort hinter den Vorhangen, und sieht mir den Berg herauf entgegen? Bei keinem fremden liebreizenden Gesichte darf mir nun mehr einfallen: Wir werden bekannter miteinander werden, dieser Busen wird vielleicht am meinigen

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, ohne gleich darauf Lust zu kriegen, ein neues Gebaude aufzufuhren. Wir haben eingesehn, dass Irren moglich sei, nun irren wir lieber noch jenseits, als in der geraden lieblichen Strasse zu bleiben. Ich sehe schon im voraus die Zeit kommen, die die gegenwartige Zeit fast notwendig hervorbringen muss, wo ein Mann sich schon fur ein Wunder seines Jahrhunderts halt, wenn er eigentlich nichts ist. Ihr fangt an zu untersuchen, wo nichts zu untersuchen ist, ihr tastet die Gottlichkeit unsrer Religion an, die wie ein wunderbares Gedicht vor

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sie sind ja zufrieden, wenn sie den leichtesten Wohlgefallen erregen, auf welchem Wege es auch sei. Sie wissen ja gar nicht, dass es eine Kunst gibt, woher sollen sie denn

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jeder Neuheit ergriffen; ich mochte gern alles leisten, und daruber werde ich am Ende gar nichts tun konnen.So ist mein Gemut aufs heftigste von zwei neuen grossen Meistern bewegt, vom venezianischen Tizian und

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nur dreist naher hinzu, so wird jede Silbe deutlicher, und wir verwundern uns denn nur daruber, dass wir uns vorher verwundern konnten. Ein guter Geist hat dem Sternbald eingegeben, zu sagen, dass

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"Wir hielten unser Morgengebet; lieber Vater, mochte ich jeden Tag mit so reiner Andacht beginnen! Der stille Geist Eures Hauses hat mich ergriffen, Ihr seyd glucklich, Euch fehlt nichts, mir fehlt auch nur eines und vielleicht konnen Sie mirs geben."

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, Zimmer fuhren; Sie bewohnen sie, so lang es Ihnen gefallt; ich werde meine liebe kleine Gesellschafterin immer zu fruh verlieren, und alle Kunste anwenden, um sie zu fesseln. Vielleicht hilft mir ein gewisser Geist, den magischen Kreis um sie zu ziehen."

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Schweigen so gut durch, als wir konnen. Wir sind durch unsere Verhaltnisse verbunden, einen grossen Theil unsers Lebens in den grossen Zirkeln zu verlieren, wo die Mittelmassigkeit das Regiment fuhrt, aber wir streben, unser eigenes Selbst unverdorben durch den

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.Meine kleine Kunstarbeit hatte wahrend unsrer Gesprache guten Fortgang. In jeder Darstellung eines grossen Sinnes liegt eine gewisse magische Kraft gleich als fur immer gefesselt, sie

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uns einem neuen Daseyn zuzubilden.Wie sonderbar geht oft eine neue ungewohnliche Stimmung in unsrer Seele einer Begebenheit zuvor, die unsern Verhaltnissen und uns selbst eine neue Gestalt giebt; gleich als gabe uns unser Genius den Wink, unsre Kraft zu

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, von denen das eine eine entzuckende Bildung hatte; hohe reine Formen leuchteten aus der lieblichen Fulle der Kindheit hervor, und schon lag in dem Blick der grossen blauen Augen eine gewisse susse Bedeutung.Ich war verloren in dem Anschauen des holden Geschopfs,

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mit ihm bestimmt zu sehen, es konnte in der engen Verbindung mit solch einem reinen, treuen Gemuth nicht anders als glucklich seyn; aber bald entdeckte ich durch dein eigenes Gestandniss deine vorgefasste Neigung. Dein Vater fuhlte die ganze Gewalt hoffnungsloser

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tiefen Eindrucks fahig, giebt fremde Empfindungen eben so leicht wie seine eignen auf, und wird immer in seinen Handlungen von aussern Rucksichten hingerissen, so sehr sein reiner Verstand sich zu einer entgegengesetzten Handlungsweise bekennt. Was

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ihrer Geliebten finden. Ihr Vater wird bald mit uns, bald mit ihr leben.Ich schwieg, verloren in dem Glanz der schonen seligen Zukunft, und sah Nordheim lachelnd an.Eine neue Welt offnet sich mir in der himmlischen Klarheit deines Wesens, sagte Nordheim mit dem zartlichsten Ausdruck.

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Freunde waren rein gestimmt, um ein edles Betragen zu empfinden, ob sie gleich nicht immer die Energie hatten es zu ihrem eignen zu wahlen. Mit ihrer ganzen Herzlichkeit fassten sie mich aufs neue, und im Gefuhl des hohen Sinnes eines geliebten Bruders,

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noch August konnen die Opfer annehmen, die Sie uns bringen wollen. Ihre Eltern vertrauten mir in Ihnen ihren grossten Reichthum, ihre einzige Hoffnung an. Ich habe den fruchtbaren Boden gebaut, den ich fand, und bin reichlich belohnt fur jede kleine Muhe, die mir Ihre Erziehung machte, durch

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alte Graf nie hatte fuhlen lassen, und er glaubte nun eine schickliche Gelegenheit gefunden zu haben, seinem jungen Herrn zu zeigen, dass es besser gewesen ware, ihn mit um das Geheimniss wissen zu lassen. Da

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dieses Mahrchen behaupten wollte, um sich desto mehr Gewicht zu geben. Mein Zimmer steht zu Ihren Diensten, sagte sie ein wenig unwillig, wiewohl ich viel zu gut weiss, dass

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ist, schon bey Alt und Jung durch seinen guten Wandel beliebt gemacht hat. Es kame auf eine Bekanntschaft an, und dafur will ich schon sorgen, wenn ich glaube, dass es die rechte Zeit ist; er ist schon ein paar mal hier eingesprochen,

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meine Vision wahrscheinlich dem grossen Blumenhaufen hier neben mir, unter denen sich eine betrachtliche Anzahl von Orangen befindet. Alles ubrige lasst sich leicht aus der Psychologie erklaren. Es war Illusion, liebe Freundin, alles Illusion, ausser dass ich vorhin am Fenster stand und nichts tat, und

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auch nur wenig mehr oder wohl gar noch etwas weniger als nichts tun ist. So weit war an dich geschrieben, was ich mit mir gesprochen hatte, als mich mitten in meinen zarten Gedanken und sinnreichen Gefuhlen uber den eben so wunderbaren als verwickelten dramatischen Zusammenhang unsrer Umarmungen ein ungebildeter und ungefalliger Zufall unterbrach, da ich eben im Begriff war, die genaue und gediegne Historie unsers Leichtsinns und

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verdrangt das andre, und was eben ganz nah und gegenwartig war, sinkt bald in Dunkel zuruck. Und dann gibt es doch wieder Augenblicke plotzlicher, allgemeiner Klarheit, wo mehrere solche Geister der innern Welt durch wunderbare Vermahlung vollig in Eins verschmelzen, und manches schon vergessene Stuck unsers Ich in

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uber die schonste Situation in der schonsten Welt! Ich weiss noch recht gut, wie du sie damals gefunden und genommen hast. Aber ich glaube auch eben so gut zu wissen, wie du sie hier finden und nehmen wirst;

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was er liebt, und jede neue Erscheinung unmittelbar zum Munde fuhrt, um sie da wo moglich in ihre ersten Bestandteile zu zergliedern. Die gesunde Wissbegierde wunscht ihren Gegenstand ganz zu fassen, bis

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Liebe selbst sei ewig neu und ewig jung, aber ihre Sprache sei frei und kuhn, nach alter klassischer Sitte, nicht zuchtiger wie die romische Elegie und die Edelsten der grossten Nation, und nicht vernunftiger wie der grosse Plato und

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verfuhrerische Gaukelspiel unedel zu kritisieren, ungeachtet ich wohl wusste, dass das meiste nur schone Luge sei. Die zarte Musik der Fantasie schien die Lucken der Sehnsucht auszufullen. Dankbar nahm ich das wahr und beschloss, was das hohe Gluck mir diesmal gegeben, auch kunftig durch eigne Erfindsamkeit fur uns beide zu wiederholen,

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bist doch allein Lucinde? Ich weiss nicht... vielleicht... ich glaube Bitte, bitte! liebe Lucinde. Weisst du wohl wenn die kleine Wilhelmine, Bitte, bitte! sagt, und man tut's nicht gleich, so schreit sie's immer lauter und ernsthafter, bis ihr Wille geschieht. Also das hast du mir sagen wollen, darum sturzest du so ausser Atem ins Zimmer und hast mich so

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dir zu halten: aber eigentlich sollten wir erst die beleidigten Gotter versohnen. Lieber erst den Diskurs, und hernach die Gotter. Du hast recht, wir sind noch nicht wurdig, und du fuhlst es lange nach,

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. Denn darin fuhlen sie ungemein richtig, dass sie stillschweigend glauben, es gabe ihres gleichen viele, und einer sei als Mensch ungefahr so viel wert wie der andre, und alle zusammen nicht eben sonderlich viel. Du haltst also die

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das ist eben nicht unsittlich, aber zudringlich und platt. Leichtfertige Gesprache mussen geistig und zierlich und bescheiden sein, so viel als moglich; ubrigens aber ruchlos genug. Das ist gut, aber was sollen sie grade in der Gesellschaft? Sie sollen das Gesprach frisch erhalten, wie

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er auch sogar sie uberdrussig ward, waren es doch die gesellschaftlichen Zerstreuungen, zu denen er endlich immer wieder zuruckkehrte. Die Frauen kannte er eigentlich gar nicht, ungeachtet er schon fruh gewohnt war,

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es am wenigsten erwartete. Sie war schon lange allein gewesen und mochte sich ihrer Fantasie und einer unbestimmten Sehnsucht mehr als gewohnlich uberlassen haben. Da er dies gewahr ward, wollte

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sehr als moglich allein zu besitzen strebte, obgleich er sie unter denen gefunden hatte, die beinah offentlich sind. Was sie ihm so interessant machte, war nicht allein das weshalb sie allgemein gesucht und gleichsam beruhmt war, ihre seltne Gewandtheit und unerschopfliche Mannichfaltigkeit in allen verfuhrerischen Kunsten der

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was den neugierigen Julius zuerst reizte, eine so sonderbare Bekanntschaft zu suchen und er fand bald noch mehr Ursach zu erstaunen. Bei den gewohnlichen Mannern litt und tat sie, was sie schuldig zu sein glaubte; genau,

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musste laut entscheiden, dass jene sittlicher und weiblicher sei: denn diese Kokette gab nie eine kleine oder grosse Gunst ohne Nebenabsicht; und doch ward sie von aller Welt geachtet und bewundert, wie so viele andre, die ihr gleichen. Daruber

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um so gefahrlicher, weil er ausserlich froh und lustig schien. So war seine gewohnliche Stimmung, und man fand ihn sogar angenehm. Nur wenn er mehr Wein genossen hatte als gewohnlich, ward er uberaus

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ihn ein neues unbekanntes Gefuhl, dass dieser Gegenstand allein der rechte, und dieser Eindruck ewig sei. Der erste Blick schon entschied, beim zweiten wusste er's, und sagte sich's, dass es nun gekommen, und wirklich da sei, was er so lange dunkel erwartet hatte.

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und sie ewig zu besitzen, so fuhlte er zugleich dass dieser hochste und einzige Wunsch ewig unerreichbar sei. Sie hatte gewahlt und hatte sich gegeben; ihr Freund war auch der seinige, und lebte ihrer Liebe wurdig. Julius

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Beruhrung des seinigen auf und bildete sich in neue Gestalten und in neue Welten. Er glaubte alles in ihr vereinigt zu besitzen, was er sonst einzeln geliebt hatte: die schone Neuheit des Sinnes, die hinreissende Leidenschaftlichkeit, die bescheidne Tatigkeit und Bildsamkeit und den grossen Charakter. Jedes neue Verhaltnis, jede neue Ansicht war fur sie ein neues Organ der

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Ich seine unendliche Einheit ganz fuhlen. Dann will der Verstand den innern Keim der Gottahnlichkeit entfalten, strebt immer naher nach dem Ziele und ist voll Ernst, die Seele zu bilden, wie ein Kunstler das einzig geliebte Werk.

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, ich sehe das Nutzliche in einem neuen Lichte und finde alles wahrhaft nutzlich, was irgend eine ewige Liebe mit ihrem Gegenstande vermahlt, kurz alles was zu einer echten Ehe dient. Die ausserlichen Dinge selbst

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Gemeinheit wieder finden, die noch uberall herrscht. Es sollte eigentlich nur zwei Stande unter den Menschen geben, den bildenden und den gebildeten, den mannlichen und den weiblichen, und statt aller kunstlichen Gesellschaft eine grosse Ehe dieser beiden Stande, und allgemeine Bruderschaft aller einzelnen. Statt dessen sehen wir nur

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Ach warum kann ich nicht wenigstens im Traume bei dir sein, wirklich mit dir und in dir traumen! Denn wenn ich bloss von dir traume, ist's doch immer nur allein. Du willst wissen, warum du nicht

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. Er ward mir zum Sinnbilde des allgemeinen Lebens, ich glaubte die ewige Zwietracht zu fuhlen und zu sehen, durch die alles wird und existiert, und die schonen Gestalten der ruhigen Bildung schienen mit tot und klein gegen diese ungeheure Welt von

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Durch dieses sonderbare Gefuhl ward die Krankheit zu einer eignen Welt in sich vollendet und gebildet. Ich fuhlte, ihr geheimnisreiches Leben sei voller und tiefer als die gemeine Gesundheit der eigentlich traumenden Nachtwandler

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Gemut nicht selten sonderbar aufgefallen, wie verstandige und wurdige Menschen mit nie ermudender Industrie und mit so grossem Ernst das kleine Spiel in ewigem Kreislauf immer von neuem wiederholen konnen, welches doch offenbar weder Nutzen bringt noch sich einem Ziele nahert, obgleich es das fruheste aller Spiele sein mag.Dann

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, was wohl die Natur, die uberall so viel denkt, die List im Grossen treibt und statt witzig zu reden, gleich witzig handelt, bei jenen naiven Andeutungen denken mag, welche

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wie das echte Ungewitter und die echte Begeisterung.Wer kann messen und wer kann vergleichen was eines wie das andre unendlichen Wert hat, wenn beides verbunden ist in der wirklichen Bestimmung, die bestimmt ist, alle Lucken zu erganzen und Mittlerin zu sein zwischen dem mannlichen und weiblichen Einzelnen und der unendlichen Menschheit?

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Dein Verstand uberall Grenzen erdichtet, ehe er seine eigenen finden kann. Du hast mich beinah in den Fall gebracht, Dir auseinandersetzen zu mussen, wie gross eigentlich mein Wert sei, wie viel richtiger und sichrer Du gegangen sein wurdest, wenn

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Es ist wohl schon, dass wir endlich einmal wieder miteinander gesprochen haben; ich bin es auch zufrieden, dass Du durchaus nicht schreiben wolltest, und auf die armen unschuldigen Buchstaben schiltst, weil Du wirklich zum Sprechen mehr Genie hast. Aber ich habe doch noch eins und das andre auf dem

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Heftiges zu sagen, und dass ich darum gewisse Personen und gewisse Gegenstande in unserm Gesprach vermied. Daruber, denke ich, ist ja wohl die Grenzscheidung zwischen uns auf immer vernichtet!Was ich Dir noch sagen wollte, ist etwas ganz Allgemeines; und doch wahle ich lieber diesen Umweg. Ich weiss nicht ob

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Er ist ja genau genug beschrieben worden.STALLMEISTER Im Grunde, sagt man, soll er selbst eigentlich gar kein Herz haben und weder Mut noch personliche Tapferkeit besitzen. Seine Leute sollen alles fur ihn tun.RINALDO

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KAPITAN O ja! Auf einen gewissen Punkt wenigstens, gewiss.RINALDO Ihr wisst, wer ich bin?KAPITAN Ich sage ja, dass ich Euch kenne.RINALDO Ich habe Euch doch nie gesehen, seit

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verlassen wir gewiss sobald wie moglich. Es liegt mir mehr daran, als du selbst glauben kannst, von hier zu gehen. Lodovicos Gesellschaft ist nicht mehr die meinige. Aber

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, und achte nicht weiter darauf. Wie es aber immer naher kommt, drehe ich mich herum und sehe in der obern Treppentur eine grosse, lange, hagere Figur mit einem Barte stehen. Weiter weiss ich nichts zu sagen. Ich

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hat mir vielerlei gesagt und gezeigt, ja, die Szenen der beruhmten Krata Repoa habe ich sogar mit angesehen; aber wie konnte ich mich vermessen, zu sagen: ich kenne ihn?

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nach Korsika gehen willst, kannst du dieses Schloss verlassen; sobald du willst, kannst du gehen, wohin es dir beliebt.ER Ich nehme euch beim Worte.SIE Du willst also nicht nach Korsika gehen?ER

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Mietkontrakt wurde gleich abgeschlossen. Rinaldo zahlte ihr zwei Monate Mietgeld voraus, wofur sie sich bei den Sizilianischen Fischern gleich Korn und Fleisch einkaufte.Rinaldo machte den Fischern seinen Entschluss bekannt, und diese fanden ihn drollig genug."Nun", sagte der eine "in etlichen Wochen kommen wir wieder und wollen horen, wie

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" sagte Rinaldo "Du hast nie geliebt, warst nie getrennt von dem geliebten Gegenstande deines Herzens, fandest nie wieder, was du verloren hattest, und hast nie die Wonne eines unverhofften, glucklichen Wiedersehens genossen! Darum spricht dein Mund

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Weibes Launen mussen uns ergotzen, durfen uns aber nie betruben. Es gibt Menschen, die sich fur glucklich halten, weil sie sich weise dunken; halte du dich fur weise, wenn du dich glucklich fuhlst."

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im Moussieren genossen sein. Wer bedachtig trinkt, geniesst auch, er wird es aber nie zur hochsten Krisis eines alles verschlingenden Rausches bringen. So, wer bedachtig liebt, liebt auch; zu einem Liebesrausch bringt er es aber nie.Jedoch,

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also auch kennen.RINALDO Wohl moglich! Wir waren oft gar zahlreich; aber immer in mehrere Korps verteilt. Wie stark seid ihr?SANARDO Vor vier Wochen waren wir starker. Es hat aber starke Stosse gesetzt. Bei S. Michiele hangen unserer achtzehn, und zwolf Kopfe sitzen

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den Korper verloren! Was ihr zu erwarten habt, wenn man euch lebendig fangt, wisst ihr, und jedes Hochgericht legt euch die Vermahnung deutlicher ans Herz, als es der beredteste Mund tun konnte: lasst euch nicht fangen. Furchtbar mussen wir uns

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befanden, sei genommen worden. Doch davon spricht man unbestimmt. Mir liegt nichts daran! Das aber mochte ich wissen: Ob Rinaldini wirklich noch,

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sich zum zweitenmal und verliess Florenz. Isotta ward hierhergebracht. Ihren Sohn hat sie nie wieder gesehen. Er wurde auf dem Lande erzogen, ging verloren, und man weiss nicht, hat es nie erfahren konnen, wohin er gekommen ist.

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Gestalt eines zurnenden Musengottes empor. In die welschen Augen zog seine Schonheit mit einem grossern Triumphe ein als in die engen nordlichen, wovon er herkam; in Mailand hatten viele gewunscht, er ware von Marmor und stande mit altern versteinerten Gottern entweder im farnesischen Palast oder

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Brust wurde immer zugleich weit und warm. Freilich halt jeder Jungling und jeder grosse Mensch, der einen andern fur gross ansieht, ihn eben darum fur zu gross. Aber in jedem edeln so Herzen

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als eine weibliche Binde und Spitzenmaske sonderbar und lieblich gegen das bluhende, aber mannliche Gesicht abstach.Nun neckten ihn beide freundlich mit mundlichen Nachtstucken von den herrlichen Ufer-Ornamenten, zwischen denen sie zogen. "Wie stolz" (sagte Dian zu Schoppen) "richtet sich dort

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" Das wurd' am leichtesten zugestanden; dazu war ohnehin der zweite Reichsvikarius des vaterlichen Oberhaupts, Augusti, bestimmt. Aber uber den vierten Punkt zerfielen sie fast. Schoppe, der lieber vogelfrei als nicht-frei oder freigelassen

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nicht Schoppe heissen."Der Graf horte ihn schon langer und konnte also leichter und besser lacheln; der Lektor musst' es erst lernen, da sogar der komische Akteur fur seinen neuen Zuhorer noch

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ach mehr als eine grosse schone Welt geht unter in der Brust und lasst nichts zuruck, und gerade der Strom der hohern Menschen verspringt, und befruchtet nichts, wie sich hohe Wasserfalle zersplittern und schon weit uber der

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Aristoteles und griechische Muster geben, dass der Schauspieldichter jeder historischen Begebenheit, die er behandelt, alles leihen musse, was der poetischen Tauschung zuschlagt, so wie das Entgegengesetzte entziehen, und dass er Schonheit nie der Wahrheit opfere, sondern umgekehrt. Voltaire gab, wie bekannt, nicht nur die leichte Regel,

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und dieser grosse Theaterdichter des Welttheaters blieb in seinen historischen Benefiz-Schauspielen von Peter und Karl nirgends bei der Wahrheit stehen, wo er gewiss sein konnte, er gelange eher zur Tauschung. Und das ist eigentlich die echte, dem historischen Romane entsprechende

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andere namlich der Lehnpropst und die Legationssekretare konnen entscheiden, inwiefern ich eine wahre Geschichte illusorisch behandelt habe. Ein Ungluck ists, dass schwerlich je die echte Geschichte meines Helden zum Vorscheine kommt; sonst durfte mir vielleicht die Gerechtigkeit widerfahren, dass Kenner meine dichterischen Abweichungen von

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" (sagte der Gegenzungler) "c'est du brochet au four, mon cher comte mais il est messeant de demander le nom de quelque mets qu'il soit on feint de le savoir."27Es ist leicht zu zeigen, dass

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da er sowohl im stolzen Froulayschen Palaste als bei dem Sohne wenig galt, keinen einzigen und brachte bloss jedesmal eine neue gultige Ursache mit, warum Roquairol nicht darauf antworten konnen; er war entweder zu sehr

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So aber konnten die Klassiker nichts anfangen.Das stille warme Schwarmen wuchs unter dieser bedeckenden heissen Glasglocke noch viel grosser; namlich dergestalt, dass er die Pflegeeltern ruhrend bat, ihn am ersten Pfingsttage zum heiligen Abendmahle zu lassen. Die Baufalligkeit der Dorfkirche, worin man es schwerlich ein Jahr spater nehmen konnte, musste fur ihn so gut wie die

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keine Sperrketten gezogen Lianens Nachtlicht konnt' ihm vielleicht entgegenschimmern, oder gar ihre Harmonika entgegentonen ja ihr Bruder konnte wohl noch im Garten herumgehen die Junius-Nacht war ohnehin hell und herrlich ach kurz er ging.Es

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war so gross, dass er erst einige Tage spater sich im humoristischen Sonderlinge jugendlich irrte, indes dieser sehr bald den leichten, heissen, stillen Wildling richtig auswog.

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Wie, ists nicht uns allen mehr als zu wohl bekannt, dass er langst fort ist schon seit der ersten Jobelperiode, ja sogar wieder retour, und er halt schon seit der zweiten jetzt zahlen wir die vierte mit

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nahen Tone ziehen aus tiefer Ferne her die uberirdische Erscheinung uberfullt und uberwaltigt mit Glanz die sterbliche Brust!Ach warum durfte durch diesen hohen reinen Himmel eine tiefe kalte Wolke ziehen? Ach warum fandest du

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und zu wachen, dass man damit zufrieden ware. War inzwischen Abiturient schon als Fotus eingesessen, so wurd' er leider gar zum punctum saliens ausgeschliffen zuruckgefahren, besonders da er durch mehrere Bocksund andre Sprunge durch

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"Er ist gar nicht da, er ist weit draussen in Rom; gehe nur hinein zur Mutter Chariton, ich komme gleich." An welchem schonern Tage und Orte, mit welchem schonern Herzen konnt' er in des geliebten Dians heilige Familie kommen als an

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Zeit des ersten Erkennens mengen wollen oder die erste selbst-morderische Redoute machte ihm jede zur begeisternden Ara eines neuen zweiten Lebens oder er wusste wohl gar um Albanos Geburtstag oder endlich dieser gluhende Mensch ging oder flog seinen eignen Pfad.Indes machte dessen Blatt,

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einem Naphthaboden macht, aus welchem jeder Fusstritt Feuer zieht: so wird die Flamme, worein die Wissenschaften geworfen werden, und die Verzehrung noch grosser. Fur diese Abgebrannten des Lebens gibt es dann keine neue Freude und keine neue Wahrheit mehr, und sie haben keine alte ganz und frisch; eine vertrocknete Zukunft voll Hochmut,

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"Ein einziger Mensch" (sagt' er) "glaubte seinetwegen allein schwerlich die Unsterblichkeit; aber da er mehrere sieht, hat er Mitleiden und halt es der Muhe wert und glaubt, die zweite Welt ist

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Die Scherzhaftigkeit stand ihm so lieblich wie eine Ruhrung, und er ging oft lange, ohne Sprechen, schalkhaft-lachelnd umher, wie schlummernde Kinder lacheln, wenn, wie man sagt, mit ihnen Engel spielen.Roquairol kam wieder mit sonderbar emporten Augen;

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als die eben projektierte entweder das Madchen gehorcht, oder sie leidet decidez! Mais je me fie a l'amour que vous portez au pere, et a la fille; vous nous rendrez tous assez contents.

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her, worin, weil beide ja nur den Mann, nie die Frau berechnen, eine gluckliche Ehe nichts bedeutet als einen glucklichen Mann. Niemand steht nahe genug dabei, die weiblichen Seufzer zu horen und zu zahlen; der ungehorte Schmerz wird endlich sprachlos; neue Wunden schwachen das Bluten der altesten. Ferner:

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Schoppe wurde ohnehin von wenigen lange geliebt, weil wenige einen ganz freien Menschen erdulden; die Blumenketten halten besser, denken sie, wenn Galeerenketten durch sie laufen. Er litt es daher nicht,

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ZykelIn unserer innern Welt fliegen so viele zarte und heilige Empfindungen herum, die wie Engel nie den Leib einer aussern Tat annehmen konnen; so viele reiche gefullte Blumen stehen darin, die

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. Ihre hohe Achtung fur die Manner waren die wenigsten kaum zu erraten wert, geschweige zu veranlassen. "Und als du sehen konntest?" sagte Albano. "Das sagt' ich eben", versetzte sie naiv.

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hatte sich bisher immer auf eine Zuruckgezogenheit des Empfangs rusten mussen. Ein Missverstand, der schnell wiederkommt, wirkt, sooft er auch gehoben sei, immer wieder so irrend und neu wie zum ersten Male. Er fuhlte recht stark, dass

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mit einem mon-plaisir im Herzen (falls diese Wendungen nicht mehr gesucht als ausgesucht scheinen) von Haarhaar nach Hause gekommen. Er sagte seiner Frau offen, was ihn bisher so lange aufgehalten und bezaubert,

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was vielleicht vorzuziehen eine BriefZensur musste anfangen. Ungedruckte Zeitungen, nouvelles a la main, namlich Briefe, konnen, weil sie noch grossere Geheimnisse austragen, nie eine grossere Zensurfreiheit fodern, als gedruckte Zeitungen geniessen; besonders da jeder Brief jetzt so leicht ein umherrennender

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Zeit ihr unbegreiflich unsichtbar nein, sie konnte die schone Sonne, die so hell und weiss mit ihrem hohen Abendsterne sich tiefer wiegte, nicht niedergehen sehen oder das frohe Abendchor des langen Tages anhoren, sondern verliess die glanzende Hohe. O, die fremde Freude stirbt

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Furstin auch tun, ohne es wie diese ruckwarts verwandeln zu konnen.Ich will ihn daher auf dem heutigen Tanzplatz der Freude gar nicht als Brautigam, sondern immer so wie man Krone sagt ohne gekrontes Haupt bloss als Brautigamsrock aufstellen und vorfuhren, um ihn nicht lacherlich zu machen.

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Vater so lange gesehen hatte nicht gekannt, sondern eher dem Brautigamsrock ahnlich gefunden. Dem Rocke konnte oder sollte diese bluhende Ahnlichkeit nicht anders als schmeicheln. Die Ahnlichkeit erklart den schonen Anteil ganz, den sie jetzt an beiden nehmen musste, weil zu einer Ahnlichkeit immer ein Paar Menschen gehoren.Sie

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dass sie vielleicht ihre teuern Gestalten, zumal ihre Mutter, nie mehr sehe; dann war ihr, als sei sie selber unsichtbar und wandle schon allein im dunkeln, tiefen Gange zur zweiten Welt und hore die Freundinnen an der Pforte weit hinter sich

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ihrem sehr gebildeten, belesenen Kammermadchen aus dem zweiten Bande der Oeuvres spirituelles von Fenelon vorlesen. Zefision ruhrte der Erzbischof gar nicht was er etwa von reiner Liebe (sur le pur amour de Dieu) vernahm, setzt' er

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que l'esperance est la lune de la vie Ah, ma lune s'est couchee; mais j'adore encore le soleil qui l'eclaire.

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von Zirkeln erraten wird als schone Empfindsamkeit, zumal von hofischen, zumal die mannliche sanft die seinige auszuspahen und teilend fortzuwarmen. Sie allein ehrte ihn mit jener strengen, bedeutenden Achtung, die so selten die Menschen geben so wie fassen konnen, weil sie immer nur Liebe und Leidenschaft notig haben, um recht zu geben, unfahig, anders

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, er fand den Mann ganz verstandig.Die Prinzessin mochte im allgemeinen poetischen Konzert ungefahr einige Viertelstunden mit der Ripienstimme mitgesprochen haben, als sie plotzlich den schonen Band von Goethes Werken, der dreimal da war, lebhaft hinwarf und mit ihrem Ungestum sagte: "

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sich ebenso schwer eine gute Meinung von andern nehmen als eine schlimme. Gewohnliche Menschen geben leicht die gute dahin und halten die schlimme fest; weichere werden leicht versohnt und schwer entzweiet. Er war beiden ungleich. Bisher

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aus den altesten Hausern, die sonst alles versucht hatten, sahen sich unmoralisch, ja lacherlich gemacht und wussten gar nicht, was sie dabei denken sollten Denn die Furstin wunderte sich offentlich uber solche

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Schwache kranker macht; Froulay, als ein alter Mann, war, wie es schien, fahig, ein ganzes Sakulum lang so auf das Ziel loszuschleichen, ohne einen einzigen unentbehrlichen Sprung zu tun, da Alte wie Schiffe immer langsamer gehen, je langer sie gingen, und aus einerlei Grund, weil beide durch den

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(Rendez-vous) begunstigend, bloss weil sie sagte: meine Furstin ist rein wie Gold, und nur wenige kennen sie wie ich.Gunstiger konnte Albanos Wunsche kein Zufall kommen. Er stand am fruhesten auf der schonen Sternwarte mitten in der lieblichen Nacht.

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sich auf vier Saulenreihen ubereinander hinaufbaueten, und die Flammen schossen hinauf in die Bogen der Arkaden, hoch oben das grune Gestrauch verguldend; und tief in die Erde hatte sich das schone Ungeheuer schon mit seinen Fussen eingegraben. Sie traten hinein und stiegen am Geburge voll Felsenstucke von

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, dessen erste Zuge nur kuhlen, wenn die letzten ein welsches Feuer durch alle Adern fuhren nachdem er den Bergstrom Michel Angelos bald als Katarakte, bald als Atherspiegel gesehen nachdem er sich vor den letzten grossten Nachkommen Griechenlands gebeugt und geheiligt hatte,

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, und viele glaubten ihm darum, weil er schon ein Wunderwerk getan, namlich einem Toten auf zwei Stunden die Sprache gegeben vor ganz Mola. Beide wurden eins, das Werk mit anzusehen. Die

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dammernd sein schones Auge und seine edle Stirn und den Mund der Liebe gesehen; und dieser bluhende Mensch stand, von doppelter Ruhrung beseelt, so hell und still und ernst vor ihr, voll edler, rechter Liebe. Ihr Herz ware gern an seines gefallen; wenigstens ihre Hand

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sie ihr ahnlich sei, sie con amore gemalt und wirklich etwas zu leisten gesucht."O redlicher alter Mensch!" sagte Albano und konnte sich kaum

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selbstsuchtig; wiewohl sie, wenn ihr Herz voll und nicht im Abnehmen ist, eben wie der volle Mond die wenigsten Flecken zeigen. Neben den Lehren meiner grossen Mutter, neben Ihrem grossen Vater bestand keiner. Ihren Roquairol konnte man weder lieben noch hassen noch achten noch furchten, wiewohl sehr nahe an alles dieses zusammen kommen.Es machte viel auch, dass ich immer reisete; Reisen erhalt oft kalter.

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Sie jetzt denken, dass die Ruinen der zwei grossten Zeiten, der griechischen und romischen, uns nur an eine fremde Vergangenheit erinnern, indes andere Ruinen uns nur gleich der Musik an die eigne mahnen, das dachten Sie vielleicht." "Wir denken hier gar nichts," (sagte Julienne) "es ist genug, wenn

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und wo einst Albano seinen Vater hatt' entfliehen sehen. "Du gefallst mir immer mehr, Albano," (sagte Linda) "ich glaube fast, du kannst recht lieben; erzahle mir deine erste Liebe, ich habe dir auch erzahlt."

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gegen das einzige Kind den alten Wutrich mache und ihm nicht einen Heller mehr als sonst zuschiesse, ob er gleich immer grosse und grossere Schulden haufe, zumal seitdem keine Liane sie mehr im stillen tilge dass er uberall borge,

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nur schwach mehr regen und zeigen.Ich will mich deutlicher erklaren, setzen die Deutschen hinzu, wenn sie sich deutlich erklart haben. Es schickt und trifft sich besonders glucklich was ich schatze wie einer , dass gerade Ende des Jahrs Ende meines bisherigen vaterlichen Vermogens ist und folglich, wenn Amsterdam aufhort zu zahlen, ich auch falle und nichts mehr in Handen habe als schwache chiromantische Wahrsagungen

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dass er leicht aufbrach und dieses Schaferleben um den einzigen Wolf verkurzte, der darin schlich. Lustlinge halten es unter vielen edlen Frauen, gedruckt von deren vielseitigen scharfen Beobachtungen, nie lange aus, obwohl leichter bei einer allein, weil sie diese zu verstricken hoffen. Was ihm am wehesten tat, war,

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zu sterben glaube, sei schon tot, und die ewig zu leben furchte, furchte umsonst wenn sogar Freunde am Altare verbunden wurden, wie irgendwo geschehen soll203, sie wurden hochstens sich nur noch heiliger binden und lieben man zahle ebenso viele, wo nicht mehrere ungluckliche Liebeshandel

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dass das hohere Gesetz zwar langsamere individuelle, aber harmonische Ausbildung bleibt; zwar kleinere, aber allseitige und dadurch in der spatern Zeit sogar schnellere. Wir vergessen immer, dass

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Stunden des ersten Tages und der ersten Halfte einer lieblichen mondhellen Nacht zu einzelnen Augenblicken wurden.Gleichwohl darf ich dir's gestehen, Kleonidas? dauchte mich's schon am Abend des zweiten Tages, als ob mir das majestatische, unendliche Einerlei unvermerkt lange Weile zu

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frauliches Bad einzudringen, das gewiss noch von keinem mannlichen Fusse betreten worden ist? Die gelindeste ware wohl, ihn anzuspritzen und in einen Hasen zu verwandeln, sagte die jungere. Das ware eine zu

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Gemuthsstimmung des hohen Grades von Vergnugen entbehren zu sehen, welches, wie du sagtest, den gefuhlvollen Seelen zu Theil werde, die gerade durch den Affect der Bewunderung zu erkennen geben, dass sie bei grossen und schonen Gegenstanden ungleich mehr empfinden, als derjenige, der sie ansehen kann, ohne aus seiner gewohnlichen Fassung gesetzt zu werden. Es mag seyn, dass meine Maxime mich ofters eines lebhaftern Genusses beraubt: aber dafur gewahrt sie

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, bei kaltem Blute aufs gelindeste beurtheilt, nur lacherlich sind, und bei strengerer Prufung leicht in einem noch ungunstigern Licht erscheinen konnten.Nach dieser Vorrede bist du vermuthlich schon auf das Gestandniss gefasst, dass diess beim Anschauen der weltberuhmten Kampfspiele zu Olympia ganz eigentlich mein Fall

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Skythe, wiewohl die Griechen seiner Nation die Ehre erweisen sie nur fur Halbmenschen anzusehen, wurde sich schwerlich enthalten konnen, das widersinnische Schauspiel fur die Wirkung irgend einer zurnenden Gottheit zu halten, und zu glauben, die ganze Nation musste entweder von einem allgemeinen Wahnsinn befallen, oder, trotz ihrer ubrigen Vorzuge, zu einer ewigen Kindheit der

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bei den leichten Truppen anstellen wollte, der Versuchung selten widerstehen, in gefahrlichen Fallen vor allen Dingen ihre eigene Person in Sicherheit zu bringen. Was im Kriege mit nackten Ringern anzufangen ware, ist schwer zu sehen; und wofern auch die

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Theilnehmung noch mehr anfeuert, und an einem so barbarischen Schauspiel, wie wir so eben sahen, die angenehmste Augenweide findet? Mit welcher Stirne konnen wir auf unsre wirklichen und vermeinten Vorzuge so stolzen Griechen alle ubrigen Erdebewohner Barbaren27 nennen, so lange es eine unsrer grossten Gluckseligkeiten ist, alle vier Jahre zusammenzukommen,

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einer so grossen vermischten Menge zur Schau ausstellen lassen wurden. Uebrigens scheint mir die lebhafte Theilnehmung, womit unsre Panegyrischen Spiele angesehen werden, so wenig gegen das sittliche Gefuhl unsrer Nation zu beweisen, dass ich mir eher das Gegentheil zu behaupten getraue. Die

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um uns bloss unsers gemeinsamen Ursprungs zu erinnern, und die Bande von neuem zusammenzuziehen, womit gemeinschaftliche Gotter und Tempel, eine gemeinschaftliche Sprache und das grosse Interesse unsre Unabhangigkeit gegen auswartige Machte zu behaupten, die in so viele Stamme und

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unverganglich dem ganzen Erdboden Gesetze geben wurde.Ich verschone dich, lieber Demokles, mit einer Menge anderer schoner Spruche, welche der begeisterte Eleer mit einem grossen Erguss von Redseligkeit hervorstromte, um dem kopfschuttelnden Philosophen eine hohere Meinung von den Olympischen Spielen abzunothigen. Es versteht sich, dass jeder auf seiner eigenen beharrte;

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Verlangen diesen merkwurdigen Mann personlich zu kennen und durch seinen Umgang, wo moglich, selbst ein wenig weise zu werden, einer der ersten Zwecke meiner freiwilligen Verbannung aus dem schonen und wollustigen Cyrene war, so kannst du leicht urtheilen,

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Augenbraunen die ambrosischen Locken auf seinem unsterblichen Haupte schuttelnd den ganzen Olympus erbeben macht.42Du wirst mir indessen gerne zutrauen, dass ich bei dieser schnell voruber gehenden Verzuckung noch Besonnenheit genug behielt,

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Ausnahme, eben dieselbe Wirkung thut. Glucklicherweise brauchte ich nicht tief zu graben; denn er fallt so stark in die Augen, dass die meisten, denen ich mein Rathsel aufzurathen gab, eher auf alles andre als das Wahre riethen. Ich gebe willig zu, dass der erhabene Charakter, womit der Kunstler

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.Ich lebe bereits einige Wochen in dieser weltberuhmten und in ihrer Art einzigen Minervenstadt, welche zu sehen mich schon so lange verlangte. Hat sie meine Erwartung ubertroffen? oder ist sie unter ihr geblieben? Beides, lieber Kleonidas, und ich werde taglich mehr in der Meinung bestarkt, dass es mir immer und allenthalben mit allen menschlichen Dingen eben so gehen werde. Im Ganzen genommen kenne ich noch

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rechter Zeit entgegen gesetzten kraftigen Widerstand, ihre so zartlich geliebten Mauern zu erhalten. "Ach! dass wir leben mussten den Athenischen Namen so geschandet zu sehen!" rufen sie mit einem langen klaglichen Seufzer aus, und es kommt ihnen alles andere eher in den

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sondern mir sogar schon in den Kopf gesetzt hatte, dass er so aussehen musse, und dass kein andres Aeusserliches geschickter gewesen ware, seinen innern Charakter schneller anzukundigen und starker auszusprechen als gerade dieses. Denke dir einen corpulenten, breitschultrigen

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der seinem ganzen Gesicht scharf und tief aufgepragt ist, macht in wenig Augenblicken den ersten widrigen Eindruck schwinden; du fuhlst dich immer starker und starker von ihm

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dass nur gerade so viel davon ubrig bleibt, um seiner Art zu scherzen, und der ihm eigenen Ironie etwas Sauerlichsusses zu geben, das unendlich angenehm ist, aber sich weder beschrieben noch nachmachen lasst. Kurz, ich bin gewiss, diese sonderbare Mischung von

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Jungling zu betrachten, der das Schone und Gute liebe, und in beiden das Wahre, und vornehmlich das Band das beide zusammenschlinge, durch ihn kennen zu lernen hoffte. Er schien mit dem was ich ihm sagte nicht unzufrieden, und ich denke, so

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, unter drei bis vier Burgern immer unfehlbar einen Richter, namlich ein Mitglied der zehn grossen Gerichtshofe dieser wundervollen Republik findest, und warum alles darauf angelegt ist, das Processfieber, womit die Athener

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. ein wenig armselig zu leben (wiewohl mich der letzte Brief meines Vaters auf einmal um funfhundert Minen reicher gemacht hat) so lange getreu zu bleiben als ich es aushalten kann. Bis hierher geht es noch gut. In

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; meine ganze Kunst besteht in einer gewissen Geschicklichkeit die Entbindung schwangerer Seelen zu befordern.51 Die Frucht die ans Tageslicht kommen soll, muss freilich schon lebendig, gesund und wohlgestaltet in der Seele verborgen liegen, und

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in sich gefuhlt habe; indessen bracht' er es doch darin auf einen gewissen Grad; machte bis uber sein dreissigstes Jahr seine hauptsachlichste Beschaftigung daraus, und fertigte binnen dieser Zeit unter andern Arbeiten verschiedene Statuen, wovon die meisten in einem

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, ein geborner Athener, einer der beruhmtesten Tonkunstler seiner Zeit. Der erste hatte das Studium der Natur, wiewohl auf einem falschen Wege, der zweite die Kunst zu reden, als eines der machtigsten Werkzeuge, wodurch man in Republiken auf die Menschen wirken kann, der dritte, die Theorie der Musik, insofern sie eine Art von magischer Gewalt uber

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nach ihrer eigenen Weise popularisirt wurden, mit vielem Fleiss gelegt haben soll, so scheint er doch ziemlich bald einen Beruf in sich gefuhlt zu haben, seinen eigenen Weg zu gehen, und sich sowohl in Meinungen als im Leben unabhangig und frei von fremdem Einfluss zu erhalten. Es

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von den unsichtbaren Kraften, mit deren sichtbaren Wirkungen die Natur uns uberall umgibt, kurz, von den uberirdischen und ubersinnlichen, himmlischen und uberhimmlischen Dingen, gerade so viel wisse als vorher, namlich nichts oder wenig mehr als nichts.

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Selbst so weit gekommen war, dass er seinen innern Beruf, ein Menschenbildner in einem ganz andern und unendlich hohern Sinne zu seyn, nicht langer bezweifeln konnte.Eine der wichtigsten Folgen des Verhaltnisses, worin er mit Anaxagoras und Kriton stand, war

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welchem er schon damals sehr richtig urtheilte, dass er entweder zum Heil oder zum Verderben Griechenlands geboren sey, je nachdem sein guter oder boser Damon die Oberhand uber ihn gewinnen wurde; und diese Ueberzeugung allein war es,

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. Der ganze Unterschied, horte ich ihn einmal sagen, zwischen mir, der nichts weiss, und diesen bewunderten Herren, die alles wissen und sich dafur bezahlen lassen, besteht darin, dass sie zu wissen glauben was sie nicht wissen, ich hingegen weiss, dass ich nichts weiss. Offenherzig zu reden, scheint er sich in diesem Punkte zuweilen ein wenig zu tauschen, und die Geringschatzung gewisser spekulativer Wissenschaften, deren Nutzen nicht sogleich in die Augen fallt, oder vielleicht erst kunftig noch entdeckt werden mag, weiter zu treiben, als

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zu sehr dabei ins Gedrange kommt, einander gern zu gut halten. Auch Sokrates, der uberhaupt einer der witzigsten und gutlaunigsten Sterblichen ist, macht im gemeinen Umgang ziemlich haufigen Gebrauch

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, und weiss sie mit so vieler Leichtigkeit und Feinheit zu handhaben, dass sie, sogar wenn er einen wirklich schraubt, unmoglich beleidigen kann, sondern entweder fur blossen Scherz gilt, oder von einfaltigen und sich selbst gefallenden Personen so aufgenommen wird,

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und die vorgegebene Bewunderung ihrer hohen Weisheit langer hatten tauschen lassen. Auch zeigte sich's bald genug, dass er, ausser dem erklarten Hass der Sophisten, wenig mehr mit dieser Art zu disputiren gewonnen hatte,

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, welche vermittelst neuer Fragen aus seiner Antwort hervorgelockt werden, sich selbst gar bald von ihrer Unrichtigkeit uberzeugen muss. Diese Lehrart, ausser dem dass sie die leichteste und popularste ist, scheint mir vorzuglich darin auf den besondern Charakter der Athener berechnet zu seyn,

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die Rollen gleichsam verwechselt und den Lehrer zum Schuler macht oder wenigstens beide auf gleichen Fuss setzt, namlich in aller Gelassenheit etwas mit einander zu suchen, das keiner von beiden hat, und woran beiden gleich viel gelegen ist. Er weiss es dann immer ohne Muhe

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sind, lassen mich besorgen, dass die zeitherige Ruhe unsers so glucklich scheinenden Vaterlandes von keiner langen Dauer mehr seyn werde. Doch vielleicht gibt irgend ein guter Damon unsern Regenten noch

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dich so lang' als moglich frei zu erhalten; und siehst du dass die Sachen eine Wendung nehmen, die dich entweder unvermerkt verwickeln oder wohl gar gewaltsam in

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und Absicht gleichsam unfreiwillig zu entwischen scheinen, fur einen der angenehmsten Tischgesellschafter (einer in Athen sehr zahlreichen Classe) gehalten, und man findet ihn gewohnlich bei allen grossen Gastmahlern, die in vornehmern Hausern gegeben werden.

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schwarzen Genius gefunden, und (da wir beide so ziemlich unter der Herrschaft unsrer angebornen Hauskobolde stehen) eine Art von gutem Vernehmen zwischen uns gestiftet hat, welches ich mir gleichwohl in meinen Verhaltnissen weit weniger zu Nutze

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Rufe nach kennen. Wir, die wir ihn leibhaft vor unsern Augen herum wandeln sehen, und mit unsern Ohren reden horen, wir kennen der Ehrenmanner gar viele, die eben so barfuss und sparlich gekleidet gehen wie er, ihren Bart eben so selten dem Barbier untergeben, eben so schlecht

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Kothurnen, worin sie um so viel grosser als er sind, selbst angeschnallt hat, und sie, sobald es ihm beliebt, wieder auf ihre eigenen Fusse stellen kann. Du siehst also, dass die Ursache, warum die Wolken nicht so gut als ich billig erwarten konnte, aufgenommen wurden, nicht darin zu suchen ist, dass sie die offentliche Meinung von dem Manne, der darin verspottet wird, gegen sich gehabt hatten: auch hat derjenige, der euch sagte, dass sie von den Zuschauern ubel aufgenommen worden, die Sache sehr ubertrieben. Ich musste meine guten Kechenaer groblich verleumden, wenn ich nicht bekennte, dass bei weitem der grossere Theil uber die drei ersten und die drei oder vier letzten Auftritte das

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ich fur besser, dem Rathe meiner Freunde zu folgen, denen es zu viel gewagt schien, den jungen Alcibiades, der damals eben auf der hochsten Stufe der Volksgunst stand, so geflissentlich zum Kampf

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und der kurze, ofters ziemlich schmutzige Mantel, der gewohnlich seine ganze Garderobe ausmachte, wenig dazu beitragen konnte, denen die ihn nicht genauer kannten eine grosse Ehrfurcht fur seine Person einzuflossen. Mit

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keinen Grad menschlicher Klugheit und Erfahrenheit vorhersehen lassen, andeuten sollen. Niemand hat ihn je sagen gehort, dass er einen eigenen Damon habe; diess aber ist gewiss, dass

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" als gleichbedeutend zu bedienen pflegte. Auch daruber, wie er dazu gekommen sey die Bedeutung dieses gottlichen Warnungszeichens zu verstehen, hat er sich nie erklart; vermuthlich mag es ihm in seiner fruhen Jugend ofters begegnet seyn, einer Stimme, deren Sprache ihm noch unbekannt war, nicht zu achten; weil es ihm aber jedesmal ubel bekam, so wurde er endlich aufmerksamer,

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dem Munde unverwerflicher Zeugen habe, und dass wenigstens nicht leicht zu erklaren ware, was den Sokrates hatte bewegen konnen, die besagten Personen durch ein erdichtetes Vorgeben, er hore das gewohnte Warnungszeichen,

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mir nicht recht grun ist, und bin ziemlich geneigt, ihm die Schuld zu geben, dass Sokrates mich mit einer gewissen Zuruckhaltung und Kalte zu behandeln scheint, die ich mir lieber aus dieser als irgend einer andern Ursache erklaren mag. Indessen beruht die Sache auf so ubereinstimmenden Zeugnissen aller, die schon viele Jahre mit ihm gelebt haben, dass es ungereimt ware, daran zweifeln zu wollen, dass er wirklich und schon von langer Zeit her diese ubernaturliche Einwirkung zu erfahren vorgegeben habe.Und hat er diess vorgegeben, so zweifle ich nicht,

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Vorschlage nicht etwa einer eigennutzigen Rucksicht verdachtig werde, erklare ich unverhohlen, dass Ariston meine Stimme, wofern ich eine zu geben hatte, nie erhalten wurde, so lange Cyrene noch mehr als Einen

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der Arme behilft sich die meiste Zeit schlecht, um sich zuweilen einen guten Tag machen zu konnen. An Festtagen seh' ich allenthalben frohliche Gesichter; jedermann ist besser als gewohnlich gekleidet, thut sich gutlicher, geht ins Bad, kranzt sich mit

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, und diess bin ich immer wenn ich sie in Gemeinschaft frohlich sehe. Denn da wiege ich mich unvermerkt in die susse Tauschung ein, sie alle fur gut und wohlwollend zu halten, und mache mir selbst weiss, sie wurden es immer seyn, wenn sie sich immer glucklich fuhlten. Du wirst es also ganz begreiflich finden, lieber Kleonidas, dass ich, ungeachtet der schelen

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von einem kleinen Kreise dem Ansehn nach feiner junger Manner umgeben, und, wie es schien, in einem lebhaften Gesprache begriffen. Schon von ferne, bevor es moglich war ihre Gesichtszuge genau zu unterscheiden, dauchte mir ihre Gestalt die edelste, die ich je gesehen hatte. Ihr Anzug war mehr einfach als gekunstelt und eher kostbar als schimmernd; leicht genug, um

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in den drei Jahren, die seit der ersten verflossen waren, dermassen verschonert, dass, ungeachtet das Bild meiner Korinthischen Anadyomene noch wenig in meiner Erinnerung verloren hatte, oder vielmehr eben desswegen, ein kleines Misstrauen in

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so viel leichter, die Rolle einer ganz neuen Bekanntschaft naturlich genug zu spielen, um selbst den beobachtenden Eurybates dadurch zu tauschen, und den leisesten Verdacht eines fruhern Verhaltnisses zwischen uns unmoglich zu machen. Ich uberliess mich jetzt mit meinem gewohnlichen Frohsinn oder Leichtsinn, wenn du willst, dem heitern Genuss des schonsten Abends, den ich bisher erlebt hatte,

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da es hingegen in keines Mannes Gewalt stehe, mehr uber sie zu gewinnen, als sie ihm freiwillig einzuraumen geneigt sey. Sie bedient oder begibt sich dieses Vorrechts mit gleicher Sorglosigkeit, ohne Anschein einer besondern Absicht;

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hatte zu denken dass noch viel zu wunschen ubrig sey, und (was dir vielleicht unglaublich scheinen mag) auch nicht durch die leiseste Begierde daran erinnert wurde. Diess ist, denke ich, die naturliche Wirkung der vollkommenen Schonheit, wenigstens auf einen

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um Rath gefragt werde, immer zu rathen was mir wirklich fur die fragende Person das Beste scheint; aber zugleich ehrlich zu gestehen, dass, wofern ich selbst auf irgend eine Art dabei betroffen bin, immer auch, mit oder ohne klares Bewusstseyn, einige Rucksicht auf meine eigene Wenigkeit dabei genommen wird.

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Hausfrau machen konnte, weiss er sich schon zu verwahren. Er sieht sie so wenig als moglich: und verlangt er einen angenehmern weiblichen Umgang, so halt er sich irgend eine liebenswurdige Gesellschafterin auf seinen eigenen Leib, oder bringt von Zeit

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ihrem Schoosse lag, etwas warmer als der blossen Freundschaft zukommt, mit der meinigen druckte, solltest du wirklich hartherzig genug seyn, ein so grausames Spiel mit uns Armen zu treiben, als du dir jetzt einzubilden Belieben tragst? Hartherzig? versetzte sie mit

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er nicht aufhoren konnte, von der Schonheit dieser jungen Person als einer unaussprechlichen Sache zu reden, sagte Sokrates endlich lachelnd: wenn das ist, so konntest du uns den ganzen Tag davon sprechen,

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auch so vielleicht noch entrinnen konnte, stellen sie uberall, wohin er seinen Lauf nehmen konnte, Jagdnetze auf, worein er sich verwickeln muss." Das alles mag zur Hasenjagd sehr dienlich seyn, sagte Theodota mit einem kleinen spottischen Naserumpfen; nur sehe ich nicht,

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"Das fragst du, schone Theodota? Eines wenigstens gewiss, das auf alle Falle schon weit reicht, und von der Natur selbst gar zierlich gestrickt wurde; und wie kannst du vergessen, dass du in diesem schonen Leibe eine Seele hast, die dich lehren konnte, wie du die Augen brauchen musst um

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Sokratischen Tugenden eben nicht schwer beladen ist, besitzt wenigstens Eine, und gerade die, wodurch er sich jetzt am meisten um mich verdient machen kann, in einem hohen Grade; und das ist die edle Tugend, seinen Freunden nicht durch ubermassige Dienstgeflissenheit lastig

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ihrer Wege gehen zu lassen, wenn er merkt dass ihnen ein Gefallen damit geschieht. Ich gestehe dass mir anfangs ein wenig bange war, ich mochte ihn bei der schonen Lais in meinem Wege finden. Aber nichts weniger! man sieht ihn nie in ihrem Hause als wenn sie grosse Gesellschaft hat,

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noch etwas verbessern zu konnen? Bricht sich vielleicht irgend eine Falte nicht zierlich genug? Ich will dir gern noch stehen, so oft und lange du es nothig findest.Eine Falte? sagte Skopas mit einem schweren Seufzer; die Falten sind es eben was mich

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ist, wenig und leicht genug bekleidet, sollt' ich denken, um einen nicht gar zu eigensinnigen Kunstliebhaber zu befriedigen; und weil Skopas so grosse Lust hat, seine Idee einer vollkommenen Schonheit in einer ganz enthullten Aphrodite darzustellen, so uberlasse ich ihm

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sehr, guter Kleonidas! Lais ist eine grosse Zaubrerin; sie lasst immer noch viel zu wunschen ubrig, und indem wir uns trennen mussen, wundre ich mich hintennach, wie wenig das war, wodurch sie mich so glucklich wie einen Gott gemacht hatte.

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Augenblicke und gleichwohl, dem Sonnenzeiger nach, volle Stunden von dreitausend und sechshundert Pulsschlagen sind, dazu verschwenden werde, dich mit schonen Beschreibungen, wie wohl mir's hier geht, zu unterhalten. Komm heruber, lieber Kleombrotus; was hast du in

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, haben ohnehin den Cekropiden keine Rechenschaft zu geben, wenn wir ihr schones, oltriefendes, veilchenbekranztes Athen wieder zu verlassen fur gut finden; wiewohl sie keinen Begriff davon zu haben scheinen, wie man auch anderswo, wo man nicht um zwei oder drei Obolen von

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Zeit so wenig vermindern konnte, dass sie vielmehr der Grund ist, warum ich mich immer, vor allen andern Freunden des ehrwurdigen Sokrates, vorzuglich an dich angeschlossen habe. Ich weiss sehr wohl, dass meine Jugend und eine gewisse mir angeborne Sorglosigkeit, die ziemlich nahe an Leichtsinn granzen mag, zuweilen der Zucht eines strengen Freundes bedarf: indessen, wie bescheiden einer auch von sich selbst denkt, kann

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mir bezeugen kannst) hochlich ehre und liebe, fur gut befunden hat, mich immer in einer gewissen Entfernung von sich zu halten. Hat mir etwa sein Damonion einen schlimmen Streich bei ihm gespielt? oder

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und Tage lang gezeigt, dass ich eben so gut von zwei oder drei Obolen des Tags leben kann als ein anderer; nur sehe ich nicht, warum ich uberall und immer so leben soll, oder warum ein kurzer Caputrock ohne Unterkleid fur das einzige und ausschliessliche Costume der Philosophie gelten musste. Ich achte mich bei

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oder einem einzelnen Menschen mehr Recht und Macht uber mich einzuraumen, als ich ihm entweder freiwillig zu uberlassen geneigt, oder jedem andern zuzugestehen schuldig bin. Ich kam als ein schon ziemlich gebildeter und keineswegs unwissender Jungling nach Athen, und machte mir die

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Maxime, deren du dich aus einem meiner Briefe erinnern wirst) bald moglichst wieder herzustellen, schwerlich jemals mit seiner Arbeit fertig geworden ware; so machtig wirkte das zauberisch anziehende Lacheln, womit die gefallige Nymphe,

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mir selbst festgesetzt habe. Ich sagte dir bereits mit der Offenheit, die du immer bei mir finden sollst, dass ich auf einen zwangfreien Umgang mit welchen Mannern es mir beliebt nicht Verzicht thun konnte, ohne ein wesentliches Stuck meiner Gluckseligkeit aufzuopfern; ich sagte dir auch die wahre Ursache, warum ein solcher

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Einzige, wodurch wir an ihre schwache Seite kommen konnen, unsre Reizungen, nicht auf jede uns beliebige und vortheilhafte Art gegen sie gebrauchen durfen? Bei der grossen Nemesis! ich mache mir so wenig Bedenken daruber, dass

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seiner Gesundheit zutraglich seyn, und die mannichfaltige Menge neuer Gegenstande seiner allzuwirksamen Phantasie eine andere Nahrung und einen weitern Spielraum geben, und sie dadurch verhindern, sich in diejenigen, die ihn zeither einzig beschaftigten, gar zu tief hineinzugraben. Der

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deine Wirthin beschreibst, widerstehen zu konnen? Und deine freilich noch ziemlich unerfahrne Freundin sollte so gefallig seyn, sich ein solches Mahrchen weiss machen zu lassen? bloss weil sie gestehen muss, es ware ganz artig,

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Bewerbungen dieser speculativen Kopfe, ohne sie weder aufzumuntern noch abzuschrecken, und hatte sich noch ein vierter gefunden, dessen Umgang etwas mehr Interesse fur mich gehabt hatte, so mochte ich den Isthmus96 von acht oder neun Monaten, der mich von Aegina trennt, noch ertraglich gefunden haben. Ihr seyd so eitle Geschopfe,

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, keine lange Weile bei mir; aber dafur machten sie mir deren so viel, dass ich des albernen Spiels endlich uberdrussig ward. Nein, sagte ich, es ist nicht langer auszuhalten; Aristipp lasst mich sitzen

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zu euch setzen, und an euerm unterbrochnen Gesprach, wofern es keine Geheimnisse betrifft, Antheil zu nehmen wunschen. Beides, versetzte er, steht euch frei, wiewohl der Gegenstand, womit wir uns beschaftigten, wirklich eine Art

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wie es scheint, gar viel dabei zu gewinnen glaubt, wenn ihr einen grossen Menschen ein paar Stufen zu euch herunterziehen konntet; als ob er nicht immer um eben so viel grosser bliebe als

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Wo ich herkomme? Was ich zu Athen zu suchen habe? Wie lange ich bleiben werde? Wie es mir da gefallt? und einander uber alle diese Fragen keine Antwort geben zu konnen, ist mehr als man einem so lebhaften und wissbegierigen Volke zumuthen kann. Ueber den letzten Punkt erhalten sie zwar

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, ich sagte ihm: da du, bei vielen Fahigkeiten und guten Eigenschaften, von etwas leichtem Sinne warest, und das Vergnugen vielleicht etwas mehr liebtest, als einem edeln emporstrebenden Junglinge zutraglich sey,

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(wie du willst) sie diesen sproden Materien ihre Trockenheit zu benehmen, und die graubartigen Streithahne selbst in gebuhrender Zucht und Ordnung zu erhalten weiss. Aber freilich darf uns dann die Hauptperson nicht fehlen; er, dessen scharfer Blick, treffender Witz und

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meiner Grazien bezaubert. Sogar die finstere Stirne des strengen Antisthenes entrunzelte sich. Den Sokrates allein glaubte ich bald ernsthafter bald ironischer zu sehen als gewohnlich, und man hatte zuweilen denken sollen, er

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. Ich hore wenig auf Geruchte. Sie soll ausserordentlich schon, geistvoll und liebenswurdig seyn; und eben darum halte ich sie bei der freien Denkart, wovon sie Profession macht, fur eine sehr gefahrliche Zaubrerin.

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Seite zu zeigen, die ohne sie entweder gar niemals, oder wenigstens in keinem so schonen Lichte, sichtbar geworden ware. Die ganze Art seines Benehmens gegen dich macht ihn in meinen Augen sehr ehrwurdig; und besonders am letzten Tage ist er so ganz Sokrates, so ganz, was nur er allein seyn kann,

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man fur verdachtig halt, angefullt, und reich zu seyn, oder dafur zu gelten, ist schon allein mehr als hinlanglich, um den raubgierigen Herrschern und ihren Gunstlingen verdachtig zu seyn.

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sehr auffallend finden. Das ist allenthalben so, wirst du sagen. Ich gesteh' es; aber doch zweifle ich sehr, ob irgend ein anderes Volk dich die zuvorkommende Artigkeit und Gefalligkeit, womit es dich Anfangs uberhauft, so theuer bezahlen lasst, als

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Gemalde des beruhmten Parrhasius gehort hast, worin er den schon vom Aristophanes so treffend personificirten Athenischen Demos108 in einer Art von allegorisch historischer Composition zu schildern unternahm. Seine Absicht, sagt man,

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ruhmst, leisten konnte, habe etwas unternehmen wollen, das der Kunst unmoglich ist? Ich bin gewiss, es fiel ihm so wenig ein, das Attische Volk, insofern es sich als eine moralische Person denken lasst, in diesem Gemalde darstellen zu wollen,

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es nur irgend moglich ware, nichts davon gewahr worden waren. So lange sie einander alle Tage sehen und sprechen konnten so viel sie wollten, war

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Briefe des erhabnen Kleombrotus an meine kleine Muse, worin er unter andern sagt: "O Musarion! Warum konnen Seelen wie die unsrigen einander nicht unmittelbar beruhren, unmittelbar umschlingen, durchdringen und in einzige zusammenfliessen! Warum

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wenn du willst, mit dem verfuhrerischen Hippias steht noch in vollem Wachsthum. Wir sehen uns beinahe taglich, und scheinen einander immer mehr Geschmack abzugewinnen. Es fehlt zwar viel,

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Sophroniskus zu danken, dass er sich kein geringeres Ziel als Lebensweisheit vorgesteckt hat. Zwar ist nicht zu laugnen, dass Hippias mit seiner Aufgabe bereits im Reinen ist, wahrend ich noch ungewiss bin, ob ich jemals mit Auflosung der meinigen zu Stande kommen werde: aber dafur wirst du mir zugeben, dass die seinige auch bei weitem nicht so schwer und verwickelt

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, den einzigen Punkt, worin wir nie zusammentreffen werden, ausgenommen, haben wir eine unendliche Menge Beruhrungspunkte, und ich finde wirklich alles in ihm beisammen, was man sich an einem angenehmen, beinahe zu allem brauchbaren Gesellschafter wunschen kann.

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und es gibt schwerlich ein so brodloses Kunstchen, das ich nicht zu lernen versucht wurde, wenn es irgends ohne grossen Zeitaufwand und gleichsam im Vorbeigeben zu lernen ist.Sage indessen meiner edeln Base Anaximandra, sie wurde mir grosses Unrecht thun, wenn sie glaubte, Sokrates werde nun gerade so viel bei mir verlieren als Hippias gewinne. Meiner Sinnesart nach kann diess nie der Fall

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begehrst, ziemlich genau sagen, worin, wodurch und wiefern ich mich durch ihn gebessert finde. Wenigstens glaube ich, dass ich ohne ihn nie zu dem Ideal der sittlichen Form meiner Natur gekommen ware, dessen

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welcher alles bloss auf einen derben Vorsatz und lange Uebung ankommt, mag zum Hausgebrauch eines Attischen Burgers, zumal wenn er von zwei oder drei Obolen des Tags leben muss, eben so zureichend seyn, als sie unstreitig nach Zeit

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, nicht immer recht machen kann, wenigstens so selten als moglich sich selbst sagen zu mussen: das hattest du besser, kluger oder schicklicher machen konnen. Ueberdiess sehe ich nicht, warum ein Mann, dem seine Umstande erlauben, uber

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ihre Werke gut zu lesen; und Kleombrotus, ausserdem dass er selbst Dithyramben von der ersten Starke macht, declamirt so vortrefflich, dass er es beinahe mit dem grossen Rhapsodisten Ion114 aufnehmen konnte. Diese Talente haben ihn bereits in so hohe Gunst bei Eurybates gesetzt, dass ich gewiss bin, er wird ihn kunftigen Fruhling mit nach Aegina nehmen, und die beiden liebenden Seelchen

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. Aber vermuthlich wolltest du nur einen kleinen Versuch machen, wie weit du es in der Manier des jungen Kleombrotus bringen konntest. Ich wurde dich beklagen, wenn du wirklich so wenig ertragen konntest als du vorgibst. Gut indessen, dass du mich gewarnt hast. Ich werde mir's gesagt seyn lassen, und mich wohl huten, dich glucklicher zu machen als dir zutraglich ist.

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Syrakus, sagt man, hat die schonsten Weiber in ganz Griechenland. Findest du es wirklich so? Sage mir gelegentlich ein Wort hieruber, und melde mir zugleich, wie meine neue Freundin mit ihrem sophistischen Liebhaber, oder wie man es nennen muss,

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und nach rauschender ward, gingen auch die grossen Becher immer fleissiger herum. Ich schonte den herrlichen Syrakuser unsers reichen Wirthes nicht, und siehe da! am folgenden Morgen, als ich meinen kleinen Rausch ausgeschlafen hatte, stand ich so heiter, unbefangen und lichtstrahlend vom Lager

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viel zu schmeicheln. Vor wenig Tagen gab mir eines ihrer vornehmsten Feste Gelegenheit, mich mit meinen eigenen Augen davon zu uberzeugen. Der lange Zug von jungen Madchen (den Tochtern der angesehensten und begutertsten Burger), die in zierlich gefalteten, bis zu den schonen Knocheln herabfliessenden

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; und nie dunkte mich einen solchen Triumph der weiblichen Schonheit und Anmuth gesehen zu haben. Das Auge irrte geblendet und alles Auswahlens vergessend um den weit ausgedehnten Kreis dieser Zauberschwestern umher, unvermogend auf Einer zu verweilen, weil schon im nachsten Augenblick eine vielleicht noch schonere ihre Stelle

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ist, gewohnlich und wenige seltne Falle ausgenommen, so zu wie der allgemeine Augenschein zeigt. Von jeher blieb einem Volke, um furs erste immer selbst recht zu wissen was es

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der Staat augenscheinlich immer bluhender, machtiger und reicher wird, mit dem verhassten Namen eines Tyrannen zu belegen. Wie? versetzte jener hitzig; der musste ein dreifacher Sklave seyn, der sich freiwillig einen Herrn geben wollte! Ich sehe wohl, erwiederte ich mit grosser Gelassenheit, warum du dich

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klatschten, nickten oder lachelten ihrem edeln Mitburger Beifall zu, und schienen zu erwarten, dass ich billig oder wenigstens urban genug seyn wurde mich uberwunden zu geben. Aber so ganz leicht wollt' ich ihnen den vermeinten Sieg doch

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, so ware wohl nichts billiger, als dass wir unsre Forderungen nicht allzu hoch spannten, und niemand dafur bussen liessen, dass er eben so wenig vollkommen ist als wir. Warum wollten wir uns

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bei der politischen Freiheit nie recht wohl befunden, durch den Verlust derselben wenig verloren habe, und bei einem klugen und tapfern Alleinherrscher wahrscheinlich noch gewinnen wurde, wenn es weise genug seyn konnte, das

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Syrakusaner zu kennen, besser dadurch zu befriedigen hoffe, als durch allgemeine Bemerkungen, die bei einem so kurzen Aufenthalt ohnehin wenig Zuverlassigkeit haben konnten. Unsre Gesellschaft bestand grosstentheils aus Mannern der ersten aristokratischen Familien zu Syrakus, und ich glaube dass man

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als dass jemals eine aufrichtige Aussohnung moglich ware; auch wissen beide sehr wohl, wessen sie sich zu einander zu versehen haben, und nehmen ihre Massregeln darnach. Aber starker als alles diess fiel mir

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zu einem einzigen grossen Zweck in zusammenstimmende Thatigkeit zu setzen weiss. Kurz, Dionysius hat das wahre Mittel gefunden, die Syrakusaner (eine Zeit lang wenigstens) vergessen zu machen, dass er einst ihr Mitburger war; er erscheint vor ihren Augen im vollen Glanz des

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wie er glucklich achten wurde. Schon sein Aeusserliches kundigt einen Mann an, der besser zum Regieren als zum Gehorchen taugt. Er ist gross und stark gebaut; seine Gesichtsbildung edel, mannlich, und wofern mich mein physiognomischer Sinn nicht betrugt, mehr Klugheit und

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Bis jetzt wenigstens scheint er seinen Umgang mit der tragischen Muse, in die er stark verliebt seyn soll, noch sehr geheim zu halten; und in der That fordert die grosse Tragodie, die er selbst zu spielen vorhat, seine ganze Thatigkeit in einem so hohen Grade, dass ihm weder Zeit noch Lust ubrig bleiben kann,

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sie durch gleiche Massigung und Klugheit, bei gleich redlichen Absichten, vollig dazu geeigenschaftet scheinen, uns, wo nicht die beste Verfassung, die sich denken lasst, wenigstens die beste, die unter den gegenwartigen Umstanden moglich ist, zu geben.43.

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funfunddreissig Jahre alt seyn durfen, sind in drei Classen abgetheilt. Die erste besteht aus zwolf Demarchen oder Polizeimeistern (welche kunftig bloss aus den monatlich abgehenden Epistaten genommen werden sollen), deren jeder in einem der zwolf Quartiere,

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zu viel schmeichle, so ziemlich die Miene, ihre zwanzig Jahre so gut wie irgend eine andre auszudauern. Oder meinst du nicht? Ernsthaft zu reden, es ware unartig von mir, wenn ich unsern Prometheen die Freude, eine so zierlich gearbeitete Constitution zu Stande gebracht zu haben,

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nicht selbst regieren konnen, von Menschen regiert werden mussen, die es grosstentheils eben so wenig konnen. Man kann unsre Regierer nicht oft genug daran erinnern, dass burgerliche Gesetze nur ein sehr unvollkommnes und unzulangliches Surrogat fur den Mangel guter Sitten,

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; oder vielmehr die kleine Musarion liess mir keine Ruhe, sobald sie die erste Schwalbe zwitschern horte. Du solltest nur um der Nachtigallen willen eher nach Aegina gehen, sagte sie alle Morgen und Abende; gewiss sie singen nirgend so schon als in unserm Lustwaldchen zu Aegina.Du musst wissen, Aristipp,

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ich nicht alt genug bin ihre Mutter vorzustellen, gehe ich mit ihr, wie du gesehen hast, wie mit einer jungern Schwester um.Die Sehnsucht des guten Kindes nach Aegina ward nach und nach so lebhaft, dass ich ihrem Andringen nicht langer widerstehen konnte. Wir

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und die jungen Leute verderbe!" Jedermann findet diese Anklage124 gar zu ungereimt, und ich habe noch niemand gesehen, der ernsthaft davon hatte sprechen konnen, oder im geringsten fur unsern alten Freund in Sorgen stande, wiewohl der Klager

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die Stadt erst diesen Morgen verlassen hat, der beruhmte Lysias126 arbeite an einer ganz vortrefflichen Schutzrede fur unsern ehrwurdigen Freund, und die allgemeine Stimmung sey dem Beklagten so gunstig, dass es ihm nur ein gutes Wort an seine Richter kosten werde, um lauter weisse Steine zu erhalten. In

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Name im ganzen Griechenland in Ehren gehalten wird, die Profession eines freiwilligen unbezahlten Volks- und Jugend-Lehrers dreissig Jahre lang ungestort hatten treiben lassen, um ihn erst in seinem siebzigsten desswegen zur Rede zu stellen, und solcher albernen Beschuldigungen wegen aus der

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nach den vornehmsten Stadten Ioniens zu unternehmen, und mich in jeder so lange aufzuhalten, als ich etwas zu sehen, zu horen und zu lernen finde, das in meinen Plan taugt. Athen wieder zu sehen, bin ich noch unfahig; der

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Aber so bleibt uns weiter kein anderes Mittel ubrig, als uns von der verhassten Scene so weit als moglich zu entfernen. Neue Ansichten, neue Menschen, neue Verbindungen, kurz eine neue Welt um uns her ist nothig, unsrer dem Gefuhl

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der dich wenig interessiren kann. Aber ich hoffe, du wirst ihn personlich kennen lernen, und es mir dann eher danken als ubel nehmen, dass ich euch schon in voraus in Bekanntschaft mit einander gesetzt habe.

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zu einem glucklichen Ende zu bringen. Du erinnerst dich ohne Zweifel noch der schonen Droso, einer von den drei Grazien unsrer Freundin, wie wir ihre drei gewohnlichen Aufwarterinnen zu nennen pflegen, seitdem sie von

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schickte, wiewohl er leicht voraussehen konnte, was er ihm kosten werde. Aber in Einem Punkt stimmt ganz Syrakus uberein, darin namlich, dass er unrecht gethan habe,

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Gesellschaft mit reichen Prassern leben und es ihnen gleich thun wollen; sie gehen bei Zeiten zu Grunde, wiewohl sie keinen grossern Aufwand machen als den diese sehr wohl aushalten konnen. Plato ist ein weit grosserer Schwarmer als

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wird, beim ersten widrigen Zufall von irgend einem sturmischen Demagogen durch eine einzige mit emphatischen Phrasen und gigantischen Figuren ausgestopfte Rede plotzlich umwenden, und dahin bringen lassen, die

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der jetzt freilich zu seinen grossen Ausgaben viel Geld nothig hat sich gottesvergessenerweise erfrechte, dem marmornen Aesculap145 seinen goldnen Bart abscheren zu lassen, und den Frevel noch gar durch einen Scherz (der freilich in einer Aristophanischen Komodie den Athenern grossen Spass gemacht hatte) rechtfertigen zu wollen.

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"Ich weiss nicht ob es irgendwo in der Welt ein Volk gibt, das einen guten Konig werth ist. Jedermann treibt was er am besten zu verstehen glaubt; und das erste, worauf er zu sehen hat,

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von Sokrates ehrwurdigen Andenkens.Dass unsre Freundin Lais in Milet Aufsehen macht, brauche ich dir kaum zu sagen; das versteht sich von selbst, wiewohl wenig Stadte in der Welt seyn mogen, die sich schonerer Weiber ruhmen konnen, als diese prachtigste, reichste und wollustigste Handelsstadt von

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Quelle, woraus sie schopft, nie versiegen konne. Diess alles erhoht die Achtung nicht wenig, die man schon der blossen Schonheit, selbst in einem unscheinbaren Aufzuge, zu erweisen geneigt ist; sogar die Hetaren betrachten sie mit

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, mit lauter schonen Gegenstanden umgeben, sich in seinem wahren Elemente fuhlt, und wie er sagt, erst jetzt recht zu leben anfangt. Er findet in Milet alles beisammen, was den feurigsten Liebhaber der Kunste die das Leben verschonern befriedigen kann: die herrlichsten Werke der edeln und zierlichen Ionischen Baukunst,

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jeden das worin er vorzuglich ist, abzulernen sucht, zu einer eigenthumlichen Manier zu gelangen, die ihn von allen unterscheide, und ihm von niemand so leicht nachgemacht werden konne. Wie es ihm gelingen werde, wird die Zeit lehren. Noch ist er wenig mit sich selbst zufrieden, und schilt uns Idioten, wenn wir etwas schon finden, das er gemacht, oder vielmehr angefangen hat;

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war ein kleines Stuck Papier beigefugt, worauf nichts als das einzige furchtbare Wort Lies! mit grossen Buchstaben geschrieben stand. Unmoglich konnt' ich dir beschreiben, wie mir beim ersten Anblick dieser

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nur ein grosser Maler, sondern auch ein grosser Schalk ist, und die schwache Seite der Leden kennt. Wenn es nur auf die erste seiner Bedingungen ankame, so ware die seinige schon verspielt. Ich mochte wohl wissen was Lais zu diesem tollen Einfall sagt?Parrhasius ist reich, und lebt auf einen ziemlich Asiatischen Fuss. Ich sah verschiedne schone Sklaven und

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seiner Farbung bewundert: Parrhasius glaubt, es ihm in beidem zuvorzuthun, und hat vielleicht Recht; aber dass er die hochste Stufe in beidem schon erstiegen habe, glaube ich wenigstens nicht, wenn ich auch nicht sagen konnte, worin, geschweige wie er ubertroffen werden konne. Die

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uber Dinge wovon sie nichts verstehen noch wissen konnen, im hochsten Ernst so possirlich irre reden horten? Gleichwohl lasst Plato den guten alten Sokrates, seinen ganzen Sterbetag uber,

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auf ein blosses Spiel mit Worten hinaus lauft, und auf dem grundlosen Vorgeben beruht: wenn zwei einander entgegengesetzte Dinge auf einander folgen, so entstehen sie aus einander! Diesem Grundsatz zufolge konnt' er uns eben so bundig beweisen, ein Hungriger musse nothwendig satt werden, wenn er gleich nichts zu

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Kalt, kurz alle durch die Sprache bezeichneten abstracten und allgemeinen Begriffe, wie sie Namen haben mogen, als selbststandige, wiewohl unkorperliche und ubersinnliche Wesen, eine uns Sterblichen unbegreifliche Art von Existenz haben, oder vielmehr die einzigen wahrhaft und ewig existierenden Dinge (

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Stoff zu angenehmer Unterhaltung in einer deiner musurgischen163 Abendgesellschaften geben konnte, so wurde ich mich wegen der kleinen Ungebuhr, wodurch ich ihn erschlichen habe, hinlanglich entschuldiget halten. Du wirst finden, dass er ein wenig unbarmherzig mit

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dass dein wahres eigentliches Ich eben darum immer fortdauern wird, weil es ihm unmoglich ist, sein eigenes Nichtseyn zu denken; weil wir ohne Unsinn zu reden nicht einmal vom Nichtseyn reden konnen? Sollte

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da, wiewohl wir selbst uns unsers Daseyns aufs lebendigste bewusst waren.Ich rede, wie du siehst, von Menschen unsers gleichen; denn dass es mit denen, die unter der Gewalt einer ungezugelten Einbildungskraft stehen und sich

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ohne Zuthun unsrer Augen und Ohren sehen und horen, ohne Hulfe der Fusse gehen, ohne die Sprachwerkzeuge wirklich zu gebrauchen reden, kurz, dass die Seele zu wachen glaubt und sich in voller Aktivitat befindet, wahrend ihr Korper in tiefer Ruhe abgespannt und unbeweglich da liegt, und

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Wahrscheinlichkeit schliessen lassen: unsre Seele die im Traumen ohne wirkliche Hulfe der aussern Sinne sieht und hort, und desto schonere Erscheinungen hat, desto leichter, frohlicher und unbeschrankter ihre eigenen Krafte spielen lasst, je grosser die Unthatigkeit

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aus einem unendlich feinern Stoff als der grobere Korper, der ihm gleichsam nur zum Tribonion164 dient, gebildet, und von einer so vollkommenen und unzerstorbaren Natur seyn konnte, dass die Seele immer damit bekleidet bliebe,

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sehr gern uberreden lassen sollte, dass ich immer leben werde. Ich rechne es dem spitzfindigen Plato (der so viel dabei gewanne, wenn er es weniger ware) zu keinem geringen Verdienst an,

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, wurde reichlich dadurch ersetzt, dass sie die Liebe desto feiner zu behandeln, ihr mehr Reiz der Mannigfaltigkeit zu geben, und sie dadurch viel besser zu unterhalten und vor langer Weile und Sattigung zu verwahren wussten, als

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stritten uns lange daruber, und kamen zuletzt doch darin uberein, dass unsre dermalige Art zu seyn vor der Hand wohl die beste seyn mochte. Dabei, lieber Aristipp,

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um so weniger bestehen, da der plotzliche Uebergang aus unsrer gegenwartigen Art zu seyn in die rein geistige ein Sprung ware, dergleichen die Natur nicht zu machen pflegt. Ich halte mich also

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holde Musarion darauf bestehen, dass sie sich an dem blossen Kopfe des schonen Kleonidas nicht begnugen konne, so konnten wir ihr zu Gefallen etwa noch so viel Leib hinzuthun, dass die Bewohner unsrer kunftigen Welt die Gestalt geflugelter Brustbilder bekamen; aber mit recht gutem Willen wurde ich mich nie dazu bequemen. Denn es fallt auf den ersten Anblick in

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und so leicht die Harmonie der Liebenden unterbrechen. Wollten wir die Nachgiebigkeit so weit treiben, unsre Kopfe in Busten zu verwandeln, so mochten wir eben so mehr noch den ganzen ubrigen Rumpf hinzuthun, und die reine Seelenliebe, die nur zwischen Kopfen stattfindet, durch

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Sokrates sehr schon darthut) durch unsre Versetzung in diese letztere keine Befriedigung verlieren, die uns nicht durch viel hohere, unsrer geistigen Natur gemassere Genusse reichlich und uberflussig ersetzt werden; und dass Musarion, sobald sie selbst

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der nun beinahe fertig ist, erhalt durch eine Menge kleiner Umstande, die mir meistens von dem wackern alten Kriton an die Hand gegeben wurden, und vornehmlich durch die richtige, beim ersten Anblick kenntliche Bezeichnung aller dabei gegenwartigen Personen, einen Grad von historischer Wahrheit, der diesem Gemalde ein ganz eigenes Interesse gibt; so

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zu Aegina entstehen sahst) beinahe mit allen Stimmen den Preis erhalten hat. Parrhasius, der einzige der meinem Freunde den Sieg streitig machen konnte, ist sehr ubel mit dem Urtheil zufrieden von hier abgegangen. Es verdriesse ihn, sagte er,

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, und immer mehr zu bewundern findet, je scharfer er untersucht. Merkwurdig ist die verschiedene Art, wie beide Kunstler die zwei Hauptpersonen behandelt haben. Parrhasius lasst seinen Odysseus

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Pinsel nicht vermocht, selbst zu ersetzen und gleichsam auszumalen. Ein andrer behauptete: diese Verhullung sey gerade der moglichst starkste Ausdruck des granzenlosen vaterlichen Jammers, und musse eine weit grossere Wirkung thun, als der hochste Schmerz, den das unverhullte Gesicht Agamemnons hatte ausdrucken konnen. Timanth, nachdem er dem Streit dieser weisen Kunstkenner eine Zeitlang lachelnd zugehort hatte, sagte endlich: die

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viel nur immer moglich ist vorzuarbeiten; auch erfordert es eben keine ausserordentliche Kunst, den hochsten Grad irgend einer Leidenschaft oder irgend eines Leidens mit Pinselstrichen auszudrucken. Aber gerade dieser hochste Grad ist

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Genie (setzte er mit vieler Urbanitat hinzu) wirkt oft als blosser Naturtrieb, und selbst der grosste Kunstler, wenn er etwas unverbesserlich Gutes gemacht hat, ist sich nicht allemal der Ursache bewusst, warum es so

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, und worin, unter anderm, die schone Rede der personificirten Gesetze, und uberhaupt die dialektische Form der Fragen und Antworten, ganz auf Platons Rechnung komme. Uebrigens haben diese beiden Dialogen viel Aufsehen in Athen gemacht, und wegen der klugen Schonung, womit die Athener darin behandelt werden, und des schonen Lichts, in welchem der sittliche Charakter des Sokrates darin erscheint, nicht wenig zu der gunstigen Stimmung beigetragen, welche dermalen uber ihn

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kann zu gleicher Zeit die verschiedensten Dinge treiben, und mich mit den ungleichartigsten Menschen so gut vertragen, dass jeder mich fur seinesgleichen, oder wenigstens fur ein Subject von ganz guter Hoffnung gelten lasst. Hippias, bei welchem ich gewohnlich den Abend zubringe, wurde nicht begreifen, wie ich so viele Zeit mit Pythagoraischen Phantasten verderben konne, wenn er nicht glaubte, es geschehe bloss um sie auszuholen und mich am Ende desto lustiger uber sie zu machen: diejenigen hingegen, die er Phantasten nennt, wissen sich meinen

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an seinen rechten Ort zu stellen weiss, immer lehrreich und nutzlich ist.Du wirst finden, liebe Lais, dass Kleonidas durch seine zeitherigen kleinen Reisen unter den Griechen viel gewonnen hat. Mit seinen herrlichen Anlagen bedurft' es nur einiger aussern Veranlassungen, um sich zusehends zu entwickeln und auf

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fremd und neu sind, als ob sie eben erst aus der beruhmten Platonischen Hohle179 hervorgekrochen waren. Jene sind meistens eben so vielseitig und geschmeidig als fein und an sich haltend; sie entscheiden selten, kleben

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von Laune treibt, und wenn die Unterhaltung einen gar zu ernsthaften und schwerfalligen Gang nehmen will, immer zu seiner eigenen Verwunderung Mittel findet, die Gesellschaft durch die sublime Absurditat seiner Behauptungen wieder in den rechten Ton zu stimmen. Um dem gewohnlichen Schicksal solcher Gesellschaften desto sicherer zu entgehen, werden ausser Kleonidas und Musarion immer auch zwei oder drei schone und geistvolle

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allen Dingen immer nach dem Hochsten zwar nicht wirklich zu streben, aber wenigstens den Schnabel aufzusperren und darnach zu schnappen, ist, wie du weisst, eine angeborne Eigenheit der menschlichen Natur. Das Problem erregte also allgemeine Aufmerksamkeit, und verschaffte uns den ganzen Abend reichen Stoff zu

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"seine Behauptung konnte allenfalls nur von der glucklichen Liebe gelten;" und gegen beide: ein Gut, das nicht immer in unsrer Gewalt sey, konne nicht das hochste Gut des Menschen heissen. Indessen schien er ziemlich verlegen zu seyn, etwas Besseres aufzustellen, als

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durch eine kunstliche Verminderung der Ausdunstung und eine allmahliche Austrocknung des Magens zuverlassig so weit kommen konnten, bloss von Luft und Wasser zu leben; ingleichen dass das gesellschaftliche Leben und die Sprache als die zwei grossten Hindernisse unsrer Vervollkommnung anzusehen seyen,

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.Du hast wohl gethan, schone Lais, dass du mich ausdrucklich angewiesen hast, mich uber das seltsame Problem, womit dich deine gelehrte Tischgesellschaft neulich unterhalten hat, ernsthaft vernehmen zu lassen; denn ich gestehe, dass

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nach, eben dasselbe von jedem hohern, und so endlich auch von dem hochsten Gute gelten? Klingt es aber nicht widersinnig, dass das hochste Gut, bei veranderten Personen und Umstanden, das hochste Uebel seyn konnte?Die bisherige Betrachtung scheint uns das glanzende Phantom, dem wir nachgehen, immer weiter aus

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ihres Magens befriedigen zu konnen.Diese Naturmenschen machen indess, wiewohl sie vielleicht den grossten Theil des Erdbodens einnehmen, den kleinsten des Menschengeschlechts aus. Der weit grossere lebt in burgerlicher Gesellschaft, wenige in Freistaaten, wo anfangs die Noth,

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als das hochste Gut denken, und hoher gehen weder ihre Wunsche, noch ihre dermalige Empfanglichkeit. Und warum nicht? da unter den ubrigen schwerlich zehn vom Hundert sind, in deren Busen, wenn Prometheus nicht vergessen hatte ihn

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selbst in beiden Theilen schon Anstalt dazu gemacht, und dem geistigen eine sonderbare Anmuthung zu dem thierischen, diesem hingegen, trotz seiner angebornen Wildheit, eine eben so sonderbare Willigkeit sich von jenem zaumen und regieren zu lassen, eingepflanzt hat. In der That kommt in dieser Rucksicht alles darauf an,

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aber auch wohl behandelt, gut genahrt und hinlanglich gewartet werde. Sobald es merkt, dass der regierende Theil es wohl mit ihm meint, ist es folgsam und geschmeidig; wird ihm aber ubel begegnet, gleich fangt es an muckisch zu werden;

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selbst den rohesten Volkern schon in den ersten Anfangen der Cultur vornehmlich darin beweist, dass sie (wofern nicht besondere klimatische oder andere zufallige Ursachen im Wege stehen) sich selbst und ihren Zustand immer zu verschonern und zu verbessern suchen. So langsam es anfangs damit zugeht, so schnell nimmt der Trieb

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dem Menschen nennen kann. Und was konnte dieser anders seyn, als die immer steigende Vervollkommnung der ganzen Gattung, wozu jeder einzelne der einst da war, etwas (wie wenig es auch sey) beigetragen hat, und von welcher nun hinwieder jede neue Generation und jedes einzelne Glied derselben mehr oder weniger Vortheil zieht? Da

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wenn er weise ist, das kleinere Uebel um des grossern Guten willen; und eben so unterlasst er lieber ein Vergnugen zu suchen, wenn er weiss, oder sehr wahrscheinlich vermuthen kann, dass es mit mehr Unlust verbunden sey als das Gute daran werth ist. Unvermeidliche Uebel erleichtert er sich

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wir ihnen geben, oder durch unsre Vorstellungsart, glucklich oder unglucklich machen, so gewohnt sich ein weiser Mann, die Dinge ausser ihm von der angenehmsten oder doch leidlichsten Seite anzusehen. Durch diese Art zu denken erhalt er sich frei und unabhangig, wahrend dass die ganze Welt sein

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(des zweideutigsten unter den sieben Weisen) oligarchisch, d.i. die Regierung befand sich hauptsachlich in den Handen einer kleinen Anzahl alter und beguterter Geschlechter, deren Ursprung sich zum Theil in den heroischen Zeiten verlor, und

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Die Griechen nannten alle nicht Griechisch redenden Volker Barbaren, ohne auf ihre mehrere oder mindere Cultur und Policirung dabei Rucksicht zu nehmen; wiewohl sie sich auch hierin grosser Vorzuge uber die ubrigen Erdebewohner bewusst waren, und mit einer gewissen Verachtung auf alle Nicht-Griechen herabsahen. W.

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der ihnen eigenen National-Institute, einander selbst lange vorher aufgerieben haben wurden, ehe sie die hohe Stufe von Cultur erreicht hatten, wodurch sie, sogar nachdem sie selbst eine Nation zu seyn aufgehort haben,

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im Ernste gewinnen wollte." Es konnte hiebei leicht von drei Seiten gefehlt seyn. Aristipp kundigt seinen Kosmonen Staat binden, sondern uberall wie ein Fremder leben wolle, was denn freilich die eigennutzigste Art von Weltburgerschaft ware; Sokrates

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Orts so groblich sich geirrt haben sollte, lasst sich um so weniger annehmen, da beide in der Bezeichnung desselben genau zusammenstimmen. Ich sehe also weder wie dieser Knoten, wofern unsre Aristippische Briefsammlung acht seyn sollte, aufgeloset, noch

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man ihm freilich, wofern er sich nicht aus gutem Willen dazu bequemt, nicht wohl ansinnen kann, ob sie gleich im Grunde nicht muhsamer ware, als wenn Mercur und Charon beim Lucian, durch die magische Kraft etlicher Homerischer Verse

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Kunst, worin es ihm keiner seiner Mitwerber nachthun konnte, zu zeigen, auf dem Kopfe zu tanzen anfing. Das dunkte dem alten Herrn gar zu arg. Du hast dich um meine Tochter getanzt, sagte er zu dem jungen Springinsfeld; ich gebe sie dem Sohne Alkmaons. Das lasst Hippokleides sich nicht kummern, wurdig, dass sie zu einem der gemeinsten Spruchworter ward. W.

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Atheniensium, argumento quoque ingenioso: volebat namque varium, iracundum, injustum, inconstantem, eundem exorabilem, clementem, misericordem, excelsum, gloriosum, humilem, ferocem fugacemque et omnia pariter, ostendere. De la Naure in einem Memoire sur la maniere dont Pline a traite de la Peinture, ist mit dem beruhmten de Piles (Cours de Peinture p.

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Griechen, aufzulosen versucht habe. Car enfin (sagt er), un tableau allegorique du genie d'un peuple par le moyen de plusieurs groupes, qui en retracant des evenemens historiques de divers tems, marqueroient la vicissitude des sentimens populaibleau allegorique du genie de la philosophie par d'autres groupes, qui en representant des personnages historiques de differens pays et de differens siecles, indiquent la vicissitude des opinions philosophiques. Le parallele (setzt er hinzu) semble complet, avec cette difference, que le sujet caustique de Parrhasius etoit delicat a traiter: aussi Pline a-t-il insinue par le terme il vouloit, que l'execution, ou du moins le succes, furent moins heureux que l'invention. Mir scheint das volebat des Plinius nichts weiter anzudeuten, als

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Wort, insofern es nur verstandlich genug und uberhaupt so beschaffen ist, dass es unter gesitteten Menschen gehort werden kann, dunkt mich hiezu immer das schicklichste. 111 Aristophanes verspottet ofters die von Euripides in Bettlerlumpen und uberhaupt hochst lamentabel aufgefuhrten Konige.

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ist zu gross. Es wird erzahlt, dass 281 Stimmen mehr gewesen, die den S. verurtheilt als ihn lossprachen, und dass von den letztern zuletzt noch 80 gegen ihn gestimmt hatten. Diess gabe wenigstens 361 Richter, so viel wohl nie im Areopagus gewesen sind. Auch kommt in keiner

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duae picturae ejus nobilissimae, Hoplitides: alter in certamine ita decurrens ut sudare videatur; alter arma deponens ut anhelare sentiatur.

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wie es scheint) nachgesprochenen Meinung. Timanthi plurimum adfuit ingenii; ejus enim est Iphigenia, oratorum laudibus celebrata, qua stante ad aras peritura, eum moestos pinxisset omnes, praecipue patruum Menelaum, cum tristitiae omnem imaginem consumsisset, patris ipsius vultum velavit, quem digne ostendere non poterat, l.

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um damit diejenige energische Eigenschaft der menschlichen Natur zu bezeichnen, wodurch sie vermoge einer innern Nothwendigkeit ewig der hochsten Vollkommenheit entgegenstrebt, ohne sie gleichwohl jemals zu erreichen. W.

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sie es anzunehmen wurdige; aber er treibt es in dieser grossen Manier so weit, dass unsre Freundin fur nothig hielt, ihm zu erklaren, dass sie unter keiner Bedingung weder kleine noch grosse Geschenke mehr von ihm annehmen wurde. Du weisst, in

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seinen Einkunften auslangen will. Dass sie den prachtigen Vogel nicht eher, als bis es ihr selbst gefallt, aus ihrem goldnen Kafig entlassen, und hingegen fleissig dafur sorgen wird, ihre eigene Person von den verhassten Gesetzen der morgenlandischen Gynaceen frei zu erhalten, bin ich zu gewiss, als dass sie hieruber meines Rathes bedurfte. Es bleibt mir also nichts ubrig, als

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gegenwartig an unsrer Freude Antheil nehmen! Ich darf es nicht hoffen; aber ich sehe den Tag kommen, der uns in Cyrene, vielleicht enger als jemals, wieder vereinigen wird.Die schone Lais,

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der Buckligen bald gewohnen wurde lauter Hocker zu sehen. Ueberdiess kommt den Athenern zu gut, dass alles, was ein gebildeter Mensch nur immer zu sehen, zu horen und zu geniessen verlangen kann, so vollstandig und in einem so seltnen Grade von Vollkommenheit in Athen vereiniget ist,

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die Augen fallt, um so mehr in einem mildernden Lichte betrachtet, je mehr sie sich anfangs beeifern, ihm nur die schone und gefallige zu zeigen. Du wirst in den ersten Tagen eine grosse Aehnlichkeit zwischen den Athenern und Milesiern finden; sie dient aber nur, die Verschiedenheit desto auffallender zu machen,

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Bedunkens, ganz zum Vortheil der letztern ist. Doch ich will deinem eignen Urtheil nicht vorgreifen, und bin vielmehr begierig, das meinige dadurch entweder bestatiget oder berichtiget zu sehen.Vermuthlich ist dir Xenophons Anabasis11 bereits zu Gesichte gekommen, die

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auf die historische Kunst, mit dem beruhmten Kanon des Bildhauers Polyklet vergleiche, und behaupte, so musse jede Geschichte geschrieben seyn, auf deren historische Wahrheit man sich verlassen konnen soll. Die ganze Erzahlung ist wie eine Landschaft im vollen Sonnenlicht; alles liegt hell und offen vor unsern Augen; nichts steht im Schatten, damit etwas anderes desto starker herausgehoben werde; alles erscheint in seiner eigenen Gestalt und

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nach ihm kommen werden, schwer, wo nicht unmoglich gemacht, ihn hierin zu ubertreffen. Nichts kann ungeschminkter, ja selbst ungeschmuckter seyn als die naive Grazie seines Styls; nichts einfacher und anspruchloser als seine

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es zu erreichen strebte, war eines ehmaligen Zoglings und vieljahrigen Freundes des weisesten aller Menschen wurdig: aber dass er es so vollstandig in seiner eigenen Person darstellt, dabei konnte sich doch wohl, ihm selbst unbemerkt, etwas Poesie eingemischt haben.

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dem Handelsgeiste bestehen kann, denen sie ihren grossen Wohlstand zu danken haben. Zu Milet sehe ich jedermann in der ersten Halfte des Tages beschaftigt, um die andre desto freier dem Vergnugen widmen zu konnen. Der

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und die meisten darben im Alter, oder mussen zu den schlechtesten und verachtlichsten Hulfsquellen ihre Zuflucht nehmen; weil ein Athener es sich nie verzeihen konnte, wenn er einen gegenwartigen Genuss einem kunftigen aufgeopfert hatte. Diess ist ungefahr alles,

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sie selbst vielleicht eine Zeit lang dafur halten mochte? Aber was mir mein Herz schon lange weissagte, scheint bereits erfolgt zu seyn. Der magische Taumel ist voruber; das alltaglich Gewordene ruhrt sie nicht mehr; sie hat alles, was tausend andre Matronen25

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weil er immer zu wenig zu thun glaubt, und immer einen Arasambes im Kopfe stecken hat, der noch viel mehr thun mochte und konnte. Auch geht sein Eifer mir gefallig zu seyn, und mir keinen moglichen Wunsch ubrig zu lassen, bis

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das Spruchwort sagt) schwimmen zu lehren, und dir einige dieser Mittel vorzuschlagen, die ich fur unfehlbar halte! Ich sehe wohl, es liegt nicht daran, dass du sie nicht kennen solltest, du kannst dich nur nicht entschliessen Gebrauch davon zu machen; und freilich war' es eine seltsame Zumuthung, von dir zu verlangen, dass du weniger liebenswurdig seyn solltest, weil

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seine Leidenschaft gerade durch das, was andre Liebhaber gewohnlich abkuhlt, immer heisser werden muss. So lang' er noch hoffen kann, dich endlich eben so warm zu machen

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aber alles versucht hat ohne seinem Ziele naher gekommen zu seyn, was bleibt ihm ubrig? Er muss und wird endlich, vielleicht ohne sich's gestehen zu wollen, ermuden. Du wirst immer zerstreuter und kaltsinniger, er, dem deine leisesten Bewegungen nicht entgehen, immer unruhiger und

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Sokratischen Philosophen geziemen will. Da diess nicht angeht, so habe ich mich endlich doch, gern oder ungern, zu dem Mittel herablassen mussen, das du mir vorgeschlagen hast weil du nicht zu fuhlen scheinst wie unwurdig es meiner

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unter den langen schwarzen Wimpern hervorzublinzen. Aber endlich wagte sie es, mitten in der feurigsten Stelle einer Sapphischen Ode ihren schonen Kopf zu erheben, und, nachdem sie die weit offnen Augen eine kleine Weile Blitz auf Blitz hatte herum schiessen lassen, heftete sie einen so seelenvollen durchdringenden Blick

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jedem Tage schneller, und man murmelte schon im ganzen Palast davon, bevor er selbst vielleicht wusste, wie weit sie ihn fuhren konnte. Aber wer bei allem diesem mit ganzlicher Blindheit geschlagen zu seyn schien, war

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keinen Begriff davon gehabt hatte, wie liebenswurdig deine Freundin seyn konne, wenn sie Aphroditen ihren Gurtel abgeborgt hat. Was er in diesen letzten vierundzwanzig Stunden davon erfuhr, war es eben gewesen, wornach der arme Tantalus schon so lange gehungert und gedurstet hatte. Die kleine Perisane schwand dahin, wie

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eine Art grossthuiger Poltrons, die, sobald sie dem Feinde unter die Augen sehen sollen, so gut zittern als andere, welche ihre wenige Herzhaftigkeit ehrlich eingestehen. Ich habe seit kurzem eine sonderbare Erfahrung hiervon gemacht. Du weisst, dass

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Sie sagte diess mit einer so reizenden Unbefangenheit, dass es Thorheit gewesen ware ihr eine ernste Antwort darauf zu geben. Unsre letzte Umarmung war nicht ganz so warm, und dauerte nicht halb so lange als die erste. Wirklich wurde mir's schwer geworden seyn, ihr langer zu verbergen, wie

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dir so gut als einem andern etwas Menschliches begegnen kann; und noch weniger, weil du die schone Lais wieder gehen liessest wie sie gekommen war; wie hattest du es anders machen konnen? Sie ist doch wohl keine Person, mit der man ungestraft den Satyr spielen durfte?

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was nicht ganz naturlich ware, und dem weisen Sokrates selbst so gut hatte begegnen konnen wie dir. Du befindest dich in einer mondhellen Nacht allein in einem Garten; alles schlummert weit umher; Nacht, Einsamkeit und allgemeine Stille stimmen dich zu dem, was man wachend traumen nennen konnte. Der Mondschein allein versetzt uns schon in eine andere, oder vielmehr in die namliche Welt, die den gemeinen Vorstellungen vom

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, und anstatt nach Milet zu gehen, den Weg nach Rhodus genommen, meine Wohnung ausgekundschaftet, und sich vielleicht ein Vergnugen daraus gemacht habe, mich unversehens zu uberraschen. Ich antworte: alles diess war vernunftiger Weise nichts weniger als wahrscheinlich; wenn

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Einbildung es musse also ihr Geist seyn, wirkten so unendlich schnell zusammen, dass alle drei in eine einzige sinnliche Vorstellung, deren du dir klar bewusst warst, zerflossen; und, wie gesagt, eben dasselbe ware jedem andern

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junge, reiche und arme, fremde und einheimische, jedermann, der sich in guter Gesellschaft mit Anstand zeigen kann, ist gern gesehen; nur dass immer zwei oder drei mit einander kommen mussen: denn die Unterhaltungen unter vier Augen sind nur den vertrautern Freunden, lauter Mannern, die meine Vater seyn konnten, vorbehalten, und unter den jungern, hochstens Einem, den die Gotter etwa in besondere Gunst genommen haben;

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Gute fur einerlei gehalten, und also nichts fur schon habe gelten lassen wollen, wenn es nicht zugleich gut, d.i. nutzlich, ja sogar nur insofern es nutzlich sey.

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es so vielerlei, zum Theil ganz ungleichartigen Dingen beigelegt wird, dass der allgemeine Begriff, der mit diesem Worte verbunden zu werden pflegt, nicht leicht zu finden seyn durfte. Wir sagen: ein schoner Himmel, eine schone Gegend, ein schoner Baum, eine schone Blume, ein schones Pferd, ein schones Gebaude, ein schones Gedicht, eine schone That. Man sagt: dieser Wein hat eine schone Farbe, dieser Sanger eine schone Stimme, diese Tanzerin tanzt schon, dieser Reiter sitzt schon zu Pferde. Ich wurde nicht fertig, wenn ich alle die korperlichen, geistigen und sittlichen Gegenstande,

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Schonen etwas gewonnen seyn? Was gefallt, ist (deinem eigenen Gestandniss nach) nicht immer schon; aber das Schone gefallt immer, bloss weil es schon ist. Die Frage was ist schon? bleibt also noch

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Knoten zu entschlingen, der, meines Erachtens, bisher unter unsern Handen eher noch mehr verwickelt als aufgelost worden. Du musst wissen, dass dieser Speusipp, einen schwachen Anstrich von Platonischer Pedanterei abgerechnet, ein sehr feiner Jungling ist,

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Gestalt uns gefallt, schon nennen, wiewohl uns immer eines schoner als das andere daucht. Auch die Kunst zeigt uns, sogar in ihren idealisirten Werken, nur einzelne Gestalten,

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her zu verbreiten, so wurde es deiner Ruhe schwerlich zutraglich seyn, wenn du den sussen Wahn einer so grossen Menge von Aspiranten allzu lange nahren wolltest. Das Rathsamste ware also, dich selbst von der hohen Lydischen Tonart53 allmahlich zu der

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(wirst du sagen) diese unaussprechlichen Dinge sind ja eben was uns am starksten anmuthet, und woruber wir am liebsten vernunfteln oder irre reden mogen." Ich fuge mich also sowohl deinem Willen als meinem eigenen Naturtriebe,

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, die jemals gelebt haben, jetzt leben, und kunftig leben werden, daruber sammeln?" Auch ist diess sehr unnothig. Mir genugt daran, dass etwas mir schon ist; erscheint es auch andern so, desto besser; zuweilen auch nicht desto besser: denn man ist ofters in dem

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zu haben glaube.Ich nehme als etwas allgemein Wahres an, dass ein gewisser Grad von Licht, und die ganzliche Abwesenheit desselben, eine ganz lichtlose Finsterniss, die entgegengesetzten aussersten Granzen bezeichnen, innerhalb welcher das Licht allen gesunden menschlichen Augen schon ist.

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(was eben dasselbe sagt) die Grade seiner Schonheit bezeichnen wurden. Indessen lehrt die Erfahrung, dass eine gewisse Abwechselung und Mischung der hohern Grade des Lichts mit dem niedrigsten dasjenige ist, was in dem grossen Gemalde der Natur die angenehmsten Eindrucke auf uns macht. Der Grund hiervon liegt ohne Zweifel in der organischen Beschaffenheit unsers Auges, und mich dunkt, wir konnen uns dabei beruhigen, ohne tiefer in das

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und der tastenden Hand angenehmer sind als andere, hauptsachlich in der naturlichen Beschaffenheit dieser Organe gegrundet zu seyn. Warum gefallt uns eine sanftwallende Linie besser als eine gerade? warum ein Cirkelbogen besser als ein Winkel? Die Kreislinie mehr als das

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zum Gebogenen schmeichelt beiden. Daher, dass uns das leichte Wallen eines sanftbewegten Wassers schoner daucht, als die schroffen in einander berstenden Wogen des emporten Meeres; daher, dass unsre Topfer und Bildner gewisse zwischen der Kugel und dem Ei mehr oder weniger in der

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Elementen des sichtbaren Schonen gesagt habe, gilt in seiner Art auch von den verschiedenen Schwingungen der Luft, wodurch der Schall in unserm Ohr und vermittelst dieses Organs in unserm innern Sinne gewisse angenehme Gefuhle erregt; von dem majestatischen Rollen des

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zu einem einzigen leben- und seelenvollen Korper innigst verwebt ist, eine Welt voll harmonischer Mannichfaltigkeit, eine unendliche Menge von organisirten Theilen enthalt, deren jeder wieder als ein neues Ganzes betrachtet werden konnte, wenn die Werkzeuge unsrer Sinne fein und scharf genug waren, die besondern Eindrucke, die er auf uns macht, zu unterscheiden.Hier verliert sich der

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mit der unsrigen so ungeheuer gross ist; da wir hingegen alle Arten von Thieren desto schoner finden, und um so viel mehr Anmuthung zu ihnen fuhlen, je mehr die Formen

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die Augen kommt, der, unsrer Einbildung nach, nicht schoner seyn konnte als er uns erscheint. Indem wir diess zu fuhlen glauben, erzeugt sich in unsrer Phantasie ein mehr oder weniger klares Bild dieser hohern Schonheit, welches wir (dunkt uns) sogleich darstellen konnten, wenn

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oder haben konnten. Im Gegentheil eine schone That erscheint uns desto schoner, je mehr Selbstuberwindung und Aufopferung eigener Vortheile sie erfordert, und unser besonderes Ich kommt dabei so wenig in Betrachtung, dass, wofern der Mond

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es zu verdienen scheint, dass du ihm hierin zur vollstandigsten Ueberzeugung verhelfest.Deiner Einladung zur Feier der bevorstehenden Poseidonien in Aegina (denn dafur darf ich doch wohl ohne mir zu viel zu schmeicheln die Frage am Schluss deines Briefes nehmen?)

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Den Vorsatz trage ich schon lange mit mir herum, und soll er jemals ausgefuhrt werden, so muss es jetzt geschehen, da die Entfernung von dir schon so gross ist, dass etliche tausend Parasangen mehr oder weniger keinen sonderlichen

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sey, verliert gar bald seinen sussesten Reiz, und eine geheime Unruhe, deren Ursache wir uns nicht immer bewusst sind, treibt uns zu neuen Gegenstanden. Am dritten Morgen kam

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zu Lemnos entdeckt zu werden, etliche Monate sich in Waldern und Bergkluften verbergen, und sein Leben kummerlich mit rohen Wurzeln und wilden Fruchten habe fristen mussen, und wie er endlich unverhofft in einem Schiffe aufgenommen worden, das fur Byzanz befrachtet war,

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vor Gericht abgelaugnet, aber, nachdem er frei gesprochen worden, das Gedicht als sein eigenes Werk mit grossem Beifall bekannt gemacht habe. Dieser Handel, sagte man, hatte dich so tief gekrankt,

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Gotter, wofern Gotter waren, einen solchen Frevel unmoglich ungestraft lassen konnten, so mussten nur gar keine Gotter seyn. Das ist lustig, sagte Diagoras: man muss gestehen, fur ein so witziges Volk,

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man sich geneigt fuhlte, selbst die ungereimteste Erklarung, die ein solches Wunder einigermassen begreiflich machte, fur gut gelten zu lassen.Dir, versetzte Diagoras, hoffe ich,

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auch Vergnugen daran fand, mich in seinen eigenen Mysterien einzuweihen, welche mir, wie du gerne glauben wirst, eine ganz andere Befriedigung gaben als die priesterlichen, womit ich einige der besten Jahre meines

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noch von ganz rohen Naturmenschen, oder richtiger gesagt, Thiermenschen bewohnt war. So lange der Mensch auf dieser untersten Stufe steht, kann man von ihm so wenig, als von irgend einem andern Thiere, sagen, dass

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an meinem ganzen Leibe empor richteten. Aber freilich wird der Eindruck, den diess allenfalls auf ein weiches Gemuth machen konnte, durch den geheimen Unterricht, den man bei der zweiten grossen Weihe empfangt, wieder rein ausgeloscht. Daher, sagte Demokritus, wurden ehmals keine andern zu dieser hohen Weihe zugelassen, als Manner, die man stark genug glaubte starke Wahrheiten zu ertragen, und edel genug, sie gehorig zu gebrauchen. Ueberdiess zweifle ich nicht, dass die zweite Initiation bei

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zugebe, versetzte ich, was du mit vieler Scheinbarkeit von den drei Epochen der Religion unserer Vater gesagt hast, was gewinnt sie dabei in ihrem dermaligen Zustande? Wir leben in einer vierten Epoche, wo kein gebildeter Mensch mehr an Gotter glaubt die nie gewesen sind, und unsre eben so unglaubigen Priester, mit den reichen Einkunften,

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der Opferthiere nimmt, ist, wenigstens auf Seiten unsrer burgerlichen Obrigkeiten und Kriegsbefehlshaber, pure Heuchelei, und kann also weder Gehorsam gegen gottliche Winke noch Zuversicht auf gottlichen Beistand wirken. Man hat schon lange Mittel gefunden, die Pythia sagen zu lassen was man

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einmal in unsrer Natur, sobald sich uns etwas als ausser uns darstellt, zu glauben es sey, und wissen zu wollen, was und woher und wie und warum es ist. Das kurzeste Mittel, sich hieruber zu beruhigen, schien den Menschen von jeher zu seyn wenn sie Gotter glaubten, in deren Macht und

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sich zum wirklichen Anschauen dieser himmlischen Naturen zu erheben scheint, selbst Pindars machtiger Adlersflug sich nicht hoher aufzuschwingen vermocht hat. Oder bedarf es etwa hiervon eines starkern Beweises, als dass es ja eben der Homerische

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in meinem gerechten Unwillen so lange bei einer Sache verweile, woruber wir, deiner anscheinenden Gleichgultigkeit ungeachtet, unmoglich verschiedener Meinung seyn konnen. Ich kann dir nicht ausdrucken, wie angenehm es mir ist, dich wieder mitten in der schonen Hellas zu wissen, in welcher ich noch immer durch die Erinnerung zur Halfte lebe. Mir

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sie uns dadurch zu erkennen geben.Ich fange an sehr lebhaft zu fuhlen, dass uns beim Eintritt in die mannlichen Jahre, eine bestimmtere Art von Beschaftigung immer unentbehrlicher wird. Ohne gerad' eine formliche Schule zu

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dieser Herablassung zwei gleich sonderbare und interessante, wiewohl sehr von einander abstechende Bekanntschaften zu danken; die eine mit einem ausgemachten, ubrigens sehr verstandigen und witzigen Narren;

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, oder vielmehr da sie bereits zu erwachen angefangen, kunstlicher Ausbildung und strenger Uebung eben so nothig haben als die korperlichen; kurz, er kommt mit dem ruhmlichen Vorsatz zu dir, nicht eher abzulassen,

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er noch unverstuckelt und unverbildet in deine Hande kommt, wie ein schones Stuck rohen aber feinkornigen Marmors, woraus du, als ein geschickter Bildner, jede schone Form hervorgehen machen kannst; da hingegen selbst Praxiteles

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selbstsuchtigen Absichten weggesetzte Manner; auch erhielten sie daher die allgemeine Billigung. So lange diese unsern kleinen Staat besorgen, und vornehmlich so lange Demokles und Aristagoras an ihrer Spitze stehen, und die ihnen anvertraute hochste Staatsgewalt so gesetzmassig und mit so grosser Weisheit und Eintracht handhaben wie bisher, wird der sichtbar zunehmende Wohlstand unsers Gemeinwesens und unsrer Burger aller Classen die Verfassung selbst immer mehr befestigen, und einen Ruckfall in unsre ehemaligen Uebel unmoglich machen. Die naturlichste Folgerung, die du, lieber Aristipp, aus Vergleichung des glucklichen Zustandes unsrer Vaterstadt mit dem politischen und sittlichen Verfall von Athen ziehen konntest, will ich dir selbst uberlassen. Lebe wohl, und liebe deine Abwesenden,

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(die ihm beide gleich unbekannte Gottheiten sind), zum erstenmal verstattet wurde! Seine ohnehin etwas weit hervorstehenden Augen wurden plotzlich noch einmal so gross, und die seltsamen Gebardungen, womit er die

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meinem Scharfblick zuvorzukommen, in hochstem Vertrauen entdeckt. Ich stellte mich uberrascht, versprach ihnen aber alle guten Dienste, die sie nur immer von mir erwarten konnten. Das Madchen macht wirklich grosse Fortschritte, und hat mir noch ganz kurzlich Platons Ideen so artig vorpoetisirt, dass ich sie beinahe fur mehr als blosse Hirngespenster halten mochte, wenn's nur irgend moglich ware. Sie besitzt eine ganz eigene Ahnungsgabe fur

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einen so lange erharrten Brief von meinem Kleonidas uberbrachte; wiewohl ich gestehe, dass er keiner andern Empfehlung bedarf, als sich bloss zu zeigen. Ich bin wirklich stolz darauf, einen so unverdorbenen, kraftvollen und vielversprechenden Sohn der

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aus seinem geliebten Alcibiades keinen Perikles bilden. Doch, wozu das alles, was du so gut weisst als ich. Denn gewiss wolltest du mit der Bildung deines jungen Freundes, die du mir auftragst, weder mehr noch weniger sagen, als was ich dir zu leisten versprach, und zu halten gedenke und das ist genug.Ohne Zweifel erinnerst du dich

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ihnen in gar keinem Stucke gleich stellen wollte, wurde ihnen nothwendig, im mildesten Lichte betrachtet, als ein ausgemachter Narr erscheinen mussen. Diess ist gewissermassen der Fall dieses Diogenes; mir wenigstens scheint er unter seiner Narrenkappe einen gesundern Kopf zu bergen, als die meisten, die durch die leicht zu machende

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ihrer Spitze steht, Philosophen nennen, kunftig eine bedeutende Rolle spielen durfte, so ist es dir vielleicht nicht unangenehm, wenn ich dich, so weit meine dermalige Kenntniss von ihm reicht, etwas naher mit ihm bekannt mache. Er war (wie es scheint, und

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hat, ziemlich sicher seyn kann, wie viele Nachtreter er selbst auch immer finden mochte, doch so leicht von keinem erreicht, geschweige ubertroffen zu werden.Es klingt paradox genug, hat

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solche Art geschieht, dass sie mitlachen konnen, und der Spotter ihnen hinwieder Blossen genug gibt, um ihn mit gleicher Munze zu bezahlen; so hat er sich dadurch bereits eine Art von Popularitat erworben, die ihn wenigstens vor dem

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Grundsatze so weit zu gehen, als sie ihn fuhren konnten. Er spricht freier als er handelt, ist besser und verstandiger als er scheinen will; und wiewohl er eine eigene Freude daran hat, in den seltsamen Bockssprungen,

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sollte; warum sollten wir uns also nicht bei unsrer bisherigen Gewohnheit erhalten konnen, ich von ihm offentlich immer mit der Achtung, die man grossen Talenten schuldig ist, er von mir gar nicht mehr zu reden?

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eine Nachfrage gekommen ist, so sie niemals, wahrend er selbst noch lebte, gehabt hat. Diese Leute mochten gehort haben, dass Prodikus und andere beruhmte Sophisten sich fur ihre Vorlesungen ziemlich theuer hatten bezahlen lassen; oder glaubten vielleicht, was man umsonst weggebe, musse wenig werth seyn; oder hielten es auch wohl fur unbillig, einem

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mir, sagten sie. Weil ich wirklich ungern an die Sache ging, hoffte ich sie endlich dadurch abzuschrecken, wenn ich einen sehr hohen Preis auf meine Waare setzte. Ich erklarte mich also zuletzt: ich getraute mir allerdings ihnen alles, was ich in drei Jahren von

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Freunden ein prachtiges Gastmahl gabe; denn die zwolf Discurse, in welche ich die ganze Philosophie des Sokrates zusammen zu fassen gedachte, wurden den Mann nicht weniger als zwolf Dariken kosten. Dafur sollte jeder zugleich eine Abschrift dieser Discurse erhalten, jedoch unter der ausdrucklichen Bedingung, sie entweder ganzlich fur sich

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unter der namlichen Bedingung, irgend einer andern Person zukommen zu lassen. Was ich verlange (setzte ich hinzu) ist viel oder wenig, je nachdem ihr das, was ihr dafur bekommt, anwenden werdet. Als blosse Speculationssache gabe ich selbst

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ein fur allemal funfhundert Drachmen zu meinem festgesetzten Preise gemacht. Ein einziger, und zwar einer der reichsten Manner in ganz Attika, der mir (vermuthlich ohne recht zu wissen was er that) seinen einzigen Sohn ubergeben wollte, fand den Preis zu hoch; dafur, meinte der Ehrenmann, konne er sich ja einen tuchtigen Sklaven kaufen. Das thue doch ja, sagte Antipater, der dabei stand, laut lachend, so hast du ihrer zwei, ohne

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, sondern sogar in uberhimmlischen Gegenden, wovon sich bisher noch niemand etwas traumen liess, umherschwarmen und von den unaussprechlichen Undingen, die sie da gesehen und gehort haben will (unverstandlich genug), reden lasst; der andere hingegen, aus

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Possenspielchen, worin er den ehrlichen Sokrates (der jetzt alles ungestraft aus sich machen lassen muss, wozu man ihn brauchbar findet) bald mit diesem bald mit jenem unsrer ehmaligen Sophisten in eine possierliche Art von dialektischen Zweikampfen zusammen hetzt.

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, alles gebrauchten Ernstes ungeachtet, schlechterdings unmoglich zum Ziel seiner Wunsche zu gelangen. Wie unbegreiflich ihm auch ein solches Ungluck scheinen musste, da er wenigstens sich selbst keine Schuld geben konnte, so ging es doch in der That ganz naturlich damit zu;

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. Wenigstens setzt sie jenen in eine starke Versuchung, sich eine dem Auge schmeichelnde geschwinde Manier anzugewohnen, und kunftig mehr fur den scharmerischen Beifall des freigebig bezahlenden Liebhabers, als fur das ruhige Wohlgefallen des streng urtheilenden Kenners zu arbeiten.Eine unsrer schonsten Hetaren hat sich indessen wohlfeil genug in den

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ihrer Hohe eben so geschwinde wieder herabsturzen zu sehen, als sie sich in ihrer voreiligen Einbildung, die der Realitat immer tausend Parasangen zuvorlauft, emporgeschwungen hatten. Antalcidas105, einer der geschicktesten Staatsmanner und feinsten Unterhandler, welche Sparta besitzt, ist zu diesem Ende bereits an das konigliche Hoflager abgegangen, und

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(die ich desswegen in ein zusammenhangendes System zu bringen genothigt war) zu verstehen ist. Denn ich glaube einen Unterricht dieser Art, wobei ich mich gewissermassen als einen bloss mechanischen Arbeiter gebrauchen und zum blossen Sprachwerkzeug eines andern machen lassen muss, mit Fug und Recht eben so gut zu Geld anschlagen zu konnen, als

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zu Werke geht. Das Beste ist, dass beide bei denen, die dich und mich personlich kennen, schwerlich in den Ruf grosser Portraitmaler kommen werden.Das zweideutige Mahrchen von der hohen Abkunft des Sohnes der edeln Periktione geht wirklich schon seit einiger Zeit unter seinen Verehrern herum, so wie unter den Athenern uberhaupt ein heimliches

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unruhigen Meere herumtreibenden Schiffe hausete; und je mehr ich den dermaligen Wohlstand meiner Vaterstadt mit dem heillosen Zustande der Athenischen Ochlokratie vergleiche, desto mehr Starke gewinnt der geheime Hang, der uns immer, auch

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unter Fremden wohl geht, nach dem Orte zieht, wo wir uns eigentlich zu Hause fuhlen, wo unsre angebornen altesten Freunde leben, und die Erde selbst uns naher als anderswo verwandt zu seyn scheint, und etwas so anziehend Heimisches fur

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durch die blosse Gutartigkeit meiner Natur zuziehe; eine Tugend, welche unsre edeln Korinthischen Matronen sich schlechterdings nicht zu erklaren wussten, wenn sie ihr nicht die einzige Unterlage gaben, die ihnen (vermuthlich aus eigener Erfahrung) bekannt ist. Wirklich hat das seltsame Abenteuer,

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hatte ihm schon in Rhodus, wo er unterwegs anlandete, nicht verhalten, dass er zu Korinth grossere Schwierigkeiten finden wurde als er sich einzubilden schien. Man schilderte ihm in der Schonen, auf deren Hulfe er so sichre Rechnung machte, eine eben so stolze als reiche Hetare, deren Thur von der edelsten Jugend der ganzen Hellas vergeblich belagert werde; es ware, sagte man, eben so leicht, den

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Wunder verrichten konnte; ihr Name lag beiden auf der Zunge; aber er gehorte unter die unaussprechlichen Worte. Wer durfte der weisen Lais ansinnen, sich selbst zum Opfer der albernsten aller albernen Grillen des unartigen Bastards des Porus und der Penia114 darzustellen? Und wie war zu hoffen, dass sie sich aus blosser Menschlichkeit von freien Stucken zu einer so zweideutigen Heldenthat entschliessen wurde? Beide sahen einander mit einverstandenen

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Skopas so wenig als moglich gemein zu haben, ausserst matronenmassig angezogen; uberdiess schien ich merklich grosser und stammiger und wenigstens zwanzig Jahre alter zu seyn,

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Genesung des jungen Aspendiers bestatigte sich, sobald sich dieser mit seinem Vertrauten wieder allein befand. Kannst du dir vorstellen, sagte er zum Arzt, dass mir beim ersten Anblick der Frau dieses Hauses beinahe etwas Albernes begegnet ware? Ich bemerkte wohl, erwiederte

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deine Schonheit bereits gethan hat, vielleicht das grosste scheinen, wenn es wirklich ein grosseres Wunder ware, dass dein Bild einen jungen Aspendischen Schwachling rasend machte, als dass du selbst schon mehr als Einen

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hatte, sage ich, die Gottin des Zufalls diess alles nicht mit dem zarten Billigkeitssinn und dem philosophischen Vorwitz der schonen Lais so fein zusammengewebt, so wurde wahrlich so wurde Aristipp das Vergnugen nicht gehabt haben, seine Freundin einen ganzen Monat fruher zu sehen! Aber womit hat denn Aristipp verdient, auf so vieler wakkerer Leute Unkosten ganz allein und unentgeltlich die susse Frucht ihrer

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, so wenig verandert, dass ihre Schonheit vielmehr noch immer im Zunehmen zu seyn, und sogar von dem frischen Glanz der ersten Jugend nichts verloren zu haben scheint. Doch auch diess ist vielleicht nur ein tauschender Schluss von

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wolle, gewiss ist dass ich sie noch nie so ausserst liebenswurdig, nie in einer so sanften, beinahe mocht' ich sagen zartlichen Stimmung gesehen habe, als in den ersten Tagen unsrer Wiedervereinigung. Sie schien sich nur in dem einfachsten landlichsten Anzug zu

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mir Kummer daruber zu machen, wie lang' es dauern werde. Aber wenn ich sage, dass in einer einzigen Dekade wie diese mehr Lebensgenuss ist, als in neunzig Jahren, wie man gewohnlich zu leben pflegt, so glaube ich keinen ubermassigen Werth auf sie gelegt zu haben.

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den Zoglingen unsrer Freundin vorzuwalten, wodurch ihm (wofern ich recht beobachtet hatte) die Tugend der Selbstuberwindung freilich so sehr erleichtert wurde, dass sie beinahe aufhorte verdienstlich zu seyn.Euphranor ist ein eben so gelehrter als geschickter Kunstler; Bildner und Maler zugleich, beiden Kunsten mit gleicher Liebe zugethan, und in beiden gleich stark; was vielleicht Ursache seyn konnte, dass er in keiner die hohe Stufe der Vortrefflichkeit und des Ruhms erreichen wird, die ihm nicht fehlen konnte, wenn er sich einer von beiden allein widmete. Sein

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ihr so ganz neuen Betragen wirklich fuhlt; gewiss ist, dass man an dem ihrigen gegen ihn nicht das geringste Zeichen, dass sie sich dadurch beleidigt finde, bemerken kann. Je mehr sie sich ihm nahert, je vorsichtiger zieht er sich zuruck, und je mehr er sich zuruckzieht, desto eifriger verdoppelt

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Acht zu geben, sondern bloss das seinige zu spielen, und es ware seltsam genug, wenn eine so geubte Meisterin, mit so grossen Vortheilen in der Hand, zuletzt doch das Spiel an einen so unerfahrnen Gegner verlieren sollte. Dein junger Landsmann, sagte sie einsmals zu mir,

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Meleagers125, zugleich so trotzig und so schuchtern gesehen wie ihn. Er ist eine wahre Seltenheit. Nicht dass er mir darum weniger gefiele, fuhr sie lachelnd fort: aber meine narrische Phantasie hatte sich voreiligerweise auf etwas ganz anders eingerichtet als ob alle jungen Cyrener so dreist und zuversichtlich seyn mussten, wie

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in einer neuen Gestalt, bald im Glanz einer morgenlandischen Furstin, bald in der kunstlich nachlassigen uppigen Zierlichkeit einer gefalligen Milesierin; sie dramatisirte sich selbst in alle mogliche mythische Personen, und entwickelte in prachtigen Tanzspielen ihre feinsten Verfuhrungskunste als

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allem was vorging so ruhig, und schien eine ihm so naturliche Rolle zu spielen, dass ich mich endlich gezwungen sah, entweder das seltsame Problem unaufgelost zu lassen, oder anzunehmen, der junge Mensch besitze bereits so viel

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Zeiten ihrer hochsten Glorie zu versetzen. Von drei oder vier Kreisen hoffender und betrogener Anbeter umgeben, lebt sie wie eine unumschrankt regierende Konigin unter ihren Hoflingen, verschwendet das Persische Gold wie eine achte Griechin, und findet sich reichlich entschadiget, wenn

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, dieses kleinen Umstandes wegen, dem jungen Neokles vorkommen musste.Es traf sich damals eben glucklicherweise, dass die Gesellschaft viel kleiner war, als sie gewohnlich bei unsrer gastfreien Freundin zu seyn pflegt. Ausser

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die den eigenen Charakter der Muse dieses komischen Dichters ausmachen, mit der feinen Schalkheit einer allenthalben durchschimmernden Ironie, so meisterlich nachgeahmt zu finden glaubte, dass Aristophanes selbst es schwerlich besser hatte machen konnen. Praxagoras

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, die lasterhaften und hassenswurdigen Personen, die sie uns darstellen, immer so zu schildern, dass es uns unmoglich ware, ihnen nicht, mehr oder weniger, gut zu seyn wie der Fall wirklich beim Alcibiades des

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eine etwas genauere Zergliederung desselben herbei, die uns beinahe das einhellige Gestandniss abdrang: dass diese so allgemein bewunderte Composition mehr einem bunten morgenrothlichen Duftgebilde als einem festen und bewohnbaren Gebaude ahnlich sey.

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diese Absicht wirklich hatte, lasst das ironische Lob, welches Sokrates der so zierlich gedrechselten und prachtig herausgeputzten Puppe ertheilt, nicht bezweifeln.Dieser, nachdem er seine Bedingungen mit den ubrigen Symposiasten gemacht hat, nimmt nun das Wort, und verwandelt den ganzen, mit so schwarmerischem Beifall aufgenommenen

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Sokrates diese schonen Dinge, zu deren Kenntniss ein Sterblicher mit blosser Hulfe seiner funf Sinne und seiner Vernunft nicht gelangen kann, in seiner eigenen Person vorbringen zu lassen. Er machte also, mit eben dem feinen Sinn fur das Schickliche, womit er die komische Hypothese von den Doppelmenschen dem Aristophanes beilegt, den Sokrates zum blossen Erzahler einiger zwischen ihm und einer gewissen Seherin Diotima vorgefallener Gesprache uber die wahre Natur der

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Mystagogin135 ihrem gelehrigen Schuler ertheilt, eben denselben Doppelsinn wieder finden, worin (wie Aristipp bereits bemerkt hat) die Worter Eros und eran in diesem ganzen Dialog zwischen den zwei sehr heterogenen Bedeutungen der reinen Liebe und des blossen Begehrens immer hin und

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. Das kame auf eine Probe an, mein junger Freund. Von dir selbst mag was du sagst immerhin gelten; denn in der That scheint dir weder der himmlische noch der Allerwelts-Amor, noch irgend ein anderer wofern es ihrer noch mehrere gibt, bisher weder eine Stunde

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es noch mehrere Amorn gibt," sagtest du, und konntest damit nichts anders sagen wollen, als dass es ihrer wirklich nicht nur viele, sondern unzahlige gibt, fur welche man, wenn jemals die Erotik136 zu einer vollstandigen Wissenschaft erwachsen sollte, eben so viele besondere Namen erfinden musste.

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selbst, bloss weil es schon ist, liebt, d.i. inniges Wohlgefallen daran hat, und daher im blossen Anschauen desselben, ja sogar in dem blossen Gedanken dass es ist, schon Nahrung genug findet, um ewig dabei ausdauern zu konnen; so

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Geliebten die grossten Opfer ohne alle Rucksicht auf eigenen Vortheil oder Lohn zu bringen willig ist, nie gefehlt hat noch kunftig fehlen wird: und wer so weit gehen wollte, das innerliche Vergnugen, das von dergleichen Gesinnungen und

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Rechnung des sympathetischen Instincts der beiden Androgynischen Halften zu setzen, was hingegen bloss aus dem unsrer edlern Natur wesentlichen reinen Wohlgefallen am materiellen, geistigen und sittlichen Schonen zu erklaren sey; und endlich, welche

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die, wahrend diess mit ihr vorging, immer ruhig fortgeschlummert hatte, erwacht endlich und erstaunt nicht wenig, sich, ohne zu wissen wie, an einem Ort zu finden, wo ihr alles was sie sieht, neu und fremd

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bist hier unumschrankte Gebieterin; unsichtbare Hande werden dich bedienen, deinen leisesten Wunschen zuvorzukommen suchen, und jeden deiner Winke aufs schleunigste vollziehen. Durch einen so schmeichelnden Zuruf beherzt gemacht, ging sie in den Palast hinein, und gerieth ganz ausser sich vor

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den Unsichtbaren aufgesetzt und wieder abgetragen wurden, wahrend die lieblichste Musik, von gleich unsichtbaren Sangerinnen und Saitenspielern aufgefuhrt, ihr Gemuth wechselsweise bald in eine frohliche bald wollustig schmachtende und unbekannte Freuden ahnende Stimmung setzte. Endlich

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folgte, glich in allem der vorigen; und eben so war es mit einer Reihe folgender Tage und Nachte. Die unsichtbaren Dienerinnen wussten den Unterhaltungen, die sie ihr verschafften, immer den Reiz der Neuheit zu geben; der unsichtbare Liebhaber wurde immer verliebter, und Psyche gewohnte sich unvermerkt an das Wunderbare ihres Zustandes so gut, dass

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Weiber hatte schmeicheln wollen, so gebardete ich mich nun desto seltsamer, je mehr ich zu fuhlen anfing, dass ich von so verfuhrerischen Anlockungen nur zu leicht getauscht und unvermerkt in eine hoffnungslose Leidenschaft verstrickt werden konnte. Ich

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paar Tage darauf ein naturliches Wunder, wovon gleichwohl niemand von denen, die um die geheime Entfuhrung wussten, uberrascht zu werden schien; der schone Kleophron beschenkte namlich seinen Platonischen Liebhaber mit einem wunderschonen Knablein, dem zu einem kleinen Amor nichts

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aller Art umgeben, dass es fur die Ehre unsers Geschlechts allerdings nothig scheint, dass wenigstens Einer sie fuhlen lasse, es sey nicht unmoglich die Beruhrung ihres Zauberstabs unverwandelt auszuhalten.So eben ist Eurybates auf etliche wenige Tage heruber gekommen. Da

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sie zu setzen scheint als insofern sie ihr zu Befriedigung ihrer Eitelkeit dienlich sind, so lauft sie Gefahr, endlich auch den zu verlieren, welchen andere darauf zu setzen bereit waren. So sprechen wenigstens diejenigen von ihren

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ins Garn treibt, mit aller moglichen Gewandtheit zu benutzen weiss. Wenigstens ist diess dermalen der Fall mit einem der reichsten Thessalier, der vor kurzem in Aegina erschien, und in wenig Tagen schon Mittel fand, alle seine Mitwerber weit zuruck zu

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den Sieg schwer genug machen wird; aber ich zweifle eben so wenig, dass sie schon entschlossen ist sich besiegen zu lassen. Beide scheinen einander bereits auf den Wink zu verstehen. Dioxippus

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zu Boden ringen konne. Ich habe der Versuchung nicht widerstehen wollen, die zwei auf einander folgenden Augenblicke, von welchen diess vorzuglich gilt, in den zwei Gemalden darzustellen, die du zugleich mit diesem Brief erhalten wirst. Ich habe ihnen noch zwei andere beigelegt, wovon die Scene in meinem eigenen Hause liegt, und die, wie ich gewiss bin, eben dadurch desto mehr Anmuthendes fur

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ich nicht umhin konnte ihr einige Anleitung zu geben. Sie hat bereits ziemliche Fortschritte gemacht, und ist, wie du siehest, auf gutem Wege, ihrem Lehrmeister gerade darin, worin er sich etwas geleistet zu haben schmeichelt, den

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der so grosse Vorzuge in sich vereinigte, und sie doch nicht langer als zwei Jahre fest halten konnte. Ihr andern edeln Sohne von Korinth werdet ja auch noch an den Reihen kommen; wenigstens hat sie euch lange genug umsonst dienen lassen, oder

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, so wohl gefalle, dass sie noch nicht ans Wiederkehren denken konne. Sie scheint sehr wohl mit den edeln Thessaliern, aber desto schlechter mit dem weiblichen Theile der Nation zufrieden zu seyn; sie findet die Weiber dieses Landes weder schon noch geistreich und gebildet genug, um

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dass wir nie hoffen konnten sie von dem allgemeinen Loose der Menschheit ausgenommen zu sehen, billig zu unsrer Beruhigung hinreichend seyn.Nach dieser kleinen Vorrede, lieber Aristipp,

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zu seyn scheint, der gewohnliche Ausdruck ihres Gesichtes ist, und eigentlich nichts weiter sagt, als dass sie sich immer in einem Zustande von Besonnenheit und reiner Zusammenstimmung mit der ganzen Natur befindet. Sie ist immer in sich selbst ruhend, aber immer bereit sich mit

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alles auf idealische Vollkommenheit hinaufschraubt, konnte mir doch einen zwiefachen Nutzen schaffen: einmal, insofern es gut und sogar nothig ist, das Hochste, wornach man streben soll, wenn man es gleich nie erreichen wird, wenigstens zu kennen, damit man den festen Punkt immer im Auge

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Freiheit selbst vorziehen. Diess ist leichter zu bewerkstelligen als man glaubt; denn diese Classe von Menschen fuhlt den Werth der Freiheit nicht eher, als wenn ihnen die Dienstbarkeit ganz und gar unertraglich gemacht wird. In seinem Hause herrscht Ordnung ohne

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und Kleonen steht, von welchen leicht vorauszusehen war, dass die personliche Bekanntschaft sie sehr bald in ein besonderes Verhaltniss setzen wurde. Der erste Augenblick war wirklich so schon, dass ich ihn mochte malen konnen. Eine sichtbare Freude, einander gerade so zu finden wie jedes sich das andere gedacht hatte,

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Dinge zu sehen und zu nehmen, dass sie ihre Seelen mit einander vertauschen konnten ohne es gewahr zu werden, oder dass wenigstens die Mannheit und Weibheit den einzigen Unterschied zwischen ihnen zu machen scheint. Naturlicherweise fuhlen sie sich also fur einander bestimmt, und

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zu keiner schimmernden noch larmenden Rolle berufen: aber wohl dem Staat, wohl den einzelnen Menschen, denen ihre Lage vergonnt, unbemerkt und unbeneidet glucklich zu seyn! Unsere Republik ist dermalen in dieser Lage, und sie darin erhalten zu helfen,

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Kleonidas die glucklichste der Weiber war, gleichwohl nahe daran bin, durch die Verbindung unsers Aristipps mit der einzigen Schwester meines Mannes, einem sehr liebenswurdigen, guten und talentvollen Madchen, noch glucklicher zu werden.Ich glaube nicht, dass ausser Kleonidas und mir selbst jemals zwei so genau zusammenpassende Halften einander gefunden haben,

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Das Schonste dabei ist, dass sie einander so herzlich gut sind und so inniges Wohlgefallen an einander haben, ohne dass man die geringste Spur der brausenden, schwarmerischen und (mit Aristipp zu reden) tragikomischen Leidenschaft, die man gewohnlich Liebe nennt, an ihnen gewahr werden kann. Sie lieben einander, scheint es,

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, das sagt jedermann; und so uberschlich er sie einst, da sie in einer Gartenlaube allein zu seyn glaubte, und an einem kleinen Bilde arbeitete. Kleonidas machte sich unbemerkt wieder fort, ging in sein Arbeitszimmer und setzte sich auf

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, und siehe! da kommt Aristipps Kopf, so wohl getroffen dass er sich unmoglich misskennen kann, zum Vorschein, und zeigt sich als den Gegenstand der gefuhlvollen Miene, womit die junge Malerin ihn zu betrachten scheint. Hatte sie Aristippen auf eine angenehmere Art uberraschen konnen als mit

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jenem die schonste, diesem die ertraglichste Form zu geben; jenes zu reinigen, zu veredeln, zu erhohen; diesen, wenn er nicht ganzlich zu stillen ist, wenigstens zu besanftigen, ja (was in manchen Fallen angeht) sogar zu Vergnugen umzuschaffen.Antipater hat dich ohne Zweifel schon benachrichtigst,

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und zur angenehmsten Befriedigung der Sinnlichkeit dient, von irgend einem Volke ubertroffen wurden. Sie nennen diess gut leben, und gehen darin von dem Grundsatz aus: das menschliche Leben sey so kurz und ungewiss, dass es grosse Thorheit ware, sich den gegenwartigen moglichsten Genuss desselben zu entziehen, um desto mehr Vorrath fur

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, und unsre Cyrener gewinnen unvermerkt allen Musenkunsten immer mehr Geschmack ab. Man hort schon in mehrern reichen Hausern bei grossen Gastmahlern, statt bezahlter Lustigmacher,

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wir angreifen konnten, um unsre Stadt zu verschonern, und unsre Burger durch prachtige Feste und kostbare Lustbarkeiten bei guter Laune zu erhalten. Unsre Republik hat sich also begnugt, die beiden offentlichen Gebaude, worin die Musen

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haben, auffuhren zu lassen, und jahrliche Preise fur diejenigen zu stiften, denen die offentliche Meinung in den Wettstreiten, wozu am Feste der Cyrene145 die verschiedenen Musenkunstler zusammen kommen, den Sieg zuerkannt hat. Alle Unkosten unsrer Schauspiele hingegen werden mittelst einer massigen

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Dichterlinge aus unserm eigenen Grund und Boden aufschiessen zu sehen, wirst du sehr naturlich finden. Die ersten Versuche, die von zwei oder drei jungen Cyrenern in der tragischen Kunst gemacht worden sind, haben freilich die Tragodien

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und die niedrigsten Classen euers suveranen Pobels, und uberdiess grosstentheils fur die Zeitpunkte ihrer Auffuhrung berechnet, dass sie, wofern auch sonst nichts Erhebliches gegen sie einzuwenden ware, dennoch bloss aus der Ursache, weil sie unserm Volk unverstandlich seyn wurden, nicht auf unsern Schauplatz gebracht werden konnten. Jedes

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zum Theil bereits aufgehort. Wir Cyrener werden also entweder ohne Komodie bleiben, oder uns, wie gesagt, eine eigene erschaffen mussen. Das letztere wird nicht schwer seyn; denn sobald man der Komodie, statt des Lachens

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Statten, vermoge dessen zwei Bruder niemals weder im Senat noch andern hohern Stellen, zu gleicher Zeit Sitz haben konnen. Dagegen gibt es mancherlei mehr und weniger bedeutende, mit der innern Polizei der

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Fall, lieber Eurybates, dass dir dieser vielleicht allzu weitlaufige Bericht uber einen so wenig bedeutenden Gegenstand, als mein kleines Cyrenisches Ich ist, etwas lange Weile gemacht haben sollte, ist es nicht mehr als billig, dass ich dich mit einer kurzweiligen Zugabe dafur entschadige.Hattest du dir wohl einfallen lassen, dass

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sonderlich; indessen wer immer zwei Schritte vorwarts gegen Einen ruckwarts macht, kommt zuletzt doch ans Ziel. Kurz und gut, der Bau wurde fertig, und es war grosser Jubel in ganz Abdera, und anstatt zu klagen dass er so viel kostete, thaten sich unsre Burger viel darauf zu gute;

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Italien zu bereisen, und dann in seine liebe Vaterstadt zuruckzukehren; ungefahr so klug als er ausgezogen war, aber so reich an Dingen die er gesehen und gehort hat, dass er seinen Abderiten sechzig Jahre lang genug zu erzahlen haben wird. Er verlasst sich darauf (und ich stehe ihm dafur) dass seine Mitburger grosse Freude an

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und Missbrauch schadlich werden kann; da hingegen die seinige geraden Weges zu einer Art von Schwarmerei fuhrt, deren naturliche Folgen, ausser seiner Wolkenkuckucksheimischen Republik, allenthalben verderblich seyn wurden.Lebe wohl, mein edler Freund,

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, das konnte doch wohl einen Weiberkopf, der nie auf grosse Weisheit Anspruch gemacht hat, ein wenig aus der Fassung bringen? Ich weiss nicht, ob dir Xenophons Cyropadie bereits zu Gesichte gekommen, da es noch nicht lange ist, dass Abschriften davon bei den

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ist, warum sollt' es der schonen Lais nicht eben so wohl begegnen konnen? Welche Sterbliche hat Aphroditens Eifersucht mehr gereizt, Amors Allmacht langer und verwegener getrotzt, als die schone Lais?

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bei ihr eingefuhrt wird, offen. Sie erscheint gar nicht mehr offentlich, gibt keine grossen Gastmahle mehr, und zu den kleinen Symposien, woran sie einst so viel Belieben fand, werden selten mehr als zwei oder drei von ihren vertrautern Bekannten eingeladen. Learch scheint dermalen in vorzuglicher Gunst bei ihr zu stehen, und

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zu einer beinahe misanthropischen Eingezogenheit, und jedermann sucht sich das Wunder auf seine eigene Weise zu erklaren. Die meisten halten es fur eine traurige Folge des ubermassigen Aufwandes, den sie mehrere Jahre lang zu Korinth und Aegina gemacht: nach andern soll ein gewisser komischer Dichterling,

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unrechten Wege gesucht, aber von dem einzigen, worauf die Natur selbst ihr Geschlecht leitet, sich schon zu weit entfernt, als dass sie nur daran denken konnte, ihn noch einzuschlagen. Ich bin gewiss, eine innerliche Stimme, die sich weder durch Vernunftelei noch Zerstreuung beschwichtigen lassen will, nothigt sie,

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beneidenswerth zu finden, wiewohl ihr Stolz ihr nie erlauben wird es zu gestehen. Aber dass es Augenblicke gibt, worin sie es sich selbst gestehen muss, und dass diese Augenblicke immer haufiger kommen, das ist es vermuthlich, was

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sie so lange mit ihnen getrieben hat, macht ihr so wenig Kurzweile mehr, als die ewigen Feste und larmenden Lustbarkeiten, wo die Freude eben darum immer auszubleiben pflegt, weil

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Tyrannie des letztern war, und was es hundertundzwanzig Jahre spater durch Perikles ward. Als die eigentliche Staatsverwaltung noch grosstentheils in den Handen der alten Geschlechter lag, konnten sogar die Megarer den Athenern die Spitze bieten; konnten ihnen den Besitz der kleinen, beinahe an das

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Zeit ihres hochsten Glanzes keine Empfanglichkeit hatten, und woran sie sich auch nicht hatten genugen lassen, so lange sie sich noch mit der Moglichkeit schmeichelten, das Ziel ihrer ungezugelten Wunsche erringen zu konnen.Es klingt vielleicht seltsam, aber

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zu Theil ward, zu beklagen als Lais; denn ich zweifle sehr, dass jemals eine Sterbliche zu einem so hohen Grad von Selbstgefuhl und Selbstgenuss gelangt sey als sie. Wurden nicht zwanzig Jahre lang alle ihre Wunsche in vollestem Masse befriediget? Oder meinst du sie habe sich nicht sehr glucklich gefuhlt, als sie sich uberall wie die sichtbar erschienene Liebesgottin angestaunt und angebetet sah,

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ihr nichts mehr Vergnugen zu machen scheint; dass sie nichts Neues mehr zu geniessen sieht, nachdem sie alles, wofur sie Empfanglichkeit hat, im hochsten Grad und Mass schon so lange genossen hat, alles diess ist zu naturlich, als dass sie verlangen durfte,

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sie am besten kann, was ihr am besten ansteht, und worin sie von niemand ubertroffen wird, wenn man das ihre naturliche Bestimmung nennen kann, so sehe ich nicht, wie wir der schonen Lais absprechen konnen, die ihrige bisher erfullt zu

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sie sich nie anders, als von allen sittlichen Grazien geschmuckt und umgeben, sehen lasst! Dass dieses hohe und wahrscheinlich jeder andern unerreichbare Ideal auch fur sie zu hoch stand, wer konnte ihr diess zum Vorwurf

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an ihr bemerkt hast. Wenn diess, wie ich hoffe, der Fall ist, so mochte ich ihr dazu Gluck wunschen. Denn die Scham vor unserm bessern Selbst ist bei edlern Naturen das wirksamste Mittel das gehemmte innere Leben wieder frei zu machen;

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von ihrer dermaligen Lage ausfuhrlich zu unterrichten, da euch vielleicht Geruchte oder Nachrichten aus minder lautern Quellen zukommen mochten, die euch ihrentwegen mehr beunruhigen konnten, als, vor der Hand wenigstens, nothig seyn mochte. Du kennst sie zu gut, lieber Aristipp,

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Veranderung nicht plotzlich sondern stufenweise vorging, und dass die immer zunehmende Menge und die unbescheidene Zudringlichkeit ihrer offentlich erklarten Liebhaber diese Massregel schlechterdings nothig machte. Unter jenen Beschwerlichen befanden sich mehrere Auswartige,

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Korinth nicht vergebens gemacht haben wollten, da sie bloss der schonen Lais wegen gekommen waren. Ueberhaupt schienen die Herren durch die letzte Wanderung unsrer Freundin sich berechtigt zu glauben, ihren Anspruchen einen Nachdruck zu geben, der

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dort zu sehen. Aber du hattest dich bereits wieder entfernt, und ich glaubte eine Veranderung an Lais wahrzunehmen, die ich mir nicht erklaren konnte, bis ihre Vertraute (die schon lange auch die meinige ist)

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bei ihrem neuen Lebensplan beharrete, sich endlich gefallen lassen musste, und deren man bereits so gewohnt ist, dass von der weltberuhmten Lais vielleicht nirgends weniger die Rede

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es nicht gar zu genau nehmen mochte, mich nicht erwehren konnte, sie immer weniger schuldig zu finden, je mehr ich bedachte,

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begangen, sagte sie mit einer ziemlich merklichen Bemuhung, ihrer Miene mehr Unbefangenheit zu geben als sie sich bewusst seyn mochte. Vielleicht ein gutes Werk, versetzte ich; der junge Mensch scheint mir nicht zu seyn wofur er dir gegeben wurde.

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ich noch nie darin gesehen hatte, auf dem schonen Dorylas verweilten; und dass die vorgebliche Pyrrha nicht ermangelte, die ihrigen in einer Sprache antworten zu lassen, deren Sinn der scharfsichtigen Lais nichts weniger als unverstandlich seyn konnte.Als Dorylas wieder entfernt worden war, konnt' ich

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dazu hatte bewegen sollen. Du konntest mir mit deinen Grillen den ganzen Spass verderben, erwiederte sie. Da hattest du Unrecht, schone Lais, sagte Euphranor; gibt es denn nicht der schonen jungen Sklaven bei

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der Sache gezogen. Es hatte ihr gedaucht, als ob Lais wenig auf die Vorlesung Acht gebe; und da sie, sobald sie sich mit ihrer Gebieterin allein gesehen, sich uber die Ungeschicklichkeit des neuen Vorlesers ein wenig lustig gemacht, habe Lais etwas trocken versetzt: Dorylas scheine noch schuchtern zu seyn, und, anstatt unzeitigen Tadels, vielmehr Aufmunterung nothig zu haben. Am folgenden Tage sey eine ziemlich lange Unterredung ohne

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, und uberhaupt von seiner ganzen Person so bezaubert zu seyn, dass sie sich zusehends erheitere und verjunge, ja wohl gar (ohne sich's vermuthlich bewusst zu seyn) nicht selten, wiewohl immer mit aller ihr eigenen Grazie, in die naive Frohlichkeit eines Madchens von sechzehn zuruckfalle. Bei

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sie ihren jungen Freund, der ganz offentlich den feurigsten und hoffnungsvollsten Liebhaber mit ihr spiele, so kurz als moglich zu halten, und jede Gelegenheit mit ihm allein zu seyn, oder von ihm uberrascht zu werden, aufs sorgfaltigste zu vermeiden; und daher habe sie

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die wohlmeinende kleine Verratherin Eudora zu verschaffen Gelegenheit gefunden habe.Was den jungen Menschen betrifft der, wiewohl kaum zwanzig Jahre alt, schon mancherlei Abenteuer bestanden und sich an mehrern Orten unter verschiedenen Namen einen sehr zweideutigen Ruf erworben hat so stimmen alle meine eingezogenen Erkundigungen darin uberein, dass

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Blicken zu leben. Aber mit einem verwundernswurdigen Spursinn machte der Schlaue gar bald ihre schwache Seite und die Rolle ausfindig, die er zu spielen habe, um sich unvermerkt ihres ganzen Herzens zu bemachtigen. Wechselsweise

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Mysterien der himmlischen Aphrodite und des Platonischen Eros einweihen zu lassen; und daher entsprangen ziemlich bald kleine Misshelligkeiten und Zankereien zwischen ihnen, wobei Lais den Sieg allemal durch Gefalligkeiten anderer Art theuer genug erkaufen musste.

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sich fur diess einzige Opfer, worauf sie einen so hohen Werth setzte, auf die unzartlichste Art zu entschadigen, indem er ofters ganze Nachte mit etlichen seiner Vertrautesten bei der schonen Phryne durchschwarmte, einer jungen Hetare,

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Traum zu traumen wahntest? Ich weiss den Zustand, worin Lais sich dermalen befindet, durch kein passenderes Bild zu bezeichnen. Sie sieht zu hell, um nicht zu sehen, dass sie ihr ganzes Gluck in eine blosse Tauschung setzt: aber sie will getauscht seyn,

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ist dazu gemacht, in allem gross und ausserordentlich zu seyn. Von ihrer ersten Jugend an, mit der unbeschranktesten Macht, sich ihren Neigungen zu uberlassen und immer von ganzen Schwarmen von Anbetern umgeben, unter welchen gewiss nicht wenige sehr liebenswurdig waren, sogar im vertrautesten Umgang mit

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der Bucher immer mehr wurden, Leute, welche Profession davon machten, von alten und neuen Buchern immer eine Anzahl schon geschriebener Exemplarien zum Verkauf bereit zu halten, und vermuthlich auch die offentlichen Markte mit

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Euphranor fecit et Colossos, et marmora, ac scyphos scalpsit; docilis et laboriosus ante omnes et in quocunque getur expressisse dignitates Heroum et usurpasse symmetriam; sed fuit universitate corporum exilior, capitibus articulisque grandior. Volumina quoque composuit de Symmetria et coloribus. Alles diess hangt nicht sonderlich zusammen, scheint aber durch

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von Euphranorn sagt, und diesen selbst sagen lasst, wenigstens was den ihm gemachten Vorwurf betrifft, ein ziemlich befriedigendes Licht zu erhalten. W. 125 Einer der streitbarsten Helden der Griechischen Heroenzeit, bekannt durch seine

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, hiessen die Sklaven, deren Geschaft war, wahrend der Tafel vorzulesen, wozu sie theils mit der schonen Literatur bekannt, theils im Declamiren geubt seyn mussten. 131 Wer diese naher kennen zu lernen wunscht, der

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es noch lange so forttrieben, konnt' es, wiewohl gegen unsre Meinung, doch so weit mit uns kommen, dass wir einander vor lauter Wohlbefinden endlich ganz vergassen. Denke indessen nicht,

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in dieser langen Zeit nichts von sich horen lassen, und ich kann mich nicht erwehren ihrentwegen in Sorgen zu seyn; denn wofern es ihr nicht ginge wie wir wunschen, so bin ich nur allzu gewiss, dass sie zu stolz ist Hulfe von ihren Freunden anzunehmen, geschweige bei ihnen zu suchen.Wir genugsamen Cyrener befinden uns bei unsrer goldnen Mittelmassigkeit so wohl, dass wir uns wenig um die besondern Umstande der ewigen Zwistigkeiten und Fehden bekummern, welche

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Asien auf immer vom Joche der Perser zu befreien. Meiner Meinung nach konnte euern ubelberathenen, die wahre Freiheit und ihr wahres Interesse ewig verkennenden Freistaaten nichts Glucklicheres begegnen, als wenn es diesem edeln Thessalier gelange seinen grossen Gedanken auszufuhren.

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nicht, lieber Eurybates, mich so philotyrannisch reden zu horen; meine Vorliebe zur Monarchie dauert gewohnlich nur so lange, als ich in einem demokratischen oder oligarchischen Staat lebe, und ich bin der Freiheit nie warmer zugethan,

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. Ein weiser und edel gesinnter Monarch weiss jedoch beides sehr gut mit einander zu vereinigen; nur Schade, dass die weisen und guten Monarchen ein eben so seltnes Geschenk des Zufalls sind als die weisen und guten Demagogen.

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, so gut wie jede andre, zu erlernen und auf feste Grundsatze zuruckzufuhren ist? Das schlimmste ist nur, dass die Kunst wohl zu regieren, wenn sie auch gefunden ware, ohne die Kunst zu gehorchen wenig helfen konnte; oder

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er euch hoffentlich beim ersten Anblick lebhaft genug an Droso und Eurybates erinnern wird, um ihn ohne scharfere Untersuchung fur den, wofur er sich ausgibt, gelten zu lassen, und als solchen gastfreundlich aufzunehmen. Ich glaubte dir nicht besser beweisen zu konnen, dass

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. Ihr werdet wenigstens finden, dass er euch, wie billig, nicht als ein roher Marmorblock zugefertiget worden ist. Er hat drei Jahre lang die Schule unsers beruhmten Isokrates, und in dem letzt verfloss'nen sogar die Akademie

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welche der gottliche Plato in ein beinahe noch dichteres Dunkel einhullt als jenes, das die heiligen Mysterien zu Eleusis umgibt, so hat er wenigstens von dem exoterischen Unterricht unsers Attischen Pythagoras so viel mit genommen als er aufpacken konnte.Die Wahrheit zu sagen wunsche ich

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Erziehung seyn konne, ist nicht sehr geschickt eine bessere Erziehung unsrer immer mehr verwildernden Jugend zu befordern; und was ein noch so fein und zierlich ausgearbeitetes Modell einer Republik idealischer Menschen, die von lauter leibhaften Platonen nach idealischen Gesetzen zu einem idealischen Zweck regiert werden, uns Athenern und allen ubrigen eben so unplatonischen

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nicht zu wunschen, dass ich dir die angenehmsten Nachrichten von ihr zu geben haben mochte: aber mit allen moglichen Nachforschungen ist von ihrem dermaligen Aufenthalt und Zustand nichts Zuverlassiges zu erhalten gewesen, wiewohl es an allerlei einander widersprechenden und mehr oder weniger ungereimten Geruchten nicht fehlt. Ich besorge sehr,

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alle Tage mehr. Der letztere ist wirklich ein Mann von seltnen und glanzenden Eigenschaften, ganz dazu gemacht sein Vaterland aus dem politischen Nichts, worin es beinahe seit der Heroenzeit gelegen, hervorzuziehen, und ihm die ganze Wichtigkeit zu verschaffen, die es vermoge seiner Lage, Fruchtbarkeit und starken Bevolkerung schon langst hatte behaupten konnen, wenn seine Krafte in einen einzigen Punkt zusammengedrangt gewirkt hatten. Was Olynthus betrifft, so

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Anhang zu verschaffen gewusst; kurz sie ist bereits machtig genug, eine ganzliche Unabhangigkeit von Athen und Sparta behaupten zu konnen; zumal da Jason (der einzige im nordlichen Griechenland,

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Granzen zu setzen vermochte) es naturlicher Weise seinem Interesse gemasser findet, mit dieser neuen Republik in gutem Vernehmen zu stehen. Dass beide unsrer Aufmerksamkeit nicht entgangen sind, kannst du dir leicht vorstellen. Beide, vorzuglich aber der

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Jason, versehen unsre Versammlungsplatze, Markte und Hallen reichlich mit immer frischen Neuigkeiten, und wenn du uns reden horen konntest, musstest du glauben, die Athener hielten sich dem letztern noch sehr verbunden, dass

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er, weit entfernt es fur einen schuldigen Tribut zu halten, uns vielmehr dafur, als fur eine ganz freiwillige Aeusserung unserer Gutherzigkeit und Wohlmeinung mit ihm, verbunden zu seyn glaubt. Dass er in dieser schonen Unbefangenheit erhalten, und weder durch zu

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Neffe hat funf oder sechs Jahre mehr als dein Sohn, und weiss sich des kleinen Ansehens, so ihm dieser Vorsprung gibt, mit so guter Art zu bedienen, dass er wirklich mehr uber ihn vermag als wir andern alle. Lysanias zeigt eine Anhanglichkeit an seinen altern Freund,

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brachte, unvermerkt eine braunliche Schattirung gewinnt; so halten wir es fur besser ihn hierin seiner eigenen Willkur zu uberlassen, und werden dennoch alles so einzurichten wissen, dass die ubrigen Zwecke seines Hierseyns nicht vernachlassiget werden sollen.Seit kurzem, lieber Eurybates,

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Blick und scharfen Urtheil eine so unerschopfliche Gabe sich selbst zu tauschen und ihre eigene Vernunft (wenn ich so sagen kann) zu uberlisten, vereinigt hatte.Ob wir gleich wohl thun, uns unaufhorlich zu sagen, es hange immer von unserm Willen ab, recht zu handeln oder nicht: so scheint doch wenn wir den Menschen betrachten, so wie er, in unzahligen, ihm selbst grosstentheils unsichtbaren Ketten und Faden an Platons grosser Spindel der Anangke hangend, von eben so unsichtbaren Handen in das unermessliche und unauflosliche Gewebe der

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den das genialisch frohliche, schimmernde und vielgestaltige Drama ihres Lebens nahm, dazu gehorte, wenn sie bis ans Ende Lais seyn sollte. Ich mochte sagen, das Schicksal war es gewissermassen der Menschheit schuldig; sie musste fallen; aber ich bin gewiss sie fiel

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die Natur behauptet ihr Recht darum nicht weniger; es kommen Augenblicke, da ich, wenig starker als Musarion (deren Thranen um ihre geliebte Freundin und Wohlthaterin so bald nicht versiegen werden) eine Art von Trost darin finde meinem Schmerz

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anders hatte gehen konnen; bis endlich die Vernunft das gefallige Duftgebilde wieder zerstreut, und mich, wiewohl ungern, zu gestehen nothigt: es habe dennoch so gehen mussen, und, wie unbegreiflich uns auch die Verkettung unsrer Freiheit mit dem allgemeinen Zusammenhange der

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Anstrich von sinnreichem Unsinn und Rathselhaftigkeit zum Nachdenken reizen, und sich unvermerkt unsrer ganzen Aufmerksamkeit bemachtigen. In dieser Rucksicht, lieber Eurybates, hatte mir der neue Platonische Dialog, womit du mich beschenkt hast, zu keiner gelegenern Zeit kommen konnen. Ich habe ihn, unter haufig abwechselnden Uebergangen von

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ich thun konnte, wenn ich es bei dem bisher Gesagten bewenden liesse. Aber du verlangst meine Meinung von dieser neuen Dichtung unsers erklarten Dichterfeindes ausfuhrlich zu lesen, und hast mich gewissermassen in die Nothwendigkeit gesetzt dir zu

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zu einem ganz andern Mann, sondern in gewissen Stucken sogar zum Gegentheil dessen macht was er war. Wir wissen was er hieruber zu seiner Rechtfertigung zu sagen pflegt, und lassen es dabei bewenden. Aber auf die sehr naturliche Frage:

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sich, trotz seiner kraftigen Leibesbeschaffenheit, dennoch zuletzt so ausgetrocknet und verlechzt gefuhlt haben, dass es ihm unmoglich gewesen ware, das wundervolle Ammenmahrchen von dem Armenier Er, womit Plato seinem Werke die Krone aufsetzt, in horbaren Lauten hervorzubringen.Lass uns indessen aus Gefalligkeit gegen den philosophischen Dichter uber

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abziehen und nothigern Untersuchungen den Weg versperren, nicht ganz frei gesprochen werden konne. Das Problem, warum es dem angeblichen Sokrates eigentlich zu thun ist, namlich den wahren Begriff eines gerechten Mannes durch das Ideal eines vollkommenen Staats zu finden, macht kaum den vierten Theil des

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, uber irgend einen wichtigen, noch nicht hinlanglich aufgeklarten, oder verschiedene Ansichten und Auflosungen zulassenden Gegenstand ist, so lasst sich doch wohl als etwas Ausgemachtes annehmen: ein erdichteter Dialog sey desto vollkommener, je mehr er einem unter geistreichen und gebildeten Personen wirklich vorgefallenen Gesprach ahnlich sieht. In einer solchen gesellschaftlichen Unterhaltung stellt jeder seinen

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, durch blosses Widerhallen hatten verrichten konnen; und so ist nicht zu laugnen, dass dieser sogenannte Dialog eben so gut und mit noch besserm Recht ein Sokratischen Monolog heissen konnte.Dass das erste und zweite Buch hiervon eine Ausnahme macht brachte die

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" Denn wer sieht nicht, dass hier bloss mit den verschiedenen Bedeutungen, die das Wort gerecht im gemeinen Leben hat, gespielt wird; dass die Falle, worin es nicht recht, d.i. weder gesetzmassig noch klug, schicklich und rathsam

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mit der kaltblutigen Urbanitat und ironischen Demuth des seiner spottenden Sokrates contrastiren lasst. Nur Schade, dass der letztere auch hier seine Wurde nicht durchaus so behauptet, wie der Anfang uns erwarten macht. Man konnte zwar sagen, es zeige sich in dem ganzen ersten Buche,

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in der achtsokratischen Manier, einen streitigen Punkt aufs Reine zu bringen, gelten konnte, wenn Sokrates seinem eigenen Charakter immer getreu bliebe und nachdem er den Sophisten so weit getrieben, dass er geradezu behaupten muss,

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Nothwendigkeit zu setzen, sich der guten Sache in vollem Ernst anzunehmen, nimmt Glaukon das Wort, und macht sich anheischig: vor allen Dingen zu erklaren, was nach der Meinung derjenigen, fur welche Thrasymachus gesprochen habe, die Gerechtigkeit sey und woher sie ihren Ursprung nehme; sodann zu zeigen, dass diejenigen, die sich der Gerechtigkeit befleissigen, es nicht desswegen thun,

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den Schwachern ungestraft Unrecht zu thun, freiwillig begeben wollte.Ich kann mich irren, aber so weit ich die Sophisten, deren System Plato in diesem zweiten Buche in seiner ganzen Starke vorzutragen unternommen hat, kenne, scheint er mir, es sey nun vorsetzlich oder unvermerkt, etwas von seiner eigenen Vorstellungsweise in die Darstellung der ihrigen eingemischt zu haben. Ich wenigstens zweifle sehr, ob es jemals einem Menschen eingefallen ist, zu behaupten: Unrecht thun sey gut an sich. Und was versteht Glaukon,

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, doch gewiss die meisten so ubel befinden, dass sie sich entweder in Gute zu einem gesellschaftlichen Leben auf gleiche Bedingungen verbinden, oder irgend einem Machtigen gezwungen unterwerfen mussen, falls sie sich

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, versagen mochte, und jeder wo moglich alles zu haben wunscht, sind sie einander beide gleich.Da diess in der That hart klingt, so halt sich Glaukon, im Namen derjenigen, deren Sachwalter er vorstellt, zum Beweise verbunden, und fuhrt ihn sehr sinnreich, vermittelst der Voraussetzung, dass beide, der

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Gesetze zu erhalten glauben wurde. Glaukon (der noch immer im Namen derjenigen spricht, denen Recht und Unrecht fur blosse Satzung des gesellschaftlichen Vereins und der Machthaber in demselben gilt) ist seiner Sache so gewiss, dass er geradezu versichert: jedermann sey so vollig davon uberzeugt,

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mich zu befassen angefangen, unvermerkt in eine nahere Beleuchtung der einzelnen Theile, woraus die vor uns liegende reiche Composition zusammengefugt ist, hineingezogen finde; wird es, bevor wir weiter gehen, edler Eurybates, nothig seyn,

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die Gerechtigkeit hingegen das hochste Gluck aller einzelnen Menschen sowohl als aller burgerlichen Gesellschaften bewirken wurde; Alles diess macht (die haufigen, zum Theil weitschichtigen Abschweifungen und Zwischenspiele abgerechnet) den Inhalt der ubrigen acht Bucher aus, und das ganze Werk kann

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Dichtern und vorgeblichen Philosophen irre gemachten Jungling in den Mund legt. Nachdem namlich dieser aus allem, was er beim Eintritt in die Welt sieht und hort, das Resultat gezogen, "dass es zum glucklichen Leben nicht nur hinreiche, sondern sogar nothig sey, sich mit der blossen Larve der Rechtschaffenheit zu behelfen, um

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Menschen verborgen blieben, namlich, dass die Ungerechtigkeit das grosste aller Uebel womit eine Seele behaftet seyn kann, die Gerechtigkeit hingegen ihr grosstes Gut sey, diess habe noch niemand weder in Versen noch in gemeiner Rede hinlanglich dargethan und ausgefuhrt. Er vereinigt sich also

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von ihm abzuwalzen. Bevor ich weiter gehe, Eurybates, wirst du mir wohl erlauben, dir, statt eines kleinen Zwischenspiels, meine eigenen Gedanken uber die Frage, zu deren Beantwortung Platons Sokrates so weit aushohlt, in moglichster Kurze vorzulegen.

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wurde, jemals das Gefuhl, dass es unnaturlich, folglich unrecht sey einander zu beleidigen, verlieren konnten; sondern weil die sinnlichen Triebe und Leidenschaften, wodurch sie zu Beleidigungen hingerissen werden, im Augenblick der aufbrausenden Leidenschaft oder eines unwiderstehlich dringenden Bedurfnisses starker sind als

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einen andern vorsetzlich beleidigt, sich eben dadurch fur einen Feind aller ubrigen erklart; zweitens, dass sobald mehrere Menschen neben einander leben, zu eines jeden Sicherheit entweder ein stillschweigend

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nach Gefallen erlustigen konnte, und Stoff genug fand, einen Kreis von gefalligen Zuhorern eben so gut zehn Tage lang zu unterhalten als einen.Indessen sehe ich nicht warum wir ihm auch diese Freiheit nicht zugestehen sollten. Jeder Schriftsteller hat unstreitig das Recht,

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keiner so weitlaufigen und kunstlichen Vorrichtung, um ausfindig zu machen, worin diese Vollkommenheit bestehe. Es gehorte wirklich eine ganz eigene Liebhaberei "Knoten in Binsen zu suchen"15 dazu, die Sache so ausserordentlich schwer zu finden, und

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hier den beruchtigten Eiron wirklich reden horten, desto vollkommner zu machen. Man konnte diess allenfalls fur eine Rechtfertigung gelten lassen, wenn die Rede, anstatt von einem Gegenstande, womit sich Sokrates so viele Jahre lang tagtaglich beschaftigte, von irgend einer rathselhaften spitzfindigen Frage gewesen ware; oder

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Adimanthus sich gezeigt haben, mit unwissenden Knaben oder naseweisen Gecken zu thun gehabt hatte. Man konnte zwar einwenden, dass diese Gebruder in dem grossten Theil unsers Dialogs fast immer die Rolle unwissender Schulknaben spielen, und dass Sokrates haufig Fragen an

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Vergleichung der grossern Buchstaben mit den kleinern zu sehen, ob nicht etwa beide eben dasselbe sagten. Ohne Zweifel, versetzt Adimanth; aber wie passt diess auf unsre vorhabende Untersuchung?

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in ihm entstehen." Konnte wohl seyn, versetzt jener. "Und wenn das ware, sollte nicht Hoffnung seyn, desto leichter zu finden was wir suchen?" Viel leichter. "Mich daucht also wir thaten wohl, wenn wir ohne weiters Hand anlegten; denn

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die sich beim ersten Anblick aufdringt und daher, in Cyrene wenigstens, am haufigsten gehort wird, ist: es sey unbegreiflich, wie Plato nicht gesehen habe, dass, wofern zuvor aufs Reine gebracht ware, was die Gerechtigkeit bei einem einzelnen Menschen sey,

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: da hingegen diese letzte Frage nicht ausgemacht werden konne, ohne den Begriff der Gerechtigkeit schon vorauszusetzen; denn der Staat bestehe aus einzelnen Menschen, und nur insofern als diese gerecht seyen, finde Gerechtigkeit in jenem statt. Es ware in der That unbegreiflich, wenn

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dich, sagt Sokrates; meine Stadt, worin alles nur fur die wirklichen Bedurfnisse ihrer Burger berechnet ist, scheint dir zu durftig; du willst eine, wo es recht uppig zugeht. Sey es darum! Wiewohl jene die wahre und gesunde ist, so hindert uns doch

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in einem wohlbestellten Staat ganz unentbehrlich sey. Er stutzt sich hierbei auf einen Grundsatz, den er gleich anfangs festgesetzt hatte, da von den verschiedenen Professionen die Rede war, deren wechselseitige Hulfsleistung zu Befriedigung der gemeinschaftlichen Bedurfnisse die

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Beschutzer seines idealischen Staats, um seiner Bestimmung aufs vollkommenste zu entsprechen, die verschiedenen Tugenden eines edeln Haushundes in sich vereinigen, und auf alle Falle so philosophisch und zornmuthig, behend und stark seyn musse als der stattlichste Molosser16, wirft er die

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Stadt, deren Einrichtung uns beschaftigt, das ganze Erziehungswesen ein; aber beide sind freilich in dieser ganz etwas anders als in unsern uppigen und von bosen Saften aufgeschwollnen ungesunden Republiken. Die Ausfuhrung dieses Satzes nimmt den ganzen betrachtlichen Rest des zweiten Buchs und ein grosses Stuck des dritten ein; und wiewohl der heftige Ausfall gegen unsre epischen und dramatischen Dichter nur

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den Vorzug streitig machte.Wie ich hore ist ihm die Strenge, womit er vornehmlich den Homer und Hesiodus fur wahre Verfuhrer und Verderber der Jugend erklart, und die tiefe Verachtung, womit er von der mimischen Kunst der dramatischen Dichter und Schauspieler spricht, zu Athen sehr ubel genommen worden. Ich

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unverdorbene Menschen bleiben; sie sollen "nichts lernen was sie kunftig wieder vergessen mussen;" sie sollen nichts sehen noch horen, nichts denken noch treiben, als was unmittelbar dazu dient, sie zu ihrer Bestimmung vorzubereiten. Sie sollen von Kindesbeinen an auf alle mogliche Weise zu jeder Tugend gewohnt werden, und ungeziemende, ungerechte, schandliche

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jedem Betracht unubertrefflich schon und wahr. Alles darin ist neu, selbst gedacht, scharfsinnig, und doch zugleich so klar einfach und auf den ersten Blick einleuchtend, dass der Leser fast immer seinen eigenen Gedanken zu begegnen glaubt. Ich habe nichts daruber hinzuzusetzen, als dass der gottliche Plato, wenn er immer auf diese Art philosophirte, in

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, einen baufalligen Korper recht lange hinzuhalten und ihre Kranken des langsamsten Todes, der ihrer Kunst moglich ist, sterben zu lassen, d.i. gerade das, worauf sie sich am meisten einbilden, zum Vorwurf, und beinahe zum Verbrechen macht. Naturlicherweise

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getempert19, bilden sie "den achten Musiker und Harmonisten, der beide Benennungen in einem unendlich hohern Grad verdient als der grosste Saitenspieler."Was meinst du nun, Glaukon (fahrt Sokrates fort), sollten wir, wenn uns die Erhaltung unsrer Republik am Herzen liegt, nicht immer gerade einen solchen Mann zum Vorsteher derselben nothig haben? Mit dieser leichten Wendung fuhrt er uns zu der dritten Classe seiner Staatsburger, namlich zu den Archonten oder obrigkeitlichen Personen, deren die beiden ersten benothigt sind, wenn diese unwandelbare Ordnung,

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Epistaten des ganzen Staats sagt, ist zwar nur ein blosser, mit wenigen Pinselstrichen entworfener Umriss, wovon er sich die Ausfuhrung stillschweigend vorbehalt; aber auch in diesem entwickelt sich alles so leicht und schon, ist alles so richtig gedacht, in

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wir eine geraume Zeit lang so verstandig, wie ein Mann mit Mannern reden soll, reden gehort haben, sich plotzlich wieder in den Platonischen verwandeln, und in eine andre Tonart fallen horen, welche

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schuldigen Ehrerbietung gesagt) uns nicht erwehren konnen, unzeitig, seltsam, und, mit dem rechten Wort gerade heraus zu platzen, ein wenig lappisch zu finden. "

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auch die ubrigen Burger dahin zu bringen, dass sie sich einbilden, alles was bisher mit ihnen vorgegangen und die ganze Erziehung, die wir ihnen gegeben haben, sey ein blosser Traum gewesen. Dagegen sollen sie glauben, sie

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begreiflichen Ausfuhrlichkeit beeifert, den sittlichen Einfluss der Werke unsrer Dichter auf die Jugend in das verhassteste Licht zu stellen. Wie dem auch seyn mag, immer ist es lustig genug, zu sehen, wie er seinen Sokrates vorbauen lasst, dass

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nicht wieder finden, oder, wenn er auch zuweilen in seinen eigenen Ton zuruckfallt, sich doch nicht lange darin erhalten konne. Ich drucke mich hieruber so schuchtern aus, weil es sehr moglich ist, dass die Ursache, warum mir diess so vorkommt, vielmehr in meiner Gewohnheit, mir einen ganz andern Sokrates zu denken, als

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Drama's spielen lasst, ist und bleibt sich selbst durchgehends immer ahnlich; denn es ist immer Plato selbst, der unter einer ziemlich gut gearbeiteten und seinem eigenen Kopfe so genau als moglich angepassten Sokrateslarve,

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mit seiner eigenen, von jener so stark abstechenden Physiognomie zu uberraschen; und da er dieses seltsame Spiel, eben dieselbe Person bald mit bald ohne Larve zu machen, einen ganzen Tag lang treibt, so kann es nicht wohl fehlen, dass der Zuschauer endlich irre wird, und nicht recht weiss was man

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durchguckt, abgerechnet, scheint er darin die angenommene Person wieder ziemlich gut zu spielen; so gut wenigstens, dass man sich geneigt fuhlt, der Tauschung mit halb geschloss'nen Augen nachzuhelfen; und wiewohl man sich hier und da nicht wohl erwehren kann ein wenig ungehalten auf den

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, haben ausser ihren Waffen und was die hochste Nothdurft zum Leben fordert, nicht das geringste Eigenthum; halten ihre ausserst frugalen Mahlzeiten gemeinschaftlich in offentlichen Salen, und leben in allen Stucken in der namlichen Ordnung beisammen, wie sie im Lager leben mussten. In

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mochten sie immerhin (wie es in den gewohnlichen Republiken zu gehen pflegt) ihr ganzes Leben damit zubringen, taglich neue Gesetze zu geben, in Hoffnung zuletzt noch wohl die rechten zu treffen, wie gewisse Kranke, die sich vergebens schmeicheln durch bestandiges Abwechseln mit neuen Arzneien zu

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Rechnung nicht gefunden. Glaukon besteht darauf, dass Sokrates seinem Versprechen gemass das Beste bei der Sache thun musse, und dieser schickt sich denn auch um so williger dazu an, da er wirklich in einer ganz eigenen Laune zu seyn scheint, sich mit der Treuherzigkeit der jungen Leute einen dialektischen Spass zu

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auch seyn mogen, nur Eines suchen, und (indem wir glucklicherweise zuerst darauf stossen) es sogleich fur das Gesuchte erkennen, so lassen wir's dabei bewenden; haben wir hingegen die drei ersten vorher ausfindig gemacht, so kennen wir eben dadurch auch das, was wir suchen; denn es ist klar, dass

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er den unterscheidenden Charakter seiner Republik setzt, und von welchen die erste den Regenten, die zweite den Beschutzern vorzuglich beiwohne, die dritte aber (wie er sehr sinnreich und spitzfindig darthut) durch die gebuhrende Subordination der zwei untern Burgerclassen

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Geschmack zu finden. Ich erkenne in dieser unzeitig schakerhaften Hasenjagd, wobei der Leser sich noch allerlei possierliche Gebardungen und Grimassen hinzu denken muss, hochstens eine verungluckte Nachahmung irgend einer Aristophanischen Possenscene, und allenfalls den Pseudo-

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kann, macht sie aber sogleich wieder zu, fangt wieder von neuem zu subtilisiren und chicaniren an, und wozu? Um durch eine Menge unnothiger Fragen (womit er den ehrlichen Glaukon und uns um so billiger verschonen konnte, da das alles im Vorhergehenden bereits einige Stunden lang mit der muhseligsten Genauigkeit aufs Reine gebracht worden war) und durch eine lange Reihe von Gleichungen zu unsrer grossen Verwunderung endlich heraus zu bringen: die Gerechtigkeit seiner Republik bestehe darin, dass ein jeder einzelner Burger der drei Classen, aus welchen sie zusammengesetzt ist, schlechterdings nur das Eine, wozu er am meisten Geschick hat und wodurch er dem Ganzen am nutzlichsten seyn kann,

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, sich anmassen konne, Worte, denen der Sprachgebrauch eine gewisse Bedeutung gegeben hat, etwas anders heissen zu lassen als sie bisher immer geheissen haben. Was Plato unter verschiedenen Formeln Gerechtigkeit nennt, ist bald die innere Wahrheit und

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soll, zukommt; bald die Ordnung, die daraus entsteht, wenn viele verschiedene mit einander zu einem gewissen Zweck in Verbindung stehende Dinge das, was sie vermoge dieser Verbindung seyn sollen, immer sind; bald die Harmonie, die eine naturliche Wirkung dieser Ordnung ist. Aber furs erste, wenn

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uns, daucht mich, die Muhe einer so langwierigen und langweiligen Initiation ersparen konnen; und zweitens wird es, wenigstens ausserhalb seiner eigenen Republik, wohl immer bei der gewohnlichen allenthalben angenommenen Bedeutung des

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die er auflosen wollte, so stark er nur konnte zusammen zu schnuren, und mit so vielen neuen, in einander verwickelten Knoten zu verstarken, konnte nun billig fur heute von aller weitern Bemuhung losgesprochen

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auch dem blodsichtigsten nicht entgehen konnten. Ich will mich also bloss darauf einschranken, seinen Beweis der drei wesentlich verschiedenen Principien, die er in der menschlichen Seele entdeckt haben will, etwas naher zu beleuchten, um zu sehen, ob es wirklich zur Erklarung der mannichfaltigen Erscheinungen in derselben nothig ist, dreierlei Seelen anzunehmen, oder ob wir uns dazu recht gut mit einer einzigen behelfen konnen.Gegen das Axiom, worauf er seinen Beweis stutzt, dass eben dasselbe Subject in Widerspruch stehende oder einander aufhebende Dinge unmoglich zugleich und in eben derselben Hinsicht weder thun noch leiden konne, habe ich nichts einzuwenden. Wenn er also zeigen kann, dass diese zugegebene Unmoglichkeit gleichwohl in dem, was wir unsre Seele nennen, taglich als etwas Wirkliches erscheint, so hat er den Handel gewonnen und ich stehe beschamt.

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., wozu denn der gefallige Glaukon immer seine Beistimmung gibt, und sich am Ende ganzlich fur die Hypothese der dreifachen Seele oder der drei Seelen in Einer erklart. Es mag eine ganz bequeme Sache seyn, mit Schulern zu philosophiren, bei welchen man immer Recht behalt. An

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die Vernunft verhindern konnte, ihre Einwilligung dazu zu geben; Trieb, Begierde und freier Wille fallen alsdann in einander, und es ist klar, dass wir nicht zwei verschiedene Principien anzunehmen brauchen, um

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dem Durstenden bekannt ist, vorhanden, oder dass noch vorher irgend ein ausserst dringendes Geschaft abzuthun, der Durst hingegen noch ertraglich ware: so wurde zwar der mechanische Trieb zum Trinken nichts dadurch von seiner Starke verlieren, aber

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hassende Seele erdichten wollte. Nach Platons Art zu rasonniren wurden wir zuletzt jeder besondern Leidenschaft, wiewohl sie alle aus einerlei Quelle entspringen, ihre eigene Seele geben mussen; denn sehen und erfahren wir nicht taglich bei tausend Gelegenheiten, dass eine begehrliche Leidenschaft mit einer andern, ofters sogar mit mehrern zugleich (z.

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, sehr wohl aus einer und eben derselben mit einem organischen Korper vereinigten Seele erklaren lassen? Konnen sie nicht ganz naturlich und ungezwungen als blosse verschiedene Modalitaten oder Zustande eben derselben selbstthatigen Kraft gedacht werden, welche, je nachdem sie von

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ihre Gegner vollstandig zu vertheidigen, noch zu untersuchen habe: welches von beiden nutzlicher sey, gerecht und tugendhaft zu seyn, auch wenn man weder von Gottern noch Menschen dafur anerkannt wird, oder ungerecht, wenn man es gleich ungestraft seyn konnte? Glaukon, der seit geraumer Weile eine ziemlich schulerhafte Rolle spielen musste, erhalt hier Gelegenheit,

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Untersuchung, meint aber doch, da sie nun bereits einen so hohen Standpunkt erstiegen hatten, sollten sie sich's nicht verdriessen lassen, so weit sie konnten herumzuschauen, um sich desto vollstandiger zu uberzeugen, dass

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. Es gebe namlich genauer zu reden nicht (wie er eben gesagt hatte) unzahlige, sondern nur funferlei Regierungsformen, und eben so viele verschiedene Verfassungen der Seele. Die erste sey diejenige, welche sie bisher mit einander durchgangen hatten; sie konnte aber unter zweierlei Benennungen erscheinen: wenn namlich unter den

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gute und rechte sey, so folge von selbst, dass die andern vier nichts taugen mussten.Wie er eben anfangen will, dieses von einer jeden besonders mit seiner gewohnlichen Ausfuhrlichkeit zu beweisen, entsteht auf Anstiften Polemarchs und Adimanths ein kleiner Aufruhr unter

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war, sowohl als alle ubrigen gewaltig vor die Stirne stossen sollen: aber diess ware dem Verfasser damals ungelegen gekommen. Man liess ihn also unbemerkt auf die Erde fallen, und Adimanth, der fast immer nichts als ja freilich zu antworten gehabt hatte, sagte wie in

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hat ihnen wenigstens seinen guten Willen zeigen wollen, ein Buch zu schreiben woran sie ihr ganzes Leben lang zu lesen haben.Aber Sokrates macht noch immer Schwierigkeiten. Man werde, sagt er, furs erste nicht glauben wollen,

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Republik zu geben gedenkt, so ganz richtig stehe, und er also grosse Gefahr laufe, nicht etwa bloss sich lacherlich zu machen (denn das wurde wenig zu bedeuten haben),

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Der Mensch lasst sich nicht, wie eine regelmassige geometrische Figur, in etliche scharf gezogene gerade Linien einschliessen; und es sind vielleicht noch Jahrtausende einer anhaltenden, eben so unbefangenen als scharfsichtigen Beobachtung unsrer Natur vonnothen, bevor es moglich seyn wird,

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Plato selbst anfangs voraussetzt), bloss in der Absicht vereinigt, ihre naturlichen, d.i. ihre weltburgerlichen Rechte, in die moglichste Sicherheit zu bringen, und sich durch diesen Verein desto besser zu befinden. Hier ist es also gerade umgekehrt: der

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Burgern, insofern jeder nach Verhaltniss und Vermogen zum allgemeinen Wohlstand mitwirkt, verhaltnissmassig auch wohl ergeht, kann man sagen, dass der Staat sich wohl befinde; und damit diess moglich werde, darf der Einzelne in freier Anwendung und

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Brodbacken und tausend andern Arbeiten dieser Art beladen; mussen auch ausser der Wartung und Pflege ihrer eigenen Kinder bei den Kindern der zweiten Classe (wie sich aus verschiedenen Umstanden schliessen lasst) gelegenheitlich Ammendienste thun, und was dergleichen mehr ist; kurz sie stehen in den Augen unsers Philosophen zu tief unter den edeln Heroinen,

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anstossige Einrichtung statt: und dazu hat er theils physische theils sittliche Bewegursachen von so grossem Gewicht, dass alle entgegen stehenden in keine Betrachtung bei ihm kommen konnen. Seine Republik soll weder zu gross noch zu klein, sondern gerade so seyn, dass sie weder Verderbniss von

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und Unsterblichkeit erhalte. Um zwei Hauptquellen einer moglichen Ausartung auf immer zu verstopfen, mussten diejenigen, welche bloss fur den Staat leben sollten, weder Eigenthum noch Familie haben. Die moglichste Gleichheit sollte unter ihnen herrschen; alles

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und dein heisst, nie weit genug entfernt, und unter einander niemals eng genug verbunden werden. Wie gut er aber auch fur diess alles gesorgt hatte, immer wurden die

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Madchen (wiewohl sie nur fur den Augenblick gilt) wird von den Archonten, vermittelst eines kunstlichen Looses angeordnet, wodurch immer die schonsten, starksten und muthigsten zusammen kommen, die schlechtern hingegen lauter Nieten ziehen; eine

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viel als moglich einzuschranken, und ja nicht mehr Kinder aufkommen zu lassen, als nach Beschaffenheit der Umstande nothig sind, damit der Staat sich immer bei gleicher Starke erhalte; woraus klar ist,

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er euch darin starker und einleuchtender als irgend einer von euern Rednern ans Herz legt, seiner Vaterstadt und der ganzen Hellas nicht den wesentlichsten Dienst geleistet hat. Dass diess wenigstens seine Absicht

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Art von hypothetischer Realitat zu geben, woran wenigstens alle die Leser sich genugen lassen konnen, die der magischen Tauschung eben so willig und zutraulich als die beiden Sohne Aristons entgegen kommen. Dass er uns ubrigens auch auf

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sich, insofern sie zuweilen das Interesse des Dialogs unterhalt und erhoht, recht gern gefallen liesse, wenn er nur einiges Mass darin halten wollte; denn wirklich ist es oft schwer sich einer Anwandlung von Ungeduld zu erwehren, wenn er bald einen Satz,

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von der innern Verfassung derselben und von ihren unendlichen Vorzugen vor den gewohnlichen noch viel zu sagen gedachte, etwas rasch zu unterbrechen. Von allem diesem, meint er, wussten sie bereits genug, um sich das, was etwa noch zuruckgeblieben sey, selbst sagen zu konnen; die grosse Frage,

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Schoneres zu sehen. Damit ist denn auch jedermann zufrieden, und kummert sich wenig darum, ob jemals ein sterbliches Weib eine so schone Tochter geboren hat oder kunftig gebaren wird; genug, dass

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, dem vorgeblichen halsbrechenden Wagestuck so nahe, dass er bekennt: um allen unsern Republiken eine andere ungleich bessere Gestalt zu geben, bedurfte es nur einer einzigen Veranderung; aber freilich ware dieses Einzige weder etwas Kleines noch Leichtes, wiewohl nichts Unmogliches.

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die Welt ausschliesslich regieren sollten, verstehe! Dass er namlich keine andre Philosophie fur acht gelten lasse, als seine eigene, und also sein grosses politisches Geheimmittel gegen

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den Augen gesehen, mit den Ohren gehort, mit irgend einem aussern oder innern Sinn gefuhlt, von der Einbildungskraft gemalt, von der plastischen Kunst gebildet, vom Verstand erkannt, von der Sprache bezeichnet, und im wirklichen Leben als Mittel zu irgend einem Zweck oder als Zweck irgend eines Mittels, als Ursache irgend einer Wirkung oder Wirkung irgend einer Ursache, gebraucht werden konnte: wenn solche Philosophen die Welt regieren sollten, dann, meint er, wurde sie freilich um kein Haar besser regiert werden als dermalen. Aber

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an sich wahr, schon, gerecht und gut ist, nothwendig selbst durch und durch wahr, edel, gerecht und gut werden muss: wo konnten wir einen Sterblichen finden, welcher tauglicher und wurdiger ware, die Welt zu regieren, als er?Alles diess aus einander zu setzen, und nach seiner Manier zu beweisen, d.i. seinen glaubigen Zuhorern durch weit ausgeholte Fragen, Inductionen, allegorische Gleichnisse und subtile Trugschlusse weiss zu machen, beschaftigt unsern Sokrates in dem grossten Theil des sechsten und siebenten Buchs;

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gegen meinen anfanglichen Vorsatz, indem ich durch ich weiss nicht welchen Zauber, den unser dichterischer Philosoph um sich her verbreitet, mich gezogen fuhlte, ihm in seinem maandrischen Gang beinahe Schritt vor Schritt nachzuschlendern, unvermerkt so weitlaufig geworden,

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Sonnen, sagte er, sind "die Konige zweier Welten;" die eine dieser sinnlichen, theils aus korperlichen Dingen, theils aus mancherlei verganglichen, unwesentlichen Erscheinungen zusammengesetzten Welt; die andere der ubersinnlichen, dem reinen Verstand allein in dem Lichte des selbststandigen Guten sichtbaren. wesentlichen Dinge. So wie die materielle Sonne uber

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ist, ergrunden zu wollen, wiewohl er sich nur bei wenigen ausserordentlichen Menschen in seiner ganzen Starke zeigt dennoch eines der Merkmale zu seyn scheint, wodurch sich der gebildete und seiner Vernunft machtig gewordene Mensch von dem blossen Thiermenschen unterscheidet. Er gehort zu dem ewigen Streben ins Unbegranzte, welches das grosse Triebrad der unbestimmbaren Vervollkommnung ist, deren hochstem Punkte

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dessen Mittelpunkt uberall und dessen Umkreis nirgends ist? Und ist vielleicht gerade diess die einzige Moglichkeit, wie wir uns immer bewegen, d.i. nie zu seyn aufhoren konnen?

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Sache zu reden, Eurybates, glaube ich, trotz der Blodigkeit meines Gesichts fur unsichtbare Dinge, ziemlich klar zu sehen, dass es nur auf den guten Willen unsers Mystagogen angekommen ware, die erhabenen Lehren, die er uns, bald in die seltsamsten Bilder verschleiert, bald in einer

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zu errathen gibt, in der Sprache der Menschen deutlich genug vorzutragen, dass jeder nicht ganzlich im Denken ungeubte Leser sie ohne grosse Anstrengung hatte verstehen und beurtheilen konnen. Aber vielleicht wurden sie dann auch nicht wenig von dem hohen Werth, den er ihnen beilegt, verloren haben, und es ware beim ersten Blick in

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und den darauf folgenden Beschaftigungen und Prufungen, wodurch die zur Regierung seiner Republik bestimmten Personen beiderlei Geschlechts zu dem erforderten hohen Grad von Weisheit und Tugend gebildet werden sollen, im siebenten Buche zu Ende gebracht hat, beginnt er das achte mit einer summarischen Wiederholung der

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von den vier verdorbenen Regierungsarten entsprechenden einzelnen Menschen, alles diess wird im achten und neunten Buch, aus dem Gesichtspunkt, worauf uns Plato gestellt hat, auf eine sehr einleuchtende Art mit vieler Wahrheit und Zierlichkeit vorgetragen. Man erkennt in der

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angedeuteten oder vielmehr nicht angedeuteten geometrischen Zahl durch deren Einfluss Kinder von schlechterer Art so nothwendig gezeugt werden mussen, dass, "wofern die Vorsteher unserer Republik aus Unwissenheit dieser unglucklichen Zahl sowohl als der ihr entgegengesetzten vollkommenen, welche den Zeitpunkt des gottlichen Erzeugnisses bezeichnen soll, den rechten Augenblick, ihre Braute und Brautigame zusammen zu lassen, verfehlen, es unmoglich ist,

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nicht dem menschlichen Geschlecht auch ohne Rucksicht auf seine idealische Republik eine so wohlthatige Entdeckung schlechterdings schuldig? Was sollen wir von dem Manne denken, der ein unfehlbares Mittel, die ganze menschliche Gattung zu veredeln, besitzt, und wiewohl er selbst keinen Gebrauch davon machen will

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dicken Tuch siebenfach bedeckt vorzuzeigen, und sobald er sie recht gelustig darnach sieht, ihnen den Rucken zu weisen und lachend davon zu gehen? Ich zweifle sehr,

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auf den heutigen Tag, von kleinen und grossen Tyrannen begangen worden, in ein einziges phantastisches Subject zusammenzudrangen, als einem komischen Dichter erlaubt ist, die lacherlichsten Charakterzuge von hundert Geitzhalsen in einen einzigen zu verschmelzen. Freilich hatte es dieser muhsamen Auseinandersetzungen, und dieser langen Kette von

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Inductionen nicht nothig gehabt, um am Ende nichts mehr als eine so einleuchtende Wahrheit als diese, "vollkommene Ungerechtigkeit wurde die Menschen ausserst elend, vollkommene Gerechtigkeit hingegen hochst glucklich machen," zur Ausbeute davon zu tragen.

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du mit gebuhrender Aufmerksamkeit gelesen hast, so begnuge ich mich, bloss ein paar Anmerkungen beizufugen, welche nicht sowohl dem Mahrchen selbst, als dem erhabenen Dichter, der uns damit beschenkt hat, gelten sollen.Naturlicherweise konnen uns aus

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bei diesem lacherlich wunderbaren Phantasma denken sollen? Ist das alles in der damonischen Welt wirklich so, wie sein Armenier gesehen zu haben vorgibt? Er rechnet so wenig darauf, dass irgend einer seiner Leser einfaltig genug seyn werde diess zu glauben, dass sein Sokrates selbst die ganze Erzahlung am Ende fur ein blosses Mahrchen gibt. Alle

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als eine wirkliche historische Person vorgefuhrt, und damit wir desto weniger daran zweifeln, sogar Pamphylien als das ursprungliche Vaterland seines Geschlechts angegeben. Der wackre Er macht sich also entweder nach Art weitgereiseter Leute ein Vergnugen daraus, unsre Leichtglaubigkeit auf die Probe zu stellen; oder er ist selbst ich weiss nicht von welchen Damonen getauscht worden, dass er sich einbildete wirkliche Dinge zu sehen, wiewohl er nur

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die Mehrheit schwerlich auf seine Seite ziehen.Nach dieser langen Reise, die wir machen mussten, um unserm dichterischen Mystagogen durch die verworrenen und immer wieder in sich selbst zuruckkehrenden Windungen seines dialektischen Labyrinths zu folgen, ist wohl, sobald wir wieder zu Athem gekommen sind, nichts naturlicher als uns

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diese Fragen beantworte? Platon pflegt (wie ich schon oben bemerkte) mit seinem Hauptzweck immer mehrere Nebenabsichten zu verbinden und scheint sich dazu in dem vorliegenden Dialog mehr Spielraum genommen zu haben als in irgend einem andern.

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oder vielmehr erst mit vieler Muhe gebrochenen und gebahnten Wege, leichter, kurzer und grundlicher bewerkstelligen konnen; aber er hatte seine guten Ursachen, warum er seine Idee einer vollkommenen Republik zur

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in seinen darstellenden Schilderungen zu wetteifern, und uberhaupt durch seine haufigen Uebergange aus dem prosaischen in den poetischen, sogar lyrischen und dithyrambischen Styl mehr als zu viel Anlass dazu gegeben hat. Was aber den Vorwurf betrifft, "er konne den Dialog von der Republik weder fur Philosophen

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diesem Geiste mussen vermuthlich alle Handlungen dieses in seiner Art gewiss grossen Mannes ausgelegt worden seyn, oder es ware unmoglich, dass eine bereits dreissigjahrige gluckliche und in so vielen wesentlichen Stucken musterhafte Staatsverwaltung ihm nicht einen bessern Ruf unter den Griechen erworben hatte.Ich habe vor kurzem von Kleonidas und Antipater Briefe erhalten, die mir sehr angenehme Nachrichten von

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in einem ewigen Fluss ist, wahrnehmen. Die wesentlichen Formen, wovon sie gleichsam die Schatten sind, mussen also ein von ihnen und von unsrer Vorstellung unabhangiges Daseyn haben, und irgendwo wirklich vorhanden seyn. Diess sind nun eben diese Ideen,

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die Sinnenwelt bildeten, wiewohl es nicht in ihrer Macht stand, ihnen mehr als den Schein jener ewigen unwandelbaren und in sich vollkommenen Formen zu geben, der gleichwohl alles ist, was an ihnen reell und wesentlich genennt zu werden verdient. Von

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, mich wenigstens des Wunsches, dass es wahr seyn mochte, und in meinen besten Augenblicken des Glaubens, dass es wahr sey, nicht entbrechen kann. Ehrlich zu reden, ich kenne kein anderes, woran ich mich fester halten konnte, wenn mich die narrischen Zweifel uber Seyn und Nichtseyn anwandeln, die bei meines gleichen sich nicht immer mit dem Sokratischen was weiss ich? oder dem Aristippischen was kummert's mich? abfertigen lassen wollen.

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des Gesichtspunkts gegrundet zu seyn, woraus wir beide uberhaupt die Dinge anzusehen pflegen; aber ich liebe die Aufrichtigkeit, womit du die wahre Ursache deines noch immer unentschiedenen Schwankens zwischen dem gemeinen Menschensinn und der philosophischen Mystagogie deines Oheims gestehest, und ich musste mich sehr irren, oder

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vom Nichts entweder gar nicht reden mussen, oder uns so auszudrucken genothigt sind als ob es Etwas ware? Freilich sollten wir, da dem Worte Nichts weder eine Sache noch eine Vorstellung entsprechen kann, gar kein solches

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auch in gewissen Augenblicken das grosse Geheimniss der Natur zu symbolisiren suchen mag, der einzige Gebrauch, den ich davon mache, ist: die ewige Grundmaxime der achten Lebensweisheit daraus abzuleiten, die zugleich die Regel unsrer Pflicht und die Bedingung unsrer Gluckseligkeit ist. Denn naturlicher Weise tragt die Ueberzeugung,

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das, worin sie verschieden sind, fassen sie unter dem Begriff einer Art zusammen, und bezeichnen sie mit einem gemeinsamen Wort. Durch das namliche Verfahren erhalten wir, indem wir die ahnlichsten Arten unter Ein gemeinschaftliches Wort stellen, den hohern Begriff der

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Ordnung zu geben, nothigt den Menschen zu dieser ihm naturlichen Anwendung seines Verstandes, und es ware nicht schwer (wenn es mich nicht zu weit fuhrte) zu zeigen, wie es zugeht, dass es ihm unvermerkt eben so naturlich wird,

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und die ganze Hellas, ja ich darf wohl sagen, um das ganze Menschengeschlecht dadurch erworben hat. Denn ich zweifle keinen Augenblick, es wird so lange leben, als unsre Sprache das Mittel bleiben wird,

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ist nichts weniger als gleichgultig fur den sittlichen Menschen, wie sie entschieden wird. Ich bin so weit entfernt meine Meinung fur entscheidend zu geben, dass ich vielmehr uberzeugt bin, dieses Problem konne niemals rein aufgelost werden. Indessen sehe ich nicht, warum ich Bedenken

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wie die eigentlichen Menschen, mit diesen zu vermengen und unter dem gemeinschaftlichen Namen Mensch zusammen zu werfen beliebt, sind nun einmal grosstentheils (wie ihre ganze Weise zu seyn und zu handeln augenscheinlich darlegt) alles andre was ihr wollt, nur keine vernunftigen Wesen.

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der zeitigen verlangen.Nun wohl, hore ich sagen, wenn diess auch von der grossten Mehrheit der Menschen in Eine Masse zusammengeworfen gelten konnte, bleibt darum weniger wahr, dass

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Moglichkeit durch gehorige Mittel unter den erforderlichen Umstanden besser werden zu konnen, ist unlaugbar eine Eigenschaft der menschlichen Natur, wiewohl daraus nicht folgt, dass eben derselbe, der in einer gewissen aussern Lage und innern Stimmung etwas

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sie wollen lieber weniger auf einmal geniessen, um desto langer geniessen zu konnen; und diess ist vermuthlich die Ursache, warum ich hier so viele Greise gesehen habe,

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mit mir zufrieden; sie selbst sowohl als ihre Frauen gehen mit mir wie mit einem jungern Bruder um, so unbefangen, so traulich und herzlich, dass sie mich unvermerkt gewohnt haben, mich dafur zu halten. Darf ich dir alles gestehen, meine Mutter? und warum sollt' ich

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Gesichtsbildung der beruhmten Lais ahnlich seyn; und wirklich besitzt Kleone ein Bild der letztern, worin alle, die es zum erstenmal sehen, Melissen zu erkennen glauben. Ich selbst wurde beim ersten Anblick getauscht; aber als ich das Bild genauer mit ihr

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Zugen der schonen Lais so zart verschmolzen ware. Diese wunderbare Vermischung, wodurch sie, je nachdem man sie von einer Seite ansieht, bald Musarion bald Lais scheint, gibt ihr etwas

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meinem Leben schwerlich wieder finden. Mir ist ich lebe in einer kleinen idealischen Republik, worin ich durch den blossen Geist der Liebe diese reine Zusammenstimmung realisirt sehe, welche Plato in der seinigen vergebens durch die muhsamsten Anstalten und die unnaturlichsten Gesetze zu

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aber nicht unbescheidenen Jungling einzuflossen vermag, in einer mir selbst beinahe wunderbaren Mischung zusammenfliesst. Zu dem allem kommt noch zuweilen eine Art von heiligem, ich mochte sagen religiosem Gefuhl, wie ich glaube dass mir zu Muthe ware, wenn

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von den zahlreichen rauschenden Gesellschaften (die in diesem gastfreien Hause nicht selten sind) mehr als sonst ermudet scheint, und uberhaupt, wo sie kein Aufsehen zu erregen befurchtet, sich gern ins Einsame zuruckzieht. Musarion glaubt in diesen und andern kleinen Umstanden Zeichen einer langsam abnehmenden Gesundheit wahrzunehmen, und verdoppelt daher ihre Aufmerksamkeit und Sorgfalt fur die geliebte Schwester, ohne jedoch weder Aristipp noch Kleonidas in Unruhe zu setzen, welche,

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Buch so lange leben konnte) fur das Modell eines vortrefflichen Fursten aufzuschwatzen. Meiner Meinung nach geschieht Philisten durch die erstern Vorwurfe weniger Unrecht als durch die letztern. Wenn ich nicht irre, so hat er in den sieben ersten Buchern, worin er das

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ihm das auffallende Ansehen eines Nachahmers gibt, vermieden, und falls er nicht Kunst genug besass, Herodots naive und angenehm unterhaltende Darstellungsgabe mit dem tiefblickenden Verstand und der scharfen Urtheilskraft des Thucydides auf eine ungezwungene, ihm eigenthumlich scheinende Art zu vermahlen, sich lieber begnugt hatte,

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er im neunten Buch seiner Republik den vollstandigen Tyrannen mit den hasslichsten Zugen und Farben eines moralischen Ungeheuers darstellt, ein getreues Bild des Dionysius aufgestellt zu haben glaubt. Wir beide, und viele andre, die, wie wir, weder Boses noch

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uber einen oligarchischen oder demokratischen Staat zu bemachtigen weiss, das Schlimmste zu denken und zu glauben. Dionysius kampfte lange gegen dieses allgemeine, und (insofern ein Vorurtheil gerecht genannt werden kann) nicht ganz ungerechte Vorurtheil. Da aber weder die Befreiung

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einem der merkwurdigsten Manner unsrer Zeit, von welchem seine Feinde lauter grausenhafte und mit der schwarzesten Galle ubersudelte Zerrbilder in der Welt verbreitet haben, bloss die glanzende Seite zeigt? Eine vollkommen unparteiische, weder verschonerte noch absichtlich oder leidenschaftlich verfalschte Geschichte dieses

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doch kaum irgend einem Sterblichen zugestandlichen Voraussetzungen als richtig angenommen, stehen uns doch noch zwei schlechterdings nicht wegzuraumende Hindernisse im Wege, um derentwillen es ewig unmoglich bleiben wird, eine ganz wahre, ganz zuverlassige Geschichte einer

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seines Umgangs wahrend eines grossen Theils dieser Zeit taglich zu geniessen. Ich habe ihn in mancherlei Lagen und Verhaltnissen gesehen und beobachtet; oder, richtiger zu reden, er zeigte sich mir immer so offen, unzuruckhaltend und anspruchlos, dass ich, um ihn kennen zu lernen, nichts als das Paar gesunde Augen brauchte, womit mich die

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nicht ungehorig fand? Ohne Zweifel lag der wahre Grund darin, dass Aristipp uberhaupt nicht recht zu den meisten Sokratikern passte, und da er diess bald genug gewahr wurde,

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mit dem ganzen menschlichen Geschlecht halten sollte, welches stillschweigend ubereingekommen ist, alles gut zu nennen, was dem Menschen wohl bekommt; ja er war so weit gegangen, zu behaupten: auch das geistigste Vergnugen sey im Grunde sinnlich, und

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ein Nachbild verhandelt. Das, was man seine eigene Philosophie nennen kann, stellt er weniger in mundlichen und schriftlichen Unterweisungen als in seinem Leben dar; ob er gleich kein Bedenken tragt, seine Art uber die menschlichen Dinge zu denken. und

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dass es sogar widersinnisch ist, denjenigen dazu machen zu wollen, der eben darum, weil er seine Art zu denken und zu leben unter seine personlichen und eigenthumlichen Besitzthumer rechnet, andern nur so viel davon mittheilt,

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ihnen ihrer innern Verfassung und ihren ausserlichen Umstanden nach zutraglich seyn konne.Uebrigens sehe ich nicht, warum er nicht eben so gut als andere berechtigt ware, seine Grundbegriffe fur allgemein wahr und brauchbar zu geben. Was

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oder Secte stehen wollen, und deine Philosophie lasst sich so wenig als die ihrige durch Unterweisung lernen. Aber die Athener bedurfen deines scherzenden und spottenden Sittenrichteramts mehr als jemals; und wenn gleich wenig Hoffnung ist, dass du sie weiser und besser machen werdest, so

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in ihn verliebt hatte, wenn er dreissig bis vierzig Jahre fruher zur Welt gekommen ware. Schwerlich ist dir jemals eine so possierlich hassliche Missgestalt vor die Augen gekommen, und es sollte sogar dem sauertopfischen Heraklites kaum moglich gewesen seyn, uber den komischen Ausdruck, womit alle Theile seines Gesichts einander anzustaunen scheinen, nicht zum erstenmal in seinem Leben zu lacheln. Glucklicherweise fur den Inhaber dieser seltsamen Larve leuchtet

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gegen einen beinahe achtzigjahrigen Vater, der zwar noch immer wachend und schlafend auf seinen Geldsacken zahlt und rechnet, aber nicht Krafte genug ubrig hat, seinen Geschaften ausser dem Hause nachzugehen unterzieht er sich den Auftragen, womit ihn der Alte uberhauft, um

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Alten ihm endlich die Freiheit gegeben habe, seiner Neigung zu folgen, und seinen Geist aller der schweren Gewichte zu entledigen, die ihm, so lange er sie an sich hangen hatte, den reinen Genuss seines Daseyns unmoglich machten. Er habe, um der verhassten Last je eher je lieber los zu werden, bereits seine ganze Erbschaft, die sich auf nicht weniger als dreihundert Talente belaufe,

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, das letztere, wiewohl ungern, zu seinem kunftigen Aufenthalt zu wahlen.Was dunkt dich von diesem jungen Menschen, Antipater? Hier ist mehr als Antisthenes und Diogenes, mehr als Plato und Aristipp, nicht wahr? Ich gestehe dir unverhohlen, hatte mich die wackelkopfige Gottin Tyche

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in die rechte Bahn mehr oder minder schwer machen konnte. Andere haben sich zwischen diesen beiden, oft ziemlich weit aus einander laufenden Wegen, mehrere Mittelstrassen gebahnt. Plato nimmt den seinigen sogar, wie

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Mittel, wodurch jeder auf seinem Wege sich zu erhalten und zu fordern sucht. Tausend innere und aussere, zufallige und personliche Umstande, Temperament, Erziehung, geheime Neigungen, Verhaltnisse, kurz das Zusammenwirken einer Menge von mehr oder minder offen liegenden oder

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seyn, braucht man nichts als ein blosser Mensch zu seyn; mit so wenig Zuthaten und Anhangseln als moglich, aber freilich ein edler und guter Mensch; und eben darum wird unser Orden, dem ersten Anschein zu Trotz, immer nur zwei oder drei Mitglieder auf einmal zahlen. Sollte

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ist nicht schwer vorauszusehen was der Erfolg seyn musse, und dass Dion bald genug den Rath erhalten werde, eine kleine Gesundheitsreise zu seinem ehrwurdigen Freund Plato vorzunehmen.Uebrigens scheint Philist darauf zu rechnen,

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(nach unsrer gewohnlichen Vorstellung) zu einer weit hohern Vollkommenheit gebracht als worin er beide gefunden, von den strengern Anhangern der alten, ausserst einfachen, an wenige Formen gebundenen,

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Ephesia grammata hiessen, womit von Betrugern und aberglaubischen Leuten allerlei Alfanzerei getrieben wurde, und uber deren Abstammung und Bedeutung viel Vergebliches philologisirt worden ist. W. 25 Platon sagt im funften Buche seiner Republik: welche manches schon finden, das Schone selbst aber nicht sehen, noch

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Aufstellung einer idealen Staatsverfassung sey, ungeachtet der Dialog den Namen davon tragt, und ein sehr grosser Theil desselben sich damit beschaftigt, sondern Untersuchung uber Dikaosyne, darin stimmen alle unbefangenen Leser mit einander uberein, und Wieland lasst seinen Aristipp austrucklich sagen "ihm scheine die vornehmste Absicht dahin zu gehen, der in mancherlei Rucksicht ausserst nachtheiligen Dunkelheit,

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, sich anmassen konne, Worte, denen der Sprachgebrauch eine gewisse Bedeutung gegeben hat, etwas anders heissen zu lassen als sie bisher immer geheissen haben. Was Plato unter verschiedenen Formeln Gerechtigkeit nennt, ist bald die innere Wahrheit und

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soll, zukommt; bald die Ordnung, die daraus entsteht, wenn viele verschiedene mit einander zu einem gewissen Zweck in Verbindung stehende Dinge das, was sie vermoge dieser Verbindung seyn sollen, immer sind; bald die Harmonie, die eine naturliche Wirkung dieser

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ohne sich gerade dieses Wortes zu bedienen, weder selbst auf diese Hohe des Standpunktes gekommen ware, noch uns darauf hatte fuhren konnen? Mir scheint, dass Platon in seiner Untersuchung gerade darum, weil

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Nachwelt so bosen Leumund gemacht hat, dass Viele sich fur berechtigt hielten, ihn fur etwas weit Verachtlicheres als einen blossen Hofnarren zu erklaren. Dass Wieland, nach der gemachten Anlage, einen ganz andern Gesichtspunkt fur die Beurtheilung gefasst haben wurde, ist keinem Zweifel unterworfen, und gewiss wurde seine Darstellung sehr anziehend gewesen seyn.

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diesem Buche anfangen sollst; das ist ja eben die Klage, dass du nicht weisst, was du mit mir anfangen sollst. Du sollst es lesen und auf den zweiten Teil hoffen, der mehr fur dich allein sein wird.

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hat dir daher so wenig, als ich vieles, zu danken, wovon du guter Geist wohl gar keine Ahndung hast, und was, sagte ich es hier, du nicht verstehen wurdest. So lebe wohl, und denke, dass

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Sich selbst genug, und den meisten zuviel, lebt sie glucklich und wahr, obschon ihre Geschlechtsgenossen sie einseitig beurteilen, weil ihrem kurzsichtigen Blicke die Ubersicht einer so grossen, so ganzen, so harmonischen Oberflache zu unermesslich ist.

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Gebaude ihrer ganzen Weisheit zu zertrummern.Es mag der feinste sinnliche Genuss, das bezauberndste Spiel der Gefuhle sein, allein es ist nichtsdestoweniger das gefahrlichste und gewagteste, denn wer es verliert, hat sich selbst verloren. Molly weiss auf die geschmackvollste Weise die aussersten letzten Faden der

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wenn du kannst, ihm einen recht frohlichen Tag zu verschaffen. Es ist recht schon, dass ich dir zugleich schreiben kann, obschon ich lieber etwas anders tun mochte. Ich mochte lieber mit dem jungen Manne sprechen

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? Ich finde seine Tochter, ein gutes naturliches Madchen, liebenswurdig, ich fand Molly, ein schones, kluges und freies Weib, bezaubernd: was tue ich denn mehr als meinen Gefuhlen, meinen gerechten Gefuhlen, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen? Ich liebe das Schone

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Toisen, weder auf den vierundzwanzig noch auf den zweiundzwanzig Gulden-Fuss reduzieren kannst. Du kennst mich schon lange, und wenn du mich messen willst, so siehst du nach dem an den Turpfosten unserer Familienstube eingeschnittenen Masse. Jetzt siehst du mich nicht mehr, und kannst nur meinen

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. Ich nenne den Mond, wenn ich ihn denke, immer, wie Eusebio, la luna, denn es ist mir lieber, und ich kann mir ihn besser wie ein Weib denken. Da mein Vater so sang und es wieder dunkel ward, steckte

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! ich mochte nicht kommen, denn ich war so glucklich, und fuhlte mich so gut, so frei, so wohl, ich konnte nie ein bessres Madchen sein; ich glaubte die Freundin, dich, verdienen zu konnen, ich glaubte die Wunde im Herzen meines Vaters ganz auszufullen und liebte mich selber recht sehr. Es wird mir lange nicht mehr traurig sein,

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Diminuendo meines heutigen Lebens ertonen lasse. Ihre lange langweilige Taille vertragt sich gar nicht mit unserm jetzigen kurzgebundnen Geschmack la pointe de sa taille est encore au bas

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ist, verliebt bin ich wahrlich nicht, hundert Menschen habe ich umgerennt, hundert Flegels habe ich erhalten, Xenien habe ich gemacht, Strassen bin ich durchlaufen, wer weiss, wie viele stille Liebende gestort, wie viele argwohnische Alte erweckt, wie vielen Podagristen auf

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dann sehr uberraschen, und gewiss eine Seite ganz an ihm kennen lernen. Es ist schwer, diesen jungen Menschen ganz zu beurteilen, denn sein ganzes Wesen wird durch Eindrucke beherrscht, und

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und manchmal gar uber den schonen Stellen dieser grossen Kopfe an meinem kleinen eine Stelle sehr hasslich macht.Im Anfange wollte mir das lange Liegenbleiben des Morgens gar nicht recht vonstatten gehen; ich hatte schon eine halbe Stunde lang die indianischen Blumen auf meiner Bettdecke betrachtet, und alle die seltsamen Figuren auf

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die sich bald mit ihren zarten Armen, bald mit einzelnen Blumen oder Tonen, mit ganzen Blumen- und Tonfolgen, bald mit sussen durchsichtigen Liedern aus beiden gewebt beruhren.Diese Gestalten bilden mir dann keinen Zirkel, sondern kommen unmittelbar aus der

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meine Krankheit gefahrlich sei; aber er versteht nichts davon. Er sagt, es kame ganz allein von meinem Leben mit den seltsamen Menschen hier oben, die alle nicht klug seien, das

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seiner Gegenwart immer stumm war, verstand er nicht. Sie ward hierauf in ein anderes Kloster gebracht, und wir konnten sie nicht mehr sehen.Franzesco hatte nun alles verloren, was ihn ans Leben fesselte, er brachte den ganzen Tag auf

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einem Glasschranke stand. Der goldne Mantel des Bildes glanzte schon, und die Glorie leuchtete wunderbar heilig um das liebliche susse Angesicht der Mutter. Ich glaubte, Cecilie stehe vor mir, ich war ganz in die Anschauung der Erscheinung zerflossen, und fuhlte sie in und ausser mir;

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naherzukommen, gerade so weit gehen, als du kannst, bis zum gesunden Menschenverstand.Dass du ihr nicht ahnlich werden kannst, verstehe ich so: sie ist mehr als naturlich, denn sie ist auf eine gewisse Weise unterrichtet, und ich mochte sagen, sie sei eine weise Frau in

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dem ich lebe, ist hiervon ein auffallender Beweis, und du sollst die Leute auch kennen lernen, wenn ich sie ganz kenne.Lebe wohl, man ruft mich irgend wohin, wo es allerliebst und wenig mehr ist; sei versichert, dass ich in dieser folgenden Stunde gar nicht an dich denke, und halte daher meine Versicherung recht lieb und warm, dass ich ewig bin dein

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ihm einen zarten Gesellschafter, sie macht das Gesprach glucklich.Die Brunette, die ich schon in meinem zweiten Briefe anfuhrte, ist mir gefahrlich. Sie lasst fast jede Unterhaltung eines erhabenen Todes sterben, und spielt das Schicksal dabei; doch bluht auf ihren wohltatigen Wink gleich ein ganzer Fruhling von

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auf sie sei.Zu dieser Gelegenheit komme ich sicher leicht, denn ich darf den einen nur einmal recht betrachten und erkennen, und den andern einmal recht obenhin ansehen, so habe ich mich gewiss uber beide geargert.Lebe wohl. Ist

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.Denn wer dieses Madchens Freundin ist, mag wohl die Achtung der Welt verdienen; aber wenige sind es ganz, das heisst, wenige konnen ihr geben, was ihr fehlt Sie

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ich doch gerne wissen mochte, wer es war, so gehe ich hinab, zu sehen, wer in der Versammlung der Ubrigen fehlt. Du sollst es gleich erfahren, lieber GodwiEs

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keinen von beiden kannst du etwas erbauen, dass es zugleich fest und gerade stehe. Gegen den ersten kann sich dein Wesen hochstens schlafend anlehnen, und an den zweiten kannst du hochstens etwas hangen.Der erste, der die gerade Linie zur Basis hat, steht Basis hat, schwankt entweder von einer

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die nun anfangt wirkliche Mattigkeit zu werden, nichts zu tun, als nach den Zipfeln der schonen Wissenschaften, geistreichen Umgangs und der Wohltatigkeit zu greifen, die ins gemeine Leben herabhangen. Er fasst nie mehr als einen Zipfel, und nie begreift er den

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ihrer sehr kunstlichen Resignation das ganze Bild, auf ihrem kleinen Klaviere, mit ihren kleinen Fingern spielen, mit ihrer feinen Stimme singen, damit es nicht allerliebst langweilig klange.Denn ware in dieser kleinen irdischen Hutte nicht ein einziges, schon gewolbtes Fenster

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reisenden Kunstler ausgeben, der Violettens Grabmal sehen wolle.Ich ging unter diesen Gedanken den Berg hinauf, und hatte auch wirklich eine grosse Begierde, Violettens Grab zu sehen, denn der Gedanke des Bildes konnte unstreitig sehr schon ausgefuhrt sein, und ich liebe besonders bedeutungsvolle Werke, die zugleich schon sind,

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.Das letztere ware wohl das Beste, wenn doch eins von beiden sein sollte, denn es liegt etwas ausserst Komisches darin, mit grossen, herrlichen Empfindungen vereinigt zu sein, um kleine lustige Empfindungen zu gewinnen, und dieses scheint mir die einzige Art von Freundschaft, die unsern grossatmichten Junglingen zu erlauben ware, denn sie lernten dadurch die Wurde des kleinen und bloss scherzhaften, des reinen Spieles oder Spasses kennen, da sie doch zu glauben scheinen, die Freundschaft gehe allein und schnurstracks zum Tragischen hinauf. Auch kann man allerdings in einer solchen kurzweiligen Freundschaft vieles lernen, man

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"Godwi erwiderte: "Sie sollen uns dennoch Ihre Allegorie nicht schuldig bleiben, ich bin begierig, die Reden der einzelnen Haufen und das fernere Geschick der jungen Kreuzfahrer zu horen, unter denen Sie so artig die letzte akademische Generation

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das so recht beschreiben konnte, oder irgend einem Menschen, so ware ich recht glucklich; ich denke oft daran, und ich wurde dich nicht immer bitten, mit mir ans Fenster zu

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e fagli vento,Accioche dell' estate alcun tormentoNon risenta la Dea, ch'e tra mortali.Se i miseri occhi miei posar non ponno,Godi la quiete tua la quiete mia,E quello ch'io perdei, placido sonno,Sen venga adormentar l'anima mia.Se ben che tu mi dai cattivi giorni,Ecco ti vengo a dar la buona notte,Lontananza,

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a canti suoi.Giacinto:Canto mia bella, ma ne piange il core,Io canto come il Cigno in sul morire,Se ben vorrei tacer convengo dire,E ridir cio, che va dettand'

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Che voglion esser altro, che canzoni.Giacinto:Mendico io son, hor eccomi alla porta,Che chieggio in elemosina del pane.Deh non mi fate andar d'oggi in dimane,Doppia e la gratia al fin qua d'ella e corta.

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:Vado cercando come PellegrinoIl piu bello del Mondo in ogni parte,Ma amico il Cielo a voi sola comparteIl terrestre non solo, ma il divino.Laura:Alloggiar Pellegrini gia mai si suoleQuando che non venisse di Ungaria.

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dite, che vale,Hor che i vestiti son tutti alla moda,Se voi sete fedel e senza frodaPer voi solo, e fedel quel ch'e REALE.

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.Er machte auf einer seiner kleinen Reisen die Bekanntschaft eines sehr schonen, in der ganzen Gegend als ein Wunder von Verstand bekannten Madchens: auch sie war lange auf ihn begierig gewesen, sie war stolz, siegreich, und wusste nicht, wie sinnlich. Sie hatte es lange gewunscht,

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in sehr gefuhlvollen Auslegungen zu entwickeln.Es tat seine Wirkung, die Gesellschaft, besonders die Weiber, welche sich anfangs gefreuet hatten, dass sie endlich doch da gescheitert sei, wo alle scheiterten, verstanden bald das Gesprach der beiden nicht mehr, und

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das alles recht gut, und er war zu beschaftigt, seinen Ton fort zu halten und zugleich auf einen letzten vernichtenden Schlag zu sinnen, als dass er hatte empfinden konnen, wie liebenswurdig Molly war.

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mich so wenig zu besuchen, weil Sie glauben, es konne meinem Rufe schaden, so ubertreiben Sie; ich kann nicht begreifen, warum Sie mich nicht ofter besuchen sollten; wir sind immer so ungestort als das letztemal, denn Sie wissen, ich bin allein und ganz mein Herr

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noch eine kleine Schwester, sie ist nun funf Jahre alt. Ich erinnere mich meines Vaters noch wohl, er war ein kleiner Mann, und nie recht freundlich; zweimal erinnere ich mich recht deutlich, wie

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bitte Sie daher, dem Seelenheil meiner Violette nicht langer nachzustellen, denn ihre Seele ist gesund, hat kein Heil notig, und Sie stiften hier wahres Seelenunheil wenn Sie es gut meinten, so kann ich nichts dafur, dass Sie es schlecht machten. Leben Sie wohl.Der Monch ging weg;

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verlorne Hoffnungen denken wir leichter, wenn wir auch andere dafur interessiert wissen.Seine aussere Erscheinung bizarr oder angenehm, aber immer anziehend seine Unterhaltung schnell, sehr lebhaft, immer witzig vielen fremd,

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nnDu hattest schon, o Freund! den Weg gefunden,Vertrauend bald der heilgen neuen Lehre!Du hattest schon die heilge Drei verbunden,Bis dir die Viere deutlich worden ware,Liess

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dass die zweiten dreissig zu hoffen Thorheit war: und warum er, eines wunderlichen, grillenhaften, unverbesserlichen Vaters wegen, mehr als die erste, schonste Halfte seines Lebens aufopfern sollte, das konnt' er

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Gericht hatte laufen mussen: so eins hatt' er wohl gerne gehabt, von Herzen gerne! Und konnt' ich das zugeben? konnt' ichs recht sprechen,

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Vaterchen einen guten Morgen zu sagen. Denn ich weiss, er sieht mich so gerne. Nicht wahr?Als ob das noch Fragens brauchte!Wenn ich nicht so ganz zufallig kame, so hatte mich eins von den Kleinen begleitet; das,

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er sich endlich zusammennahm, um wirklich sein Wort an den Mann zu bringen, so gerieth dies so ausserst ubel, dass der Alte keinen geringen Schreck davon hatte.Die ersten Worte der Anrede: "Mein lieber" kamen so ziemlich heraus, und

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einer Arbeit gekommen bin, worin man sich eben darum so ungern storen lasst, weil man sie so ungern anfangt. Ich will dich jetzt langer nicht aufhalten. Wenn du hier fertig bist, sprechen wir einander schon weiter.

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?Du fragst? Wenn sie wirklich so liebenswurdig und sanft und gut ist, wie du sie mir immer geruhmt hastDas ist sie wahrlich! wahrlich!Nun so lasst man den dritten Mann kommen, den Priester. Der weiss Mittel fur

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' ihn gar sehr; denn so wenig ich seine kleinen Schwachheiten an ihm verkenne, so weiss ich doch, dass er zu unsern rechtschaffensten, selbst zu unsern edelsten jungen Burgern gehort.Das klingt gar schon; in

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Stutz, gerade zu rucken. Wirst schon wieder schief zu stehen kommen, sagte er lachelnd; aber, mein guter Stutz Gluck werden wir ohnehin nicht mehr machen. Wir sind zu alt, sind so sehr ausser der Mode.

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solches Spectakel anfing. Sie konnte seitdem die Frau nicht mehr ansehn. Es war auch wirklich recht gottlos.Freilich! Die kurzen sechs Wochen uber hatte man sich schon ein wenig still halten konnen.

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seinen Armen getragen, hatte ihnen tausend kleine Dienste und Gefalligkeiten erwiesen, und tausend kleine Schmeicheleien und Liebkosungen dafur wieder erhalten. Noch jetzt, da sie schon langst erwachsen waren, nannten sie ihn immer Du, und lieber alter Vater;

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bei allem guten Willen, nie bis zum Heiraten und bis zum eignen Kinderzeugen hatte bringen konnen, jedesmal in der Seele wohlthat. Auch vergassen die Kinder nie, was er selbst immer richtig vergass: seinen Geburtstag; wenigstens erinnerte die Doctorinn daran ihren vergesslichern Bruder: und das ward dann ein

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Heiratstiftens, wobei des Danks so wenig und des Undanks so viel zu gewinnen stehe, und von alten Mutterchen, denen ihr eigenes Liebesfeuer ausgegangen ware, und die so gern ein fremdes anzundeten, um sich daran zu warmen und an die eignen bessern Tage dabei zuruckzudenken; kurz, so argerliches und spitzfindiges

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Vorbereitung eines guten Ausganges nur immer geschehen konnte; so hielten sie es fur nothwendig, dass der Bruder ein Ende machte, und so bald als moglich dem Vater vor Augen trate.XXXIV.Gleich am folgenden Tage kam

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als die meinige leihen. Aus ihr nehmen Sie das, womit Sie mich zu verwirren oder zu uberzeugen glauben. Ich sehe, loh habe Ihre Achtung ganz, und habe sie auf immer verloren. Ich werde meinen eigenen Weg gehen mussen. Ich

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war, lasst sich aus dem grossen Antheil, den sie bisher an dem Bruder genommen, und aus der mannichfaltigen Muhe, die sie sich seinetwegen gegeben hatten, ermessen. Sie glaubten uberwiegende Grunde zu haben, den besten Ausgang zu hoffen; und doch liessen sie, eben wegen der Grosse

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Stunde von unserm Guthe lag ein Stadtchen, das von jeher sehr viel Anziehendes fur mich gehabt hatte. Oft fand ich mich mitten zwischen den kleinen reinlichen Hausern, ohne zu wissen, wie ich dahin gekommen war. Traumend ging ich dann

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: sie konne sich wirklich von mir losreissen hochst wahrscheinlich eine plotzliche Verwandlung meiner ganzen Empfindungsart hervorgebracht haben.Doch woher sollte diese Gewissheit kommen? Sophiens Liebe schien nur mit ihrem Leben aufhoren zu konnen, und eher wurde ich

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Vorzug zu erwerben.Ich war auch nicht unempfindlich dagegen; aber die ewigen Klagen uber meine kleinen Ausschweifungen, wodurch ich ja eigentlich meinen Adel bestatigte machten mir den theuer erkauften Titel sehr bald zuwider.

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freylich sehr stolz, aber auch herzlich verlegen machte.Sein holprichtes Franzosisch ward jetzt noch ein klein wenig holprichter, und ein Pas de deux, wozu die Citoyenne Rose abgerufen ward, konnte nicht erwunschter fur ihn kommen.Wir

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sie selbst daruber vergessen konnen!""Sie scheinen sie wirklich daruber vergessen zu haben," sagte der Englander lachend."Nun der Fehler ware so gross nicht,"

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dir langst gesagt, dass fast immer entgegengesetzte Winde in verschiedenen Hohen streichen. Zwischen zwei feindseligen Stromen halt nun nach den hydrostatischen Gesetzen durchaus eine neutrale ruhige Luftschicht still. Und in dieser schlaf' ich gemeiniglich.Auf den ersten Gedanken der

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als Perlhuhner entgegen, und wollen gleichwohl Leute en longue robe vorstellen. Es sind die alten Folianten gar nicht mehr, ob sie gleich ihre Sprache reden.Die Arzte gehen in Marmor anstatt wie sonst in Halbtrauer Die historischen, die philosophischen Werke tragen

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den sehr guten Calembourg: "Elle se leve le cu premier, mais c'est la premiere fois"46; dadurch verfiel ein anderer darauf, die Schaukel einen Pariser cu de Herrenleis zu nennen; bis endlich der samtliche Adel sich leicht vereinte,

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als Moralisten freiwillige lieber ware; einige sterben den ganzen Tag und leben ein wenig im Schlafe; die meisten zerfahren.Euch, ihr festen unschuldigen Landleute und Boheimer, sind das freilich ganz andere bohmische Dorfer, als ihr bewohnt; euer

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andere Vernunft regiert als die eigne. Ist denn dieses moralische Reich darum unmoglich, weil es bloss moralische Mitglieder voraussetzt? Kann das in der grossern Zahl unmoglich sein, was in der kleinern schon wirklich war?

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, und daruber zugrunde gingest, ehe ich dich missen kann? Ich weiss es freilich, aber du sollst es nie erfahren, denn du sollst glucklich sein; du sollst, verlass dich auf meine Wachsamkeit, gewiss nie in dem klugen Glauben gestort

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jedes Verhaltnis zugleich so rein und so gebildet sich erhielt, die ganz durch einen gemeinschaftlichen Geist belebt zu sein schien, indem jeder einzelne zugleich seinem eignen Werte treu blieb. Hier zum erstenmal bemerkte Florentin die wahre innige Liebe

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habe sprechen horen, verriet gewiss keinen gemeinen Sinn", sagte Florentin. "Sie hat grosse Reisen gemacht und viele der vorzuglichsten Kunstwerke selbst zu sehen Gelegenheit gehabt. Doch kommen Sie jetzt, man wird uns erwarten; ich will vorher zusehen, ob

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Anstoss damit gibt; doch versteht er sich recht gut darauf, ein solches Argernis nicht zu gross werden zu lassen; er macht bald alles wieder gut. Wir begreifen eigentlich nicht, wie es ihm moglich ist,

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. So interessant er auch ist, so glauben Sie mir nur, liebe Tante, Eduard verliert gar nicht gegen ihn, er kommt mir vielmehr neben seinem Freunde noch liebenswurdiger vor. Ich weiss gewiss, ich konnte diesen nicht

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werden es weder gluckliche noch ungluckliche Liebe nennen wollen, wenn Sie horen, dass ich von meinem sechzehnten Jahre an der Erziehung der beruhmtesten schonen Frauen in Venedig uberlassen war. Ich lernte jeden Sinnenrausch kennen, fruher als ich das geheime Feuer im innersten meines Herzens kannte und verstand, und keine Verderbnis der verderbtesten Welt hat es daraus vertilgen konnen. Die

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, ich fordre wenig, ihr werdet es vielleicht nicht glauben, recht sehr wenig; doch scheint es eine grosse Forderung zu sein, denn ich fand sie nie erfullt.

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; die beiden Manner kamen ihr in ihrer Angst ganz fremd vor, sie erschrak davor, so ganz ihnen uberlassen zu sein; sie konnte sich einen Augenblick lang gar nicht des Verhaltnisses erinnern, in dem sie mit ihnen stand, sie bebte, ward blass.

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musste ich vollkommen so leben, als im Kloster; dabei zeigte man mir unaufhorlich das grosste Misstrauen. Ich fuhlte mich hier so rein, war es mir bewusst, dass ich durch meine Aufrichtigkeit vielmehr ihr Zutrauen hatte erwerben sollen; ich fand jene so klein, so unedel in ihrem

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, jetzt aufs neue mit grossen Anspruchen auf seine Hulfe vor ihn trate, dass er es eigentlich noch nie aus seiner Seele verloren habe, kurz dass er sie liebe, und gewiss glucklich sein wurde,

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der zu edel ist, um sie seinen Zorn lange empfinden zu lassen, besonders da diese Handlung seinen wahren Grundsatzen gar nicht entgegen sein kann; was er uns damals daruber gesagt, war gewiss nur,

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, ihren einzigen Sohn, im blinden Aberglauben den Pfaffen aufgeopfert hatte, und schonte sie vielleicht zu wenig. Sie ward aufgebracht und rief endlich in grosser Hitze: 'Trotze nicht langer, Florentin, und hore etwas, wozu ich nicht wieder einen schicklichen Augenblick finden werde, denn wir werden uns nie wiedersehen!

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Freuden hinbringen konnen, aber eine geheime Unruhe im innersten Gemut, ein Treiben nach einem unbekannten Gut liess es mich selten rein geniessen, dass es mir doch eigentlich recht wohl ging. Ich wunschte mir einen grossern Wirkungskreis, es kam mir oft ganz verkehrt vor,

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meinem Namen hinein, und setzte dazu, ich ware im Garten. Ich ging wirklich dahin und setzte mich auf die erste Bank, die ich fand. Bald darauf kam auch der Lord mit einem wahren Festtagsgesicht, das immer langer ward, je naher er mir

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Sie hatte schon viel zu meinem Vorteil gehort, sagte sie, und schon lange gewunscht mich pesonlich zu kennen. Was konnte sie mir Erfreulicheres sagen? Auch war unsre Bekanntschaft mit diesen wenigen Worten so gut als befestigt.

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. Sehr viele, ja die meisten Ideen dazu, kommen von meinen Landleuten selbst; sie kennen den Boden, den sie bearbeiten mussen, durch ihre Erfahrung am besten, daher sind sie am ersten imstande und berechtigt, sich

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das Ihrige entziehen! Aber damit ware mir noch gar nicht gedient, meine Bauern sollen sich nicht aus Eigennutz vervollkommnen, und meinen Willen ihres eignen Vorteils wegen vollziehen, sondern aus reiner Liebe und Dankbarkeit sollen Sie mir meinen Willen tun. Weltlichen Vorteil sollen sie gar nicht vor

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von Herzen gehe, oder dass wir die Gebrauche unserer Vorfahren nicht mehr ehren. Es darf nicht unterbleiben! Doch bleibt dir, Liebe, die ganze Anordnung unumschrankt uberlassen. Die Missbrauche, die du ganz richtig angemerkt hast, werden sich vielleicht vermeiden lassen."Das Gesprach ward durch Briefe

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des Lagers sowohl, als zwischen den stolzen Federbuschen, die auf den reich mit goldnen Quasten verzierten schweren seidnen Vorhangen prangten, breiteten sich mit grosser Wurde die Wappen, gleichsam der schwebenden, beinahe entkorperten Psyche erdruckend entgegen.

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Fremden nicht uberraschen, wir haben zu lange verweilt." "Nun lasst uns zuruckgehen", sagte Eleonore, "wir finden wahrscheinlich schon einige versammelt. Auch unser wunderlicher Obristwachtmeister wird wohl schon aufgestanden sein; es wird mich belustigen zu sehen, was er zu unserm Volksfeste sagen wird; ich wette, er findet etwas gegen die Humanitat darin zu tadeln.

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! Lebe wohl, Eduard, gedenke meiner. Juliane, wer Sie sieht, wird Sie kennen; wer Sie kennt, muss Sie lieben; wer Sie liebt, kann nie aufhoren. Bleiben Sie glucklich!Florentin.

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, so halt sie mit Recht jedes andre Mittel, sie dazu zu bewegen, fur unerlaubt und unwurdig. Sie, deren grosse Seele jeden Schmerz mit geprufter Standhaftigkeit tragt, vermag nie andern irgendeine unangenehme Empfindung zu verursachen; sie findet es bei ihrer Reizbarkeit immer noch leichter selbst zu dulden, als andre dulden zu sehen; auch findet sie in

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ich mir vorgenommen, und an dessen Ausfuhrung ich schon soviel Zeit gesetzt. Sie soll nicht so ganz nur verschwendet worden sein. Sie folgen Ihrem Beruf unter den Augen der erhabenen Clementina, und werden vielleicht doch noch einst dauerndes Gluck und Lohn aus ihren bildenden Handen empfangen.

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diesem wahrhaft verdienstvollen Mann. Er ward nicht mude ihn reden zu horen; auch sprach er immer besser, je mehr er Gelegenheit fand, seine tiefe Gelehrsamkeit und die mannigfaltigen grundlichen Kenntnisse anzuwenden. Seine sonst mehr ruhige Physiognomie ward dann durch Begeisterung erhoht, besonders bei gewissen, ihm heiligen Dingen.

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, das sollten Sie ihr einmal sagen. Unbegreiflich bleibt immer die verhasste Schwache (denn lassen Sie es uns ja nicht Liebe nennen) vieler, ja sogar ausgezeichneten Frauen,

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keine Vernunft stark genug ist, diesen jemals bei ihr zu vertilgen, so macht sie so selten als moglich neue Bekanntschaften, und hutet sich gleichsam vor jedem neuen Eindruck. Sie konnen es als einen ganz besondern Vorzug ansehen, dass sie Sie zu sprechen wunscht."Sie sprachen nun noch

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Leidenschaften auch nachsagen mag; ohne sie scheint es gleichwohl dem Menschen unmoglich, sich seiner ganzen moralischen Kraft bewusst zu werden. Wer uns demnach irgend eine dieser wohlthatigen Feindinnen treu darzustellen versucht; darf sich schmeicheln, nichts

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.. kennt, dieser sehr naturlichen Empfindung."Gerade dadurch wird sie noch mehr erbittert."So? mich dunkt sie konnte sich aber auch dadurch bewogen fuhlen etwas weniger giftig zu werden. Denn, sage was Du willst, man muss sich doch, wegen ihrer Bosheit, an sie selbst halten."O ja! wenn man abgerechnet hat,

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ich selbst jemals fur etwas Erhabeners gestritten? Oft wollten die Andern mich es glauben machen und wurden mich vielleicht zu diesem Glauben bekehrt haben, ware er zu meiner Ruhe nothwendig gewesen. Aber bey meinem System konnte ich gar wohl seiner entbehren.Uns aufgerichteten Thieren schien mir ganz recht zu geschehen, wenn

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zu dem letzten Balle. Wie gewohnlich sucht man Entschuldigungen hervor. Aber er lasst sich nicht irre machen, und besteht darauf, uns wenigstens als Zuschauerinnen daran Theil nehmen zu sehen. Julie

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ein Gott leben und begreifen kann.Siehe! ich darf sie halten, halten in meinen Armen! darf mich berauschen in den himmlischen Zugen darf sie mein nennen! O Gott! wer hatte geglaubt, des Menschen Herz konne so viel Seeligkeit fassen! und darum sage ich Dir:

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bin ich sogar eine geraume Zeit nicht aus meinem Zimmer gekommen, und ware bald krank daruber geworden. Da hattest Du ihn sehen sollen! O gewiss! ich muss um vieles besser werden, diese Liebe ganz zu verdienen.Solltest Du glauben, ich wurde noch von der gemeinsten Eitelkeit beherrscht? Vor einigen Wochen offne ich des Morgens die Thur unsers Schlafzimmers, und sehe einen Mann ausgestreckt auf der Erde liegen. Er

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Disharmonie sich findet, an kein Gluck zu denken ist.Wie ware es auch moglich? Haben wir uns einmal dem mannlichen fur uns wahnsinnigen Gedanken uberlassen: geniessen zu wollen; so achten wir keine Schranken. Von einer feinern Organisation, weit mehr als die

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! da kommt mir ein glucklicher Gedanke! Kunftig werde ich statt hasslich, immer mannlich setzen. Nicht wahr? es ist eben so gleichbedeutend, wie schon und weiblich. Komisch ware es, wenn das Hasslichste immer das Mannlichste ware.Was meinst Du dazu?

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Art ja, die sich recht gut sehen, aber nicht beschreiben lasst.Seitdem haben wir nun unsre ganz eigne Zeichensprache. Mir gefallt sie so wohl, dass

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Bewohnerinn des unterirdischen Reichs einweiht. Keiner irrt gewiss weiter ab vom Ziele, als wer sich selbst einbildet, er kenne schon das seltsame Reich, und wisse mit wenig Worten seine Verfassung zu ergrunden und uberall den rechten Weg zu finden. Von selbst geht keinem,

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, und sicher kennen wir jede Gestalt. Wir brauchen nicht erst lange nachzuforschen, eine leichte Vergleichung, nur wenige Zuge im Sande sind genug um uns zu verstandigen. So ist uns alles eine grosse Schrift, wozu wir den

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Aber er weiss ja kaum, dass wir zusammen gehoren, und keins ohne das andere bestehen kann. Er kann nichts liegen lassen, tyrannisch trennt er uns und greift in lauter Dissonanzen herum. Wie glucklich konnte er seyn,

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Natur wahrhaft begreifen lernen konnen, und in wiefern unsre Gedanken und die Intensitat unsrer Aufmerksamkeit durch dieselbe bestimmt werden, oder sie bestimmen, und dadurch von der Natur losreissen und vielleicht ihre zarte Nachgiebigkeit verderben. Man sieht wohl, dass diese innern Verhaltnisse und Einrichtungen unsers Korpers vor allen Dingen erforscht werden mussen, ehe

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und dann ware der Endzweck erreicht.Es ist wohl viel gewagt, sagte ein Anderer, so aus den ausserlichen Kraften und Erscheinungen der Natur sie zusammen setzen zu wollen, und sie bald fur ein ungeheures Feuer, bald fur einen wunderbar gestalteten [B]all, bald fur eine

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, manche erst im hohen Alter dazu. Ein wahrer Forscher wird nie alt, jeder ewige Trieb ist ausser dem Gebiete der Lebenszeit, und je mehr die aussere Hulle verwittert, desto heller und glanzender und machtiger wird der

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, und blieben ihr ganzes Leben hindurch in der Dunkelheit des grossen Haufens. Es ist sogar als eine rechte Seltenheit zu achten, wenn man das wahre Naturverstandniss bey grosser Beredsamkeit, Klugheit, und einem prachtigen Betragen findet, da es gemeiniglich die einfachen Worte, den geraden Sinn, und ein schlichtes Wesen hervorbringt oder begleitet. In

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den Menschen gesprochen hatten. Mir ist grade so, als wollten sie allaugenblicklich anfangen, und als konnte ich es ihnen ansehen, was sie mir sagen wollten. Es muss noch viel Worte geben, die ich nicht weiss: wusste ich mehr, so konnte ich viel besser alles begreifen.Sonst tanzte ich gern; jezt denke ich lieber nach der

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. Unsre heutigen Wunderbilder haben mich nie sonderlich erbaut, und ich habe nie jene grossen Thaten geglaubt, die unsre Geistlichen davon erzahlen. Indess mag sich daran erbauen, wer will, und ich hute mich wohl jemanden in seinem Vertrauen irre zu machen. Aber, lieber Vater,

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? Du erinnerst mich eben zur rechten Zeit, sagte der Alte; ich habe diesen seltsamen Traum ganz vergessen, der mich damals lange genug beschaftigte; aber eben er ist

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Sanger hatte gottliche Gunst hoch geehrt, so dass sie begeistert durch unsichtbaren Umgang, himmlische Weisheit auf Erden in lieblichen Tonen verkundigen konnen.Die Kaufleute sagten darauf: Wir haben uns freylich nie um die

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in einem kleinen Thale verbarg, sich allein zu Pferde in den Wald begeben, um desto ungestorter ihren Fantasien nachhangen und einige schone Gesange sich wiederhohlen zu konnen. Die Frische des hohen Waldes lockte sie immer tiefer in seine

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unter der durchsichtigen Gegenwart wirft die Bilder der Welt mit scharfen Umrissen zuruck, und so geniesst man eine doppelte Welt, die eben dadurch das Schwere und Gewaltsame verliert und die zauberische Dichtung und Fabel unserer Sinne wird. Wer weiss, ob

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. Mich daucht er ist zum Dichter geboren. Euer Geist komme uber ihn. Er sieht seinem Vater ahnlich; nur scheint er weniger heftig und eigensinnig. Jener war in seiner Jugend voll glucklicher Anlagen. Eine gewisse Freysinnigkeit fehlte ihm. Es hatte mehr aus ihm werden konnen, als

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ergriff er unvermerkt ihre Hand, und sie konnte nicht umhin, manches was er sagte, mit einem leisen Druck zu bestatigen. Klingsohr wusste seinen Enthusiasmus zu unterhalten, und lockte allmahlich seine ganze Seele auf die Lippen. Endlich stand alles auf. Alles schwarmte durch einander. Heinrich war an Mathildens Seite geblieben. Sie standen unbemerkt abwarts.

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der Erfindung macht nur eine leichte Zusammenstellung fasslich und anmuthig, dagegen auch das blosse Ebenmaass die unangenehme Durre einer Zahlenfigur hat. Die beste Poesie liegt uns ganz nahe, und ein gewohnlicher Gegenstand ist nicht selten ihr liebster

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, und selten wird ein junger Dichter sie gut losen.Ich mochte gern eins von dir horen, sagte Heinrich. Die wenigen, die ich gehort habe, haben mich unbeschreiblich ergotzt, so unbedeutend sie auch

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sich zu halten schien, so ward sie doch immer bleicher und fleckiger. Die Flamme ward weisser und machtiger, je fahler die Sonne ward. Sie sog das Licht immer starker in sich und bald war die

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des Weltalls vermag das Verhaltniss unsrer Welt einzusehn. Es ist schwer zu sagen, ob wir innerhalb der sinnlichen Schranken unsers Korpers wircklich unsre Welt mit neuen Welten, unsre Sinne mit neuen Sinnen vermehren konnen, oder ob jeder Zuwachs unsrer Erkenntniss, jede neu erworbene Fahigkeit nur zur Ausbildung unsers gegenwartigen Weltsinns zu

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Welt mit hohern Welten verbindet. Bey hohern Sinnen entsteht Religion und was vorher unbegreifliche Nothwendigkeit unserer innersten Natur schien, ein Allgesetz ohne bestimmten Inhalt, wird nun zu einer wunderbaren, einheimischen unendlich mannichfaltigen und durchaus befriedigenden Welt, zu einer unbegreiflich innigen Gemeinschaft

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sich das hochste Leben hervorthun; er hat unter Todten gelebt und selbst mit ihnen gesprochen, das Buch sollte fast dramatisch werden, und der epische Ton gleichsam nur die einzelnen Szenen verknupfen und leicht erklaren. Heinrich befindet sich plotzlich in dem

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, wir lernen unser inneres Leben immer deutlicher und schoner kennen, je wirksamer wir in dem aussern sind. Lass uns dem grossen, guten All aufs innigste angehoren,

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und die herrschende Idee eines Jeden mahlte sich bald lebendiger und starker im freien Gesprach. Barton! hier fuhlte ich recht meinen Werth; ich fuhlte mich voll Kraft, reich an Erfindung eine ganze Welt zu beglucken, stark an Entschliessung, trotz allen Verhaltnissen, der Natur getreu zu leben. Ich

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mit Deinem jungen, kaum zum Gatten gewordnen, Liebhaber nach Deinem neuen Wohnorte, und naturlich dass Dir da im ersten sussen Rausch einer ganz aus Liebe geschlossnen Verbindung, wohl wenig Zeit, an Deine Freundin zu denken, ubrig blieb.

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wollte ihm nie recht gelingen. Er schien sich immer fester an mich zu ketten, und auch ich glaubte Neigung fur ihn zu fuhlen, vielleicht nur, weil Du mir gesagt hattest, dass

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hinschweben zu sehen. Ich konnte mir das Leben unmoglich wie einen geraden, offnen Weg denken, wo man schon beim Eintritt das Ende ubersehen kann; vielmehr liebte ich mir einen, verschlungenen seltsamen Pfad voll romantischer Stellen und wechselnden Lichts zu traumen. Unser

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sichres, sorgenfreies Auskommen verschaffen. Du wirst von Einem Menschen abhangen, aber in ubrigen frei sein. Bedenke, wie selten Liebe allein eine ehliche Verbindung schliesst, wie selten vorzuglich ein Weib in ihrer abhangigen Lage darauf Anspruch machen

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Andre unter ewigen Wunschen, unter Sorgen und Gram erst spat, viele nie erreichen. Frei und ohne mein Sorgen bieten sich mir alle Mittel dar, das Leben zu geniessen, warum fehlt mir doch oft der Sinn dafur? Warum fliegen alle meine

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denn so unmoglich, dass ein Weib sich selbst genug sein kann? sind unsre Herzen durchaus dazu geschaffen, in einem einzigen Gefuhl die ganze Welt zu geniessen, und warum sollten wir dies Gefuhl nicht uber die ganze Welt verbreiten konnen?

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Du etwas beitragen kannst, mich diesem Ziel naher zu bringen, so thue es, und mache Deinen Eduard sobald als moglich glucklich.Ich komme eben von einem weiten Spaziergang zuruck,

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mir eine betrachtliche Summe Geld, wobei er mich mit vieler Artigkeit bat, bei Gelegenheit einiger bevorstehenden Lustbarkeiten meinen Anzug so glanzend einzurichten, als ich es mit vollem Recht thun konnte. Sein Gesicht hatte sich nun ganz wieder in die feinen, verschlossnen Falten gezogen, die es gewohnlich hat,

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von den ubrigen gut unterstutzt, verschiedene der besten Compositionen, meisterhaft aus. Bei einer der schonsten Stellen fiel mein Blick auf einen jungen Mann, der ganz in den Tonen zu leben schien. Denke Dir einen wahren Geniuskopf,

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. Er halt mir einen grossen, mahlerisch schonen Rosenzweig, mit voll entfalteten und noch halb geschlossnen Bluthen entgegen, und aus der kleinen festgeschlossnen Hand zieht er ein feines Blatt Papier hervor, das in leicht geschriebenen Zugen, folgendes enthalt: "Ein reizender Knabe spielt an meinem

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zum Grunde liegt. Sollte ich je anders fur Dich fuhlen, als jetzt was mir unmoglich scheint, so sage ich Dir es frei, und auch Dich halte keine vermeinte Zartheit ab, die immer Falschheit bleibt, mir

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von ihm entdeckt ward, dass Wilhelm sein Kind sei; dass er einst eine heftige Leidenschaft fur dessen Mutter gefuhlt, sie aber bald darauf wieder ganz verlassen habe. Sie sei, fuhr er fort, wahrscheinlich aus Gram daruber, gestorben;

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selbst zu lenken, ohne mich, und uberhaupt den einzelnen Menschen, fur ausserordentlich wichtig, aber auch eben so wenig, fur vergessen zu halten. Ein grosser Verstand beherrscht das Ganze; und es ist klein und eitel, sich als Zweck desselben zu denken. Das

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Walde, lag die schonste Ruine, die ich je gesehen habe. Die ganze Stelle hatte eine wunderbare Mischung, von susser, weichlicher Landlichkeit, und reizender romantischer Wildheit; nie hab' ich etwas Lieblicheres gesehen. Ich stand vor den

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edleres Interesse nehmen zu lassen, eben weil er andere weniger braucht, wie ganz unertraglich ist er an denjenigen, die dennoch ganz in ihren Geistesbanden bleiben, sich nur mehr in Sorgen

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durch ihre ausserst schone romantische Lage schon langst gefiel, und es beschaftigt mich immer mehr, meine ganze Umgebung nach den Bildern zu gestalten, die ich schon lange im Sinne trage, und bisher nie, ungestohrt ausfuhren konnte. Die

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niedlichsten Umgebung allein sehen. Dir zu schildern, was sie eigentlich ist, vermag ich nicht, obgleich ich sie in manchen Augenblicken ganz zu verstehen glaube, aber wie es auch sei, so viel ist gewiss, dass

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dem Tadel andrer, zu wurzen, da dadurch der geheimen Schadenfreude andrer, und dem sussen Wahn der Ueberlegenheit geschmeichelt wird als Gesprache zu fuhren wissen, die ohne diesen Kunstgriff reizen und unterhalten. Nein, nur wer mit so

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diese Neigung allein ist nicht Liebe zu nennen. Freilich wird derjenige seltner geruhrt, dessen eignes Wesen seltner ist, freilich ruhrt uns ein Gegenstand schneller, ein andrer langsamer, und wir werden desto starker angezogen, je mehr wir in

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selber ist wohl der artigste Mann und der schonste, ohne es aber zu wissen, dem ich je ins Gesicht gesehen, nur zu ernst und zu gelehrt, namlich fur einen Musikus. Sie alle sollten ihn sehen, das heisset horen. Und doch so bescheiden, wie schon gesagt. '

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mit dem ersten nichts zu tun, sondern alles bloss mit meiner gottlichen Windmuhle, die der blaue Ather treibt, und auf welcher wir beide Brot du erbst indes immer fort , soviel wir brauchen, mahlen konnen. Ich weiss nicht,

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, die immer schneller gehen, je alter sie werden ja vielleicht sei er nicht alter als Walt, wiewohl ein Pferd stets etwas junger sein sollte

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dem Essen unmoglich; das Herz und das Leben wurd' ihnen nachmittags zu schwer, sie strichen so lange in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum, bis sie darin auf irgendein dunkles Platzchen stiessen, etwan auf ein altes niedriges Grab, worauf sie sich setzten, um

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so viel philosophischen liess den blauen stolzen Jungling schwer durchpassieren und sich von ihm statt an die Brust doch recht an die Seite so lange drucken, dass der Blaurock ziemlich ernsthaft ihn ansah. Vult war verschwunden. Der Jungling flog bald mit seinem Bedienten auf schonen Pferden davon. Aber

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Der Flotenspieler sagte (eine gewohnliche Ergiessung seines Zorns): "freilich in gewissen Stucken indessen zumal so insofern ja freilich, o Himmel!" und fugte bei, seines schwachen Bedunkens sei Klothar vielleicht nicht weit von dem entfernt, was man im gemeinen Sprachgebrauch einen Egoisten nennt. Walt hielt es jetzt schon fur Freundes-Pflicht, den unbekannten Grafen hieruber heftig zu

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Die Tischgenossenschaft vereinigte sich namlich, das gottliche Gemut einer gewissen "Generals-Wina" zu erheben... Es gibt vielerlei Ewigkeiten in der armen Menschenbrust, ewige Wunsche, ewige Schrecken, ewige Bilder so auch ewige Tone. Der Laut Wina, ja nur der

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"Das weiss man eben nicht (sagte der Sekretar); bleibt sie inzwischen bei ihrer, so sind sehr viele Dinge vorher auszumachen; und beide mussen durchaus zweimal kopuliert

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der Post erhalte, die Geschichte mit der Versicherung storen, dass ich wissen wurde, wie hoch ich dich zu stellen habe warest du auch weniger der Schirmherr des ewig in Schlingen gehenden Notars-, schon daraus, mein'

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wie sie glucklicherweise so hoch stehen auf ihrer fernen idealischen Welt, dass sie von der kleinen wirklichen wenig oder gar nichts sehen und also verstehen?" Er sann lange nach;

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nur die hochste, die griechische, gleich den Schachten der Erdkugel immer warmer, je tiefer man dringt, ob sie gleich auf der Flache kalt erscheint; indes andere Gedichte nur oben warmen."

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wenn nicht rechtfertigen, doch entschuldigen wollten mit den Verhaltnissen, worein er auf seinen grossen Reisen geraten musste, da es, wie schon gemeldet worden, wenig grossere Stadte und hohere Stande gab, denen er nicht

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sind, womit dieser Staats-Trident guten Morgen, guten Abend und alles sagen werde (indes ohne Blumen), konnt' er nicht wohl fur moglich halten, weil er glaubte, sie denen gleichsetzen zu konnen, womit Louis XIV.

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einem Blinden allein zu sehen, gab sie wenig auf die Himmelfahrt der Sonne acht. Sie horte auf zu singen, sagte ohne Umstande, wer vor mir stehe, und fragte, wer mich gefuhret habe. Ich konnte sie unmoglich mit dem Gestandnis guter Augen beschamen, doch versetzt' ich,

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Leiden, besonders mit weiblichen. Sie wunschen sich ordentlich recht viel mitzuleiden und suchen Freundinnen gerade in der Not am liebsten, ja sie wecken durch Mitteilen fremde Seelen zu gleicher Teilnahme und finden wahren Genuss in

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seine Entzuckung daruber ganz und die Neugier, womit er es zu horen kaum erwarten konne. Aber Vult versetzte: "Ich glaube, morgen oder ubermorgen lass' ich mich mehr heraus."

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", versetzte Vult, "er ist allerdings der Bruder, ja Zwillingsbruder meines Herzens, und geistige oder kanonische Verwandtschaft, dacht' ich, galte wohl hienieden, da ja unser Herrgott selber eine dergleichen mit uns Bestien im allgemeinen verstattet und sich unsern Vater nennen lasst. Ist diese Verwandtschaft nicht wahr?"

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durchschauen am ersten alle geheime Zwecke bei seiner Einkleidung des reinen Notars und finden deren nicht weniger als zwei. Der erste geheime Zweck Vults ist wahrscheinlich der, sich mehr zu argern als bisher und dadurch indem

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Personalien, konnte dieser wenig anfangen. Indes sprach, sang und tanzte der Elsasser, so gut es ging, trat oft ans Fenster und oft ans Bucherbrett und suchte daruber etwas zu sagen, weil

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hatte den vier grossen Brownischen Kartenkoniginnen seine vier ganzen Gehirnkammern eingeraumt der Sthenie die erste vorn heraus der Hypersthenie die zweite der Asthenie die dritte der Hyperasthenie die vierte als wichtigste , so dass die vier grossen Ideen ganz bequem allein ohne irgendeine andere darin hausen konnten. Gleichwohl macht' er mit der heiligen Tetraktys von vier medizinischen syllogistischen

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weils nicht mehr auszuhalten war, keine weitere Umstande machte, sondern zwei notige Gange, den ersten zu den TestamentsVollstreckern, um den dritten langen anzusagen als Notariats-Pause; und darauf den zweiten zum Flotenspieler, um ihm hundert Anlasse zur

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langhosigen Gelbrock zeigt' er mir zu deutlich , sondern Deinen Genius andeuten wollte."Vor Bewegung konnte Walt kaum weiterlesen; denn jetzt fand er das Ratsel fast aufgelost wenn nicht verdoppelt durch ein grosseres , warum namlich der Harmlesberger Wirt seinen Namen kannte, warum bei dem

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, den griechischen Mobeln gleiche, die meistens auf Satyrfussen standen und endlich der, dass wohl nichts einander mehr sucht und ahnlich findet (daher schon die Worte

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gemessen und geschlagen von diesem sind, darf ich hoffen, sowohl die drei Bande als dieser Brief so gut geschrieben, dass sie sich lesen lassen; folglich setzen und rezensieren ohnehin.Will

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; aber eben er war schon viel und mehr, das fuhlt' er, als er verstand und schien. Dieses beweiset beilaufig, dass es ebensogut im geistigen Reiche eine schnelle Methode, den innern Menschen in 14 Tagen zu einem grossen Manne aufzufuttern, geben musse, als es die ahnliche im korperlichen gibt, eine

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und ringeln lassen, aber niemand weiss es, dass ers nicht tut. Erwagt man vollends, wie viele Schlachten Bonaparte, sowohl in als ausser Europa, ausstand und lieferte, bloss damit nur einmal sein Name richtig geschrieben wurde, ohne das U, wofur er jetzt den Franzosen jenes X macht, jenes algebraische Zeichen der unbekannten Grosse,

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ich, daruber, dass ein so junger Wicht einen nicht altern herstellte, ausser sich sein mussen: dies kann man ganz naturlich noch wenig oder nicht bestimmen, bevor gar eine bekannte

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besuchen, ja ihr sehr viele zu leihen? Ist der Schlaf vernunftiger als ich? O sie konnte im wilden Wahnsinn desselben ja recht gut traumen, dass wir beide unter dem Wasserfalle standen, verbunden aufflogen in

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schwach zu zeigen suchte, indem er die darunter gesetzten lateinischen Verse und Notizen fertig und mit gallischer Aussprache ablas, ausgenommen bis zu den Worten mortuus est anno MDCCLX. Denn wer solche fremde Zahlen-Zeichen mehr in eigner als in fremder Sprache ablesen muss, weil er diese nicht versteht, fallt halb ins

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.Walt machte daraus desto mehr, je weniger beide eigentlich, wie er fuhlte, einander unterhalten konnten; ihre

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(Vult sah oben uber die spanische Wand hinein und merkt' es an) und ans Fenster und sah nichts und konnte den sussen Sturm kaum aus der Brust aufs Papier bringen und setzte sich wieder nieder! Darauf sagt' er uberfliessend: "Flote immer, mein

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nicht viel weniger als 27 schone Abende oder Morgen herunterwarf; denn beinahe 14 Tage (nur die paar ersten ausgenommen) konnt' er auf dessen Wachstum bauen; von Vollmond bis zum letzten Viertel wurde ohnehin Elysiums-Schimmer, bloss spater, oft

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. Ich mochte wohl tagelang uber die kleinen Fruhlingsblumchen der ersten Lebenszeit reden und horen. Im Alter, wo man ohnehin ein zweites Kind ist, durfte man sich gewiss erlauben, ein erstes zu sein und lange zuruckzuschauen ins Lebens-Fruhrot hinein. Dir

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ein c statt einem e dann ein e statt eines c einstatt eines s ein statt eines f ein Komma statt eines Semikolons eine 6 statt einer 9 ein h statt eines b ein n statt eines u und umgekehrt, da eben beide umgekehrt waren, habe stehen lassen usw.

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lasset alles stehen; reisset ihn gar ein Buch so hin wie die zweite Auflage des Hesperus, so sieht er gar keinen gedruckten Unsinn mehr, sondern nimmt ihn fur geschriebnen und sagt: "Man verstehe nur aber erst den gottlichen Autor recht!"

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nur die drei Ursachen davon verschwanden in die nahe Rotonda ein schones Rindenhaus, das dem romischen Pantheon auffallend ahnlich war in der Offnung nach oben , sondern auch sogleich einander wieder herausfuhrten aufs See-Eis, weil die drei samtlich Schlittschuhe darin angeschnallet hatten, Wina sowohl als Raphaela

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Spharenmusiken den himmlischen Korpern auf dem Eise vorund nachzuschweben. Wenn die Tonkunst, welche schon in die gemeine feste Welt gewaltsam ihre poetische einschiebt, vollends eine offne bewegte findet: so wird darin statt des Erdbebens ein Himmelbeben entstehen, und

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weil man dahin, sagte Vult, nur halb frankieren durfe. "Ich danke Gott, sobald ich nur hoffen kann", sagte Walt. Die neue Arbeit wurde der alten mit beigelegt. Der Buchhandler blieb dabei, dass er jede Woche nicht mehr als einen Korrektur- Bogen zuschickte und folglich dieses Erbamt des Korrektorats ungewohnlich ausdehnte.

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"Bis namlich auf den Berg", versetzte jener, "wo man mich daran schlagt." Liebe kennt keine Armut, weder eigne noch fremde.Endlich wurde die Kleider-Lotterie gezogen, auf welche beide sich bloss durch Lange der Zeit die grossten Hoffnungen angewohnt

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sie ihm ganz vollendet, wiewohl er bisher jedes letztemal geglaubt hatte, er uberschaue ihren ganzen weiten Wert; wie der Mond schon vorher, eh' er mit vollem Lichte uber uns hangt, uns als eine vollendete Scheibe aufzugehen scheint.Nach

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wir wollen gleich finden, wer von uns beiden wahren Du's der wahre und haltbarste ist."Hier versetzte er sich und dem Notar zugleich einen derben Schlag und erwachte davon; erst nachdem er wie verdutzt sich von Walten lange auseinandersetzen lassen, wo und was er sei, wurde er dahin gebracht, sich angekleidet aufs Bett zu werfen. Indem beide einander eine Zeitlang bewachten, fielen beide in einen wahren Schlaf.

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es nun eben, wobei unsre junge Freundin gar nicht gern zu verweilen pflegte. "Ich bitte, lieber Ferdinand, erklare dich; aber fugte sie leise hinzu schone ..

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Ferdinands Tirade gehen wird; ihr wurde sie zu lang und sie sagte ganz rasch: "ach du siehst auch alles gar zu schwarz, lieber Ferdinand; ich habe noch wenig von der Welt gesehen; aber ich denke sie mir weder wie ein

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ob der neue Musenalmanach schon erschienen ware? welche Philosophie jetzt die neuste Mode sei? ob der vierte Theil der Donau-Nymphe schon gegeben worden? ob die kurzen Taillen und langen Schleppen noch

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Angriff, machten die Lage unserer Armee immer bedenklicher, und unsern Wunsch, uns durch irgend etwas Entscheidendes herauszureissen, immer heisser. Nie hatten bejahrte Krieger mehr guten Willen und mehr wahren Heldensinn gesehen, als

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; und eben, weil ich alles weiss, musst Du, sollst Du bleiben. Ich kenne Dich und kenne Albertinen; und eben weil ich Euch Beide kenne, sollst Du und musst Du bleiben, und mit uns leben, wie immer. Ich sage Dir, so wenig das den

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Kuss, wobei sie die steifen Lippen nicht bewegen konnen. Der eine holzerne Bruder bleibt im Marionettenkarakter, und druckt sich unendlich steif aus, macht auch lange trockene Perioden, worin gar kein Leben hinein kommen will,

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mit allen moglichen moralischen Injurien uberhaufen darf; ja, wenn ich Sie kalte gefuhllose unmoralische, obgleich wohlweise und gerechte Herren zu nennen wage, so ist das vielmehr als eine Apologie als Injurie zu halten, und ich weise schlechthin jede

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, und eben so naturlich dass du dich daraus weggestohlen; in einem ganzen Lande von Hinkenden wird eine einzige Ausnahme als ein seltsames verschrobenes lusus naturae verlacht, eben so wurde in einem Staate von lauter Dieben die Ehrlichkeit allein mit dem Strange bestraft werden mussen; es kommt Alles in

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unsere Vorfahren anzunehmen, als so lange zu zogern bis ein zweiter gar andere wilde Thiere zu unsern Adscendenten macht, welches er vielleicht durch eben so gute Wahrscheinlichkeitsgrunde belegen konnte, da die meisten Menschen,

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sind noch kleinere Tollhauser fur besondere Narren hineingebaut. In eins von diesen kleinern brachten sie mich jezt aus dem grossen, vermuthlich weil sie dieses fur zu stark besezt hielten. Ich fand es indess hier gerade wie dort; ja fast noch besser, weil

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systematisches; ja es lobt und preiset oft seinen Schopfer eben deshalb weil es davon uberrascht wurde dass er eben so gescheut als es selbst sei. Dann treibt es sich durch einander und das Ameisenvolk bildet eine grosse Zusammenkunft und stellt sich fast

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amusire ihn mehr, als Gothens neueste Schriften. Man zieht mich seitdem an die vornehmsten Tafeln und ich befinde mich wohl dabei.Nur heute fuhr ich ubel, denn als ich einen bekannten grossen Geist, der offentlich bedeutend auftritt, in seinen vier Pfahlen belauschen

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eine Despotie fahren; sie konnen dort gross und klein, kurz nach einander, und zuletzt wieder ganz gewohnlich sein, was doch immer fur die Menschheit am interessantesten bleibt.Freund,

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, und uberhaupt aus dieser kunstlichen Maschine, in der Sie tausend Rader drehn und treiben, heraus fliegen wollen? Wie viele Buhnen liegen nicht um Sie her, auf denen Sie als Held agiren konnen! Schlachtfelder,

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wo du unwillig geworden warest, die Nase gerumpft, oder einige hamische Mienen angenommen hattest, ob du gleich diese Seufzer und Klagen schon tausend und abermaltausend male wiederholen hortest. Noch immer bist du gleich aufmerksam, ja man sieht dich so

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die Welt gestimmt. Einmal meinte ich gar, sie konnte doch wohl die beste sein, und der Mensch selbst ware etwas mehr, als das erste Thier darauf, ja er habe einigen Werth und konne vielleicht gar unsterblich sein.Als es so weit gekommen war, gab ich mich selbst verloren, und betrieb es jetzt ganz so langweilig und alltaglich wie ein

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doch nicht gut, die Individualitaten so scharf von einander abzuschneiden, wir konnten bei consequenter Folgerung auf den Punkt kommen, wo alle Ihre Worte verschwendet waren, wo wir wirklich nichts, gar nichts von einander wussten, und Menschen so kalt gegenuber standen, wie abgeschlossne Welten. Indess konnte ich Sie

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ist auch uberall nur wirklich etwas, in so fern es sich zur allgemeinen Idee erhebt. Von diesem Standpunkt mussen wir das Ganze betrachten, dann lernen wir die Geschichte des Menschen als unendliche Entwickelung eines Gedankens erkennen. Dies zugegeben, sagte der Offizier, so mussen Sie mir eingestehen, dass keine Ruckschritte zum Ziele fuhren, und

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und gelassen sagte: doch mussen Sie selbst sehen und urtheilen. Es ist nur gut, setzte er lachelnd hinzu, dass hier der Egoismus einen ganzen Stand umfasst, sonst konnten Ihnen meine Worte leicht verdachtig erscheinen. Was braucht es da

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sind alle drei hochst ehrenwerth, weil sie einen bestimmten Charakter aussprechen, wodurch sie sich allein schon von den heutigen Kunstwerken unterscheiden, die uns nicht selten zeigen, wie man drei in einem vereinigt. Glucklich genug, wenn

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Bitterkeit und feindlichen Gesinnungen rein geblieben war.Sie sprachen bald weitlauftiger uber das Nahere seiner kunftigen Bestimmung, und der Graf sagte ihm: dass der Herzog, wenig Theil an der innern Oekonomie der Armee nehmend, ihm ziemlich freie Hand lasse, und er daher im Stande

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eigenmachtige Abtheilungen darin vorzunehmen, wahrend ihr mit vollen Sinnen in der Gegenwart lebt, und Euch, wie mich dunkt, ganz wohl darin gefallt. Und Sie, Alexis, kommen trotz alle dem, von der kleinen Wallfahrt nicht

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ihn nicht sichtbar und fortwahrend krank seyn konnte, und dennoch ward er durch die Nachricht ihres Wohlseyns uberrascht, und sah sie als eine gunstige Vorbedeutung seiner Wunsche an. Er fand Rosalien schoner als jemals. Das zarteste Weiss umfloss wie ein Hauch die edle Gestalt.

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es nicht begreife, dass gerade Rosalie die treue Liebe des zierlichen Ritters so hartnackig von sich weise, da sie in ihrer Lage wohl schwerlich auf einen ergebenern Anbeter rechnen durfe. Man sieht aber, setzte sie hinzu, dass

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selbst bei denen die mir naher sind, einfiele, das Schicksal spielen, und ihnen eine eigenmachtige Richtung geben zu wollen, indessen glaube ich ohne Anmassung sagen zu konnen, dass mir der Ihrige nicht gefallt. Der innere Missmuth leitet sie abwarts,

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bestritt, wahrend er selbst ungewiss war, ob er nicht vielleicht wirklich zu hohe Anforderungen im Leben mache, und zu wenig auf die verschiedene Natur und das seltsame Gemisch menschlicher Gefuhle achte. Erwagen

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die Pferde kommen und ritt eiligst davon.Wie er nun endlich das Ziel seiner kleinen Reise erreichte und die alte stark befestigte Stadt betrat, fuhlte er eine innere Scheu, die sich beim Anblick des etwas feierlichen Generals nur noch mehrte. Er konnte Anfangs nicht begreifen, wie

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das Leben immer heiter angesehen, der letzte Augenblick wird mich ja auch nicht tauschen. Gott weiss es, ich denke nicht leichtsinnig daran, ich werde ihn auch nicht vermessen herbeifuhren; allein uberraschen sollte er wohl Niemand unter uns! Darum lasst uns recht still und

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Fremdes, ja Veraltetes in ihm, dass ich bald ein Kind, bald einen Heiligen zu horen glaube, so unschuldig und doch so besonnen, so klar und tief sieht er die Welt an. Ich mochte zuweilen uber ihn

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ihre Berge fluchten. Aber das Paradies ist nun wohl fur sie verschlossen, sie konnen nicht mehr von der Welt lassen, und doch sind sie weder heiter genug, um unbefangen, noch fest genug, um ruhig in ihr zu leben. Sie wissen, es

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, die unzahligen Opfer, der grosse Aufwand von Kraften, alle die aussern und innern Erschutterungen bewirkt? In kurzem ist es vergessen, die neue Gestaltung wird eben so spurlos von einer neuern verdrangt, und wahrend das kreisende

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und alles weitere Vordringen unmoglich machte. Rodrich konnte die ruhigen Maassregeln des Generals nicht begreifen, und tadelte sie um so strenger, je weniger Beruhrungspunkte zwischen ihrer beider Ansichten statt fanden, und je sorgsamer der

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sich jeder mehr oder weniger in die schwankenden Vorstellungen des Andern verliert, oder die Bilder eignen Wahnsinns ausser sich zu sehen glaubt. Rosalie spricht mit vieler Ruhe von dem letzten Ereigniss. Sie sagt, nun angste sie nichts mehr, da alles eingetroffen sey, wie sie es unter tausend Quaalen geahnet

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an ihm voruber trieb, ohne irgend eine schwerfallige Sorge ahnen zu lassen. Diese leichte Beweglichkeit in den beschrankten Kreisen, hob sie bewusstlos daruber hinaus, und gab dem ganz Gewohnlichen einen eignen Zauber. Uberall fuhlte er sich unendlich wohl. Die

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wieder zu finden. Er stritt und kampfte wohl dagegen, aber die nichtswurdigen Regungen waren dennoch da, kamen immer wieder, und behaupteten ihr Recht in tausend verkappten Gestalten, in denen er sie nicht selten hegte und pflegte, bis die Hulle unversehens herabfiel,

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dass Rosalie ganz verstandig unter hochst einfachen, ja ich mochte sagen, kalten Betrachtungen verschied. Ludowiko's Bild schien immer mehr von ihr zu weichen, sie nannte ihn wenig, und

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habt euch wenig geandert. Zuweilen kamt ihr mir damals freilich wunderbar genug vor, allein wer konnte das denken? Ja wohl, guter Martin, sagte Rodrich,

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Bekenntnisse einer schonen SeeleVon ihr selbst geschriebenAn CasarDie Lage, worin ich mich gegenwartig befinde, ist recht eigentlich dazu gemacht, meiner Phantasie einen ganz neuen Schwung zu geben. Abgeschnitten von Ihrem interessanten Umgang, mein angenehmer Freund, und auf mehrere Wochen getrennt

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meiner Pflegemutter entschieden haben.Ich habe oft gedacht, dass die Erziehung jedes menschlichen Wesens, das nur einigermassen gerathen soll, hochst einfach seyn musse. Es kommt zuletzt doch nur darauf an, dass man eine achtunggebietende Individualitat gewinne. Wie

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solchen Aufruhr gesetzt habe, war ich schlechterdings nicht im Stande, ihr irgend eine Antwort zu geben; so gross war meine Verworrenheit. Zagend ging ich in die zweite Lection. Dass meine Geschicklichkeit dadurch nicht gewann, versteht sich ganz von selbst.

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Milde mit desto mehr Vergnugen fur mich verbunden, je bestimmter ich mir sagen konnte, wodurch ich ihn zu Stande gebracht hatte. Jenes mussige Wohlthun, wodurch man sich zuletzt entweder von einem unangenehmen Gefuhl loskauft, oder sich die eigene Unbedurftigkeit klar macht, ist mir seitdem immer fremd geblieben; und

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, so bald man anfangt, sein eigenes Wesen zu zergliedern. Wie viele Spotter unserer Zeit wurden plotzlich verstummen, wenn es moglich ware, ihnen den wahren Sinn des neuen Testaments und der ersten Kirchenvater einzuimpfen! Man findet es gegenwartig

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von der ganzen Welt, Sie selbst nicht ausgenommen, als solche behandelt werde: so sagen Sie mir doch endlich, wer die eigentlichen Urheber meines Daseyns sind. Ich weiss nicht, ob ich irgend etwas fur sie werde empfinden konnen; denn

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wirst du wohl thun, wenn du die ganze Sache furs erste auf sich beruhen lasst. Ich gebe zu, dass diese Ungewissheit dich druckt; ich gebe sogar zu, dass es gut seyn wurde,

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ihn hassen mussen, wenn er nicht mein Bruder ware. Dir, liebe Freundin, aber kann ich mit vollkommner Wahrheit sagen, dass weder deine Jugend noch dein guter Name die mindeste Gefahr lauft, wenn du zu uns zuruckkehrst; alle Leute kennen ihn nach gerade als einen

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Platon die irdische Liebe nennt, ist immer nur ein Abglanz der himmlischen, und ohne diese wurde jene gar nicht vorhanden seyn, wenigstens nicht in einer weiblichen Brust. Ich habe viele Weiber gekannt, die man ausschweifende nannte und

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aus seinem ganzen Betragen gegen mich hervor, das schwerlich liebevoller und zartlicher seyn konnte; allein er schien mir dadurch nur beweisen zu wollen, dass, wenn irgend ein weibliches Wesen ihn fesseln konnte, ich dies weibliche Wesen seyn

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in Athem setzen, und das ist mir genug. Werd' ich meinen Wunschen gemass angestellt, so komme ich in seine Nahe und finde Gelegenheit, den grossten Charakter unseres Jahrhunderts zu studiren. Und was will ich mehr? Der Ruckzug auf meine Guter steht mir immer offen. Trete

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von ihnen erklaren wurde, nicht zeitig genug erleben konnten. Das Ungluck des armen Madchens bestand recht eigentlich darin, dass unter diesen Bewerbern kein einziger war, der ihr Achtung abgewinnen konnte. Ich habe immer bemerkt, dass diejenigen Frauenzimmer, welche im Besitze bestimmter Talente sind, in die grosste Verlegenheit gerathen, so bald es darauf ankommt, uber ihre Person zu disponiren; und in dieser Verlegenheit befand sich auch

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du sie dadurch zu Gegengefalligkeiten berechtigen wurdest, die zu sehr unangenehmen Verwickelungen fuhren konnten. Das grosse Problem, das du zu losen hast, besteht, so weit ich diese Region kenne, darin, dass du von Allen abzuhangen scheinest, und immer deine volle Freiheit behauptest. Man nennt den Boden, den du betreten sollst, schlupfrich; er mag es auch im Ganzen genommen seyn. Allein wer in einem naturlichen Gleichgewicht mit

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dass der ganze Hof, als geistiger Mittelpunkt genommen, in mir conzentrirt ware; allein daran dacht' ich damals eben so wenig, als irgend einer von denen, die ich in den Stand setzte, ihren Neigungen rucksichtsloser zu folgen.Die

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Will man wissen, wer der eigentliche Meister in der tragischen Kunst ist? Derjenige unstreitig, der alles so anzuordnen weiss, dass das Nothwendige immer mit Freiheit vollzogen wird, so dass das Schicksal nie uber den Helden, dieser hingegen bestandig uber jenes siegt, sogar alsdann, wenn

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, ich gestehe es, sehr haufig uber die Unbefangenheit gewundert, womit der Furst seine einzige Tochter eine Entwickelung gewinnen sah, welche sie in ihren kunftigen Verhaltnissen nur unglucklich machen konnte; allein mir selbst hab' ich nie den mindesten Vorwurf daruber gemacht, dass

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die Stelle gekommen, wo Erminia auf ihrer Flucht beim Anblick des Lagers der Christen in folgende Klagen ausbricht:O belle agli occhi miei tende Latine,Aura spira da voi che mi recrea,E mi conforta, pur che m'avvicine.Cosi a mia vita combattuta e reaQualche onesto riposo il Ciel destine,Come in voi solo il cerco: e solo parme,Che trovar pace io possa in mezzo all' arme.Raccogliete me dunque, e in voi si troveQuella pieta, che mi promise Amore

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von mir allein abgehangen, wer weiss, ob ich jemals in ein Verhaltniss getreten ware, wodurch eine Scheidewand zwischen uns errichtet werden musste? Da dies einmal geschehen ist, so wollen wir lieber gar nicht daran zuruckdenken.

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Nachmittag des zweiten Tages an, waren wir uns ganz selbst uberlassen, und so wenig um die Folgen unserer Isolirung bekummert, dass wir nur daran dachten, wie wir recht angenehm leben wollten. Ein ziemlich hoher Berg lag zwischen der

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zur Nachhulfe anheischig gemacht, und diese konnte nicht statt finden, so bald das ganze Werk verdorben war. Dies war indessen etwas, wovon sich der Kammerherr nicht uberzeugen konnte. Da

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, so darf er sich deshalb rechtfertigen, und je kraftiger er die Wahrheit sagt, desto mehr ehrt man seine Tugend. Ein edles Weib hingegen kann die allertriftigsten Grunde der Rechtfertigung haben; sie darf davon immer nur innerhalb

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Entwikkelung so nothwendig als unwiderbringlich verloren geht. Nun hatte ich zwar die meinige bisher bewahrt; allein je theurer sie mir zu stehen kam, desto mehr wunschte ich, recht viel an ihr zu besitzen. Sie mir nach ihrem ganzen Werthe zu vergegenwartigen, gab es unstreitig kein besseres Mittel,

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, wie gross sie auch seyn mochte, keine wesentliche Veranderung in seinen Ideen und Tendenzen hervorgebracht haben konnte; und, wie wenig ich auch mein eigenes Selbst in Anschlag bringen mochte, so blieb es noch immer problematisch, ob

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, um ungehinderter schreiben zu konnen, oder, wie er sich auszudrucken pflegte, per poter scemar la bile, seiner Schwester einen sehr wesentlichen Theil seines grossen Vermogens abgetreten hatte.Man hatte glauben sollen, dass

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, war freilich sehr wenig fur uns vorhanden; allein wir fanden dabei dennoch unsere Rechnung auf eine doppelte Weise. Einmal konnten wir nicht umhin, uber das reiche Gemuth eines Mannes zu erstaunen, der, unbekummert um die gewohnlichen Hulfsmittel der tragischen Kunst, seinen Personen eine solche innere Starke gab,

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an eine einzelne Form gebunden, sondern immer in der Kraft gegrundet ist. Es ist vielleicht sogar wunschenswerth, dass irgend eine Revolution erfolge, die uns aus dem Schwerpunkt hebe, worin wir gegenwartig stehen. Ich

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kunstgerechte Anordnung mochte sich noch so heftig dagegen erklaren, die Symmetrie der Composition sie nothwendig mache. Um ubrigens immer von Raphael umgeben zu seyn, setzte sie sich in den Besitz der besten Copien, vorzuglich in Kupferstichen; und so konnte es schwerlich fehlen, dass

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uns das einzige Weib gewesen ware. So wenig hatte er das Wesen der Herzogin ergrundet, dass er darauf bestand, sie lebe noch, und durch diese kuhne Behauptung uns in die Nothwendigkeit setzte, die geschicktesten Arzte herbei zu rufen.

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Geist zu bezeichnen, und die letzte Bestimmung jedes menschlichen Individuums in die Harmonie dieser beiden Grundkrafte zu setzen. Die Menschen unterschieden sich demnach sehr wesentlich von einander, je nachdem sie mehr Gemuth, oder mehr Geist,

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musste ein rastloses Streben nach freundschaftlichen Verbindungen statt finden; allein, da in dem Gemuthe keine regulirende Kraft enthalten ist, so konnten die Gemuthreichen weder diskrete, noch standhafte und zuverlassige Freunde werden; sie mussten, vermoge ihrer ganzen Eigenthumlichkeit, immer zu unerfullbaren Anspruchen aufsteigen, und sich und ihre Freunde dadurch um den Genuss der eigentlichen Freundschaft bringen; es

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in Harmonie gesetzt sind, war eigentliche Freundschaft moglich, wiewohl nur immer unter der Bedingung, dass zwei gleichartige Wesen zusammen trafen; denn das blosse Gemuth des Freundes wurde eben so zerstorend auf die Harmonie zuruck gewirkt haben, als der blosse Geist desselben.

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Besitz der physischen Schonheit kommen mussten, und einer ihrer Philosophen vollkommen berechtigt wurde, zu behaupten: "Eine schone Seele konne nur in einem schonen Korper wohnen."Wie verschieden von der griechischen Physiognomie ist die italianische und die

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Pisa waren gemacht worden. Ob sie darauf eingehen sollte, oder nicht, daruber war sie nicht langer zweifelhaft, sobald der Zufall uns zusammen gebracht, und eine gewisse Sympathie uns mit einander verbunden hatte. Da sie keinen Beruf fuhlte, noch langer in Italien zu verweilen, und ich von einer unbestimmten Sehnsucht in

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hatten es ja in unserer Gewalt, dies Verhaltniss aufzuheben, sobald wir es fur gut befanden. Sie selbst sahe sehr deutlich ein, dass sie dadurch nie gewinnen konnte; allein so lange der Verlust ertraglich ware, wurde

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ich aber tiefer nachdachte, entdeckte ich zwischen beiden Kunstwerken eine auffallende Ahnlichkeit, welche darin bestand, dass in beiden eine doppelte Handlung vorgeht, welche die hochste Einheit mit sich fuhrt. Wollen Sie sich gefalligst desjenigen erinnern, was ich weiter oben uber das

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sein Kunstwerk dennoch der grossen Mehrheit angenehm zu machen; aber alsdann hatte er eben die Wege einschlagen mussen, welche Schakespear einschlug, so oft es ihm darauf ankam, ungemeinen Charakteren Eingang zu verschaffen; namlich viel Theatergerausch in nachtlichen Erscheinungen,

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sehr rasch voruber zu fliegen scheint, in der Zuruckerinnerung eine grosse Ausdehnung gewinnen, und umgekehrt die trag voruber schleichende Zeit in der Erinnerung zusammen schrumpfen. Da ich aber die letzte Erfahrung durchaus noch nicht an mir selbst gemacht habe, so muss ich daraus schliessen,

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e r sehen zu konnen; den grossen Vortheil abgerechnet, dass unsre gegenseitige Liebe dann viel langer neu und anziehend geblieben, und mit dem grossen Reize der Heimlichkeit gewurzt gewesen ware.Du siehst, meine

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seinen Nutzen sehen, wo und wie ich's vermag. Mehr fordert er nicht mehr bedarf er nicht. Liebe hat er nie verlangt ich nie gegeben ihm nie geben konnen. Sein

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. Zwar weiss er wohl, dass du weit mehr Geschafte gefunden hast, und der Zustand eurer Villa weit zerrutteter ist, als ihr anfanglich glaubtet: dennoch, meint er, konntest du jetzt fertig seyn, oder was allenfalls noch zu thun ubrig ist, auf ein andermal lassen. Es ist doch ein gutes Wesen,

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mit uns vorgegangen ist.Agathokles wie komme ich eben jetzt auf ihn? ist recht viel bei mir. Wir plaudern recht oft recht lange recht anziehend mit einander, und meine Eitelkeit musste mich ganz schrecklich irre fuhren, wenn ich nicht glauben sollte, er finde wenigstens eben so viel

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das aber recht? Soll ein Spiel unsrer Sinne, eine angenehme Einwirkung auf aussere Organe, denen kein deutlicher Begriff zum Grunde liegt, vermogend seyn nicht allein machtig auf den edlern Theil unseres Selbst zu wirken, sondern sogar diesen Theil

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etwas in unserm oder den anstossenden Gemachern zu schaffen macht. Wie klein, wie armselig, wie verachtlich mir das erscheint, brauche ich dir das wohl zu schildern? O wenn ich hier je hatte lieben konnen, die leiseste Empfindung ware mit der letzten Wurzel durch

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das so edel war, und ohnedies so tief verwundet?Lies die Abschrift des langen Briefes, den ich nach zehn misslungenen Versuchen endlich in der zweiten Nacht nach Empfang des seinigen muhsam und unter tausend Thranen zu Stande gebracht habe. Ich glaube, er ist zweckmassig, er soll ihm die ganze Rettungslosigkeit unserer Lage,

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und wir handeln nach dem grossen Plan, wie zwanglos, wie vernunftmassig oder sinnlich, wie tugendhaft oder leidenschaftlich unsere Entschliessung gewesen seyn mag, und alles leitet zu einem schonen Ziel, das weit hinter diesem nachtlichen Erdenleben in lichter Ferne zuweilen dem redlichen

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herzlose Kalte endlich dahin gekommen ist, an keine Tugend mehr zu glauben, und nichts fur wurdig und schatzbar zu halten, als was unsere Sinne auf irgend eine Art in angenehme Bewegung zu setzen vermag. Sein Urtheil wird immer richtig seyn, denn er ist sehr verstandig; seine Ansichten aber sind es gewiss selten.Noch

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. Jetzt schien er mich mit heisser Liebe zu suchen, jetzt geflissentlich zu vermeiden; kurz, er war ungleich, launisch, mochte ich sagen, und der stille Frieden entfloh durch dies Betragen auch endlich aus meiner Brust. Ich glaubte indessen nichts darin zu sehen, als

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Gefahren, ja den Tod verachten lehrt, um in unbekannten Wildnissen den Barbaren die heiligen Lehren des Christenthums zu bringen; aber ich sehe weder seine Nothwendigkeit ein, noch einen guten Erfolg bevor. Indessen ist Heliodor ganz durchdrungen von seinem

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Christen ist einfach erhaben, und wenigstens eben so fasslich und wahrscheinlich, als die Systeme unsrer Philosophen, ja ich getraue mir zu behaupten, dass, in dem gehorigen Lichte betrachtet, und

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des Menschengeschlechts umgeben muss, du keine den Naturgesetzen gemasser und vernunftiger finden wirst. Unbeschreiblich schon ist die Geschichte des sittlichen Verfalls der Menschheit unter einem bald idyllisch-lieblichen, bald furchtbar-ernsten Bilde dargestellt. Ja,

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einer solchen nimmt man es ja nicht ubel, wenn sie sich entfernt, und den guten Freund in einer Gesellschaft zurucklasst, die ihm wenigstens eben so lieb ist, als die ihrige!Seit dem Augenblick ist ein wunderbarer, aber wahrlich nicht angenehmer Kampf in

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uns nicht binden lassen, er traue unsrer Ehrlichkeit, wir sollten ihm zu den Schiffen folgen. Jetzt war Alles verloren, und unser Loos das schlimmste, das uns treffen konnte Gefangenschaft. Meine einzige Hoffnung, meine einzige Rettung bestand noch in

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Entbehrungen uns daraus entsprangen, ware uberflussig zu schildern, du kannst es dir vorstellen. Doch die stille unwiderstehliche Gewalt der Gewohnheit machte uns zuletzt auch diese Beschwerlichkeiten ertraglich. Ich lernte hier unter diesen einfachen Menschen einsehen, wie wenig die Natur bedarf, wie viele Lasten uns unsre Bedurfnisse auferlegt haben,

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Stifters, steht unser Verstand still. Wir konnen es nicht begreifen aber mussen wir es denn begreifen? Wie viele tausend Erscheinungen gehen in der physischen und moralischen Welt vor, wir fuhlen ihre Wirkung, aber wir begreifen ihre Entstehung

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an ihm nehmen. Ich habe auf der weiten Welt nun ausser der kleinen Familie, bei der ich lebe, und einer einzigen Freundin, die aber gebietende Umstande fern von mir halten, keine Seele mehr, um derentwillen ich irgend einen Ort zum Aufenthalt vorziehen, die

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aber es liegt dennoch etwas Beruhigendes darin. Es macht uns die Gegenstande und hungslos, dass wir dadurch in jene stille Fassung kommen, die so viele Weise des Heidenthums als das hochste Gut, das Ziel aller menschlichen Bestrebungen anpriesen,

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ich im ersten Augenblick geahnet hatte, uber die gleiche Stimmung unserer Seelen, und einen geheimen Zug, der uns wechselsweise zu einander fuhrt.Ja, es bleibt ewig wahr nur gleiche Denkart macht die Freundschaft

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. Dennoch fangt er an, bei der reizenden Calpurnia seines Verlustes zu vergessen, und der unbeschreiblichen Gewalt zu weichen, mit der dies gefahrliche Madchen bisher auf alle Manner wirkte, indess sie selbst unbefangen blieb. Nur bei Agathokles scheint ihre Stunde auch gekommen zu seyn, und wenn keine neuen Hindernisse eintreten,

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und sehr wahrscheinlich bist du zu etwas Grosserem bestimmt, und es ware Frevel, diese hohern Zwecke, wenn wir sie gleich nicht kennen, auf dem hauslichen Altar unserer Liebe eigenmachtig zu opfern. Wir haben die innere Stimme vom Himmel erhalten, um zu wissen, was

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, wenn verschiedene Schicksale zwei Freunde zu sehr verschiedenen Arten der Ausbildung und Ueberzeugung fuhren, so, dass dem Einen zuletzt nichts ubrig bleibt, als dem sussen Trost zu entsagen, mit dem geliebten Freunde uber den wichtigsten Punkt der Erkenntniss gleichstimmig zu denken. Dann

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dazu die vielen Stunden, welche Gastwirst leicht begreifen, dass deiner geschaftigen Calpurnia in ihrem weitlaufigen Hauswesen wenig Zeit ubrig bleibt. Zuweilen konnte ich wohl ein Stundchen finden, aber bald ist ein Freund, bald Braut und

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Tiridates ihren feierlichen Einzug in Nikomedien. Es war eins der glanzendsten Feste, das ich je, selbst in Rom, gesehen hatte. Die angesehensten Einwohner, alle offentlichen Autoritaten zogen ihnen im prachtigsten Anzuge und mit feierlichem Geprange entgegen; aber Alles verschwand vor der

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Oeffentlichen, worin du nun bald wieder den Namen deines Marcius wirst nennen horen. Etwas weniger gunstig, aber nicht weniger lebhaft, bewegt es sich in meiner kleinen Welt. Die fromme Theophania ist eigensinnig, und ihre beschrankte Denkart setzt meinen Wunschen Hindernisse entgegen, die mich nur heftiger reizen. Sie

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nicht so weit, dass er eines vollen Bewusstseyns fahig gewesen ware, und so entfernte ich mich endlich, um nicht meine eigne Sicherheit in Gefahr zu setzen, und schreibe dir also gleich die Ereignisse dieses merkwurdigen Tages. Was in meiner Seele vorgeht, kannst du denken; du weisst, was

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als langst geschehen oder wenigstens als nachstens geschehend, betrachten musste, mich so tief reizen konnte. Ich wurde argerlich, ich fuhlte, dass Theophania, vielleicht ihrer Sonderbarkeit wegen, mir mehr war, als die schone Calpurnia,

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seinem Madchen fordert und ich kleidete mich daher etwas weniger matronenmassig, als ich wohl ehedem zu thun pflegte, wenn ich seinen Sohn zu sehen hoffte. Es klingt lacherlich, dies zu sagen, aber konnen wir Weiber dafur, dass

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diese Verfugung erleichtert sah. Er war edel genug, sogleich zu mir zu kommen, und freiwillig auf ein Geschenk Verzicht leisten zu wollen, wodurch er mir mein Eigenthum zu entziehen furchtete. Mir ware der blosse Wille meines Vaters hinreichend gewesen,

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und was konnen die Seelen dafur, wenn ein solches Zusammentreffen langer wahrt, als gerade der Schmerz erforderte, wenn man sich einander wieder, und abermals wieder zu begegnen wunscht, und wenn endlich die Seelen in so reizende Hullen eingeschlossen sind,

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auf einen erhabenen Standpunkt gestellt hatten. Das mochte dein edler Freund wohl erkannt, und seinen Plan darauf gegrundet haben. Eine unzahlige Menge Volkes, und darunter sehr viele Christen, waren versammelt. Florianus erschien, im ganzen feierlichen Schmucke seines Standes, eine edle, ehrfurchtgebietende Gestalt, in der vollen Reise des mannlichen Alters.

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kann es wohl mehr als ein schoner Traum genannt werden, wenn wir hoffen wollten, die ganze Menschheit einst auf einer hohen Stufe der Cultur zu sehen? Wurden nicht selbst in dieser mehr als platonischen Republik die Menschen noch immer dem Irrthum

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ihres Vaters ganz gewonnen; man sagt, er denke sie in seine Einsamkeit mit zu nehmen, und habe sie desswegen schon vor einem halben Jahre zu sich kommen lassen, und als seine Tochter anerkannt. Ein neuer Beweis,

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, und wichtige Gegner lehren uns unsre Blicke scharfen, und alle Krafte anstrengen, in deren lebendiger Thatigkeit dem rustigen starken Mann erst recht wohl wird.

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aufzufordern, falls noch ein Ueberrest alter Neigung in dir wohnt schoner als je, besonders in der uppigen reichen Kleidung ihres neuen Vaterlandes. Er sieht mit Grund den Folgen des wichtigen Ereignisses nicht ohne Besorgniss entgegen. Was

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das Beispiel hoher Geduld und standhaften Muthes schuldig ist.Du wirst leben, Theophania! du wirst Alles anwenden, dein Leben so lange zu fristen, als es moglich ist, um unsern Kindern ihre Mutter zu erhalten, bis sie erzogen sind, und deiner nicht mehr bedurfen. Dann folgst du mir gewiss, ein sanfter Tod loset die morschen

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! Das konnte ich mir, das mussen sich viele tausend Menschen sehr oft denken, denn wer weiss, wie lange ihm zu leben bestimmt ist; aber im gewohnlichen Leben mischt

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dass eine seltsame, unerhorte Sache, darum nicht moglich sey, weil sie bisher noch nicht in dem Kreis unserer Erfahrungen lag? Die hochste Weisheit ist, zu bekennen, dass wir hieruber, wie uber so viele andere Dinge, Nichts wissen, und so mussen wir wunschen und hoffen, dass

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.Schon gleichen ihre Zimmer wirklichen Kunstsalen, und das ist nicht etwa spielende Liebhaberey, oder gar Eitelkeit. Ach nein! Sie konnte von der ganzen Welt vergessen, die ganze Welt vergessend, hier anstaunen, vergleichen, wahlen, dann selbst begeistert erfinden. Hier,

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was er sagte und that, war ja gross, ruhrend und schon. Sie selbst gaben Ihren Beyfall laut zu erkennen.Er spielte mit ausserordentlicher Kunst.Ja! und wie konnt' er so spielen, wenn er nicht wirklich so empfande? wenn er nicht fahig ware, unter ahnlichen Umstanden eben so zu handeln?Liebe

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.So gefallt Ihnen die Stadt besser als das Land?Diess eben nicht. Es ist nur wegen Graf Percy.Aber er kann ja zu Ihnen kommen.Wenn das moglich ware!Warum sollt' es nicht moglich seyn? Ich kam ja alle Tage.

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freundlich angehort hast; jetzt sprich aber auch recht frei und umstandlich und sage mir alles, was du zu sagen hast; ich will dich nicht unterbrechen.""Recht gut," versetzte Charlotte; "so will ich gleich mit einer allgemeinen Bemerkung anfangen. Die Manner denken mehr auf das

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, welche recht gut weiss, dass die arme Ottilie ganz von uns abhangt, sich ihrer Vorteile ubermutig gegen sie bedient und unsre Wohltat dadurch gewissermassen vernichtet.Doch wer ist so gebildet, dass

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also die doppelte Pflicht eines guten Kapellmeisters und einer klugen Hausfrau, die im ganzen immer das Mass zu erhalten wissen, wenn auch die einzelnen Passagen nicht immer im Takt bleiben sollten.Drittes

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die, obgleich einander entgegengesetzt und vielleicht eben deswegen, weil sie einander entgegengesetzt sind, sich am entschiedensten suchen und fassen, sich modifizieren und zusammen einen neuen Korper bilden, ist diese Verwandtschaft auffallend genug. Gedenken

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"Das tut man also nicht mehr", versetzte Charlotte, "und tut sehr wohl daran. Das Vereinigen ist eine grossere Kunst, ein grosseres Verdienst. Ein Einungskunstler ware in jedem Fache der ganzen Welt willkommen. Nun so lasst mich denn,

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einer Entschuldigung bedarf, die sie lieber mir in den Mund legen mag.Da ich nur allzuwohl weiss, wie wenig die gute Ottilie das zu aussern imstande ist, was in ihr liegt und was sie vermag, so war mir vor der offentlichen Prufung einigermassen bange, um so mehr, als uberhaupt dabei keine Vorbereitung moglich ist,

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mit Planken verwahren will, keiner aber den andern fordert, vielmehr sich und den ubrigen Schaden und Nachteil bringt. So geht der Weg auch in ungeschickter Bewegung bald herauf, bald herab, bald durchs Wasser, bald uber Steine.

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auch von oben herunter arbeiten und hatte alles so eingerichtet und berechnet, dass erst in der letzten Nacht die beiden Teile des Weges sich begegnen sollten. Zum neuen Hause oben war auch schon der Keller mehr gebrochen als gegraben und ein schoner Grundstein mit

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unseren Freunden erzeugt hatte, wird durch eine grossere Gesellschaft immer nur unangenehm unterbrochen. Alle vier waren zufrieden, sich wieder im grossen Saale allein zu finden; doch ward dieses hausliche Gefuhl einigermassen gestort,

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'Wie glucklich wurde die erste Zeit verstreichen! Zwei, drei Jahre wenigstens gingen vergnuglich hin. Dann wurde doch wohl dem einen Teil daran gelegen sein, das Verhaltnis langer dauern zu sehen, die Gefalligkeit wurde wachsen, je mehr man sich

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fande sich aufs angenehmste uberrascht, wenn man nach verlaufenem Termin erst bemerkte, dass er schon stillschweigend verlangert sei.'"So artig und lustig dies klang und so gut man, wie Charlotte wohl empfand, diesem Scherz eine tiefe moralische Deutung geben konnte, so waren ihr dergleichen Ausserungen, besonders um Ottiliens willen, nicht angenehm. Sie wusste recht gut, dass nichts gefahrlicher sei als ein

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wendete, versetzte heiter: "Nun! wir mussen uns ja ohnehin bald genug gewohnen, das Gute stuck- und teilweise zu geniessen.""Gewiss," versetzte der Graf, "Sie haben beide sehr schoner Zeiten genossen. Wenn ich mir die Jahre zuruckerinnere, da Sie und Eduard das schonste Paar bei Hof waren; weder von so

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fortsetzen, ja durch keine Art von Trennung storen oder aufheben lassen.""Diese gute Eigenschaft besitzen vielleicht die Manner noch mehr," versetzte die Baronesse; "wenigstens an Ihnen, lieber Graf, habe ich bemerkt, dass niemand mehr Gewalt uber

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Die Unterhaltung ward allgemeiner, die beiden Gatten und der Hauptmann konnten daran teilnehmen; selbst Ottilie ward veranlasst sich zu aussern, und der Nachtisch ward mit der besten Stimmung genossen, woran der in zierlichen Fruchtkorben aufgestellte

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weiche Personen dadurch meist an Anmut verlieren, so gewinnen diejenigen dadurch unendlich, die wir gewohnlich als stark und gefasst kennen. Eduard war so liebenswurdig, so

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, sie beraten sich daruber. Charlotte schliesst Ottilien naher an sich, beobachtet sie strenger, und je mehr sie ihr eigen Herz gewahr worden, desto tiefer blickt sie

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Vater, besonders auf dem Lande, sehr ordentlich gefuhrt hatte. Zwar diese Pflanzung konnte nicht darin erwahnt sein, aber eine andre hauslich wichtige Begebenheit an demselben Tage, deren sich Eduard noch wohl erinnerte, musste notwendig darin angemerkt stehen. Er

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"Hier vorauszusehen," versetzte Charlotte, "bedarf es wohl keiner grossen Weisheit, und soviel lasst sich auf alle Falle gleich sagen, dass wir beide nicht mehr jung genug sind, um blindlings dahin zu gehen, wohin man nicht mochte oder nicht sollte. Niemand kann mehr fur uns sorgen; wir mussen unsre eigenen Freunde sein, unsre eigenen Hofmeister.

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Manner, besonders Eduarden, wieder herandenken konnen, so war es ihr um desto auffallender, als Charlotte von einer bevorstehenden Heirat des Hauptmanns wie von einer ganz bekannten und gewissen Sache sprach, wodurch denn alles ein andres Ansehn gewann, als

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, mir denken zu konnen, wo sich Ottilie befindet, wo sie geht, wo sie steht, wo sie ausruht. Ich sehe sie vor mir tun und handeln wie gewohnlich, schaffen und vornehmen, freilich immer das, was mir am meisten schmeichelt. Dabei bleibt es aber

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fur sie ganz allein lebendig."Da sich nun Mittler sogar in die dunklen Regionen gefuhrt sah, in denen er sich immer unbehaglicher fuhlte, je langer er darin verweilte,

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aller Art betrifft, deren habe ich viele gesammelt und zeige sie gelegentlich; doch bleibt immer das schonste Denkmal des Menschen eigenes Bildnis. Dieses gibt mehr als irgend etwas anders

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, durch stille Wunsche so gern zu unsern Gunsten heranleiten mochten.Wir befinden uns nicht leicht in grosser Gesellschaft, ohne zu denken, der Zufall, der so viele zusammenbringt, solle uns auch unsre Freunde herbeifuhren.Man mag noch so eingezogen leben, so

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durchdringt, konnte dieses Herz zugleich mit ihm besitzen.Indessen je tiefer der Winter sich senkte, je wilderes Wetter, je unzuganglicher die Wege, desto anziehender schien es, in so guter Gesellschaft die

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Aus ihr entspringt die bequemste Hoflichkeit des aussern Betragens.Freiwillige Abhangigkeit ist der schonste Zustand, und wie ware der moglich ohne Liebe.Wir sind nie entfernter von unsern Wunschen, als wenn wir uns einbilden, das Gewunschte zu besitzen.Niemand ist mehr Sklave, als der sich fur frei halt, ohne

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man merken konnte, durch Musik ihr Vertrauen zu gewinnen. Nur zuletzt versah sie es; denn eben weil sie Aufsehn erregen wollte, so brachte sie das schone, blasse Kind, das sie genug vorbereitet wahnte, eines Abends plotzlich in die bunte, glanzende Gesellschaft; und vielleicht ware auch das

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auf nichts verweilen, und bei dem Unterricht ware das hochste Gebot, gegen alle Zerstreuung zu arbeiten.""Abwechselung ohne Zerstreuung ware fur Lehre und Leben der schonste Wahlspruch, wenn dieses lobliche Gleichgewicht nur so leicht zu erhalten ware!" sagte der Gehulfe

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sich einen zweiten erschaffen, wenn es keinen gabe; eine Frau konnte eine Ewigkeit leben, ohne daran zu denken, sich ihresgleichen hervorzubringen.""Man darf", sagte Charlotte,

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haben auf hohere, zartere, feinere, besonders auf gesellschaftliche Verhaltnisse Rucksicht zu nehmen. Wir andern sollen daher unsre Zoglinge nach aussen bilden; es ist notwendig, es ist unerlasslich und mochte recht gut sein, wenn man dabei nicht das

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des Vorurteils hervorgebracht werden, jener hatte sich schon fruher und mehr noch im Hause selbst mit allem bekannt gemacht, was vorgegangen war und noch vorging.Dem Lord tat es leid, ohne dass er daruber verlegen gewesen ware. Man musste ganz in Gesellschaft

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die sie bisher in Gesellschaft der Knaben auszuuben pflegte. Im ganzen schien ihr etwas zu fehlen, nichts war um sie herum, das wert gewesen ware, ihren Hass zu erregen. Liebenswurdig hatte sie noch niemanden gefunden.Ein junger Mann, alter als ihr

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ein, wozu die Gewohnheit, die aussern, nun von der Welt als bekannt angenommenen Verhaltnisse das Ihrige beitrugen. Sie war so oft Braut genannt worden, dass sie sich endlich selbst dafur hielt, und weder sie noch irgend jemand dachte daran, dass noch eine Prufung notig sei, als sie den Ring mit demjenigen wechselte, der so lange Zeit fur

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. So kommt die Mitternacht herbei, die Totenstille wird immer tiefer. Charlotte verbirgt sichs nicht mehr, dass das Kind nie wieder ins Leben zuruckkehre; sie verlangt es zu sehen. Man hat es in warme wollne Tucher reinlich eingehullt, in einen Korb gelegt, den

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Beschaftigungen wiederholt mitteilen und, ohne gerade wechselseitigen Rat anzunehmen, doch immer das ganze Leben gleichsam ratschlagend behandeln, so findet man dagegen in wichtigen Momenten, eben da, wo es scheinen sollte,

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in ihnen beiden erneuerten. Dass man den Ort verandern musse, war allzu deutlich, wie es geschehen solle, nicht so leicht zu entscheiden.Sollten die beiden Frauen zusammenbleiben? Eduards fruherer Wille schien es zu gebieten, seine

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ausdrucklich, dahin zu gehen, wo sie dasjenige finden wurde, was man grosse Welt zu nennen pflegt."Lassen Sie mich, liebe Tante," sagte sie, "damit ich nicht eingeschrankt und eigensinnig erscheine, dasjenige aussprechen, was zu verschweigen, zu verbergen in einem andern Falle Pflicht ware. Ein seltsam unglucklicher Mensch,

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Eduard denkbar sei; aber auch nur die leiseste Erwahnung, die mindeste Hoffnung, der kleinste Verdacht schien Ottilien aufs tiefste zu ruhren, ja sie sprach sich einst, da sie es nicht umgehen konnte, hieruber ganz deutlich aus.

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diese Zeit ofters sehen lassen und war langer geblieben als sonst gewohnlich. Der hartnackige Mann wusste nur zu wohl, dass es einen gewissen Moment gibt, wo allein das Eisen

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und sie dadurch fur immer beruhigt habe.Der fortdauernd schone, mehr schlaf- als todahnliche Zustand Ottiliens zog mehrere Menschen herbei. Die Bewohner und Anwohner wollten sie noch sehen, und jeder mochte gern aus Nannys Munde das Unglaubliche horen; manche, um daruber zu spotten, die meisten, um daran zu zweifeln, und wenige, um sich glaubend dagegen zu verhalten.Jedes Bedurfnis, dessen wirkliche Befriedigung versagt ist, notigt zum Glauben.

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Arzt aus naturlichen und Mittler aus sittlichen Grunden wussten sie bald vom Gegenteil zu uberzeugen. Ganz deutlich war Eduard von seinem Ende uberrascht worden. Er hatte, was er bisher sorgfaltig zu verbergen pflegte, das

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Herzhaftigkeit durch lauter Tat suchen zu bewahren, die er darin erzahlt. Ob es nicht inzwischen feine Nasen von Lesern geben durfte, welche aus einigen darunter gerade umgekehrt schliessen, seine Brust sei nicht uberall bombenfest, wenigstens auf der linken Seite, daruber lass' ich mein Urteil schweben.Ubrigens

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und schaue hinein und entscheide ebenfalls. Aber folgender Zufall zog diese durch das ganze Buch streichende Teilungslinie: ich hatte meine eigne Gedanken (oder Digressionen), womit ich die des Feldpredigers nicht storen durfte, und die bloss als Noten hinter der Linie fechten konnten, aus Bequemlichkeit in ein besonderes Neben-Manuskript zusammen geschrieben und jede

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ein Weg gezeigt, in einem Marmorbande ganz verschiedne Werke zu geben, auf einem Blatte zugleich fur zwei Geschlechter, ohne deren Vermischung, ja fur funf Fakultaten zugleich ohne deren Grenzverrukkung zu

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ich meine kunftigen Katecheten, so gut es in Vorlesungen moglich, zu christlichen Heroen stahle. Es ist bekannt, dass ich immer wenigstens zehn Acker weit von jedem Ufer voll Badgaste und Wasserschwimmer fern spazieren gehe, um

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. Es sei daran wahr, was wolle, es ist immer wenig oder nichts. Euer grosser Minister und General in Flatz, vielleicht der grosste uberall denn es gibt nicht viele Schabacker , konnte allerdings, wie jeder grosse Mann,

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timoris minus est, eo minus ferme periculi est, oder zu deutsch: je weniger man Furcht hat, desto weniger Gefahr ist fast dabei; ich kehre den Satz ebenso richtig um: je weniger Gefahr, desto kleiner die Furcht; ja es kann Lagen geben, wo man ganz und gar von Furcht nichts weiss worunter meine gehort. Um desto verhasster muss

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das Wortspiel erlaubt) wie eine Uhr bloss zum Schlagen gemacht zu sein glaubt und mir wirklich sagte: "Konn' er einmal oben in der ewigen Seligkeit keine Seele zuweilen wamsen und koram nehmen, so fahr' er lieber in die Holle, wo gewiss des Guten und der Handel eher zu viel

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Tod die echte Form grober auspragt. Andere Schlafer ausserhalb der Postkutsche wurd' ich mit gedachter Elle weniger auszumessen raten, immer in einiger Besorgnis bleibend, dass etwa ein Kerl, der sich nur schlafend stellte, sogleich als ich nahe genug stande, wie

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ausgezackten Gesichte mehr von einem endlich tollwerdenden als von einem weiser werdenden Manne an sich. Tolle nun hass' ich unglaublich und bin daher in kein Tollhaus zu bringen, weil da der erste beste Wutige mich mit Riesenfausten erschnappt, wenn er mag, und weil ich uberhaupt der Ansteckung wegen nicht weiss, ob

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des Nachtwandels wegen abzutun. Mir wars uberhaupt von jeher unbegreiflich, wie so viele Menschen zu Bette gehen und darin gesetzt liegen konnen, ohne zu bedenken, dass sie vielleicht im ersten Schlafe sich

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brachte auf mehr Schlusse. Da nach den Rechten ohnehin kein Vertrag prasumiert wird, schlossen wir beide, so gilts am starksten vom wichtigen contrat social; viel lieber gelte ein Volkerrecht als das Volksrecht, sagten wir drei.Ich bekenne wohl, ehrwurdiger Herr, dass ich freilich durch den

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Achseln am meisten uber die, auf deren Achseln sie stehen; und erheben die am meisten, die an ihnen hinauf kriechen. 14) Manche Dichter geraten unter dem Malen schlechter Charaktere oft so ins Nachahmen derselben hinein, wie Kinder, wenn sie traumen zu pissen wirklich ihr Wasser lassen. 103) Die Grossen sorgen vielleicht so emsig

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aber Belehrung daruber, um es im widrigen Falle etwa noch zu tun. 36) Und so wunscht' ich uberall der erste zu sein, besonders im Betteln der erste Kriegsgefangne, der erste Kruppel, der erste Abgebrannte (ahnlich dem, der die erste Feuerspritze anfuhrt)

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der Geschichte aufzuhalten, um auseinanderzusetzen, warum ein grosser Theater-Dichter viel leichter und gerechter ein grosser Narr wird als ein andrer Autor von Gewicht; wozu schon meine Beweise seines grossern Beifalls, hoff' ich, ausreichen sollen.Niess wusste also recht gut, was er war, namlich eine Bravour-Arie in der dichterischen Spharenmusik, ein geistiger Kaisertee,

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Siegwagen des schonen Aufzugs satt sagen, was sie vorzuglich am Dichter liebe; "grosser Gott," versetzte sie, "was ist vorzuglich zu lieben, wenn man liebt? Am meisten aber gefallt mir sein Witz am meisten jedoch seine Erhabenheit freilich am meisten sein zartes heisses Herz und mehr als alles andere, was ich eben lese."

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fest und fein und studierten die Menschen und wollten weniger die Schuldner einer (dichterischen) Vergangenheit sein als einer (prosaischen) Gegenwart; Niess wollte zugleich als Munzer und als Munze gelten.Vom Dichter kommt man leicht aufs Lieben, und indem man ideale Charaktere kritisiert, produziert man leicht den eigenen, und

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er auch schon als Kind vor seinem neunten Jahre unsterblich verliebt. Narrisch ists doch, dass man dergleichen an grossen Menschen als so etwas Grosses nimmt, da man ja bei sich und andern nicht viel daraus macht. Herr

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dein Wochenbett hineinwerfe. Nur machts der liebe Vater durch Mienen und Worte jedem gar zu schwer, dergleichen vorzutragen anzuhoren weniger, denn ich bin an ihn gewohnt ; er wirft oft, wie du ja weisst, Eisspitzen ins schonste Feuer, auf die niemand in ganz Pira gefallen ware, und bringt damit den

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und der zweite: verflucht! wir leben ja ordentlich wieder auf und der dritte: ich hatte mehr wissen sollen, ich hatte mich weniger gefurchtet; denn mein Herz sitzt wohl auf dem rechten Fleck und der vierte; aber

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diese nicht eben die vollen Schusseln fur den ewigen Magen, der sie daher bloss mit den feinsten Fressspitzen, mit den Sehnerven aufzehrt? Das Phanomen der Schaugerichte wurde bisher noch schlecht erklart; und wenige Leute in Schulen wussten, warum sie den

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der Fruchte erhalt, viel feiner von der Physiognomie derselben leben, diese haben in ihrem eignen Bewusstsein den gewissern hohern Beweis einer schonern hohern Natur, gleichsam des Magens eines neuen Adams; und bloss darauf konnen sie die Hoffnung ihrer Fortdauer bauen. Die

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keine Traumer mehr wie auf der Erde, sondern schon Nachtwandler, und wir mussen bald erwachen, sagte ich; ja, wenn wir aber erst kleine Kinder sind, sagten die andern. Die Korperwelt wurde immer flussiger und rann leicht. Mit blossen Gedanken bogen wir goldne Baume nieder

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musste den drei Ankommlingen, wovon jede Person sich bloss nach ihrer Ziel-Palme scharf umsah, namlich:die erste, um angebetet zu werden,die zweite, um anzubeten,die dritte, um auszuprugeln,ganz naturlicherweise die praludierende Bad-Ouverture der ersten Person,

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ich so vielen Menschen aus entgegengesetzten Winkeln Deutschlands, denen ein Buchstabenblattchen von mir vielleicht eine ewige Reliquie ist und zwei geschriebene Worte vielleicht mehr als tausend gedruckte von mir, warum sollt' ich

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Nach einem allgemeinen, mit weiblichen Flachhanden unternommenen Niederschlagen dieser Untersuchung stand er ab davon."Gut," sagt' er, "aber dies sei mir erlaubt zu sagen, dass unser Geist sehr gross ist und sehr geistig und unsterblich und immateriell. Denn ware dieser Umstand

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Narr bloss weil er sieben Zeitungen dazu frei hat, wie zu sieben Turmen die sieben Weisen spielt und sieben Todsunden begeht, um als einziger Zeuge vermittelst einer bosen literarischen Heptarchie

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Menschen die ersten Worte eines grossen Mannes, sogar die kahlsten, langer behalten und umtragen als die besten nach einem Umgange von Jahren schon auf der Kunststrasse, zehn Meilen vom Lesesaal, folgende improvisierende Anrede ausgearbeitet:"Ehrwurdige Versammlung, fand' ich nur die ersten Worte!

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er verwundert herum und will wissen, wie man seinen zufalligen Unsinn aufgenommen; er sieht aber, dass gar nichts davon vermerkt worden, und er behalt dann zornig und eitel den wahren Sinn bei

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Franzosen, denen Noverre die tragischen Horatier Corneilles als einen pantomimischen Tanz gegeben; folglich in Sprungen, welches schon an den griechischen Namen der Tragodie, namlich Bockspiel, erinnere; sogar er selber getraue sich, seinen starksten Schmerz uber

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diese Freudenbotschaft besondern Jubel, ausserordentliche Erntetanze oder Freudenfeuer, mit Freudentranen vermischt, habe sehen lassen; aber so viel weiss man zu seiner Ehre desto gewisser, dass er sich im hochsten Grade anstrengte (er beruft sich auf jeden, der ihn gesehen), starke Freude zu aussern, nur dass es ihm so leicht nicht wurde,

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Empfinden, beim Menschen durch kein Denken mehr gereizt, so zittert dieses willkurliche Bewegorgan endlich aus. Sobald der Mensch sagt: ich will keine einzige Vorstellung, die mir aufstosst, mehr verfolgen, sondern kommen und laufen lassen, was will: so fallt er in Schlaf; nachdem vorher noch einzelne Bilder ohne

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merkte noch scharf genug darauf, dass er zwei der besten Saemaschinen der Schlummerkorner an seinem eignen Kopfe herumtrage, namlich seine beiden Gehorgange, nach aussenhin Ohren genannt. Hochstens nahm vielleicht einer und der andere wahr, dass

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und Schuler zugleich (es mussten denn jene fehlen) ein Kunstwerk verknupft gebaren noch etwa, weil es hundert Grunde dafur gibt sondern hauptsachlich, weil unzahlige dafur da sind, indes einer hinreiche fur alle. Es haben namlich nicht nur

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Deutsche klagt hauptsachlich, dass der andere gesellig lieber Erzahlungen mache als Bemerkungen lieber fremde Einfalle als eigne lieber die langsten Erzahlungen als schone lieber Berichte als contes lieber Stichworte des Spiels als sonst ein gutes WortWird gar von Amt-

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zu viel kosten wurde weil sie vom Manne spater an der Tafel etwas sagen wollen und ihn also vorher etwas sagen lassen mussen und weil sie eben dasselbe ohne alle Grunde taten, um so mehr da sie den besagten Mann schon halb vergessen, wenn

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ich, beim Teufel, ja selber," versetzte der Doktor "und wozu denn Ihr Fluchen? Ich denke, ich kenne mich und viele. Manches bringt mich auf, daruber ist keine Frage. Nur wunscht' ich zu wissen, ob

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aufrichtiges Glied weniger hast Wir konnten aber auch zum Kopfe greifen, womit oder worin du besonders gesundigt und rezensiert, und ich konnte, da er noch nicht offen genug scheint, wenigstens die sieben Sinnenlocher,

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. Ich glaube indes, so viel Nachschuss ware wohl der Mansfelder Operationskasse noch einzutreiben moglich, dass Luther ziemlich hoch davon konnte in Furstenstand erhoben werden, besonders da verstorbene Genies nicht mehr verlangen konnen sobald man lebendige nur adelt

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Graber machen lasst, um das geheim zu behalten, worin er liegt, bei grossen Menschen noch leichter dadurch erreicht, dass man gar keines weiss; und wenn sich funf Stadte um

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und schreibt darauf: Luthero! so ists genug und sogar sein Gesicht entbehrlich, das mit etwas fetter Monchschrift geschrieben ist; die sichtbare Ehrenkirche fuhrt schon den Kraftpriester der unsichtbaren heran vor unser Herz. Die eigne Gestalt des Gedenk-Menschen ist folglich dem Denkmale nicht notwendig, ja z.

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totende Corday hingegen un des monstres que la nature vomit pour le malheur de l'humanite dieser musste gleichwohl von ihr sagen: avec de l'esprit, des graces, une taille et un port superbes elle paroit etre d'un

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diese Volkerwanderung wirklich beendigt zu finden, was hoch gestanden tief gesturzt zu finden und die Kleinen wild und hohnend daruber herfallen zu sehen, ohne zu wagen, sich gleicher Hohe zu nahen; wenn sich gemeine rohe Armut uber die Trummer fremder Pracht und Bildung triumphierend lustig macht, unwissend

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Vorwande das schone Haus zu besehen, zu den schonen Grafinnen bringen, es konne immer was daraus werden, der Mensch denke, Gott lenke, und dann sei ihnen allen geholfen. Klelia setzte diesem Vorschlag viele ernste Bedenklichkeiten entgegen; es sei ihren Gewohnheiten ganz unangemessen, einem jungen Manne, der allen unbekannt, mitwissend seiner Absicht also entgegen zu kommen, sie wolle ihn nicht sehen. Dolores

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Augenbraunen seiner stark gehugelten Stirne lastet, uns im allgemeinen bekannt machen, ehe wir es naher kennen lernen. Dass Graf Karl Student sei, haben wir schon von dem Bedienten erfahren; aber woran erkennen solche Leute gleich den Musensohn,

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mit der frischen Rote ihrer Wangen und der vollen Hoffnung ihres Herzens schon da ein seliges Land zu entdecken glauben, wo die Einwohner sich gleich gut oder gleich schlecht, wie auf der ubrigen deutschen Erdflache befinden. Es tut einem so wohl, von andern glucklich gepriesen zu

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sich nicht malen lasst; und doch kommt viel darauf an, jedes zur rechten Zeit zu sehen, zu tun; ware ihm Klelia so begegnet, wahrscheinlich hatte er sich ihr eben so bestimmt ergeben,

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. Eins unterscheidet das reine Gemut und das grosse Talent, die Einheit seines ganzen Daseins, mannigfaltig wie Gottes Welt. Das kleinliche Gemut ist gleich dem besten Menschenwerke aus widersprechenden Stucken zusammengesetzt, unter denen manches herrlich

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, ein hoheres Leben habe sich bis zu allen aussersten Punkten verbreitet; es dringe die Blutezeit hervor, auf welche die Dichter schon lange vergebens hoffen. Wurde ihm aber recht wohl und freudig, so schwebte ihm jedesmal unwillkurlich seine

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fur Freudenschusse hielten wegen irgend einer Feierlichkeit. Nun lernten wir erst unsre Not kennen, daran der Prinz bei seiner unbesonnenen Flucht wahrscheinlich ganz und gar nicht gedacht hatte; die Festung hatte sonst monatlich nach der

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Der Graf sagte ihm, dass er selbst dabei gegenwartig gewesen und gar lange in tiefe Betrubnis dadurch versetzt worden sei, ob er ihm gleich nicht naher bekannt gewesen;

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das eine weiss ich gewiss, dass dieses Gottliche darin selten rein von menschlich irdischer Beimischung ist, die tauschend das himmlische Feuer nachzuahmen weiss, besonders in unsrer Zeit."

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"meist nach bestimmten Perioden, die auch wohl durch eine Krankheit bezeichnet sind, treten wir die grossen Stufen hinunter; durch gleiche Ordnung hort manches Muhsame auf, beschwerlich zu sein; wir kennen auf dem Lande wenig Anstrengungen, die alle unsre Krafte forderten, und darum werden Sie

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von dem eignen Vermogen, eine Frau ernahren; gleich schrieb er an Lenardo, er komme gewiss, aber erst am Tage der Auffuhrung; er musse ganz geheim halten, wer die Rolle ubernommen; er selbst konne sie leicht in den Proben spielen und fur

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sich selbst uberlassen bleibt, lasst unmerklich den Ton sinken; der blosse Antrieb, die physische Neigung im Menschen wirkt eben so zum Schlechteren; ohne eine hohere Gesinnung konnen ganze Nationen darin verdummen, und Kriege sind eben darum den Volkern notwendig, weil erst in der Not den meisten Menschen die Talente gross und liebenswert

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der Mauer bemerkt, wo gerade ein heller Sonnenstrahl hingeschienen; sie sei in dem Quergang aus dem Bade gestiegen und habe selbst, beschamt wegen ihrer Blosse, den verzuckt hinstarrenden Kammerdiener gefunden, der sich ihr zu Fussen geworfen und eine unwiderstehliche Leidenschaft vorgeschutzt habe, die ihn schon seit Jahren

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; sie begriff ihn gar nicht; sie hatte die Erzahlung ganz unterhaltend gefunden. "Nun", sagte der Graf, "das muss wohl von seinem verruchten Anblicken gekommen sein; allerwarts sah ja seine bose Lust und seine Eitelkeit hervor, und dabei wette ich,

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, die erste Liebe musse plotzlich beim ersten Anblicke auflodern, keine Ruhe lassen, keinem Zweifel Raum geben; es soll keinen Augenblick geben, wo man weniger verliebt sei, wo

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der Herzog lasst ihn kommen,Fragt ihn lachelnd, was er konne,Ob er auf dem Seile tanzeOder Kartenkunste mache,Ob er unverbrennlich ware?Alles dreies macht der Knabe,Und der Herzog wahlt ihn gnadigSich zum ersten Staatsminister,Und will gerne mit ihm redenVon der wahren Staatsverfassung.Wie ein Buch spricht da der

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der Erzahlung genommen habe, wahrend sie eine andre Frau in gemischter Gesellschaft schwerlich nacherzahlen konne. "Das kommt von der lauten metallenen Stimme unsrer Freundin; was sich so laut sagen lasst, ist sicher sehr unschuldig gemeint", sagte der Graf eben so laut,

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dulden, warum wir?" Die kleine Runde, statt sich darauf einzulassen, machte allerlei Tierstimmen so geschickt nach, dass mehrere erschraken; uberhaupt wusste sie ihr Wesen mehr durch Unerschutterlichkeit als durch Witz zu behaupten, und die andern mussten sich drein finden. Fraulein Walpurgis, die sich schon wahrend der Geschichte

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ist so gut, beinahe so gut wie Ihr, und klagt nur immer, dass sie mich nicht genug lieben kann. Die andern Novizen denken alle noch weit hinaus in die Welt, und wissen alle, was da geschieht; wir beide gedenken nur an Euch in unsern Gesprachen uber das, was ausser dem Kloster ist; Ihr scheint uns da

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das nicht mehr; ich weiss, dass ich Ihn habe; je mehr ich ruhe, je mehr ich begreife; je langer ich schweige, je mehr Wunder ich

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Macht; je mehr Seine Lust wachset, je grosser meine Hochzeit; je minniglicher wir uns ansehen, je ungerner wir uns scheiden; je mehr Er mir gibt, je mehr ich verzehre; je mehr ich leuchte, je mehr Lob wird Gott zubereitet.Ich war oft so entzuckt in seliger

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wenn ich lange nicht daran gedacht habe, da fallt es mir so schwer aufs Herz, oft weiss ich nicht einmal, wobei es mir so einfallt. Neulich aber war ich ganz trostlos, da komme ich in

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du sie damals hast konnen wegreisen lassen; sie gehort so notwendig zu unserm Glucke; wir haben uns doch zuweilen gestritten und einander erzurnt, sieh, das ware gar nicht moglich geworden in

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die so wenig Bestehendes hervorbringe, das Angeerbte durchaus bewahren musse, wo es nicht dagegen anstiesse, denn es ruhe Segen darauf. In diesem Gesprache entwickelte sich eine Verschiedenheit politischer Ansicht, die beiden gleich unangenehm war,

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des Adels sowohl wie der Fursten, die Gerichte mussen im ganzen Lande von den tatigen Gewalten unabhangig sein, ganz auf freier Wahl beruhen und wo Richter nicht genugten, mussten Geschworene zu Hulfe kommen, nur dadurch wurde eine nationale Gesetzgebung entstehen, die

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die Wahrheit uberlasse, immer notwendig ein Stuck fehlen musse, namlich das betrachtende; es wurde dann immer nur zur Wahrheit einer dritten Person, die uns nichts angeht, nimmer unsre eigne. Waller schien durch diesen Scharfsinn uberrascht, und weil er selten lobte,

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weil ein andrer ihr nie ganz helfen kann, den sie nun darum hasst; alle anderen Versehen unserm Volke zu schulmeisterlich vorrechnen, ist eben so anmassend als leer; viele haben sich geopfert und die ubrigen werden durch sie leben. Wenn einer im gluhenden Abendrot das

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Sie mir darin sagen." FRANK: "Ich darf es sagen, denn Sie denken eigentlich hoher und tiefer, aber Ihr guter Glaube, Ihr wohlwollen nimmt Ihnen das ruhige Urteil uber

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sie nicht verstanden wurde. Wallern dagegen, sobald er sich erhitzte, fielen eine Menge schoner Lieder ein, die er auf allerlei Gedankenbilder verfertigt hatte; da brauchte er oft nur blaue in braune Augen zu verwandeln, um alles passrecht zu finden. Das

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entdecken zu konnen, ungeachtet der Jager sehr gute Wache gehalten. Das listige Geschopf hatte gleich in der Nacht an dem ganzen Verlaufe der Geschichte bemerkt, dass sie wahrscheinlich verraten sei, und war noch wahrend der Unruhe entwichen, wahrscheinlich die Liebesleiter hinuntersteigend, dicht neben denen Leuten vorbei,

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, heitrer gestimmt und gewiss, dass sie die Leute so bald nicht wiedersehe, war ihnen so verbindlich, dass keiner begreifen konnte, wie er ihr je etwas ubel genommen. "Ich habe es immer gesagt",

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, ein kleiner Mann mit Flugeln, der sehr gefahrlich. Darauf habe sie ihm versichert, wenn er nur klein ware, da wollte sie ihn wohl zwingen, ware er aber gross, so gross wie er, da konnte sie sich nicht wehren. Er fand in dem Scherze etwas Vielbedeutendes, wer konnte ihm diesen hoffenden Sinn storen; alle schieden von einander in gegenseitiger Zufriedenheit.Ganz verschieden davon war der

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, welche notwendig aus der verschiedenen Bildung des Landvolkes hervorgeht, ja es war der eigentliche Geist seines Strebens, durch eine bessere Erziehung der Landjugend und selbst durch deren Ruckwurkung auf die Eltern den echten Fortschritt der Zeit allgemein zu machen, und also die verschiedenen Stande in einen naturlichen Austausch ihrer Gedanken in gleicher Sprache wieder gesellig einander zu nahern, wie noch vor funfzig Jahren in vielen Gegenden Deutschlands

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"Diese Frauen leben unsterblich durch alle Jahrhunderte, wahrend alle die guten Mutter, wozu in Deutschland das weibliche Geschlecht einzig bestimmt wird, von ihren eignen Kindern schon vergessen werden; Sie sehen, es gibt eine hohere und eine gemeine Tugend; die letztere kann jene nicht erkennen, sie

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', sagte der Reisende, 'ich hore, dass Sie jenes schone Madchen kennen, das so wenig ihr Schicksal verdient zu haben scheint.' Er sagte ehrlich, dass er daruber keine Auskunft geben konne, ohne sich selbst zu erkennen zu geben; dies

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einem Kranken gehen musse, den er wegen eines dringenden Geschafts, er sei Stadtausrufer, in acht Tagen von der Lungensucht kurieren musse; er mochte inzwischen wohl genug zu sehen haben an

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nach dem unsichtbaren Madchen, das sich bei ihm horen lasse. "Ja", sagte einer, "damit hat er unsrer Stadt grosse Freude gemacht; die wurde hier stark besucht und keiner konnte das Wunder begreifen; da kaufte er die ganze Geschichte von

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diesen Abend konnte sich ihr scharfer Blick tauschen, sich ganz geliebt zu glauben; er wollte sie ganz lieben, der stille Zwang in ihm wurde zu einem festen Eigensinne, ja zum Wahnsinne, ihr nie einzustehen, was sie bald lebendig fuhlte. Der

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sind nur schon und herrlich und vollkommen in den Gedanken andrer, darum sei unser Streben, in andern gut zu leben." Mit hastigen Schritten ging er auf und nieder, setzte sich an ein kleines Klavier und sang mit beengter

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Fehler: denken Sie immer daran, dass eines Augenblicks Fehler Jahre voll guter Taten zertrummern kann; je hoher eine Tanne, je mehr Samen unter ihr aufgegangen, je mehr junge Baume

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!Ich ging in mir verlorenWeit in die Welt hinein,Ich ging mit tausend TorenUnd fand mich ganz allein.Ich hatt den Weg verlorenIn tiefer Nacht allein,Da

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allen Geistlichen trieb, er schwindelte in die Frommigkeit hinein, die seiner Frau eigen; es war ihm ein neuer Reiz, den er aber immer neu steigern musste; die Religion ward ihm eine neue Art Opium, seine Natur forderte immer mehr bis sie nichts mehr fordern konnte. So lebte der Sunder wahrlich nicht unglucklicher

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"Nur eins lasst sich nicht lehren und nicht lernen: die Liebe; wer um das Gluck ihrer ersten reinen unschuldigen Wahrheit betrogen, der sucht uberall vergebens; sein Geschmack ist nicht rein, seine

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zu den ersten Stellen fuhren konnten, plotzlich arm gemacht und in Lander verbannt hatte, deren Sprache er nicht einmal horen, vielweniger lernen mochte, von deren Treiben er gar keinen Begriff hatte, und sie darum in sich verspottete, wahrend er sich

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Bestimmung zu verlieren. Johannes starb auch nicht, vielmehr wuchs er kraftig auf in seinem strengen Leben, und viel Segen kommt von ihm in kunftigen Tagen der Leiden uber das ganze Haus, nachdem er vorreif in korperlicher und geistiger Entwickelung, vielleicht auch in

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von Liebhabern getrieben, zog andere Fremde herbei; in kurzer Zeit waren die Verheerungen des Krieges ganz vergessen, das ganze Stadtchen wohlhabender als je, Zweige der eignen Industrie schnell entwickelt, die sonst viele Jahre vergeblich aufgemuntert worden; ja es zeigte sich bald ein eigentumlich heitrer mitteilender

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Unsinn so leicht behalt, wahrend ich das Sinnvollste gleich vergesse, ich weiss das ganze Wortgequale beim ersten Lesen auswendig; zwar verstehe ich wohl, was es sagen will: sie erhebt sich aus

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Minister war wahrend der Vorlesung sehr nachdenklich geworden, beim Schlusse fuhr er heraus: "Sagt, wie konnt ihr so manches wissen, was gerade so in meinem Innern gesprochen, bei einer allgemeinen Verfalschung der Geschichte, die mir deutlich beweist, dass ihr nichts davon gewusst, sondern nur herum geraten habt."

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, die ganze Begebenheit fur einen Traum zu halten, da auch die leiseste Erinnrung daran verwischt schien, und wirklich ist nie wieder offentlich die Rede davon gewesen, ob wir gleich von da an fast unzertrennlich verbunden blieben. Ich

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absichtsvolle Erziehung gegeben, der, allen naturlichen Anlagen zuwider, einen schlauen Weltmann aus ihm bilden wollte, und eben dadurch den freimuthigen Knaben missmuthig und unsicher machte. Wie es wohl auf dem Falkenstein aussehen mag? fragte Luise, durch neue Vorstellungen abgezogen:

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Rechte zu verfehlen und ihr Gefuhl durch irgend ein gewagtes Wort zu verletzen, daher schwieg er ganz und uberliess sie ihren eignen Vorstellungen.Sie fuhren lange Zeit uber weiten Ebnen zwischen vollen Kornfeldern hin, die, ausser dem behaglichen Gefuhl des reichen Gewinnes, die Sinne unbeschaftigt lassen. Da trabte ein junger, blonder Mann auf einem schonen Pferde vorbei;

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dieser Art lassen und wie sie immer ihren Zweck verfehlen. Verweine Deine schonen Augen nicht, Du kannst sie besser gebrauchen. Ich war ganz emport uber diesen Nachsatz; allein Francesca lachte mitten unter ihren Thranen, und sagte: geh

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nicht so geht wie er denkt; darum verzweifelt er gar zu bald und hat keinen rechten Glauben. Es ging denn auch freilich schlecht, ein schweres Wochenbett machte mich zu

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Bei einer grossen Empfanglichkeit fur fremde Eindrucke, ward es ihr leicht, den herrschenden Ton der Gesellschaft aufzufassen, wodurch sie, zu ahnlich freier Mittheilung angeregt, sehr bald vortheilhaft ausgezeichnet wurde. Der kleine Triumph entging ihr nicht, so wenig wie Augustens Empfindlichkeit daruber, die

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werden zu lassen, sagte Julius endlich: Du hast uns immer noch so wenig von Deinem eignen Leben erzahlt, lieber Fernando, und dennoch ist es sicher reich an merkwurdigen Begebenheiten.

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hatte selbst denjenigen, die ihr bis dahin gleichgultig geblieben waren, etwas Verbindliches zu sagen. Emilie sah sehr reizend in einem kleinen Strohhut aus, der zwar das schone Haar verbarg, allein ubrigens zu der zierlichen Gestalt sehr wohl stand. Es mussten sie schon haufige Neckereien uber

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sich leichtlich denken lasst) eine grosse Schaar von mannlichen und schonen Mitwerbern vorfand, konnte er sich nie vergewissern, wie er eigentlich bei der Dame stehe, ob er gleich taglich auf das freundlichste empfangen ward, ja sich sogar mancher sehr gunstigen Blicke und

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Land fast einzig und allein die rechte ernste Freudigkeit und Treue, vermoge deren man kunstreiche Arbeiten verfertiget, daheim sind? Halte dafur, Eure fremden Nebenbuhler wissen besser Bescheid, und haben gewiss sammtlich ihre Richtung nach der deutschen Granze genommen.Herr

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nach Quedlinburg kommen, aber bald, recht bald! Wir nahmen den Weg dahin. Sie legten darauf den Kopf auf meine Schulter und schienen einzuschlafen. Da ward mir nun vollends erst recht beklommen. Sie lagen so kalt

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, Du hattest nichts gefunden, so hattest Du auch nichts verloren! Das mag ich nicht denken, sagte er, immer gleich sanft und ergeben, Gott wollte sicher alles ganz anders,

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Luisens Geschichte schon ziemlich verstellt erzahlte, desto besser,La vertu est une isle escarpee et sans bordOn n'y peut plus rentrer, des qu'on en est dehors.

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ihnen eine schone weibliche Gestalt, deren edle Haltung und Zuge ihr bekannt schienen, und sie dunkel in die Vergangenheit zuruckfuhrten. Eine grosse innere Bewegung arbeitete unverkennbar auf dem feinen Gesichtchen, und trieb ihre Blicke

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von selbst fortlaufenden, Unterhaltung immer behaglicher, und trat zwischen den beiden edlen Gestalten fest und sicher auf die glatte Flache der neuen Welt hin, die sie vor wenig Augenblicken noch erschreckte. Allein je mehr ihre Theilnahme fur beide Geschwister wuchs, je mehr beunruhigte sie

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Ach, liebe Luise, erwiederte der Obrist, wer darf das wissen wollen? Die Bedingungen unsers Daseins wie unsers Gluckes greifen in Vor- und kommende Zeit hinein, und dennoch ist unser Gesichtskreis so eng gezogen, wir verstehn die Zukunft nie aus der Vergangenheit. Da liegt alles dunkel und in sich verschlungen. Wir

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, das einzig, ewig Wahre, zeigt uns die Menschen allein wie sie sind. Von ihr durchdrungen, haben sie fur Momente wirklich erreicht, wonach sie, fruher und spater, durch den ganzen Kreislauf eines langen, beschwerlichen Lebens ringen. Nur

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und Musen sieht man sich nun schon seit lange zum Ueberdruss. Auguste schlug so eben einen Spharentanz nach alt Aegyptischer Weise vor. Allein weder sie noch irgend Jemand weiss diesen recht eigentlich anzugeben, so wenig wie die ganz fruhe Tracht

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Obrist, grade gegen dasjenige, was doch zuletzt Recht uber uns behalt.Nun, rief Luise lachend, fur den Abend sollen Sie es wenigstens behalten. Ich unterwerfe mich Ihrer Entscheidung.Wohlan, sagte er, so sind wir beide Ihre Ritter. Ich trug immer ein Schwerdt,

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um nichts besser geworden waren. Ihr sei es nothwendig, nur das fur wahr zu halten was nach hohern Gesetzen wahr sein musste, und sich so wenig als moglich darum zu bekummern, was

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ersuche Sie darum."Luise erinnerte sich jetzt erst an Augustens letzte Worte, und wie sie gesonnen gewesen sei, zu der Baronin zu fahren, wo sich die ganze Verwicklung auflosen sollte. Sie begriff nicht, was sie daran verhindert und zugleich bewogen habe,

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ist mir gar nichts begegnet. Der Herr Vetter sagt, das komme daher, weil ich fleissig gebetet und gar keine bosen Gedanken gehabt habe; das konne einem gleich jedermann ansehen, und nehme sich in

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wo er furs erste nicht verpflichtet ist, dieses unangenehme Amt zu verwalten. Du wolltest mich nicht unterbrechen! Das Unerlasslichste habe ich genannt. Doch, warum will ich unterscheiden? Das Folgende ist nicht minder nothwendig, und eben deswegen gleich unerlasslich.

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ich werde nie geliebt werden, unmoglich. Auch hatte ich sogenannte glucklichen Ehen genug beobachtet, um zu wissen, dass Ein Theil durchaus der Leidende seyn musse, um dieses scheinbare Gluck hervorzubringen und zu erhalten. Leiden

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Das weisst du!Wie sollt' ichs denn nicht wissen! sagt' ich lachelnd man hort ja davon so mancherlei Geschichten, die noch viel wunderbarer sind, als die mit dem jungen Herrn.Aber Gretchen sagte er sollte denn die Vernunft gar nichts uber einen Menschen vermogen?Da konnt' ich aber das Lachen nicht lassen, und antwortete: nehmen Sie es mir nicht ubel, gnadiger Herr! aber das kommt mir gar zu possirlich vor,

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. Ich sehe nicht ein sagte er nun ganz heftig warum du dich so sehr dagegen wehrst! Liebe ist ja Liebe, sagst du, sie mag kommen, woher, und mag vermischt seyn, womit sie will.

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, das sollen mir die jungen, neumodischen Bursche ungehudelt lassen, und soll Jedermann Respect dafur haben.Ich aber konnte nun auch das Weinen nicht mehr lassen, und hatte beinahe gewunscht, es mogte ganz anders gekommen seyn. Als ich mich aber recht ausgeweint hatte,

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wo du etwa kommen kannst, mehr Freude machtest, als sonst am ganzen Tage? Kannst ja immer vorher daran denken, kannst ihm ein

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keine Ruhe mehr, und sagte: was geschehen musse, solle gleich geschehen, denn das Aufschieben konne er vollends nicht aushalten, und er wolle es schon bei ihr verantworten. Nun lebe sie nochmals wohl, herzliebste

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dieser Heiligkeit erhebt sie sich nicht. Ich weiss wohl, was man mir einwenden kann. Aber versteht mich!Die hochste mannliche Schonheit, welche jemals dargestellt ist, wurde entweder zum Kampfe gerustet, oder nach siegreich gekampftem Kampfe dargestellt (Jupiter,

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dass ihn irgend Jemand denkt. Aus mir wird er nie kommen.Naturlich war' er gleichwohl.Es ist manches naturlich, was mir verachtlich und meiner durchaus unwurdig scheinen wurde. Ich gelobte Ihnen einst ewige Entsagung. Kann ich mehr thun,

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sonst gegen einander empfinden, scheint ihr Herz zu beleben und ganzlich zu erfullen. Der Leidendste ist immer derjenige, welcher sie am meisten beschaftigt, und es scheint mir jetzt, da ich sie naher kenne, nur

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.Und darum?O, darum lassen Sie mich ziehen!Und wie es mir dann geht? Wie kommt es, dass diese Frage dir gar nicht einfallt?O, sie fallt mir ein! Es wird Ihnen gut gehen, und Sie werden bald wieder einsehen, was Sie schon lange gewusst und

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Und die griechische?Wird ewig das Wunderbarste dieser wunderbaren Nation bleiben. Sie wurde dargestellt, ohne begriffen zu werden. Ein Produkt reiner Naivitat. Denn offenbar sagten die Griechen mit ihren Werken mehr, als sie sagen wollten, oder sich bewusst waren, gesagt zu haben.

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das Kloster gestiftet?So bald, als moglich! ja! so bald, als moglich! denn je fruher die Schwarmerei ans Ziel kommt, je fruher wird sie geheilt.Sollte sie ihre Freunde vergessen?O

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wie Rosamunde einst schrieb, das ganze Geschlecht tiefer und leidenschaftlicher, als irgend ein Mann liebte, vermalte sich nie. Er hatte viele Geliebten, oft mehrere zu gleicher Zeit, und versetzte sie, noch kurz vor seinem Tode, in einem grossen Deckengemalde,

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der Dinge gewann, ihm jedoch grosse Ereignisse vorzubereiten schien. Was uberall geschehen konne? was er besonders erringen werde? daruber war er wohl nicht vollig

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schlief indess viele Stunden einen festen naturlichen Schlaf, und hatte, wie immer, keine Erinnerung von dem ganzen Vorgange, ja ihre ersten Worte vielmehr waren: nun sie sagt ja nichts! als horche sie auf

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fassend, naher hinzu trat; doch eben so plotzlich durch das Gedrange neu Herzukommender fortgerissen, sich in die grosse Masse verlor.Der Marquis hatte weder sie, noch uberall einen der Vorubergehenden bemerkt. Durch das eigene Innere uberrascht und bezwungen, hatte

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, das fremde Bett, die eigens dem Bedarf angepassten burgerlichen Umgebungen, ja ehe sie alles das noch deutlich wahrnehmen konnten, das lose Schwanken des innern und aussern Blickes, bis er die wirkliche, nun aufgegangene Gegenwart gefasst, alles druckte sie schuchtern in ihre

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Morgen zu leben! wie schwerfallig macht so unzeitiges Erweichen, und wie trage zu jeder tuchtigen Betriebsamkeit! Du konntest, unterbrach ihn die Baronin, eben so gut sagen, welche Umstande uberall, zu leben, da jeder des Todes gewiss ist! Ein jeder weiss, dass

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, das sehen wir wohl, soll dem Einzelnen dunkel bleiben, was uber seinen Zeitmoment hinaus liegt. Die ganze Menschheit reift immer erst langsam in eine grosse Idee hinein, und diese entwickelt sich wahrend dem durch

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zu der ganzen Welt reden zu horen, man kann sich nicht einbilden, dass dies nicht zuviel gewagt sei, man vermischt die einzelnen Stunden der Erhebung mit ihrem ubrigen Leben, und glaubt sie fruherhin

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fort, konnen schon an sich nicht kalt lassen, zudem spiegeln sich die grossen Ereignisse in eines jedem Dasein eigenthumlich zuruck, und wenn man acht darauf hat, werden Kunst und Leben eben nicht zu kurz dabei kommen.Alonzo

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das Bild hinein, ohne eben deutlich zu denken oder gar zu reden. Die Arbeit ging indess still fort. Philipp war ohnehin nicht einer von vielen Worten. Es war ihm schon recht, dass

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am Boden geheftet. Drauf leicht und vertraulich zu Alonzo gewandt, sagte sie lachelnd, es scheint, der Himmel habe es sich vorgesetzt, unsre Bekanntschaft nicht fallen zu lassen. Zu stolz, meinen Dank anzunehmen, zwingt

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rief Alonzo ganz ausser sich, o sagen Sie nichts, kein einziges Wort weiter, auf Ihrer Zunge schwebt etwas, das ich nicht wissen will, nicht wissen darf, wenn Sie mich lieben ja unterbrach ihn Blansche ernst, ich liebe Sie,

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Blansche nun scheint mir in diese Blumenwelt ganz entschieden zu gehoren. Sie steht so rein und bestimmt vor mir da, dass gar kein Zweifel obwaltet, ja durch einen Zug geheimen Einverstandnisses glaube ich die stille Natur in ihren verwandten Elementen ganz zu verstehen. Ich weiss nicht was sie thun oder sagen konnte, woruber ich unsicher

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genau, sagte Alonzo mit einem scharfen Blick, glauben Sie Blansche zu kennen? Was man so eigentlich unter kennen versteht, entgegnete jener, mochte ich nicht sagen, es konnte sein, dass sie ganz anders zu handeln durch sich selbst bestimmt wurde,

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sich nicht weiss, Ihre Brust sei weit genug, die ganze Welt zu umfassen. Wir halten nichts, wenn wir nach allem greifen. Und tuchtig gefasst will die Welt sein, horen Sie wohl, t

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Philipp nach kurzer Pause an, was hoffen Sie denn auch, nach dem letzten, hochsten Moment ihres ganzen Lebens noch Grosses zu gewinnen? Blansche lag an Ihrer Brust, sie gehorte Ihnen was noch kommen konnte, was ist's dagegen. Im

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ihren Mordgesichtern stand lebhaft vor ihm, alles ubrige schien wie ein schwerer Traum. Verschiedene fremde Gestalten aus dieser letzten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber er konnte keine unterscheiden. Nur eine einzige ungewisse Vorstellung blieb ihm lieblich getreu. Es war ihm namlich immer vorgekommen, als

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Schatten wuchs beim Mondenschein mit jedem Schritte immer hoher und langer, bis er sich endlich in Riesengrosse in den Wald hinein verlor. Friedrich lehnte sich ganz zum Fenster hinaus, aber er konnte nichts unterscheiden. Erwin sprach nun auch nicht mehr und die ganze Gegend war

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Schwester, letztere, wie wir spater sehen werden, wohl nicht ohne besondere Absicht, baten ihre Gaste recht herzlich und dringend, langere Zeit bei ihnen zu verweilen, und beide willigten gern in den angenehmen Aufenthalt. Doch erst, als die allmahliche Gewohnheit des

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nicht und schwatzten und lachten miteinander. Friedrich horte dabei mit Verwunderung mehrere Male Fraulein Julie nennen. Der eine Jager, ein schoner junger Bursch, sang darauf mit heller Stimme ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letzten Verse, womit sich jede Strophe schloss, verstand:"Das Fraulein ist ein schones Kind,

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ansehnlichen Summen unterstutzt. Die Bauern glauben nun ganz zuversichtlich, sobald sie nur erscheint, musse das Feuer sich legen, wie beim Anblick einer Heiligen. Ubrigens empfangt und erwidert sie keine Besuche, und niemand weiss eigentlich recht, wie sie heisst, und woher sie gekommen; denn sie selber spricht niemals von

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wie es schien, mit Fleiss nur durch einen einzigen Kronleuchter sehr matt beleuchtet wurde. In dieser sonderbaren Dammerung fand er eine zahlreiche Gesellschaft, die, lebhaft durcheinandersprechend, in einzelne Partien zerstreut umhersass. Er kannte niemand und wurde auch nicht bemerkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwartete, an

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sind doch recht glucklich! Sie sehen immer neue Gegenden und neue Menschen. Ich weiss die vier Wande in meiner Kammer schon auswendig. Ich habe meine zwei kleinen Fenster mit

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. Doch konnte er sich gar nicht recht in die Gestalt finden; sie schien ihm weit grosser und ganz verandert seitdem. Sie war ganz weiss angezogen und sah sehr blass und seltsam aus. Sie schien weder erfreut,

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.Die beiden Freunde beschlossen nun, jenen Winken Erwins zufolge die Richtung nach dem beschriebenen Walde hin zu nehmen, um dort vielleicht eine erwunschte Auflosung zu erhalten, da uberdies jene Wildnis von Feinden rein und der Weg Leontin ziemlich bekannt war.

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Leontins Erzahlung bestatigte Friedrichs Ahnung, dass Erwin wirklich dasselbe Madchen sein musse, das ihm damals in jener furchterlichen Nacht in der Muhle Feuer gemacht und hinaufgeleuchtet hatte, womit auch ihre schon bemerkte Ahnlichkeit vollkommen ubereinstimmte. Er versank daruber in Gedanken und sie beschleunigten beide stillschweigend wieder

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fur sich allein einen derselben ein, um so desto eher zu einer erwunschten Entdeckung zu gelangen. Doch diese schmalen Pfade gingen seltsam genug in einem ewigen Kreise immerfort um sich selber herum, so dass die beiden Grafen, je emsiger sie zuschritten, zwar immer ganz nahe blieben, aber einander niemals erjagen oder zusammenkommen konnten. Einige

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", sagte Rudolf, "ihr seid gar verliebt, da lebt recht wohl!"Hiermit ging er wirklich mit grossen Schritten in den Wald hinein und war bald hinter den Baumen verschwunden. Leontin

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sitzen und lernen, aber ich konnte nichts erlernen, besonders keine fremde Sprache. Am wenigsten aber wollte mir das sogenannte gewisse Etwas in Gesellschaften anpassen, wobei ich mich denn immer sehr schlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit prasentierte. Mir war dabei das Verstellen

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Eine Menge alter astrologischer Bucher lag dabei um ihn her, aus denen er verschiedenes auszeichnete und geheimnisvolle Figuren bildete.Nach solchen Perioden machte er dann gewohnlich wieder grossere Streifzuge, manchmal bis ans Meer, wo es ihm eine eigene Lust war, ganz allein auf einem

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, der daruber sprechenden Dokumente unerachtet, wohl wenige dieser Dinge das sein durften, wofur man sie ausgibt. Allein es scheint mir auch gar nicht darauf anzukommen. Merke wohl auf, lieber Bruder Medardus,

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; die ganze Erzahlung hatte auf mich einen eignen Eindruck gemacht, aber je mehr ich eine innere Lusternheit emporkeimen fuhlte, die wunderbare Reliquie zu sehen, desto mehr war ich,

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war ich darauf gespannt, was die Furstin wohl sagen werde, wie erwartete ich den hochsten Ausbruch ihres innigsten Wohlgefallens, ja es war mir, als musse sie den, der sie schon als Kind in Erstaunen gesetzt, jetzt die ihm inwohnende hohere Macht deutlicher ahnend, mit unwillkurlicher Ehrfurcht empfangen.

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jetzt nicht mehr so strenge als anfangs beibehalte, sie in tausend Angsten gesetzt habe. Ja bei meiner plotzlichen begeisterten Anrufung der heiligen Rosalia sei sie beinahe uberzeugt worden, irgend ein Irrtum, irgend ein feindlicher

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Weibe zu spenden vermag, dasjenige hohere Prinzip in ihr wohne, welches eben jenen Reiz mit dem geistigen Vermogen in eins verschmilzt und nun nach Willkur beherrscht. Es ist das eigne wunderbare Heraustreten aus

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, von allerlei Vermutungen ergriffen, wenigstens unbefangen zu scheinen.Euphemiens Blicke, die ich immer richtig zu deuten wusste, sagten mir, dass irgend etwas vorgegangen, wovon sie sich besonders aufgeregt fuhlte, doch war es den ganzen Tag unmoglich, uns unbemerkt zu sprechen.In tiefer Nacht,

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ubt einen geheimnisvollen Zauber, dem wir nicht leicht widerstehen konnen. In ihrer tiefsten Natur mag es liegen, dass im Putz recht aus ihrem Innern heraus sich alles schimmernder und schoner entfaltet, wie Blumen nur dann vollendet sich darstellen, wenn sie in uppiger Fulle in

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auf den hohen Standpunkt stellen konnen, der sie uber das Ganze erhebt, sieht man nur selten, sie bleiben auch wohl ganz aus. Bei dem besten Willen, sich recht vorurteilsfrei zu zeigen, mischt

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und Waffenubung unterwerfen sich dem geistigen Prinzip der Zeit. Jeder wird immer mehr und mehr auf sich selbst gestellt, aus seinem innern geistigen Vermogen muss er das schopfen, womit er, gibt der Staat ihm auch irgend einen blendenden aussern Glanz, sich der Welt geltend machen muss. Auf das entgegengesetzte Prinzip stutzt sich der

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alles zu sagen, denn schon damals wurde der Keim in mein Innres gelegt, der so lange Zeit hindurch verderblich fortwucherte. Erst drei oder vier Jahre war ich alt, als ich einst in der schonsten Fruhlingszeit im

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. Nach vier Wochen fielt Ihr in die schrecklichste Raserei: man war genotiget, Euch in eins der dazu bestimmten abgelegenen Gemacher zu bringen. Ihr waret dem wilden Tier gleich doch nicht naher mag ich Euch einen Zustand schildern, dessen Erinnerung Euch vielleicht zu schmerzlich sein wurde. Nach vier Wochen kehrte plotzlich jener apathische

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sonderlich zu vernehmen und beinahe zu glauben, beides sei dir untreu worden und vagabundiere auf seine eigene Hand oder seinen eignen Fuss. Endlich wurdest du mit einemmal uberaus lustig, du sprangst hoch in die Lufte, brulltest vor lauter Entzucken und

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Teufelsbanden verstricken wolltest. Ich hatte dich verderben konnen, doch weit entfernt, mich zum Racheramt erkoren zu glauben, uberliess ich dich und dein Schicksal der ewigen Macht des Himmels. Du bist erhalten worden auf wunderbare Weise, und schon dieses uberzeugt

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der Erde einst menschlich angehorten, in einzelnen, erleuchteten Betrachtungen, nie in der vollstandigen Ubersicht eines ganzen Horizonts vor unsre innere Anschauung. Wir nennen diese Einsicht, wenn sie sich mitteilen lasst, Dichtung,

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, das ursprunglich wahre, menschliche Herz, gleichsam den wilden Gesang des Menschen, zu vernehmen und darum mag es wohl keinen Dichter ohne Leidenschaft gegeben haben, aber die Leidenschaft macht nicht den Dichter, vielmehr hat wohl noch keiner wahrend ihrer lebendigsten

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Hause hier sollen die Anhanger des schwabischen Hauses noch lange Zeit ihre Zusammenkunfte gehalten haben, bis die grosse Feuersbrunst es mit aller Herrlichkeit gleich der armsten Hutte verzehrt hat." "so geht's auch Eurer saubern, schon gemalten Handschrift, habt sicher nicht gedacht, sie

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"Ich finde Euch gar nicht sonderlich schon, die Apollonia erzahlt mir immer von Euch. Das ist ein seltsam Kind, die kann nie fertig werden mit der Beichte, immer ist sie durch Euer Andenken gestort worden; 'lauf, lauf', muss ich ihr sagen, 'lauf lieber zum Teufel, als dass ich ewig Beichte sitzen

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, die beiden Herren zu storen, deren Gesprach ihn bezauberte, weil er nie zwei Menschen uber so hohe Dinge ausfuhrlich hatte reden horen. "Kein Glas mehr", sagte der Baumeister, "sonst finde ich den Weg nach Hause nicht mehr!"

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der Baumeister sagte ruhig: "So mussen wir uns in die Kirche begeben, wer weiss, was da fur Unfug getrieben wird, den Gesang hore ich deutlich." Sie gingen beide der Kirche zu, wahrend Berthold halb

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suchte ihr deutlich zu machen, wie gerade die allgemeine, wissenschaftliche Ansicht, wenn sie allein herrschend wurde, die sittlichen Grenzen des einzelnen Menschen auslosche; er sehe so Mannigfaltiges, Widersprechendes geglaubt und geehrt, dass er nur den Geist achte, in welchem alles getrieben wurde.

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andern Tage gegeben werden sollte, nicht verbergen, obgleich sie nie etwas der Art gesehen und eben so wenig von dem Wesen dieser Spiele gehort hatte. Da fuhlte sich Berthold recht im Mittelpunkte seiner Kenntnisse, Tage lang hatte er an einzelnen kunstreichen Stucken,

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zu Worte kommen lassen, der er so lange nur heimlich nachgehangt, weil sie wahrend seiner Schwache als Wahnsinn erschienen ware. Er konnte dem innern Drange, dem aussern Rufe zugleich nicht widerstehen, er musste es wieder bestatigen, dass

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Becher zur schonen Anna zu gehen, ihr zu sagen, dass er nur fur sie gewonnen sei, dass er zu alt ware, um seine Entschlusse lange aufzuschieben, sie mochte entscheiden: wolle sie ihm geneigt sein, sie mochte den Becher ans Fenster stellen, damit

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dem Tanzsaale einzuschlagen. Die Mutter erregte diesmal die meiste Verwunderung, besonders bei Kugler, der sie nie recht anzusehen verstanden hatte, oder weil der schone Anzug uberhaupt dem Nachsommer, wegen des kalten Windes, der noch immer drin weht, nutzlicher ist, genug, sie schien in der Pracht ganz verjungt,

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, aber viele andere machten es nicht besser, der gute Kaiser mochte wohl daruber so lachen, er konnte sich gar nicht beruhigen und setzte sogar des Bischofs grosse Brillenglaser auf,

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uberlegt: wer war nun alt? Bald hatten sich die Frauen daruber verfeindet, aber Kunz sprang hinein, holte die Schonsten paarweis heraus und sagte: "Wer schon, ist jung!" Es mochte wohl fur Frau Zahringer zeugen, dass sie mit der Tochter zusammen in den Tanzkreis gefuhrt wurde. Nun erfuhr man erst, was es heisse, zierlich zu tanzen, nie hatte ein

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brauche sie ohnehin gleich, um allerlei kleine Gaben zu bewahren, die sie wahrend der Haussuchung erhalten hatte. So kamen beide bedeutsame Gaben alter Zeit, das einzige, was von dem Schatze Bertholds ubrig, in die Gewalt der schonen Braut,

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gute Frau sei sehr heftig, aber sie sei sein einziger Trost, er musse beherrscht werden, Gram nehme ihm die Besinnung, und ohne ausgezankt zu werden, komme er zu keinem Entschlusse. Sie sollten sich vor den Kronenwachtern in acht nehmen, fuhr er nach kurzem Stillschweigen fort, eben so auch

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wie sie schon herandringen, nun sie nicht mehr zuruckgejagt werden, aber jenseits des Waldes sind unsre Felder noch unversehrt, die Schnitter ziehen dahin und gingen auch diese durch die Witterung verloren, so schutzen uns Vorrate auf zehn Jahre gegen jeden Mangel. Der ganze Felsen von

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fuhr Anna heraus, "das schone Haus in Waiblingen, wer mochte es mit dieser Vorholle der Langeweile vergleichen; ich atme erst wieder frisch, seit ich weiss, dass wir es so bald nicht wieder sehen; noch schwebt mir aller uble Geruch, das rohe Wirtschaften der

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, die erst so eifrig ersehnt worden, ganz vernachlassigt. Wir wurden in den ersten Lebenstagen einander so ahnlich, dass wir mit einander verwechselt wurden und dass bald keiner wusste, wer von uns zuerst geboren, wer von uns beiden in der

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denn so gewiss die Steine unter unsern Tritten den Berg nicht hinauf, sondern herunter rollten, so gewiss wurde mein Kopf zu Boden fallen. Ich hatte schon einen Kronenwachter hinrichten sehen, gleich war die Flocht beschlossen, ich wusste alle geheime Wege und

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wie er schon neunzig Jahre, vielleicht noch alter sei, wie er so lange im Dorfe unten gewohnt habe, als er noch viele Kinder und Kindeskinder gehabt. Als sie ihm aber allmahlich abgestorben und er ihr Erbe geworden ware, da

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einem Alter sei, dem dergleichen Verwirrungen nicht mehr wohl standen, und in einer Zeit lebe, die mit ernsteren Dingen beschaftigt ware. Grunewald hatte nie eine Ahndung gehabt, dass er so ernsthaft genommen werden konnte, er

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solch Bild machte. Um ruhig und ausdauernd zu malen, musste seine Weinkanne nie leer werden; es blieb immer nur wenig ubrig, um die beiden Becher, wie er sich vorgenommen hatte, fruher zu ersetzen, ehe die Frau den Verlust wahrnehmen konne.Aber ein neues Ungluck storte

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? Ihr kommt mir gar nicht vor wie mein Vater; vielleicht scheint Ihr mir, ob Ihr gleich so gross und stark seid, junger wie ich; seht, ich mochte Euch immer unterweisen und beraten."

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Der Tanz verschlang sich immer mehr, und immer tiefer gingen seine Gedanken unter, immer mehr traten die Sinne hervor; bald tanzte er mit

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Wesen in einander, Menschen und Tiere vermischt. Geliebter Anton, konnte ich den reinen Himmel nur sehen, wie ich ihn noch gestern gesehen; o halte mich fest, geliebter Anton! wer lasst den Boden unter mir gleich Korn durch den Muhlstein gehen, er

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brach er endlich das Schweigen, "warum hast du mich heute nicht verbunden, wie du es damals getan? vielleicht ware ich jetzt schon geheilt und konnte mit dir im Freien die Wolkenzuge beschauen, die hier auf der grossen Ebene viel wunderbarer erscheinen,

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, auf denen nur zwei Fusse Platz zum Auftritt finden, ringsum in freier Luft ohne Gelander laufen. Der Blick vorwarts geht bald in unendliche Taler, bald in Felsengekluft, je nachdem sich der

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; da liegt sie; alle Abend kommt ein alter Fischer am Ufer herunter und fahrt uber.""Du hast mich gut gefuhrt, Kurt", sagte Anton, "wahrscheinlich waren wir sonst nirgends ubergesetzt worden.""Auf zehn Meilen", sagte der Fremde,

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war, worin Gottes reicher Segen wohnte, mehr denn anderswo. Es waren bei uns die meisten Leute wohlhabend, nur wenige arm, und Bettler gar keine. Damals pflegte man uns, wegen unsers Wohlstandes, auch noch im ganzen Lande die

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Denn hier versteht sich fast Jedermann besser aufs Saufen, als aufs Arbeiten; besser aufs Borgen, als aufs Bezahlen; besser aufs Prellen und Stehlen, als aufs Geben; besser auf Hinterlist,

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ich so glucklich! Ich kann noch nicht daran glauben, dass Alles wahr sei. Und man sagt wohl, es gibt betrubte, ubelgerathene Ehen; konnten wir auch wohl Beide jemals aufhoren, uns

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und alle sprachen ihn nach. So lernten sie vielerlei Sachen kennen und nennen; das heisst, sie lernten reden. Auch horten sie gern, wozu man dies und das gebrauche, wozu es nutzen oder schaden konne, und wovon es verfertigt sei.Recht

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links und rechts schwenken, und mit ihren einzelnen Reihen bald ein Dreieck, bald ein Viereck, bald einen Kreis u.s.w. bilden. Das gab immer Jubel; und immer neuen Wechsel der Spiele. Niemand war dabei besser mit Rath

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nach Goldenthal gebracht. Es war gar artig. Die Leute wollten anfangs gar nicht daran; hintennach aber wussten sie ihm grossen Dank. Er machte es namlich so:Er ging herum mit seinen

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. Es gehoren wenigstens vierzig bis funfzig Kuhe zusammen; dann geht's."Als nun die vierzig bis funfzig Kuhe gefunden waren, sagte er: "Nun geht's!" Er kannte einen geschickten,

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doch ein schoner Zins!Nun begriff man auch bald, woher das komme. Denn je frischer die Milch und je mehr, je besser wird die Waare daraus. So was konnte eine einzelne Familie fur sich allein beim Aufsammeln ihrer Milch nicht leisten.

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der Gemeinde ubel gehauset, ubel Rechnung gehalten; hingegen sah man wohl, die Herren Vorgesetzten hatten sich dabei nicht vergessen. Es fand sich sogar, dass um den Spottpreis von tausend Gulden ein grosses Stuck Gemeindsland verkauft worden war,

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murrten und sprachen: "Das ist ganz richtig; aber wir konnen nicht ohne Brod leben und in unreiner Wasche gehen."Oswald sagte: "Es gibt viele Gemeinden im Lande, die weit reicher sind,

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. Ich sage: lasset euch durch kein Hinderniss abschrecken, oder seid darum nicht zufrieden, weil ihr es jetzt seit vielen Jahren so gewohnt seid; es kommt darauf an, dass ihr reicher werden konnet, ohne grossere Muhe."Als der erste Vorsteher so geredet hatte, ging dieGemeinde kopfschuttelnd aus einander. Zwar Alle sagten, der Gedanke sei gar gut; aber

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Last ihm je langer, desto unertraglicher wurde. Es war bisher von der Willkur einzelner gedruckt worden, mithin sehr naturlich, dass, wenn dieser Druck aufhoren sollte, die Willkur dieser einzelnen vernichtet werden musste. Da schrien nun die einzelnen Feuer, und die Nachbarn ergriffen die Gelegenheit

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Geliebten ein ewiges Lebewohl zu sagen. Ach! und wir fuhlten klar und lebendig, es sei das letztemal fur diese Welt, dass unsre Herzen aneinanderschlugen, unser Ohr die sussen Tone der geliebten Lippen vernahm. Aber das Schicksal, das unerbittliche, hatte kein Erbarmen mit unserm Jammer.

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aufmunternd hinuberfuhren sehen. Auf der Mitte aber sei er uber das niedrige Gelander herabgedrangt und unfehlbar von dem reissenden Strome verschlungen worden, da man ihn nicht wieder gesehen habe. Nun war es entschieden, mir blieb nichts zu hoffen, nichts zu furchten ubrig, so glaubte ich wenigstens und richtete

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. Ich weiss, dass alle Einsicht nur menschliche und Irren das allgemeine Los der Sterblichen ist; doch bleibt das beste Wissen und der reinste Wille immer die einzig sichre Richtschnur; auch ich folge ihr, der Ausgang steht bei Dir.

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die Deutschen immer bewundern und lieben! Ich sage noch mehr: ware unsre mannliche Jugend Deutschlands Heldenjugend gleich gewesen, es stande besser um uns. Und nun zumal dieser edle Jungling,

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mir insgeheim lange Strafreden, welche mir wehe taten, ohne mich zu uberzeugen. Sie ging immer deutlicher mit dem Plane gegen mich heraus, welchen ich schon seit einiger Zeit geahndet hatte, mich an Louis zu vermahlen. "Du gehorst zu unsrer Familie", sagte sie,

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aus allen ubrigen Weltgegenden dahin verpflanzt. Das neue Jahr ist hier mit viel schonen Hoffnungen und tausend guten Wunschen begonnen worden. Ich hatte am ersten Tage desselben eine lange Unterredung mit William, welche unsern unsichern Standpunkt gegeneinander wieder einigermassen festgestellt hat.

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dass wir einander nach entgegengesetzten Richtungen auswichen, oft schuchtern ruckwarts sehend. Nach vielleicht hundert ungewissen Schritten traten wir beide zugleich auf eine Anhohe hinauf und standen, Bildsaulen gleich, einander gegenuber.

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aber er nimmt jedermann ein. Mucius, bloss mit seiner Liebe beschaftigt, hat in dem Herzen unserer Reisegefahrten nur den zweiten Rang, ja in Humphrys Augen begegne ich sogar zuweilen einem zweideutigen, vorwurfsvollen Blicke. Er ist wohl, nach

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nicht ein einziges Mal Schnee, einige Regentage bildeten den Ubergang der Jahreszeit, darauf folgte Reif und ein leichter Frost, dessen Spuren jedoch die Sonne schon nach wenigen Stunden verschwinden liess. Diese Wintertemperatur dauerte kaum vier Wochen, worauf die Baume neu trieben und

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einen so himmlischen Ausdruck offenbarte. Dann lag die ganze Welt versunken und vergessen hinter ihm, und nur ein einziges, unendliches Gefuhl sagte ihm, dass er lebe, aber nur um zu wunschen und zu hoffen, was doch so fern, in so unerreichbarer Hohe schimmerte, wie

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gluhender, je mehr seine Beobachtungen ihn uberzeugen wurden, dass Erna ihn liebe.IVSehr bald indessen riss ihn die Ankunft des glucklichen Gemahls aus dem ungewissen Grubeln, wer es wohl seyn konne, denn nachdem man den raschen Galop eines

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selbst der gewohnlichste Verstand sie begreifen kann warum sollte es der Eigenliebe schmeicheln, sie zu wissen? Sie sind ferner so nothwendig, dass sie sich als materielle Basis des Lebens nicht entbehren lassen, und es gereicht den Frauen entweder zur Schande, oder doch gewiss zum Nachtheil,

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Erna's ruhmte, der er, obgleich ihre Reize mehr zu ruhren als zu blenden geeignet seien, den Vorzug vor allen ubrigen einzuraumen schien.Ohne eben kranklich auszusehen, fugte er hinzu, ist in dieser seelenvollen Physionomie doch

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aber nicht verstand, da mir damals als einem jungen unerfahrnen Kiekindiewelt von Katerchen das Verstehen der menschlichen Sprache noch nicht eigen. Uberhaupt weiss ich von meinem Gonner nur wenig zu sagen. So viel ist aber gewiss, dass er in vielen Dingen geschickt

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im Antlitz trage, dass sein Kopf hinlanglich dick, um die Wissenschaften zu fassen, sein Bart aber schon jetzt in der Jugend weiss und lang genug sei, um dem Kater gelegentlich die Autoritat eines griechischen Weltweisen zu verschaffen."

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liess es bleiben. Ich sehe es ein, dass der Meister recht hatte, meinen Sinn von dergleichen abzulenken, da ich weiss, dass mehrere meiner guten Mitbruder, weniger kultiviert, weniger gut erzogen als ich, dadurch in die abscheulichsten Verdriesslichkeiten, ja in die

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Bau meines rechten Pfotchens angemessene Schreibart erfinden und erfand sie wirklich, wie man wohl denken mag. So entstehen aus der besonderen Organisation des Individuums neue Systeme.Eine zweite bose Schwierigkeit fand ich in

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ich mich gehorigen Orts auslassen konnen.Als ich die Feder besser zu halten gelernt, als das Pfotchen rein blieb von Tinte, wurde auch freilich mein Stil anmutiger, lieblicher, heller, ich legte mich ganz vorzuglich auf Musenalmanache, schrieb verschiedene freundliche Schriften und wurde ubrigens sehr bald der liebenswurdige

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mit Riesenschritten gehe ich der Vollkommenheit entgegen, die mich hoch erhebt uber meine Zeit. Da halt mich plotzlich ein Zollverwalter an und fordert den Tribut, dem alles hienieden unterworfen!Wer hatte denken sollen, dass unter den Blumen der sussesten, innigsten

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begann, weiss ich nicht mehr, wusste es vielleicht niemals, aber erzahlt hat man mir oft genug, dass ich langsam die Gardinen fahren liess, ganz ernst und still einige Augenblicke stehen blieb, dann aber, wie tief in mich gekehrt und daruber nachsinnend, was man mir eben gesagt, mich auf ein kleines Rohrstuhlchen setzte, das mir eben zur Hand. Man fugte hinzu, dass diese stille Trauer des

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, die ja niemanden anders als eben den Eltern recht klar aufgehen kann, nach bestimmter Norm zugeschnitten und appretiert werden. Was nun eben die Erziehung betrifft, so darf sich kein Mensch auf Erden daruber verwundern, dass

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sich auch darin jene Abhangigkeit recht deutlich offenbaret. Ist es nicht ewig wahr, dass unsern Flug oft Bleigewichte hemmen, von denen wir nicht wissen, was sie sind, woher sie kommen, wer sie uns angehangt?Doch besser und richtiger ist es wohl, wenn

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von dem eigentlichen Leben weisst du gar nichts und wurdest verderben, da dir alle Weltklugheit ganzlich abgeht. Furs erste wurdest du vielleicht anders geurteilt haben, ehe du die Wurst genossen, denn

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das Portrat richtig sein, als einen extravaganten Menschen darzustellen, der, vorzuglich was die musikalische Begeisterung betrifft, oft dem ruhigen Beobachter beinahe wie ein Wahnsinniger erscheint. Er hat ihm schon die ausschweifende Redensart nachschreiben mussen, dass "als Julia sang, aller

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des Katers dichterisches und wissenschaftliches Treiben verraten. Dies bringt mich denn auf Cervantes hochst vorzugliche 'Berganza', von dessen neuesten Schicksalen in einem gewissen neuen, hochst abenteuerlichen Buche Nachricht gegeben wird. Auch dieser Hund gibt ein entscheidendes

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verschneiden zu lassen, und das ware vielleicht das einzige, was wir jetzt gleich tun konnten, um sicher zu sein, dass er uns nie verwunde, wenn er ein Autor worden."Alle standen auf.

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gelang ihm bald, den Tanzenden die volle Idee davon zu geben, so dass sich alles gar artig fugte und selbst der leidenschaftlich zartliche Charakter des Tanzes gut hervortrat.Niemand hatte aber eben diesen Charakter so ganz begriffen als Hedwiga,

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"so hochst seltsam, so hochst besorglich auch der Zustand der Prinzessin scheinen mag, so glaube ich doch mit Gewissheit versichern zu konnen, dass er bald aufhoren wird, ohne die mindesten gefahrlichen Folgen zu hinterlassen. Die Prinzessin leidet an jener ganz besondern, wunderbaren Art des

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schmerzhaft beruhrt fuhlen muss, wenn der Furst plotzlich nur Sie zu seinem Vertrauten macht, nur Sie zu Rate zieht in einer Angelegenheit, uber die eigentlich die welterfahrene Frau besser zu raten, zu entscheiden weiss. Doch voruber, ganz voruber ist die kleinliche Empfindlichkeit,

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ist eine ganz eigene Lust Briefe zu empfangen, und darum sind uns die Personen besonders angenehm, die zunachst uns diese Lust verschaffen, namlich die Brieftrager, wie schon irgendwo ein geistreicher Schriftsteller bemerkt hat. Dies mag eine anmutige Selbstmystifikation genannt werden.

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gefallen, konnte ich mich gar nicht bekummern, da ich genug zu tun hatte, durch einen tuchtigen Seitensatz (ich nehme das Wort Satz hier weder in philosophischem noch in musikalischem, sondern lediglich in gymnastischem

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ihm eine neue Welt sein mussten, und in denen er, ewig Fremdling bleibend, sich nur dadurch aufrecht erhielt, dass er den festen Ton behauptete, den seine innere Natur ihm angegeben. Dieser feste Ton wurde mit der Zeit immer fester, und da er keineswegs der eines

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. Hochehrwurden wissen ferner nicht, dass ich schon vor mehrerer Zeit sehr ernsthaft daran gedacht, mich zu vermahlen. Ich war damals freilich noch ein junger Mensch von weniger Erfahrung und Ausbildung, namlich erst sieben Jahr alt, aber

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will ich halten an dem Glauben, dass es ewig rein, ewig davon frei bleiben wird. Doch wohl mag es sich begeben, dass ein Mann vor allen ubrigen in uns die hochste Achtung, ja, bei der mannlich eminenten Kraft seines Geistes wahre Bewunderung erregt. Doch noch mehr als das, wir fuhlen uns in seiner Nahe von einem gewissen gemutlichen Wohlbehagen

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der Prinz wohl jemals zu der geringsten Selbstandigkeit kommen?""Darum," erwiderte die Benzon, "darum ist es notig, dass der Prinz alsbald vermahlt werde und eine Gemahlin erhalte, deren Anmut, deren Liebreiz, deren klarer Verstand seine schlafenden Sinne weckt, und die gutmutig genug ist, sich ganz zu ihm

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fernerer Bearbeitung uberlasse. Soeben wollte ich euch ans Herz legen, euer ganzes Leben vorzuglich dazu anzuwenden, um so schon sterben zu lernen als Freund Muzius, indessen will ich es lieber nicht tun, da

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das die ewige Macht geschehen lasst zu Euerm Heil?"Kreisler fuhlte sich von des Abts Worten gar seltsam erregt; so wie es selten geschehen, trat der volle Glaube an seine innere schopferische Kraft lebendig hervor, und

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es sich wohl mit dem neuen Ankommling, der vielleicht strenger schiene, als er es wirklich sei, besser fugen und er seinerseits nicht glauben konne, dass der Abt bei dem festen Charakter, den er stets bewiesen, so leicht dem Willen

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Stubenmadchen geputzt sieht, als Lohn fur gewisse geheime Gange und andre Gefalligkeiten gelten durften. Bei so vielen Vollkommenheiten mag wohl einer liebenswurdigen Frau die kleine Torheit (ist es uberhaupt Torheit zu nennen) kaum

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wie das weitere Verhaltnis mit dem Prinzen zu formen. Doch auch dieser Verlegenheit wurde abgeholfen. Noch ehe die Ratin namlich dem Fursten antworten konnte, trat der alte Kastellan Rupert hinein und uberreichte dem Fursten ein klein zusammengefaltetes Billett, indem er schelmisch lachelnd versicherte, es kame von einer hohen Person, die er gar nicht weit von hier

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"'Che dolce piu, che piu giocondo statoSaria, di quel d'un amoroso core?Che viver piu felice e piu beato,

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, entre nous soit dit, er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen Hauptern, und das ist eben die lacherliche abgeschmackte Torheit, die ihn unfahig macht, am Hofe zu verweilen. Mag er daher entfernt bleiben; kehrt

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, und weder Katzbursch noch kultivierter Elegant, fuhlte ich lebhaft, dass man beides nicht sein durfe, um sich gerade so zu gestalten, wie es die tieferen und bessern Anspruche des Lebens erfordern.Mein Meister musste verreisen und fand es fur gut, mich

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kann, daran bin ich nicht schuld. Doch," setzte der Abt nach kurzem Stillschweigen mit erhohter feierlicher Stimme hinzu, "doch alles, wodurch der feste Bau, der Glanz der Kirche befordert werden kann, muss geschehen, und kein Opfer ist zu gross!"

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Unterhaltung zu wahlen, und trachtete nur ganz unmerklich dahin, dass es nie an Stoff dazu mangle. Den feinen Takt echter Geselligkeit hatte lange Gewohnheit ihr zur zweiten Natur gemacht, und jedermann fuhlte sich in ihrem Hause frei und behaglich.

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in der vollkommensten gegenseitigen Zufriedenheit, ausser mit ihrem Singmeister, einem sehr vorzuglichen Kunstler, der aber von der neuen italienischen Methode bezaubert war. Er bestand darauf, ihre ungewohnlich reine biegsame Stimme an alle die immer wiederkehrenden Verzierungen

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Kopfchen, liebe Gabriele, es bleibt dennoch wahr, beide haben gleiche Hulfsmittel und oft gleiche Noth. Von dieser bezwungen, sinkt der Kunstler in unsern Tagen nicht selten zum Handwerker herab, dafur aber erstanden auch in fruhern Zeiten viele grosse Meister aus der engen Werkstatt des

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Die Grafin sowohl als Aurelia hatten ebenfalls ihre eignen triftigen Grunde, ihn gerne bei sich zu sehen, und so lebten alle drei in grosser Zufriedenheit neben einander hin, ohne die Tage zu zahlen.In der ersten Zeit sah Gabriele Ottokarn weit seltner, als

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Wolken, andre folgten diesen anerkannten Koriphaen des guten Geschmacks, sogar die Grafin erklarte sich fur stolz auf ihre liebe Nichte und umarmte sie mit grosser Zartlichkeit. So ward das Unerhorte herbei gefuhrt, dass Aurelia wirklich zu ihrem eignen hochsten Erstaunen ein paar Minuten lang um der kleinen Kusine willen vergessen und verlassen

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denn doch immer etwas komisches, abgerechnet, dass es auch dem eigentlichen Begriffe des Deklamirens ganz entgegen steht. Und sich beim Deklamiren im ubrigen ganz ruhig zu verhalten, ist fast unmoglich, oder

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unter uns unbekannten Menschen allein zusammen stehen, die vielleicht gar nicht zu uns passen; aber wir werden uns dafur auch desto fester an einander schliessen und einander um so naher angehoren, je isolirter wir

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wird mich vielleicht freundlich behandeln, ich will es glauben; aber mehr darf ich nie von ihr hoffen, und alle die schonen Ahnungen hauslichen Glucks, denen ich doch nie ganz hoffnungslos entsagen konnte, sinken mir an

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nicht zu entscheiden, du selbst hast entschieden in der rechten Tiefe deines Gemuths, du weisst es wohl, was geschehen muss," setzte sie mit sanftem Weinen hinzu. "Aber ist es denn wirklich so? mussen wir scheiden auf ewig? und

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Laufe eines langen Lebens erworbne Welterfahrenheit sie diesesmal so irre gehen liess, aber eben so wenig begriff sie noch immer, wie Ottokar Aurelien wahlen konnte, da Gabriele neben dieser stand. "

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dem ich gar nicht begreife, wie man es uberlebt, ohne wenigstens vor Verdruss daruber den Verstand zu verlieren. Armes, armes Kind! warum mussten Sie auch so ganz zur unrechten Zeit von dem bosen Fieber befallen werden! Sie dauern mich ungeheuer, ach!

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sie nicht eher als bei der Tafel sichtbar werden konne, weil sie durchaus vom fruhen Aufstehen ruhen musse, um nicht den ganzen Tag unwohl zu seyn. Ich gestehe es, wir sowohl als der eben aufgethaute Brautigam blieben bei dieser Erklarung mit recht langen Gesichtern stehen."

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ihm, warum sollte ich sie denn dem einzigen Wesen verbergen, das gewiss nach seinem Willen zu mir gehort, wenn wir gleich, durch irdische Verhangnisse eingezwangt, jedes seinen eignen Weg fern von einander gehen mussen. Auch Ottokar liebt mich! wir fanden uns in

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Willnangen die erste Etage inne hatte. Nicht sowohl diese nahe Nachbarschaft, als vielmehr eine gewisse Uebereinstimmung in ihrer Lebensweise hatte beide Familien zuerst einander naher gebracht. Gegenseitiges Gefallen, besonders des jungern Theils derselben, machte sie in kurzer Zeit zu unzertrennlichen Gefahrten in

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, unter denen sich gewiss Leute befinden, die gar nicht zu uns passen, und die uns in Zukunft vielleicht recht lastig und beschwerlich in unserm eignen Hause werden konnen."Herr von Wallburg trostete indessen seine Frau

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"ich konnte Ihnen ein ganz vortreffliches holzernes Bein verschaffen, Sie sollten damit gehen, reiten, sogar tanzen konnen, il n' y a rien de plus beau et de plus commode au monde, indessen kommen Sie nur, ich will Sie gewiss nicht fallen lassen." Adelbert dankte ihm lachelnd, und ausserte zugleich die Besorgniss,

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Weise hingebracht worden, Mitternacht war nicht mehr fern, und Gabriele konnte sich vor Erschopfung kaum noch aufrecht erhalten oder die Lippen regen, wahrend ihr Vater noch immer unermudet schien. "Nun ist es genug," sprach er endlich, und machte mit der

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die Kraft gewinnen, dem Befehle, vielleicht gar dem Bitten eines Vaters zu widerstehen, den sie von jeher gewohnt war als den unumschrankten Gebieter ihres Daseyns zu betrachten? Keine Hoffnung, sogar kein Wunsch einer glucklichen Zukunft konnten ihren Muth

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"jetzt aber lassen Sie mich, ich darf meinen Vater nicht langer auf mich warten lassen. Ich hoffe, diese Gefahr soll an mir voruber gehen, ich werde meinen Vater gewinnen, er soll ohne mich nicht leben konnen, er soll mich lieben lernen, dann

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in Thatigkeit gesetzt zu werden verlangten, um nur dadurch ihren eignen Gedanken zu entgehen.Moritz war zufolge seiner armen, schwachen, an tausend Kleinigkeiten sich anklammernden Natur, im ersten Schrecken ganz unfahig geworden, nur einen einzigen Gedanken klar zu fassen; noch weniger vermochte er, einigermassen zweckdienliche Anstalten

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im Schlosse gebracht. Moritz behauptet, ein neuvermahltes Paar durfe wohl gleich nach der Hochzeit auf Reisen gehen, was leider Gabrielens Gesundheit nicht erlaubt hat, aber wahrend der Flitterwochen sich in Gesellschaft zu zeigen, ware unschicklich, undelikat und gemein, und eigentlich musse er sich wundern, wie

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etwas zumuthen konnen. Ich glaube aber der Ursache seiner Weigerung besser auf den Grund zu sehen, sie heisst Eifersucht, Eifersucht ohne bestimmten Gegenstand, und deshalb um so gefahrlicher. Herr von Aarheim mochte alle Welt von Gabrielen entfernt halten, eigentlich mehr aus Misstrauen

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, hatten anfangs sich mit grossem Eifer gemeldet, und zuletzt kostete es dennoch nicht geringe Muhe, nur so viele zusammenzubringen, als man nothwendig brauchte, um alle Rollen des Stucks gehorig zu besetzen. An ersten Liebhabern und Liebhaberinnen fehlte es freilich nicht,

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"Hat es wohl je in der Welt einen jungen Mann gegeben, der einem artigen Madchen dreissig Jahre mehr und dazu ein gepudertes Touppee wunscht, bloss um ihr etwas schones zu sagen?" rief Auguste ein wenig gezwungen lachelnd, und

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, der nimmt, was unverhofft ihm gerettet ward, so dankbar auf, als ware es ein Geschenk. In der ersten Freude uber das schon verloren Geglaubte dunkt man sich anfangs mit dem zehnten Theil seines Eigenthums beinah reicher als vorher im Besitz des ganzen, und nur allmahlig gewohnt man sich wieder, ein jedes gehorig zu wurdigen.

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las, ubertraf daher so ganz ihre Erwartung, dass wenig daran fehlte, sie hatte sich dadurch verleiten lassen, sie glucklich zu preisen. Freilich schwand dieser erste Freudentaumel fruh genug, aber der trostende Eindruck konnte dennoch nicht ganzlich verloschen.

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vor dem innern Auge des lebensmuden Greises schweben, der liebend noch an ihnen hangt, obgleich er es nicht mehr vermag, sie noch deutlich aus der weiten Ferne zu erkennen. Im ruhigen Bewusstseyn erfullter Pflicht, aufrecht erhalten durch rege Thatigkeit, konnte Gabriele nicht

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Jahr sie uberall fur noch weit junger ansah, so schien jedermann jetzt in ihrem vier und zwanzigsten Jahre geneigt, sie fur alter zu halten als sie war. Oder vielmehr, man dachte weder an Alter

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Schutz einer altern Frau von Rang und unbescholtenem Ruf zu begeben, in deren Begleitung es ihr allerdings erlaubt war, uberall offentlich zu erscheinen. Was konnte daher diesen beiden Damen wohl erwunschteres kommen, als

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meine, weiss ich jetzt gewiss," erwiderte die Grafin, "obgleich ich sie noch nicht gesehen habe; wir verfehlten einander bei unsern gegenseitigen Besuchen, und so bleibt uns nichts ubrig, als die Soiree zu erwarten, mit

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Sie es anfangen, in diesem Gewande nur zwei Schritte zu gehen?" rief er endlich."Gehen," erwiderte die Markise, und lachte jetzt wirklich recht herzlich, "gehen? Aber, lieber Graf! Sie werden immer schwerfalliger. Wer geht denn,

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Schlafzimmer einer eleganten Pariserin zum glanzendsten Prunkzimmer des Hauses macht.Mitten in alle dieser Pracht lag die Markise, ganz einfach gekleidet und dennoch alles uberstrahlend. Der wohl berechnete Ueberfluss des fruher erwahnten weissen langen Gewandes, in grosse malerische Falten

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um den schonsten einzigsten Anblick in der Welt gebracht habe. Da riss dieser endlich der letzte schwache Geduldsfaden, besonders als noch immer weder Gabriele noch Hippolit sich blicken liessen. Die Migrane kehrte plotzlich wieder, und ward bald so unleidlich,

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vornahm, recht oft zu benutzen. Mehrere Tage vergingen, wahrend denen Adelbert und Hippolit die Rollen getauscht zu haben schienen. Ersterer war nur selten, und nie in Gabrielens Nahe zu finden, wenn er vermuthen konnte, mit ihr allein zu seyn.

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sich selbst immer zorniger sprach, und seinen Anschuldigungen immer schonungslosere Worte gab. Hippolit hatte indessen sich lange fruchtlos bemuht, die bei diesem widerwartigen Vorgange nicht personlich interessirten Zuschauer zum Weggehen zu bewegen, alle bildeten aber einen neugierigen Kreis und niemand hatte die mindeste Lust zu wanken oder zu weichen. Doch

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Der Streit ward immer heftiger und mir wurde so angst dabei, dass ich zuletzt auch nicht mehr vernahm, was sie auf deutsch zu einander sagten, bis der junge Herr Graf endlich gelassener wurde und sich verstandlich machen konnte. Herr Rittmeister, sagte er, lassen Sie uns eine Scene enden, die schon zu lange gewahrt hat und hier doch nicht entschieden werden kann.

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Preis zu geben? Gabriele war zu rein tugendhaft, um je daran zu denken es seyn zu wollen; daher konnte ihr der Gedanke gar nicht kommen, dass sie hier vielleicht ein Opfer zu bringen habe.

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zum Geloben ewigen unverbruchlichen Schweigens uber diesen Gegenstand zu bewegen. Er ging sogar so weit, ihm nicht undeutlich zu verstehen zu geben, wie man doch so ganz eigentlich nicht wissen konne, auf

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uber ihr ganzes Wesen ergossene unverkennbare Traurigkeit, machten sie mir gleich in der ersten Stunde hochst interessant. Die ganzliche Verlassenheit, in der sie bald darauf oft mitten in den grossten Gesellschaften,

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. Er meint es so gut, und obgleich er mich oft eigensinnig schilt, ist doch sein Herz voll Mitleid mit mir; aber wie konnte er je Wunden schonend behandeln, deren Moglichkeit er nie begreifen wird.

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Lippen wegzuhaschen sucht, und dabei immer tiefer in sich selbst sich verliert, so dass zuletzt ausser Aurelien nichts mehr fur ihn zu existiren scheint, dann werde ich wieder irre, auf Augenblicke wenigstens. Zwar weiss ich, Aureliens Zaubergewalt uber Hippoliten liegt nur in einer nie zuvor von mir

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noch, schwerlich weniger gefallsuchtig und eitel als die Tochter, nur aussert sich diese ihre Gefallsucht auf andre Weise. Die Grafin wollte von jeher nicht sowohl bewundert, als gesucht seyn, nicht sowohl blendend erscheinen als liebenswerth, und diess giebt ihr bei allen ihren ubrigen Schwachen einen

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ihren Muthwillen immer hoher trieb, und dabei immer reizender ward, wahrend Gabriele in immer steigender Angst den Abstand ihres innern Missmuths mit der allgemeinen Stimmung empfand.

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und nach entfernte, und beseligt durch alle die sussesten Bande des hauslichen Lebens, nun immer seltner kame, zuletzt ganz ausbliebe? Tausendmal schoner und reizender als sie gestern Ida gesehen hatte, schwebte diese ihrem Geiste voruber; abermals

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werde zum zweitenmal verbannt. Doch weshalb? und warum so? O Gabriele! und warum eben so? Wie ist es moglich, dass ich so ganz und gar keiner Schuld mir bewusst bin, und doch schwer genug gefehlt habe,

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denn abermals bereit, ihrer eignen Ueberzeugung gefassten Sinnes zu folgen. Jene innere Feigheit, die uns verleitet, einem unausweichbarem Schmerze so lange als moglich aus dem Wege zu gehen, war Gabrielens entschlossnem Gemuth stets fern geblieben, daher gewann sie es auch diesesmal uber sich,

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brachte alles herbei, war es noch so selten, noch so schwer zu erhalten, was er nur irgend zur Erquickung oder Pflege der geliebten Leidenden ersinnen konnte; doch ihr Zustand blieb immer und unabanderlich derselbe. Fruh, beim ersten Morgengrusse, fand Frau von

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Erde zu umfassen scheint, und wenn wir die einzelnen Glieder der Menge betrachten, deren gesammtes Urtheil uns so bedeutend dunkt, dass wir es zur Richtschnur unsrer Handlungen erheben, so mochte die Mehrzahl derselben wohl auch nicht viel grossern inneren Gehalt haben als solch ein kleiner farbloser fader

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gehorend zu betrachten, man hat sich schon tausend mal daruber so mude gesprochen und gewundert, dass man vielleicht sogar recht erfreut ware, durch sein Hierblieben wahrend wir fortgehen, neuen Anlass zur

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es nicht vermocht, der heitern Feier dieses Tages langer zuzusehen, deren Deutung sie nur zu wohl verstanden; sie hatten beide sich entfernt, um in gegenseitigen Klagen neue Kraft zu suchen, und niemand war bei Gabrielen geblieben als Hippolit.

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als wir beide? Darum, lieber Hippolit! wollen wir auch nie uns Eigenmachtigkeit oder Widerstand erlauben. Wir wollen immer vertrauen, immer, immer, auch wenn es recht dunkel um uns wird; jeder Nacht folgt ein hell

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Mortimer oder gar nicht gehen sollten. Es ward also beschlossen, ich musste sie im Curricle fahren, und Miss Arnold nebst einem jungen Herrn von denen, die sich schon um die reiche Miss Percy zu versammeln anfingen, sollten uns zu Pferde begleiten. Jetzt glaubte ich die schonste Gelegenheit zu

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ich diesen schonen Jungling ansehe. Ich hange mit einer schwarmerischen Neigung an diesem seltsamen Menschen.Phaethon an TheodorIch begreife, Theodor, wie die Griechen schone Knaben und Junglinge lieben konnten.Denk' an die susse Trunkenheit, womit das Vollgefuhl der unendlichen Lebensglut ewigkeimender Natur im Morgenglanz ihrer jugendlichen Schonheit ein

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's nicht schildern. Die hochste Schonheit lasst sich nicht beschreiben; die hochste Schonheit fuhlt man nur.Wer nie noch die Natur gesehen im Morgenglanz ihrer himmlischen Schone und nun zumal in ihrer hochsten Fulle sie vor sich sieht, die seelenvolle, die

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Gott, ewig, einfach.Auch die Auflosung des Korpers geschieht nicht plotzlich, sondern nur allmahlich. Wenn er endlich stirbt, so losen die edelsten geistigen Safte sich von ihm ab und bilden einen fur uns unbegreiflichen feinern und zartgewebten Lichtkorper. Denn nicht mehr das rauhe Element der Erde bildet die Hulle,

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von der heiligen alldurchdringlichen Schone Gottes. Immer reiner aber wird der ewige, zur Reife schwellende Geist; immer mehr Festigkeit erhalt er durch die in immer grossern Erscheinungen geoffenbarte Gottheit; immer riesenmassiger werden die Flugel, je mehr sie getrankt werden von der zarten wallenden Morgenschone des unendlichen Vaters. Unsere Korper werden immer feiner, atherischer, farbloser, reiner, bis wir endlich gar keine Hulle mehr brauchen, Geist

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, ohne irgend eine Art von Gesellschaft, langsam voruber geschlichen. Daher wussten sie auch gar nichts ordentliches zu reden; am liebsten waren sie aus lauter Langerweile gleich zu Bette gegangen, obgleich es eben erst Abend ward; aber das ging auch nicht

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? c'est un coeur excellent, ein wenig heftig, ein wenig hochfahrend zuweilen, doch das macht die Jugend; der Grund ist vortrefflich, c'est le vrai portrait de feu Madame sa mere. Wenn ich dagegen Babet und Agathe mit ihr vergleiche! ach

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ist dies selten oder nie. Doch lassen Sie uns jezt lieber von unsrer Vicktorine sprechen. Es sind nun zwolf Jahre, dass ich weder sie noch ihren Vater gesehen habe, und ich stehe da mitten unter den Meinen, gleich einer Fremden. Dennoch hangt jezt mein ganzes Herz an

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, mais je le fais de bon coeur. Ja, was ich sagen wollte, um wieder auf unsern Text zu kommen, ja, und eine Garderobe hat unsre jeune Demoiselle, comme une petite Reine, je vous assure,

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Vicktorine lieber Gott, la pauvre petite war damals kaum sieben Jahre alt! dass er sie, sage ich, nie einem andern als einem Kaufmann geben wurde. "Der wahre Kaufmann," pflegte er zu sagen, "hat den achtungswerthesten, nutzlichsten und darum ehrenvollsten Stand erwahlt. Er allein verbindet beide Hemispharen, sein scharfer Blick entdeckt jeden Mangel

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Mademoiselle Babet par exemple, mais passons la-dessus. Unsre Vicktorine war immer artig und freundlich gegen jedermann, immer sans pretentions. Die Freier blieben denn auch nicht lange aus; manche mochten wohl les beaux yeux de la Cassette de son pere mit in Anschlag bringen, enfin,

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und Gemuthsart wesentlich von einander verschieden, und wurden dennoch vollkommen gleich behandelt; alle waren strengen, angstlichen Formen unterworfen, die einzig erdacht zu sein schienen, jede frohe Regung eines jugendlichen Gemuths zu

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nun auch freilich in seinem jetzigen Stande recht gut zu statten kommen, denn in unsern Tagen kann der Kaufmann nie zu viel wissen, und das Gelehrtsein, oder wenigstens Gelehrtthun ist unter unsern jungen Herrn obendrein

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als blos musikalische Gegenstande auszusprechen, und dabei den inneren Reichthum ihres Geistes vor einander zu entfalten. Raimund hatte schon fruher Vicktorinen zuweilen gesehen und ihre seltene Schonheit bewundert, doch der im Kleebornschen Hause herrschende grosse Ton hielt bis dahin den stolzbescheidenen Jungling davon ab, Zutritt in demselben zu suchen. Und auch jezt, bei naherer Bekanntschaft mit

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der Vicktorinen einst zufallen sollte, durchaus nicht in Anschlag gebracht werden konne; doch sein heller reiner Sinn war weit uber jene edelmuthig sein wollende Armseeligkeit erhaben, die nicht minder angstlich berechnend

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; aber glaube mir, mein Freund, ich weis was ich damit sage. Ich weis wohl, dass anfangs mir verzognem Kinde Durftigkeit scheinen wurde, was Andre als seltnen Ueberfluss hoch halten; ich weis, dass

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nicht viel mehr brauchen werde als Gewohnung und dabei Aneignung des ihm eigenthumlichen, mechanischen Theils desselben, den gewohnlich Knaben in fruher Jugend schon erlernen. Alles dies dunkt mir indessen zum Theil nicht schwer zu begreifen, zum

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Erzahlung so wenig als moglich durch Einreden jeder Art, und lasst mich furs erste den bewussten Anlauf zum Anfange derselben nehmen, indem ich Euch ein Bild unsers hauslichen und geselligen Lebens leicht hinskizzire, so wie es damals bestand, als ich vor einigen und vierzig Jahren aus

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fast allen damals lebenden, gebildeten Mannern theilte, die darin dem Beispiele Konigs Friedrichs des zweiten folgten. Auch ich lernte deshalb erst spat die Schatze meines eigenen Volcks kennen, obgleich um die Zeit, da ich geboren ward, schon die hellstrahlende

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ferne zu sehen, erzahlten noch Kindern und Kindeskindern davon als von einem merkwurdigen Ereignisse ihres Lebens.Die blosse Durchreise der Herzogin ware also schon hinreichend gewesen um die ganze Stadt in Bewegung zu bringen, aber nun wollte sie sogar drei Tage in unsrer Mitte verweilen, und glanzende Feste sollten diese Zeit ausfullen, deren Erfindung denen, welche

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, erscheinen konnten, zu denen eine solche Furstin eigentlich gar nicht gehort, und denen sie denn doch auch wieder in gewisser Hinsicht eben so unterworfen ist als jedes andre Madchen.Der grosse Tag kam endlich heran,

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der Verwirrung ziemlich entfernten, mir wohl bekannten Gartensaal uns beide einstweilen in Sicherheit zu bringen; denn schon fielen kalte einzelne Regentropfen herab und der nachtliche Himmel hullte sich in immer schwarzeres Dunkel.

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der jezt erst meiner gewahr ward, stand, sichtbar erschrocken, dabei, und schien in der ersten Ueberraschung vergebens nach Worten zu suchen.Es ist lange nicht so

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Manner, deren Namen ewig unser Stolz sein sollte, eigentlich schon jezt an ihren undankbaren Enkeln verloren geht. Wie lange wird es dauern, so ist es ganz vergessen und verschollen, wahrend wir aus

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es nicht gewohnt, dieser heiligen Gegenstande erwahnen zu horen; vieles schien mir sogar unverstandlich, sowohl was sie sagten, als was vorgelesen ward, und doch ergriff mich dabei eine mir selbst unerklarliche, nie zuvor von mir gekannte Ruhrung. Oft fuhlte ich mich

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sich unbeachtet glaubte. Ich sah es recht gut, wie er alle die schonsten, zartesten, ergreifendsten Stellen der Poeten, welche er besonders liebte und deshalb auswendig wusste, gerade mir allein durch Blick und Ton zuzueignen schien. Ware mir hiebei noch irgend ein Zweifel ubrig geblieben, so

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bitten zu lassen; doch der plotzliche Gedanke, dass es gerade wegen der so ungewohnlich gewahlten Stunde hier wohl auf mehr als auf eine blosse Visite abgesehen sei, hielt sie davon ab,

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Frau, bringen Sie mir Vicktorinens Erlaubnis zu gehen, und das bald! Der erste Tag der Reise ist ja auch der erste, der uns der Heimkehr naher fuhrt. Und wer kann wissen, ob es nicht wahrend meiner Abwesenheit dem schutzenden Genius unsrer Liebe in

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uber mein ganzes Leben verbreitet und ist nie wieder ganz aus demselben verschwunden. Unzahlige trube schlaflose Nachte sind seitdem dieser ersten gefolgt, doch gottlob keine so ganz trostlose als diese, denn nie war ich wieder so durchaus mit mir selbst zerfallen wie damals.Vergebens

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verdanke ich hauptsachlich ihnen.Leidende erkennen einander schnell, und auch meine neuerworbne edle Freundin fuhlte gar bald, dass auch ich nicht glucklich sei, obgleich ich mir eben so wenig eine Klage

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einem von beiden hatten zur Sprache kommen konnen. Beide fuhrten voll der freudigsten Aussichten auf eine gluckliche Zukunft die Verlobten sobald als moglich am Altar einander zu. Die Augen meines Vaters strahlten wahrend der feierlichen Handlung in ungewohntem Glanz; seine ganze Gestalt glich der eines

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. Wir beide sprachen uberhaupt nur wenig bei dieser ersten Zusammenkunft, wir konnten nicht reden, wir konnten nichts als uns freuen, uns beiden war in diesem Moment als sei nie eine betrubende

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dein Ungluck nennst, wende lieber den Blick davon ab, denn es wachst vor unsern Augen beangstigend zur Riesengestalt an, je langer wir es betrachten.""Ich weiss es wohl," setzte die Tante lachelnd hinzu, als

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aber, weit davon entfernt, ihm widerstehen zu wollen, Ihr habt ja nicht einmal an der grossen oder kleinen Plage genug, die ohnehin jeder Tag mit sich bringt, sondern Ihr bewahrt Euch sogar das Andenken alter verjahrter Schmerzen

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dem Onkel recht wohl gefallen. Hernach ist er wohl anderthalb Stunden lang mit der Tante allein in ihrem Zimmer geblieben, und er hat auch ihr recht wohl gefallen, besonders, sagt sie, wegen seines ehrlichen und aufrichtigen

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welchem am folgenden Morgen Agathe unter gewaltigem Herzklopfen den Rittmeister begluckte, folgte bald die feierliche Verlobung des jungen Paares, und Agathe ward die allerreizendste kleine Braut, die man sich denken kann. Anfangs war sie freilich noch sehr schuchtern und angstlich, sie kam sogar ganz von selbst

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in mancher grossen Residenz, denn in letzterer sind gewohnlich die Stande viel strenger von einander gesondert, und die grosse Stadt zerfallt dadurch in unzahlige kleine. In grossen Handelsstadten hingegen, wo Alle einander mehr oder weniger gleich stehen, und nur der grossere oder geringere

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einigen Unterschied bildet, i s t dieses weit weniger der Fall, besonders wenn sie zugleich Seestadte sind. Selbst das ganz vom Gewohnlichen Abweichende fallt dort schon darum weit weniger auf,

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Reihen seine gewohnte Lieblingsstellung uber zwei Stuhle hingelehnt beibehalten, obgleich mehrere Damen um und neben ihn standen, bis es ihm endlich nach einer halben Stunde beliebte, mitten in einer Cadenz des Virtuosen, wahrend man bei der allgemeinen Stille eine Stecknadel hatte fallen horen konnen, sich

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ihr doch gesagt, dass sie unbeschreiblich schon und reizend sey, und was noch mehr war, hatte er sie sogar nicht einigemal seine bezaubernde Lady Betty genannt? was konnte das anders heissen, als dass er sie liebe, und sie folglich durch eine

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schriftliche Verbindung setzen. Und was brauch ich mehr zu wissen, als dass er lebt. Dieses kleine Wort sagt mir ja alles. Tante! ich lasse Sie mit seinem Briefe allein, ich gehe, um

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erfullen so gut ich es vermag, und was mir vielleicht an welterfahrner Klugheit dazu abgeht, soll meine treue Wachsamkeit ersetzen. Warnen werde ich nicht mehr, das bestarkt Babet nur in ihrem Eigensinne und ware auf jeden Fall in den Wind gesprochen, aber finden soll sie mich uberall, wo sie mich nicht gern sehen wird, und sie musste es weit kluger anfangen, als es in ihren Kraften stehen mag, wenn

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das Fernrohr sehen konnte, hat es wahrend dieser Reise durch fruhere Sturme schweren Schaden erlitten, denn es konnte sich nicht recht regieren. Sonst hatte es wohl eben so gut noch den Hafen erreicht, wie

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Diese Hoffnung stutzt sich hauptsachlich auf die innere Kraft einer jugendlichen unverdorbenen Natur, welche freilich durch mannigfaches Leiden, vielleicht sogar durch harte schwere Arbeit, untergraben zu seyn scheint, bei sorgsamer Pflege steht aber zu erwarten, dass sie bald wieder die

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jetzt in langer, langer Zeit nicht wieder von mir horen, aber ich weis, Sie vergessen meiner dennoch nicht. Lebe wohl, Geliebte! Vicktorine! Du schones holdes Licht meines Lebens! Lebe wohl mein Vaterland! Europa, lebe wohl! Mein Schiff liegt im Hafen vor Marseille zur Abfahrt bereit. Es

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, wenn gleich meistens unbeachtet gegenuber steht. Annas lang geubte Gewalt uber sich selbst gab ihr indessen bald wieder Kraft genug, um den Inhalt des Kastchens naher zu untersuchen. Sie fand darin alles wie Raimund es ihr geschrieben hatte, eine versiegelte Abschrift seines letzten Willens,

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. Diesem neuen Ankommling zu Ehren ward nun auf des Rittmeisters besonderem Antrieb sogleich beschlossen, dennoch ins Theater zu fahren, obgleich die eigentliche Stunde dazu schon beinahe voruber war. Der alte Kleeborn schien wahrhaft erfreut, einen Anlass gefunden zu haben, der ihn bestimmen konnte, seinen

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allen sogenannten guten Hausern Eingang finden und uberall sind, einzig, weil sie den Leuten weiss zu machen wissen, dass sie uberall hingehoren. Diese Herren reden uber alles, sind immer mit gutem Rathe bei der Hand, spielen hohes oder

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die Ehrenkrone unsers Stammvaters mit ihm einst theilen zu konnen. Zwar bist Du der letzte unsers alten edlen Namens, doch hoffentlich wird er wieder neues Leben gewinnen, und Du stehst einst in der Mitte zwischen der langen Reihe unsrer Vorfahren und einer zahlreich erbluhenden,

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schwach und verblendet, den Pfad nicht zu halten wusste, den Du so weise als liebevoll ihm bezeichnet hattest; dem Todtgeglaubten hast Du vergeben, dies fuhlte er wohl, darum mochte er Dir nie wieder nahen,

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Verhaltnissen des wirklichen praktischen Lebens wusste er in seinem zwanzigsten Lebensjahre weit weniger, als ein gewohnlicher Knabe von acht Jahren. Der Kardinal war indessen mit der geistigen Ausbildung seines Grossneffen vollkommen zufrieden, das

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und verdunkeln mussten; er glaubte zu sehen wie Luisens Herz sich immer mehr von ihm abwende, und ward leider immer weniger liebenswurdig, je mehr die Ueberzeugung, nicht mehr geliebt zu

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Herzen zu liegen schien. Sie begann daher ganz unvermerkt Luisens sich anzunehmen, gegen die sie mit ihren acht und zwanzig bis dreissig Jahren sich ohnehin recht matronenartig vorkam.

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Gegenden ausgerottet worden, und die Erscheinung eines einzelnen, das sich wahrscheinlich aus einem andern fernen Gebiete hinuber verirrt hatte, setzte gerade ihrer Seltenheit wegen die Leute in um so grossere Angst. Meinau war eben zugegen und rieth eine grosse allgemeine Jagd anzustellen; die ganze Nachbarschaft ward aufgeboten,

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Vergessen zu bewegen.Was auch Oskar ihm einzuwenden versuchte, alles war verloren. Albert horte nicht darauf und ward immer warmer, immer unwiderstehlicher, je langer er sprach, so dass Oskar endlich die Unmoglichkeit fuhlte, sich hier langer in den Schranken zu halten, die er sich gesetzt hatte,

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, die dabei vorwalten konnten, nicht zu entscheiden. Du wirst wie immer das Beste zu wahlen wissen und ich uberlasse Dich hierin mit der vollkommensten Ruhe Deiner freien Wahl, denn ich weiss, dass Raimunds wahres Gluck nicht

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verhinderte ihn wahrscheinlich jenes heimliche Grauen, das wohl ein jeder bei ahnlichen, wenn gleich vielleicht minder wichtigen Gelegenheiten schon empfand. Denn das geschriebene Wort steht ausser uns und sieht gar fremd und

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was ihr indessen nach ihres Brautigams Urtheil recht allerliebst stand, der daher auch nie unterliess, sie zum Zorne zu reizen."Ich habe es Dir schon tausendmal gesagt," sprach sie einst, "dass das eine ganz alberne und unnutze

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alles dieses lasst sich besser und leichter nachempfinden als beschreiben.Die ersten Fruhlingstage fuhrten in ihrer von tausend schonen Hoffnungen duftenden Reihe auch den Tag herbei, an welchem die Tante einer zweiten, mit jungen Rosen um die Wette bluhenden glucklichen Braut,

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ihrer Seele voruber. Die hohen Wipfel der uralten Eichen, unter deren weit hingebreiteten Schatten Bernhard als Kind gespielt hatte, schienen ihr seinen Gruss zuzurauschen; in ahnendem Schauen fuhlte sie seine geistige Nahe uberall, im

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Fremden, deren keiner den andern kannte, oder seine naheren Verhaltnisse zu wissen wunschte, nie fur moglich gehalten hatte.Der schone Herbst von 1822, mit seiner erfreulichen Aussicht, dieser Herbst am Rhein genossen, mag allerdings zu dieser ruhigen Heiterkeit des

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bei uns gehalten, und feiere jetzt ihre heiligsten Festtage; Gaste, die sich nie hatten einfallen lassen, langer als eine Nacht hierzubleiben, schlossen sich an den immer grosser werdenden Zirkel an, und vergassen, dass sie unter Menschen sich befinden, die

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Demagogie sehr verdachtig gemacht; ich fuge gleich den vierten Grund bei: man hat bemerkt, dass Demagogen, vielleicht von geheimen Bunden ausgerustet, viel Geld zeigen und die Leute an sich locken; wer hat sich

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welche wir fahren, aus lauter Christen bestehe, zu welcher Frage jener naturlich grosse Augen machte, und nicht recht wissen mochte, wie sie hieher komme.Mit wenigen, aber

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der Erfindung lassen; naturlich konnte Dagobert dies nicht tun und, daruber aufgebracht, ruhte der Oberst nicht eher, bis der Arme nach Halle versetzt worden ist. Ach, du kannst dir gar nicht denken, wie

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Fassungskraft der beiden Fraulein nicht genug bewundern, obgleich sie nicht den kleinsten Teil des Gelesenen gehort haben konnten, so waren sie doch schon so gut geschult, dass sie voll Bewunderung schienen; die eine lief sogar hin zu

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sie angstlich macht, so angstlich, dass sie sagt:" Wo er nur mag zu uns treten,mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr "Wozu nun dies? warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das jedermann Misstrauen einflosst, das zuruckschreckt, statt dass die Sunde, nach den gewohnlichsten Begriffen, sich lockend, reizend sehen lasst?Wer hat nicht die herrlichen Umrisse uber

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sie angstlich macht, so angstlich, dass sie sagt:" Wo er nur mag zu uns treten,mein ich sogar, ich liebte dich nicht mehr "Wozu nun dies? warum soll der Teufel ein Gesicht schneiden, das jedermann Misstrauen einflosst, das zuruckschreckt, statt dass die Sunde, nach den gewohnlichsten Begriffen, sich lockend, reizend sehen lasst?Wer hat nicht die herrlichen Umrisse uber

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tollsten Konjekturen erfand ich, aber nie wollten sie passen."Der junge Mann war wahrend meiner Reden nachdenklich geworden; es schien etwas darin zu liegen, das ihm nicht ganz recht war; vielleicht ahnete er

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Sie Streit gehabt', sagteer; 'doch mochte ich Ihnen raten, solche Handel wegen einer so zweideutigen Person zu vermeiden. Sie wissen selbst, wenn man einmal einen offentlichen, besonders einen diplomatischen Charakter hat, ist dergleichen in einem fremden Lande wegen der Folgen fur beide Teile fatal.

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seinem Posten zuruckberufen wurde. Donna Ines habe ihm allerlei sonderbare Vorschlage zur Flucht gemacht, in die er nicht eingehen konnen; er sei, ohne Abschied von ihr zu nehmen, abgereist. Was ihn eigentlich bestimmte, nach Rom zu gehen, sah ich nicht recht ein,

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er hat wohl nie so tief als in jenem Augenblick gefuhlt, wie die hochste Lust mit Schmerz sich paaren konne. Mir, ich gestehe es, war diese Szene etwas langweilig; ich werde daher die nahere Beschreibung davon nicht in diese Memoiren eintragen, sondern

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auf die kleinen Bemuhungen und geringen Fortschritte des Gegners. Man warnt sogar vor ihm und sucht etwas Verstecktes in seinen Schriften zu finden, was zu gefahrlich ist, als dass man offentlich davon sprechen mochte. Diese Klasse macht stillen, aber tiefen Eindruck aufs Publikum.

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nun einmal heutzutag ist, kann nichts mit Mass tun. Sie lobt entweder uber alle Grenzen, oder sie schimpft und tadelt unverschamt. Solche Leute, besonders wenn sie ein recht scharfes Gebiss haben, sind ubrigens oft nicht mit Gold zu bezahlen. Man legt sie an

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sich und gutes Futter fur das Pferd finden wurden. Uberall war er bekannt, uberall wurde er freundlich, wiewohl, wie es Georg schien, meistens mit Staunen aufgenommen. Er flusterte dann gewohnlich ein Viertelstundchen mit dem Hausvater, wahrend die Hausfrau dem jungen Ritter emsig

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hier nicht minder gefahrlich sei, zu gar keiner Partei zu gehoren, als sich fur irgendeine bestimmt zu erklaren, er sagte daher, er komme aus Franken und werde noch weiter hinauf ins Land,

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nichts Schlechtes denken konnte. So ratselhaft ihm selbst jene nachtlichen Besuche vorkommen mochten, so sah er doch klar, es sei weder bewiesen, dass der Vater nichts darum wisse noch dass der geheimnisvolle Mann gerade ein Liebhaber sein musse. Er

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, seine schone junge Frau nur fur sich allein haben zu wollen, oder gar auf den Konig David eifersuchtig zu werden, so ware der beruchtigte Uriasbrief nie geschrieben worden, und besagter Hauptmann hatte es vielleicht noch weit im Dienste bringen konnen. Andere aber, denen die Natur

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nicht genau kennt, mochte ich nicht raten, sich herabzuwagen; sie hat tiefe Schlunde und unterirdische Wasser, aus denen keiner mehr ans Licht kommt. Auch gibt es geheime Gange und Kammern, die nur funf Mannern bekannt sind, die jetzt leben."

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von sich strahlen konne, die das Auge blendet, und das Gefuhl des eigenen Ichs so plotzlich uberrascht und hinabdruckt. Mit diesem Gedanken beschaftigt, ging er durch die Hohle; die erhabene Pracht der Natur, die beim Eintritt sein Auge uberrascht und gefesselt hatte, ging fur ihn verloren; er staunte nicht mehr, dass sie im Schosse eines unscheinbaren Berges sich so herrlich und grossartig ausgesprochen habe. War ja doch sein

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"Wer recht liebt kann gar nicht eifersuchtig sein", sagte Marie unmutig; "aber schon in Ulm hast du etwas solches gesagt, und schon damals hat es mich recht tief betrubt. Aber du kennst mich gar nicht, wenn du mich recht gekannt hattest, wenn du mich geliebt hattest wie ich dich, warest du nie auf solche Gedanken gekommen.""Nein! ungerecht musst du

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geradezu merken lasst, dass du Herrn von Sturmfeder schon kennst; es ware moglich, er konnte glauben, er sei wegen uns nach Lichtenstein gekommen."Frau Rosel kampfte zwischen guter und boser Laune. Es tat ihr wohl, dass

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die Brucke sehen konnte.Es blieb ihm daher nichts ubrig, als sich irgendwo zu verbergen, wenn er den nachtlichen Besuch sehen wollte. Im ersten Stock war dies nicht moglich, weil dort so viele Leute wohnten, dass er leicht entdeckt werden konnte. Doch

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, solche treue Herzen bleiben? Nehmt Euren Becher und lasst uns darauf trinken! Solange wir Land besitzen in den Herzen, ist nichts verloren: Hie gut Wurttemberg allezeit."34"Hie gut Wurttemberg allezeit", erwiderte Georg und

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Zipperlein befallen worden, dass ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeihen daher, Euer ""Schon gut, schon gut!" rief der Herzog lachend, "will dich schon kurieren vom Zipperlein. Komm morgen fruh ins

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angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir mussen ein Exempel statuieren! Wir mussen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden, der Kanzler hat ganz recht, darum kann ich keine Gnade geben.""So erlaubt mir nur

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was diese beiden an jenem Morgen zusammen flusterten, nur so viel konnen wir berichten, dass eine susse Ruhe auf Mariens Zugen lag, dass sie die schonen Augen bald freudig aufschlug, bald verschamt wieder senkte, dass sie bald lachelte, bald tief errotete, und

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an mich hangen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schone neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch glucklichen Tagen getragen.""Ja, ja! ich kenne es wohl; das

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Stellung herauslocken lassen, mussen sie alle diese Vorteile verlieren, weil sie dann entweder zwischen dem Wald und dem linken Flugel einen bedeutenden Zwischenraum lassen, oder um diesen auszufullen, ihre Schlachtlinie so weit ausdehnen mussten, dass sie an innerer Starke verlieren wurden und leichter durchbrochen werden konnten. Ein grosser Nachteil fur

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Kanzler in kurzer Zeit bis zum Anfuhrer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte uber die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich, noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der furchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Wurttemberger brachen, trotz des entscheidenden Augenblickes,

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sind mir schon nicht mehr im Gedachtniss", bekummern mich folglich keineswegs. Ich horte, so zu sagen, eigentlich gar nicht auf sie. Eben so wenig denke ich um Eure Gunst zu freien. Soviel ich deren bedarf, um

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Er wird einst Euern schlechten Namen zu Ehren bringen. Verlasst Euch darauf, und lebt wohl. Ich mochte nicht gerne uberlastig seyn, darum gehe ich jetzt schon. Zahlt indessen immer Geld fur

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auf dem besten Fusse zusammen standen, allein diese Zeit ist nicht mehr. Was konnte ich in der That auch dafur, dass der wackre Herr damals in ein Reiterwamms zu kriechen beliebt hatte? Am Kragen kennt man den Mann, lautet ein wahres und liebes

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der Herzog lachelnd: "Nicht ubel berechnet. I c h sage Euch jedoch, Ihr geht morgen eben so wenig schon nach Frankfurt, als uberhaupt in's

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dem Heiligen gleicht. Wahrlich, wahrlich! Ein feiner Sprossling, der Bube; und eben dessen Zuge waren mir beim ersten Zusammentreffen so wenig fremd, dass ich darauf hatte schworen mogen, ich hatte ihn vor Kurzem erst, zu Costnitz oder irgendwo, gesehen. Es mag aber leichtlich

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Dir's einfallt, und findest immer etwas fur den Schnabel, bald wenig bald viel, bald vollauf bald knapp, je nachdem Dein Gewerbe geht oder stockt. Daheim kannst Du Deinen Leib pflegen, Falken

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obendrein ein wenig gereizt, setzte das mannliche Weib mit unverholner Bestimmtheit hinzu: "Ihr Herren macht ja sonst keine Umstande, wenn es darauf ankommt, einen Beichtheller zu gewinnen. Den heilige Vater mag Stadte und

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wagst, hast Du den Talles. Besinne Dich kurz; ich gebe nicht mehr Frist. Ich will nicht werden alt wie Abraham, ohne zu kosten Deine Reize. Du kannst werden glucklich und leben lang, sobald Du wirst bekennen, wo

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in dem einzelnen Gehoft, das man gewohnlich im Tannicht nennt. Versteckter hatten wir allerdings in der Martenschenke gelegen, die am Sandgubel steht, und wo man gemeiniglich bessern Trunk erhalt, obschon nicht immer die besten Kunden sich da zusammen finden. Aber

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ist erfullt worden, warum ich Gott in meinen letzten Nachten gebeten habe. Du hast muthig eine unziemliche Leidenschaft bekampft, deren Gegenstand nur als unsre Tochter aufgenommen worden ware, um Dir einen Beweis unsrer ausserordentlich Liebe zu geben, nicht aus Neigung unsers Herzens,

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war, obgleich fern, doch bald erreicht. Der treuherzigen Furbitte des Knaben konnte der biederherzige Veit nicht lange widerstehen, und liess ihn endlich mit guter Botschaft, aber auch mit der strengen Warnung fur den Ohm ziehen. Heinrich flog wieder heimwarts; allein, da

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von meinen gegenwartigen Verhaltnissen sagen kann, lieber Heinrich, denn es liegt zugleich die Feststellung eines dieser Verhaltnisse uberhaupt darin. Da es nun einmal dahin gekommen ist, so mag es darum sein. Mir lag niemals sonderlich viel daran. Ich

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bat, gehort, sie fragte mit Theilnahme nach beiden, und zeigte sich, ohne affectirte Uebertreibung des Ausdrucks, bereit, ihnen den Eintritt in die fremde Welt zu erleichtern. Es liegt Natur und Warme in ihrem ganzen Wesen, das ein feiner Geist, mehr unbewusst begleitet, als bewusst beherrscht. Wie

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in Schutz nehmen. Ich kenne auch kaum zwei Menschen, die einander so ahnlich waren, als Sie beide.Dies mag Sie befremden. Ich glaube es. Sie wissen vielleicht selbst nicht warum. Aber

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die mich erwarten!" sagte ich kleinlaut, und ging die Anhohe hinauf. Agathe und Rosalie hatten mich schon von weitem kommen sehen. Sie flogen mir entgegen. Beide redeten zugleich. Sie waren voll von irgend einer Neuigkeit,

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. Ich kenne nach gerade ihre Art. Es wird mir leicht, ihnen in ihrem Ideengange zu folgen. Wir sind sehr eitel, Heinrich, wenn wir uns einbilden, auf solche Leute herabzusehen. Ich weiss, man hat das schon oft gesagt, aber ich denke mir vielleicht etwas anders dabei. Es ist nicht sowohl, dass sie auch ofters Geist,

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das Ganze zusammen und wirft den Ball auf gut Gluck in die Luft. Man sieht ihn fliegen, und lasst es gut sein! S i e ist fertig. Die Wenigsten denken daran, dass sie es nicht sein konnen. Dadurch behauptet sie ihren

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, um aufrichtig zu sein, ich wurde sie eher fur eine Dame aus der Provinz gehalten haben. Sie zieht sich geschmacklos und doch ubertrieben kostbar an, sitzt ganz grade, und bewegt sich nur selten, wenn sie spricht. Es klingt immer, als

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auf sich nehmen. So machst Du es immer.Wenn Du ein gutes Herz hattest, so wurdest Du wohl daran denken, was es mich kosten muss, hier so allein zu sitzen, wahrend Du Dich gottlich unterhaltst. Du wurdest Mitleid mit

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noch einen zweiten Brief kommen liesse, ehe ich den ersten beantwortete. Gleichwohl scheinen Sie dieser Antwort, als etwas entgegen zu sehen, von dem Sie besondere Aufschlusse uber sich und Ihre Verhaltnisse erwarten.Sie misstrauen Empfindungen, bei denen Sie gleichwohl viel zu lange verweilen, wenn Sie Ihnen gefahrlich dunken. Kurz,

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der Brandung schwimmen wollen. Ihn dulden und unschadlich machen, dazu gehort ein anderer Charakter, als der meinige. Wen ich nicht von selbst gewinne, der bleibt fur mich verloren. Berechnen kann ich weder mich noch Andere. Das Leben gehen lassen, ist in vielen Stucken gut, allein hier kann

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ihm kindisch dunken. Ich sehe ihn gutmuthig daruber lacheln. Wenn mir das einerseits Zuversicht geben konnte, so macht es mich auch wieder schuchtern. Was mir am Herzen liegt, es ganz erfullt und einnimmt, will

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Verlass Dich darauf." Er ging. Ich sehe nun wohl, dass er sich gerade da gekrankt fuhlt, wo er unangefochten zu bleiben verlangt; eifersuchtig bewacht er die innere Freiheit. Er halt mich fur

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herbeirannten und wissen wollten, ob wir angekommen waren? Du kannst Dir wohl denken, dass ich Niemand annahm, ausser Deinen nachsten Bekannten, zu denen der gute Hofmarschall ja von jeher gehort. Ich schreibe Dir hauptsachlich seinetwegen, denn es druckt mir das

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beschamt mich schon darum, weil sie mir beweist, dass Sie das Unvergangliche wahrer Zuneigung in hoherem Grade besitzen, als ich zu glauben wagte. Und doch beruht anderer Seits mein ganzes Dasein gerade auf diesem Glauben!Es ist wohl immer die Folge

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einer Grille wegen, die schone, beseelende Freundschaft aufopfern zu wollen.Die kleinen Hackeleien hauslicher und menschlicher Missverstandnisse thaten mir nur darum wehe, weil sie andern, weniger unabhangigen Gemuthern zu schaffen machten. Ich sah wohl Storungen voraus, doch

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das Sprechen daruber.Ja, ja mein Freund, das ware auch vorbei! Die Menschen konnen das Naturliche und Wahre nicht naturlich und wahr nehmen. Sie zerren so lange daran, bis sie wirklich das Greuelbild daraus machen, was sie sich darunter denken. Es

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," sagte sie mit kurzem Kopfnicken, mehr hoflich als freundlich. "Sie wissen wohl von unsern ehemaligen Spatziergangen her," fugte sie hinzu, "ich gehe lieber allein, man ist so freier."

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nach dem ersten treuherzigen Grusse einige Befangenheit auf den ehrlichen Gesichtern wahr, die mich verlegen machte. Es musste irgend ein besonderer Fall sie personlich getroffen, ihrer wohlwollenden Offenheit Zwang angelegt haben. Ich ward in ein grosses, hallenartiges Gemach gefuhrt, das eher einem Vorrathsgewolbe als einem Wohnzimmer ahnlich sah. Es standen offne und verschlossene

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Widerspruche seines letztern Benehmens berief. Allein Hugo lag daran, das Wunderbare nicht erklart wissen zu wollen. Er blieb immer bei der Frage: wie Tavanelli unbemerkt in sein Zimmer gekommen, wie er hatte wissen konnen, ihn nicht dort zu finden? Ich

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nicht hindern konnen, dass die ubereilte Klage wenigstens abgefasst, unangenehme Worte daruber gesprochen, feindliche Gesinnungen erregt worden sind. In dieser unseligen Stimmung aufs Hochste gereizt, durch die eigennutzigen Einflusterungen des

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dass ich lieber schweigen, als zur unrechten Zeit reden mochte. Der Grund meiner grossern Zaghaftigkeit lag wohl hauptsachlich darin, dass ich vor nicht allzu geraumer Zeit erst von der

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nicht Bestimmung bestatigen. Es ist wenig damit gethan, dass man sagt, man lasse jedem seine Weise. Was kommt dabei heraus? einmal, und gerade, wenn Dir am meisten daran liegt, unberuhrt zu bleiben, reiben

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Curd ein wenig argerlich, "denken Sie doch an dergleichen Rucksichten jetzt nicht, liebe Mutter! Sie konnen sich wohl vorstellen, dass etwas Ausserordentliches vorgefallen sein musse, was uns Beide in so gutem Vernehmen zusammen hierher fuhrte.

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Begebenheiten nicht leicht herbeirufen liessen, so wollte ich wenigstens von unten auf anfangen, ihm zu gleichen: wie ich denn wirklich durch den Gebrauch des lastbaren Tiers schon lange begonnen hatte. Das kleine Geschopf, dessen ich mich bisher bedient, wollte mir nicht mehr genugen; ich

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Teilnahme zu versichern. Ich vernahm, dass die beiden Reisenden sich wegen der beschwerlichen Fuhrwege von ihrem Wagen entfernt gehabt, um einen nahern Fussweg einzuschlagen. In der Nahe seien sie von Bewaffneten uberfallen worden, ihr Mann habe sich fechtend entfernt, sie habe ihm nicht weit folgen konnen und sei an dieser

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Wechsel aller irdischen Dinge in sich begreift, einem fuhlenden Herzen notig, um die schmerzlichen Eindrucke eines grossen Verlustes zu mildern. Man sieht die Blumen welken und die Blatter fallen, aber man sieht auch Fruchte reifen und neue Knospen keimen. Das Leben gehort den Lebendigen an, und wer lebt, muss auf Wechsel gefasst sein.

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sich Wilhelm zuletzt, den Versuch zu machen und dabei auf den verdachtigen Knaben desto mehr Acht zu geben. Dieser war bald gefunden und brachte, da er vernahm, worauf es abgesehen sei, Schlegel und Eisen und einen tuchtigen Hammer nebst

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, bei denen klingt es ganz anders. Jede Art von Tatigkeit mochte das Kind ergreifen, weil alles leicht aussieht, was vortrefflich ausgeubt wird. Aller Anfang ist schwer! Das mag in einem gewissen Sinne wahr sein; allgemeiner aber kann man sagen: aller Anfang ist leicht, und die letzten Stufen werden

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verspreche; wovon sich jedoch der Freund, der immer nur im menschlichen Herzen den wahren Schatz gesucht, kaum einen Begriff machen konnte, vielmehr zuletzt lachelnd erwiderte: "So stehst du ja mit dir

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"Man stellt Scheite anund ubereinander." "Wenn das getan ist, was geschieht ferner?" "Wie mir scheint", sagte Wilhelm, "willst du auf sokratische Weise mir die Ehre antun, mir begreiflich zu machen, mich bekennen zu lassen, dass ich ausserst absurd und dickstirnig sei.""Keineswegs!" versetzte Jarno;

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, in mancherlei Abteilungen, einen zwar im ganzen abhangigen, doch aber mannigfaltig bald erhohten, bald vertieften Boden bedeckte. Mehrere Wohnhauser lagen darin zerstreut, so dass der Raum verschiedenen Besitzern anzugehoren schien, der jedoch, wie

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eingelassen, fand er sich umgeben von Prospekten der merkwurdigsten Stadte, oben und unten eingefasst von landschaftlicher Nachbildung der Gegenden, worin sie gelegen sind, alles kunstreich dargestellt, so dass die Einzelnheiten deutlich in die Augen fielen und zugleich ein ununterbrochener Bezug durchaus bemerkbar blieb.

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ob ihm vielleicht eine dieser Stadte bekannt sei, und ob er daselbst jemals sich aufgehalten? Von manchem konnte nun der Freund auslangende Rechenschaft geben und beweisen, dass er mehrere Orte nicht allein gesehen, sondern

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Die Meisten lassen sich nicht finden noch kennen, was das Beste sei, noch weniger ausmitteln. Viele jedoch sind immer um uns her; was sie wunschen, erfahren wir, was sie wunschen sollten, uberlegen wir, und so lasst sich denn immer Bedeutendes tun und schaffen.

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. Was braucht er zu wissen, was wir Gutes von ihm gesagt haben, was braucht er zu wissen, was wir Boses von ihm sagten, um aus dem letzten noch mehr als dem ersten herauszufinden, dass wir ihm gut sind! Halten Sie ihn kurz, ich

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und wohlhabend genug, so steht es ihr frei, verschiedene Baulichkeiten den verschiedenen Zwecken zu widmen.Wenn aber dies alles aufs Offentliche und gemeinsam Sittliche berechnet ist, so bleibt die eigentliche Religion ein Inneres, ja Individuelles, denn sie hat ganz allein mit dem Gewissen zu tun, dieses soll erregt, soll

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wir den besten Gedanken schon ausgesprochen, das liebenswurdigste Gefuhl schon ausgedruckt finden. Hiedurch kommen wir zum Anschauen jener Ubereinstimmung, wozu der Mensch berufen ist, wozu er sich oft wider seinen Willen finden muss, da er sich gar zu gern einbildet, die

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, welche merklich genug bei Personen dieses Alters gefunden werden. Valerine war immer angenehm, dann aber hochst liebenswurdig, wenn Frohlichkeit sie aus dem gewohnlichen gleichgultigen Zustande herausriss. Die Gesellschaft ward gesprachig und die Unterhaltung so lebhaft, dass Lenardo sich fassen und seine Besturzung verbergen konnte. Wilhelm,

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Unmogliche verwirklichen mag, so liess ich es gut sein, und nun kommt es uns zugute; er weiss gewiss Ihnen Ort und Umstande zu bezeichnen, wie Sie Ihren Knaben getrost vertrauen und von einer weisen Leitung das Beste hoffen konnen."

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. Sie gehen hinuber und finden dort schon Familienbesitzungen, wie ich weiss; die Meinigen hegen gleiche Plane und haben sich dort schon angesiedelt; vereinigen Sie sich mit diesen umsichtigen, klugen und kraftigen Menschen, fur beide Teile muss sich dadurch das Geschaft

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wenn Sie glucklich geboren sind und wenn dieses Kastchen etwas bedeutet, so muss sich gelegentlich der Schlussel dazu finden, und gerade da, wo Sie ihn am wenigsten erwarten." "Es gibt wohl solche Falle", versetzte Wilhelm.

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was sie jedoch gleich in Verwunderung setzte, war, dass sie weder Frauen noch Manner, wohl aber durchaus Knaben und Junglinge beschaftigt sahen, auf eine gluckliche Ernte sich vorzubereiten, ja auch schon auf ein

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sie auch fand, immer sangen sie, und zwar schienen es Lieder jedem Geschaft besonders angemessen und in gleichen Fallen uberall dieselben. Traten mehrere Kinder zusammen, so begleiteten sie sich wechselsweise; gegen Abend fanden sich auch Tanzende, deren Schritte durch

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und Ereignissen betrachtet, veranlasste einen fortlaufenden Vortrag. Moge derselbe seinen Zweck erreichen und zugleich am Ende deutlich werden, wie die Personen dieser abgesondert scheinenden Begebenheit mit denjenigen, die wir schon kennen und lieben, aufs innigste zusammengeflochten worden.Der Mann von funfzig JahrenDer

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man wieder auszuloschen hoffen kann?""Du musst erst ein wenig sinnen und raten", versetzte die Baronin und vermehrte dadurch seine Ungeduld. Sie war schon aufs hochste gestiegen, als

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dringend seine vorige Frage; worauf seine Schwester nach einer Pause lachelnd versetzte: "Wenn du den Glucklichen finden willst, den sie liebt, so brauchst du nicht weit zu gehen, er ist ganz in der Nahe: dich liebt sie."Der Major stand betroffen,

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Dinge zu gebrauchen seien, dazu gehort Ubung und Nachdenken; ja selbst diese wollen kaum fruchten, wenn man nicht eben zu der Sache, wovon die Rede ist ein angebornes Talent hat.""Du willst, wie es scheint", versetzte der Major,

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der Vater genaue Nachricht gab, was zwischen den altern Familiengliedern wegen des Vermogens uberhaupt, wegen der einzelnen Guter und sonst verhandelt und beschlossen worden.Das Gesprach fing schon einigermassen an zu

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, jene unwiderstehliche Anmut, jene zarten Gunstbezeigungen einzeln herzuruhmen, in denen der Vater freilich nur die leichte Gefalligkeit einer allgemein gesuchten Frau erkennen konnte, die unter vielen wohl irgendeinen vorzieht, ohne sich eben fur ihn ganz und gar zu entscheiden. Unter

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dem Stegreife ja recht gut durchsinnen und ausdenken. Dann wurde ich erst recht glucklich sein, wenn ich Sie glucklich wusste; dann wurde ich mich erst recht freuen,

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auch nur dadurch, dass die Erinnerung dabei reicher und vollstandiger war. Freunden und Liebenden, ehrwurdigen und hohen Personen glaubt' ich daher dergleichen immer anbieten zu konnen; sie erkannten es auch und wussten, dass

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, er bedarf der Ware, will und wunscht sie und versteht gar selten, sie mit Kenneraugen zu betrachten. Jener weiss recht gut, was er gibt, dieser nicht immer, was er empfangt. Aber es ist einmal im menschlichen Leben und

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Mannern in gewissen Jahren, obgleich noch im volligen Vigor, das leiseste Gefuhl einer unzulanglichen Kraft ausserst unangenehm, ja gewissermassen angstlich.Ein anderer eintretender Umstand jedoch, der ihn hatte beunruhigen sollen, verhalf ihm zu der besten Laune. Sein kosmetischer Kammerdiener,

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Herrn nichts mehr nutze sei. Indes konnte man denken, dass er sich doch wohl wieder zu seinem vorigen Patron zuruckwunschen mochte, um den mannigfaltigen Vergnugungen eines theatralischen Lebens fernerhin sich ergeben zu konnen.Und wirklich tat es dem Major sehr wohl, wieder sich selbst gegeben zu sein. Der verstandige Mann braucht sich nur

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Ausstattung Hilariens bisher vorgearbeitet worden, eigentlich in der listigen Absicht, mehr das Fehlende zur Sprache zu bringen als dasjenige zu erheben, was schon geleistet war. Alles Notwendige fand sich, und zwar aus den feinsten Stoffen und

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befestigten Boden zusammen, und alsobald tat sich als erwunschte Vermittlerin die schone Kunst hervor, welche, die ersten raschen Wintertage zu verherrlichen und neues Leben in das Erstarrte zu bringen, im hohen Norden erfunden worden. Die Rustkammer offnete sich, jedermann suchte nach seinen gezeichneten Stahlschuhen, begierig, die reine, glatte

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die Jugend gebe, der zugleich, als vollkommen gattlicher Lebensgefahrte gewahlt, die vollige Verwirklichung des vaterlichen Daseins von der Zeit wie billig versprache. Auch hierin schien Hilarie gleichstimmig zu denken, obschon

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sprechend, erwiderte darauf, sie konne diese Folgerung nicht sogleich gelten lassen, und fuhrte gar schon und anmutig dagegen an, was ein zartes Gemut gewiss mit ihr gleich empfinden wird,

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frohsinnigen Menge umgeben; die Scheidenden segnete jedermann, zufrieden, doch sehnsuchtsvoll.Nun hatte zuletzt ein Dritter, die Freunde beobachtend gar wohl bemerken konnen, dass die Sendung beider eigentlich geendigt sei: alle die auf Mignon sich beziehenden Gegenden und Lokalitaten waren samtlich umrissen, teils in Licht, Schatten und Farbe gesetzt, teils in heissen Tagesstunden treulich ausgefuhrt. Dies zu leisten, hatten sie sich auf eine eigne Weise von

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andern zu benutzen, und ohne Hintansetzung eignen Vorteils, ihre Patrone doch immer wohlfeiler und vergnuglicher durchs Land zu fuhren verstehen, als diesen auf eigene Hand wurde gelungen sein.Zu gleicher Zeit tat sich eine lebhafte weibliche Bedienung der Frauenzimmer zum erstenmal entschieden tatig hervor, so dass die schone Witwe zur Bedingung machen konnte, die beiden Freunde mochten

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nun so zusammen, dass man sich gleich vom ersten Augenblick an als einheimisch, als eingeborne Herrschaft solcher Paradiese fuhlen musste.Das samtliche Gepack aller unserer Reisenden ward sogleich auf die Insel gebracht, wodurch fur die Gesellschaft grosse Bequemlichkeit entstand, der grosste Vorteil aber dabei erzielt ward, indem die samtlichen Portefeuilles des trefflichen Kunstlers, zum erstenmal alle beisammen, ihm Gelegenheit gaben, den Weg, den er genommen, in

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uns eine dauernde Verbindung hochst nutzlich und notig werden. Wir mussen tun und durfen ans Bilden nicht denken; aber Gebildete heranzuziehen ist unsre hochste Pflicht.Tausend und aber tausend Betrachtungen schliessen sich hier an; erlauben Sie mir nach unsrer alten Weise nur noch ein allgemeines Wort,

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des Ganzen beruhen mag; aber sie reicht nicht mehr hin, wir mussen den Begriff einer Weltfrommigkeit fassen, unsre redlich menschlichen Gesinnungen in einen praktischen Bezug ins Weite setzen und nicht nur unsre Nachsten fordern, sondern zugleich die ganze Menschheit mitnehmen.Um nun zuletzt Ihres Gesuches

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Vorhangs in unserer personlichen Gegenwart dergleichen geschehen zu lassen.Wir haben in diesem zweiten Buche die Verhaltnisse unsrer alten Freunde bedeutend steigern sehen und zugleich frische Bekanntschaften gewonnen; die

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die Einbildungskraft sei ohnehin ein vages, unstates Vermogen, wahrend das ganze Verdienst des bildenden Kunstlers darin bestehe, dass er sie immer mehr bestimmen, festhalten, ja endlich bis zur Gegenwart erhohen lerne.

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dem Wege gehe und seinem Nachfolger den rechten Weg bereite; durch welches gesetzliche Zusammenwirken denn zuletzt allein das Unmogliche moglich wird.Was uns aber zu strengen Forderungen, zu entschiedenen Gesetzen am meisten berechtigt, ist: dass gerade das Genie, das angeborne Talent sie am ersten begreift, ihnen den willigsten Gehorsam leistet.

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vor, wobei sie immer am besten beraten sind. Der zweite Fall tritt seltner ein, und man bemerkt, dass alsdann die Kunstler sich weniger vertrauen, mit Gesellen und Kennern lange Konferenzen halten und dadurch wirklich schatzenswerte dauerwurdige Arbeiten hervorzubringen wissen."

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selbst sich unwillig entfernt, uber die Grenze gebracht. Seid jedoch gewiss, dass bei unserer allgemein wirkenden Anstalt auch ein so wichtiger Punkt wohl uberlegt worden; keine Region aber wollte sich finden, uberall trat ein

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seinen Vorteil ziehen mochte, wird sich immer im Nachteil finden und der Musikus im gleichen Falle sein. Die samtlichen Kunste kommen mir vor wie Geschwister, deren die meisten zu guter Wirtschaft geneigt waren, eins aber, leicht gesinnt, Hab und Gut der ganzen Familie sich zuzueignen und zu verzehren Lust hatte.

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uberdeckt werden lasse. Sie beriefen sich auf grossere und kleinere Felsmassen, welche zerstreut in vielen Landen umherliegend gefunden und sogar noch in unsern Tagen als von oben herabsturzend aufgelesen werden.Zuletzt wollten zwei oder drei stille Gaste sogar einen Zeitraum

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, zu verstarken. Nun aber sage mir ernstlich, was du daruber denkst, was du davon weisst." Hierauf erwiderte Montan: "Ich weiss so viel wie sie und mochte daruber gar nicht denken."

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ist so mancherlei zu sagen, mundlich fugte sich wohl eins ans andere, entwickelte sich auch wohl leicht eins aus dem andern; lass mich daher den Entfernten,

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abzutrocknen, glaubt' ich meine Augen vor einer dreifachen Sonne geblendet: so schon war die menschliche Gestalt, von der ich nie einen Begriff gehabt. Er schien mich mit gleicher Aufmerksamkeit zu betrachten. Schnell angekleidet standen wir uns noch immer unverhullt gegeneinander, unsere Gemuter zogen sich an, und unter den feurigsten Kussen schwuren wir eine ewige Freundschaft.

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als ein grosses unsterbliches Individuum zu betrachten, das unaufhaltsam das Notwendige bewirkt und dadurch sich sogar uber das Zufallige zum Herrn macht. Mir wird, je langer ich lebe, immer verdriesslicher, wenn ich den Menschen sehe, der eigentlich auf seiner hochsten Stelle da

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das Moglichste getan haben, pflegen zu ihrer Entschuldigung zu sagen, die Arbeit sei noch nicht fertig. Freilich kann sie nie fertig werden, weil sie nie recht angefangen ward. Der Meister stellt sein Werk mit wenigen Strichen als fertig dar, ausgefuhrt oder nicht, schon ist es vollendet. Der

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denn vor lauter Tatigkeit gar nichts geschieht oder vielleicht gar das Widerwartige. Was wir ausdenken, was wir vornehmen, sollte schon vollkommen so rein und schon sein, dass die Welt nur daran zu verderben hatte; wir blieben dadurch in dem

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Stufen, worauf sie stehen, nach Beschaffenheit der Zeiten und tausend andern Zufalligkeiten sehr verschieden; deswegen auch niemand daruber im ganzen leicht klug werden kann. Poesie wirkt am meisten im Anfang der Zustande, sie seien nun ganz roh,

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man also sagen kann, die Wirkung der Neuheit findet durchaus statt. Musik im besten Sinne bedarf weniger der Neuheit, ja vielmehr je alter sie ist, je gewohnter man sie ist, desto mehr wirkt sie. Die Wurde der Kunst erscheint bei der Musik vielleicht am eminentesten,

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, der abgerechnet werden musste. Sie ist ganz Form und Gehalt und erhoht und veredelt alles, was sie ausdruckt. Die Musik ist heilig oder profan. Das Heilige ist ihrer Wurde ganz gemass, und hier hat sie die grosste Wirkung aufs Leben,

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. Man lasst die schlechteste Abbildung gelten, weil man noch schlechtere Gegenstande zu sehen gewohnt ist. Der Maler darf also nur einigermassen Kunstler sein, so findet er schon ein grosseres Publikum als

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selbst zu geben, ist verderblich. Das Was des Kunstwerks interessiert die Menschen mehr als das Wie; jenes konnen sie einzeln ergreifen, dieses im ganzen nicht fassen. Daher kommt das Herausheben von Stellen, wobei zuletzt, wenn man wohl aufmerkt,

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Zufall nicht missleiten konnten. Jede grosse Idee, sobald sie in die Erscheinung tritt, wirkt tyrannisch; daher die Vorteile, die sie hervorbringt, sich nur allzubald in Nachteile verwandeln. Man

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, dass namlich etwas schon einmal geschehen, gesagt oder entschieden worden sei, hat grossen Wert; aber nur der Pedant fordert uberall Autoritat. Altes Fundament ehrt man, darf aber das Recht nicht aufgeben, irgendwo wieder einmal von vorn zu grunden. Beharre,

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angeknupft, richtig abgeleitet wird. Das lasst man sich wohl gefallen, legt aber keinen besondern Wert darauf und lasst den Irrtum ganz ruhig daneben liegen; und ich kenne ein kleines Magazin von

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leistet und tut. Diese muss sich dagegen unabhangig von allem Aussern erklaren, ihren eigenen grossen Geistesgang gehen und sich selber reiner ausbilden, als es geschehen kann, wenn sie wie bisher sich mit dem Vorhandenen abgibt und diesem etwas abzugewinnen oder anzupassen trachtet. In der Naturforschung bedarf es eines kategorischen Imperativs so gut als im

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; der denkende treue Beobachter lernt immer mehr seine Beschrankung kennen, er sieht: je weiter sich das Wissen ausbreitet, desto mehr Probleme kommen zum Vorschein. Unser Fehler besteht darin, dass wir am Gewissen zweifeln und das Ungewisse fixieren mochten.

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das Riesenfaultier ware. Was nicht mehr entsteht, konnen wir uns als entstehend nicht denken; das Entstandene begreifen wir nicht. Der allgemeine neuere Vulkanismus ist eigentlich ein kuhner Versuch, die gegenwartige unbegreifliche Welt an eine vergangene unbekannte zu knupfen. Gleiche oder wenigstens ahnliche Wirkungen werden auf verschiedene Weise durch Naturkrafte hervorgebracht. Nichts

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und Ausnahme gewahr werden lasst. Der Durchschnitt von beiden gibt keineswegs das Wahre. Man sagt: zwischen zwei entgegengesetzten Meinungen liege die Wahrheit mitten inne. Keineswegs! Das Problem liegt dazwischen, das Unschaubare, das ewig tatige Leben, in Ruhe gedacht.Drittes

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Er hiess darauf den neuen Gast in dem obern grossen Vorsaal sich gedulden und, was ferner sich ereignen mochte, abwarten.Hier fand nun der Herantretende einen weiten, saubern Raum, ausser Banken und Tischen vollig leer; desto mehr verwunderte er sich, eine grosse Tafel uber einer Ture angebracht zu sehen, worauf die Worte in goldnen Buchstaben zu

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Knabe sich darauf berufe. Von dieser Zumutung spricht nun unser Gerichtshalter gelegentlich und zeigt das Kittelchen vor, eh' er es absendet.Mich treibt ein guter oder boser Geist, in die Brusttasche zu greifen; ein winzig kleines, stachlichtes Etwas kommt mir in

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, "liegt naher an der Saalture, woher wir kommen, als Sie denken mogen." Wilhelm trat hinein und hatte freilich zu erstaunen, als er, statt wie in den vorigen Nachbildung lebender Gestalten zu sehen, hier die Wande durchaus mit anatomischen Zergliederungen ausgestattet fand; sie

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nicht unterlassen konnte, seine Freunde deshalb zu berufen.Friedrich erklarte sich hieruber ganz einfach und aufrichtig, er konne das Vornehmen zwar loblich und gut, keineswegs aber fur so bedeutend, am wenigsten aber fur ausfuhrbar halten. Diese

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mit dem kleinen Volke gar wohl zu betun wusste.Die Alten dagegen hielten gar mancherlei Fragen bereit; vom Krieg wollte jedermann wissen, der glucklicherweise sehr entfernt gefuhrt wurde und auch naher solchen Gegenden kaum gefahrlich gewesen ware. Sie freuten sich jedoch des Friedens, obgleich in Sorge wegen einer andern

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Deutschland Krempel heissen, gleich ausgeteilt, gekardet, wodurch der Staub davongeht und die Haare der Baumwolle einerlei Richtung erhalten, dann abgenommen, zu Locken festgewickelt und so zum Spinnen am Rad zubereitet.Man zeigte mir dabei den Unterschied zwischen links und rechts gedrehtem Garn; jenes ist gewohnlich feiner und wird dadurch bewirkt, dass

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mich noch immer in der Erinnerung unruhig macht, ja sogar eine endliche Entwicklung hoffen lasst. Sie mochte schwerlich ihresgleichen finden.Vorerst sei gestanden,

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in einer grossen Stadt angelangt, so ward ich bald mit liebenswurdigen Frauenzimmern bekannt, von denen ich mich durchaus nicht losreissen konnte. Sie schienen mir ihre Gunst teuer anrechnen zu

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ein, davon zu reden, ob es uns gleich vor den Augen stand und wir durch eine stillschweigende Ubereinkunft beide dafur sorgten, wie es etwa die Gelegenheit geben mochte; nur dass ich es immer in und

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Kraft der beiden Taschen und fand sie noch immer bewahrt.Die Reise ging glucklich vonstatten, und wenn ich bisher uber mein Abenteuer weiter nicht nachdenken mogen, weil ich eine ganz naturliche Entwickelung der wundersamen Begebenheiten erwartete, so

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zurecht, wobei ich deutlich bemerken konnte, das allerliebste kleine Wesen sei ebenfalls guter Hoffnung. Nun fand ich mich aber genotigt, meine unbequeme Stellung einigermassen zu verrucken, und bald darauf, als

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mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten; dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschadigen, wo sie denn gewohnlich eine Menge Bewunderer fand.Und nun, warum sollte ich es leugnen, unsere letzte Unterredung, ungeachtet meines besten Willens, war doch nicht vermogend gewesen, die Sache ganz bei mir abzutun; vielmehr hatte sich meine Empfindungsweise gar seltsam gestimmt, ohne dass ich es mir vollkommen bewusst gewesen ware. Da brach eines Abends in grosser Gesellschaft der

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wir in unserm Zimmer angelangt, als sie sich hochst freundlich und anmutig, ja sogar schalkhaft erwies und mich zum glucklichsten aller Menschen machte.Des andern Morgens sagte ich ganz getrost und liebevoll: "Du hast so manchmal,

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sich so lange als moglich vor jedem ausserordentlichen Schritt in acht nehme, welches ich denn auch ganz naturlich und billig finde. Man hatte vielleicht noch lange gezaudert,

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seine Toilette machte, ging nach dem Hof und war gerade so gelegen, dass unsere Freunde fuglich hereinsehen konnten, besonders wenn die Fenster offen waren. An gehoriger Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das Tuch vorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und sagte: "

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Kunstgenossen nicht bald da-, bald dorthin berufen, weil uberall zu bauen und zu bilden ist? Lebhafter jedoch schreitet der Musiker daher, denn er ist es eigentlich, der fur ein neues Ohr neue Uberraschung, fur einen frischen Sinn frisches

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er nach gleichen oder grosseren Vorteilen, es sei nah oder fern. Ja sogar der Eigentumer verlasst seinen erst gerodeten Neubruch, sobald er ihn durch Kultur einem weniger gewandten Besitzer erst angenehm gemacht hat; aufs neue dringt er in die Wuste, macht sich abermals

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irgendeine Weise nutzlich zu sein selten vergonnt ist.Zu einem eigenen Wanderleben jedoch ist der Soldat berufen; selbst im Frieden wird ihm bald dieser, bald jener Posten angewiesen; furs Vaterland nah oder fern zu streiten, muss er sich immer beweglich erhalten; und nicht nur furs unmittelbare Heil,

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sind wir uberall bekannt genug, dass wir ungefahr wissen, was zu erwarten sei.Doch kann zu einer vollkommenen Klarheit der einzelne nicht gelangen. Unsere Gesellschaft aber ist darauf gegrundet, dass

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geschlossen und gegrundet sei; niemand sehen wir unter uns, der nicht zweckmassig seine Tatigkeit jeden Augenblick uben konnte, der nicht versichert ware, dass er uberall, wohin Zufall, Neigung, ja Leidenschaft ihn fuhren konnte, sich immer wohl empfohlen, aufgenommen und gefordert, ja von Unglucksfallen moglichst wiederhergestellt finden werde.

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nicht Rechenschaft geben, ohne des menschlichen Grundes zu gedenken, worauf das Ganze eigentlich beruhe. Wechselseitige Erklarungen und Bekenntnisse tiefer Herzensangelegenheiten entfalteten sich hieraus bei fortgesetztem Gesprach. Bis tief in die Nacht blieb man zusammen und verwickelte sich immer unentwirrbarer in die Labyrinthe menschlicher Gesinnungen und Schicksale. Hier nun fand sich Odoard bewogen, nach

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Generationen die edelsten Vorzuge vererbt worden. In der Militarschule gebildet, ward ihm ein gewandter Anstand zu eigen, der, mit den loblichsten Fahigkeiten des Geistes verbunden, seinem Betragen eine ganz besondere Anmut verlieh. Ein kurzer Hofdienst lehrte ihn die aussern Verhaltnisse hoher Personlichkeiten gar wohl einsehen,

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im Weiteren lasst sich das Grossere leicht erkennen, und eins der starksten Hindernisse menschlicher Handlungen wird leichter zu entfernen. Dieses besteht namlich darin, dass die Menschen wohl uber die

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und Meister mussen aufs strengste beobachtet werden; auch konnen in diesen viele Abstufungen gelten, aber Prufungen konnen nicht sorgfaltig genug sein. Wer herantritt, weiss, dass er sich einer strengen Kunst ergibt, und er darf keine lasslichen Forderungen von ihr erwarten; ein einziges Glied, das in einer grossen Kette bricht,

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die sogenannten freien Kunste an, die doch eigentlich in einem hohern Sinne zu nehmen und zu nennen sind, so findet man, dass es ganz gleichgultig ist, ob sie gut oder schlecht betrieben werden. Die schlechteste Statue steht auf ihren Fussen wie die beste, eine

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manchmal nicht ganz naturlich scheinen mochte, sich besser erklaren konnen.Leider mussten wir beide uns vor den ubrigen verstellen, und ob wir gleich uns sehr huteten, nicht zu lugen und im groben Sinn falsch

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las mit grossem Anteil das Vorgelegte, musste aber zugleich gestehen, er habe schon beim Schluss des vorigen Heftes geahnet, ja vermutet, das gute Wesen sei entdeckt worden. Die

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furchtete; uberhaupt liess sich das Verhaltnis zwischen beiden keineswegs glucklich einleiten. Doch hievon kann erst spater die Rede sein.Montan, langer als man gedacht hatte, zauderte zu kommen, und Philine drang darauf, Makarien

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, hatte wohl schon irgendein liebevolles Anerbieten abgelehnt, vielleicht sogar einer stillen Neigung Gewalt angetan; seitdem aber eine Nachfolgerin denkbar, ja gewissermassen schon bestimmt worden, scheint sie, von einem wohlgefalligen Eindruck uberrascht, ihm

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Punkte aber gelangt, konnen wir der Versuchung nicht widerstehen, ein Blatt aus unsern Archiven mitzuteilen, welches Makarien betrifft und die besondere Eigenschaft, die ihrem Geiste erteilt ward. Leider ist dieser Aufsatz erst lange Zeit, nachdem der Inhalt mitgeteilt worden, aus dem Gedachtnis geschrieben und nicht,

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Unterschied der irdischen Stoffe so wohl zu bezeichnen wisse, sei schon mit den ersten Wanderern in die weite Ferne gezogen, welches jedoch dem aufmerksamen Menschenkenner durchaus hatte sollen unwahrscheinlich dunken. Denn wie wollte Montan und seinesgleichen eine so

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der Gegend mehr oder weniger befreundet hatte. Nur einige bewiesen Mut genug, als Odoardo mit den Seinigen abging, sich als entschieden Bleibende zu erklaren; von Lenardos Auswanderern war keiner geblieben, aber von diesen letztern beteuerten verschiedene, in kurzer Zeit zuruckkehren

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in seinem kleinen Bezirk etwas Ahnliches zu unternehmen. Glucklicherweise waren wohlhabende Einwohner diesmal gleichsam genotigt, ihre Tochter den allzu fruhen Gatten gesetzmassig zu uberlassen. Der Amtmann machte ihnen einen solchen burgerlichen Unfall als ein Gluck begreiflich, und da es wirklich ein Gluck war, dass gerade die in

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die Natur treibt. Denn die Gotter lehren uns ihr eigenstes Werk nachahmen; doch wissen wir nur, was wir tun, erkennen aber nicht, was wir nachahmen. Alles ist gleich, alles ungleich, alles nutzlich und schadlich, sprechend

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die Menschen gesetzt haben, das will nicht passen, es mag recht oder unrecht sein; was aber die Gotter setzen, das ist immer am Platz, recht oder unrecht. Ich aber will zeigen, dass die bekannten Kunste der Menschen naturlichen Begebenheiten gleich sind, die offenbar oder geheim vorgehen.

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das Zukunftige erkennen. Das Unsterbliche ist nicht dem sterblichen Lebenden zu vergleichen, und doch ist auch das bloss Lebende verstandig. So weiss der Magen recht gut, wenn er hungert und durstet. So verhalt sich die Wahrsagekunst zur menschlichen Natur. Und beide sind dem Einsichtsvollen immer recht; dem Beschrankten aber erscheinen sie bald so, bald so.

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, einer menschlichen oder gottlichen, ausgebildet worden. Ware es eine gottliche, so mochte sie eine Grazie oder Muse vorstellen, ware es eine menschliche, so durfte es nicht ein besonderer Mensch sein, vielmehr irgendeiner,

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, alles zeigt, dass die Meinungen massenweis sich verbreiten, immer aber diejenige den Vorrang gewinnt, welche fasslicher, d.h. dem menschlichen Geiste in seinem gemeinen Zustande gemass und bequem ist. Ja derjenige, der sich in hoherem Sinne ausgebildet, kann immer voraussetzen, dass

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selbst, insofern er sich seiner gesunden Sinne bedient, ist der grosste und genaueste physikalische Apparat, den es geben kann; und das ist eben das grosste Unheil der neuern Physik, dass man die Experimente gleichsam vom Menschen abgesondert hat und bloss in dem, was kunstliche Instrumente zeigen, die Natur erkennen, ja, was sie leisten kann, dadurch beschranken und beweisen will.

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nicht auch unsichtbare Welten geben? Und hat er nicht vollkommen wahr gesprochen? Sind die neu entdeckten Planeten nicht der ganzen Welt unsichtbar, ausser den wenigen Astronomen, denen wir auf Wort und Rechnung glauben mussen? Einer neuen Wahrheit ist nichts schadlicher als ein alter Irrtum.

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ist uns ganz und gar versagt; daher wir, wenn wir etwas werden sehen, denken, dass es schon dagewesen sei. Deshalb das System der Einschachtelung kommt uns begreiflich vor. Wie manches Bedeutende sieht man aus Teilen zusammensetzen; man betrachte die Werke der Baukunst, man sieht manches sich regel- und unregelmassig anhaufen; daher ist uns der atomistische Begriff nah und bequem

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zu reifen vermag. Gewiss liegen in der Kunst grosse Geheimnisse hoherer Entwicklung verborgen; ja ich glaub sogar, dass alle Neigungen, von denen die Philister sagen, dass sie keinen nutzlichen Zweck haben, zu jenen mystischen gehoren, die den Keim zu grossen, in

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sich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze Wand besteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder ein andrer Heiliger, zierlich, ja wahrhaft reizend in Holz geschnitzt mit schonen Kleidern angetan, in bunter Farbe gemalt; in

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", sagte Schlosser, und nun frevelte ich erst recht: "Geben Sie acht, Schlosser, Sie finden Sie nicht mehr, wenn Sie nach alter Gewohnheit zogern, und ich sage Ihnen, gehen Sie heute lieber wie morgen und retten Sie sie von unzeitiger melancholischer Laune;

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viel zu tief versunken, als dass ich gehort hatte auf das, was ich vernahm.Ich hin dumm, Freund, ich kann nicht sagen, was ich weiss. Gewiss, Du wurdest mir Recht geben, wenn ich mich deutlich aussprechen konnte, und auf andre Weise wirst Du am wenigsten sie verstehen lernen.

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Der Mutter erinnere ich mich auch noch, ihrer grossen Schonheit; sie war so fein und doch so erhaben und glich nicht den gewohnlichen Gesichtern; Du sagtest von ihr, sie sei fur die Engel geschaffen, die sollten mit ihr spielen. Deine Mutter hat mir erzahlt, wie Du sie zum letztenmal gesehen, dass

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Judenschaft sind glucklich angekommen, und Dir soll dafur, liebe kleine Freundin, der beste Dank werden. Es ist recht wunderlich, dass man eben zur Zeit, da so viele Menschen totgeschlagen werden, die ubrigen aufs beste und zierlichste auszuputzen sucht. Fahre

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Du listig genug bist, mich mitten im heissen Sommer aufs Eis zu fuhren, so mochte ich Dir auch meinen Witz zeigen, wie ich auch unvorbereitet und unverhofft mit Geschicklichkeit diese Winterfreuden zu bestehen wage; ich werde Dir nicht sagen, dass ich keinen lieber schmucken mochte wie Dich, denn schmucklos hast Du mich uberrascht, und schmucklos wirst Du mich ewig ergotzen. Ich

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wieder Dir sagen: wie und warum und alles; ich mochte Dich hier auf den einzigen Weg leiten, den ich einzig will, damit es einzig sei und ich nur einzig sei, die so Dich liebt und so von Dir erkannt wird.Ob Liebe die grosste Leidenschaft sei und ob

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ihm keinen unangenehmen Eindruck in der Erinnerung lassen, und mir ist es grade recht, denn ich mochte doch nicht Kunst genug besitzen, den vielen Fallstricken und bosen Auslegungen zu entgehen, die jetzt wahrscheinlich im Gang sein mogen. Adieu,

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Gedichte zu verschaffen, verdient Anerkenntnis, obschon ich glauben muss, dass es Dir ebenso darum zu tun ist, den Gefuhlen Deines Generalissimus naher auf die Spur zu kommen als auch meine Wunsche zu befriedigen, glauben wir indessen das Beste von ihm bis auf naheres; und da Du so entschieden die Divinitat des schopferischen Dichtervermogens erhebst, so glaube ich nicht unpassend beifolgendes kleine Gedicht vorlaufig fur Dich herausgehoben zu haben

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sich in guten Stunden allmahlich vermehrt, wenn sie Dir spater einmal zu Gesicht kommen werden, so erkenne daran, dass, wahrend Du glaubst, mein Gedachtnis fur so schone Vergangenheit wieder anfrischen zu mussen, ich unterdessen der sussesten Erinnerung in solchen unzulanglichen Reimen ein

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in ihn verliebt ist. Und jetzt bin ich erst gar ins Stocken geraten, alles mocht ich gern aussprechen, aber in Worten zu denken, was ich im Gefuhl denke, das ist schwer; ja, solltest Du's glauben?

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um so mehr uberrascht die Offenherzigkeit, wenn er erst Zutrauen gefasst hat, wobei ihm denn unendlich wohl wird, nicht schon, hat ungemein liebe Augen, ein unzertrennlicher Freund des funften, Freiberg, zwanzig Jahr alt, grosse mannliche Gestalt, als ob er schon alter sei, ein Gesicht wie eine romische Gemme, geheimnisvolle Natur,

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wir ihn je einholen? Ich zweifle; moge er nur leben, bis das gewaltige und erhabene Ratsel, was in seinem Geiste liegt, zu seiner hochsten Vollendung herangereift ist, ja, moge er sein hochstes Ziel erreichen, gewiss, dann lasst er den Schlussel zu einer himmlischen Erkenntnis in

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und so fuhlt Beethoven sich auch als Begrunder einer neuen sinnlichen Basis im geistigen Leben; Du wirst wohl herausverstehen, was ich sagen will, und was wahr ist. Wer konnte uns diesen Geist ersetzen? Von wem konnten wir ein Gleiches erwarten? Das ganze menschliche Treiben geht wie ein

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. So bleibt's immer beim Alten, weil's halt keiner in sich weiter treibt wie der vorige, und da langweilt man sich schon, wenn man auch eben erst angekommen ist, ja, man fuhlt's gleich, wenn man's auch zum erstenmal hort, dass die Weisheit schon altes abgedroschnes

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mit dem aussersten Raum gleich steht, die drei Ecken, welche sich durch den innersten Raum in dem zweiten abschneiden und durch grosse Offnungen sich an denselben anschliessen, wahrend die vierte Ecke den Eingang zur Tur bildet, stellen die Garten der Hesperiden dar, in

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mit so grossem Genuss verzehren sieht, das macht einem auch unwiderstehlichen Appetit, ich habe ein ganzes Tuch voll dieser Nusse, die man Bucheckern nennt, gesammelt und die ganze Nacht daran geknuspert wie die Eichhornchen; wie schon speisen die

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Deinem Ruhm versichert halten, indem sich ja auch kein vollendeteres und erhabeneres Gluck denken lasse, als um des Sohnes willen allgemein so geehrt zu werden; sie hatte recht, wer braucht das noch zu beleuchten, es versteht sich von selbst. So entfernt Du von ihr warst, so lange Zeit auch: Du warst nie besser verstanden als von ihr; wahrend Gelehrte,

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, sie sagte, dass dies allein schon beweisen musse, welche tiefe Religion in Dir sei, denn Du habest den Zustand darin beschrieben, in dem allein die Seele wieder sich zu Gott schwingen konne, namlich ohne Vorurteile,

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ihren Ursprung mitteilen, daher die plotzliche reife Erscheinung des Genies, das lang in ungebundner Selbstbeschauung zerstreut war, nun in sich selbst erhoht, hervorbricht ans Tageslicht, unbekummert, ob die Ungeweihten es verstehen, da es mit Gott spricht (Beethoven). So steht's mit

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ist die sinnliche Natur, ins Leben des Geistes erzeugt.In der Kunstlersprache heisst es: Es kann nichts neues erfunden werden, alles ist schon vorher dagewesen; ja! Wir konnen auch nur im Menschen erfinden, ausser ihm gibt es nichts,

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ich will begriffen sein, das ist eins. Darum tut der Geist wohl, weil wir fuhlen, wie aus dem irdischen Leben das geistige ins himmlische ubergeht und unsterblich wird.Die Liebe ist das geistige Auge, sie erkennt das Himmlische,

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jeder hatte schon anders gewahlt, und ich war nicht verstanden mit meiner Sehnsucht. Ich glaubte doch damals, die ganze Natur bestehe bloss aus dem Begriff aufgeregter Gefuhle, davon komme das Bluhen aller Blumen, und dadurch schmelze sich

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ist das hochste Gluck sich in ihr finden, ich hatt es nicht verstanden, doch ist in diesem kleinen Ereignis eine hohe Wahrheit verborgen, die gewiss nur wenige fassen: finde dich, sei dir selber treu, lerne dich verstehen, folge deiner Stimme, nur so kannst du das Hochste erreichen. Du kannst nur dir

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zuruckgelegt; ja, ja! Das Schicksal des Menschen enthalt alle Erkenntnis, und wenn man erst alles verstanden hat auf dieser irdischen Welt, dann wird man ja doch wohl den lieben Gott konnen begreifen lernen. Niemand lernt begreifen, denn durch Eingebung vom heiligen Geist; durch eigne Offenbarung lernt man fremde verstehen; ich erkenne gleich in jedes

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zum Schwur emporhebe; man sieht sie schon von mehreren Meilen, jede Viertelstunde macht sie eine andere Miene, bald treten Walder hervor, die sie umkleiden, bald weiche Hugel, oft auch schwimmen Dorfer in den fruchtreichen Bahnen ihres langen und weiten Flurengewandes, die aber bald in seinen

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und lachelte bloss."Ich glaube", sagte Casar, "dass es Menschen gibt, deren Mut darin besteht, dass sie die Gefahr gar nicht sehen. Das sind diejenigen, welche als die vorzugsweise Mutigen uberall gefurchtet werden:

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"Sie wollen sagen, die Natur sprache nur zu uns, je nachdem unser Auge und Herz sie ansieht.""Ich stand in dem Kolner Dome. Sie kennen das zerrissene Prinzip unserer Zeit, nichts anzunehmen, was vielleicht richtig ist,

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schreiben morgen wurd' es schon besser sein. Nur eins sage mir, Antonie, hast Du wohl in Deinem Leben einen frohen, recht frohen Augenblick gehabt? Ich besinne mich vergebens auf einen;

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was sie suchen, aber nicht finden konnen. Dann schaffen sie sogar Gott ab, namlich, weil sie ihn wahrhaftig nicht verstehen. Es ist auch schwer, Antonie! Die Schopfung schon gut; aber woher? womit? warum? Der

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ich die drei vergessenen Stunden mit den funf vergessenen Tagen, so tat ich's funfzehnmal. Ich schreibe ungern, denn ich denke viel schneller, als mein bleierner Stil folgen kann. Casar sagte mir, man musse die Menschen in ihrem ganzen Wesen anatomieren.

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Alle Nationen kommen darin uberein, dass man von Gott nichts wissen konne. Dann weiss ich auch nicht, warum sie an ihn glauben. Oder es darf mich niemand tadeln, wenn ich denke, die Existenz Gottes anzunehmen war eine ganz ausserliche, politische und polizeiliche

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, halb tierische, halb menschliche Menschen auf einem gewissen Erdballe, in einem gewissen Deutschland, hier in dieser ganzen Misere herumkriechen zu lassen, als wenn ein solcher Gott jemals meinem philosophischen Bewusstsein entsprechen konnte! Aber was Philosophie? Wir reden nicht von

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, was geschieht, eine konsequente Offenbarung der Gottesidee liegt; und doch wurde niemand zu behaupten wagen, dass alles, was geschieht, alles, was wir als geschehen beobachten konnen, etwas andres sei als die zufalligen Ausserlichkeiten jener offenbarten Gottesidee. Ich glaube, dass alles gut ist, was geschieht; glaube aber nicht, dass eben nur das geschehen kann, was geschieht. Unendlich

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Halfte dessen freiwillig anzubieten, was er schwerlich durch einen Rechtsspruch gewinnen konnte, und dann die Grenze zwischen beiden Besitzungen durch diess schone Thal zu fuhren. Erfrischt, gestarkt durch den schonen Wintertag, unter dem heitern blauen Himmel, fuhlte der Graf uberhaupt mehr die Geringfugigkeit

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also ungehindert fahren, nachdem die gegenseitigen Versprechungen erneuert waren, dass namlich Lorenz das Dokument unfehlbar finden und dagegen eben so unfehlbar hundert Dukaten erhalten wurde.

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, meinen damaligen Freund, wieder zu erkennen, und gewiss hattest Du es damals wohl nicht geglaubt, dass Du jemals unter Umstanden, wie die gegenwartigen, mein Gast sein wurdest. Gewiss, gewiss nicht, sagte der General

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ruhmlich zu unterliegen, aber nie von seinem Platze zu weichen, werdet Ihr dann auch diese besiegen konnen? Und wird nicht vielleicht diess Gefuhl sich aller Lander bemeistern, die Frankreich in Fesseln halt? Und ware es dann nicht moglich, dass

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ihm aufgegeben worden. Freilich, fugte er lachelnd hinzu, werdet Ihr unschadlich gemacht, die Hauptfestungen bleiben in unsern Handen, eine Besatzung furs Erste im Lande, aber Ihr besteht doch als

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hier sind unermesslich viele Bucher.Du und Dein neuer Freund, sagte der junge Graf, Ihr scheint zu glauben, dass mein Aufenthalt hier sehr lange dauern wird, da Ihr solche Plane darauf grundet.Herr Dubois meint freilich, erwiederte der Knabe schuchtern, dass Sie eine Zeitlang hier bleiben wurden, um einen so vortrefflichen Verwandten,

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Erziehung der jungen Madchen mehr darauf gesehen wird, dass sie glanzen sollen, als dass man sie zu kunftigen Gattinnen bildet, die ihre Pflicht erfullen konnten, die doch hauptsachlich darin besteht, den

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? Ich glaube, dass sich beide Geschlechter erganzen, dass aber beide ihre Selbststandigkeit bewahren mussen, und der grosste Fehler in der weiblichen Erziehung liegt wohl darin, dass auf diese Selbststandigkeit wenig Rucksicht genommen wird und die armen jungen Madchen nur fur ihre kunftigen Gatten gebildet werden.

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mir durch unsern guten Gustav erst recht deutlich geworden. Er wird gewiss einmal ein ausgezeichneter Gelehrter, daran lasst sich bei seinem grossen Fleiss gar nicht zweifeln, und er war schon ein halber Student, als sein edler Beschutzer sich

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seinem Vortheile verandern konnen; sage mir doch, wie hast Du es angefangen, dass Du wahrend meiner Abwesenheit ganz das Ansehen eines jungen Kavaliers gewonnen hast.Wenn das ist, sagte der junge Mensch, so kommt es wohl daher, dass mir Herr Dubois so ausserordentlich gute Kleider hat machen lassen; die

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also noch immer Anhanglichkeit fuhlte, fur hundert Dukaten zuruck zu geben, und seitdem ich hier bin, sehe ich ja auch deutlich genug, dass Sie mir sogar diese geringe Summe nicht hatten zahlen konnen. Trosten

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es, setzte er lachelnd hinzu, dass er ihm erlaubt, die Wurde unseres Kapellmeisters anzunehmen, denn sonst, sehe ich, hatten wir doch wohl darauf Verzicht thun mussen.St. Julien konnte sich nicht entschliessen, die schone Heiterkeit auf

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; aber freilich verursachte er bei seinem ganzlichen Mangel an musikalischer Kenntniss dem jungen Kapellmeister die meiste Beschwerde, der gerade eine Ehre darin suchte, dass sein Beschutzer sich besonders auszeichnen sollte.So schwanden die schonen Herbsttage dahin unter abwechselnden Spaziergangen, Vorlesungen und musikalischen Uebungen,

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gute Freunde gefunden, die mir sagten, ein gewisser Professor, der sich vor lauter Gelehrsamkeit um nichts Anders bekummern konne, suche eine Haushalterin, auf deren Treue er sich verlassen konne, denn er sei ein Mann von Vermogen. Ich sagte zu mir, was willst du zu

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, er sei ein Freund ihres Hauses und sorge fur unser aller Bestes mit grosser eigener Gefahr.Ich hatte lange genug unter den Heiden in Paris gelebt, ich konnte also wohl einsehen, dass wir behutsam sein mussten, und fugte mich in

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und sie fand einen schwachen Trost darin. Sie wusste doch nun bestimmt, dass ihre Schwagerin sowohl, als das geliebte Kind in den schrecklichsten Augenblikken ihres eigenen Lebens nicht umgekommen waren. Sie konnten beide leben, und es konnte vielleicht dem Grafen gelingen, diese schwachen Spuren zu

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denn die grosse Aehnlichkeit die Grafin auf gar keine Vermuthung gefuhrt?Ich glaube wohl, erwiederte Dubois, dass sie beim ersten Anblicke des jungen Mannes eine schwache Hoffnung hatte, aber da ja seine Mutter lebt, so musste sie bald das Nichtige derselben erkennen.So

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Nationen lateinisch verhandelt, und ich begreife nicht, wesshalb diess jetzt lacherlich und pedantisch gefunden wird. Es war wenigstens Gerechtigkeit darin, eine Sprache, die keine lebende Sprache eines Volkes mehr ist, und die folglich alle Parteien erlernen mussten, in Fallen anzuwenden, wo es so sehr darauf ankommt, kein Uebergewicht zu gestatten.Das Gesprach wurde dadurch unterbrochen,

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jetzt so haufig gemissbraucht werden, sie sei durch eine unwiderstehliche Leidenschaft zu diesem Schritte gezwungen worden. Ein Kastchen, worin sie manche Kleinigkeiten aufhob, war vermuthlich im Drange dieser Leidenschaft vergessen worden, denn darin fanden sich mehrere Briefe,

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beklagte den jungen Mann und war um so mehr zur Hulfe bereit, da er dem Staate einen kraftigen Krieger zu erhalten wunschte. Doch entschied er dahin, dass jede Massregel aufgeschoben werden musse, bis der Arzt zuruck sei, um seine Meinung zu horen, wie bald der Verwundete sich neuen Anstrengungen unterwerfen konne. Es ward also beschlossen, um

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er den jungen Gustav hatte abreisen lassen. Wir werden uns ausserdem bald genug trennen mussen, sagte er, Du hattest doch gewiss einen andern finden konnen, der

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.Sie wissen, erwiederte der Baron, anmuthig lachelnd, dass unser Vaterland so gut wie vernichtet ist und dass die ungeheuern Lasten, die jeden einzelnen bedrucken, der nicht unermesslich reich ist, wie Sie, schon viele kleinere Gutsbesitzer vermocht haben, ihr Eigenthum dem Staate ganzlich zu uberlassen, weil es nicht moglich war die Forderungen dieses Staates zu befriedigen.Ich weiss, antwortete

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Gefahrlichkeit er schon in der einzigen Unterredung, die er nach vielen Jahren mit ihm gehabt, genugend erkannt hatte, und ihm dauchte das Opfer von tausend Thalern unbedeutend, wenn dadurch die Ueberzeugung erkauft werden konnte, dass

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wohlgethan, beide Empfindungen so viel als moglich in Einklang zu bringen. Auf diese Ansicht grundete sich vorzuglich mein Rath.Sie haben gewiss oft die Erfahrung gemacht, sagte der Obrist lachelnd, dass, wenn das menschliche Herz eine Zeitlang mit gleicher Macht zwei Leidenschaften gehegt hat, dann plotzlich die eine

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ein Wort kosten wurde, um Sie unsern Wunschen geneigt zu machen, aber eben darum wurde es mir schwer, diess Wort zu sprechen.Lieber alter Freund, sagte der Graf lachelnd, es ist ja Ihre Angelegenheit

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die an irgend einem Gebrechen leiden, helfen konne. Gewiss sind schon Viele durch ihn gesund geworden und glucklich, und blicken ihm dankbar und freundlich entgegen, wenn sie ihn kommen sehen, ohne darauf zu achten, wie er seine Fusse setzt, und das, denke ich, ist mehr werth,

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mit den vielen dringenden Geschaften, die in dieser kurzen Zeit alle abgemacht werden mussten.Da Sie Theilnahme fur unsere kriegerischen Uebungen beweisen, erwiederte der Baron selbstgefallig lachelnd, so mussen Sie doch wenigstens einem Manoeuvre beiwohnen, das morgen auf meinem Marsfelde Statt finden wird, denn es ist doch billig, dass

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er so viele misstrauische, spottische Winke fallen lassen, dass er unfehlbar Argwohn erregen wird, und doch mochte ich auch ungern ihm das Geschick Ihrer Freunde aufrichtig vertrauen, denn er wurde diess Vertrauen zwar um keinen Preis missbrauchen, sie

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Sehnsucht so gross gefunden, als bei unserm guten Baron. Sie werden diess in jeder kleinen Geschichte bemerken, die er erzahlt, und ich habe mir oft gedacht, wenn er Talent genug zur Darstellung besasse und seine Phantasie dadurch befriedigen konnte, dass

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in dem edelsten, sich eine kleine Neigung fur diese Schwache findet.Es ist wahr, sagte Graf Robert, ich mochte wohl den Menschen sehen, der sich ruhmen konnte, nie die Unwahrheit gesagt zu haben,

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sich jetzt aufrichtig mit uns vereinigen.Die Verbindungen der Staaten unter einander, erwiederte der Graf, konnen nie wie Privatfreundschaften betrachtet werden. Sie sind so lange aufrichtig, bis ein hoheres Interesse andere Forderungen macht.Was willst Du damit sagen? fragte

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die Sprache verlor, und winkte mir noch tausend Grusse vom Balkon unseres Hauses herab, so lange wir uns sehen konnten. Alle meine Studien mussen unterbleiben, ausgenommen die praktischen, die ich taglich an Verwundeten mache, die mir unter die Hande kommen, und

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diese aber grosstentheils waren, was ich schien, namlich gemeine Soldaten, so konnten sie weder Sitten, noch irgend eine Wissenschaft lehren, und ich musste oft lachelnd bemerken, dass sich durch Einige sogar die provinziellen Dialekte unsers schonen Frankreichs zu verbreiten anfingen. Auf diese Art fuhlte ich mich bald heimisch bei den guten Menschen, in deren Hause ich

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Nation nicht frei ist, und wie er mich liebt, obgleich er meine besten Eigenschaften fur Thorheiten eines Franzosen halt, eben so einst beide Volker in aufrichtiger Freundschaft einander gegenuberstanden? Diese friedlichen Gesinnungen wurden jedoch bald aus der

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der Romer vergleichen, und hatte immer ein richtiger Geschmack diese ungeheuern Krafte geleitet, dass wir eben so wohl den edeln Styl der Baukunst immer bewundern konnten, wie den grossen Kraftaufwand, so ware Petersburg beinah ein Wunder zu nennen, aber nicht zu laugnen ist es,

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Messe kunstreicher ausgebildet ist, auch liegt die Ursache, warum diess so ist, glaube ich ganz nahe. Da namlich die Oberstimme in der griechischen Kirche immer von acht- oder zehnjahrigen Knaben gesungen werden muss, so kann nie ein Virtuose die echte Kunst des Gesanges oder die ganze Tiefe des religiosen Gefuhls darin entfalten, alle andern Stimmen mussen mit bescheidener Massigung behandelt werden,

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um sie einigermassen kennen zu lernen, und ich habe mich wahrend meines Hierseins oft daruber gewundert, dass bis jetzt so wenig uber Petersburg und seine Kunstschatze geschrieben worden ist, wodurch der Fremde einigermassen geleitet werden konnte.Da

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in Erfullung gehen und eine gluckliche Heirath beide Familien in eine zusammen schmelzen wird. Wenigstens wird diese Hoffnung dadurch unterhalten, dass beide Kinder, von denen man die Vereinigung erwartet, eine grosse Neigung gegen einander aussern, die

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Bei der ersten Seite verspure ich schon Linderung, bei der zweiten Minderung, bei der dritten sammle ich Krafte, bei der vierten bessern sich meine Safte, mit der funften kommt den abgemagerten Gliedern die vorige Rundheit, und die sechste schenkt mir die vollkommene Gesundheit, so dass ich nicht notig hatte,

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Hechelkramische Furstenstamm aufhoren konnen, zu regieren, und wie es moglich sein sollte, dass er nicht mehr geborner Geheimer Rat im hochsten Kollegio sei? Fur die beiden ersten Probleme fand er zuletzt noch eine Losung, aber das letzte, das

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Amsterdam zu traumen.Er hatte nie geglaubt, noch so glucklich werden zu konnen. Dass seine Umstande indessen immer mehr sich verschlimmerten, und dass er endlich nur auf einen kleinen Lehnsstamm, der ihn eben vor dem aussersten Mangel schutzte

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, und frische Rangen, die noch nichts wussten, wieder hineinkamen, und immer, immerdar wieder von vorn dasselbe angefangen werden musste, da konnte mir das ganze Leben zuletzt vollig dunn und unzusammenhangend vorkommen, und es gab Nachte, worin mir traumte, das menschliche Dasein sei nur ein langes, leeres ABC,

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Warum? weiss ich nicht, denn ich glaube schwerlich, dass sie zu denen gehorte, von denen gesagt worden ist: So ihr nicht werdet, wie diese usw. Die konnte einem was zu raten aufgeben. Zuweilen war sie stundenlang verschwunden, und wenn wir sie suchen gingen, fanden wir sie

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, da ware er stehen, oder vielmehr sitzen geblieben, und als vollig vernunftiger Mann zu seinen Vatern versammelt worden. Weil er aber bis dahin nicht vordringen konnte, so setzte sich ihm der Geheime Rat gewissermassen als Knoten

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"Westfalen bestund aus einzelnen Hofen, deren jeder seinen eigentumlichen und freien Besitzer hatte. Mehrere solcher Hofe machten eine Bauerschaft aus, die gewohnlich den Namen des altesten und vornehmsten Hofes fuhrte. Es grundet sich in der ersten Anlage der

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er gab darauf richtigen Bescheid. Diesen verstand wieder der Jager seinerseits erst nach dreimaligem Fragen, brachte aber endlich doch heraus, dass die Stadt auf dem schwer zu findenden Fusswege unter zwei starken Stunden nicht zu erreichen sei.Die

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bin ich ernst, klar und in mir gefasst. Daher sollen Dir Dinge entdeckt werden, die Du wenigstens in dieser bestimmten Gestalt noch nicht von mir vernommen hast.Die Geschichtschreiber pflegen an die Spitze ihrer Werke zuweilen allgemeine Satze zu stellen, in denen sich der innerste Sinn der Begebenheiten, welche sie schildern wollen,

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Biene das unwiderstehliche Muss, glucklich ist aber derjenige, der die Stimme jener Traume hort und ihr folgt.Das Genie wird geboren, sagt man, und daruber ist jeder einverstanden. Ich fuge hinzu: Nicht

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die jahrliche grosse Jagd zu veranstalten pflegte. Es war in seiner Umgebung schon verwundernd viel davon geschwatzt worden, warum mein Vater sich in den Jahren zuvor unter allerhand Vorwanden von den Jagden zuruckgehalten habe, endlich hatte man den wahren Grund aufgespurt, und der etwas rohe und leichtfertige Kreis mag sich trefflich uber den gehorsamen Ehemann lustig gemacht haben.

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"Eure Moralien klingen zwar ziemlich hausbacken, aber es liegt doch etwas Wahres darin", sagte der Jager. "Der gesunde Menschenverstand behalt immer recht, obschon er selbst nicht das letzte Recht ist. Was meine Eltern betrifft, so spricht deren nachheriges Verhaltnis auch gewissermassen fur Eure

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hatten sich dagegen bei der Frau mehrere Freundinnen eingefunden, anscheinend zufallig, eigentlich jedoch wohl in der Absicht, den jungen hubschen Fremden in Augenschein zu nehmen. Sein munteres trauliches Wesen brachte ihn bald mit allen den Frauenzimmern, unter denen keine einzige Hassliche war, in naive Beruhrung,

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zueignete, macht mir oft die ganze Sammlung keine rechte Freude mehr. Denn bei Altertumern beruht alles auf der Wahrheit, und wer fur ein fremdes gelogen hat, der kann auch leicht den Glauben an seine eigenen verlieren. Es geht mir schon hin und wieder so; ich sehe die Donnerkeile

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hatten allen verfassungsmassigen Nutzen gebracht, bis der Nachfolger gekommen ware und sie aufgegessen hatte, weil er willens sei, neue von Spritzkuchenteig backen zu lassen.Der alte Baron versetzte: Das sei gar nichts, Blatterteig konne ein jeder

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von Klinkern etwa vier Fuss hoch aufgebaut, welcher Klein-Helikon genannt wurde. Auf diesen kletterte ich haufig und konnte von ihm aus alles sehen, was in dem Lusthauschen vorging, das meiste auch horen, was darin gesprochen wurde,

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haben die schonsten Lagen und davon erhalt jeder, der zu seiner Gesundheit schweren, feurigen Weines bedarf ohnentgeltlich, die Flasche mag funf oder sechs Gulden kosten. Auch fur gewohnlich bekommt Mann

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, den himmlischen Raum, hinausgeschossen immer weiter und weiter in das sogenannte grosse Nichts, habe freilich, sobald er des Irrtums innegeworden sei, kehrt gemacht, indessen doch durch seinen ubermassigen Schuss Zeit und Weg verloren. Was die Erlosung betreffe, so werde diese am dreizehnten Dezember Schlag acht Uhr erfolgen. Engel empfahl sich darauf. Damon lachte und sagte: "Wenn ich am dreizehnten Dezember erloset

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welches der wilde Jager fruher bewohnt hatte, zwei junge Leute ohne alles Zeremoniell beisammen. Vier warme Wangen hielten keine bestimmte Farbe, sondern spielten bald in Purpur, bald in Rosenrote, bald in einem fliegenden Bleich; vier blaue Augen suchten einander, und wenn sie sich gefunden, zogen sie,

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Getranke abmussigen konnten, spielten die Musikanten, denen ein besonderer Tisch im Baumgarten angewiesen worden war, kurze Stucklein, ohne jedoch eine eigentliche Aufmerksamkeit zu erregen, denn die meisten hielten ihren Sinn

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alten oder hohen Adel, wo ein solcher namlich noch wahrhaft besteht. Der Mittelstand ist eine von beiden ganz verschiedene Schicht. Bauer aber und hoher Aristokrat stimmen darin uberein, dass ersterer sowohl als letzterer weniger sich,

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, kein neues philosophisches System erfinden, keinen Umschwung in den politischen Ideen des Zeitalters hervorbringen kann.Als sie am tiefsten herunter waren, stand ihnen jedoch die Hulfe am nachsten. Sie lernten namlich einen Mann kennen, einen wunderbaren Mann, einen Mann, der mehr zu sein schien als ein Mensch. Nach wenigen Unterredungen, die in geheimnisvollen Worten gefuhrt wurden,

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ehe und bevor die Fabrikangelegenheit in Ordnung gebracht sei, wenig Geschmack zu finden vermoge. Zuweilen horten beide Schlossbewohner gar nicht zu, sondern sprachen miteinander von Wirtschaftsangelegenheiten, wahrend der Freiherr die buntesten Wunder vortrug.So gingen mehrere Tage hin.

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Dichter, sagte: "Der grosse Mann fuhlte namlich, dass sein Werk vollendet sei auf Erden fur den grossen Haufen. Er fuhlte, dass es Zeit sei, sich in die heilige Unsichtbarkeit zuruckzuziehen und in dieser fur wenige Eingeweihte durch die letzten und hochsten Wunder des Geistes zu wirken. Er tat daher mit Hulfe

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eine Larve sei? worauf der Schriftsteller ihnen erwiderte, dass ihm zwar jene Charaktere problematisch zu sein schienen, dass aber dadurch der wunderbare Gehalt des ausserordentlichen Mannes durchaus nicht geschmalert werde, dass man vielmehr fest glauben musse, er werde halten, was

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dass er recht eigentlich dazu bestimmt ist, kunftig eine grosse Rolle im Herzogtume zu spielen. Ich habe mir daher auch schon ein Heft weissen Papieres einbinden lassen und den Titel darauf gesetzt: '

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Blick und schien eine Aufmunterung erwarten zu wollen. Endlich sagte der Sammler: "Ich habe wohl vor Jahren davon gehort, dass ein Sohn des Hofschulzen plotzlich zu Tode gekommen sei; es hiess aber damals, er sei mit der Stirn auf einen Stein geschlagen."

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Welt wird erst wieder anfangen zu leben, wenn die Menschen sich erst wieder vom Zufall hin und her stossen lassen, wenn man z.B. ausgeht, um Rache zu nehmen, und sich nicht daruber verwundert, findet man statt der Rache

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Macht uber zwei Menschen, die einander von Grund des Herzens gut seien. Er solle nur ganz getrost an mich denken, denn ich sei Er, und er sei Ich, und wir seien Eins, und zwischen uns konne nichts kommen."

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von mir aufzunehmen, die mit den anderen Dingen stimmen, welche bereits von mir geschrieben stehen."Der Richter schien etwas in Verlegenheit zu geraten und erwiderte: "Das gehort ja nicht zur Sache und ich muss uberhaupt erst den Herrn Diakonus vernehmen." Dessen Verhor war kurz, es drehte sich eigentlich um nichts.

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's gern besserStatt immer schlimmer;Und raten immer,Und treffen's nie.Munchhausen wird in den hochsten Kreisen der Gesellschaft ganz ausserordentlich vermisst.Von dem Verschwinden dieses wunderbaren Mannes ist der Schleier nie geluftet worden. Naturlich muss die Krypte einen geheimen Ausgang gehabt haben, wer nur wusste,

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gewesen, worein sie sich jedoch fand, ohne ihm ihre Gnade zu entziehen. Was indessen der Vater ihr versagen gedurft, glaubte sie desto bestimmter von seinem einzigen Sohne fordern zu konnen, und so ward der junge und schone Mann an

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Unaufmerksamkeit zu geben, und es stand eben sowohl in seiner Macht, endlich den Beifall daran mit Grunden zu rechtfertigen, als ihm die gefahrliche Gewalt zu Gebote stand, in wenigen satyrischen oder kritischen

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ihm nicht freiwillig aufgeschlossen ward. Ich bin stolz darauf, Euch, edle Frau, sagen zu konnen, dass ich Euch nie verkannt, ofter wohl erkannt habe,

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nach einem mildern Zustande sich regten, den sie aber, so lang verwohnt, nicht mehr erreichen zu konnen wohl selbst fuhlte.Sie hatte wenig Freunde gewonnen und war meist auf die Bande eingeschrankt, womit die Natur

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frug sie unbefangen weiter. Es war allerdings damals schon langst in England bekannt, sagte die Lady, doch mehr unter dem reichen Handelsstande, der sich die Produkte fremder Zonen fast leichter zu verschaffen wuste, als die hohern Stande;

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diese Gewissheit bald verschaffen, sagte die Herzogin; auch hoffe ich, furchtet sie dies wohl nicht mehr. Liebe Lucie, Du sollst sie sehen, sobald es ihre Gesundheit erlaubt; sei indess recht ruhig, denn Morton sorgt ja fur sie,

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vornehme Erziehung erhalten haben, sagte Mistress Cottington mit Ruhe, doch bleiben ihre Aeusserungen fast noch immer ohne eigentlichen Zusammenhang, wegen des grossen Schmerzes, den sie zu empfinden scheint. Ihre ersten wiederkehrenden Gedanken richteten sich voll Erstaunen auf das fremde Zimmer,

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ob Ihr gewiss sie schutzen wurdet, sie konne ihr Schicksal noch nicht fassen. Aber vielleicht kommt Hanna und sucht mich, fuhr sie fort, vielleicht finde ich irgendwo Schutz, dann sie seufzte schwer, sie schien so uberrascht von ihrer Hulflosigkeit und sagte oft:

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gesicherte Zuschauerin wohl von Andern hatte bezeichnen horen, und was allerdings genugend war, diese beiden grossen Guter des Lebens ihr ausser Zweifel zu stellen. Sie hatte dies nicht sobald erkannt, als ihr Geist daran arbeitete,

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Beiden die grossen Hallen, die in ihrer ehrwurdigen Pracht gerustet schienen, noch einige Jahrhunderte die Geschlechter kommen und verschwinden zu sehen, deren schon so viele daran vorubergegangen waren.Graf Archimbald konnte eben kein Freund von solchen feierlichen, die Empfindung hervorhebenden Scenen genannt werden,

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wir einen neuen Kreis ziehen, wenn auch endlich immer kleiner, wenn auch unsichtbarer, stiller und einsamer. Das grosse Geschaft, zu leben, loset uns vor unserm letzten Athemzuge niemals ab; und wer aus freier Kraft die

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ihren Tribut zahlen zu mussen. Graf Archimbald wusste namlich fur den ersten Augenblick sich nicht mit seiner gewohnlichen Politur in einigen Worten auszudrucken, sondern schien, zerstreut und abgezogen, und doch ganz mit der Grafin beschaftigt, kaum einige Ausdrucke der Hoflichkeit finden zu konnen. Nicht

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Melville befragen durfe. Es scheint damit doch ein Anfang und ein richtiger gemacht, da es immer das Wesentlichste bleibt, ob sie das ist, wofur sie sich halt und sich uns angegeben hat. Dies wird leicht geschehen konnen, wenn

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Denn, setzte sie liebreich hinzu, meine liebe Tochter hat schon zu viel allein in dieser Sache ubernehmen mussen, und wohl mag sie der alten Mutter auch ein kleines Verdienst dabei gonnen. Ich werde meine Sachen schon ordentlich machen, fuhr sie lachelnd fort, bemuht, der allzu ernst gewordenen Unterredung ein milderes Ende zu geben.Die Herzogin schien sehr willig, ja erleichtert bei diesem

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man fast glauben musste, er sei sich selbst derselben nicht bewusst. Aber wer je in eigener Brust einen Anklang dieser schmerzlichen Seligkeit gefuhlt, musste wohl sagen, die Stunde des jungen Mannes habe geschlagen. Mit

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ihre Gedanken errieth. Sie kannte diese Empfindungen nur aus den sehr discreten Mittheilungen ihrer Anverwandten und aus ihrer eigenen gewahlten Lecture, woraus wir doch selten dies Gefuhl wieder erkennen lernen, ehe aus unserm eignen Herzen die gleichen Anklange sich den verwandten Gefuhlen, gleichsam suchend,

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was ist geschehen? Was seid Ihr gekommen mir zu sagen? Ich bin gefasst, auch das Harteste zu vernehmen.Ich kenne Eure Ansichten nicht genug, verehrte Schwagerin, um zu wissen, in wiefern Euch meine Mittheilungen beunruhigen mogen; daher muss ich

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sie zu unterbrechen. Einige etwas zu stark aufgetragene Aeusserungen abgerechnet, fuhlte er ihren Unwillen naturlich und wohlbegrundet; er konnte sogar nicht laugnen, dass sie schneller auf den wahren Standpunkt gelangt sei, als

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um eine wirklich befriedigende Ausgleichung herbei zu fuhren. Er sammelte sich daher und ruckte der Erzurnten naher, um sie mit der ganzen ihm eigenen Feinheit darauf aufmerksam zu machen, wie nothig es sei, dem jungen Herzoge milder entgegen zu treten. Man konne ihm doch unmoglich und namentlich

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Archimbald von irgend einer Idee beschaftigt, keine Anstalten machte, sie zu verlassen. Sie glaubte bei einigem Nachdenken die Ursache darin zu finden, dass es ihr noch oblag, ihren lebhaft ausgesprochenen Widerwillen naher zu bezeichnen und dessen Grunde scharf genug hervorzuheben,

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, um hochst unbedeutender Ursachen willen, furs Erste bei Seite gelegt, wenn man sie nicht schon jetzt richtiger abgebrochen nennen soll. Graf Bristol fuhlt sich dadurch ausserst gekrankt und wunscht, wie naturlich, irgend einen neuen Anknupfungspunkt aufzufinden. Hierzu mochte er durch Euch einige Nachrichten erhalten, die ihm jetzt wichtig werden konnten.Durch

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dem Prinzen auszudrucken. Alle, denen dies mitgetheilt ward, schienen uber so viel Antheil und Freundschaft entzuckt, wahrend Alle mit angehaltenem Athem einander fragten, was er wohl noch vorhaben mochte. Mazarin war uber den ersten Eindruck,

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Anderer die eigenen immer wieder mit auferziehe; ob jene gottliche Liebe, die unsere Entwickelung nie aus den Augen verliert, eine ihrer schonsten Gaben ganz unterdrucken lassen mochte, wer wollte es furchten, und nicht lieber glauben, uns sei bloss gestattet, die Aussenseite von ihren Erscheinungen frei zu erhalten, innerlich bleibe der kleine Heerd,

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nicht aufgeben mochte, ihn als ihren Bewunderer gelten zu lassen, hatte sie doch Verstand genug, Lord Ormond fur eine bessere Partie anzusehn. Sie war daher wahrend ihres Beisammenseins mit ihm schon alle mogliche Versuche, ihn zu fesseln, durchgegangen, ohne ihrem Ziele naher geruckt zu

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so seid sicher, mein Auge war scharf genug, diese angebliche Lady Melville zu erkennen, und ich weiss jetzt genug von ihr. Ich wunsche Euch angenehme Traume, fugte sie spottisch hinzu und verschwand in der

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hat ein kraftiges Herz, des edeln Zornes fahig, und wunderbar tritt dann ein achter Stolz aus ihr hervor. Dann fuhlt man erst, wie vollig wahr und naturlich sie gebildet ist, und denkt mit Freuden der schonen Natur, die sie so massig, klar und ruhig in allen Verhaltnissen bleiben lasst. Nein,

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Vorhange, weit zuruckgezogen, ihnen vollen Einzug gonnten. Doch schon zuckten zuweilen die zarten Augenlieder, und eben wollten die feinen Hande die blendenden Lichter aus den Augen streichen, da vollendeten diese selbst

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wir Euer empfindsames Zusammentreffen zuschreiben sollen. Konnt Ihr nicht? setzte sie lachend hinzu, da Membrocke mit einem zweideutigen Lacheln die Achseln zuckte.Wie durfte mein Mund widersprechen, zischelte er, wo die schone Lady Melville sich so bestimmt erklart hat.

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mit einem raschen Pferde und sicheren Gefolge am nordlichen Ausgang des Parkes erwarten. Ihr musst Euch dahin begeben, so bald Ihr Alles in Ruhe wisst; denn uns bleibt in dieser ersten Nacht ein bedeutender Weg zuruck zu legen, um uns vor den gewiss erfolgenden Nachstellungen verbergen zu konnen.Er

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und Beide hielten sich im Bewusstsein eines grossen Schmerzes fest umschlungen. Wir mussen Beide jedoch sich selbst uberlassen und der unglucklichen Maria folgen, die wir mehrere Tage spater in einer vollig veranderten Lage wieder finden. Lord Membrocke namlich, nachdem er sie bis dahin mit leidlicher Haltung gefuhrt hatte, ubergab sie eines Morgens beim Aufbruch zur

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mich mit rastloser Gute und Grossmuth beschutztet und mich jetzt meinem grossen Beruf entgegen fuhrt. O sagt offen, wann werde ich zu ihm gelangen? Ist er mir schon nah? Werde ich bald seinen Segen

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und Kuchenmeister zugleich warst; es ist Alles aufs Beste eingerichtet, um nach einer beschwerlichen Reise angenehm ausruhn zu konnen.Sie richtete dabei ihre Augen huldreich auf Miklas und fand ihn in ihrem Anschaun so ganz verloren, dass er kaum ihre Worte verstanden haben mochte, und wir mussen es unentschieden lassen, ob etwa eine andere

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wandern und tief, tief seufzen. Des Morgens fanden ihn die Bedienten oft auf den kalten Steinen der grossen Halle oder auf den Treppen eingeschlafen liegen. Alt konnte er dabei nicht werden, das konnt Ihr denken; aber

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den ich nie so anzugreifen hatte gestatten sollen.Das Schicksal dieses Mannes liegt mir zu fern, als dass ich Euch daruber Auskunft geben konnte; aber ich glaube annehmen zu mussen, dass es eine Wendung genommen, die ihn vielleicht augenblicklich aus der Lage setzt, Euch selbst Dienste zu leisten. Es

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allmaligem Verfall entgegen geht. Noch sind einzelne Seelen mit ihrer frommen reinen Liebe vermogend, einen Sinn hinein zu legen, dem ihrer ersten Stifter ahnlich. Aber dies ist individuell, es ist nicht mehr das Werk,

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nicht und fuhlte wohl, wie wenig furs Erste diese Stimmung geeignet sei, ihrem Schicksal eine bessere Wendung zu geben; aber diese Betrachtung war zugleich mit einem warmen Gefuhl der Theilnahme verbunden und machte es ihm unmoglich, ihren Vortheil ganz zu ubersehen, ja, ihn beschlich sogar ein Gefuhl

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in die wohl verborgene Nische des Schlafgemachs setzen liess, und dessen Dasein wohl schwerlich ein Mensch ausser dem Herzog kennen mag.Aber wie konnte Nottingham dessen ungeachtet diese rasende Leidenschaft fassen, da er doch wissen musste, dass sie schon als Gemahlin

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ungewissen Unternehmen auszusetzen, dessen Misslingen Dich tiefer verletzen wurde, als Du berechnen kannst. Diese ersehnte Zusammenkunft ist vielleicht nicht mehr fern, und ich war eben gesonnen, Dich auf meine mogliche kurze Entfernung vorzubereiten, welche mit einem mir gemachten Vorschlage, den Konig zu sehen, zusammenhangt, und

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sterbend, gleich viel; alle Chiffern sollen ins Feuer! Ueberall sollen sie eingetauscht werden, wir mussen neue erfinden. Wer, wer hat dies gethan, wer hat dies wichtige Geheimniss errathen konnen, das nur wir beide wissen?Wer sagt Dir,

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, ich weiss sehr wohl, wie Du uns uberreden mochtest, dies Ungluckskind konne der Welt und seinem Vater erhalten werden, ohne unsere grossern Absichten zu durchkreuzen. Laugne, wenn Du kannst, dass sich alle Deine Beobachtungen bequemen mussen, um dieser Idee unschadlich zu werden;

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, zu erwachen. Er richtet sich endlich empor und sieht und hort nicht viel, und muss immer wieder von der kalten, durren Hand gereizt werden, ehe er Alles zusammen findet, was zum Erwachen nothig.Armer

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und diese letzten Worte gehort hatte, stand gluhend vor Schreck vor beiden Mannern.Du hast es unendlich oft verrathen, doch wohl nie eigentlich beabsichtigt, es zu sagen, sprach Brixton ruhig; sei aber unbesorgt,

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auch viel dadurch verdorben, dass Dein guter Vater uns keinen Rath mehr geben kann, mussen wir doch fort, und das sobald als moglich, und ehe Pater Johann zuruck kommt, der schon im Stadtchen angelangt ist.Nun dann sei uns Gott gnadig, wenn der schon im Stadtchen

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Schlosses entlassen durfe, bevor seine Instruktionen aus London angekommen sein wurden, da er sich genothigt sehe, bis dahin alle Vorgefundenen als gleich schuldig und als Gefangene zu betrachten. Er setzte hinzu, wie er hoffe, dass man nach seinem Berichte geneigt sein werde, diese ganze Angelegenheit,

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hinzufugen zu konnen, dass Richmond, den wir immer nur in der Wahrheit und der richtigsten Auffassung aller Verhaltnisse fanden, mir daruber die bundigsten Versicherungen gab, deren guter Grund schon dadurch mir bewiesen scheint, dass

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welches dessen ungeachtet daruber verbreitet ist, das jedoch allein den Motiven gilt, warum man sie um jeden Preis unserer Obhut entziehen wollte, und warum ihre Person so wichtig gehalten wird, dass man ihr lieber den Tod geben, als

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mit der stolzen Kalte verbunden, die wenig Muth ubrig lasst. Aber Lady Maria hatte seit lange schon die gluckliche Sicherheit der Jugend verloren, die sie in der ersten Zeit ihres Unglucks ihre ganze Lage klar und ehrenhaft

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herzlich und sagte: "Ich weiss es selbst nicht, liebe Friederike, ich dachte wohl eigentlich nichts, und jetzt erst, da du mich zur Besinnung gebracht hast, ist es mir moglich, von meinen Empfindungen etwas zu wissen. Du erinnerst dich,

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fur mich hochsten Gipfel erstiegen hatte, die Welt schon in die Verwandlung zu begeben anfing, die sie seitdem immer mehr und mehr entstellt hat. Ich hatte schon fruher bemerkt, dass manche Magister ohne Perucke gingen, dass

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den wir allenthalben mit Ruhrung und Liebe wahrnehmen, der die Welt zu jenem angenehmen Ratsel macht, welches so viele nicht zu begreifen scheinen. Denn wenn die hohere Kunst frei wie im reinsten Ather schweben darf, sich selber genug, und

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von Theorie zusammen, die diese Vorliebe erklaren und rechtfertigen sollte. Die gerade Linie, weil sie immer den kurzesten Weg geht, weil sie so scharf und bestimmt ist, schien mir das Bedurfnis, die erste prosaische Grundbasis des Lebens auszudrucken; die

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", sagte Elsheim: "denn endlich ist zur rechten oder unrechten Zeit gesagt, was ich gestern dir zu sagen verabsaumte; das ist doch, beim Licht besehn, mein ganzes Verbrechen; in deiner frohen Laune damals hattest du den Scherz als Scherz betrachtet, und nur gefuhlt, wie sehr ich dich liebe, um

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und das vollkommene Erwachen wie die Munterkeit befordert.""Ein medizinischer Statistiker konnte dir auch in deiner Schilderung recht geben", fugte Elsheim hinzu, "wenn er sagte: alle jene unnutzen Zeitvertreibe, ja reelle Narrheiten seien vielleicht notwendig, um

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ich heute morgen des guten Weines etwas viel genossen, der jetzt erst nachwirkt. Doch auch dieser Moment geht voruber, in dem mir wohl war, und ich sehe schon immer deutlicher und wie

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den ich gewohnlich bei dergleichen Gelegenheiten wahrnehme, habe ich nie begreifen konnen. Wir hatten ihn nicht sollen einschlafen lassen."Der Fuhrmann band und flickte, so gut es sich tun liess,

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, die grosste Neugier und Spannung hatte sich der ganzen Gesellschaft bemachtigt es schien nun, vorzuglich den Damen, ausgemacht, die Gefangenen konnten nur Morder und Strassenrauber sein und gewiss die Anfuhrer der Bande, denen das Gewissen plotzlich erwacht sei, um die ausserordentlichsten Entdeckungen zu machen. Die Scharfsinnigsten hielten zugleich ein wachsames

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Daniel am meisten und bezog dabei alles auf sich. Er sagte oft, dieser Prophet sei der grosste, und Ezechiel, vorzuglich aber die Offenbarung Johannis seien nur missverstandene Ubertreibungen, das wahre Wort und Geheimnis sei im Daniel ausgesprochen. Dieser sei auch wichtiger, als das ganze Neue Testament, und wer diesen Propheten recht innehabe, konne die spateren

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"Der Himmel verhute bose Vorbedeutungen", sagte Leonhard lachend; "aber freilich, wer kann wissen, was uns bevorsteht, und besonders mir, da ich in ein fremdes Haus und unter lauter Unbekannte trete? Ich bin so gar nicht daran gewohnt, mit

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"O ewig schade!" rief das kleine mutwillige Madchen, "so fehlt ja gerade gleich das Beste im ganzen Stuck.""Es lasst sich nicht alles, was wir etwa wunschen, vereinigen", erwiderte Mannlich sehr gesetzt: "Wunder genug, dass

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Hobel so gut umzugehen weisst. Die eigentliche Handarbeit solltest du daher auch lieber unterlassen.""Du kannst es dir nicht denken", erwiderte Leonhard, "wie es einem tuchtigen Arbeiter in die Hande fahrt, wenn

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, so vorgetragen, vielleicht kein wahres Wort enthalt."Leonhard ward nachdenklich und sagte dann: "Die Zeitalter wechseln wohl in Gute und Schlechtigkeit; bald tritt diese, bald jene Vortrefflichkeit mehr und deutlicher hervor, und

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die Dichter legen einen Charakter gut und richtig an, sie wissen aber nicht den gehorigen Vorteil aus ihm zu ziehen, und so mussen sie ihn denn am Ende gar nolens volens ganz fallenlassen.""Das ist immer ein schlechter Nolenz-Volenz"

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, dessen kleine Rolle so hinreissend und eigen interessant ist, wird Herr Leonhard gewiss schon mit seinem weichen und doch kraftig mannlichen Tenor sprechen.""Alles gut", sagte Mannlich, "aber ich begreife nicht, wozu Sie mich noch brauchen konnten, da alle Rollen schon besetzt sind.

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, der fahig ist, sich in das hubsche witzige Kammermadchen zu verlieben und sie sogar zu heiraten; denselben endlich, der mit so vieler Laune den Bleichenwang foppt und, wiewohl er ein Trunkenbold ist, doch immer ein Mann von Stande bleibt.""Nun, es sei einmal versucht", sagte Mannlich,

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wenn sie wiederkommt, und wir ihr Konzerte geben, vielleicht gar Belmont und Constanze teilweise oder ganz auffuhren konnen. Dann erst wird sie mit unserm Theaterbau ganz zufrieden sein."Man machte schon allerhand Projekte, und Leonhard stand zwar gesattigt

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nach jener feierlichen Einleitung nicht gefasst. "Sie wollten helfen, raten, dem Ungluck vorbeugen", sagte sie endlich, nachdem sie ihn lange betrachtet hatte, "und nun scheinen Sie doch nur rechte Schadenfreude zu empfinden, und die Sache macht Ihnen, so kommt es mir vor, mehr Spass,

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inneres Wesen eigentlich das einer Nonne ist, der versteht nun auch sogleich, was sich ausserdem zu widersprechen scheint. Darum nur ist es ihr moglich, die Adelheid und Olivia so schon und vollendet darzustellen, weil ihr inneres Wesen reine Religiositat ist, und sie daher dasjenige, was

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nach diesem ersten Aufschwung erwarten durften. Ist denn aber das wunderbare Werk nicht schon popular genug geworden, und oft genug auf guten und schlechten Buhnen als Entstellung und wilde Torheit aufgefuhrt? Wir geben Ehrenberg Gelegenheit, sich in seiner ganzen Grosse zu zeigen, und

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. Aber freiwillig hat sie mir alles bekannt, ich gebe dir mein Ehrenwort darauf; nein, ich wollte sie gar nicht ausfragen, ich wollte gar nichts von ihr wissen. Und darum lies du deinen Brief; tu, was sie von dir verlangt, sei so glucklich, als

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es euch gefallt' aufzufuhren, und wir alle sind schon darin ubereingekommen, dass es in der ganzen Welt keinen solchen Orlando geben kann, als wie du ihn spielen wurdest. Auch hattest du nicht zu besorgen, wieder

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war so gross, dass sie anfangs keine Worte und keinen Ausdruck finden konnten. Endlich vereinigte sich der Ausspruch der Damen sowohl wie der fremden Herren dahin, dass dieses Schauspiel erhaben, sublim und einzig zu nennen sei, dass

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er es nennt, geht er gar auf eigne Hand aus, um weiss der Himmel welche Abenteuer zu suchen und zu erleben. Es ist wohl etwas in uns, ein starker Magnet, der unwiderstehlich zu einem unsichtbaren, aber machtigen Magnetberge hingezogen

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und quetschen lassen. Ja, ja, die grosste Kunst ist dann wohl Ausbeugen, Gutmachen, oft funfe gerade sein lassen, wo die gerade Zahl doch auch nicht zum Ziele fuhrt.""Leben Sie denn wohl, lieber Herr Joseph", sagte Leonhard;

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, Verstandige besitzen wir ja immerdar, und wir haben es ja nur, weil wir gar nichts darum und davon wissen, und wir achten es auch deshalb nicht, und konnen es nicht achten, wenn wir auch wollten. Schon

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denn man lasst mich immer in meiner Armut bleiben, ohne sich um mich zu kummern. Eins aber konnte man tun, da ich ja keine weiten Landerstrecken, oder grossen politischen Einfluss verlange, mir namlich das liebe gute Nurnberg

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ich sonst immer verschweige; denn ich weiss, dass Sie mein Geheimnis nicht verraten werden, da wenn es bekannt wird, ich noch jetzt vielen Verdruss, ja wohl Ungluck dadurch erleiden wurde. Ja freilich druckt mich ein Verbrechen, oder nennen wir es,

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man sich immer ausdruckt, denn ich glaube, ich bin es nicht weniger; aber noch immer begreife ich es nicht, wie du dahin gelangt bist. Deiner Briefe waren so wenige, immer nur einige Zeilen, anfangs verdrusslich, dann zuruckhaltend, dann blieben sie einmal ganz aus, dann ward mir kurz deine Vermahlung, und nach zehn oder eilf

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man sie achten konnen oder ehren mussen, so konnte man sie nicht mehr lieben. Aber auch einzig sie konnte diesen Wollustrausch, diesen feinen und seelenbetaubenden Wonnedurst erregen und befriedigen. Du hast dies ebenfalls

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, und dennoch mocht ich mich nicht unterfangen zu sagen, dass ich diese seltsame Epistel ganz verstanden habe. Aber ebensowenig mocht ich behaupten, sie sei Unsinn und enthalte gar kein Verstandnis.

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", sagte Elsheim. "Es ist sehr schadlich, dass seit lange die sogenannten hoheren Stande so vollig abgesondert vom Burger und Handwerker leben, dass sie diesen nun gar nicht kennen, und auch das Vermogen verlieren, ihn kennenzulernen. Nicht nur geht das schone Vertrauen verloren, wodurch sich Hohere

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Martin war seitdem hinaufgeruckt und der zweite geworden; dann folgten noch vier Gesellen. Beim letzten stand der alteste, schon hochgewachsene Lehrbursche, welcher in der kunftigen Woche zum Gesellen gesprochen werden sollte, und neben diesem standen funf kleinere, deren letzter demnach an der Tafelrunde der Nachbar des kleinen Franz wurde,

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Tisch war bald mit einer Menge jener eben so zierlichen, als grosstentheils unbrauchbaren kleinen Gerathschaften aus Bronze und Vermeille bedeckt; glanzendes Spielzeug fur grosse Kinder, das die Mode uberall, besonders aber in Russland eingefuhrt hat. Denn ungeachtet der unglaublichen

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, dessen seltnen Werth Richard auf den ersten Blick erkannt hatte; obgleich er weit davon entfernt war, ihn seinem weit hoher gebildeten Freunde Eugen gleichzustellen, dessen ganzes Wesen durch

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Petersburg an unsern Sir John den Auftrag ergehen lassen, ihm einen acht bis zehnjahrigen englischen Knaben, von guter ehrbarer Familie, heruberzuschicken, den er mit seinen eigenen, ungefahr im namlichen Alter stehenden Kindern erziehen lassen will, damit diese, gleichsam spielend, auf leichte Weise von ihm englisch reden lernen. Denn Sie mussen wissen, werther Sir, unsre Sprache wird auf dem Kontinente, besonders aber in

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Sohne sich vielleicht zur Erfullung desselben eignen mochte, fugte aber hinzu, dass kein langes Bedenken hier statt finden konne, sondern im Gegentheil der Entschluss gleich auf der Stelle gefasst werden musse. Die schon weit vorgeruckte Jahreszeit mochte einer so bedeutenden Seereise nicht lange mehr gunstig genug bleiben, um sie mit vollkommner Ruhe und Sicherheit unternehmen zu konnen; uberdem liegt das nach

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London zu bringen. Er steht gerade in dem gewunschten Alter von circa acht Jahren, und mochte vermoge seiner hubschen Gestalt, seines aufgeweckten Wesens, und seiner ubrigen guten Anlagen, fur unsern Plan am besten sich eignen. Fur die Garderobe des kleinen Reisenden werde

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Kinder, besonders ihre Tochter, das achte Fruhlingsleben der Jugend so lange als moglich geniessen zu lassen; sie fuhrte sie daher spater, als sonst wohl geschieht, in die Gesellschaft der grossen Welt ein;

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ihrem Kabinette vorlesen zu lassen, welche aber damals, gegen den romantisch wilden Schwung, den sie in unsern Tagen gewonnen haben, noch ziemlich nuchtern sich ausnahmen. Das neueste Werk des damals noch sehr bewunderten Herrn von

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hin! setzte er mit komischem Pathos, tragirend und deklamirend hinzu.Das geht nicht mehr so, wie Du es wohl meinst; ich habe keine Zeit zu verlieren, wenn ich noch alles lernen soll, was ich lernen muss.

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das Seine ging, das er seitdem nicht wieder verlassen. Sie war folglich die letzte gewesen, die in gesundem Zustande ihn gesehen, und sie allein konnte wissen, welch unerwartetes Unheil in der kurzen Zwischenzeit vom

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Atmosphare seiner hohen Beschutzer, an jenem ersten Abende in seiner neuen Wohnung ihm geklungen haben mochte, so fuhlte er doch nach wenigen Monaten, wie viel Wahres darin gelegen. Er war sich bewusst, jetzt weit fester und sichrer aufzutreten, da niemand mehr ihm zur Seite stand, um

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, wir mussen aus Rucksichten fur das Gluck unsrer Tochter ihrem Wunsche nachgeben, obgleich unsre Absicht eigentlich war, Natalien mit ihrem jungen Gemahl erst nach ihrer Vermahlung nach Petersburg gehen zu lassen. Nach reifer Uberlegung finden wir selbst es rathsam und schicklich, nach langer Abwesenheit uns

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so an einander gewohnen, einander nicht so lieb gewinnen lassen sollen, wenn sie uns nicht zusammen lassen wollten! setzte sie, beinahe wie ein trotziges Kind, hinzu.In

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was ihre beiden Bruder, wie sie dieselben noch immer nannte, sprachen, doch ohne deutlich zu fassen, wie sie es eigentlich meinten. Ihr einfacher Sinn verlangte und erwartete von der Zukunft furs erste nur, dass sie alles bleiben und bestehen lasse, wie es gewesen, so lange sie denken konnte. Richard taglich sehen, in den namlichen Verhaltnissen wie bisher, war

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, und ging auf mehr als halbem Wege dem Junglinge entgegen, den er vor vielen Jahren in seinem vaterlichen Hause als Kind gesehen, und der beim ersten Anblick der ihm ganz fremd gewordenen, imposanten Gestalt des schonen jungen Mannes,

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es mir sogar, dass, wie Du sagst, der Kaiser, seit jenem seltsamen Zusammentreffen mit ihm, meinen Namen kennt, und gnadig meiner erwahnte? Mein Ziel ruckt immer weiter hinaus, ein Wunder nur konnte mich retten, und Wunder geschehen nicht mehr!Mit bewundernswurdiger Geduld hatte Eugen diese lange Jeremiade seines Freundes bis ans Ende angehort,

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hatte geloben mussen, machte ihm keine Sorge mehr.Im Militairdienste war die Nothwendigkeit strenger Subordination, sobald es gilt, die Gesammtkrafte vieler tausend Einzelner zur Ausfuhrung eines grossen Zweckes zu vereinen, ihm deutlich geworden; und was fur Manner standen an der

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Neuangeworbenen, deren Anzahl sich bald bis ins Unglaubliche vergrosserte, waren grosstentheils junge Leute, die gar nicht begriffen, gar nicht wussten, wovon eigentlich hier die Rede sei, auch gar nicht verlangten dieses zu ergrunden; sondern, entweder vom Reize

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in der ubrigen vornehmen Welt, die eben so wenig wusste warum, gewissermassen Mode geworden. Ausgenommen bei grossen feierlichen Gelegenheiten, wo eine scharf gezogne Linie das Zulassige bezeichnet, und die er von jeher gern vermieden hatte, standen immer die Thuren ihm offen, aber

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ausschelten zu lassen; wie die liebe Sonne nach einem derben Gewitterregen, zeigt auch sie sich hernach nur um so warmer und freundlicher. Also morgen, lieber Iwan, morgen Abend.Morgen halte es wie Du willst, ich sehe Dich noch heute Abend, verlass' Dich darauf; rief Iwan im Fortgehen ganz trocken ihm

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um so schoner willkommen: rief am folgenden Morgen Frau Karoline Richard entgegen, der, nach vielen misslungenen Versuchen, am vorigen Abende es endlich aufgegeben hatte, zu einem ruhigen Gesprache mit ihr zu gelangen. Die Zeit hat mich in dergleichen Unterhandlungen ein wenig aus der Ubung gebracht, fuhr

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, ist immer nur allzu geneigt, funfe fur gerade gelten zu lassen, und liesse sich wohl mit dem Allen zufrieden stellen besonders da er

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, was scheint sie von ihm zu halten?Zuerst blutwenig, beim ersten Auftreten missfiel er ihr durchaus, aber der Mensch ist wahrscheinlich ein lapplandischer Zauberer, denn mit rechten Dingen kann dergleichen nicht zugehen. Kaum dass er eine ziemlich lange Unterredung unter vier Augen mit ihr gehabt hatte, die er beinahe erzwingen musste,

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dessen Palast ganz in der Nahe lag; der Furst war eben ausgefahren.Nicht anders ging es ihm beim Fursten Andreas; er fand weder diesen noch einen seiner beiden Sohne. Richards innere Beklommenheit steigerte sich furchtbar; er wollte als rein korperlich, als Vorgefuhl einer herannahenden schweren Krankheit sie sich erklaren, denn er wusste nicht mehr woran er mit

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, so lange ich noch lebe; hernach magst Du es halten wie Du willst. Ohne Dich konnte ich ja nimmermehr zurecht kommen, mir musste ja sein, als ware die liebe Sonne vom

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zuruckgelassen, lag ubrigens in gewohnter Ordnung da, nirgends eine Spur von ubereilter Flucht; aus Allem ging hervor, dass diese Vorkehrungen zu derselben schon tage-, vielleicht wochenlang vorher getroffen worden waren; an Gewaltthat war hier gar nicht zu denken.Tausend

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mied, fanden wir ganz naturlich, denn was konnte er zu unserm, was wir zu seinem Troste beitragen?Jene Seitenthure, die Jegor erwahnte, ist ein in eine andre Strasse fuhrender Durchgang, das konnte er freilich nicht wissen, erwiederte Eugen ein wenig betroffen;

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, sich bewegen den Kranken zu besuchen; mochte aber ebenfalls, eben so wenig als seine Kollegen, einen entscheidenden Ausspruch hier wagen. Der Fall schien ihm indessen merkwurdig genug, um zu einem zweiten Besuche i h n zu veranlassen; er nahm Platz neben des ganz regungslos daliegenden

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Tiflis leider gar nicht gesehen, als ich auf Befehl unsers Kaisers, die noch viel zu wenig gekannten Gesundbrunnen bei Konstantinogorsk, besonders den Sauerbrunnen von Kislawodsk untersuchen musste; letzteren konnte man fuglich die Quelle ewiger Jugendkraft nennen.Doch schon um Kislawodsk herum, gleicht das Land

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und seine formliche Auflosung, die doch nicht ganz unbemerkt voruber gehen mochte, wird dadurch uberflussig. Gleich nach jener letzten grossen Versammlung, die wohl keiner jemals vergessen wird,

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wo ich leicht uberall hingelangen kann, wohin Schicksal oder eigne Laune mir winken. Wir beide treffen wahrscheinlich nie wieder zusammen, auch weiss ich nicht, ob dies wunschenswerth ware; doch werde ich Sie nie vergessen, und Sie mich wahrscheinlich auch nicht.

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keine Wunsche mehr. Nun bist Du von selbst gekommen; ich bin schon seit vielen Tagen in tiefer Verborgenheit hier, und habe immer Dein gedacht; es ist gut dass Du ohne mein Zuthun gekommen bist, es ist sehr gut.Schmerzlichst ergriffen warf Richard

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alles aus einander. Der Bund schien wirklich aufgelost; selbst Andreas konnte damals glauben er sei es, und mit gutem Gewissen zu Deiner Beruhigung Dich davon zu uberzeugen suchen.Er selbst aber konnte nicht rasten

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mit einer zweiten, bereit gehaltnen Kugel ein Leben zu enden, dessen Last er schon lange unwillig tragt; setzte Sergius seiner, freilich in ganz anderm Tone gegebenen Darstellung der Verhaltnisse des Kapitain Yakubowitsch hinzu.Und,

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zur Mittheilung trieb: dort soll Revue gehalten werden, doch wer sie halten wird? und uber wen sie gehalten werden soll? das ist ja eben der Spass dabei, davon lassen gewisse Leute sich nichts traumen. Die werden sich wundern! lachte er frohlockend in sich hinein.Dann erzahlte er sprachselig weiter,

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Kraft Beraubten wirken mag; lieber noch mochte ich einem hartbeangsteten Kinde ihn vergleichen, das, obgleich noch immer in drohender Gefahr schwebend, jubelnd meint, nun ware alles gut, weil es die Mutter kommen sieht.Auf

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Ankunft am heutigen Tage vorher gemeldet hat? obgleich er seine Familie durch dieselbe zu uberraschen Willens war. Doch halt! nun ich es recht bedenke, Du gehorst ja gewissermassen doch auch zu derselben; darum, darum! daran habe ich gar nicht gedacht!Richards

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vertraulicheren Mittheilung gunstige Stunde nicht nur unbenutzt voruber gelassen, sondern sogar jede Gelegenheit dazu vermieden ward, und litt daruber mehr, als in Worten sich ausdrucken lasst.Des Fursten Betragen liess ubrigens keine Abanderung seiner Gesinnung personlich gegen ihn befurchten; es schien im Gegentheil,

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Dienstag uber acht Tage gehalten werden sollte. Sie ist ganz aufgegeben, wird wahrscheinlich nie Statt haben, in diesem Jahre wenigstens gewiss nicht; antwortete der Furst und setzte gleich darauf im gleichgultigsten Tone von der Welt hinzu: jetzt,

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an Richard bestand hauptsachlich in der Versicherung, dass ganz gleichgultige, unbedeutende Ursachen, hauptsachlich der Uberdruss davon so unablassig sprechen zu horen, den Kaiser bewogen, jene Revue aufzugeben. Ubrigens setzte Sergius noch hinzu, dass er die feste Uberzeugung mitgebracht habe, dass Niemand weder in noch ausserhalb Petersburg an Verrath denke, und Alles so ruhig sei, als

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mordlustigen Frevlers dennoch auf mehr als blosser Einbildung beruhten? dachte er: Wahrscheinlichkeit spricht mehr dafur als dagegen, und wer wird bei gesundem Verstande den Fallstrikken eines eidbruchigen Verrathers sich nicht zu entziehen suchen wollen, so lange dieses moglich ist?Die edle grossartige Natur meines hohen Freundes ist freilich leicht zu betrugen, sie

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, und siehe es ist mir geworden; es geschehen deren taglich, nur wir erkennen sie nicht. Sie recht benutzen, kostet freilich zuweilen einen etwas hohen Preis; doch hier gilt kein Markten;

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selbst zu uberlassen. Konnen Sie wirklich glauben, dass unsre heutige Unterredung noch lange ohne sehr merkbare Folgen bleiben werde? und sollten nicht einige Ihrer ehemaligen Bundesbruder sich bewogen fuhlen, Ihnen fur Ihren Antheil daran, auf ihre eigne Weise, ihren Dank auszudrucken? setzte er noch hinzu, ehe er sich entfernte. Es

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wohlthatigen Zwecke gegeben worden war, und das noch immer, als hell leuchtender Lichtpunkt ihres kurzen einformigen Lebens, in der Erinnerung ihr vorschwebte. Nicht wenig entrustet, die bewunderte Kunstlerin, die damals sie entzuckt hatte, so verlassen mitten unter dem rohen Bediententross stehen zu sehen, eilte

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sich ein wenig auf Kundschaft zu legen, dessen abwesender Gebieter die allgemeine Aufmerksamkeit, wenn gleich ganz im Stillen, nicht wenig beschaftigte.Die Conversation wurde sehr lebhaft betrieben, ohne ein befriedigendes Resultat zu gewahren; einige einzelne, meistens im Militair vorgefallene Verhaftungen ausgenommen, deren Veranlassung noch nicht bekannt worden, war eben keine besondere Thatsache vorhanden. Im Aussern herrschte uberall scheinbare Ruhe;

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Restaurationen, kurz an allen offentlichen Orten war eine zahllose Menge, meistens aus den mittleren und diesen zunachst untergeordneten Standen versammelt, uberall horte er die neuesten Neuigkeiten des Tages besprechen. Noch fielen taglich in den angesehensten und beliebtesten Familien neue Verhaftungen vor, von denen er durch

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vollends mit eigenen Augen sehen, mit eigenen Ohren horen mussteWas ich lange vor Dir gesehen und gehort hatte; oder meinst Du wirklich, ich ware etwa taub und

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ihnen auch wohl wirklich fur ihn empfand. Keiner von denen, die bei seiner Erhebung ubergangen worden waren, erlaubte sich die mindeste Ausserung daruber, die ihm hatte missfallen konnen; doch Alle huteten sich dafur ihm naher zu treten, als gerade erforderlich war,

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gern im allgemeinen zu reden. Und das darf ich denn doch wohl behaupten, dass unsre deutsche Gesellschaft meistenteils ein wunderbares Gesicht macht, welches nicht schoner geworden ist, seitdem man die Tische mit den Markenkastchen entfernt, und

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"Was dergleichen kleine Torheiten nur gross schaden!""Was sie schaden?" sagte Wilhelmi. "Ich glaube, dass sie mit dazu beitragen, den Zustand allgemeiner Heuchelei hervorzubringen, der recht eigentlich das Kennzeichen unsrer Zeit ist.

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man sich gestehen mussen, dass ein Mann immer vor dem andern im letzten Winkel seiner Seele einen geheimen Widerwillen behalt. Auch in dieser Hinsicht sollten wir uns von unsern Mitgeschopfen nicht so weit entfernt glauben. Der Sozietatstrieb lasst sich nicht

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, und schien an dem gesitteten, wohlunterrichteten jungen Manne immer mehr Geschmack zu finden. Da er nicht leicht jemand unbenutzt lassen konnte, so brauchte er ihn bald zu verschiednen Expeditionen,

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die fruhere darin bestand, dass niemand oder wenige etwas wussten, so ist die jetzige wohl nicht minder beklagenswurdig, wo alle zu verstehn glauben, was kaum einer oder der andre uberwaltigt. Das ist eben das traurige Gefuhl, was man gar nicht los

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, wie lange wird das dauern? Ich werde Sie bald verlieren, ich werde bald wieder ganz allein sein. Der Mensch ist eine schwache Kreatur; es ist, als konne er den holden Schall menschlicher Rede nicht

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Gleichnisses nicht untersuchen, und es dahingestellt sein lassen, ob so wenig Mauer und Fundament geblieben sei, dass ein geschickter Baumeister nicht daraus ein neues Gebaude solle herstellen konnen. Aber das ist gewiss, der schonste Anblick wird

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Der Arzt verstand diese Gebarde, reichte ihr Geld, und sagte: "Ich meinte, Ihr hattet langer mit dem auskommen mussen, was ich Euch neulich gegeben hatte.""Es ware auch geschehen, wenn das Flammchen nicht so viele Schuhe durchtanzte", versetzte die Alte.

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auf die menschliche Seele zu machen, scheint mir leicht. Zum Beweise ihrer ewigen Dauer ist viel von ihrer Einfachheit gesprochen worden. Dabei wurde nur vergessen, dass derselbe Mensch unter verschiednen Umstanden oft als ein ganz andrer erscheint, dass

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, und dabei den Speer senkrecht im Bugel fuhren. Dann mussten sie in gleicher Weise, zwei Glieder tief und zwolf Lanzen hoch denn im ganzen hatten sich so viele Kampferpaare gemeldet rund um den

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Demnachst ritten zwei andre Vettern, welche Konrad und Bernhard hiessen. Deren Pferde blieben keineswegs stehen, schossen vielmehr, als ihre Herrn eben meinten, einander mit den Spitzen der Lanzen erreichen zu konnen, recht und links

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er Hermann entgegen, "den Undank beschreiben, aber so viele Federn ich schon fertig habe, ich denke doch, es sind noch nicht genug, und da schneide ich denn immer noch ein paar mehr.""Liebster", sagte Hermann, "was tun Sie hier? Wie war es moglich, dass

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, welche immer, gleich der eigengemachten Leinwand, die besten sein sollen. Nun sind denn endlich Seine Durchlaucht an das Regiment gekommen, da geht alles gross und staatisch zu, ich glaube, sie legen sich sogar mit ihren

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"Mein Auftrag geht dahin, reine Bahn zu halten", versetzte Hermann. "Ich hatte nicht ubel Lust, den Oheim dem Neffen folgen zu lassen. Das ist auch etwas, worin wir die Wilden unleugbar ubertreffen, dass

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vergeudet, erfolgt dann doch der Fall, so mochte in einem so ausgesognen Boden schwerlich wieder etwas keimen und reifen konnen, und es bliebe dann wohl nur die dumpfe Gleichgultigkeit ubrig, woraus zuletzt die Fertigkeit im Laster entsteht. Darum lehrt auch meine

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Quirlen einen moralischen Schwindel. Um sich einigermassen zu fassen, forschte er nach einem gemeinsamen Mittelpunkte aller dieser kurzen geistigen Wogenschlage, und fand denselben freilich da, wo er ihn am wenigsten wunschen konnte.Die Bewohner einer grossen Stadt,

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jeder die seinige in so schoner Gestalt wieder erblickte, dass dem eifrigsten Streite ein allgemeines Wohlbehagen folgte, die Sache selbst freilich unerledigt blieb.Empfand nun Hermann schon am ersten Abende uber diesen ihm neu gewordnen Verkehr die grosste Freude, so lasst sich wohl denken, dass sein Fuss bald ofter das Haus betrat. Binnen kurzem genoss er den naheren Umgang der beiden Gatten,

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das Kind vergessen. Wenn ich meine gute Meyer betrachte, und wahrnehme, wie sie ihr schones Vermogen in lauter Dingen vergeudet, von denen das wenigste einem gesunden Sinne eigentlich Vergnugen machen kann, so mochte ich glauben, dass

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harten Zwangslehrmeisterstelle berufen zu fuhlen, muss man sich fur das erste Volk der Erde halten konnen. Romer und Spanier taten dieses, erstere vom politischen, letztere vom religiosen Stolze getragen. Ohne

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man aus unbekannten Grunden am liebsten im Auslande finden zu wollen schien. Dies machte ihm die Sache noch anziehender. Man will behaupten, dass er aus der grossen Bibliothek damals mehrere Bande englischer Parlamentsverhandlungen und franzosischer Journale erborgt, und wenigstens angefangen habe,

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Theater zu reden, ward beinahe fur unanstandig gehalten, es stand in einer Art von Verruf, warum? liess sich auch nicht wohl begreifen; es war um nichts schlimmer, als manches andre, was in hohen Ehren gehalten wurde.

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. Das ware nun recht schon, wenn wir nur schon ein Vaterland, oder grosse offentliche Einrichtungen hatten. Aber alle diese erhabnen Trostungen zeigen sich bei naherer Betrachtung denn doch meistens als Schein, hochstens als ziemlich schwache Versuche.

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muss ich unsrer Freundin vollkommen recht geben, und wenigstens meinesteils auch so viel behaupten, dass wenn in unsrer Zeit eine eigentlich grosse Kunst entstande (was ich aber aus vielen Grunden fur mehr als zweifelhaft halte) diese mit der sogenannten byzantinischen eine starke Ahnlichkeit haben

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sich ihnen leicht in die Haare setzen konne, zuruckgehalten.Nachdem Wilhelmi seinen strengen Auftrag in der Stille ausgefuhrt hatte, und wir wieder zu unsern Sesseln in der Kunstkapelle gelangt waren, fuhlten wir wohl, dass fernere gesellschaftliche Freuden schwerlich geraten mochten, und wollten uns in

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ich wusste durchaus nicht zu sagen, wodurch ich die Veranlassung gegeben hatte zu einem begeisterten Verehrer oder gar Protektor der bildenden Kunste gemacht, wahrend ich mir bewusst bin, fur sie eigentlich kein Auge zu besitzen. Das

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Schone fast immer im Gegensatze zu der herrschenden Stimmung erwachst, welche dagegen ihrerseits das als vorhanden zu prakonisieren pflegt, woran es ihr eben ganz gebricht. Dagegen ging in jener glucklichen griechischen Periode das besondre Genie der Kunstler aus dem allgemeinen Talente der Nation hervor. Um

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seiner Stelle stand, die Stuhle fast uberall in ungerader Zahl vorhanden waren, Schranke und Sofas haufig schief gerichtet mitten in den Zimmern angetroffen wurden, konnte auf Flammchens Rechnung kommen, welche behauptete, das Gerate sei da, sich umherstossen zu lassen. Allein so manches andre bezeichnete das

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, aber gehalten und bewusst. Auf einmal fielen in einem ganz wunderbaren, raschen Tempo wirbelnde, schneidende Tone ein, und zuletzt sprudelte daraus ein Gewimmel von Lauten hervor, als wollten Rhythmus, Worte, Musik einander aufheben und vernichten, ohne dass gleichwohl die damonische Harmonie in

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und diesen zweiten Karl, diesen Erneuer des murbe gewordnen Weltstoffs werden unsre Augen leider nicht mehr erblicken. Was ist also das politische Leben unsrer Zeit? Eine grosse, weite, wuste Uberschwemmung, worin eine Welle sich zwar uber die andre erhebt, aber gleich darauf von ihrer

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Mittel, deren man sich bei diesem furchtbaren Verfahren bedient, sind mannigfaltig, jedoch laufen die meisten darauf hinaus, dass man entweder die Gegner zu unbedachten Schritten zu bringen weiss, oder

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herzlich ergeben sei, dass sie uberhaupt vielleicht nicht mehr in dem Sinne zu lieben imstande sei, wie die Welt dieses Wort nehme, am wenigsten einen Jungling, dass ihr ganzes Wesen vielmehr seine Erfullung nur in einem zweiten, reichen, gehaltvollen, durchgepruften Leben finden konne. Wenn

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ihn anders denken konnen, wie glauben, er konne die gewohnliche Gabe des Frohsinns besitzen, so erhaben wie er vor uns stand! O, er war ja nie finster, nie unfreundlich

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nicht dazu veranlassen," sagte freundlich lachelnd die Grafin, "nur gebe ich gerade jetzt meine Einwilligung dazu fast ungern ich sah Dich schon im Geiste mit der holden Lucile in Freundschaft verbunden, und freute mich gerade darauf, wie die lange trube Einsamkeit Dir so angenehm unterbrochen werden

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liess sie lieber schweigen, da es ihr uberdies schien, dass sie beide von ganz verschiedenen Dingen gesprochen hatten, die neben einander jedes wohl ihr gutes Recht behalten konnten, aber einander doch so

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das Hervortreten unserer abweichenden Gesinnungen zu verletzen wunschen, weil wir fuhlen, dass wir ihre Eigenthumlichkeit wohl verstehen und achten konnen, aber uberzeugt sind, die unsrige unverstanden und gemissbilligt zu wissen.Elmerice hatte mehr Worte, mehr Hoflichkeit in der kurzen Zeit verbraucht, als ihr sonst irgend zu Gebote war. Die leicht hervortretende Heftigkeit der guten Frau hatte sie erschreckt und nur daran denken lassen, sie in milder Stimmung zu erhalten; sie fuhlte im Augenblicke

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' nur erst selbst nach. Du wirst wohl finden, wenn Du erst suchen wirst, und nun Du ja, Dein Geschaft hat freilich nicht so die tagliche Aufsicht nothig, wie das meinige, mir wird es desto schlimmer ergangen sein, wenn ich nur erst wieder umher blicken kann."

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, und weiss, dass ich meinen Kraften besser vertrauen darf, als Ihr es annehmen wollt; darum lasst uns jetzt an nichts denken, als wie wir so leicht und gut, wie moglich, diese

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"Ihr kennt das ehrwurdige Geschwisterpaar wohl lange schon?" hob sie daher schuchtern an."Ja, ja, lange genug! seit ich hier uberhaupt bekannt bin, kenne ich sie

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als unter stolzen Anspruchen erzogen worden zu sein, die wenig zu der Nothwendigkeit passen wollten, sich spater in jeder Beschrankung des Privatlebens behelfen zu mussen. Er hatte sich jedoch zu fruh aus der Welt zuruck gezogen, um

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aber antworten konnte, fugte sie gegen ihren Vater hinzu: "Ich sagte Dir aber schon, lieber Vater, dass der Herr Graf gar nicht die Jagdzuge so liebt, als die andern Herren dort oben!"Niemals glaubte Leonin eine verbindlichere Einladung erhalten zu haben, und er fuhlte ein Entzucken,

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durch ihn finden. Was Reichthum war, verstand er erst, seitdem er gesehen, wie ernst und verstandig Vater und Tochter, was sie ubrig zu haben glaubten, mit denen theilten, die weniger hatten,

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dessen wir bereits gedacht, und augenblicklich erkannt, ihm musse ein ganz besonderer Eindruck gekommen sein, den sie unmoglich seinen Hausgenossen zuschreiben konnte und daher unter den Gasten suchen musste, von deren Anwesenheit dieser

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, er schien nur gezwungen sich dem Vertrauen Anderer hinzugeben, und indem er immer ablehnend war, fesselte er gerade das Interesse, zog dadurch an und schien eine grossere Sicherheit zu versprechen. Es war leicht zu bemerken, wie er gelegentlich, gleichsam zufallig, anzudeuten wusste,

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hatte noch nie daran gedacht, ihr Vater konne sterben, und so hatte sie immer eine neue Erklarung fur seinen veranderten Zustand, wenn Crecy zuweilen schonend den Versuch machte, sie auf den immer unvermeidlicher werdenden Ausgang vorzubereiten. Oft

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wirst das ja mit Gottes Hulfe lernen, mein theures Kind," sagte der Vater ruhig, "und anfangen musstest Du ja immer einmal, und ware es nach Jahren erst.""Ja," sagte Fennimor, "anfangen musste ich immer einmal, da hast Du Recht,

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beendigen, mitten inne stehen, einen verzweifelten Sprung gerade hinein welches leicht den Anblick eines kraftigen Entschlusses gewahrt und oft, so weit davon entfernt, bloss das Uebertrennen der inneren Schwachen verrathen konnte!" Der junge Graf war gewiss mehr im letzteren

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ich mir immer gedacht, ein Freund, der daher kame, zeigte grossere Weisheit; denn Ihr sagt so wenig von den schonen Dingen, die man begreifen kann, dass sie dort geschehen, und dagegen viel Unverstandliches. Es muss dort ganz anders sein,

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Du es nennst, ist noch eine ganz kleine, darum muss ich eben die andere dazu kennen lernen, wenn ich Gottes ganze Herrlichkeit begreifen soll und die Welt, worin Deine Mutter herrscht, die ist eben die grosse wichtige, wo die Konige leben und das Volk in den unermesslichen Landern! Darum denke ich an

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"ja, ich konnte es denken! Sie sind da oben durchaus anders, wie wir, und immer waren sie mir nicht gut genug; aber wir wollen sie lassen die haben mich nie erzurnen konnen, sie waren so klein, so ungeschickt und konnten nie verstehen, wie

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Thurmzimmer, rohe Wande, gepflasterte Fussboden und die kleinen Schiessscharten-Fenster, die wenigstens Landschlosser nicht entbehren konnten.Die fluchtige Besichtigung erregte wegen der erloschenen Erinnerungen, die uberdies in einem frommen, tugendhaften weiblichen Leben selten durch hervorragende Situationen sich lange dem Gedachtnisse der Menschen einpragen, wenig Interesse. Aber sie gewannen in der Betrachtung erst ihren Platz,

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durch einige mehr oder weniger gluckliche Nachahmungen des Versailler Hofes zu legitimiren sucht. Es entstehen jedoch daraus viele Missgriffe, die oft ausserst lacherlich werden; denn zu den erhabenen Formen,

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auch dieser rohe Kampf seine Ordnung findet und das Individuum seiner Zeit dienstbar darstellt, als unterliegendes oder siegendes Mittel neuer Erkenntniss. Wir sollten vielleicht mit eben so leidenschaftsloser Betrachtung diesen Zustanden folgen, als wir den grossen Eruptionen der Natur gegenuber bleiben, welche

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in Frankreich hangen sich die erstaunenswerthesten Erscheinungen, die vielleicht zu voreilig mit ihrem personlichen Einflusse bezeichnet werden, um ihr gerecht sein zu konnen; da sie von der Zeit eben so fortgerissen ward, als sie der zeit den Einfluss uberlassen musste,

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hier ein junger Mann in einfacher geistlicher Tracht, "erst richtig zu denken? Wie Viele mogen den Vorzug besitzen, richtig zu schreiben, ohne einen einzigen Gedanken so ausdrucken zu konnen, wie Madame de Sevigne

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eine Beleidigung unmoglich haltend."Vollkommen richtig bemerkt, mein lieber Salignac!" sagte die Grafin daher, schnell gefasst: "wer hatte hieruber zu entscheiden mehr Recht,

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Herz so tief getroffen, dass Hilfe zu spat kommt, furchte ich. Ich bin offentlich lacherlich damit gemacht, verachtet und dem Hofe bloss gestellt. Denn schon hatte sich das Gerucht dieser Ehre verbreitet, und ich hatte Gluckwunsche daruber empfangen. Wollte Gott, ich ware weit weg von

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"Euer Majestat wussten immer vollkommen richtig, so wichtige Angelegenheiten zu leiten. Ich denke die Namen unserer gleich alten Hauser haben sich stets gut nebeneinander ausgenommen, und ich war stolz darauf, sagen zu konnen: diese

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Spanien, ward von allen Personen, die ihr naher standen, mit der grossten Hingebung geliebt, und rechtfertigte durch ihren sanften und edeln Karakter vollstandig diese Empfindung. Sie wurde schon gewesen sein, ware sie grosser gewesen; denn ihr Gesicht ward bloss durch etwas zu starke Lippen,

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auf dem gefahrlichen Boden so lange gelebt, und Souvre wusste das besser, wie er. Was eben schonungslos vor ihm beim Namen genannt werden konnte, war in vielen kleinen Anklangen ihm schon langst verstandlich geworden, daher uberraschte es

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," sagte Fennimor, deren alte Energie, noch von korperlicher Schwache gebunden, schnell erschopft war, plotzlich weich und gebrochen in sich zusammen sinkend, "Du hast Recht, das ist eine gar verkehrte Welt, in der das schwache Weib ihren Herrn schilt! Wie hatte ich daran gedacht, als

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mit so grossen Kosten gefuhrte Krieg, der die edelsten Stutzen der Nation sinken liess, und das Land seiner kraftigen mannlichen Jugend auf so lange Zeit beraubte, sank augenblicklich zur Nebensache herab, als Ludwig seinen beruhmten Feldherren die Erringung der grossen Erfolge ubertrug, die sie unsterblich machten. Die

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Inneren zu verbergen, die anfanglich bloss dem ungemessensten Zorne angehorten, spater durch die Besorgniss um ein Ungluck verstarkt wurden, die immer wahrscheinlicher, immer drohender in ihr aufstieg und den Triumph ihres stolzen Herzens anfing zu entkraften. Der letzte Augenblick nahte

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derselben nicht massig und vom Verstande geleitet bleiben, sie leicht ihre mogliche Zufriedenheit noch mehr bedrohen, wenn sie die erwartete Erwiederung nicht findet. Und dennoch, selbst wenn Sie lacheln sollten ich mache es jeder

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," sagte die Herzogin "das nenne ich vernunftig gesprochen. Man kann oft Ihre absonderlich auffallenden Handlungen gar nicht begreifen, wenn man hort, wie verstandig Sie sich zu aussern wissen."Leonin hatte wahrend dieser Worte

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, als sei sie hier allein.Reginald erblickte Ludwig mit Katharinens schonen Frauen beim Brettspiele; heftig erregt, suchte er zu ihm zu kommen; aber die Luft schien in schweren, hindernden Schichten zwischen ihnen zu liegen; er konnte ihn nicht erreichen. Dagegen stand er mit

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. Immer jedoch, Madame, komme ich darauf zuruck, dass wir diesen jungen Menschen reizen werden, Alles zu sagen, was er irgend hervorbringen kann.""Und ich zweifle nicht, dass dies Geschwatz eines unbekannten Menschen, der so sehr verdachtig ist durch

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der Schwelle stehen, das leichte Gewand des Busens hob sich so hoch, so schnell; wir wissen nicht warum. Dann glitt sie leicht uber den leichten Boden und blickte auf das schone Engelsbild, das, tief schlafend mit dem Ausdrucke eines lachelnden Kindes,

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Manieren und konnen so hubsch um den Berg herum gehen; da kann unser eins nicht mit, der immer gewohnt ist, offen und gerade aus zu gehen.""O," sagte Elmerice "versundigen Sie sich doch nicht aufs Neue durch so arges Misstrauen gegen mich! Sie wissen ja durch den

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widerstreitender Nahrungsmittel zusammen.Nachdem der angenehme, kleine Lachschauer voruber war, erklarte Margot, diese neue, grausame Spotterei habe ihr ganzlich ihre schone Morgenspeise verleidet; Leonce konne daher anfangen, wenn anders seine wilden Gebrauche, die unschuldigen Thiere des

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aber wir finden zugleich, dass wir ihm nicht geben konnen, was ihm fehlt, und haben langst beschlossen, ihn Dir zu uberantworten. Da Du ihn nun so scharf beobachtet hast, so zweifle ich nicht,

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," sagte Veronika; "aber ich weiss wohl, wie es hier steht; man darf nicht viele Versuche machen; doch, hoffe ich, geht es Ihnen gut.""Ja, gut! Gewiss, sehr gut! sagte Elmerice bewegt;

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.Aber diess war freilich ein grosser Entschluss, den die edle Franziska trotz der Aufopferungen, deren sie fahig war, doch nicht ohne eine grosse, innere Bewegung fassen konnte, und von dem sie eben so lebhaft wunschte, er mochte ihr erspart

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Eindrucken, denen Du hier unterworfen warst. Du hast, ohne liebevolle Warnung und ganz selbst uberlassen, Dir ein kleines Martyrium von Pflichtgefuhlen geschaffen; das entfernt uns immer von dem naturlichen Leben und macht uns einseitig und verringert die wahre Liebe des

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das Auge vermag nicht des Grundes unendliche Folgenkette zu ubersehen. Aber willst du auch dies nicht bedenken, du kannst doch nicht verloren nennen und dahin, was so machtig auf dich wirkt; dein eigen Geschick, die Gegenwart bewegen dich so

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danach fur toricht gehalten, heute wunsche ich schon, die Verbindung mit der Geisterwelt ware moglich, ja mir deucht, ich ware geneigt, sie glaublich zu finden. LEHRER. Mir deucht, die Manen des grossen Gustav Adolf haben deinem innern Auge zum

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ich Dich sollt hier lassen mussen und in eine andre Welt gehen, ich kann mir nicht denken, dass ich irgendwo ohne Dich zu mir selber kommen mocht. Der musikalische Klang jener Worte aussert sich wie

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ein Lied singen zur Gitarre, das sie als zuweilen vom Fenster gehort habe, das erschreckte mich sehr, denn der Herzog stand dabei und zog den Mund so kurios zusammen und sagte, er hab auch meine Stimme gehort, sie sei sehr schon; ich hatt gern ausgewichen, aber ich fuhlte, dass es unschicklich war,

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hat einen gemeinen Charakter und ist ohne Klang, kannst Du nicht lieber in den reichen deutschen Ausdrucken wahlen, wie es der reine Ausdruck fordert. Vorgehet, ereignet, begibt, geschieht, wird, kommt; das alles kannst Du anwenden, aber

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ich mocht wohl auch hin. Er sagt, es wurde dem Holderlin gesund gewesen sein, ich mocht wohl, ich darf nicht. Der Franz sagte: "Du bist nicht recht gescheut, was willst du bei einem Wahnsinnigen? willst du auch

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das Instrument hervorbringen kann. Warum doch der Mensch erst singen lernen muss, wahrend die Nachtigall es so rein, so ganz ohne Fehl versteht, tief ins Herz zu singen, ich hab noch gar keinen Gesang gehort von Menschen,

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"C'est fort singulier, monsieur, de se figurer la figure de Dieu avec un visage humain, comme celui-la est fait pour des besoins et des fonctions terrestres auxquelles Dieu ne doit avoir aucun rapport, en raison de sa force et de son grand courage le monde entier devrait s'en aller en poussiere si par exemple le bon Dieu s'amusait une seule foix a eternuer de bon cur."

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, und lasse uns einstweilen Priester und Laie darin sein, ganz im stillen, und streng danach leben und ihre Gesetze entwickeln, wie sich ein junger Konigssohn entwickelt, der einst der grosste Herrscher sollt werden der ganzen Welt.

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, also erkennt der Mensch, der seinem offentlichen Tun zusieht, wie schlecht er es anfangt, oder auch wenn er's gut macht, wie gross er selber sein konne. Dann steht grade der Konig so, dass ihm allein gelinge, was kein andrer vermag, ein

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ich auch dafur an diesem harten Fels keine kleinste Welle Deiner brausenden Lebensfluten sich brechen lassen. Er steht trocken und unbeschaumt von Deinen heiligen Begeisterungen, so kannst Du auch unbekummert darum Dein Leben dahin fliessen. Ich weiss, dass es Dir weh tut, weil

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und Tapferkeit mussen einander unterstutzen. Ach, in unserer Religion soll die Tapferkeit obenan stehen, denn wenn wir nur daruber wachen, dass wir kuhn genug sind, das Grosse zu tun und die Vorurteile nicht zu achten, so wird aus jeder Tat immer eine hohere Erkenntnis steigen,

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Es ist schon drei Uhr, wenn ich so fortschreib, ich glaub, ich bracht allerlei kuriose Sachen heraus, die mich selbst verwundern. Ich wittre schon den Tag, mein Licht brennt ganz nuchtern. Ich sollt schlafen gehen, aber

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und die ganze Menschheit auf Dich genommen hast und willst sie lassen von der Luft leben und bildungslos dahertappen und willst nichts Gekochtes mehr essen, von lauter rohen Mohrruben und Zwiebel leben und die

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vom Inhalt gesprochen oder ihm gar mitgeteilt hat, dann weiss ich gewiss, dass mich der Clemens lang ansehen wird und wird mit Fragen hintenherum kommen, ich weiss gewiss, er wird allerlei Kuriosigkeiten fragen und so lang uber mich

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Du mir bisher alles allein gegeben hast, und ich hab nie die Stimme in meiner Brust konnen vor Dir laut werden lassen; da dacht ich, wenn ich fern von Dir war, da wurd ich in Briefen wohl eher zu mir selber kommen, weil das vielfaltige, ja das tausendfaltige

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war Schleiermacher ewig gottlich und der erste grosste Geist." Da dacht ich, wenn ich von Dir fern war, da wurd ich in Briefen wohl Dir die ganze Tiefe meiner Natur offenbaren konnen Dir und mir; und ganz in ihrer

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dann ins rechte Geschick kommen wurden. Die Menschen lernen dann allmahlich auch das Rechte denken, wenn sie erst eine Weile das Rechte haben tun mussen. Denn ich sage nur immer so: konnten sie so

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die Bonaparte einschlucke: "Ce n'est pas du bon style que d'avaler de si gros mensonges, la veracite est le seul moyen de cultiver la nature humaine; pour la grandeur il y fait faute, il n'a point le sens celeste pour l'avenir pour lequel seul s'immolera un grand cur; il est le grand monstre de la mediocrite encombrant un monde qui s'ignore

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ce n'est que l'achete que de nous soumettre a une tyrannie, qui a recours aux moyens puerils dont se sert Buonaparte pour captiver une nation qui a sacrifie son meilleur sang pour la liberte. C'est une juste punition pour avoir attente au sang inviolablement sacre des rois, que de n'avoir pas reconnu ce que le grand genie de Mirabeau nous avait prophetise. La revolution faite, la premiere des lois etait d'honorer la loi, mais point cet expedient des tetes bornees, qui pour maintenir leur

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trembler; il faut gagner les curs, et puis c'est si facile! Le peuple est deja reconnaissant si ses superieurs ne lui font pas tout le mal qui est en leur pouvoir; ce n'est que la betise, qui punit, la veritable grandeur previent les fautes; c'est abuser du

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autrement, il est maladroit de ne point se servir des hommes tels qu'ils sont, c'est la sagesse qui est souveraine, elle exploite le bien du mal, mais non pas en tranchant les tetes!!

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Zeit, stehe die furchtbare Muse der tragischen Zeit; und wer dies nicht verstehe, meinte er, der konne nimmer zum Verstandnis der hohen griechischen Kunstwerke kommen, deren Bau ein gottlich organischer sei, der nicht konne aus des

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jener Hohe entwickelt, zu der er ursprunglich berufen war das will ich nicht widersprechen, denn Du kannst recht haben; namlich, Du kannst recht haben, dass es ein hoheres musikalisches Gesetz gebe, dass

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es komme drauf an, wie hoch eine Beleidigung aufgenommen werde; man solle keine starkere Schuld dadurch auf andre walzen, Verzeihung sei Aufheben der Schuld, und Gott sei versohnlich durch menschliche Grossmut. Der Grossvater habe gesagt: "Was dir geschieht, das rechne fur garnichts!" Keine Ruge gilt etwas, sie sei denn zum

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jetzt und vielleicht spater noch ein grosses Interesse gewahrt, besonders wenn es Dir gelange, es mit dem Dir so eigentumlichen Geist des unmittelbaren Mitfuhlens niederzuschreiben, das alles sehe ich recht gut ein aber ich bin dennoch nicht entschieden, ob ich Dir dazu raten soll;

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von irgendeinem unschuldigen Kopist abschreiben zu lassen, so hattest Du als Nebenarbeit und wahrscheinlich viel vollstandiger und gelungner, wozu Du vielleicht vergebliche Anstalten in Frankfurt machen wurdest das ist meine Meinung, jedoch will ich nicht damit einen Machtspruch getan haben. Leb wohl!Caroline

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dem Tisch lagen. Ich tat, als sei ich begierig, sie zu sehen, bloss um mit Anstand noch bleiben zu konnen; denn je langer ich ihn ansah, je mehr fuhlte ich mich angezogen und doch schuchtern, und der Weiss hatt mich gewiss nicht der

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mein Gesicht scharfer und mein Gefuhl sehr zum Vertrauen geneigt. Du kannst wohl denken, dass es der Muhe wert ist, mit ihm zu reden; denn sonst war ich darauf nicht gekommen, ihm so was zu sagen. Er sagte: "Die sichtbare Welt ist

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so wurde dadurch ihre geistige Wirkung verloren gehen.Der grosste Meister in der Poesie ist gewiss der, der die einfachsten ausseren Formen bedarf, um das innerlich Empfangne zu gebaren, ja dem die Formen sich zugleich mit erzeugen

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dass Jugend ja ein ewiger Lebensanspruch ist, wer den aufgibt allein, atmet nicht mehr auf, er lasst den Atem sinken. Ich weiss nicht, was Du Jugend nennst? Ist's nicht jugendlich, den Leib dem Geist aufopfern?

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ich nicht kenne, und die ich uberrascht anstarre, und die statt jener befreundeten mich nicht zum besten behandelt, ich mochte wohl diese Seelen zu zergliedern und zu ordnen suchen. Aber ich mag nicht einmal an alle seine Seelen denken, denn eine davon hat mein

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sich heben konnt und ganz frei ausdehnen. Ich hab oft daruber gedacht, dass Musik so leicht und gleichsam von selbst sich melodisch ins Metrum fuge, die doch vom Verstand weit weniger erfasst und regiert wird wie die Sprache, die nie ohne Anstrengung das Metrum des Gedankens ergrundet und entwickelt. Die

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jetzt fremd glaubst, wurde seine innere Verwandtschaft zu Dir geltend machen. Du hast Wissenstrieb ohne Bestandigkeit, Du willst aber alles zu gleicher Zeit wissen, und so weisst Du keinem Dich ganz hinzugeben und setzest nichts recht durch, das hat mir immer leid an Dir getan. Dein

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auf alle ubrigen schliessen. Es mag wohl sehr wenige Menschen geben, die dies konnen, und ich wohl mit am wenigsten. Jetzt denke ich, es sei gut, den Clemens zu betrachten, und erfreulich; und

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ich nun schon so alt sei und noch gar nichts gelernt, so wurd ich wohl das Jungsterben bleiben lassen mussen, oder lieber gar nichts lernen.

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mir da oben in den Sinn kommt, Dir auch recht sein mag, aber ich geh doch hinauf nein, es treibt mich hinauf, wie der Wind da oben als geht, das glaubst Du nicht, er konnt einen gleich forttragen,

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Anstrengung zu danken zu haben, dass ich wohl begriff: dies sei die einzige gottliche Gewalt in uns, uns zu freien Naturen zu bilden, namlich, alles aus eigner freier Anstrengung zu erwerben, und

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seiner Unwissenheit daruber gejubelt, und in Dir sei grosse Begierde gewesen, zu ihm aufs Schafott zu gelangen, aber der Streich sei gefallen noch kurz vorher, wie Du eben glaubtest, oben zu sein. Du kannst den Traum nicht vergessen haben,

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Wurdigste zu tun darbietet, und das einzige, was uns zu tun obliegt, ist, die heiligen Grundsatze, die ganz von selbst im Boden unserer Uberzeugung emporkeimen, nie zu verletzen, sie immer durch unsre Handlungen und den Glauben an sie mehr zu entwickeln, so dass wir am End gar nicht mehr anders konnen, als das ursprunglich Gottliche in uns bekennen. Es gibt gar viele Menschen, die grosse Weihgeschenke der

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er wieder gesund, einundsiebzig Jahr ist er alt, aber mir wird er gesund bleiben; wenn wir dies Fruhjahr zusammen auf dem Trages sind, Savigny meint, Du werdest hinkommen, dann wollen wir ihm zusammen Briefe schreiben, nicht wahr? Und recht heitere, dies wird der letzte lange Brief sein,

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Fabeln und grosse historische Sagen vor meinem Blick. Das machtige Kind der Tauben, die hohe Semiramis, fand sich plotzlich als Konigin von Babylon. Eine grosse und schone Stadt, doch zu klein und unbedeutend fur ihre schaffende Phantasie. Ihre ganze Seele ward trunken, als sie den grossen Schatz des Goldes, die unermesslichen Reichtumer in

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"Die letzte Ausserung, werte Freundin", sagte er dann lachelnd, "werdet Ihr ebensogut begreifen, als ich selber. Wie vielen Verdruss haben mir meine Feinde, vorzuglich die Partei der Medicaer erregt, weil sie mich mehr als einmal beschuldiget haben, dass ich mit verschiedenen Anfuhrern der Banden in Verbindung stande, um

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mit den feinen Manieren eines Weltmanns sagte dann schmeichelnd, wie er seit lange gewunscht, die beruhmte Accorombona naher und personlich kennenzulernen, deren Ruhm durch ganz Italien verbreitet sei: er fuhle sich uberrascht, dass

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, des beruhmten Orsini Paul Giordano, der sich schon in verschiedenen Feldzugen ausgezeichnet hat, wie Ihr wissen werdet. Diese Dame ist vielleicht die schonste unsers Hofes; sehr viele erkennen ihr den Preis vor unserer beruhmten Schonheit,

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wild wie immer. Deshalb wird auch schon allenthalben laut geschwatzt und vielerlei erzahlt: und er selbst soll gar nicht einmal widersprechen, sondern gleichsam durch sein Stillschweigen alles zugeben: dass er sie namlich im einsamen Zimmer mit eignen Handen erwurgt,

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haben sie dahin gebracht, dass sie keine Kinder mehr gebaren kann, und dennoch hat sie schon im vorigen Jahre meinem Bruder einen Sohn untergeschoben, das Kind armseliger, unbekannter Eltern. Francesco ist glucklich und glaubt der Betrugerin alles. Von verschiedenen Ammen waren schon seit Monaten

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ihr Gesetze nennen wollt! Alles, was sich losreissen kann, was der Freiheit geniessen will, kommt zu uns, und fruher oder spater muss unsre Gesinnung die im Lande herrschende sein, aus unserer Kraft muss sich neue Verfassung, ein besseres Vaterland entwickeln, und die schlimmern Rauber, die engherzigen, kluglich Eigennutzigen,

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; "mochte mir die Schwester die schonen Ottaven oder Sonette nicht ebenfalls mitteilen, damit ich die Erfahrung machen konne, ob mein Gemut vielleicht weniger nachgiebig ware?""Du wurdest diese Verse doch nicht begreifen", sagte Vittoria kalt, stand auf und

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die den ubrigen Menschen nur unbedeutend erscheinen, und an denen sich die Berauschten entzucken.Endlich sagte Bracciano: "Und du willst dies Elend noch ferner so ruhig mit ansehen, in welchem wir beide verstrickt leben? Es ist dir nicht moglich, einen grossen, herzhaften

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? Und wofur? Weshalb? Hat sie je Rang und Grosse auf niedrige, oder gar schandliche Weise zu erringen gesucht? Ihr ganzes Leben mit allen seinen Aufopferungen spricht fur das Gegenteil. Ich darf wohl daran erinnern, denn die Sache ist ja stadtkundig, wie weder ich noch sie den Bewerbungen jenes jungen, reichen und machtigen Luigi, der sich sogar Gewalttatigkeiten erlauben wollte, nachgab oder entgegenkam. War

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sie zittern mussten, offentlich so schimpfliche Abbitte tut, indem er diejenigen seiner Diener schmahlich aufopfert, die nichts getan haben, als seinen Befehlen Folge leisten.""Es ist nichts mehr daruber zu sprechen", fugte Borromaus hinzu: "

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seinem Namen regieren zu konnen. Einige gaben in der Uberzeugung nach, er sei so alt und krank, dass er unmoglich lange leben konne, und dass also der Stuhl bald wieder erledigt sei, und ihnen eine neue Hoffnung aufgehn

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in Dir bilden und Gott selbst dafur Rechnung stehen und mit der ganzen Harmonie der Gefuhle dafur dankbar sein. Es ist dem vorzuglichen Menschen gewiss sehr leicht, alle gewohnlichen Forderungen zufriedenzustellen, bequeme Dich ein wenig nach der

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denn die meisten Menschen verstehen das nicht und ehren es daher nicht. Du kannst so nur Dir und auch mir grossen Schmerz ersparen, weil es weh tut, wenn das Bessre in uns misshandelt wird durch den Unverstand. Lebe wohl! Sei recht fleissig am Ofenschirm, damit er bald fertig wird,

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ins Wort fallen kann, noch ehe Du's gefunden hast, wurde ich Dich wohl auch nicht so gut verstehen von so weit. Und dann ist's ja auch ein Kunstinteresse, sich voll und bundig ausdrucken zu lernen. Der Schreiber muss zugleich an sich

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, was andre Leute wohlerzogen oder gebildet nennen. Ach, und Du meinst, ich konnte diesen Anstandsforderungen genug tun? Ach, Clemens, weisst Du, dass mich dies alles ganz dumm macht? Ich verstehe entweder Deine Briefe

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ist auch recht lacherlich ich will Dir die derbsten Ausdrucke von der Tante ihrer Merkuriale ersparen, sie meinte nur, ich sei verloren, fur ein besseres Dasein verloren, ich habe mich ganzlich weggeworfen! Vous n'avez point de pudeur, point de respect humain, on vous trouve balayer la rue main en main avec une juive!

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, ich konnte nicht anders. Du weisst, ich furchte die Tante und mag sie nicht gerne beleidigen oder reizen! Cachez vous devant le monde, qu'on ne lise point sur votre front les deshonorants signes de votre effronterie.

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ihrem Fenster pflegen und Absenker machen und endlich einen ganzen Flor daraus ziehen, die auch wohl ein Myrtenbaumchen zur Blute bringen, aber kein Kranzchen daraus winden. Es war auch schade, meinte sie heut morgen und lachelte.

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doch ein kleines Fleckchen rein und schon zu machen gewusst. In dem kleinen Hof steht ein Baum, um den herum haben sie sich ein ausserst niedliches Gartchen gebaut, so gross wie ein grosser Tisch, in diesem Garten nun stehen Butterblumen, Veilchen, Buchs und dergleichen, gleich daneben haben

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jeder Raum gleich nah ist. Jemehr Du mir ahnlich fuhlst, wo ich gut fuhle, jemehr Du mir ahnlich denkst, wo ich gross und edel denke, je mehr bist Du mein Freund, je naher bist Du mir, auch liebe ich nicht

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ihm zu achten. Es ist aber noch mehr und ein viel grosserer Irrtum dabei. Namlich die narrische Idee, dass Leben enden konne, Leben kann wohl verlassen, was nicht vermag, Leben zu fassen, aber es kann nie enden. Und kurz, ich finde diese Anstalten furs ewige Leben so, dass es Reissaus nehmen muss vor

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und die wegen der Batterie vor die Tur gesetzt wurden. Gestern haben wir den letzten Herbst gemacht, nur noch die Winterbirnen hangen, von denen meint die Grossmama, wir wollten sie hangen lassen, bis erst Reif kommt, der war heut nacht, und

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hat sie gesagt, "sentez donc combien en voyageant votre ame et votre fantaisie se developeront et puis vous serez avec moi, je vous aimerais, et vous comprendrez, la vie, le monde, la nature tout

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, die immer nur fur andre sorgt, wurde gewiss sich selber Aufopferungen zumuten, um Dich zu befriedigen, und fuhl ich Dich recht heraus, so gluhst Du eigentlich vor Sehnsucht, mit der de Gachet in das fremde Land zu ziehen, und das verdient dies gottliche Weib.

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aber dem ganz freien, gebildeten Menschen ist die stille Betrachtung erlaubt, den bloss praktischen Menschen zu verachten; wenn er spricht: "Ich triumphiere" denn triumphiert ein geboren Tauber, der geigen will,

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jetzt sehr zerstreut und kann gar solchen Anteil nicht mehr dran nehmen; obschon es mich immer dahin bringt, dass ich an die Zukunft denken muss wie an einen grossen freien Plan, auf dem die Welt ganz unabhangig von Meinungen und Willensstreit sollte neu geboren werden und

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des Unheiligen darin ist zu stark, und die ihm widerstehen, die werden darin untergehen. Das Grosse zu bewirken kann man immer nur die heiligsten Mittel ergreifen, wo aber zum edelsten Zweck ein unheilig Mittel dient, da ist er verloren und erzeugt nur Ubel", sagte sie. Sie war so schon vom Feuer

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ich doch dumm von ihm reden; er hat mich spater auch auf die rechte Wange gekusst und hat mir gesagt, wie schon und edel ich weiss es gar nicht mehr, was er gesagt hat, denn ich war zerstreut, denn

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fur so kleine Tiere, aber es sei dennoch wahr; ich glaub's, warum soll er es nicht besser wissen, da er diese mit so grosser Liebe beobachtet, das heisst mit Geist. Die Leute sind wohl auch so dumm zu glauben, ein

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kam mir immer vor, als sei es recht artig, eine gewisse Ruhrung bei unschuldigen Dingen zu empfinden, ja zur Not konne man auch sagen, es war mir, als musse ich es umarmen, aber es wirklich zu umarmen und noch gar dabei in wehmutigste

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Offenbach freundlich dafur ansehen und Dir danken, dass Du an ihn geschrieben hast. Drum, er konnte auch nicht umhin, er muss Dir gleich recht warm gluhende Antwort geben. Ein

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soll sich bewegen lassen darauf einzugehen. Das wird recht schon sein, wenn ich mir denke, es sei alles wahr, dann werde ich mir die lieblichsten hinreissendsten Szenen zum Kussen malen!Hast Du was gedichtet, geschrieben, schicke

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Menschen kaum starker glauben darf als an die seinige, so ware es toricht von mir, naher zu untersuchen, ob er ganz recht hat, mich nur grade so zu lieben und nicht mehr; er hat sicher recht und damit holla! Eines fehlt uns, liebe Bettine, und mir mehr als Dir;

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kann man behaupten, zur wahren Schonheit des Gemuts gelangt zu sein, wenn kein guter Mensch unbefriedigt von uns geht. Ich weiss nicht, Bettine, warum es mich so unendlich unmutig macht, wenn ich Tratschereien uber Dich hore, aber ich glaube, es

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den nur dabei gehabt, so war mein Brief schon langst bei Dir angelangt. Ich hab der Gunderode davon gesagt und hab ihr (es mag Dir vielleicht nicht recht sein) Deinen Brief ganz vorgelesen. Sie sagte, der Clemens spielt in einer

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diesen Schatten wirft, da seit einem langen Monat Du nicht geschrieben hattest. Du musstest mir immer etwas zu sagen haben, aber Du vergisst mich gewiss einmal ganz. Andere mogen mir wohl gut sein, aber herzlich geliebt, scheint mir,

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begehrender, je wunschevoller aber unser Herz ist, je grossere Pflicht liegt uns ob, uns zu bilden, je ruhrender uns die Liebe anderer zu empfinden und anzuschauen ist, je mehr mussen wir das

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nicht zu wissen tust; und ein fur allemal will ich von diesem Heiligtum ganzlich ausgeschlossen sein! Und zweitens Deine Warnung vor aller mannlichen Gesellschaft! Die Gunderode sagt zu mir, sie kenne keine mannliche Gesellschaft, ausser die meine. Ich, lieber Clemens, kenne auch keinen mannlichen Umgang als

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ich Dir immer gepriesen, wirklich liebtest, wenn Du Dich dem eigentlichen Wesen der Kunst und Poesie hingeben wolltest, so wurdest Du Ruhe, Friede und Gluck geniessen, ohne Dich den andern zu entziehen; Du wurdest als wahr empfinden, was ich Dich immer gelehrt habe,

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seiner Entschuldigung sagen kann. Die kleinen Cochonerien, die es enthalt, habe ich genau nach dem ubersendeten Plan verfasst und mir darin keine Freiheit erlaubt! Soeben erhalte ich Euren Familienbrief, worin Ihr noch viele Umstande vorbringt von Theater und dergleichen, was

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ich sonst gar nicht an Dir gewohnt bin, Deine Unruh treibt Dich auch umher, vielleicht ist das schone Wetter dran schuld. Bis den Sonntag werde ich gewiss bei Dir sein, lebe wohl.ClemensVon Minchen Gunderode hast Du lange nicht geschrieben; wenn

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sie uns geben, so sind sie in eine neue Sphare geboren, und auch sie sind unsterblich durch den Begriff, der sie immer weiter erzeugt! so ist's gewiss, dass sie eine Sprache fuhren, die ganz mit unsern Empfindungen verwandt ist, sie reden also mit

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ich Dich je liebte, ich fuhle immer mehr, dass Du mein Herz genahrt und erhalten hast. Du hast mich zu dem Menschen erzogen, den meine Geliebte achten und lieben muss, ohne Dich ware ich verzweifelt am Leben

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fur die besten, die edelsten gelten, nur Boses von mir zu sagen wussten oder ahnten, und doch hast Du das nie in mir gefunden! Nicht wahr, liebstes Kind, das hast Du nie?

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uberm Rheine nennt, oder die Fortsetzung-folgt-Romane, wie man sie nennen sollte, sind nur fur grosse Kinder geschrieben, zu denen man sagt: Heute war's gewiss schon, morgen wird's aber doch noch viel schoner werden!Also Das nicht, lieber Leser!

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dem Spiele steht! Ich will nicht sagen, dass ich er lenkte dabei freundlicher ein zu Hause aus unserm Staatsschatze diese zwanzig Thaler nicht wieder erganzen konnte ...Das kannst du? rief Dankmar. So gunstig steht die Bilanz

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Schlurck, ausserordentlich geschmeichelt und gleichsam glucklich, einen Bundesgenossen gegen den jungen Tischler, der ihn schon lange zu necken schien, zu finden, schenkte, um die Schaumung recht frisch zu geben, noch

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, nicht sehen, nicht horen, nicht sprechen zu konnen! Welche langen Kampfe des Gemuths gehoren dazu, bis der unheilbar Kranke, der ewig liegen muss, sich nicht mehr frei bewegen kann,

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's so nennen wollen! sagte der Fremde; ja! Hatt' ich mich wach gezeigt, so wurd' ich dem Manne haben sagen mussen, warum ich nicht von ihm zu trinken annehmen wollte, oder was noch schlimmer gewesen ware, ich hatte mich hinreissen lassen, seinen jammerlichen Lebensansichten zu widersprechen ..

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. Schon lange konnten sie das im Geschmack der ersten Halfte des vorigen Jahrhunderts errichtete stattliche Gebaude unterscheiden. Je naher sie diesem ihrem gemeinschaftlichen Reiseziele kamen, desto unruhiger wurde Hackert, desto heftiger seine Antworten, desto ungeduldiger das Seufzen, das ihm zuweilen entfuhr.

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verladen zu lassen fur dasjenige Schloss, wohin jene Schnurrpfeifereien nun bestimmt sein mogen, kommt die Excellenz da mitten in der Nacht in hochst eigener Person, einen Tag darauf folgt ein grosser Meubles-

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kluge Madchen bereits beim ersten Zusammentreffen seine weisse Hand, den zierlichen Fuss und sogar schon das Profil seiner Nase bewundert hatte. Sie entdeckt, hatte er sich im Stillen gesagt, sie entdeckt gewiss auch noch

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' ich ja als Manuscript fur Freunde spater drucken lassen. Sie gefielen naturlich nur da, wo man die rechte Stimmung mitbrachte. Jetzt freilich wurd' ich mich weniger so ganz darin verlieren, da die personliche Beziehung fehlt und nur

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mit meinem guten Vater, den er zu hassen scheint, weil er sein Herz nicht kennt, verkehrt, so bleibt uns nichts ubrig als uns an Diejenigen zu halten, die ihm ahnlich sehen. Man ruhmte mir schon oft den eleganten Fuss und die kleine weisse Hand

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dem Waisenhause einst ausgesetzten Findlings, hielten ihn hoher, als wir ihn hatten halten sollen, und mussen uns vorwerfen, dass wir nicht strenger wachten, als er anfing auf schlimmen Wegen zu gehen und sich und Andere zu verderben. Geliebt kann er dich nie im Ernste

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fur sich setzte sie hinzu:Wir werden ihn sehen und uns bald uberzeugen, ob er einem jungen Manne ahnlich sieht, den wir ja wol sehr genau kennen, dem guten Siegbert Wildungen.Damit denn ging Bartusch.

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vor Dankmarn voraus hatte, nur gewonnen zu haben schien, um immer warmer, immer ergebener und nachsichtiger zu fuhlen, wahrend Dankmar dagegen schon an sich selbst gestehen musste,

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.Mir weit besser als dem Vater! sagte der Knabe.Der hat freilich wol schon Vieles gesehen, was schoner ist, entgegnete Dankmar. Ihr kommt ja weit her?Von Amerika, sagte der Knabe, und setzte nach einigem Besinnen hinzu: Aus

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die der kleine Amerikaner niederschlug, ohne eine gewisse Pfiffigkeit und Schlauheit verbergen zu konnen, die hinter seiner Scheu verborgen lag.Ihr wisst von unserm Amtswesen und unsrer Federfuchserei nicht viel? sagte Dankmar, um sich von dem unangenehmen Eindruck, den ihm der oben erlebte Augenblick

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dir wieder begegnen, edler Mann? Wo mich an deiner starken Hand fuhren? Nie also, nirgends mehr? Das ware so verloren! Und warum verloren? Weil du die Menschen vielleicht hassest wie

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Zeichen dem erwidern soll, der ihm gleich beim ersten Blicke misfallt. Aber was fuhrt die Manner, die sich gefallen sollten, zusammen? Wer lasst den Geist den Geist erkennen? Was kurzt uns durch einen einzigen Blick den langen Umweg ab, den wir brauchen, um

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der Mutter aufrichtig beweine und sich eine heilige Pflicht daraus mache, ihrer letzten Anordnung zu folgen und Alles ein Jahr lang unverruckt und unverandert in ihrem Sinne bestehen zu lassen, ja immer, immer, mein

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wurde es ganz in der Ordnung gefunden haben, wenn die inzwischen so wohlhabend gewordene "Hirschentochter" sich verstimmt gefuhlt und entfernt hatte. Die blieb aber und fand sich gar nicht wenig geschmeichelt, plotzlich der Mittelpunkt eines gewissen Interesses geworden

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fort, schliesst sich uns in der Mitte in unserm neuen Coupe an. Ja, ja, wir werden bald fahren, bald reiten und uns die Ruckreise nicht etwa wie einen bittern Nachgeschmack von vielen hier gehofften und nicht eingetroffenen Freuden bekommen lassen, sondern

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die Glieder fahrt.Ich will hoffen, sagte Lasally, dass Sie sich ausserdem jedesmal hinreichend mit Esbouquet versehen hattenAuch daruber erzahlt Melanie wunderbare Dinge, sagte die Mutter; es soll gerade durch die grosse Reinlichkeit der

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Das Bandeau schien die Unentschlossenheit anzudeuten, ob sich die Dame bereit erklaren sollte, vielleicht ganz im grauen Haare, das mancher geistreichen und noch leidenschaftlichen Matrone ausserordentlich schon stehen kann, ihren Stolz zu suchen oder es

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ihre alte kleine Industrie hervorgesucht, wahlt sich kleine bescheidene Zwecke, die sie allein vertritt, lauft, rennt, bettelt, macht sich lacherlich, uberall, und doch wird sie's erreichen, dass man drei Tage lang, wenn es erscheint, von ihrem Gethsemane spricht und dass

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fur anspruchslos gilt und sich ganz und ausschliesslich der Pflege eines ehrwurdigen Alten widmet. Auch treibt sie alte Musik. Das ist allein schon hinreichend, ihr ein Lustre zu geben, wie man's nun oben einmal liebt. Rechnet man noch die Neugier hinzu, eine Frau kennen zu lernen, die von dir so verschieden sein soll, so ist Alles beisammen, was dort fur sie spricht. An den Process denkt Niemand. Pax meint Das auch.Ich will es glauben, sagte Pauline,

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Ja, ja, beste Freundin! sagte Schlurck lachelnd uber die plotzliche Zahmung der wilden Frau; warum sollt' ich die Antecedentien nicht kennen! Sie sind ja nachst der Cholera

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die Errungenschaften bleiben uns sicher.Bleiben uns sicher! Horen Sie, Das ist fein! So klar hat noch Keiner im Club gesprochen, obgleich.. ich ihn nicht mehr besuche. Es ist jetzt zu gefahrlich ... Ich lasse mir nur rapportiren. Aber schade ... Das muss wirklich unter die Leute kommen. Denn warum? Wirkt

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es auch leichter. Ist schon die Idee an sich gefallig und hochst launig ausgefuhrt, zumal da auch die Schulerin zu merken scheint, dass sich das ganze Atelier sie zum Modell genommen hat, wahrend ihr der Professor recht beflissen eben den Pinsel aus der Hand nimmt, um ihre eigne Leistung, die man nicht sieht, zu verbessern, so

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viel zu uppig auf sein Gebiet eingreifende "innere Mission" finden musste, auch in vieler Hinsicht Recht geben, darin wurde man ungerecht sein, wollte man die gewaltige Ruhrsamkeit und praktische Umsicht dieses stolzen Kirchenlichtes irgend verkennen. Um Gelbsattel recht schlagend zu bezeichnen, konnte man sagen, der

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ist Das vielleicht einer von den heiligen drei Konigen, der nach dreissig Jahren einmal wieder nach Jerusalem kommt, um den inzwischen stattlich herangewachsenen Heiland zu sehen? Er scheint sich recht zu verwundern, wie die kleinen Kinder mit

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hinter Rudhard gestellt und den Erlauterungen der einzelnen Blatter zugehort.Sie war alter als Rurik, der etwa zwolf Jahre zahlen mochte.. Paulowna schien deren erst acht zu haben.

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, hing schwer uber die rechte Schulter herab, die naturlich, wie die ganze Buste, sehr stark weiss geschminkt wurde, um durch eine grosse umstandliche "Florgeschichte", die wiederum ganz patriarchalisch, jedoch mehr im Stile

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ist so reizend, Pauline! Man sagt, Rousseau habe sie einst bewohnt und dort einige Capitel der neuen Heloise geschrieben. Ach, Sie wissen, wie ich die neue Heloise und Rousseau liebe. Ich war glucklich! An unserm Schlosschen platschert

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-Vergiftung und gehorte zu den gewandtesten "Colporteuren" der innern Mission, die ja die politische Krankheit der Volker auch scharf genug in's Auge gefasst hat und sie als Teufelswerk auszurotten sucht. Das christliche Werben gibt sich da zum Deckmantel einer ganz weltlichen Industrie,

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ihrer Weise schon vor einiger Zeit glaubte liirt, richtiger verkuppelt zu haben. Pauline hatte wirklich einmal schon einen schwachen Versuch in der "Krankenpflege" gemacht, es aber nicht sehr weit bringen konnen in so schweren, den ganzen Menschen und

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sich nur ganz allein, ganz selbst zu geben. Die Taille hielten die einfachsten langen weissseidenen Bander zusammen. Der Nacken war unverhullt. Das Haar in griechischer Einfachheit, ohne den geringsten andern Schmuck, als den naturlichen der in den Nacken zusammengewundenen starken Flechten,

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mit einer raschen Handbewegung zuruck und setzte, als sie geendet, hinzu:Im weiblichen Reubund hat der Vorfall allgemeine Theilnahme gefunden! Welche Verwilderung, wenn die heiligsten Besitzthumer des Vaterlandes, die Burgschaften unserer Kraft und Starke vor dem innern und dem aussern Feinde, nicht mehr sicher sind!

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Anliegen zu sagen weiss.Die beiden Bruder hatten nun inzwischen schon glucklich die beiden ersten Hofe hinter sich und tappten im dritten eine schmale, finstere Stiege hinauf, die unmittelbar von dem

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ehrenwerth erscheinen lasst.Wir gingen vielleicht schon darin zu weit, eine solche Beziehung vorauszusetzen, sagte Siegbert. Von Hackert's Seite schien irgend eine Rucksicht auf seine Nachbarin gar nicht angenommen

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Rathselhafte verfolgen sollten.Hackert schreibt schon und tanzt schon ... fugte Jeannette diesem Tumulte boshaft hinzu; es ware nicht das erste mal, dass Schlag zwolf Uhr der Thorweg leise aufknarrt und gewisse Leute in die Redoute gehen. Mach'

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fiel, deren Bilder, Statuen, Vasen wir bereits oberflachlich kennen und erst spater grundlicher betrachten werden.Auch Louis begriff nicht, wie die Grafin dorthin gelangen, dort auf einem Divan in beinahe phantastischer Kleidung schlummern konnte. Er glaubte an den

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.. ja, ja, sollte man's denken, einem so jungen blutjungen Ding lauft ein alter Franzose nach, von dem sie vorgibt, franzosische Lectionen zu nehmen ... Auch Das sagte mir der alte Sandrart schon im Walde und da sagt' ich schon, ich wollte doch hier einmal sehen, wieviel

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Sie werden aufgelost; alle Freiheiten werden fur unbestimmte Zeiten suspendirt und man wird regieren, wie es eben geht und so lange es geht, bis der Cirkel durch eine neue Kammerwahl wieder von vorn anfangt oder ein grosses politisches Ereigniss dazwischen tritt. Jede tiefer eingreifende Unternehmung

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Sie meine kleinen Verse erhalten?Ich wollte Ihnen dafur danken, sagte Franzchen schuchtern, aber ich fand nichts, was Ihrem Geschenk wurdig antwortete.Das kleine Gedicht ist in der Theilnahme gedacht worden, die

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ein so feiner, gebildeter Geist ist, der mit uns spricht. Dieses Buch, richtig aufgefasst, musste kindlich reine Gemuther bilden, besonnene frohe Weltweise voll Demuth und Vertrauen. Leider liegt darin auch ausgesprochen, dass

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mit seinem leichten Stockchen und kniff es zuweilen oben am Knaufe zwischen seine blendenden Zahne. Er konnte ganz meisterhaft die Miene der Gleichgultigkeit annehmen ... Louis dachte schon gar nicht mehr an die Art, wie das beruhmte Buch von

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dem du wirklich sprichst, als ware er schon gestiftet, nur kein Geheimbund ware.O wohl, lieber Egon, rief Dankmar in hoher Erregung, wohl, er ist schon gestiftet; denn

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ihnen die darin enthaltenen herrlichen Bilder gezeigt hatte. Es ware ganz in Gold eingebunden gewesen, sagte Rurik und Paulowna fugte noch Sammet und Seide hinzu. Und die herrlichen Bilder! Aber das schonste hatte doch Siegbert gemacht!Dankmar lachelnd und erfreut uber die schone Parteilichkeit der Liebe, sagte sich:Sollte Das vielleicht Frau von

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blonden Madchens lagen trotz der siegreichen Reaction noch so viele hohere unbefriedigte Triebe, dass ich wohl einmal an diese weissen zarten Formen anklopfen und fragen mochte: Erlaubst du wohl, dass ich die innere Organisation deines merkwurdigen Gehirnes studire

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in seinen vielen, an Helenen schon gerichteten Briefen immer Dasselbe sagten, namlich, dass sie schon, gut und liebenswurdig wie ein Engel ware, Huldigungen, die jedesmal eine neue Wendung hatten,

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und zu pflegen, findet sich selten. Da muss man wissen, Der oder Die denkt an dich, wenn sie arbeiten und plotzlich sieht man sich dann einmal und gibt sich die Hand, gleich als hatte man sich gestern gesehen, oder

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nicht einmal braucht ausgefuhrt zu werden, nur vier Wochen unterhalten, dies Gerucht nur etwa vier Wochen geschurt, wurde die einzige Art sein, die edle Familie von dem lastigen Storer gerade beim Abschluss einer wichtigen Verhandlung fernzuhalten.

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mich nicht erwehren, sie sogar fur ein ganz klein wenig trotzig zu halten und ich glaube, ihr alter Onkel schickt ihr seine kleinen Nichtchen deshalb so selten auf ihr

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was unten gesprochen wird, oben hinauf geleitet werden.Also sein Ohr darf Schmelzing nicht daruber halten, sonst wurd' er sich seine schonsten Haare verbrennen? fragte Hackert lachend.Allerdings dringt genug von dem heissen Dunst herauf,

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Gut zu horen, fuhr er fort, ist gemein; dann kommt gut sehen, das ist weniger gemein, aber noch immer gemein; dann kommt gut fuhlen. Das

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den Freunden gegeben, als sie auf der Strasse schieden, hatte etwas Krampfhaftes, ja tragisch Bedeutendes gehabt. Nur von Louis Armand mussten sie sich eingestehen, dass es ihm schwer wurde, sich von den unmittelbaren Aufforderungen der politischen Sachlage zu trennen und jetzt mehr fur die Zukunft wirken zu sollen als fur

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dieser Namen gleichsam Zeugniss fur den grossen Werth dieser beiden Menschen abzulegen.Ich kenne sie nicht, sagte Murray. Ich darf die Kette der guten Menschen, denen ich mich vertraute, nicht zu weit ausdehnen. Ich darf aber auch nicht langer schweigen. Ich bedarf einer Unterstutzung der letzten Absichten,

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zufliegen und gleich unsern innersten Menschen befriedigen konnen. Aus der eignen Brust heraus mussen wir weise werden, aus dem Bedurfniss unsrer eignen Seele zum Guten kommen. Dank!

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mit uns meint?Ich bin seit acht Tagen von der Residenz entfernt.Ich weiss es auswendig, ob es gleich so klingt, dass ich es lieber gleich hatte vergessen sollen. "Ihr beruft Euch auf Amerika", sagte er,

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dass er schon langst wisse, was die dritte Compagnie zum Abschaum in der Armee mache und dass wir die Cocarde verlieren sollten und solche niedertrachtige Sachen mehr, bis er dann sagte, dass er alles Dieses aufschreiben und mich wegen meiner Rebellion auf acht Tage in Mittelarrest bringen wurde.

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spreche Sie ja morgen noch! Wie lange denken Sie zu bleiben?Wenn Egon leidet, sagte Louis, wenn ich hore, dass ihn sein politisches System vielleicht zu gewaltsamen Schritten treibt, so

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rufen sie herunter und ich denke, Ihr, Zeck, werdet es verstehen, ihr Gedachtniss ein wenig zu kitzeln. Ich hore, dass sie gegen andre Hande unempfindlich ist. Seid Ihr's zufrieden?Zeck sagte, dass

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den Sie immer mehr schatzen wurden, wenn Sie ihn recht erkennen wollten, halt auf magnetische Beziehungen im Menschen. Es ist moglich, dass grade das Gleichartige abstossend wirkt. Wer weiss, welche Verwandtschaft grade Schuld ist,

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Fursten doch immer nur unter Umstanden heilig sind; aber wie gesagt, die Spaltung beruht auf Kassendefizits und einer, wie wenigstens Freund Werdeck versichert, tief eingerissenen Differenz uber die zweckmassigere Einrichtung einer Brautpaar-Aussteuerkasse verbunden mit einem stillschweigenden Heirathsbureau. Der Bruch wurde unheilbar, als

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und Egon lag darin, dass man an Paulinen eine grosse Uneigennutzigkeit in Betreff ihrer weiblichen Umgebungen ruhmte. Sie war immer von den schonsten Erscheinungen der Madchen- und Frauenwelt umringt. Man fand darin einen gewissen Zug von

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das entdeckten sogar die Spotter schon, in der Vorstellung einer geheimen Rathgeberin eines der merkwurdigsten jungen Genies, das plotzlich an dem politischen Horizonte aufblitzte. Nur daruber stritt man: Sucht Egon wirklich ihren Verstand oder ihre Intrigue oder sucht er nur die schonen Frauen, die Paulinen umgeben, diese schalkhafte kleine Grafin von

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den Zwischenpausen frei ergehen konnte, kam etwa auf folgende Ausserungen hinaus:Ich habe daruber nachgedacht, sagte Egon mit traumerischem Sinnen, worin ich eigentlich den Zauber dieses reizenden Madchens finden soll. Der Glanz ihrer Schonheit scheint dauerhaft, er wird nicht zu bald erblinden. Aber selbst eine ewige Schonheit ware in dem

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bringend, sagte:Ah, Pauline! Dieser susse Genuss, doch wenigstens etwas zu wissen, was fest steht und gewiss bleibt! Dieser feurige Burgunder ist die einzige feste Thatsache, die ich seit lange unter den Handen gehabt habe.

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solches Weh gefunden.Das wohl! sagte Dankmar und setzte nach einer Weile hinzu: Aber Sie sind ja schon im besten Zuge Ihrer theatralischen Carriere, mengen Macbeth und Faust zusammen wie Kaffee und Sahne bedienen Sie sich,

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: Excellenz konnen ja auch die ganze Genealogie wegstreichen und blos den grossen Spiegel nehmen lassen, worin Faust blos das Bild Gretchens sieht, nachdem er den Hexentrank zu sich genommen Er: Ganz Recht, ganz Recht,

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. Dieser scharfe Kopf ubersah die Zeit vollkommen. Er war vollkommen uberzeugt, dass die Welt ein grosses Chaos erwarte und dass der ganze Wirrwarr des Tages eigentlich leer und erbarmlich zu nennen sei. Apres nous le deluge! war seine stehende Redensart. Er erklarte hundert Mal des

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. Apres moi l'enfer! sagte der Eine. Apres moi le deluge! der Andre.Die genauere Angabe, in wiefern Dankmar hoffen konne, von der Stadt eine so gewaltige Summe, wie Voland eben gesagt, zu gewinnen, fuhrte den General gleich mitten auf ein

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der Materie finden konnen. Die rechte Freiheit und die rechte Begrenzung! Darin liegt Gluck, darin die Burgschaft neuen Friedens. Die Romer wussten, was sie wollten; die ersten Christen wussten, was sie wollten; wir wissen noch nicht,

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sein Bekenntniss entgegen; allein denken Sie sich doch einmal, als ware die Menschheit vielleicht ein Baum oder ein grosses Wachsthum, will ich sagen, das immer steigt, immer neu ansetzt, immer drangt und drangt und irgend etwas werden will was, weiss ich nicht.

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Ungeziefer vor scharfen Geruchen. Ich finde, dass ich dadurch vielen Vortheil vor andern Madchen voraus habe, die sich nur darin gefallen, von hundert Mannern immer dieselben faden Schmeicheleien zu horen. Diese Frauen sprechen immer nur von Musik, von schonen Gegenden, von guten Gasthofen,

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einem Dutzend hoher Geistlicher gleich einer Heiligen behandelt. Ich zweifle gar nicht, dass es darauf abgesehen war, das Kind in einen magnetischen Zustand zu versetzen. Rudhard fand sie, wie sie schlummernd auf einem Ruhebett lag, die Brust mit einem Kreuze bedeckt ..

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die Tempelsteinruine gesprochen ... Aber ihr hoher Gemahl besass zwei treffliche Eigenschaften, denen nur nicht immer die Gelegenheit zur vollkommnen oder richtigen Anwendung gegeben wurde. Er liebte erstens die Gerechtigkeit und besass zweitens einen unergrundlichen Schatz von

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selbst entwurdigen mussen. So wurden aus drei Tagen funf, aus funf acht. Es fesselte ihn ausser Oleandern wenig in der grossen Weltstadt. Er sah sich wohl die neuen Denkmaler und

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, Ubertaubung vielleicht, wenn man seine Gedanken ganz errieth. An Einsamkeit fehlte es dem jungen Staatsmann schon nicht. Sein ganzes Herz war schon einsam genug. Es fror schon recht auf den hochsten Gipfeln seiner Wirksamkeit. Er fand dort oben an den

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noch in vielerlei Wirrniss und zuletzt in die katholische Kirche eintreten zu sehen.Ware Das moglich? konnte erschreckend die Verlassene doch nun nicht umhin zu erwidern und ihren Schmerz noch deutlicher in den Mienen auszudrukken.Sie werden bald davon horen, gute Frau! sagte Egon. Ohne Extrem geht es bei

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Die Monarchen wollten sich unter sich selbst verstehen, sie schlossen sogar die Minister aus und erklarten, wohl zu verstehen, worauf es in Europa ankame, namlich lediglich auf ihre Selbsterhaltung. Sie wollten nur Armeen,

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. Diese neuen Propheten des Geistes thun schon Wunder, die Todten stehen schon auf, die Blinden sehen und die Tauben horen. Sie gehoren gewiss auch zu diesem merkwurdigen neuen Bunde? sagte mir kurzlich

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Katzen zu verliebt schreien.Hackert! rief Louise ausser sich vor Erstaunen.Nun ja, sagte Hackert, so wird's doch endlich recht sein! Soll mir der grosse bucklige Kerl immer zuvor trotten? Danebrand

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, outre mes enfans il s'en trouve ici d'autres encore, parmi lesquels vous etes le plus deraisonnable. Pour vous empecher de vous ruiner par vos mille folies il vous faudrait une gouvernante, qui reglat un

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Und Dystra erwiderte:Madame, je suis ravi de vos bonnes intentions pour moi. Depuis bien longtemps il fallait un mariage de raison, comme celui que j'aurai l'honneur de contracter avec vous, pour en completer ma collection de mille et une folies, les curiosites du

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schlanken und gesunden Madchens that ihr wohl.Es kommt oft vor, junge Confirmandinnen zu sehen, die nur gleich am Altar stehen bleiben sollten, um sich den Ehesegen geben zu lassen. Auch Lucinde war auf besondere Bitte des Amtmanns schon nach vier Wochen ein solcher Spatling unter den lieblichen weissgekleideten Kindern

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dass sie schon trotz ihrer Jugend eine solche Scene verstanden hatte, oder man darf glauben, dass sie einen Genuss darin fand, ein so wunderbares Erlebniss ganz allein fur sich zu besitzen, ganz allein fur sich zu geniessen und uberhaupt Dinge zu kennen, die die Nacht mit Grauen bedeckt.5.

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bei ihm geben. Einstweilen mochte er selbst nicht allzu lange in dem Hause hier verweilen: er musse bekennen, weder allzu viel Weihrauchduft noch luthersche Pfarrhausluft ware sein besonderer Geschmack;

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Lucinde fragen konnte, schien ihren Begleiter hoch zu erfreuen. Mit den meisten Madchen dieser jungen Jahre kann man ja stundenlang gehen, und sie wissen nichts als ein empfindsames Ja! oder Nein! Sie lacheln halberschrocken zu allem und jedem und nennen auch spaterhin noch die eigentlich eitelste Versunkenheit

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mit dem ersten nicht verschmahten schonen rothwangigen Apfel in die Welt gekommen! sagte Klingsohr. Wir konnen ja die Nichtigkeit dieser Erde gar nicht schoner erklaren als durch unsere eigene Schuld!

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Talg, zuletzt auf die Kleesaat gefuhrt hatte, einen Artikel, dessen grosse Erfolge schon andere voraus hatten, diejenigen namlich, von welchen bereits einige in zierlichen Cabriolets zu ihren Villen am schonen Ufer der Elbe dies- und jenseits Teufelsbruck gefahren

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doch noch erst den schwebenden Kampf aufnahm und im Plattdeutschen gerade statt Schlafrigkeit und Tragheit Energie und Thatkraft fand.Wenn, liebe Freundin, sagte er, diese Ihre Holzpantoffeln und gestrickten blauweissen Nachtmutzen rasch zum Ziel kommen wollen und die Sprache kurz nehmen, so

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Scenen, ging frei aus, und jetzt konnte selbst die Musik nicht mehr ihren klingenden Schild uber sie legen. Sie fuhlte ihre Lage und zum ersten mal war ihr Nr. 33 gerade recht; die zwei Bettschirme,

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die Atome sinken und nicht, fur mich wenigstens, dasein, aber in ihm wirbeln und erhalten sie sich und immer rundum. So halten sich die Welten! In einem hohern Sonnenstrahl werden wir einst das selber sehen, selber fuhlen! Wie uberflussig alles Wissen, wenn man das weiss! Ich brauche kein Buch mehr. Man

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die ihm entweder das Auftreten ganz untersagte oder ihn, wenn er spielen konnte, ausser Benutzung seiner Mittel setzte. Und doch hatte sich darauf etwa funf Jahre lang seine Lage ziemlich gunstig gestaltet. Er bekleidete erste Facher an grossen Stadttheatern und

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Katarrhe, besonders aber die eingewurzelten, aus denen doch wol Serlo's ganzer Zustand allein herzuleiten ware, fur immer verschwinden.Serlo lachelte dazu und Lucinde sagte:Wenn aber gerade die eingewurzelte Einbildung schon den ganzen Menschen regiert und ihm nur noch manchmal wohl wird in

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! zu sagen brauchte und sie schon schnarchen liess sagte diese: Nein, lies lieber aus dem allen heraus, dass du einst mehr Courage hattest! Und die konntest du noch haben, wolltest du dich

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wenn alles gut geht, geben die Consistorialrathe ein bischen heraus und der Papst gibt ein bischen heraus und die schonen Unionstage, die einst Leibniz in Charlottenburg getraumt hat, gehen in Erfullung!Horen Sie mal, Herr

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aber sonst immer ein klein wenig mit ihrem blendenden Email hervorblitzten; drittens die weder romische noch griechische, sondern weit eher stumpfe, aber hochst schelmisch geschwungene

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umwallten Haupte tragt, keineswegs einer gewissen Scharfe. Etwas Schlaues sogar, wenigstens Markirtes, fehlte dem Dechanten keineswegs. Seine Nase war lang und habichtartig, das Auge dunkel und sogar listig. Und stochert er sich eben die wenigen Zahne, die ihm noch geblieben sind,

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musste die zwolf Herren allein lassen und sich von der Tafel ganz zuruckziehen, wodurch sie insofern einen Vortheil gewann, als sie desto umsichtiger erstens die Ordnung der verschiedenen Gange dirigiren und zweitens die gerade zwischen einem

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sich alle gleich, dass sie erstens, wenn sie langer als einige Wochen blieben, sammtlich anmuthig, zweitens gebildet, drittens musikalisch sein mussten, viertens dass keine langer bei der Tante blieb als zwei Jahre. Ueber letztern Umstand gingen verschiedene Geruchte .

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.. kurz, der Dechant und Windhack, beide waren die erste Verurtheilung schon gewohnt.Regelmassig aber fanden beide hintennach bei eigener Anschauung, dass die so verfehlt geschilderte Acquisition im Grunde "gar nicht so ubel war"

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Benno hatte schon lange ein ungewohntes Treppenlaufen in seinem kleinen Hause bemerkt, war auch ans andere Fenster getreten und bestatigte schon, dass an einem ganz in einen Winkel des kleinen Platzes gedruckten Hause ein starker Zusammenlauf von Menschen stattfand, ja eben bestieg sogar ein Polizeicommissar eine nach der Strasse offen liegende Treppe des

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, so ausgelassen unter demjungen Volke, dass die vier Erzieherinnen (die vierte lehrte nur Musik) dafur waren, lieber jetzt aufzustehen und de se promener encore dix minutes sous les tilleuils et dans le jardin .

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nun auch bald kommen und sich oft storend genug uberall hin ausbreiten werden.Um neun Uhr schiffte die ganze Pension, neunundzwanzig junge Madchen eins blieb ein wenig unpasslich daheim und vier Erzieherinnen in zwei Kahnen zur

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Gott sich erheben, der ausser uns und unendlich hoch uber uns wohnt, ist allerdings schwer; denn je naher wir ihm da zu kommen suchen, desto entfernter ruckt

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: Du verdienst dir dein Reisegeld, gehst erst in den Dom und sagst's en confession Ich bin versucht, wollt' ich sagen, ein gross Feuer zu legen und ein Papier so war le mot d'ordre dans une bibliotheque

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durch sie gewonnen und erhalten worden. Und erst in unserer Zeit! Der Mariencultus ist nicht mehr die Burgschaft der mildern Sitten; jetzt ist er der lebendig gewordene reine weibliche, sittliche Sinn.

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aufblicken und sagen: Das Leben hat mich viel umgetrieben, ich war mancherlei und erlebte noch mehr, aber du, du kannst nichts gegen mich haben! Du wurdest mich nicht aus deinem himmlischen Hofstaat verweisen! Ich fuge hinzu, liebe Freundin, ich fand immer, dass die Frauen voneinander mehr wissen, als

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Benigna sprach endlich laut und betonte die Worte so scharf, als konnte Paula dadurch verhindert werden, ferner ihren Geist ausserhalb der korperlichen Hulle dahin schweifen zu lassen ...Armgart aber schien das hochste Verlangen zu tragen, vom Leichenbegangniss mehr zu wissen ..

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, im sechsten Monat sollte er allen Predigten beiwohnen, deren in den hundert Kirchen Roms drei oder vier taglich und zu verschiedenen Zeiten gehalten wurden und daruber Referate geben und bei allen diesen Proben zu gleicher Zeit auch noch die lateinische Sprache erlernen ..

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, dass beide in eins zusammenfallen konnten und dennoch unterschieden wurden. Der Wille konnte rein und schuldlos bleiben, er konnte die That unmittelbar hervorgerufen haben und dennoch war letztere nicht sein,

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zahlt die fernern Stiche, die er fuhlt. So kommen bestimmte Buchstaben zusammen und zwei auf diese Art blutsverbundene Freunde konnen uber tausend Meilen weit im Nu sich sagen: Es geht mir wohl! Ich liebe dich immer und ewig! Ich

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gebohrt haben konnen, dass sie sich nicht mehr auseinander zu winden wissen, die Kraft der Stirnen nachlassen fuhlen und beide ermattet und zum Sterben bereit, ja wie im Tode zuvor noch versohnt, zu gleicher Zeit hinsinken, so standen sich der

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in Zukunft vielleicht ganz meinen Halt? Man sagt allgemein, Sie gingen unter die Diplomaten! Das konnte mich veranlassen, Sie wegen mancher hochst bedenklichen vertraulichen Aeusserungen zu mir zu denunciren und steckbrieflich verfolgen zu lassen. Adieu,

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noch scheitern mussen. Aber weit entfernt, dass sie darum dem Spott unterliegen, lassen sie immer etwas zuruck, was dem nachstfolgenden Versuch zugute kommt. Immer ist wenigstens Ein heroischer Zug, Ein uberraschender kleiner momentaner Erfolg vorgekommen, der

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der Sie gehoren, ist gross und an Vertrauten mogen wir wol in Rom allein dreitausend haben ... Der erste Grad vollends, derjenige, der die Losung kennt, ist dem Verrath am meisten ausgesetzt ... Sie werden genug Priester und Verdachtige in diesen Reihen finden ..

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"nach dem allerdings bedauerlichen Ende der Gebruder Bandiera" gar nicht mehr wiedererkannte alles das sagte genug, um sein einziges das dann "etwas deutlich gegebenes" Wort zu verstehen: "Als wir ja damals fur immer Abschied nahmen

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dann elend hingeschleppt, hatte sehen mussen, wie Fefelotti seinen ihm immer mehr abgerungenen Einfluss gewann und ware zuletzt still vom Schauplatz verschwunden und sogar ausserordentlich heilig gestorben .

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von Loretto jedoch hatte Hubertus vergebens gesucht, irgend etwas in Erfahrung zu bringen ... Schon konnte sich Verdacht regen, dass wol gar der gespenstische fremde Monch, der, ohne sich deutlich ausdrucken zu konnen bettelnd bald hier bald dort auftauchte,